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Sie brauchen die einzelnen Kapitel nicht in chronologischer Reihenfolge durchzuarbeiten, Sie können sie in beliebiger Abfolge nutzen und zwischen ihnen hin und her springen. Manchen Übungen werden Sie mehrmals begegnen, da eine Asana je nach Fokus verschiedentlich zum Einsatz kommen kann. Bevor Sie aber mit dem Üben loslegen, empfehle ich Ihnen den Abschnitt „Grundwissen Yoga“ aus diesem Kapitel zu lesen, damit Sie ein paar generelle Basics kennenlernen, die für Ihre Yogapraxis sehr hilfreich sind. Wer Lust hat, noch mehr zu erfahren, kann auch gleich mit dem „Grundwissen über Ihren Körper“ fortfahren.
Für Orthopädisches Yoga ist keine große Ausrüstung notwendig. Eine Matte und eine Decke reichen vollkommen aus. Als gute Ergänzung und zur Steigerung der Effektivität des Yoga empfehle ich eine sogenannte Faszienrolle: Das ist eine größere Hartschaumrolle, die man nutzt, um mit dem Körper darüber zu rollen – für zwischendurch das perfekte Mittel der Wahl. Mittlerweile gibt es sie fast überall zu erwerben: Discounter, Internet, Sportgeschäfte und Sanitätshäuser bieten eine große Auswahl unterschiedlicher Modelle an. Meist liegt dem Sportartikel eine kleine Anleitung bei, wie man am besten darauf rollt. Probieren Sie verschiedene Modelle aus!
Grundwissen Yoga
Schmerzaspekte – Was bedeuten sie?
Wenn wir anfangen, Yoga zu praktizieren, sind wir oft überrascht, dass unbekannte Schmerzen, häufig an Körperstellen, die sich vorher noch nie bemerkbar gemacht haben, auftreten. Was ist da los?
Ich bin der Ansicht, dass Schmerz nicht gleich Schmerz ist und nicht jeder Schmerz gleich gefährlich sein muss. Ein indischer Yogalehrer sagte einmal in einer Yogaklasse: „Dort, wo der Schmerz ist, da geht es lang.“ Ich interpretierte diesen Satz so, dass wir lernen sollen, unseren Körper und das Körpergefühl zu verstehen, damit wir unsere Körperintelligenz (auf die zu achten wir oft verlernt haben) aktivieren und den ungefährlichen Schmerz (etwa beim gesunden Dehnen) von anderen Schmerzen (wie beispielsweise bei Verspannungen) unterscheiden. Manch chronischer Dauerschmerz lässt sich mit dem Yoga-Übungsschmerz lösen! Ich nenne das – mit einem Augenzwinkern – gerne das „Wohlweh“. Es ist ein gutes Zeichen, wenn es auftritt!
Die meisten Yogaübenden sind jedoch anfangs verunsichert und fragen sich, ob eine jeweilige Position denn überhaupt gut und geeignet ist, ob sie ihnen nicht schaden könnte oder sie gar verletzt? Und selbst nach einer Yogastunde können manchmal Schmerzen auftreten. Das ist in der Tat verwirrend, aber völlig normal: Schmerz gehört, wie wir gerade gesehen haben, oft auch einfach dazu.
Haben wir akzeptiert, dass Schmerz nicht immer schlimm sein muss, bleibt dennoch die Frage: Wie viel Schmerz darf denn sein? Hier finden Sie vorab einige Orientierungspunkte:
• Nach der Yogastunde dürfen Schmerzen maximal drei Tage anhalten, danach müssen sie nachlassen. Sind Sie unsicher, ob es sich um einen Muskelkater (ich nenne ihn lieber Faszienkater) handelt, kann ich Ihnen versichern, dass dieser seinen Höhepunkt meist am zweiten Tag nach dem Üben überschritten hat und danach besser wird. Das Ausklingen eines Muskelkaters kann manchmal bis zu einer Woche dauern.
