Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris

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Ob er nun direkt auf bestimmte, eventuell auch selbst verfasste, didaktische Werke, oder nur allgemein auf typische Lehrgedichtsthemen anspielt: Sicherlich reduziert Ovid ihre Bedeutung darauf, dass sie nur noch als einzelne Vorschriften für sein übergeordnetes Programm der Liebestherapie aufgeführt9 und somit im Rahmen seiner eigenen Didaxe funktionalisiert werden.10 Die „anamorphotische“11 Tendenz Ovids wird also auch hier spürbar: Während er beispielsweise aus Lukrez’ „miniature remedia amoris“12 ein Opus im Umfang von 814 Versen kreiert, komprimiert er ganze Lehrgedichte und verwandelt sie in praecepta sanitatis, die letztlich Mittel zum Zweck, sich von der Liebe zu lösen, werden. Möglicherweise lässt sich diese Deutung noch weiterführen, wenn man den Umfang der genannten ‚Lehrgedichts-praecepta‘ betrachtet. Auf die Vorschrift, dass man sich landwirtschaftlich betätigen solle, entfallen 30 Verse, auf die Großtierjagd acht und auf Fisch- und Vogelfang nur vier Verse. Herkömmliche didaktische Themen werden also nicht nur Teil von Ovids Werk, vielmehr verringert sich ihre Präsenz, wofür die geringer werdende Verszahl Indiz ist, bis sie letztlich aus dem Text verschwinden.13 Daran zeigt sich, dass Ovid die Innovationslust des Genres auf die Spitze treibt, indem er in Abgrenzung zur eigenen Gattungstradition ein neues Themenfeld erobert.14
Dass all dies jedoch keine ernst gemeinte ‚Revolutionierung‘ didaktischer Standards und nur eine weitere Potenzierung des literarischen Spiels (hier scheint mir dieser Begriff passend) Ovids darstellt, wird vor allem dann klar, wenn man danach fragt, ob die Remedia amoris auch wirklich ‚funktionieren‘ und ihr didaktisches Versprechen einlösen können. Dazu müssen die Spannungen, die aus der Verbindung elegischer und didaktischer Gattungselemente entstehen und die von der Forschung mittlerweile in weiten Teilen aufgearbeitet wurden, berücksichtigt werden. Denn hierdurch zeigt sich die parodistische Multivalenz des Lehrgedichtaspekts erst in ihrem vollen Umfang.
4.2.3 Die Demontage der Elegie im Medium des Lehrgedichts
Diese Kombination gattungskonstitutiver Eigenschaften findet sowohl in der Ars als auch in den Remedia ihren Ausdruck prominent darin, dass, wie bereits erwähnt, der didaktische Lehrinhalt metrisch in Form des elegischen Distichons realisiert ist. In dieser Verschmelzung von Grundcharakteristika zweier literarischer Genres kommt es auch zum Aufeinanderprallen verschiedener ‚Modi der Welterfahrung‘1. Wie Conte treffend beschreibt, treten didaktische Objektivität und elegische Subjektivität,2 die von einer ‚radikalen‘ „Transkodifikation“3 herkömmlicher Werte und Zeichen bestimmt ist,4 in Verbindung miteinander. Wenn nun in den Remedia amoris die Befreiung von unglücklicher, also typisch elegischer, Liebe zum Programm wird, entspricht das, um z. B. Conte und Holzberg zu referieren, letztlich der systematischen Demontage5 dieser Gattung (was Ovid in seiner literarischen Evolution von den Amores bis zu den Remedia konsequent weiterentwickelt hat).6 Ovid führt Konzepte des elegischen monde à l’envers konsequent ad absurdum, indem er ihn „auf komische Art ins Konträre verkehrt“7, was sich exemplarisch an der Rolle des otium zeigen lässt:8 Bekennt sich die ovidische Persona in den Amores noch zu dieser Protest- bzw. Alternativlebensform, soll der Schüler der Remedia Muße meiden (vgl. rem. 135–144). Ja er soll sich durchaus als „‘echter’ miles“ betätigen und zur Ablenkung z. B. in den Krieg ziehen (vgl. V. 151–168)9 – die elegische Metapher