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Beispiel Firmung – Folgerungen
An einigen Punkten freilich wird dieser Übergang bereits deutlich: Zur Firmvorbereitung sollen sich Jugendliche in etlichen Bistümern heute selber anmelden (auch um ihre Taufe, die sie ja meist nicht bewusst miterlebt haben, in eigener Verantwortung zu ratifizieren), aber längst nicht mehr alle folgen der Einladung dazu. Es scheint mir auch ehrlicher, wenn Jugendliche, die mit dem Glauben und dem kirchlichen Leben nicht viel anzufangen wissen, sich nicht pro forma der Firmung unterziehen, auch wenn das Phänomen halb-initiierter Christen (getauft, aber nicht gefirmt) z.B. im Blick auf eine spätere kirchliche Eheschließung neue Fragen und Probleme aufwirft.
Zu konstatieren ist also, dass getaufte Jugendliche bewusst auf Firmvorbereitung und Firmung verzichten; ähnlich könnten sich junge Paare künftig gegen ein Ehekatechumenat und die kirchliche Trauung entscheiden und Eltern könnten sich die Frage stellen, ob sie an einer anspruchsvolleren Vorbereitung auf die Taufe ihrer Kinder teilnehmen wollen oder nicht. Natürlich sind Kinder, die nicht getauft wurden, Jugendliche, die sich nicht firmen lassen, und Paare, die keine kirchliche Eheschließung wünschen, deshalb keine schlechteren Menschen. Sie liegen Gott auch nicht weniger am Herzen als überzeugte Christen, und ihr Leben wird ebenso von Glück und Unglück erfüllt sein wie das aller anderen Menschen. Der Unterschied ist nur, dass sie ihr Leben nicht in den Deutungszusammenhang der christlichen Botschaft stellen und auf deren Sinnpotenzial verzichten. Und ebenso gilt: Wer getauft ist und die Taufe bewusst in sein Leben integriert, erlebt nicht schon deshalb mehr oder weniger Glück oder Unglück als andere, aber er wird anders damit umgehen. Wer gefirmt ist und den Beistand des Heiligen Geistes immer wieder sucht, wird deshalb nicht klüger, erfolgreicher, fröhlicher sein als andere, aber er wird immer wieder neu Maß nehmen an der inspirierenden Botschaft des Evangeliums und teilhaben am inspirierten Gebet und am Gottesdienst der Gemeinde. Paare wiederum, die sich bewusst auf das christliche Fundament ihrer sakramentalen Ehe beziehen, bleiben deshalb auch nicht von Schwierigkeiten und Krisen verschont, aber sie werden versuchen, sie in einem anderen Horizont zu bewerten und zu meistern.
Das setzt aber jeweils voraus, dass getaufte, gefirmte und sakramental verheiratete Christen irgendwann mitbekommen haben, was Taufe, Firmung und das Sakrament der Ehe für ihr gesamtes Leben bedeuten – denn diese Sakramente sind keine Einzelereignisse (auch wenn Taufe und Firmung nur einmal gespendet werden können und eine bestehende Ehe nicht sakramental erneuert werden kann), sondern Zeichen, die über der menschlichen Existenz als ganzer aufgerichtet werden und in ihrer Bedeutung nach und nach erlebt und eingeholt werden müssen. Sie können ihre Wirksamkeit (die Gnade) nur im Prozess entfalten. Es ist darum entscheidend, dass die Beteiligten im Vorfeld klären, ob sie an diesem Prozess tatsächlich teilnehmen und ihn mitgestalten wollen oder nicht – das gilt natürlich auch für die Erstkommunion, die ja den Beginn (und nicht das Ende) eucharistischer Gemeinschaft bezeichnen soll.
Kreative Neujustierung
Von daher scheint es mir – durchaus im Bewusstsein, dass es Gegenargumente gibt, dass Chancen vertan werden können und Unmut erzeugt wird – dennoch langfristig sinnvoller, nicht nur allgemein die Anstrengungen in der Sakramentenpastoral zu verstärken, sondern im Blick auf den Anspruch des Evangeliums die Anforderungen zu formulieren, die in der Vorbereitung auf die Sakramente zum Tragen kommen sollten, und diese Anforderungen auch verbindlich zu machen. Ein solcher Abschied von der „Servicekirche“ kann freilich nicht in einer halsbrecherischen Kehrtwende vollzogen werden. Über die Richtung aber sollte Klarheit erzielt werden, damit in den Bistümern, sozusagen im Wettbewerb, kreative Modelle der Motivklärung und Sakramentenbefähigung entwickelt, miteinander verglichen und nach und nach verbessert werden können.
