- -
- 100%
- +
Hatte er sich so verräterisch verhalten? Was sollte er jetzt tun? Konnte er seine Herrin, der er so viel verdankte, denn belügen? Nein, das konnte er nicht und so erzählte er ihr alles, was er am Morgen gehört hatte. Nathi sah ungläubig zu ihm auf. »Logan. Ist. Der. Großinquisitor?! Und sie haben Zugang zur Erde, unserer Heimat? D-das ist … unglaublich!«
»Ja, Herrin, das hat er gesagt«, antwortete Nico ergeben. »Was werdet Ihr jetzt tun, Herrin?«
Plötzlich sagte eine männliche Stimme: »Das ist eine gute Frage.« Aus dem Nichts erschien Logan mitten im Raum und sah von einem zur anderen. Nathi starrte irritiert ihrem Bruder entgegen, wohingegen Nico auf die Knie sank, den Kopf auf den Boden drückte und ängstlich zu zittern begann.
»Logan, was machst du denn hier?«, fragte Nathalie bestürzt.
»Ich bin hier, um deine Antwort auf diese Frage zu hören. Ja, ich bin der Großinquisitor und ja, wir haben Zugang zur Erde. Wir haben ihn nie verloren. Die Erde und all ihre Bewohner dienen uns als Seelenschmiede für die Herstellung der Seelenkristalle.«
Gespanntes Schweigen breitete sich in dem Raum aus. Nur unterbrochen von Nicos heftiger Atmung. Er hatte Angst. So entsetzliche Angst. Vor Logan. Vor dem, was dieser ihm antun würde.
Er konnte hören, wie Nathalie einmal tief durchatmete. »Was soll dieser Wahnsinn, Bruder? Warum tut ihr das?«
»Ewiges Leben und mehr Macht, als du dir vorstellen kannst.«
»Ich verstehe nicht.«
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, kleine Schwester, welch unvergleichbare Macht diesen Kristallen innewohnt. Die meisten sehen sie nur als Währung an, aber das ist nur eine geschickte Tarnung. Ihre wahre Kraft ist in ihnen verborgen. Die Macht der Seelen lässt sich direkt in verschiedene Zauber umsetzen. Nur wenige wissen darüber Bescheid.«
»Wie genau sammelt ihr Seelen und schließt diese in Kristalle ein?« Nathalies Stimme zitterte vor Anspannung.
»Ich wusste, du würdest es verstehen. Nun, das ist ganz einfach. Du nimmst einen leeren Rohkristall, aber nicht irgendeinen, er muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie die molekulare Dichte und die Kristallgitteranordnung und … Du nimmst also den Kristall und legst einen Seelensammelzauber auf ihn. Dann muss nur noch ein Lebewesen in seiner Nähe sterben – und voilà, der Kristall beginnt sich aufzuladen.«
»Wie stellt ihr sicher, dass sich die Sterbenden in der Reichweite der Kristalle befinden? Oder habt ihr diese unter jedem Krankenhaus und Seniorenheim platziert.«
Gehässig lachte Logan auf. »Eine solche Praxis wäre viel zu Umständlich. Wir lassen die Menschen auf der Erde doch nicht einfach frei herumlaufen. Wir züchten sie in Tanks und ernten ihre Seelen, nachdem sie alt genug sind. Das hat sich als die effektivste Methode herausgestellt.«
Entsetzt japste sie nach Luft und stammelte: »Das ist Mord! Wie kannst du bei so etwas mitmachen?«
Logans boshaftes Lachen hallte von den Wänden wider. »Es sind doch nur Normalos.«
»Es sind Menschen. Menschen wie du und ich.«
Zaghaft hob Nico ein wenig den Kopf und sah die emotionslose Miene des Magiers. »Wie du und ich? Normalos sind Abschaum. Nicht mehr als Nutzvieh. Kaum mehr wert als Wesen. Ihr einziger Nutzen ist es, neue Magier zu zeugen und für uns, die Herrenrasse, zu arbeiten.«
»Hegst du immer noch einen Groll gegen die Normalos? Logan, das ist schon so lange her, komm zur Besinnung.«
Voller Wut verzerrte sich das Gesicht des anderen. »Ich werde den Normalos niemals vergeben, was sie uns angetan haben.«