des Kriegsdienstes in Sachen Liebe, militat omnis amans (am. 1, 9, 1f.), wird also auf ihre ursprüngliche und damit anti-elegische Bedeutung des realen Kriegsdienstes zurückgeführt.10 Auch sind die auf die Lehrgedicht-Tätigkeiten der Verse 169–212 folgenden praecepta als anti-elegisch zu charakterisieren: So soll der Liebeskranke aus Rom bzw. der Heimat weggehen, um so räumliche und zeitliche Distanz zur Geliebten zu schaffen (vgl. V. 213–248) und zu verhindern, dass er ohne mens firmata (vgl. V. 245) wieder in die Liebesfänge verstrickt wird. Um die Lehrgedicht-Tätigkeiten schließt sich so eine ‚anti-elegische‘ Klammer, was die didaktische Intention einer Heilung von elegischer Liebe somit inhaltlich und strukturell unterstützt (siehe die tabellarische Übersicht in Abbildung 5). Zudem soll sich der Liebhaber von der typisch elegischen ‚Liebeschoreographie‘, dem Vor-der-Tür-Liegen, bei dem das Paraklausithyron gesungen wird, verabschieden, wenn er erfolgreich einem Rückfall in den Zustand der Verliebtheit entgehen möchte. Dies beschreibt Ovid gegen Ende seiner Ausführungen: di faciant, possis dominae transire relictae / limina, proposito sufficiantque pedes (rem. 785f.).11
Witzigerweise entspricht diese Absage 30 Verse vor dem Werkende m. E. strukturell fast exakt der Stellung, welche die kleine ‚Grammatik der Elegie‘12 mit ihrer Paraklausithyron-Andeutung im Dialogproöm mit Amor ab V. 31 (!) einnimmt. Das Paraklausithyron-Motiv umrahmt dabei die heimliche Verständigung der Liebenden:
effice nocturna frangatur ianua rixa et tegat ornatas multa corona fores. fac coeant furtim iuuenes timidaeque puellae uerbaque dent cauto qualibet arte uiro, et modo blanditias rigido, modo iurgia, posti dicat et exclusus flebile cantet amans. (rem. 31–36)Inhaltlich steht sie ihr aber diametral entgegen, weist doch die ovidische Persona am Anfang den Gott an, bei diesen seinen ‚Leisten‘ zu bleiben, die darin bestehen, dass Verliebte ohne Tränen und Tod und nach elegischem Muster miteinander kommunizieren sollen. Am Ende des Lehrgangs hingegen steht die Aufforderung an den Schüler, den Regeln dieser Gattung den Rücken zu kehren. Die ringkompositorische Rahmung zeigt nun paradigmatisch, wie Ovid seinen Ausgangspunkt bei der elegischen Gattung nimmt, um sie am Schluss der Remedia an ihr Ende geführt zu haben – und wie er das Verbot der Paraklausithyron-Szenerie auch explizit an den Schüler richtet.13 Ovid hat also dieses Motiv,14 das sich auch in seinen anderen Werken findet, in seinen Lehrgang aufgenommen und funktional für sein literarisches Programm eingesetzt.15
Letztendlich kann es für einen amator aber keine Heilung von seiner Liebesleidenschaft geben, da er sonst zugleich seine Existenz als poeta (= amator) der Elegien aufgeben müsste; sein Leiden ist schließlich das Movens seiner Klage.16 So schreibt schon Properz: omnis humanos sanat medicina dolores: / solus amor morbi non amat artificem (Prop. 2, 1, 57f.).17 Dabei erscheint es mir wichtig, hervorzuheben, wie lustig es ist, dass sich Ovid ausgerechnet des Lehrgedichts als Medium bedient, um die Elegie zu ihrem Ende zu führen. Denn schon bei Properz und Tibull eignet der Liebeselegie ein didaktisches Moment, das jedoch ein nur kleiner Teil des elegischen Konzeptes bleibt.18 Ovid nun kehrt die Prioritäten um. Auch wenn er im Literaturexkurs (vgl. rem. 361–396) die Remedia der elegischen Poesie zuordnet19 und sich zum Vollender dieser Gattung stilisiert (und das auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn nach den Heilmitteln kann es keine Liebeselegie mehr geben, womit Ovid auch seine eigenen Liebesdichtungen beendet!)20: So ist es doch