Doch noch einmal die Rückfrage, die notwendig ist, um Voreiligkeit und Einseitigkeit zu vermeiden: Wendet sich die Kirche bei einem solchen Kurs(wechsel) nicht von weiten Kreisen der Bevölkerung ab, lässt sie sie nicht im Stich, verrät sie damit nicht ihren Auftrag? Das muss nicht so sein. In dem Buch, das Thomas Frings nach seinem Rückzug aus der Arbeit als Pfarrer veröffentlicht hat, finden sich dazu wichtige Impulse: Er kann sich offenere Angebote für Menschen vorstellen, die nicht in die Gemeinden integriert sind und sich auch nicht enger an die Kirche binden wollen.15 Für Eltern etwa, die ihr Kind unter den Schutz Gottes stellen wollen, ohne damit eigene Verpflichtungen im Blick auf eine christliche Erziehung einzugehen, die sie dann doch nicht erfüllen würden, wäre – statt der Taufe – eine Segensfeier angemessen, die auch eher den individuellen Wünschen der Beteiligten angepasst werden könnte. Sie könnte ggf. mit Riten des Katechumenatsbeginns gestaltet werden, als Anfang eines Weges, der fortgesetzt werden kann oder eben nicht (ein berühmtes Beispiel aus der Alten Kirche ist Augustinus, der schon als Kleinkind in den Katechumenat aufgenommen, aber erst mehr als drei Jahrzehnte später getauft wurde). Diese Entscheidung hängt von den Eltern ab – erst wenn die Eltern zum „inneren Kreis“ der Gemeinde gehören und deshalb ihr Kind auch taufen lassen wollen, käme die Taufvorbereitung (für Eltern und Paten) ins Spiel. Taufe bedeutet ja weit mehr als eine Segnung und ist auch mit der „Zuwendung Gottes“ nur unzureichend umschrieben: Sie nimmt den Täufling hinein in Tod und Auferstehung Jesu Christi; anders gesagt: Sie stellt sein Leben unter das Kreuz, das er oder sie in der Nachfolge Christi tragen muss, ohne dabei die Hoffnung aus dem Blick zu verlieren. Ich kann mir vorstellen, dass Eltern, die ihrem Kind ja nur Gutes wünschen, vor dieser Perspektive erst mal zurückschrecken. Von daher wäre das Format einer Segensfeier, die allen offensteht, die diesen Zuspruch Gottes für ihr Kind wünschen, durchaus sinnvoll.16
Ähnliches wäre auch für Paare denkbar, die sich den Segen Gottes für ihre Liebe wünschen, aber eine sakramentale Ehe nicht eingehen können (z.B. aus kirchenrechtlichen Gründen) oder den Ansprüchen, die dabei an sie gestellt werden, nicht nachkommen wollen. Gottes Zuwendung ist tatsächlich nicht auf die aktiven Gemeindemitglieder beschränkt und könnte deshalb in Form einer Segensfeier für Liebende Ausdruck finden. Der Unterschied zu einer sakramentalen Eheschließung müsste dabei bewusst gemacht werden, denn es ist ja nicht ausgeschlossen, sondern erwünscht, dass sich einzelne Paare dann auf den Weg des Ehekatechumenats machen. In der bewussten Nachfolge Christi bedeutet das sakramentale Eheversprechen ja (auch): „Ich nehme dein Kreuz auf mich und mute Dir das meine zu – nicht allein deshalb, weil gute und böse Tage kommen werden, sondern weil jeder Mensch für den andern nicht nur Glück und Erfüllung, sondern auch Last und Enttäuschung sein kann.“ – In einen solchen erweiterten Horizont wären auch (unterschiedlich gestaltete) Feiern der Beerdigung einzuordnen, die an die jeweilige Situation der Betroffenen angepasst sind.
