Kompetenzorientiert unterrichten - Das AVIVA

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Tiefenstrategien sind zum Beispiel:
• den Inhalt eines Abschnittes in eigenen Worten wiedergeben,
• die wichtigsten Punkte aus einem Text herausschreiben und ordnen
• und daraus eine eigene Zusammenfassung erstellen,
• die Sachverhalte bildhaft darstellen,
• sich zum Inhalt eine praktische Anwendung vorstellen,
• Neues mit Inhalten verknüpfen, die bereits früher gelernt wurden,
• zum Lernstoff eine eigene Gliederung anfertigen,
• aus dem Text systematisch Schlussfolgerungen ziehen.
Wenn die Lernenden an den Inhalten interessiert sind und das Erarbeitete mit den eigenen Erfahrungen in Verbindung bringen können, dann besteht die Chance, dass sie sich nicht auf oberflächliches Lernen beschränken, sondern »der Sache auf den Grund gehen« wollen und Tiefenstrategien einsetzen.
Mit metakognitiven Strategien steuern die Lernenden ihr Lernen selbst. Sie können zum Beispiel Ziele formulieren, selbstständig eine Gliederung erstellen, mögliche Stolpersteine vor der Ausführung der Arbeit erkennen und sich selbst kontrollieren, aber auch abschätzen, was nötig ist, um möglichst ökonomisch zu arbeiten.
Beispiele für metakognitive Strategien sind:
• sich bewusst ein Ziel setzen und überlegen, wie viel Anstrengung es braucht, es zu erreichen,
• eine Arbeit planen oder ein Problem in Teilprobleme unterteilen,
• sich klarmachen, ob man das Gelernte wirklich verstanden hat, und allenfalls nachfassen, das heißt, einen Satz oder Abschnitt noch einmal lesen,
• sich beobachten, ob man beim Lernen bei der Sache bleibt und nicht abschweift,
• überprüfen, ob man das Wichtigste auch behalten hat,
• gezielt Pausen machen und über den Lernprozess nachdenken,
• Schlussfolgerungen zum eigenen Lernen ziehen,
• die Zeit im Auge behalten,
• den Aufbau des zu bearbeitenden Stoffes analysieren,
• bei Unklarheiten in den Unterlagen oder anderen Büchern nachschlagen.
Zentral für den Lernerfolg ist die äußerste Schicht der Zwiebel, die Motivation. Darunter verstehen wir die Bereitschaft der Lernenden, sich auf den Weg zu machen und auch in schwierigen Situationen nicht aufzugeben. Ob ein Lernender sich gut motivieren kann, hängt u.a. davon ab, ob er sich selbst realistische Ziele zu setzen vermag, ob er es schafft, die eigene Stimmung positiv zu beeinflussen, das eigene Interesse am Thema zu wecken, zu erhalten und sich Erfolgserlebnisse zu verschaffen (Metzger 2008, S. 15–18). Motivation ist der Wille, sich in einer konkreten Lernsituation intensiv und ausdauernd mit einem Gegenstand auseinanderzusetzen (vgl. Wild/Hofer/ Pekrun 2006). Im Unterricht ist in diesem Sinne namentlich das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit, nach Autonomie und sozialer Eingebundenheit (Zughörigkeit, Wohlfühlen, Sicherheit, Unterstützung) wirksam. Dass solche Bedürfnisse im Unterricht befriedigt werden, ist die Grundbedingung für ein produktives und subjektiv bedeutsam erlebtes Lernen (Messner/Niggli/Reusser 2009, S. 154).
Ein Beispiel aus der Praxis
Dass unser Modell praxistauglich ist, zeigt ein Beispiel aus dem Unterricht.
Sie alle kennen die Situation: Ein Thema wurde in der Klasse sorgfältig erarbeitet; jetzt steht die Prüfung an. Möglicherweise haben Sie Ihre Lernenden in dieser Phase auch schon einmal gefragt, wie sie sich auf die Prüfung vorbereiten. Von Robin, einem Auszubildenden im ersten Lehrjahr, stammt die folgende Antwort:

Offensichtlich kennt Robin ein breites Spektrum von kognitiven Strategien, die man bei der Vorbereitung auf eine Prüfung einsetzen kann. Er möchte Oberflächenstrategien (durchlesen/anschauen/auswendig lernen) und Tiefenstrategien einsetzen (sich Notizen machen/Text gut verstehen). Er will sein Vorgehen planen und kontrollieren (jeden Tag eine Stunde anschauen/ jeden Tag mit Freunden lernen/überlegen, ob man alles richtig hat). Auch scheint er motiviert, sich der Herausforderung zu stellen (jeden Tag lernen/mit Freunden lernen).
