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FÜR ERIK UND LEIF
SKALBARD ODINSON
DIE SAGA VON
WITTE WITTESSON
UND ANDERE WIKINGERLEGENDEN

EDITION ROTER DRACHE
1. Auflage März 2017
Copyright © 2016 by Edition Roter Drache
Edition Roter Drache, Haufeld 1, 07407 Remda-Teichel.
email: edition@roterdrache.org; www.roterdrache.org
Buchgestaltung: Eny Tabea Menzel
Titelbild: Fire from the Fens © by Chris Collingwood
Lektorat: Sarah Bräunlich
Gesamtherstellung: Book Press
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018
Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache und der Übersetzung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Ton- und Datenträger jeder Art und auszugsweisen Nachdrucks sind vorbehalten.
ISBN 978-3-944180-92-2
Cover
Titel
Impressum
1. Die Saga von Gunnar Stierkopf
2. In Vinum Veritas
3. Die Saga von Witte Wittesson
Teil 1: Des Königs neue Mauer
4. Das Thorjan’sche Pferd
5. Igel in der Grube
6. Die Saga von Witte Wittesson
Teil 2: Schnee-Wittes Tochter
7. Tatort Visby
8. Feuerschiff
9. Die Saga von Witte Wittesson
Teil 3: Wiedergänger
10. Das Schicksal der Nornen
11. Wolfsbrut
12. Skrälinge
13. Wahre Weiberhelden
Der Autor
1.
DIE SAGA VON GUNNAR STIERKOPF
Gunnar Thorfasson war der Jarl einer recht ansehnlichen Siedlung in Schonen, die genau an der Stelle gegründet wurde, an der ein breiter Fluss in die mächtige Ostsee mündete.
Jeder Händler der sich auf dem Weg in das dahinter liegende Binnenland begab, musste zwangsläufig bei Gunnar halt machen, und so war der Jarl und seine Siedlung durch viele Winter hinweg zu Reichtum und Einfluss gekommen.
Gunnars größter Schatz, den er hütete wie ein Drache seinen Hort, war allerdings seine Tochter Dotta. Blond wie ein Weizenfeld im Herbst, mit Augen so blau wie ein frischer Frühlingsmorgen, Haut so weiß wie die schneebedeckten Felder im Winter und ein Herz so warm wie ein heißer Sommertag.
Kein Mann konnte sie erblicken ohne sofort ein heißes und inniges Verlangen nach ihr zu verspüren. Selbst viele Stunden später hatten sie noch Dottas liebreizendes Gesicht vor Augen, und so schliefen in keiner anderen Siedlung Midgards so viele Männer am Abend mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen ein wie in dieser – so wie auch in keiner anderen Siedlung so viele Männer im Schlaf von ihren Weibern ermordet wurden.
Dotta allerdings hatte für keinen anderen Mann Augen als für Eskil Vidkuunson, den Sohn eines wohlhabenden Hofbesitzers aus dem Binnenland, der oft in die Siedlung kam, um Vieh zu verkaufen oder andere Waren einzukaufen.
Eskil, nachdem er ihre Blicke bemerkt hatte, fand immer wieder Möglichkeiten, mit ihr ins Gespräch zu kommen, und bald gestanden sie sich ihre Liebe und trafen sich heimlich an stillen versteckten Orten weit weg vom geschäftigen Treiben des Marktplatzes. Immer öfter kamen sie zusammen und schließlich nahm Eskil fast täglich den langen Weg vom Hof seines Vaters zu Gunnars Siedlung in Kauf, um seine Angebetete für einen kurzen Augenblick sehen zu dürfen. Nicht lange und es reifte in Eskil der verständliche Wunsch, Gunnar um die Hand seiner Tochter zu bitten und sie für immer mit auf seinen Hof zu nehmen. Dotta, die wusste, dass ihr Vater anderes im Sinne hatte und sich wünschte, seine Tochter einem mächtigen Mann, vielleicht sogar dem König selbst, zum Weibe zu geben, bat ihn, sich zu gedulden, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war – obwohl sie in ihrem Herzen wusste, dass dies wohl nie der Fall sein würde. Und so lag immer ein trauriger Schatten auf ihrem Gesicht, wenn Eskil sie am Abend verließ, um alleine auf seinen Hof zurückzukehren.