• Sollten Schmerzen länger als drei Tage anhalten oder sogar noch zunehmen, informieren Sie vor (!) der nächsten Yogastunde Ihre Yogalehrer.
• Mit den Yogaübungen werden sehr häufig Schwachstellen des Körpers aufgedeckt: In der Regel führt der Weg, den der indische Yogalehrer erwähnt hat, genau „da lang“. Für diese Schwachstellen gelten zukünftig besondere Aufmerksamkeit und Beobachtung. Fühlen Sie sich bezüglich der Schmerzen unsicher, fragen und informieren Sie Ihre Yogalehrer. Sie können Ihnen mit ihrer Erfahrung die richtigen Tipps und Hilfestellungen geben oder Übungsalternativen zeigen.
DAS RICHTIGE SCHMERZ-MANAGEMENT BEIM YOGA
Wenn wir eine Schmerzskala in die Bereiche 0 bis 10 unterteilen, bedeutet 0 keinen Schmerz und 10 untragbare Schmerzen – die Ohnmacht naht. Die Zwischenbereiche sind, Sie ahnen es, individuell unterschiedlich. Für ein effektives Yoga rate ich Ihnen, sich in Ihrem persönlich empfundenen Schmerzbereich von 5 bis maximal 6 zu bewegen. In diesem Bereich spüren Sie bestimmte Körperstellen meist schon deutlich unangenehm, aber Sie können, während Sie die Yogaposition einnehmen und darin verweilen, noch bewusst Ihre Atmung lenken und kontrollieren. Das ist wichtig! Eine komplette Ausatmung sollte jederzeit möglich sein, ein Luftanhalten sollte immer vermieden werden. Die Atemluft anzuhalten verstärkt die Schmerzen und lässt den Körper starr werden. Unterschreiten Sie die Schmerzgrenze von 5, dann üben Sie unterschwellig und erreichen kaum Trainingseffekt.
Manchmal gibt es Tage und Wochen, in denen wir uns während des Yogaübens so steif und unbeweglich fühlen, als hätten wir noch nie eine Yogaklasse besucht. Gerade am Anfang macht der Körper schnelle Fortschritte, dann kommt irgendwann der Moment, in dem man das Gefühl hat, nichts geht mehr, alles tut weh, nichts verbessert sich und man macht Rückschritte. Verzweifeln Sie nicht! Das ist nichts Ungewöhnliches und passiert jedem Yogi. Die Tagesform spielt eine wichtige Rolle und hat große Auswirkungen auf den Körper. Stress, zu wenig Schlaf und chemische Stoffe (etwa Nikotin, Alkohol, Medikamente) lassen den Körper steif erscheinen und ihn uns schmerzhafter empfinden. Akzeptieren Sie diesen Ausnahmenzustand Ihres Körpers. Bringen Sie sich an solchen Tagen in den Yogapositionen ruhig zu Leistungen, die Sie sich erst gar nicht zutrauten. Üben Sie einfach weiter, um das bessere Wohlgefühl wieder zurückzuerlangen. Lernen Sie das Zusammenspiel des Körpers mit der Psyche zu verstehen und den Einfluss von äußeren Stoffen besser zu erkennen.
STRESS
Wir wissen es inzwischen alle: Stress hat eine Vielzahl schädlicher Auswirkungen auf unseren Körper. Wissenschaftlich lässt sich das auch gut begründen: Stress bewirkt eine andauernde Ausschüttung von Kortison (das ist ein körpereigenes Hormon und wird von der Nebenniere produziert), was eine nachteilige Wirkung auf Muskulatur, Faszien und die inneren Organe hat. So entstehen die sogenannten Zivilisationskrankheiten wie Spannungskopfschmerzen, Migräne, Rückenschmerzen, Verdauungsstörungen, Herzprobleme, Bluthochdruck – um nur die üblichsten zu nennen. In den Kapiteln Faszien und Organe können Sie Genaueres darüber erfahren. Wunderbarerweise stehen wir dem Stress und seinen schädigenden Wirkungen nicht machtlos gegenüber. Auch hier hat die Forschung bewiesen, dass regelmäßiges Yogaüben Zivilisationskrankheiten entgegenwirkt.