Aufgrund der Liste allein können wir aber nicht wissen, ob Robin alle diese Strategien auch wirklich beherrscht, wie gut und wirkungsvoll er sie zu Hause einsetzt und ob er sich tatsächlich an seinen Plan hält. Das Prüfungsergebnis wird uns erste Hinweise geben.
Fällt es positiv aus, so verspricht bei Robin der indirekte Wege zur Förderung von Ressourcen Erfolg. Er hat das Potenzial, selbstständig oder selbstreguliert zu lernen, und kann die verschiedenen Ebenen (motivationale, kognitive, metakognitive) sinnvoll miteinander kombinieren. Bei einem negativen Resultat sollte der direkte Weg eingeschlagen werden, bei dem die Lehrperson mit den Lernenden bestimmte Ressourcen (zum Beispiel Lernstrategien) bewusst nochmals erarbeitet und festigt – immer mit dem Ziel, dass sich Robin im Verlauf der Ausbildung zum selbstständigen Lerner entwickeln kann. Wichtig in diesem Zusammenhang sind Erfolgserlebnisse, die motivieren und dazu führen, dass die Lernende/n sich immer wieder an die Arbeit machen und sich anstrengen.
Welche Strategien die Lernenden im Unterricht anwenden, hängt zu einem guten Teil von der Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrperson ab. Die Lernenden werden tiefen- und metakognitive Strategien eher dann einsetzen, wenn sie im Unterricht gefordert und gefördert werden.
Gefordert werden sie, wenn ihnen anspruchsvolle und anregende Aufgaben zur Bearbeitung vorliegen, die sie nur durch den Einsatz von Tiefenstrategien bearbeiten können. Lernende haushalten in der Regel mit ihren Kräften. Deshalb müssen sie in Situationen gebracht werden, die sie nur durch den Einsatz von metakognitiven Strategien bewältigen können.
Gefördert werden die Lernenden dann, wenn die Lehrperson ihnen gezielte Rückmeldungen gibt, wie gut sie durch den individuellen Einsatz von Ressourcen und persönliches Engagement Fortschritte erzielen konnten (→ Lernjournal, S. 123), und wenn die Lehrperson ihren Unterricht immer wieder nach dem direkten oder indirekten Verfahren variieren kann.
Durch anspruchsvolle und anregende Aufgaben und den Einsatz von Methoden, die den Aufbau bestimmter Ressourcen unterstützen, tragen wir viel dazu bei, dass die Lernenden ihr Lernen und Arbeiten selbst in die Hand nehmen und künftige Herausforderungen in Arbeit und Beruf – dank gezieltem Einsatz von Ressourcen – meistern.
Lernende, die in der Lage sind, ihr Lernen selbst zu steuern, setzen also gezielt auch motivationale Strategien ein. Sie interessieren sich für den Inhalt und sind bereit, neue Herausforderungen anzunehmen. Sie sind ferner in der Lage, den Einsatz von kognitiven Strategien beim Lernen bewusst zu steuern und immer wieder zu kontrollieren (metakognitive Strategien). Unser erweitertes Modell der »Lernzwiebel« (Abbildung 6) zeigt den Zusammenhang:

Fassen wir noch einmal zusammen: Ein kompetenzorientierter Unterricht ist ausgerichtet auf die Entwicklung der kognitiven Strategien (Verarbeitungsmodus → Fachkompetenz), der metakognitiven Strategien (Regulation des Lernprozesses → Methodenkompetenz) und der motivationalen Strategien (Wahl von Zielen und Ressourcen → Selbstkompetenz). Das AVIVA©-Modell, bei dem die Lehrperson ihre Unterrichtsmethoden auf den Lernprozess abstimmt, liefert dazu wichtige und konkrete Hinweise (vgl. dazu das nächste Kapitel).
Exkurs: Klassenführung im kompetenzorientierten Unterricht
In den vorangehenden Abschnitten haben wir dargelegt, wie Lernende überhaupt in die Lage versetzt werden, ihr Lernen selbst in die Hand zu nehmen: Erfolgreiche Lernende setzen gezielt metakognitive, kognitive und motivationale Strategien ein. Dies ermöglicht es ihnen, eine Situation zu meistern.