»Logan, wir waren Kinder. Sie waren Kinder. Es war doch nur ein Streich. Ein dummer Kinderstreich.«
Ein gehässiges Schnauben war die Antwort. »Dumme Kinder, die zu dummen Erwachsenen wurden. Viele Jahre musste ich warten, schlussendlich war die Rache mein.«
Logan zog einen gelblichen Kristall aus seinem Umhang. Mit einem diabolischen Grinsen sagte er: »Ihre Seelen mehren nun meine Macht. Damit sind sie immerhin für etwas von Nutzen.«
»Logan!«
Der Magier ließ den Seelenkristall verschwinden und hob eine Hand. »Genug davon. Ich werde mich nicht weiter rechtfertigen. Der Erzmagier hat große Pläne. Pläne, über die ich nun endlich mit dir reden kann. Dafür muss ich deinem Sklaven danken. Durch ihn konnte ich den Zauber des Erzmagiers umgehen, welcher mich zur Verschwiegenheit gezwungen hatte.«
Er breitete die Arme vor sich aus und enthüllte: »Wir werden eine neue Zivilisation erschaffen. Eine Zivilisation von unsterblichen Magiern, welche die Macht haben werden, Planeten und sogar ganze Sonnensysteme nach ihrem Ermessen zu formen. Dann kann uns nichts mehr aufhalten!«
Auf einmal änderte sich Logans Blick und er wurde kalt, wobei seine Augen auf Nico ruhten. »Nur eines musst du noch erledigen. Dein Sklave hat zu viel gehört. Töte ihn. Aber keine Sorge, seine Seele geht nicht verloren. Unter allen bewohnten Bereichen haben wir Rohkristalle versteckt. Wir wollen keine Seelen verschwenden. Ich muss dir noch so vieles zeigen! Aber eines nach dem anderen. Zuerst töte den Sklaven!«
Was dann geschah, ging so schnell, dass Nico nicht einmal Zeit hatte zu reagieren. Von ihrem Bruder unbemerkt, hatte Nathi ihre magische Kristallkugel hinter dem Rücken hervorgeholt. Die glatte Oberfläche pulsierte von den ganzen Runen, welche sich darauf bewegten. Sie schrie laut: »Nein, das werde ich nicht!«
Da schoss auch schon die Sphäre um ihren Körper herum und entlud ihre Macht in einen Strom magischer Energie – gerichtet auf Logan. Auf dessen Robe erschienen Schutzrunen und lenkten einen Großteil des Strahles ab.
Der klägliche Überrest des Zaubers traf ihn an der Brust und er geriet mit aufgerissenen Augen ins Schwanken. Bevor er sich von diesem Angriff erholen konnte, wirkte Nathalie einen zweiten Zauber und der goldene Stab des Magiers flog aus dessen Ärmel hervor und schoss auf sie zu. Geschickt fing sie den Runenspeicher mit einer Hand und richtete dessen Spitze auf ihren Bruder.
Nicos Wissen war zwar lückenhaft, aber ein Magier, der seinen magischen Gegenstand verloren hatte, war so gut wie schutzlos. In diesen Gegenständen – jeder Magier fertigte sich seinen eigenen - wurden die Runen für ihre Zauber gespeichert. Ein gewaltiger Nachteil der Runenmagie war es nämlich, dass ein Zauber lange Vorbereitungen brauchte und im Kampfgetümmel dafür keine Zeit war. Deshalb bereiteten sich die Magier im Vorfeld auf solche Ereignisse vor und speicherten ihre Zauber in einem dafür geeigneten persönlichen Gegenstand. Somit konnten sie diese jederzeit abrufen und entfesseln. Allgemein nannten sie dieses Arbeit Runenschmieden.
»Ich werde mich niemals an einem Völkermord beteiligen. Ich werde eure Machenschaften der Öffentlichkeit preis geben. Das Spiel ist aus«, fuhr sie ihren Bruder wütend an. Auf ihrer Kugel, sowie auf dem goldenen Stab, erschienen unzählige Runen, doch noch entfesselte sie deren Macht nicht. Logan stand da wie vom Donner gerührt und sah ungläubig zu ihr.