Und auch Eskil bemerkte diesen Schatten und schalte sich jede Nacht dafür, seiner Geliebten einen solchen Schmerz zu bereiten. Eines Tages konnte es Eskil nicht mehr länger ertragen und er nahm all seinen Mut zusammen und betrat Gunnars Halle, um sein Ansinnen vorzutragen.
Gunnar und die freien Männer der Siedlung hatten an diesem Abend dem Met und Bier sehr zugesagt und die Halle erzitterte von ihrem grölenden Gelächter über so manch derben Spaß.
Der Jarl, der am leicht erhobenen Kopfende der Halle auf seinem Hochstuhl saß, schien der trinkfesteste unter all seinen Gefährten zu sein und ließ sein Trinkhorn schneller und öfters nachfüllen als jeder andere.
Dennoch ließ sich Eskil nicht beirren und bahnte sich zielstrebig einen Weg zwischen und teilweise über den berauschten Männern hindurch, bis er direkt vor Gunnar stand.
Als der Jarl ihn mit seinen glasigen Augen entdeckte, erhob er sich schwankend von seinem Hochstuhl und brüllte über den Lärm seiner Männer hinweg: „Schweigt, meine Freunde! Seht ihr denn nicht, dass dieser junge Mann den Rat seines Jarls erbitten möchte?!“
„Nun, eigentlich ist es kein Rat, den ich suche“, begann Eskil verlegen, als die Männer zu Ruhe gekommen waren und ihn neugierig anstarrten. „Mein Name ist Eskil, Vidkunn’s Sohn, aus dem Hinterland, und ich bitte dich, gib mir deine Tochter Dotta zur Frau!“
Zuerst blieb Gunnar vor Erstaunen über das Gehörte der Mund offen stehen, doch dann sank er mit einem lauten, schallenden Lachen in seinen Stuhl zurück. „Nun, sag mir eins, Eskil Vidkunnsson“, kam er endlich zu einer Antwort, „ist dein Vater vielleicht ein mächtiger Jarl, oder gar der König selbst, oder ein großartiger und in ganz Midgard bekannter Schmied, dessen Werke sich mit denen der Alben messen können, oder besitzt er zumindest einen Hort voll Gold und Silber, dass du es wagst, mich, Gunnar Thorfasson, um die Hand meiner Tochter zu bitten?“
Mit Stolz erhobenem Haupt und fester Stimme entgegnete Eskil: „Mein Vater nennt sich nicht Jarl, doch ist er Herr seines eigenen Hofes und besitzt ein eigenes Schiff, und er ist auch kein berühmter Schmied, obwohl man mir selbst einiges Geschick in dieser Kunst zugesteht, auch besitzt er nicht viel Gold und Silber, doch ist er reich an Land und Vieh.“
„Also ist er ein Bauer!“, lachte Gunnar auf. „Sag mir, was will der Sohn eines Bauern mit der Tochter eines Jarl? Die Bauern, die ich kenne, kommen nur in meine Siedlung, um Rinder zu kaufen. Hältst du meine Tochter etwa für eine Kuh?“
Lautes Gelächter kam auf, doch Gunnar gebot seinen Männern mit einer schnellen Geste zu schweigen. „Lacht nicht, meine Freunde“, fuhr er fort, „denn wenn er meine Tochter für eine Kuh hält, was bin ich dann? Ein Stier? Nein, einem Stier würde er nicht so mutig entgegentreten. Er hält mich für einen Ochsen! Einen alten, dummen Ochsen!“ Wieder grölten die Männer vor Lachen. Einige hielten sich sogar die Hände mit ausgestreckten Zeigefingern wie Hörner an den Kopf und fingen laut an zu muhen.