Aber warum setzen sich Lernende überhaupt zum Lernen hin, warum beginnen die einen von sich aus zu arbeiten, warum verweigern andere die Arbeit? Jean-Louis Berger hat sich im Rahmen seiner Forschungsarbeiten für die Frage interessiert, welche motivationalen Zielorientierungen bei Auszubildenden anzutreffen sind (Berger 2009, S. 19–20). Nach Berger lassen sich vier typische Zielorientierungen unterscheiden:
• Typus 1 – Beherrschung: Die Lernenden möchten das, was sie an Inhalten und Methoden in der Ausbildung mitbekommen, gut verstehen und beherrschen. Sie möchten Fortschritte machen.
• Typus 2 – Herausforderung: Die Lernenden sind an einem Thema interessiert. Sie stellen sich den Anforderungen, weil sie motiviert sind, und strengen sich entsprechend an.
• Typus 3 – Leistung: Die Lernenden vergleichen sich vor allem mit ihren Mitschüler/innen. Sie möchten mit den guten Lernenden mithalten können und strengen sich deshalb besonders an.
• Typus 4 – Arbeitsvermeidung: Die Lernenden versuchen, mit einem minimalen Einsatz die gestellten Anforderungen zu erfüllen. Vor allem Lernende mit einem schwach ausgeprägten Ehrgeiz und geringem Interesse für ein Fach sind in dieser Gruppe zu finden.
Anzumerken ist, dass sich dieselbe Person in verschiedenen Fächern durchaus unterschiedlich verhält und dass sich die Dinge auch entwickeln – nicht zuletzt hierin liegt ein wesentliches Ziel eines kompetenzorientierten Unterrichts: dass Lernende allmählich von äußerem Druck unabhängig werden und ihre motivationalen Strategien selbst zu steuern lernen. Dieser Aspekt ist vielleicht der wichtigste von allen.
Die Lernenden der Typen 1 bis 3 können sich im Unterricht gut motivieren, sie wählen zielführende Strategien und kontrollieren ihre Arbeitsschritte selbst. Problematischer sieht es bei Lernenden aus, die zum Typus 4 zählen, den »Arbeitsvermeidern«. Diese Schüler/innen lassen sich kaum dazu bewegen, aus freien Stücken selbstständig zu arbeiten.
Mit welchen Maßnahmen kann eine Lehrperson diese Lernenden besser in den Unterricht einbinden? Welche Bedeutung kommt dabei der Klassenführung zu?
Im Folgenden dazu ein paar Überlegungen und Anstöße (vgl. Städeli/Obrist/ Grassi 2013; Dubs 2009).
Klare Regeln formulieren
Geben Sie gleich am ersten Schultag die wichtigsten Regeln bekannt – immer mit Begründung, und selbstverständlich sollten Ihre Regeln nachvollziehbar sein. Lernende, die mit der Zielsetzung »Arbeitsvermeidung« in die Schule eintreten, wissen so von Anfang an, was auf sie zukommt. Am ersten Tag werden nach Dubs (2009, S. 514 f.) Regeln für das Betragen und für das Lernen vorgegeben bzw. ausgehandelt. Beim Betragen geht es vor allem um die erwartete Grundstimmung (Klasse als Lerngemeinschaft; offener und ehrlicher Umgang untereinander; Störungen sofort ansprechen) und die Regelung von Fehlzeiten (striktes Einhalten der Regelung von Fehltagen der Schule; Nachholen von Prüfungen). Bei den Regeln zum Lernen zeigen wir, mit welchen Lehrmitteln und Materialien wie gearbeitet wird und in welcher Form die Einträge in die Hefte oder Arbeitsblätter kontrolliert werden. Anschließend gehen wir auf die Hausaufgabenpraxis und die Prüfungen ein. Zu den Prüfungen erklären wir, in welchem Rhythmus welche Prüfungsformen vorkommen und wie die Leistungen bewertet und beurteilt werden. Im Lauf der Zeit werden dann je nach Bedarf weitere Regeln eingeführt – zum Beispiel, wie auf kleine Störungen (schwatzen, zu spät kommen usw.) reagiert wird, oder Nutzungsregeln für Schuleinrichtungen. Einmal formulierte Regeln werden konsequent durchgesetzt, damit ein negativer Kreislauf von Störungen im Unterricht gar nicht erst entstehen kann oder sofort durchbrochen wird.