Plötzlich lachte er völlig wahnsinnig. Bei diesem Geräusch lief es Nico eiskalt den Rücken hinunter. »Du willst mich aufhalten? Oh, arme kleine Schwester, dein Geist ist vernebelter, als ich dachte. Ich werde mich selbst um deinen Sklaven kümmern und dann werde ich dich wegsperren, bis du zur Vernunft kommst.«
»Sei vernünftig, Logan. Ich habe deinen Stab, du kannst nichts gegen mich unternehmen«, versuchte sie, ihn zur Besinnung zu bringen.
Mit einer fließenden Bewegung griff er in seine Robe und zog ein Messer hervor. Genau in diesem Moment entlud sich die Macht der Runen und eine weitere, viel stärkere Welle aus reiner Magie schoss auf ihn zu. Logan hob eine Hand und wischte den Zauber einfach beiseite.
»Das … das ist unmöglich!«, stotterte Nathi.
»Sieh die Macht von tausenden Seelen, welche durch meine Adern fließt. Ich brauche nun keinen Runenspeicher mehr, um meine Magie zu wirken«, erwiderte Logan. Das Messer in seiner Hand schoss hervor und traf Nico an seiner linken Wange und anschließend am Arm. Es fügte ihm einen tiefen Schnitt zu und flog wie ein Bumerang zurück zu seinem Herrn. Nico kroch panisch zurück und versuchte mehr Abstand zwischen sich und seinen Angreifer zu bringen.
»Adieu, Sklave!« schrie Logan und schickte seine Waffe zum Todesstoß los.
Nico hatte keine Chance. Er war einfach zu langsam und vor Angst gelähmt. Das würde sein Ende sein. Das Messer flog direkt auf sein Herz zu und er schloss die Augen. Gegen Logans Magie war er vollkommen machtlos. Doch der Schmerz kam nicht. Das Rascheln von Kleidung war zu hören und etwas Schweres fiel zu Boden. Nico riss die Augen auf und erblickte seine Herrin, die vor ihm lag. Aus ihrem Oberkörper ragte das Messer hervor.
Sie hatte sich vor ihn geworfen. Seine Herrin hatte ihm, einem Wesen und Sklaven, das Leben gerettet.
»Nein! Schwester!«, stieß Logan hervor, während seine Augen wahnsinnig umherrollten.
»Schachmatt, Bruder«, drang es gequält aus Nathalies Mund und sie hob mit gewaltiger Anstrengung ihre Hand. Hinter Logan erschienen die Kristallkugel und der goldene Stab. Auf beiden tanzten die Runen und hüllten ihren Bruder in einen Wirbel von Farben.
»Nein«, schrie dieser und kämpfte gegen den Teleportzauber an. Doch konnte er sich nicht gegen seine eigenen Runen zur Wehr setzen. Dies war eine der größten Gefahren für die Magier. Wenn sie ihren Runenspeicher verloren und dessen Macht gegen ihren Besitzer eingesetzt wurde, konnten sie sich nicht dagegen wehren.
Als die Magie sich legte, war Logan verschwunden. Die magischen Gegenstände fielen matt zu Boden. Die Kristallkugel zerbarst und der Stab rollte scheppernd davon. Ebenso kraftlos fiel Nathalies Hand zu Boden und ein Rinnsal von Blut lief ihr aus dem Mundwinkel.
»Herrin«, schrie Nico und stürzte zu ihr. Er streckte seine zitternden Pfoten aus, wusste aber nicht, was er tun sollte.
Mit angestrengter Stimme stammelte Nathalie: »Nico, geh. Flieh! Du musst alles … dem Großmagnaten erzählen. Geh! Logan kann jeden Moment … wieder zurückkehren.«
Tränen nahmen ihm die Sicht. Als er sprach, konnte er gut seine eigenen Verzweiflung in seiner Stimme hören: »Ich werde Euch nicht verlassen. Ich werde Hilfe holen.«
»Nein, dafür ist keine Zeit mehr. Ich flehe dich an. Tu es nicht für die Menschen, tu es für die Wesen, welche unter den Magiern leiden werden. Geh!«, brachte Nathi unter gewaltiger Konzentration noch hervor. Dann schlossen sich ihre Augen und ihr Körper lag reglos da, kein Muskel rührte sich mehr.
