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»Alter, komm schon«, fordert er, ich bleibe aber standhaft und verlasse den Raum.
Auch nach dem dritten Long-Island wird meine Laune nicht besser, aber das drückende Gefühl in meinem Magen schlimmer. Ich ignoriere es geflissentlich. Die Stimmung im Raum ist ausgelassen, die Musik dröhnt laut und trotzdem fühle ich mich allein. Lustlos lasse ich den Blick durch den Raum gleiten. Die Gesichter der anderen und die Lichter vermischen sich und ich kann kaum noch etwas erkennen. Ein warmes Gefühl breitet sich in meinem Magen aus.
Nach und nach treten die Gespräche in den Hintergrund. Mir wird plötzlich schlecht und Flüssigkeit sammelt sich in meinem Mund. Ich stehe augenblicklich auf und schwanke kurz. An irgendeiner Schulter kann ich mich festhalten und stürze aus dem Raum. Die Schlange vor der Toilette ist ziemlich lang. Aber da Jonas mein ältester und bester Freund ist, weiß ich genau, wo ich ein Klo finde, auf dem ich ungestört bin. Lange Zeit zum Überlegen habe ich nicht, denn nur einen Wimpernschlag später krampft sich mein Magen kurz zusammen. Ich laufe die Treppe hoch, den Gang entlang und als ich die Türe rechts von mir öffne, sammelt sich bereits Galle in meinem Mund. Ich sprinte durch sein Schlafzimmer und komme genau im richtigen Moment vor der weißen Schüssel zum Knien.
Arian
Früher mochte ich Partys. Heute nicht mehr.
»Nur ein paar Stündchen.« Sie unterstreicht ihre Aussage mit den passenden Gebärden und einem flehenden Ausdruck in den Augen. Ich verschränke meine Arme. Als sie mich gefragt hat, ob ich heute Abend vorbeikommen will, dachte ich, wir hängen einfach ab und gucken einen Film. Dann hat sie mir geschminkt und in einem engen, schwarzen Kleid die Tür geöffnet und verkündet, dass sie auf diese lächerliche Fußballparty will. Deswegen stehen wir jetzt vor dem großen Haus, mit dem noch größeren Vorgarten in dem schon ein paar Kerle rumtorkeln und lachen.
»Du hast gesagt, ich soll Jonas endlich ansprechen. Heute Abend könnte ich es zumindest mal versuchen.« Ihre Augen werden groß, ihr Blick unschuldig und ich bereue es, sie immer wieder ermutigt zu haben.
»Ich kenne hier niemanden«, erwidere ich, wobei mir die Gebärden entfallen sind. Aber trotz der Dunkelheit kann Marla an meinen Lippen das Gesagte ablesen. Insgeheim vermute ich schon länger, dass sie eigentlich Gedanken lesen kann, so gruselig genau antwortet sie mir, obwohl ich manchmal zu schnell oder zu undeutlich spreche. Wahrscheinlich kennt sie mich einfach sehr gut und weiß, was ich in vielen Situationen antworten würde. Sie wusste auch ganz genau, dass ich niemals vorbeigekommen wäre, wenn sie vorher in ihrer Nachricht etwas von der Party erwähnt hätte.
»Du bist seit zwei Jahren auf dieser Schule. Ein paar Leute kennst du wohl«, entgegnet sie nur und zuckt dann mit den Schultern.
Ich lasse meinen Blick an ihr hinab gleiten und komme nicht umhin zu bemerken, wie perfekt sich das dunkle Kleid an ihren zarten Körper schmiegt und ihre blasse Haut betont.
Wenn ich da zu meiner weiten, ausgeblichen Jeans und dem beigen Shirt hinunterblicke, will ich direkt gehen.
Und wieder entgehen ihr meine Gedanken nicht.
»Du siehst aus wie ein heißer Rockstar, mit den langen Haaren und den abgenutzten Sachen.« Dabei lächelt sie mich liebevoll und aufmunternd an.
Ich bemühe mich, die Augen nicht zu verdrehen, ein ironisches Schnauben kann ich aber nicht zurückhalten.
Mein Blick gleitet von dem hellerleuchteten Backsteinhaus wieder zurück zu ihr. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich darüber nachdenke, wie es wäre Marla zu küssen. Wie sie sich unter meinen Händen anfühlen würde. Aber das aufgeregte Flattern in meiner Brust und die schwitzigen Hände bleiben bei den Überlegungen aus. Und irgendwie will ich es gar nicht erst versuchen, weil sie und Kurt, dass einzig Gute in meinem Leben sind. Das, wofür es sich lohnt, morgens aus dem Bett zu steigen.
Und das will ich mir definitiv nicht verspielen, nur weil ich seit über zwei Jahren keinen Sex mehr hatte.