„Hör zu, mein Junge“, wandte der Jarl sich wieder an Eskil, und dabei war der Spott in seiner Stimme nicht zu überhören, „solltest du mich eines fernen Tages tatsächlich mit Hörnern auf dem Kopf und einem Schwanz am Arsch durch meine Siedlung laufen sehen wie einen alten Ochsen, so verspreche ich dir bei Odin und Freya und allen Göttern die es hören, am selben Abend noch will ich dir meine Tochter zum Weib geben. Doch bis dahin: Verschwinde aus meinen Augen und lass dich hier nicht mehr blicken!“
Gedemütigt und mit hochrotem Kopf wandte sich Eskil wortlos um und wollte gerade aus Gunnars Halle treten, als der Jarl ihm hinterherrief: „Noch einen guten Rat auf den Weg, mein Junge, Knorri Bergfinsson hat die besten Rinder in der Umgebung, vielleicht willst du ja dort dein Glück bei einer jungen Kuh versuchen!“
Unter dem lauten Gelächter der Männer verließ Eskil die Halle, rannte aus der Siedlung durch die umgrenzenden Wiesen und Wälder und blieb erst wieder stehen, als er den Hof seines Vaters erreichte.
Lange Zeit traute sich Eskil vor Scham nicht mehr zurück in Gunnars Siedlung, doch schließlich siegte die Sehnsucht nach Dotta und er machte sich, verkleidet, sein Gesicht unter einer weiten Kapuze versteckend, auf den Weg.
Auch Dotta, der Gunnar die Geschichte des ungehörigen Freiers in allen Einzelheiten erzählt hatte, grämte sich vor Sehnsucht nach Eskil und sie ging Tag für Tag auf den Markt, um nach dem geliebten Gesicht Ausschau zu halten.
Ihr Herz zersprang beinahe vor Glück, als sich Eskil ihr endlich zu erkennen gab. Doch die gemeinsame Freude wurde bald getrübt, da Eskil ihnen in Erinnerung rief, dass er mit seinem Antrag wohl jegliche Hoffnung auf ein gemeinsames Leben für immer zerstört hatte.
Aber Dotta lächelte mild und nahm seine Hand in die ihre. „Viel Hoffnung bestand nie“, gestand sie ihm. Doch um ihn aufzuheitern, fügte sie hinzu: „In Wirklichkeit ist sie nun sogar größer als je zuvor, da er bei den Göttern geschworen hat, mich dir zur Frau zu geben, sollten ihm Hörner und Schwanz wachsen!“
Zuerst war Eskil ein wenig gekränkt wegen dieses Scherzes, doch dann hellte sich sein Gesicht wieder auf und er begann zu lachen. „Fürwahr, das hat er. Er schwor es vor all seinen Männern und im Namen Allvater Odins und aller Götter!“
„Wieso freust du dich so?“, wollte Dotta verwundert wissen. „Glaubst du etwa, das könnte wirklich geschehen?“
„Wieso nicht?“, entgegnete Eskil geheimnisvoll. „In drei Tagen ist Mitsommer, da geschehen viele wunderbare Dinge.“
„Wunderbare Dinge?“, zweifelte Dotta. „Die halbe Siedlung wird in der Halle meines Vaters sein und feiern bis keiner mehr stehen kann. Mehr ist an Mitsommer noch nie geschehen!“
„Ich weiß“, antwortete Eskil mit breitem Grinsen, „das ist alles, was ich brauche.“
Mehr wollte Eskil Dotta nicht sagen und auch nicht warum sie ihm einen Eisenhelm ihres Vaters besorgen sollte. Dennoch tat sie es bereitwillig und sofort, nachdem Eskil ihn erhalten hatte, machte er sich auf den Weg nach Hause.
Dort angekommen, ging er direkt in den Stall, in dem einige Knechte damit beschäftigt waren, einen am Morgen geschlachteten Ochsen zu verarbeiten. Umgehend schritt er mit seinem Messer zur Tat, dann nahm er seine Beute und ging damit zur Schmiede.