Mit tränenverhangener Sicht griff Nico nach dem Messer und zog es vorsichtig aus dem Körper vor ihm. Dann faltete er ihre Hände über der Brust und gab sich seiner Trauer hin. »Ich werde Euren letzten Wunsch erfüllen. Ich werde Euch nie vergessen, Nathalie. Ruhe in Frieden, meine Herrin.«
»Was ist denn hier los? Wachen!«, erschütterte eine Stimme den stillen Raum. Aufgeschreckt sprang Nico auf die Füße und hob angriffsbereit das Messer in seiner Pfote. Der Händler sah die Klinge und rannte schreiend aus dem Zimmer. Nico hatte vollkommen vergessen, dass der Geschäftsmann ja wieder zurückkommen wollte.
Was sollte er jetzt tun? Er konnte nicht bleiben. Keiner würde einem Sklaven glauben. Wenn sie ihn erwischten, dann würden sie ihn ohne Anklage hinrichten. Er musste seinen Auftrag erledigen. Er musste einfach!
Schnell verband er seinen Arm notdürftig mit einem Fetzen seiner Kleidung und versteckte das Messer in seinem Gürtel. Dann zog er sich seine Kapuze tief ins Gesicht und ging so menschlich er konnte aus dem Raum. Er stürzte sich ins Getümmel der Leute und verschwand in der Menge. Am Rande des Menschenstroms konnte er die Wachen in Richtung des Raumes rennen sehen, in dem die Leiche seiner Herrin lag. Schnell und unentdeckt schlich er sich zu den Aufzügen und stieg eilig in einen der leeren Kästen ein.
Er brauchte Geld, ohne Geld konnte er nichts erreichen. Aber wo war der Ausgang? In seiner Hast drückte er einfach den untersten Knopf. Als die Fahrstuhltüren sich wieder öffneten, befand er sich in einem riesigen, fensterlosen, leeren Raum.
Dieses Stockwerk war vollkommen in Dunkelheit gehüllt. Nur ein, zwei Notausgangsschilder spendeten ihr spärliches grünliches Licht. Außer den Trägersäulen und den Wänden konnte er nichts erkennen. Diese Ebene erinnerte ihn an das Zimmer von Logan und er erstarrte. Nur am Rande bekam er mit, wie die Türen sich hinter ihm schlossen und es noch dunkler wurde.
»Ich muss hier weg«, stammelte er nach einer Weile und hämmerte fast schon panisch auf den Rufknopf für den Aufzug. Ein schwacher Lichtstreifen schob sich von oben in den Schlitz zwischen den Türen und er konnte Stimmen aus dem Inneren der Fahrgastkabine hören. Voller Angst wich er mit einem Sprung in die Dunkelheit und versteckte sich hinter einer Säule. Er zog das Messer aus seinem Gürtel und machte sich kampfbereit. »Niemand wird mich aufhalten … niemand!«
Zu diesem Zeitpunkt konnte Nico nicht ahnen, wie sehr das folgende Aufeinandertreffen sein Schicksal beeinflussen würde. Er würde viele neue Freunde finden. Auch einen Rivalen und zudem eine neue Familie, ein Rudel …
Kiyoshi
Im Gemach des Meisters
Kiyoshi, stand unentschlossen vor der Bürotür und dachte nach. Er war immer noch wütend auf seinen Meister, aufgrund der neuen Geheimnisse, die zwischen ihnen standen. Am meisten machte ihm aber zu schaffen, dass Nico, dieser dämliche Köter, genau wusste, was hinter der Schwarzen Tür war, er hingegen vom Meister keine Auskunft erhalten hatte. Beim Besuch der Magier hatte der Meister den Köter einfach in den verbotenen Raum gesteckt.
Mit einem schweren Seufzen klopfte er an und betrat den Raum. Er hatte geplant, seinen – ja, was war der Mensch eigentlich für ihn? Sein Meister, sein Freund, sein Geliebter? – zur Rede zu stellen. Wenn er an die vergangene Nacht dachte und an den Morgen, dann kam er nicht umhin sich einzugestehen, dass seine Gefühle dem Meister gegenüber eindeutig größer waren, als Unterwürfigkeit oder bloße Freundschaft. Doch noch konnte er diese nicht näher betiteln. Er wusste nur, dass er beim Gedanken an ihn ein seltsames Gefühl im Bauch verspürte.