Die angesprochenen nicht-sakramentalen Feierformen wären der Realität der Fernstehenden angemessener und würden zugleich die Sakramente selbst vor einer Herabstufung in die „Belanglosigkeit“17 schützen. Dieser „Schutz“ der Sakramente kann sich im Übrigen auf die Arkan-Disziplin der Alten Kirche berufen, die ihre Mysterien nicht wirklich geheim halten, sondern für ihre tiefe Bedeutung indirekt werben wollte: Es sollte spürbar werden, dass es sich nicht um 0-8-15 Riten handelte, die man mal eben mitnehmen kann.
Solche Überlegungen sind nicht nur bloße Phantasiespiele. Im Osten der BRD ist die Volkskirche nach 12 Jahren Nazidiktatur und 40 Jahren DDR-Regime tatsächlich schon untergegangen, weshalb sich das Problem, die Illusion noch länger aufrechtzuerhalten, nicht mehr stellt. Hier konzipiert seit ca. 20 Jahren der Erfurter Dompfarrer und heutige Weihbischof Reinhard Hauke mit seinem Team innovative Projekte bzw. Ideen wie etwa die „Feier der Lebenswende“ für Jugendliche, die keiner Konfession angehören (also auch nicht gefirmt bzw. konfirmiert werden können), oder eine „Segensfeier zum Valentinstag für alle, die partnerschaftlich unterwegs sind.“18 „Das Ziel dieser Feierformen“, die als „präkatechumenal“ eingestuft sind, besteht nach Hauke „darin, dass sie die Lebensbereiche erschließen, in denen Menschen heute leben, zugleich jedoch bei Kirchenfernen die Hürde der Institution sowie das Gefühl der Bevormundung (!) überwinden wollen (…) Dass dabei auch neue Beziehungen bewusster Entscheidung hin zum Christentum erwachsen können (und auch erwachsen sind), ist möglich und sogar erwünscht, wird aber niemals zur Bedingung gemacht.“19
Wenn solche Initiativen Nachahmung fänden, wäre die Alternative der Überschrift (Abgrenzung oder Anpassung?) tatsächlich falsch gestellt, weil sich beides – auf verschiedenen Ebenen – als notwendig erweist: Eine Anpassung an die radikal veränderte Realität, in der sich die Kirchenzugehörigkeit vieler Christen extrem gelockert hat, weshalb innovative pastoral-liturgische Angebote (v.a. in den Städten) sinnvoll werden; aber andererseits auch die Abgrenzung auf dem zentralen Feld der Sakramentenpastoral, damit Taufe, Firmung, Eucharistie und sakramentale Eheschließung wieder den Stellenwert erhalten, der ihnen von ihrer Bedeutung her zukommt. Das Thema „Anpassung und/oder Abgrenzung?“ ist nicht neu, es war schon in den Gemeinden der ersten Jahrhunderte virulent. Die Geschichte des frühen Christentums ermutigt jedenfalls dazu, das Weltverhältnis der Kirche(n) auch heute wieder kreativ zu justieren.
1 F. Dünzl, Fremd in dieser Welt? Das frühe Christentum zwischen Weltdistanz und Weltverantwortung. Freiburg i.Br. u.a. 2015.
2 Ebd., 506.
3 Vgl. D. Emeis, Zwischen Ausverkauf und Rigorismus. Zur Krise der Sakramentenpastoral. Freiburg i.Br. u.a. 41993; ebd., 120, Anm. 3 verweist Emeis auf frühere Beiträge zu diesem Thema.
4 Vgl. etwa B. Leven, Relevanz und Identität, in: HerKorr 70/4 (2016), 4 f.; neuerdings wieder J. Röser, Die Werktagskirche, in: CiG 69/13 (2017), 135 f., hier: 136.
5 Siehe https://www.facebook.com/kreuzkirche.muenster/posts/916981931710887 (Stand: 24.01.2017). Wiederholt und ausführlich erläutert hat Thomas Frings seine Erklärung in dem lesenswerten Buch: Aus, Amen – Ende? So kann ich nicht mehr Pfarrer sein. Freiburg i.Br. u.a. 2017.