Eskil war ein begabter Schmied und die Arbeit ging ihm leicht von der Hand. Schon am nächsten Tag konnte er sein vollendetes Werk in Händen halten.
Voller Stolz brachte er es am folgenden Tag in die Siedlung und übergab es einer staunenden, und nachdem sie den Plan erkannt hatte, freudig lachenden Dotta. Und noch etwas gab er ihr, was ihr allerdings neben dem Lächeln ein kleines Naserümpfen entlockte. „Das musst du an seinen Gürtel knoten. Hinten“, sagte Eskil mit einem Augenzwinkern.
Dann umarmte er sie und entließ sie in die Halle ihres Vaters, in der sie an diesem Abend, wie immer an Mitsommer, zusammen mit den anderen Frauen, Gunnar und seine Gefährten bewirten musste.
Und wie Dotta es vorausgesagt hatte, tranken der Jarl und seine Gäste wie an jedem Mitsommer zuvor, bis keiner von ihnen mehr stehen konnte. Gunnar selbst, der wie bei jedem großen Fest seine beste Rüstung trug, war als letzter der versammelten Schar auf seinem Hochstuhl sitzend eingeschlafen.
Nachdem sich auch die Frauen zur Ruhe gelegt hatten, blieb nur noch Dotta wach, um Eskils List in die Tat umzusetzen. Leise kramte sie die Sachen hervor, die er ihr gegeben hatte, und schlich sich vorsichtig an ihren Vater heran.
Eskil war in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen. Er hatte am menschenleeren Marktplatz in der Nähe des Hafens allerlei trockenes Holz auf einem großen Haufen zusammengetragen.
Das tat er noch, als Dotta zu ihm gelaufen kam, um ihm zu berichten, dass sie ihren Teil des Plans erfüllt hatte.
Nun war es an ihm, die Sache zu beenden.
Er entzündete den Holzstapel und wartete, bis sich die kleine Flamme zu einem weitsichtbaren Feuer vergrößert hatte. Dann lief er zur Alarmglocke und schlug sie unter lauten „Feuer! Feuer!“-Rufen, bis die ersten verschlafenen Gestalten aus ihren Häusern geeilt kamen.
Auch in der Halle des Jarls schreckten die Rufe die Trinker aus dem Schlaf und sofort entstand ein wildes Gedränge, als die Männer zum Tor eilten, sich nach draußen zwängten und in Richtung des Feuerscheins rannten. Als letzter, da er von seinem Hochstuhl aus den weitesten Weg hatte, kam Gunnar aus seine Halle und rannte den anderen hinterher.
„Was hat das zu bedeuten?“, brüllte er, als er sich durch die verwunderte Menge zwang, die vor Eskils Lagerfeuer zum Stehen gekommen war.
Nachdem er sich umgeschaut hatte, stellte er zudem verwundert fest, dass alle, die hier zusammengekommen waren, nun nicht mehr nur das Feuer, sondern dafür umso mehr ihn mit großen Augen anstarrten. Irgendetwas an ihm schien ihre Blicke anzuziehen. Bald zeigten auch einige mit ihren Fingern auf seinen Kopf und offensichtlich auch auf seinen Hintern.
Beunruhigt taste er zuerst nach seinem Hintern. Schnell fand seine Hand etwas Langes, Dünnes, seltsam Weiches, was dort aber ganz und gar nicht hingehörte. Er zog es nach vorne und stellte zu seiner Überraschung fest, dass ihm irgendjemand einen abgetrennten Kuhschwanz an den Gürtel gebunden hatte.
Dann taste er nach seinem Kopf und stellte verwundert fest, dass er wohl seinen Helm trug, der ihm obendrein plötzlich schwerer als sonst vorkam. Langsam nahm er ihn vom Kopf. Als er ihn ansah, traute er seinen Augen nicht. Links und rechts an den Seiten waren mit Eisenringen zwei gewaltige Kuhhörner, wie man sie als Trinkhorn benutzen könnte, an seinen Helm geschmiedet worden.