Um einen Grund für seinen Besuch vorzutäuschen, hatte er sich mit einem Tablett bewaffnet, auf dem er eine frisch gebrühte Tasse Kaffee, ein Kännchen Milch und eine kleine Zuckerdose gestellt hatte. Er wusste ja nicht, wie der Meister dieses Gebräu bevorzugte, dafür kannten sie sich noch nicht lange genug. Noch während er langsam in den Raum hineinschritt, wurde er auch schon angesprochen: »O Kleiner. Ist der Kaffee für mich?«
Kiyoshi konnte in diesem Moment nicht anders und erwiderte: »Ja, aber solch einen Service habt Ihr Euch nicht verdient.«
»Na, wenn das so ist, was muss ich denn tun, um ihn mir zu verdienen? Was verlangt mein weißer Tiger als Gegenleistung?« Der Meister saß auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch. Seine rotblonden, schulterlangen Haare fielen ihm zum Teil ins Gesicht. Lächelnd sah er zu ihm, wobei es in den kristallblauen Augen amüsiert blitzte.
Gespielt nachdenklich stellte Kiyoshi das Tablett auf dem Schreibtisch ab und legte sich die rechte Pfote ins Gesicht. »Hm, mal überlegen.« Noch bevor er wirklich nachgedacht hatte, stand der Meister auf, umrundete geschwind den Tisch und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Dann nahm er ihn in den Arm. »Sei mir bitte nicht böse. Ich möchte wirklich nicht, dass meine Geheimnisse zwischen uns stehen, aber ich kann dir leider nicht alles sagen. Noch nicht. Die Zeit wird kommen, da -«
Nicht schon wieder dieselbe Ausrede. Bei diesen Worten loderte eine Flamme der Wut in Kiyoshi auf und er befreite sich abrupt aus der Umarmung. Sofort verstummte der Meister. Kiyoshi brachte Abstand zwischen sie, verschränkte die Arme vor der Brust und raunte: »Spart Euch diese Ausrede. Ich bin nicht Euer Haustier. Ihr wollt mit mir zusammen sein und sagtet, dass Ihr mich liebt. Aber mir ein wenig entgegenzukommen, ist wohl zu viel verlangt. Ihr wollt, dass ich Euch vertraue, aber Ihr vertraut mir nicht an, was hinter der Schwarzen Tür ist.«
Geduldig und aufmerksam hörte der Meister zu. Ein missmutiger Ausdruck lag auf seinen Zügen, als er mit distanzierter Stimme erwiderte: »Ich habe Nico nicht in diesen Raum gesteckt, weil ich ihm mehr vertraue als dir, sondern um sein Leben zu retten. Die Tür ist mit einem Siegel versehen, sodass nicht einmal ein Magier diesen Bereich einsehen kann. Du hast doch mitbekommen, dass Logan Zayn aufgespürt hat, Nico aber nicht.«
Sich langsam in Rage redend, begann der Meister, im Raum auf und ab zu gehen: »Ich nehme nicht an, dass du weißt, dass Magier in deine Gedanken eindringen und dort herumstöbern können? Deshalb wissen sie auch, wenn jemand lügt. Ich habe gelernt, mein Wissen zu verbergen und sie nur das sehen zu lassen, was ich will, das sie sehen. Du kannst das nicht.«
Nach dieser Feststellung blieb er stehen und die blauen Augen bohrten sich erbost in Kiyoshis rote. »Es gibt einen guten Grund, warum ich manches für mich behalte. Je mehr davon wissen, desto größer ist die Gefahr, dass ein Magier auf dieses Geheimnis stößt. Diesen Bereich habe ich extra als Schutzabschnitt erstellen lassen, falls es Probleme mit Magiern geben sollte. Ich spiele nicht mit der Sicherheit der Wesen unter meinem Schutz. Dir diese Information zu geben, hat Nicos und somit unser aller Leben in Gefahr gebracht. Bist du nun glücklich?«