6 Vgl. z.B. H. Haslinger, Wider den Rückzug aus der Wirklichkeit, in: HerKorr 70/8 (2016), 48–51.
7 Ebd. 51.
8 Ebd. 50.
9 Das Problem und die kirchlichen Reaktionen darauf beschreibt K. Piepenbrink, Christliche Identität und Assimilation in der Spätantike. Probleme des Christseins in der Reflexion der Zeitgenossen (Studien zur Alten Geschichte 3). Berlin 22009, 125–161.
10 So die Auskunft von U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband (EKK I/1). Zürich u.a. 1985, 188.
11 Das Hirtenwort der deutschen Bischöfe zum Papstschreiben Amoris laetitia findet sich unter http://de.radiovaticana.va/news/2017/02/01/hirtenwort_der_deutschen_bisch%C3%B6fe_-_voller_wort-laut/1289536 (Stand: 01.02.2017).
12 Ebd.
13 Vgl. V. Resing, Tappen im Dunkeln, in: HerKorr 71/3 (2017), 4 f., hier: 5.
14 Siehe http://de.radiovaticana.va/news/2016/06/17/papst_viele_kirchliche_ehen_ung%C3%BCltig/1237927 (Stand: 10.03.2017).
15 Vgl. T. Frings, Aus, Amen – Ende?, 145–170 [s. Anm. 5].
16 Vgl. ebd., 154 [s. Anm. 5].
17 Ebd., 83.
18 Diese und weitere Beispiele sind beschrieben bei R. Hauke, Mitfeiern – miterleben – mitgestalten. Neue Perspektiven und Anregungen für die Seelsorge an Christen und Nichtchristen. Leipzig 2014.
19 Ebd., 19.

Bernd Liebendörfer | Böblingen
geb. 1955, Dr. theol., Dekan der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Böblingen
bernd@liebendoerfer.com
Wer ist Christus für uns heute?
Beispiele einer Theologie der Nachfolge aus der Evangelischen Kirche
Nachfolge ist bis heute ein fesselnder Begriff. Nachfolge Christi leben, das klingt faszinierend und spricht auch heute einfache Gemeindeglieder ebenso an wie theologisch qualifizierte Menschen in Wissenschaft und Kirche. Offen liegt auf der Hand, dass sich Nachfolge heute anders gestalten muss als zur Zeit der Jünger(innen) Jesu. Es geht für uns nicht mehr darum, die Netze am See Genezareth zurückzulassen, Beruf und Familie aufzugeben und mit Jesus durch Galiläa oder Judäa zu ziehen. Allerdings können wir ihn auch auf der Wanderung oder am Ende des Tages nicht mehr befragen, wie es den Jünger(inne)n damals möglich war. Nachfolge heute muss anders aussehen. Unvorstellbar, dass alle Christen zu Wanderprediger(inne)n werden müssen, um Nachfolge zu leben.
Diese Erkenntnis ist zunächst nicht neu. Josef Thorer hat unlängst in dieser Zeitschrift darauf aufmerksam gemacht, dass es bereits für Ignatius von Loyola klar zu erkennen war, „dass es nicht (mehr) möglich ist, Jesus äußerlich vollständig nachzuahmen.“1 Das verschärft die Frage nur, wie denn Nachfolge Christi heute verstanden werden kann oder verstanden werden muss. Die Vorstellungen dazu, was denn Nachfolge sei, gehen in Theologie und Kirche weit auseinander. Das macht eine Beschäftigung mit dem Thema umso dringlicher. Das verdeutlicht schnell eine nähere Betrachtung einzelner Autor(inn)en. Im letzten Jahrhundert hat Dietrich Bonhoeffer mit seinem Buch Nachfolge ein Werk zum Thema vorgelegt, an dem man heute noch nicht vorbeikommt, wenn man über Nachfolge reden will. Bei einer Untersuchung, wie Bonhoeffers Nachfolge in Theologie und Kirche aufgenommen worden ist, fallen zwei prominente Theologen auf, der Professor für Systematik Karl Barth und der Bischof von Berlin-Brandenburg Albrecht Schönherr.2 Das Nachfolge-Verständnis dieser drei herausragenden Persönlichkeiten soll im Folgenden in den Blick genommen werden.