Klare und nachvollziehbare Regeln sind für das gemeinsame Arbeiten und Lernen in der Schule sehr wichtig. Entscheidend für einen guten Unterrichtsprozess sind Maßnahmen, die bei allen Lernenden, auch bei den »Arbeitsvermeidern«, positive Effekte hervorrufen:
Klare Ziele formulieren
Die Lernenden müssen wissen, was zu tun ist. Zu Beginn des Unterrichts werden die Ziele bekannt gegeben. Durch klare und gut verständliche Zielformulierungen ergibt sich für die Lehrperson und für die Lernenden ein roter Faden durch die Unterrichtsstunde oder den -tag. Nicht nur der Beginn des Unterrichts, auch das Ende muss für die Lernenden klar ersichtlich sein. Hier kann die Lehrperson zum Beispiel wieder auf die Lernziele zurückgreifen und zusammen mit den Lernenden den Unterricht abschließen.
Bedeutung der Inhalte hervorheben
Die Lernenden interessieren sich dann besonders für ein Thema, wenn sie die Bedeutung für sich selbst erfassen können. Bezugspunkt ist wenn immer möglich die Lebens- und Arbeitswelt der Lernenden. Mithilfe von konkreten Beispielen aus dem Alltag und mit stufengerechten und aktuellen Unterrichtsmaterialien können die Lernenden motiviert werden, sich mit einem Thema zu beschäftigen.
Anforderungen stellen
Die Lernenden wollen im Unterricht gefordert und gefördert werden. Sie wollen ihre Ressourcen erweitern und etwas Neues lernen. Deshalb ist es wichtig, dass die Lehrperson Aufgaben formuliert, bei denen die Lernenden herausgefordert werden, selbst etwas entwickeln müssen oder anwenden können, was sie im Unterricht bereits gelernt haben. Neben Kenntnisaufgaben werden den Lernenden deshalb im Unterricht häufig Anwendungs- und Problembearbeitungsaufgaben vorgelegt. Die Lernenden können sich bei diesen Aufgaben nicht einfach zurücklehnen und den Weg des geringsten Widerstands nehmen. Damit sie eine einigermaßen genügende Leistung erzielen können, müssen sie zur Bearbeitung der Aufgabe die im Unterricht erarbeiteten Ressourcen einsetzen.
Erfolge ermöglichen
Die Lernenden erhalten regelmäßig eine sachbezogene Rückmeldung zu ihren Leistungen (→ Lernjournal, Seite 123). Rückmeldungen ermöglichen es den Lernenden, ihr Verhalten zu verändern. Ein gezieltes Lob für eine sehr gute Arbeit fördert die Motivation und ist Garant für weitere Erfolge. Wichtig ist hier auch, dass die Lernenden möglichst schnell konkrete eigene Lernfortschritte erzielen können und dadurch Lernerfolge erleben.
Ruhe
Hektik entsteht immer dann, wenn die Lehrperson zu viel Stoff in eine Stunde packt und dann selbst unruhig und nervös wird, weil nicht alles behandelt werden kann und sich große Wissenslücken auftun. Weniger ist manchmal mehr – das bringt die notwendige Ruhe in den Unterricht, die als Basis für die weiteren gemeinsamen Lernschritte von großer Bedeutung ist. Hilfreiche Tipps, wie man mit dem ständigen Dilemma des »Stoffdrucks« produktiv umgehen kann, finden sich etwa in Martin Lehners Buch Viel Stoff – wenig Zeit (2009).
Humor und Freude
Humor, Freude und Zuversicht sind unersetzbare Pfeiler eines kompetenzorientierten Unterrichts. Humor schafft Vertrauen, fördert die soziale Interaktion und wirkt auf allen Ebenen motivierend. Aber Achtung: Authentisch muss die Lehrperson dabei immer bleiben. Sie muss auch Freude am Inhalt und am Umgang mit den Lernenden haben und Zuversicht ausstrahlen. Lehrpersonen, die mit Freude unterrichten und einen Sinn für Humor haben, werden von den Lernenden geschätzt und sind erfolgreich.