Kiyoshi stand einfach nur da und sah bestürzt drein. Er hatte so unbedingt dieses Geheimnis lüften wollen, dass er keinen einzigen Gedanken an die möglichen Konsequenzen dieses Wissens verschwendet hatte. Der Meister schüttelte den Kopf, schloss die Augen und griff sich an die Nasenwurzel. Schwer seufzte er und versuchte sich zu beruhigen. »Ich habe Zayn mit Absicht in sein Zimmer geschickt und mich ein wenig dumm angestellt, als Logan fragte. Ich wollte ihn verärgern und seine Aufmerksamkeit auf mich lenken, damit er nicht auf die Idee kam, in eure Gedanken einzudringen. Das war Teil meines Plans, um uns alle zu schützen.«
Die Worte des Menschen hallten in Kiyoshis Kopf wider. Nur aus purer, dummer Eifersucht hatte er seinen Herrn dazu gebracht, diese Informationen preiszugeben. Ebenso war er bestürzt über sein eigenes Misstrauen. Sein Meister dachte nur daran, alle zu schützen und er stellte sich hier hin und quengelte wie ein kleines Kätzchen. Hinter so manchen Verhaltensmustern des Meisters stand also ein tieferer Sinn. Er hatte selbst schon mitbekommen, dass dieser sein zeitlos jugendliches Aussehen als Waffe einsetzte und seine Gegenspieler ihn somit total unterschätzten.
Der Meister wandte sich ab und drehte ihm den Rücken zu. Wie geschlagen ging Kiyoshi auf die Knie und drückte seinen Kopf demütig auf den Boden, während er mit belegter Stimme krächzte: »Verzeiht mir, Meister. Ich bin dumm.« Leise begann er zu schniefen und redete sich von der Seele: »Ich kann verstehen, wenn Ihr mich nun nicht mehr wollt, es tut mir leid! Bitte vergebt mir.«
Dicke Tränen liefen an seinen Wagen herab. Der Mensch würde sich sicher von ihm abwenden. Was wollte dieser auch mit so einem dummen Tiger, welcher ihm immer nur misstraute und keine Ruhe gab? Wer wollte ihn schon haben, einen Sklaven! Seine Gedanken rasten und er steigerte sich immer weiter hinein.
Sanft streichelte eine Hand über Kiyoshis Rücken. »Sch, beruhige dich. Ich bin dir nicht böse. Versteh doch, ich will euch nur schützen. Mir ist mein Temperament durchgegangen. Entschuldige bitte. Ich wollte dich nicht so anschnauzen.«
»Ihr habt nichts falsch gemacht. Ich bin es, der immer wieder Fehler macht. Ich bin Eurer Zuneigung nicht würdig«, schluchzte Kiyoshi und weinte noch heftiger.
»Wem ich meine Zuneigung schenke, entscheide nur ich. Sch, beruhige dich. Keine Sorge, so leicht wirst du mich nicht los. Da muss schon wesentlich mehr geschehen«, beteuerte der Meister und strich weiter besänftigend über sein weiches weißes Fell.
Von einem Extrem schwenkten Kiyoshis Gedanken blitzschnell ins andere und er stürzte sich überglücklich, nicht verstoßen zu werden, Hals über Kopf auf den Meister und warf ihn dabei um. Erschrocken über sein eigenes Verhalten, sah er aus tränenverschmierten Augen vorsichtig auf und spannte die Muskeln an.