Einen Augenblick später greift sie nach meiner Hand und zieht mich mit nach drinnen. Es ist voller, als ich vermutet habe. Die gesamte dunkelmarmorierte Küchenoberfläche steht voll mit alkoholischen Getränken, von denen sich gerade ein paar Leute bedienen, die ich vom Sehen her kenne. Marla lässt sich ein Bier zapfen und ich nehme mir einen Becher Cola. Auf dem Weg ins Wohnzimmer stoße ich mit einem Kerl zusammen, der im Gehen trinkt.
»O sorry, Mann«, sage ich reflexartig. Der Typ reagiert nicht und bevor ich überhaupt erkennen kann, wer es war, zieht mich Marla weiter in den großen Raum.
»Dann eben nicht«, murmele ich mehr zu mir als zu ihm. Man lernt doch schon als Kind, dass man nicht im Gehen trinken sollte. Aber bevor ich meinen Gedankengang fortsetzen kann, stehen wir inmitten des geräumigen Wohnzimmers. Alle Sofas sind aus dem Weg geschoben und ein großer Tisch mit Bechern an jedem Ende steht stattdessen in dem Raum. Die Einrichtung sieht schick aus und ist in gedeckten Blautönen gehalten. Aus den Boxen dröhnen Green Day mit einem meiner Lieblingslieder, das mein Gitarristenherz höherschlagen lässt.
Es wird gejohlt, gelacht und gerufen und obwohl ich nur ein paar Gesichter kenne, wirkt es doch wie jede andere Party. Bis auf die Tatsache, dass ich auf meiner alten Schule ein beliebter und gerngesehener Gast auf Hauspartys war. Hier nimmt niemand Kenntnis von mir. Auch wenn es mir scheißegal sein sollte, stört es mich. Nur widerwillig stelle ich mich mit Marla zu den begeisterten Beerpong-Zuschauern. Das aufgeregte Glitzern in ihren Augen erinnert mich daran, dass sie hier ist, obwohl sie nichts hören kann. Nicht die Rockmusik, die aus den eingelassenen Boxen in der Decke kommt und auch nicht all die Menschen um uns herum. Trotzdem steht sie hier mit genauso viel Begeisterung wie die anderen. Mir fehlt kein Sinn, ich bin völlig gesund, also habe ich gar nicht das Recht dazu, mich in meinem Leid zu suhlen. Sie dreht sich zu mir um und ihr trauriger Blick sorgt dafür, dass ich ein schlechtes Gewissen bekomme. Ich hebe meine Mundwinkel ein wenig und bemühe mich, wenigstens so zu tun, als würde es mir gefallen.
»Hey. Du bist doch der Neue, oder?«, fragt ein brünettes Mädchen, das plötzlich neben mir steht. Ich versuche, mein Augenrollen zu unterdrücken. Wie lange mir dieser Titel wohl noch anhaftet? Mindestens fünf Schüler sind nach mir ans Bechtstein gekommen.
»Arian.« Dabei bemühe ich mich, ihr nett zu zulächeln.
»Nayomi«, antwortet sie und strahlt mich aus dunkelbraunen Augen an.
»Hast du Lust zu tanzen?«, fragt sie und greift nach meiner Hand. Ich werfe Marla einen entschuldigenden Blick zu, die mir mit ihrem Nicken versichert, dass alles in Ordnung ist. Ihre Aufmerksamkeit wird den Rest des Abends sowieso auf Jonas liegen.
Wir bewegen uns zu Dressed for success, wobei Nayomi mir immer wieder ein Stück näherkommt. Ich tanze ziemlich gerne, auch wenn sich in letzter Zeit kaum eine Gelegenheit dazu ergeben hat. Es ist ein schönes Gefühl, nur auf die Musik zu hören und den Körper folgen zu lassen. Und schon wenige Augenblicke später merke ich, wie der Druck der Ausweglosigkeit von meiner Brust verschwindet. Wie jeder Gedanke an mein jetziges Leben, welches mich nachher zu Hause erwartet, wie weggeblasen ist.
Immer wieder schließe ich meine Augen, nur um den Moment ein Stück länger festzuhalten. Als ich sie das nächste Mal öffne, liegt ein sinnliches Lächeln auf ihren Lippen und sie streckt sich noch ein Stück mehr zu mir. Dann lasse ich einfach los, schließe meine Lider und küsse sie. Ihr Mund fühlt sich weich auf meinem an. Und auch wenn der Kuss kein Kribbeln verursacht, ist er trotzdem schön. Sie öffnet ihre Lippen und nur wenige Sekunden später berührt ihre Zunge meine. Sie schmeckt so süß wie sie riecht. Eine leichte Gänsehaut streicht über meinen Körper und ich ziehe sie noch ein Stück näher zu mir. Meine Hände liegen an ihrer Taille, während sie ihr Becken an meins drückt. Nur einen Wimpernschlag später löse ich mich wieder von ihr. Ihre Augen glitzern verführerisch. Doch bevor sie sich noch weiter an mich pressen kann und ich am Ende mit einem Ständer mitten auf der Party stehe, mache ich einen Schritt zurück. Früher hätte ich kein Problem damit gehabt, mit ihr auf irgendein Zimmer zu verschwinden.