Dietrich Bonhoeffer
Dietrich Bonhoeffer befasste sich mit dem Thema Nachfolge schon 1934 in seiner Londoner Zeit. Von dort kam er ein Jahr später nach Deutschland zurück, um das Predigerseminar der Bekennenden Kirche zu leiten und junge Pfarrer für den Dienst auszubilden. Die Vorlesungen über Nachfolge waren das besondere Charakteristikum seines Predigerseminars in Finkenwalde. 1937 wurde sein Buch Nachfolge veröffentlicht.3
Bonhoeffer schrieb in der Zeit des Dritten Reiches. Das hat seine Gedanken und seine Ausdrucksweise sicherlich radikaler gemacht. In der Zeit, als Adolf Hitler als der „Führer“ den „blinden Gehorsam“ für sich forderte, forderte Bonhoeffer im Gegenzug den „einfältigen Gehorsam“ allein gegenüber Christus. Diese zeitgeschichtliche Prägung von Bonhoeffers Nachfolge darf nicht übersehen werden. Doch ist sein Werk keineswegs nur eine Antwort auf den Nationalsozialismus. Solch eine Vorstellung würde zu kurz greifen.
Zwar lassen sich Bonhoeffers Ausführungen nicht aus dem zeitgeschichtlichen Kontext lösen. Dennoch lässt sich mehr erkennen. Ein wichtiger Beweggrund war für Bonhoeffer seine Sorge um die Kirche und damit meinte er primär die evangelische Kirche. Diese Sorge hat schon früh und vor dem Dritten Reich begonnen. Bonhoeffer sah die Kirche als sehr gefährdet an. Laut Bonhoeffer lag das v.a. daran, dass die Kirche nur die Gnade Gottes verkündete und nicht darauf aufmerksam machte, dass Gott auch Ansprüche an den Menschen habe. Nur Gottes Gnade zu verkünden, war für Bonhoeffer zu billig. Er nannte es deswegen „billige Gnade“. Diese Verkündigung von Gnade allein führe zu einer falschen Beruhigung der Menschen und nicht zu einem christlichen Leben. Bonhoeffer stellt dagegen die „teure Gnade“. Damit meint er den Weg der Nachfolge. In der Nachfolge Christi wird den Menschen einiges abverlangt. Das ist der Preis. Darum ist die Gnade, die auf diesem Wege erlangt wird, teuer. Als Beispiel dienen Bonhoeffer die Jünger Jesu, die einst alles hätten verlassen müssen. Dieser Weg der Nachfolge ist für Bonhoeffer der einzige Weg zum Heil. Für ihn gehören Glaube und ein aktiv gestaltetes Leben im Gehorsam gegenüber Christus so eng zusammen, dass er die berühmte Formulierung prägt: „Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.“4 Entscheidend ist für ihn, dass der Mensch in der Nachfolge immer nur den Blick auf Christus gerichtet hat. Das Wort Christi gilt für Bonhoeffer in diesem Zusammenhang stets als klar und ihm ist im Sinne des „einfältigen Gehorsams“ unbedingt und ohne Zögern oder Rückfragen Folge zu leisten. Wer zögert oder Rückfragen stellt, falle damit schon aus der Nachfolge heraus und vom Weg des Heils ab. Dabei hat bei Bonhoeffer das (Mit-)Tragen des Kreuzes Christi stets einen wichtigen Stellenwert. Der/die Nachfolgende muss sich darauf einstellen, Erfahrungen des Leides auf diesem Wege zu machen, ohne das Kreuz selbst zu suchen. Nochmals sei hervorgehoben, dass Bonhoeffer in diesem Weg der Nachfolge den einzigen Weg zum Heil sieht. Das führt zu zwei Konsequenzen, die nicht unerwähnt bleiben dürfen.
Zum einen bekommt das Tun des Menschen in Bonhoeffers Ausführungen einen solch hohen Stellenwert, dass die Frage der Erlösung und des ewigen Heils nicht mehr allein durch Gottes Gnade beantwortet zu werden scheint. Es entsteht der Eindruck, dass der Mensch eine Mitwirkung habe. Wenn aber die aktive Gestaltung des Lebens der Nachfolgenden zur Voraussetzung für das ewige Heil wird, ist dies ein Gedanke, der besonders in der lutherischen Theologie erhebliche Bedenken hervorruft.