Im Gesicht des Meisters lag kein Anzeichen für Verärgerung. Ein warmer Blick lag in den blauen Augen und seine Lippen zierte ein amüsiertes Lächeln. Er schlang die Arme um ihn und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. »Keine Sorge, mein Kleiner, ich kann dich sehr gut verstehen, es ist nur natürlich, Geheimnisse aufdecken zu wollen. Und da alle mitbekommen haben, dass Logan Nico nicht aufspüren konnte, habe ich dir auch nicht wirklich etwas Neues verraten. Aber du bist der Einzige, der von den Siegeln weiß und so soll es auch bleiben.«
Noch eine Weile lagen sie so da und Kiyoshi genoss einfach nur die Nähe und Geborgenheit, die sein Freund ihm spendete. Unvermittelt - er hatte sich mittlerweile von seinem Gefühlschaos etwas erholt - äußerte dieser: »Da du dich wieder beruhigt hast, möchte ich dir gerne etwas zeigen. Dazu musst du aber zuerst aufstehen.«
Gespannt löste sich Kiyoshi von ihm und stand umsichtig auf. Dann hielt er seinem Meister eine Pfote hin und zog auch diesen auf die Füße. Dieser nutzte die Gelegenheit und drückte ihm schnell einen unschuldigen Kuss auf die Lippen. Einen Moment lang nahm er ihn erneut in die Arme und versicherte: »Kiyoshi, ich liebe dich und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dich zu beschützen.«
Anschließend umschloss er eine der Pfoten mit seiner Hand und zog ihn hinter sich her. Der Meister wollte ihn nur beschützen, deshalb verbarg er so manche Dinge vor ihm. Das würde er im Kopf behalten, nahm er sich fest vor.
Sie gingen direkt auf die Schwarze Tür zu, bei deren Anblick in Kiyoshi erneut Schuldgefühle hochkamen. Der Meister hielt allerdings nicht an und öffnete sie einfach. »Ich vertraue dir, Kleiner. Das beweise ich dir auch. Ich werde dir gleich etwas zeigen, was noch keiner der anderen gesehen hat«, und mit diesen Worten ging er voraus in den geheimen Raum hinein. Kiyoshi kam langsam hinterher und sah sich um.
»Das ist ja nur ein Korridor mit einer Treppe in den Keller«, stieß er sichtlich enttäuscht hervor.
»Ja, da hast du recht. Ist wohl doch nicht so aufregend, das hier zu sehen? Aber das ist es nicht, was ich dir zeigen wollte. Dafür müssen wir weitergehen. Nico war die ganze Zeit hier oben, mehr als das, was du jetzt auch siehst, konnte er nicht sehen.
Bevor wir weitergehen, möchte ich, dass du mir etwas versprichst. Dort unten gibt es einige Räume, ich zeige dir ein paar davon. Frag mich bitte nicht, was in den anderen ist und versuche auch nicht, in diese einzudringen. Manche meiner Geheimnisse müssen einfach geheim bleiben, bis die Zeit reif ist. Mehr kann ich dir im Moment nicht anbieten. Also versprich es mir!«
Neugierig und mit dem guten Vorsatz, dieses Mal nicht weiter nachzubohren, erwiderte Kiyoshi zuversichtlich: »Ich verspreche es Euch, Meister.«
»Okay, dann komm mit«, sagte der Meister und ging voraus. Er führte ihn die Treppe hinunter. Hinter sich konnte Kiyoshi mehr spüren, als hören, wie sich die Schwarze Tür von selbst schloss. Unten sah er einen langen spärlich beleuchteten Korridor, von dem einige Räume rechts und links abgingen. Die erste Tür ließen sie aus und der Mensch öffnete die zweite zur Rechten. Zum Vorschein kam ein hell erleuchteter Trainingsraum. An den Wänden hingen verschiedene hölzerne Waffen.
»Hier übe ich jeden Tag, wenn ich dafür die Zeit finde. Gegenüber ist mein Badezimmer«, erklärte der Meister, trat zurück in den Korridor und öffnete den genannten Raum.
Dieses Zimmer war spärlich ausgestattet. Keine Zierden oder überflüssigen Dinge gab es hier. Eine gläserne Dusche, eine große Badewanne, in der zwei Personen Platz hatten, ein gesonderter Bereich mit einer Toilette und ein Waschbecken, dazu noch ein kleiner Schrank, in dem Handtücher und Duschutensilien lagen. Mehr gab es nicht zu sehen. Zusätzlich gab es noch eine zweite Tür, die nach rechts führte.
Zurück im Gang wandten sie sich dem letzten Raum zu und betraten das Schlafzimmer des Meisters. Dieser Raum war ebenfalls spärlich eingerichtet. Ein großes, einfaches Bett ohne irgendwelchen Schnickschnack, ein Schrank und eine zweite Tür, die ins Badezimmer führte.