WAS SIE BEI KRÄMPFEN TUN KÖNNEN
Krämpfe können an ganz unterschiedlichen Stellen des Körpers auftreten: Meistens erwischen sie uns an den Füßen und Zehen, an den Waden und auch im Zwerchfell. Sollte ein Krampf auftreten, verlassen Sie die eingenommene Yogaposition. Strecken Sie Ihre Beine aus, winkeln Sie Ihren Fuß mit Ihren Händen an. Bei einem Zwerchfellkrampf strecken Sie beide Arme nach oben. Warten Sie so lange, bis der Krampf vorüber ist, dann nehmen Sie die Yogaposition erneut ein. Gerade am Anfang können öfter Muskelkrämpfe auftreten. Übrigens kann auch zu viel Luft im Bauch (Blähungen) Krämpfe verursachen.
WAS SIE BEI MUSKELKATER TUN KÖNNEN
Wer ungewohnte Bewegungen ausgeführt oder sich körperlich überfordert hat, kennt nur zu gut, wie sich Muskelkater anfühlt. Natürlich kann auch Orthopädisches Yoga zu Muskelkater führen, aber es fördert gleichzeitig eine schnellere Regenerationsfähigkeit der Muskel-Faszien-Einheit nach Anstrengungen – deswegen ist es eine wunderbare Ergänzung zum Trainingsprogramm eines Sportlers.
Sie können durch langsames Üben und längeres, behutsames Verweilen und Dehnen in den Asanas etwas zur Linderung der Muskelkaterschmerzen tun. Zusätzlich empfehle ich Ihnen das langsame, geschmeidige Ausrollen der betroffenen Körperpartien mit einer Faszienrolle. Im Kapitel Muskel/Faszien können Sie nachlesen, wie die Medizin Muskelkater erklärt (ab S. 44).

Die Yogapositionen
Asanas werden in verschiedene Kategorien unterteilt:
• Standpositionen (hierzu zählt auch der Vierfüßlerstand) kräftigen die Bein- und Fußmuskulatur, sorgen für eine aufgerichtete Körperhaltung im Alltag und stärken den Beckenboden.
• Vorwärtsbeugen sind wichtig für die Dehnung der Körperrückseite, entspannen die Bauchorgane und wirken mental beruhigend.
• Rückwärtsbeugen dehnen die Körpervorderseite, kräftigen Zwerchfell sowie Beckenboden und wirken stimmungserhellend.
• Sitzende Positionen können Elemente aus Rückbeugen, Drehungen und Vorwärtsbeugen beinhalten.
• Drehungen sind wichtig für die Verdauungsorgane und die tiefe Muskulatur, sie mobilisieren die Wirbelsäule und den Schultergürtel.
• In Umkehrhaltungen kann man die Welt im übertragenen Sinn auch mal aus einer anderen Perspektive sehen. Sie wirken regenerierend.
• Ruhepositionen (liegende Positionen) sind ein wahrer Segen bei Erschöpfungszuständen oder zur Regeneration nach Krankheit.
Die richtige Atmung
Ist die Atmung in der Yogapraxis richtig einbezogen, wird die wohltuende Wirkung der Asanas verstärkt und das Dehnen und Halten in den Asanas fällt leichter. Die Atmung sollte gleichmäßig und entspannt sein, verkrampftes Atmen erschwert das Üben. Eigentlich gibt es zu Anfang nur eine gar nicht so schwierige Technik zu beherzigen: Während der Einatmung wird der Brustkorb angehoben, die Rippen weiten sich und der Bauch wölbt sich nach vorne. Mit der Ausatmung spannen Sie aktiv (ohne sich zu verkrampfen) die Bauchmuskeln etwas an und ziehen dabei den Bauch (wie ein Staubsauger) nach innen. Ihr Brustkorb senkt sich, ohne zusammenzusinken.