„Wer in Hels dunklem Reich“, polterte er mit lauter Stimme, „wagt es, mir solche Streiche zu spielen und mich zu verkleiden wie einen alten dummen…!“ Noch bevor er es aussprach, traf ihn die Erinnerung wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
„…Ochsen?“, vollendete Eskil seine Frage und trat mit Stolz erhobenem Haupt vor.
Gunnar schäumte vor Wut: „Dafür wirst du…“
„Deine Tochter heute Abend zur Frau bekommen.“, unterbrach ihn Eskil. „Denn genauso hast du es bei den Göttern geschworen, und jeder hier“, er deutete auf die versammelte Menge, „ist mein Zeuge!“
An seinen Schwur gebunden konnte Gunnar nun nicht mehr anders, als Eskil Dotta zum Weibe zu geben. Doch erst viele Winter später ballte er nicht mehr vor plötzlicher Mordlust die Finger, wenn er seinen Schwiegersohn zu Gesicht bekam.
Den Helm aber behielt er als Warnung, nicht mehr im Rausche auf die Götter zu schwören, und sein Anblick versetzte ihn auch später noch so in Rage, dass er ihn zu jedem Raubzug, den er unternahm, mitnahm und ihn in jedem Kampf aufsetzte, um in seinem Zorn wie ein Berserker unter seine Gegner zu fahren.
Viele, die eine Plünderung überlebten, an der Gunnar Stierkopf teilgenommen hatte, sprachen von den Wikingern später als Teufel, die mit Hörnern und rotglühenden Augen über sie hergefallen waren. Und selbst Jahrhunderte später noch sollte sich im mittlerweile christianisierten Abendland der Irrglaube halten, alle Wikinger hätten Hörner an ihren Helmen befestigt.
2.
IN VINUM VERITAS
Es war im Jahre 870 nach christlicher Zeitrechnung, als der tapfere Mönch Calvinus sein sicheres Kloster im Frankenland verließ, um den heidnischen Nordmännern seinen Glauben zu bringen.
Über Friesland stieß er mit zwei Glaubensbrüdern bis ins Land der Dänen vor und traf dort beizeiten auf die ersten Anhänger des in seinen Augen falschen Glaubens.
Die Gefahr für Leib und Leben verachtend, betraten sie waffenlos die nächst größere Siedlung und verlangten, vor den Dorfobersten geführt zu werden.
Die Nordmänner, denen dieses furchtlose Auftreten sehr zu gefallen schien, brachten sie ohne ihnen ein Leid zuzufügen in die große Halle ihres Jarls.
„Wer bist du und warum verlangtest du, zu mir gebracht zu werden?“, wollte der Jarl, ein blonder Hüne namens Fargrim Aalspießer, von Calvinus wissen.
„Ich bin gekommen, um euch auf den Pfad des wahren Glaubens zu führen!“, antwortete dieser mit ruhiger, fester Stimme.
„Uns zu führen?“, wiederholte Fargrim fragend. „Du siehst nicht so aus, als wolltest du uns als Söldner verdingen, oder sagen wir lieber, du siehst nicht so aus, als könntest du uns bezahlen.“
„Du verstehst mich nicht“, unterbrach ihn Calvinus schnell, und mahnte sich, seine Formulierungen besser zu durchdenken. „Ich will euch den einzig wahren Gott nahebringen, der obersten Macht über alles Leben!“
„Oh, wir verehren Odin bereits sehr, doch auch Thor und Freyr haben ihre Anhänger und unsere Fischer halten es natürlich mit Njörd“, antwortet der Jarl.
Calvinus schüttelte aufgebracht den rasierten Kopf: „Nein! Nicht diese Götzen! Den wahren Gott, den Vater im Himmel, der seinen Sohn Jesus Christus auf die Erde gesandt hat, um uns sein Reich zu verkünden.“
Endlich schien der Hüne zu verstehen: „Ah, du bist Christ! Warum sagst du das denn nicht gleich? Von deiner Sorte haben wir auch einen hier.“ Er wandte sich zu einem der Männer in der Halle: „Arn, hol Helger den Händler her, sicherlich wird er unseren Gast gerne kennen lernen wollen.“
„Es wohnt ein Christ unter euch?“, fragte Calvinus ungläubig. „Also werdet ihr schon bekehrt?“
„Bekehrt?“ Mit diesem Wort konnte Fargrim nichts anfangen.