der didaktische Rahmen, der sein literarisches Unterfangen in seiner erotodidaktischen Tetralogie bestimmt. Der Gipfel des lusus mit bzw. der Referentialität auf etablierte(n) literarische(n) Konventionen und Gattungen besteht nun darin, dass nicht nur die Elegie durch das Lehrhafte demontiert wird, sondern das Lehrhafte selbst nur scheinbar ‚obsiegt‘ und dass vielmehr die nie ganz ‚tilgbaren‘ Elemente der Liebeselegie und des amor immer wieder durchbrechen. Ovid führt also beide Gattungen an ihre Grenzen, wobei dennoch der interpretatorische Akzent darauf zu setzen ist, dass seine Haltung der ernsthaften Liebeselegie gegenüber subversiv-gefährlich21 ist, während er die Regeln des Lehrgedichts eher witzig noch weiter ausdehnt.22 „The remedia amoris not only brings to an end Ovid’s experiment in love elegy but also explores the logical limits of didactic poetry“23 – und demonstriert so in humorvoller Art und Weise den selbstbewussten Umgang mit existierenden Gattungssystemen.24
4.2.4 Amor schleicht sich ein: Die unmöglichen Remedia amoris
Erneut ist unter Bezug auf Brunelles Forschungsergebnisse das Form-Argument heranzuziehen. Da die Remedia in elegischen Distichen verfasst sind und Ovid im Literaturexkurs selbst betont, dass der Rhythmus eines Werkes und dessen Inhalt einander gegenseitig bedingen – blanda pharetratos Elegia cantet Amores / et leuis arbitrio ludat amica suo (rem. 379f.) –, stehen Form und Funktion (also die Heilung von unglücklicher Liebe) einander kontrastiv gegenüber. Zudem warnt der ovidische praeceptor im ars vitandi-Teil den Schüler davor, elegische, und somit auch seine eigene, Dichtung zu lesen,1 da dies einen Rückfall bewirken könne: eloquar inuitus: teneros ne tange poetas; / summoueo dotes impius ipse meas (rem. 757f.).2 Das heißt, eigentlich kann man sich durch die Lektüre einer wie auch immer gearteten Dichtung im elegischen Versmaß von keiner Form der Liebe lösen, und man kann nicht Leser und Schüler von Ovids Werk zugleich sein. Und auch Ovid müsste sich, wenn er seinen Ausführungen folgt, eigentlich vom Distichon fernhalten.
Diese prinzipielle Unvereinbarkeit von Lehrinhalt und -form3 macht nun einen Teil der Widersprüchlichkeit aus, die sich bei einer genauen Lektüre der Remedia auch anhand anderer Beispiele aufzeigen lässt. Ein großer Teil des Lesevergnügens der Remedia besteht schließlich darin, Ovids intra- und intertextuelles Referentialitätssystem zu entdecken, sich also früher verfasste Verse in Erinnerung zu rufen. Nun bestehen aber viele Vorschriften genau darin, bereits erfahrene Liebe zu vergessen und zu verlernen (vgl. die dreimalige Verwendung des Verbs dediscere in V. 211, 297, 503) – denn Erinnerung, admonitus, führt letztlich zurück zur Liebe (vgl. V. 629, 661f., 729).4 Ebenso sind auch die Aktivitäten und Plätze, die für eine Heilung von Liebe vorgeschlagen werden, bereits mit, intratextuell abrufbaren, Erinnerungen an Liebe getränkt.5 Das Forum und die Anwaltspraxis preist Ovids zwar als remedia (vgl. rem. 151), doch konnte der liebeshungrige Schüler in der Ars amatoria bereits lesen: et fora conueniunt (quis credere possit?) amori, / flammaque in arguto saepe reperta foro (ars 1, 79f.). Und auch die Weisungen, die fordern, dass man sich der Landwirtschaft, dem Fischen und dem Vogelfang widmen solle, werden dadurch konterkariert, dass diese Tätigkeiten in der Ars6 und auch bei Tibull Metaphern für die Liebe darstellen und sogar als Tätigkeiten imaginiert werden, die Liebende gemeinsam durchführen können, wie z. B. in Tibulls Phantasie in seiner zweiten Elegie.7 Darüber hinaus eignet den „Little Georgics“ in den Remedia (vgl. V. 