Zum anderen sieht Bonhoeffer bereits selbst, dass diesen Weg der Nachfolge nicht alle werden gehen können. Zweifel daran äußert er bereits in seinem Vorwort, nämlich in der Überlegung, ob ein Arbeiter oder Geschäftsmann, ein Landwirt oder Soldat diesen Weg würde gehen können. Die Nachfolgenden als die wahre Kirche Jesu Christi werden nach seiner Einschätzung immer nur eine kleine Schar bleiben. Das Verhältnis von dieser kleinen Schar zur sichtbaren Kirche wird von Bonhoeffer nicht bis ins Letzte geklärt. Die „Volkskirche“ kritisiert er aber immer wieder scharf. Wer allerdings den Weg der Nachfolge geht, wird diesen Weg als einen Weg der Heiligung erleben, auf dem Christus den Menschen umgestaltet, nach Bonhoeffer bis zur Christusgleichheit sogar schon in diesem Leben. Dieses Resultat erscheint doch sehr erstaunlich, zumal wenn es schon in diesem Leben erreicht werden soll. Üblicherweise wird die Vollendung erst im Jenseits, im Eschaton erwartet.
Bonhoeffers bleibendes Verdienst ist es, auf den engen Zusammenhang zwischen christlichem Glauben und den daraus resultierenden Werken aufmerksam gemacht zu haben. Er skizziert einen herausfordernden Weg des Glaubens. Er hat seiner Kirche an einem ganz entscheidenden Punkt den Spiegel vorgehalten. Sein Seminarist, enger Freund und Biograph Eberhard Bethge hielt fest, dass Bonhoeffer mit seiner Nachfolge das uralte Thema der Heiligung der Kirche zurückgewonnen habe.5 Auf der anderen Seite muss aus heutiger Sicht gesagt werden, dass Bonhoeffers Darlegungen von einer Radikalität geprägt sind, die heute schwer zu teilen ist. Zudem wird das Tragen des Kreuzes bei ihm so stark betont, dass Nachfolge eine dunkle Färbung bekommt. Ob Nachfolge in Bonhoeffers Sinne tatsächlich der einzige Weg zum Heil ist, darf ebenso in Frage gestellt werden, wie das Erreichen der Vollendung schon in diesem Leben. Und ob die Kirche sich angesichts ihres Sendungsauftrages hin zu allen Völkern (Mt 28) damit begnügen darf, nur eine kleine Schar zu bleiben, muss ebenfalls kritisch gesehen werden.
Auch wenn Bedenken deutlich werden und Bonhoeffers Nachfolge-Gedanke heute sicher von vielen so nicht mehr geteilt werden kann, hat er eine Vorlage geliefert, die viel Beachtung fand und bis heute findet. Die Verkaufszahlen seines Buches waren damals sofort hoch und sind es heute noch. Es ist in viele Sprachen übersetzt. Doch spannend ist in der Folge die Frage, wie sehr und wie konkret Bonhoeffers Vorstellung von Nachfolge das Denken anderer geprägt hat.
Karl Barth
Karl Barth gilt vielen als der bedeutendste protestantische Theologe des 20. Jhs. Zwischen ihm und Bonhoeffer lässt sich eine sehr wechselhafte und gerade dadurch interessante Beziehung beobachten. Barth ist 20 Jahre älter als Bonhoeffer. Bonhoeffer setzt sich schon in seiner Habilitationsschrift mit Barths Dialektischer Theologie auseinander. 1931 verbringt er drei Wochen in Bonn, um Barth zu hören. Es kommt 1931/32 zu drei persönlichen Begegnungen. An der Gründung der Bekennenden Kirche sind beide beteiligt, allerdings in unterschiedlicher Weise. Bonhoeffer arbeitet zunächst am Betheler Bekenntnis mit, geht dann aber enttäuscht schon 1933 nach London, während Barth im folgenden Jahr maßgeblich das Barmer Bekenntnis prägt. Bonhoeffer bleibt im lockeren Kontakt mit Barth, der ihm doch innerlich beständig ein wichtiger Gesprächspartner ist. 1936 bittet Bonhoeffer Barth um eine Einschätzung seiner Überlegungen zum Thema Nachfolge, doch Barth reagiert recht reserviert. Bei aller Wertschätzung von Barth kann Bonhoeffer ihm in seinen letzten Jahren auch kritisch einen „Offenbarungspositivismus“ vorwerfen. Barth äußert sich im Gegenzug im Jahr 1952 durchaus sehr differenziert über Bonhoeffer. Selbst dessen Nachfolge steht er nicht unkritisch gegenüber, dennoch kann er ihr hohe Anerkennung zollen und ankündigen, dass er ihr in seiner Kirchlichen Dogmatik „breiten Raum werde geben müssen“.6 Dabei lässt Barth auch erkennen, dass seine Wertschätzung nicht zuletzt daher rührt, dass Bonhoeffer seinen persönlichen Weg der Nachfolge bis zur letzten Konsequenz gegangen ist und dabei sein Leben gelassen hat.