„Verkündet er euch aus der heiligen Schrift?“, erklärte der Mönch. „Hält er Messen mit euch ab?“
„Oh, nein“, der Jarl schüttelte lachend den Kopf. „Helger ist wohl eher ein scheuer Mensch. Er meidet unsere Gesellschaft und bleibt lieber für sich!“
„Wer will es ihm verdenken“, flüsterte Calvinus zu seinen Begleitern. „Es wird nicht leicht sein, als einziger Christ unter diesen Heiden zu leben!“
„Wahrere Worte wurden in dieser Halle noch nie gesprochen!“
Calvinus drehte sich erschrocken zu dem Mann um, der plötzlich hinter ihm aufgetaucht war und sein Flüstern offenbar gehört hatte.
Noch bevor der Mönch irgendetwas sagen konnte reichte ihm der Neuankömmling aber mit einem freundlichen Lächeln die Hand zum Gruße: „Mein Name ist Helger Hafgerson. Ich bin erfreut, Männer meines Glaubens in diesem ungläubigen Vorhof der Hölle anzutreffen!“
„Ebenso wie ich“, versicherte ihm der Mönch.
„Doch was führt euch hierher?“, wollte der bekehrte Nordmann wissen.
„Ich habe es mir zum Ziel gesetzt“, erklärte Calvinus voller Stolz, „den Heiden des Nordens den wahren Glauben zu verkünden.“
„Da habt ihr euch viel vorgenommen!“, lachte Helger. „Ich habe schon oft versucht, ihnen die heilige Schrift nahe zu bringen, aber glaubt mir, es gab auf diesen ganzen Seiten voller Weisheit und Erhabenheit nur eine Stelle, die ihre Aufmerksamkeit erregt hat. Die Hochzeit von Kanaan, auf der Jesus Wasser in Wein verwandelte. Das war für sie ein wahres Wunder. Alles andere…“ Er zögerte: „Nun, ich wiederhole ihre Worte besser nicht. Sie waren auf jeden Fall nicht besonders angebracht.“
„Das glaube ich euch ungesehen!“, murmelte Calvinus und schaute in die grinsenden Gesichter der Nordmänner. „Aber warte ab, Bruder. Vielleicht kann ich ihnen auf andere Weise klar machen, dass sie sich auf dem falschen Weg befinden.“
„Was schwafelt ihr beiden da?“, unterbrach sie Fargrim. „Wenn ihr über euren schwachen Gott sprechen wollt, dann schert euch aus meiner Halle und sucht euch einen anderen Ort!“
„Schwacher Gott?“, begehrte der Mönch mit donnernde Stimme auf. „Nicht mein Gott ist es, der schwach ist, sondern deine Götzen; und wahrlich, ich werde es dir beweisen!“
Fargrim lachte laut auf und alle anwesenden Heiden folgten seinem Beispiel. „Und wie gedenkst du, das zu tun?“, wollte der Jarl wissen.
„Ich folge dem Beispiel einer meiner Vorgänger!“, verkündete er bedeutungsvoll. „Bonifatius hat viele eurer Verwandten im Süden zum rechten Glauben bekehrt, indem er ihnen die Machtlosigkeit ihrer Götzen vor Augen führte! Ich sah eine gewaltige Esche vor deiner Halle stehen. Ist sie einem deiner Götter geweiht?“
„In der Tat!“, bestätigte Fargrim. „Das ist Odins heiliger Baum! Wieso?“
„Gebt mir eine Axt!“, forderte der Mönch. „Ich werde diesen Baum fällen und ihr werdet sehen, dass mich euer Odin weder daran hindern, noch mich dafür strafen wird!“
Wieder lachte Fargrim auf und diesmal konnte sich auch Helger ein Grinsen nicht verkneifen.