171–186), wie Boyd ausführt, ein intertextuelles Moment, das die Liebesheilung unterminiert: In den Weisungen zur landwirtschaftlichen Betätigung werde in Form einer kleinen, metapoetisch wirkenden Ekphrasis ein bukolisches ‚Setting‘ gezeichnet und als „Little Eclogues“ in diese praecepta integriert (vgl. V. 179–182).8 Wenn der praeceptor dem Schüler einen Hirten, der auf seiner Flöte ein Lied spielt, vor Augen führt, rufe dies Liebeslieder der Eklogen und Figuren wie Korydon aus Ekloge 2 und Gallus aus Ekloge 10 hervor.9 Dies evoziere beim Leser aber, da diese Lieder v. a. „unhappy love“10 thematisieren, einen Liebhaber, dessen Versuche, sich von der Liebe zu befreien, zum Scheitern verurteilt seien11 – wodurch Ovid wiederum sein Projekt unterminiere.12
Man sieht aufgrund von Boyds Beobachtung also: Zusätzlich zur oben erläuterten didaktischen Verweisungsdimension dieser praecepta sind als Resultat der Gattungsmischung die elegischen und auch Liebesleiden widerspiegelnden Färbungen wahrnehmbar, die sich so dem Ziel der Liebestherapie entgegensetzen. Wenn nun der unglücklich Verliebte auch noch die Einsamkeit meiden soll – quisquis amas, loca sola nocent: loca sola13 caueto (rem. 579) – scheint es unmöglich zu werden, den alter orbis, den der Schüler bewohnen soll (vgl. rem. 630), auf dieser Welt überhaupt zu lokalisieren;14 es sei denn, man würde versuchen, die inter- und intratextuellen Konnotationen auszublenden, was wiederum dazu führen würde, einen zentralen Gestaltungsaspekt von Ovids Werk zu vernachlässigen.
Zudem zeigen Sprachspiele Ovids, wie sich amor, den der Liebeskranke ja loswerden möchte, in die Weisungen hineinschleicht. Man betrachte nur, wie Luke Houghton (2013) beobachtet, folgende Hinweise: opprime, dum noua sunt, subiti mala seminA MORbi (rem. 81) und uerba dat omnis amor reperitque alimentA MORando (rem. 95) – wenn der Schüler nicht schnell genug handle, werde ihn die Liebe fesseln und die Heilung werde erschwert.15 Und Mary Davisson (1996) zeigt, wie auch der Verweis auf konkrete mythologische Einzelfälle mehr entmutigt, als dass er die Argumentation unterstützt: 23 Negativbeispiele, wie die eingangs beschriebenen Heroinen Phyllis (vgl. V. 55f.), Dido (vgl. V. 57f.), Medea (vgl. V. 59f. und 261f.) und auch Circe (vgl. V. 263–288) stehen 14 positiven, und dabei kaum weiblichen, exempla entgegen,16 wobei manche dieser Beispielreihen wiederum auf Folgen verweisen, die noch desaströser sind als das ursprüngliche Liebesunglück: Man denke an den Katalog in V. 453–460, der u. a. Phineus, Alcmaeon, Paris und Tereus nennt, und das Atriden-Beispiel in V. 467–486. Die Liebe dieser Männer zu je einer zweiten Frau hatte schließlich fatale Auswirkungen auf ihr Leben, womit auch sie eigentlich keine unbedingt nachahmenswerten Vorbilder darstellen.17 Davisson folgert zu Ovids Opus: „[I]t raises doubts about the possibility of finding exempla to prove seriously the praecepta of the Remedia.“18
Und ein weiterer Aspekt, den Alison Sharrock (2002) ausführt, ist an dieser Stelle wichtig: Die Remedia hätten als scheinbar „ultimate retraction and denial of the world of erotic elegy“ Anteil an einer „rhetoric of renunciation“, die aber grundlegend mit dem „erotic discourse“ verbunden sei.19 Das führe eben auch dazu, dass man durch die Remedia als „seductive song which will draw us further into the world of Ovidian erotics“ keinen wirklichen Weg aus der Situation unglücklicher Liebe habe20 – was aber wiederum eine Zukunft für (erotische) Literatur garantiert.21 Der Leser bleibt also durch die verführerische Macht des carmen im Bann Ovids.22
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