Durch diese kontrollierte, bewusste und aktive Atemlenkung wird über die faszialen Verbindungen die Durchblutung der inneren Organe angeregt und sogar massiert. Zudem wird Ihre Aufmerksamkeit ganz zu Ihnen und nach innen gerichtet.
Unterschiedlich starke Körperseiten
Jeder Übende bemerkt früher oder später, dass man in einigen Yogapositionen zwei unterschiedlich starke oder bewegliche Körperseiten hat. Oft folgt Ratlosigkeit darüber, wie mit diesen Seitendifferenzen umzugehen ist. Soll man weiter die Lieblingsseite bevorzugen und die Lieblingspositionen besonders oft üben? Oder ist es genau anders herum?
Die Gefahr bei falschem und nicht korrigiertem Üben liegt darin, dass bewegliche Körperabschnitte meist so bevorzugt geübt werden, dass es zum ungesunden Ausleiern und Überspannen von Bändern und Gelenken kommen kann. Unbeweglichere, unbequeme und verspannte Körperstellen und Körperbereiche werden, meist (un-) bewußt, vermieden und schneller abgehandelt. Damit entsteht eine Asymmetrie im Körper, da nur einige Muskelgruppen trainiert werden und andere dagegen dauerhaft unterentwickelt und schwächer bleiben. Die Verletzungsgefahr wird stark erhöht.
Ein gesundes Körpergefühl, eine gesunde Körpereinschätzung und auch eine richtige Schmerzinterpretation ist Ziel der regelmäßigen Yogapraxis. Lernen Sie die „schlechteren Seiten“ zu akzeptieren und mehr zu beachten! Oft wird man durch sie mit den eigenen Unzulänglichkeiten und dem „inneren Schweinehund“ konfrontiert. Schauen Sie hin und nicht weg! Ein bekannter Yogalehrer hat einmal gesagt: „Das eigentliche Yoga beginnt mit sich selbst alleine auf der Matte!“
Was sind Bandhas und wozu sind sie wichtig?
Das Wort Bandha kommt aus dem Sanskrit und bedeutet „Verschluss“ oder „Verriegelung“. Bandhas sollen dazu dienen, die Lebensenergie (Prana) im Körper zu halten, damit diese nicht ausströmt.
Anatomisch kann man „Bandha“ mit der Anspannung einer speziellen Muskulatur beschreiben. Eigentlich werden die Bandhas in fast allen Yogapositionen eingesetzt, bei einigen Übungen geschieht das sehr bewusst. Sie werden Ihnen in einigen Kapiteln begegnen, hier die drei Wichtigsten im Überblick:
JALANDHARA BANDHA
Der Kinn(ver-)schluss: Die kurzen und tiefen Beuger der Hals- und Kehlkopfmuskulatur werden aktiviert, um den Kopf zentral zu positionieren.
UDDIYANA BANDHA
Der Bauchmuskelgriff: Eine kräftige Bauchmuskulatur gewährleistet die Beckenaufrichtung und ist die für die Ausatmung verantwortliche Muskulatur. Eine verspannte Bauchmuskulatur bremst und verhindert eine maximal tiefe Einatmung und vollständige Ausatmung.
MULA BANDHA
Die Beckenbodenmuskulatur: Sie wird angespannt, um die Organe des Beckens an Ort und Stelle zu halten und ihre Funktion zu unterstützen.
Die Faszien
Nachdem das Thema Faszien international seit gut zwanzig Jahren an Bedeutung gewinnt, ist es seit etwa sieben Jahren auch verstärkt in Deutschland prominent. Es ist sogar ein richtiger Hype darum entstanden. Nicht nur in medizinischen Fachkreisen sind die Faszien angekommen, sie haben es auch zu einem Durchbruch in unseren Lifestyle geschafft. Im Kapitel Faszien finden Sie mehr über dieses faszinierende Gewebe. An dieser Stelle will ich nur vorausschicken: Faszien sind viel mehr als nur „Verpackungsmaterial“!