„Das soll dein Beweis sein?“, fragte der Jarl nach, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. „Diesen Baum zu schützen ist unsere eherne Pflicht. Wenn wir dir gestatten würden, ihn zu fällen, während wir untätig dabei zusehen, welchen Grund hätte Odin dann noch uns beizustehen? Er würde uns deines schwachen Gottes für würdig halten und nicht einmal uns genug Beachtung für eine Bestrafung geben, geschweige denn dir!“
Helger zog dem verwunderten Mönch am Ärmel seiner Kutte. „Du solltest mehr über die Völker lernen, die du zu bekehren versuchst“, raunte er ihm zu.
„Ich verstehe das nicht. Bei Bonifatius hat es doch gewirkt“, rechtfertigte sich Calvinus.
„Wie dem auch sei“, unterbrach ihn Helger schnell, „Ihr solltet euch ganz schnell was anderes einfallen lassen, bevor…“
„Weißt du, wie man so etwas bei uns regelt?“, fiel ihnen Fargrim ins Wort.
„Zu spät“, seufzte Helger und warf Calvinus einen mitleidigen Blick zu.
„N-nein“, stotterte der Mönch, dem jetzt doch ein wenig beklommen zumute war.
„Unsere Götter gewähren demjenigen von uns, der ihr Wohlgefallen hat, die Feuerprobe zu bestehen“, erklärte der Jarl. „Wenn du uns von der Macht deines Gottes überzeugen willst, so bekommst du nun eine gute Gelegenheit dazu!“
„Die Feuerprobe?“, fragte Calvinus zögernd, während ihm der Angstschweiß langsam den Rücken herabfloss.
„Tyrfin, leg dein Schwert in die Feuerstelle!“, rief Fargrim einen seiner Krieger an, bevor er sich wieder dem Mönch zuwandte. „Es ist ganz einfach. Während das Schwert in der Glut liegt hast du Zeit, um zu deinem Gott zu beten. Wenn es dann rot glüht, wirst du es mit der Hand aus dem Feuer ziehen und zu mir tragen. Wenn dein Gott so mächtig ist, wie du sagst, wird dir dabei sicher kein Leid geschehen. Wenn aber doch, dann werden wir dich zu Odins Ehren, und als Verzeihung, weil wir deinen Worten gelauscht haben, an seiner heiligen Esche aufhängen!“
Zitternd stand Calvinus da und wusste nicht, was er sagen sollte. Der Angstschweiß rann ihm nun in Strömen von der Stirn und seine Zähne klapperten unaufhörlich aufeinander. Wahrscheinlich wäre er noch an Ort und Stelle ohnmächtig geworden, wenn ihm nicht plötzlich Helger zur Rettung gekommen wäre.
„Es ist sehr bedauerlich, Jarl“, sagte er zu Fargrim, während er den zusammen gesackten Calvinus mit den Händen aufrichtete, „aber leider kann unser Gast dieser Aufforderung ebenso wenig nachkommen, wie ihr seinem Wunsch, den Baum fällen zu dürfen.“
„Wieso nicht?“, fragte der Jarl und auch der Mönch schaute erwartungsvoll auf den christlichen Händler.
„Er hat seinem Gott geschworen, niemals eine Waffe zu berühren. Oder was denkt ihr, wieso er sonst unbewaffnet vor dir erschienen ist.“
„Stimmt das?“, wandte sich Fargrim ohne Umschweife an Calvinus.
„Ja“, bestätigte der Mönch nach langem Zögern und hatte nicht einmal gelogen, da er ein solches Gelübde noch schnell gen Himmel schickte, bevor er antwortete.
„Außerdem ist er sicher erschöpft von der langen Reise“, ergänzte Helger. „Gebt ihm eine Nacht Zeit, sich zu erholen. Morgen früh wird er sicher wissen, wie er euch von der Macht Gottes überzeugen kann.“
„Gut!“, stimmte Fargrim zu. „Er und seine Begleiter sollen heute Nacht deine Gäste sein.“