Karl Barth ist wohl in der Tat der Systematiker, der sich nach Bonhoeffer in einer Ausführlichkeit wie kein anderer dem Nachfolge-Gedanken im letzten Jahrhundert gewidmet hat. Zunächst spricht Karl Barth schon 1942 in seiner Kirchlichen Dogmatik (KD II/2) von der Gnade, die der Ethik vorgeordnet ist (598) und von dem konkreten Tun, das sich aus dem Blick auf Christus ergibt (599). Damit fasst er schon Themen an, die zum Nachfolge-Gedanken gehören. Die Gnade ist dabei ein ganz entscheidender Punkt. Sie ist nach Barth dem menschlichen Handeln, der Ethik, vorgeordnet. Diese Vorordnung ist dabei nicht unbedingt zeitlich, aber der Sache nach zu denken. Der Sachordnung nach hat die Gnade und damit die Rechtfertigung die Priorität (KD IV/2, 574). Die Frage der Rechtfertigung ist somit für Barth schon erledigt, bevor das Handeln diskutiert werden muss. Nachfolge kann folglich gar nicht wie bei Bonhoeffer der einzige Weg zum Heil sein, aber sie entspricht ihm. Die Heilszusage ist der Nachfolge vorgeordnet. Des Weiteren kann auch bei Barth der Blick auf Christus, die Orientierung an Christus für die Gestaltung des christlichen Lebens hervorgehoben werden. Wenn Barth bei der Gnade anders denkt als Bonhoeffer, so geht er hier mit ihm konform.
1945 in KD III/1 schildert Barth den Gedanken des Bundes, den Gott mit den Menschen eingehen will. Dieser Gemeinschaftswille Gottes mit dem Menschen ist für Barth grundlegend und schlägt maßgeblich auf seine Vorstellung von Nachfolge durch. In KD III/4 aus dem Jahr 1951 finden sich sodann zwei Skizzen von Nachfolge, die hier aus Platzgründen übergangen werden müssen. Auch in den Folgejahren äußert sich Barth zur Nachfolge. Ausführlich und in großer Breite geschieht das aber erst 1955 (KD IV/2). Anforderungen aus der Nachfolge dürfen laut Barth das „allein aus Gnade“ (sola gratia) bei der Rechtfertigung nicht überschatten (18). Nachfolge ist für Barth die Antwort auf Gottes befreiende Gnade in der Gemeinschaft mit ihm (19). Im Rahmen der Versöhnungslehre macht Barth klar, dass zu dieser Versöhnung nicht nur Gottes Selbsterniedrigung, sondern ebenso des Menschen Erhöhung gehört. Diese vollzieht sich in der Heiligung. Ihr ist der § 66 gewidmet und dort legt Barth ausführlich seinen Nachfolge-Gedanken dar. In diesem Paragraphen findet sich auch Barths Bezug und sein hohes Lob über Bonhoeffers Nachfolge. Er bezeichnet es als „(m)it Abstand das Beste, was dazu geschrieben ist“ (604). Barth sieht, dass dort „die Sache so tief angefaßt und so präzise behandelt ist, daß ich wohl versucht sein könnte, sie hier einfach als großes Zitat einzurücken, weil ich wirklich nicht der Meinung bin, hier etwas Besseres sagen zu können“ (604). Trotz dieser außergewöhnlich hohen Anerkennung geht Barth allerdings gar nicht näher auf Bonhoeffers Nachfolge-Überlegungen ein. Er hat ja zuvor schon für sich abweichende Entscheidungen getroffen.