Störungen im Unterricht sofort ansprechen
Auf Störungen muss die Lehrperson sofort reagieren und konsequent die vereinbarten Maßnahmen treffen. Die Lernenden akzeptieren ein konsequentes Vorgehen, sofern es begründbar und nachvollziehbar ist. Durch eine gute Klassenführung erreichen Sie, dass die Lernenden, die motiviert sind und im Unterricht etwas lernen möchten (siehe motivationale Typen 1 bis 3; S. 23), wirklich zum Lernen kommen und nicht durch störende Schüler und Schülerinnen vom Lernen abgehalten werden. Die Gruppe der »Arbeitsvermeider« erhält durch klare Rahmenbedingungen die Möglichkeit, sich auch in den Unterricht zu integrieren und gute Leistungen zu erbringen.
Eine gute Klassenführung ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen eines kompetenzorientierten Unterrichts. In unserem Buch Klassenführung – Unterrichten mit Freude, Struktur und Gelassenheit (Städeli/Obrist/Grassi 2013) finden sich dazu weitere Tipps und Anregungen. Wir zeigen dort unter anderem,
• wie eine Lehrperson den Start in den Unterricht mit einer neuen Klasse gut angehen kann,
• wie Verhaltensregeln mit den Lernenden ausgehandelt werden können und wie es gelingt, solche Regeln durchzusetzen,
• wie die Lehrperson dazu beitragen kann, dass ein gutes Unterrichtsklima herrscht und
• wie sie bei Unter- oder Überforderung von Lernenden vorgehen kann.

Das AVIVA©-Modell
Die fünf Phasen im kompetenzorientierten Unterricht
Die Gestaltung des Unterrichts hat wesentlichen Einfluss auf die Art und Weise, wie in der Schule gelernt wird. Wenn immer alle Fäden in der Hand der Lehrperson zusammenlaufen, werden die Lernenden nie dazu ermutigt, ihr Lernen selbst zu steuern. Wenn die Lehrperson den Lernenden von Anfang an inhaltlich und methodisch das Feld überlässt, ist die Chance, dass diese sich selbstständig Wissen und Können aneignen, genauso gering, da ihnen vielfach nicht klar sein kann, wie sie in einer bestimmten Situation vorgehen sollen. Es sind also wohl dosierte Anteile von Instruktion, eine gute Balance zwischen Steuerung durch die Lehrperson und Elemente des selbstregulierten Lernens, von direktem und indirektem Vorgehen (→ Seite 13) –sowie eine klare Vorstellung, welche Phasen der Unterricht durchlaufen muss, nötig.
Fünf Phasen des Unterrichts
In Abbildung 8 sind fünf elementare Phasen des Unterrichts skizziert, die den Ablauf des Lernprozesses modellhaft nachbilden. Lernen setzt zunächst eine bestimmte Grundstimmung voraus, die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen (»Ankommen und einstimmen«). Beim schon Vorhandenen (»Vorwissen aktivieren«) setzt das eigentliche Lernen (»Informieren«) erst an und baut darauf auf. Damit das Neue sich festigen kann, braucht es Gelegenheit zur Anwendung, Vertiefung und Übung, bis es fest verankert ist (»Verarbeiten«). Und schließlich wird man sich beim Lernen immer wieder Rechenschaft über den zurückgelegten Weg ablegen und Bilanz ziehen, bevor die nächste Wegstrecke in Angriff genommen wird (»Auswerten«).
Es ist wichtig, dass sich schulischer Unterricht an diesen Phasen orientiert, damit der Lernprozess inhaltlich und methodisch sauber und vollständig durchlaufen wird, ganz egal, ob man direkt oder indirekt vorgehen will.

Diese fünf Phasen bilden eine Grundstruktur für jeden Unterricht, die sowohl beim direkten als auch beim indirekten Vorgehen erkennbar bleiben muss. Beim indirekten Vorgehen arbeiten die Lernenden weitgehend selbstreguliert; beim direkten Vorgehen gehen die Impulse vorwiegend von der Lehrperson aus. Sie instruiert und gibt den Weg vor, wie die Lernenden verfahren können oder müssen; der Aufbau der Ressourcen wird vermittelt und gesteuert durch die Lehrperson.
Zu jeder Phase wird nun die Lehrperson in der Unterrichtsvorbereitung geeignete Methoden bestimmen, mit deren Hilfe die Lernenden die Inhalte erarbeiten. Das Zusammenspiel von Phasen und Methoden bezeichnen wir als Choreografie des Unterrichts (vgl. Oser/Baeriswyl 2001). Vorgegeben ist der Lernweg (Phasen), mehr oder weniger frei wählbar ist der methodische Zugriff, also die Art und Weise, wie der Unterricht gestaltet wird (Städeli/ Obrist 2013, S. 53 f.), wobei sich freilich nicht jede Methode für jede Phase gleichermaßen eignet (vgl. Abbildung 9, S. 35).
