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Endlich kamen wir auf eine kleine Wiese und ich setzte mich erschöpft hin. Borek legte sich neben mich und leckte meine blutenden, zerkratzten Beine. Ich wusste noch nicht, wo wir uns befanden, deswegen deutete ich meinem Begleiter unentwegt mit dem Zeigefinger an, er solle still sein. Nach einer Weile gingen wir weiter. Ein paar Meter vor uns tauchten die ersten Dorfhäuser auf, die ich durch das Fernglas beobachtet hatte. Ich ahnte zwar, dass wir uns schon im Westen befanden, aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. In Gedanken bereitete ich eine Frage vor für den Fall, dass uns jemand begegnete. Auf der Straße, fast vor dem ersten Haus, kam uns eine Frau entgegen, der ich meine Frage auf Tschechisch stellte: „Können Sie mir bitte den Weg zu dem Bauernhof sagen?“ Ich zeigte mit dem Finger in Richtung des Hauses meines Onkels. „Ich habe mich bei der Suche nach dem Hund verirrt!“
Die Frau schaute mich an, als hätte sie ein Gespenst getroffen. Sie huschte an mir vorbei und verschwand ohne Antwort in dem Haus. So eine unfreundliche Person, dachte ich für mich und ging mit Borek weiter. Am nächsten Haus stand in großen Buchstaben „ZOLL“. Ich gab mir einen Ruck und klopfte an die Tür.
„Herein!“, donnerte es von innen.
Ich öffnete und trat ein. In einem spärlich eingerichteten Zimmer saß ein Herr in Uniform hinter dem Schreibtisch.
„Guten Tag, können Sie mir bitte sagen, wie ich zum Bauernhof meines Onkels komme? Ich habe mich bei der Suche nach dem Hund verirrt“, trug ich erneut meine vorbereitete Frage in tschechischer Sprache vor.
Der Mann sah mich genauso an wie die Frau vorher auf der Straße. Mit weit aufgerissenen Augen musterte er mich und auch Borek von Kopf bis Fuß.
„Tschechin?!“, fragte er mich, mit dem Finger in Richtung Tschechoslowakei zeigend. „Von dort??“
„Ja“, sagte ich und ging zur Wand, an der ein Waschbecken mit einem Spiegel angebracht war. Ich wollte sehen, warum jeder vor mir so erschrocken war.
Mein Gott!, dachte ich. Ein Gespenst hätte besser ausgesehen als das, was mich vom Spiegel aus anstarrte. Zerzauste Haare mit abgebrochenen Baumzweigen darin, überall blutende Kratzer und auf den Oberarmen hingen Blutegel. Ich ekelte mich vor mir selbst und begann zu schreien. Dann versagten meine Beine. Zitternd vor Angst fiel ich zu Boden. Der Mann telefonierte schnell irgendwohin und kam danach zu mir. Er hob mich hoch, setzte mich auf einen Stuhl und redete leise auf mich ein. Ich verstand zwar fast kein Wort, aber nach dem Klang seiner Stimme wusste ich, dass er mich zu trösten versuchte.
„Es ist ja schon gut. Sie sind in Sicherheit. Sie sind in Westdeutschland.“
Geschafft!, dachte ich und erst dann überfiel mich der Schock der ausgestandenen Angst und ich begann, am ganzen Körper zu zittern.
Zwei Grenzbeamte kamen nach einer Weile in das Zimmer. Einer von ihnen sprach einwandfreies Tschechisch, er tröstete mich und entfernte die Blutegel. Ich konnte nicht aufhören zu weinen – das aber war schon vor Freude. Der Mann fragte mich, wie um Gottes willen ich über die Grenze gekommen sei. „Der Hund“, sagte er, „ist uns bekannt. Man sieht ihn öfters hier streunen.“
Ich erzählte ganz genau Boreks und meine Geschichte, dabei lachte und weinte ich abwechselnd. Am Ende gingen wir alle zu dem Platz, an dem ich aus dem Wald herausgekommen war. Die Beamten machten sich kurze Notizen und dann kam der Abschied von Borek. Ich küsste und umarmte ihn und bedankte mich bestimmt hundertmal für seine Hilfe, dabei kullerten mir die Tränen über das Gesicht.