Die Philosophie

Eingangs habe ich aus Patanjalis Sutra einen Lehrsatz zitiert: „Die ideale Haltung ist stabil und leicht zugleich.“ Meine Interpretation dieser Verszeile ist die, dass das Wohlbefinden für Körper und Geist dann am größten ist, wenn die richtige Körperhaltung im Alltag wie auch in den Yogapositionen zwar kraftvoll, aber dennoch mühelos entspannt gehalten werden kann. Meine Beobachtung ist, dass verkrampftes Halten und Üben von Yogapositionen sowie eine schlechte Haltung uns eher zum Negativen hin beeinflussen und den Geist in einem Unruhezustand belassen. Dies ist im weitesten Sinn der Ausgangspunkt meiner Arbeit.
Wer sich für die Philosophie des Yoga interessiert, findet bei Patanjali sicher einen anregenden Ausgangspunkt. Er war der wichtigste Denker und Weise des Hatha Yoga (er lebte irgendwann im Zeitraum 200 Jahre vor bis 200 Jahre nach Christus) und hat das Standardwerk des Yoga verfasst: die oben erwähnte Yoga Sutra. Dieser Text umfasst 195 (Lehr-)Verse, sie sind in der klassischen (indischen) Dichtungsform des Sanskrit niedergeschrieben.
Patanjali benennt in der Sutra einen achtgliedrigen Pfad, der aus verschiedenen Aspekten besteht: vom ersten Aspekt der Ethik und Moral bis hin zum achten Aspekt, der vollkommenen Erkenntnis. Auch Yogapositionen, Atemübungen (Pranayama) und die Meditation sind Aspekte dieses achtgliedrigen Pfads.
Die Sutra gilt noch immer als wichtigster Yoga-Leitfaden für Yogalehrende (und ist damit auch für mich ein ständiger Lebensbegleiter). Ich kann Ihnen die Lektüre dieses zeitlosen Werks nur empfehlen: Patanjali hat seine Ideen und Erfahrungen in einem sehr puristischen, eingängigen Stil verfasst, sodass sie noch heute gut lesbar sind.
In der Sutra erklärt Patanjali nichts weniger als das Gelingen eines Lebens in Freiheit: Freiheit, so der Denker, streben wir an, da der Mensch seit jeher das Bedürfnis hat, Leiden zu vermeiden und in Frieden zu leben. Leider stehen wir uns selbst dabei oft im Weg und sind zumeist unser größter Feind.
Die Interpretationen der Sutren driften teilweise weit auseinander. Sie prägen den jeweilig praktizierten Yogastil und unterscheiden sich vor allem dadurch, welchen Stellenwert und Umfang sie den Asanas, Pranayama und Meditationen zuweisen.
Wenn ich nach meiner Interpretation gefragt werde, antworte ich gern mit einem weiteren Zitat. Ein indischer Yogaguru sagte einmal: „Erst wenn der Mensch leidet, beginnt er sich für Yoga zu interessieren und zu üben.“
Grundwissen über Ihren Körper
Knochen und Gelenke
Drehen, Strecken, Beugen, Abspreizen, Heranführen, seitliches Neigen, Vorwärtsbewegen, Rückwärtsbewegen – das alles sind Bewegungsmöglichkeiten in den vielen verschiedenen Gelenken unseres Körpers.
Für den Bewegungsspielraum eines Gelenkes ist die Form der dazugehörigen Knochen entscheidend, deshalb haben wir sehr viele verschiedene Gelenke. Grundsätzlich bilden der sogenannte Gelenkspalt, die Gelenkschmiere, der Knorpel und die Gelenkkapsel eine Einheit. Erst im Zusammenspiel all dieser Elemente entfaltet das Gelenk seine volle Funktionsfähigkeit.