Jeder Unterricht hat eine äußere und eine innere Seite (vgl. Seite 16). Außen ist sichtbar, in welcher Organisations- und Sozialform der Unterrichtsprozess bei einer gegebenen Methode gestaltet wird. Ihre Außenseite zeigt also, wie der Unterricht aufgebaut und rhythmisiert ist (vgl. Abbildung 9, Kreis 1). Mit Innenseite meinen wir die Aktivitäten der Lernenden bei der fraglichen Methode, die Art und Weise, wie sie Inhalte, Ziele und Vorgehensweisen miteinander verknüpfen, wie sie also durch Aufgaben- und Problemstellungen Ressourcen aufbauen und einsetzen müssen, um das vorgegebene Ziel zu erreichen, kurz: wie sie lernen (→ Abbildung 9, Kreis 2). Mit jeder Methode erwerben die Lernenden bei der Umsetzung Strategien, die sie befähigen, in Zukunft vergleichbare Situationen zu meistern. Als Strategien bezeichnen wir die komplexen Vorgehensweisen bei der Lösung einer Aufgabe oder der Bearbeitung eines Problems (vgl. Wild/ Hofer/Pekrun 2006, S. 245; vgl. auch S. 18 ff.).

Die Auswahl der Methoden spielt also im AVIVA©-Modell eine entscheidende Rolle. Dies zeigt Abbildung 9, in der die Methoden im Kreis 1 dargestellt sind. Die Wahl der Methode ist zugleich eng mit dem vorgegebenen Inhalt verwoben. »Man kann nicht über nichts unterrichten« (Terhart 2009); im Unterricht werden über das methodische Handeln der Lehrperson und der Lernenden stets auch inhaltliche Strukturen – Wissen – aufgebaut: Eine Methode ohne Inhalt, das wäre, bildlich gesprochen, wie Stricken ohne Wolle.

Rolle und Stellenwert der Methoden im AVIVA©-Modell
Was verstehen wir unter »Methoden«?
Unterrichtsmethoden sind, wie Hilbert Meyer (2005, S. 45) schreibt, »Formen und Verfahren, in und mit denen sich Lehrer und Schüler die sie umgebende natürliche und gesellschaftliche Wirklichkeit unter institutionellen Rahmenbedingungen aneignen«. Bezogen auf den kompetenzorientierten Unterricht nach AVIVA©, bedeutet dies, dass durch den Einsatz von Methoden gezielt »Situationen« geschaffen werden, die möglichst viel mit der »natürlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit« zu tun haben. In diesen Lehr-Lern-Arrangements unter den »institutionellen Rahmenbedingungen« von Unterricht können sich die Lernenden Ressourcen aneignen oder die bereits erworbenen Ressourcen in noch wenig bekannten Feldern anwenden. Diese Zusammenhänge sind in Abbildung 10 dargestellt.

Bei der Planung von Unterricht stellt die Lehrperson aber nicht die methodischen Settings in den Vordergrund, sondern überlegt sich zuerst, welche Ressourcen aufgebaut und gefördert werden sollen. Bei der Ressource Wissen erstellt sie eine inhaltliche und thematische Struktur (vgl. Städeli/Obrist 2013, S. 39) und denkt darüber nach, mit welchen Ressourcen aus den Bereichen Fertigkeiten und Haltungen die entsprechenden Inhalte verbunden werden können – dies natürlich in Übereinstimmung mit den Zielen, die in den Lehrplänen vorgegeben sind. Unterrichtsziele, -inhalte und -methoden stehen immer in Wechselwirkung zueinander.
Wir dürfen also unsere methodischen Vorbereitungsarbeiten und unser methodisches Handeln einerseits nie von den Inhalten und Zielen abkoppeln. Zum andern aber – und das ist entscheidend – soll unsere Methodik in einem kompetenzorientierten Unterricht kurz-, mittel- oder langfristig dazu führen, dass die Lernenden ihr Arbeiten selbstständig angehen können. Wir wählen demzufolge methodische Settings, in denen die Lernenden immer häufiger selbstreguliert arbeiten können, wechseln also mit der Zeit vom direkten zum indirekten Vorgehen (→ Seite 13) – das ist das Ziel.