Borek wusste nicht, was los war; er winselte, leckte mir die Tränen aus dem Gesicht und wedelte mit dem Schwanz. Es war ein rührender Abschied. Dann schickte ich ihn zurück mit den Worten: „Lauf, Borek! Geh nach Haus!“ Nach mehrmaligem Umdrehen verschwand er im Wald. Ich erfuhr später, dass er heil nach Hause gekommen war und immer wieder ausgerissen ist.
Am selben Nachmittag fuhr ich mit den Beamten in die nächste Kreisstadt. Nach meiner Übergabe an die Kollegen, bei denen ich schon telefonisch angekündigt worden war, sagte einer meiner Begleiter: „Die ist wie aus dem Himmel gefallen!“
So war die Geschichte meiner Flucht aus der Tschechoslowakei damals. Und die größte Rolle in meinem Leben spielte das Tier. Ich danke dir, Borek!
Der Geburtstagsteddy
Heinz Penndorf
Vater kommt ziemlich aufgedreht nach Hause. „Stell dir vor, was ich heute gesehen habe! So etwas Goldiges gibt es nicht noch einmal.“ Durch geduldiges Nachfragen erfährt die Mutter, dass ihr Ehemann im Wartezimmer beim Arzt eine Hundezeitschrift durchgeblättert und darin ein großformatiges Foto von einem rot-weißen Welpen gesehen hat, der aussah wie ein lebendiger Teddybär.
Vater hat schon beschlossen, solch einen süßen Welpen dem kleinen Sohn zum Geburtstag zu kaufen. Der wünschte sich zwar einen Gameboy, aber wenn Vater einen Hund schenken will … Mutter setzt sich an den Computer und findet auch prompt einen Züchter, gar nicht weit, der Welpen anbietet, darunter einen roten Rüden. Am nächsten Samstag fährt die ganze Familie – Vater, Mutter, Söhnchen und das Baby – zum Züchter.
Die Elterntiere sind weggesperrt, sie sollen ja beim ersten Kontakt nicht stören. Die Welpen spielen im Gras. Die Familie ist hingerissen, besonders von dem roten Hundebub, der die Balgereien am meisten genießt. Vater nimmt den Kleinen und legt ihn zum Knuddeln auf den Rücken. Der Welpe wehrt sich lebhaft, strampelt und versucht zu schnappen. „Solch ein Temperament, der ist süß, den nehmen wir gleich mit“, beschließt Papa.
Der Züchter versucht, der Familie etwas über die Eigenarten der Rasse zu erzählen. Dass sie zwar bildschöne und wunderbare Hunde seien, aber manchmal etwas eigenwillig oder problematisch, und dass es also besser sei, Anfänger würden eine ruhige Hündin kaufen. Niemand hört ihm zu. Der kleine Teddy, der noch immer strampelt und sich mit aller Macht wehrt, ist viel interessanter. Dem Züchter ist nicht wohl beim Verkauf, aber er betreibt die Zucht auch als Broterwerb. Er gibt den Leuten noch etwas Futter für den Kleinen mit und dazu dessen Papiere. Seinen Rat wollen sie nicht.
Auf der Heimfahrt sitzt das Hündchen auf Frauchens Schoß. Nach einer guten Stunde Fahrt schreit die Mutter entsetzt auf, denn so lange hält es Teddy noch nicht aus. Für den Rest der Reise darf ihn der Junge nehmen. Zu Hause angekommen, ist der Welpe müde. Die gesamte Fahrt über wurde er gestreichelt. Das war ja schön, aber jetzt ist er fix und fertig und will schlafen. Obwohl man ihn immer wieder in seinen Korb zurücklegt: Er will nicht hinein und sucht sich seinen Schlafplatz selber, gleich an der Eingangstür.
Nach kurzer Zeit ist er wieder wach und hungrig. Er stürzt sich auf seine Kroketten und trinkt die bereitgestellte Schale Milch dazu. Am nächsten Morgen ist Frauchen entsetzt, als sie die Bescherung sieht und riecht. „Du wolltest den Hund, jetzt putz auch!“ Herrchen steht grummelnd auf. Nicht einmal am Sonntag darf man ausschlafen. Frauchen geht inzwischen Gassi mit dem Kleinen. Am Nachmittag kommen die neugierigen Nachbarn. Sie wollen Teddy begrüßen. Nachbars Kinder sind begeistert und tatschen ihm tollpatschig auf den Kopf. Der kleine Rüde lässt es über sich ergehen, mit sichtbarem Unbehagen.