Um sich optimal zu bewegen, benötigt jedes Gelenk ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Belastung und Entlastung. Werden Gelenke nicht bewegt, versteifen sie, werden sie physiologisch ungünstig und über einen längeren Zeitraum überbelastet, entstehen Verschleiß und Arthrose. Eine Mischung aus richtiger Be- und Entlastung sorgt daher für einen optimalen Ernährungszustand des Gelenkknorpels und die ausreichende Produktion der Gelenkschmiere, die nötig ist, um die Gelenke möglichst reibungslos zu bewegen. Mit dem Üben der Asanas werden die Gelenke mobilisiert und die Bildung der Gelenkschmiere angeregt.
Die Muskulatur
Grob gesprochen, ist in der Anatomie von glatter und quergestreifter Muskulatur die Rede. Glatte Muskulatur befindet sich in den Organen und kann nicht willkürlich gesteuert werden. Quergestreifte Muskulatur bildet die Skelettmuskulatur und unterliegt unserem Einfluss und Bewegungsbefehl.
Weil glatte und quergestreifte Muskulatur verschiedene Arbeitsplätze haben, unterscheiden sie sich in Aufbau und Struktur. Das Orthopädische Yoga mit seiner anatomisch funktionellen und faszialen Ausrichtung arbeitet mit beiden Muskulatur-Systemen.
DIE TIEFENMUSKULATUR
Unter Tiefenmuskulatur versteht man die äußerlich nicht sichtbare Muskulatur, die den Körper stabilisiert, um mithilfe eines inneren Korsetts eine gute und aufrechte Körperhaltung zu gewährleisten. Zur Tiefenmuskulatur gehören die tiefer gelegenen Anteile der Bein-, Bauch- und Rückenmuskulatur sowie die Beckenbodenmuskulatur.
Die oberflächliche Muskulatur (etwa Biceps, der große Brustmuskel oder der oberflächliche, vordere Oberschenkelmuskel, Quadriceps genannt) wird beim Krafttraining gezielt trainiert und soll die äußere Form und Gestalt des Körpers definieren. Mit den Trainingsgeräten in den Fitnessstudios erreicht man (leider) nicht die tiefe Muskulatur. Orthopädisches Yoga arbeitet intensiv mit ihr.
Menschen, die sich wenig oder einseitig bewegen, haben eine schwache und unterentwickelte Tiefenmuskulatur. Ist sie hingegen gut entwickelt und ausgebildet, führt dies zu einem ökonomischen Zusammenspiel aller Muskeln und die Tiefensensibilität (das ist das Zusammenspiel von Körper und Gehirn) ist optimiert. Um die Tiefenmuskulatur zu trainieren, benötigt man keine zusätzlichen Gewichte, es reicht aus, das eigene Körpergewicht einzusetzen und zu halten.
DIE MUSKELKRÄFTIGUNG
In der Sportmedizin bezeichnet man Muskelaufbau oder Muskelkräftigung als eine Vermehrung der Muskelmasse. Dabei handelt es sich nicht um die Vermehrung der Muskelzellen, sondern um eine Verdickung beziehungsweise Vergrößerung des Querschnitts einer Muskelzelle. Damit die Muskelzellen dicker werden, bedarf es eines Wachstumsreizes, also des Trainings. Konkret bedeutet das, dass die Muskelzellen angeregt werden müssen, sich über ihr normales Leistungsniveau hinaus anzuspannen, also zu kontrahieren. Dieser Reiz bewirkt eine verstärkte Synthese der Proteine in den Muskelzellen und sie werden dicker. Natürlich kommen auch hier wieder die Faszien ins Spiel. Sie haben eine überragende Rolle bei der Krafterzeugung, denn je elastischer die Faszien im Körper sind, umso mehr Kräfte werden erzeugt und übertragen!