Teddy bleibt aber nicht klein; er wächst zu einem stattlichen Hund heran. Die Begeisterung für ihn lässt allmählich nach. Soll man etwa schon wieder aufs Skifahren verzichten, nur wegen des Hundes? Freunde bieten sich als Hundesitter an, der Skiurlaub ist gerettet – nicht ganz, denn nach drei Tagen kommt ein Anruf. Der Hund sei total bösartig und zerstörungswütig, die arme Katze säße nur noch miauend auf dem Schrank. Und wie viele Vasen schon bei der Jagd zerbrochen seien!
Frau stellt kühl fest, dass Mann den Hund wollte, nicht Frau. Nach einigen Diskussionen fährt Vater wütend zurück. Der Junge heult, die Ehefrau sitzt neben ihrem Mann und macht ihm Vorhaltungen. Vater bringt die Seinen nach Hause und holt Teddy bei den Freunden ab. Eigentlich wollte er den Hund scharf zurechtweisen, aber was macht denn der? Seine Freude bei der Begrüßung ist so überschwänglich, so stürmisch, dass Vater seinen Groll fast vergisst, sich bei seinen genervten Freunden entschuldigt – natürlich käme er für den Schaden auf – und nach Hause fährt. Dort werden die beiden frostig begrüßt, nur Teddy freut sich über das Wiedersehen. Den Ärger wegen der entgangenen Winterfreuden muss er trotzdem ausbaden.
Mutter ist beschäftigt, Teddy muss Babysitten. Er kaut an seinem Knochen, das Baby krabbelt auf ihn zu. Der Hund knurrt leise, das Kleine krabbelt weiter. Das Knurren wird lauter und drohender, das Baby grapscht nach dem Knochen. Teddy grollt und schnappt. Er berührt das Kind dabei nicht, aber die Mutter hört das Knurren, kommt ins Zimmer und sieht nur noch die Drohgebärden. Sie kreischt auf, reißt ihr Baby hoch und schreit Teddy an. Der zieht sich in seinen Korb neben der Eingangstür zurück, gähnt herzhaft und dreht den Kopf zur Seite. Am Abend beschließt die Familie, den „gefährlichen“ Hund nicht mehr in der Wohnung zu lassen. Er bekommt eine Hundehütte und eine Kette.
Das Gassigehen ist inzwischen eine lästige Pflicht geworden, so schickt man den Sechsjährigen schon einmal alleine mit Teddy um den Block. Unterwegs begegnen sie dessen Lieblingsfeind; natürlich bellt der sofort los. Teddy lässt sich nicht gerne anmachen und zieht an der Leine. Der Junge fällt hin, schlägt sich die Knie auf und rennt heulend heim. Mutter verbindet den Jungen, Vater sucht den Hund. Er findet ihn auf der Straße, inzwischen ist Teddy wieder friedlich. Ein Mann hält ihn an der Leine und wirft dem Vater vor, dass man doch einen großen Hund nicht mit einem kleinen Jungen losschicken dürfe. Vater weiß, dass der Mann recht hat. Das macht ihn noch wütender und er reißt den Hund grob mit. Der muss nun wieder an die Kette.
Am Wochenende kommt Besuch. Die Männer grillen und trinken Bier, die Frauen plaudern angeregt, die Kinder spielen, Teddy döst. Die Kleinen finden ihn süß, gehen auf ihn zu und sehen in seine schönen Augen. Sie tatschen ihm auf den Kopf, immer wieder – das leise Knurren des Hundes wird ignoriert – und so lange, bis ein lautes Gebrüll ertönt. Der Junge ist nicht verletzt, er hat nur einen Kratzer, aber für alle steht nun endgültig fest:
Der Hund ist gemeingefährlich, er muss zum Tierarzt. Der Sohn heult laut los und stimmt den Vater endlich um.
Teddy wird nicht eingeschläfert, er kommt ins Tierheim. Dort gilt er als nicht vermittelbar, obwohl er solch ein schöner Hund ist. Er vertrage sich nicht mit anderen Hunden, heißt es, und überhaupt … bei der Vorgeschichte!
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