MUSKELDEHNUNG
Die Muskeldehnung ist und bleibt ein viel diskutiertes Thema. Früher gehörte sie zu jedem Sporttraining. Gedehnt wurde vor dem Training, um die Muskulatur zu lockern, und nach dem Training, damit der Muskelkater ausbleibe. Als dann Studien nahelegten, dass man sich damit auch verletzen könne, hinterfragte man das Dehnen. Zeitgleich entwickelte sich der Trend der Faszienmobilisation, und neueste Forschungsergebnisse widerlegen die negativen Thesen zum Dehnen.
Wichtig ist zu wissen, dass das Dehnen immer individuell auf die jeweiligen Bedürfnisse, körperlichen Einschränkungen und Anforderungen einer Person zugeschnitten sein muss. Es gibt kein allgemeingültiges Allroundprogramm. Es gibt immer nur das für Sie richtige Programm. Dennoch gibt es gängige Dehnmethoden, die auch beim Yoga gebräuchlich sind:
• Dynamisches Dehnen: Das ist eine Dehnung mit mehrfach wiederholten, federnden Bewegungen.
• Statisches Dehnen: Eine Dehnposition wird kontrolliert und bewusst eingenommen und über eine bestimmte Zeit gehalten.
• Methoden aus der neuromuskulären Faszilitation (in der Fachsprache der Physiotherapeuten wird das PNF genannt): Agonist und Antagonist werden unterschiedlich eingesetzt. Agonisten sind die Muskeln, die sich verkürzen und anspannen. Antagonisten sind Muskeln, die die entgegengesetzte Bewegung ausführen und sich entspannen. Synergisten sind Teamplayer, sie arbeiten in einem Bewegungsablauf miteinander.
• Methoden, die auf dieses Modell zurückgreifen, kombinieren alle drei Anteile zu einer hocheffektiven Dehnung.
Bei einer Dehnung werden Ursprung und Ansatz der Muskelsehnen und die sie umgebenden, bindegewebigen Strukturen auseinandergezogen – ein Vorgang, der dann als Nachricht über Informationsbahnen an das Rückenmark und Gehirn weitergeleitet wird. Um zu verstehen, was genau im Muskel dabei passiert, hilft ein Blick auf den Aufbau des Muskels.
Jeder (Skelett)-Muskel setzt sich aus vielen Einheiten zusammen. Der Ursprung beginnt mit einer Ansammlung von Muskelzellen, die mit einer feinen, dünnen Schicht ummantelt sind und aneinandergereiht Muskelfasern bilden. Viele Muskelfasern werden dann zu einem Bündel zusammengefasst und wiederum mit Bindegewebe ummantelt. Viele Muskelfaserbündel, erneut mit Bindegewebe umhüllt, bauen den Muskel auf. Lockeres, dünnes, weiches und strafferes Bindegewebe wechseln sich ab. Muskelzellen sind übrigens das rote Fleisch, Faszien das weiße.
Erfährt ein Muskel einen Dehnreiz, werden die dazu geeigneten Elemente (sie heißen kontraktile Filamente) in den Muskelzellen auseinandergezogen. Entspannt der Muskel, gleiten sie wieder in ihre ursprüngliche Länge zurück.
Eines ist ganz sicher: Dehnen kann die Beweglichkeit verbessern, die Muskeln geschmeidiger machen und kurzfristig gegen Verspannungen helfen. Sicher ist auch, dass Dehnen Glückshormone freisetzt und so zu einem Wohlgefühl auch auf mentaler und emotionaler Ebene führt.
Um alle anderen Thesen, etwa dass Dehnen Muskelkater verhindern oder Verletzungen vorbeugen könne, wird weiterhin gestritten, da (noch) keine eindeutigen wissenschaftlichen Beweise vorliegen. Bewiesen ist jedoch, dass Dehnen dann Verletzungen vorbeugt, wenn bereits starke Bewegungseinschränkungen bestehen. Leider ist man sich auch sicher, dass Dehnen vor dem Sport nicht unbedingt vor Sportverletzungen schützt. Trotzdem gilt: Dehnen nur im aufgewärmten Zustand!