In der achten Klasse habe ich mit meinen besten Freunden eine Band gegründet und wir waren schnell bekannt auf der Schule und in einigen Städten und Ortschaften drum herum. Es hat mir das Herz gebrochen, als Papa dann Iris auf seiner Geschäftsreise getroffen hat und wir nur wenige Monate später zu ihr gezogen sind. Damals bin ich noch siebzehn gewesen, sonst wäre ich womöglich dortgeblieben. Aber wahrscheinlich hätte ich Papa sowieso nie verlassen.
Nayomis verwirrter Blick reißt mich aus der Vergangenheit. Sie beugt sich näher zu mir. »Habe ich was falsch verstanden?«
Ich schüttele mit dem Kopf und will gerade etwas ergänzen, da hat sie wieder ihren Mund auf meinen gedrückt. Diesmal ist ihr Kuss nicht mehr so unschuldig wie zuvor. Ihre Lippen gleiten zwar immer noch zart, aber fordernder über meine. Ihre Beine stehen zwischen meinen, die sich im Takt zu einem langsamen Song bewegen. Unsere Zungen tanzen in einem ganz anderen Rhythmus miteinander. Auch wenn sich immer noch kein prickelndes Gefühl in meinen Adern ergießt oder die Musik in den Hintergrund tritt, kann ich mich trotzdem nicht von ihr trennen. So, als würde mein Körper nach Zuneigung lechzen. So, als hätte er meinen Verstand gestürzt und die Kontrolle übernommen. Also gebe ich mich hin und folge ihr, als sie meine Hand nimmt und mich aus dem Raum zieht.
Im Flur drücke ich sie gegen die Wand und küsse ihre Lippen. Dann wandere ich an ihrer Wange entlang, bis ich die Stelle unter ihrem Ohr erreiche.
»O Gott, du bist so heiß«, haucht sie, was meinen Schwanz härter werden lässt. Und obwohl ich ihr am liebsten hier schon den lächerlich kurzen Jeansrock hochschieben will, besinne ich mich eines Besseren. Ich umschließe ihre Finger wieder mit meinen und wir gehen die Treppen hoch. Nicht, ohne ein paar Pfiffe von denen zu erhalten, die gerade im Flur stehen. Sie öffnet irgendeine Tür und zieht mich mit sich. Meine Lippen liegen heiß und begierig auf ihren. Während meine Zunge ihren Mund erobert, reibt sie ihr Becken gegen meins und stöhnt genüsslich auf. Ihre Töne feuern meinen Schwanz an und ich spüre, wie es immer enger in meiner weiten Jeans wird.
»Zieh dich aus«, verlange ich von ihr. Ihr süßer Geschmack haftet immer noch an meinen Lippen, als sie sich schwer atmend von mir löst. Dann greift sie nach dem Saum ihres Shirts und streift es ganz langsam ab. Dabei hält sie meinen Blick mit ihren lustverhangenen Augen gefangen. Ihre Hände wandern ihren Körper bis zum Bund des Jeansrocks hinunter und ich wünschte, es wären meine.
»Du bist unglaublich schön«, flüstere ich, was sie verführerisch lächeln lässt. Als sie den Knopf ihres Rocks langsam öffnet, pocht mein Schwanz und meine Atmung geht schneller.
»Dreh dich um«, murmele ich verlangend, als sie sich das Kleidungsstück von den Hüften schieben will. Sie blickt mich kurzzeitig verwirrt an, kommt meiner Bitte aber dann nach. Als sie mir ihren knackigen Arsch, in einem knappen, schwarzen Höschen präsentiert, stöhne ich erregt auf. Fuck.
Dann dreht sie sich wieder zu mir um und leckt sich über die Lippen, bevor sie ein paar Schritte auf mich zukommt. Ich will gerade die letzten Meter überbrücken und weiter von ihr kosten, als seltsame Geräusche den Raum erfüllen.
Im ersten Moment kann ich sie nicht genau einordnen, im zweiten wird mir klar, dass sich irgendwer gerade übergibt. Keuchend löse ich mich von ihren Lippen. Sie greift nach dem Verschluss ihres BHs, während mein Blick durch das Schlafzimmer streift, bis er an der geschlossenen weißen Tür hängen bleibt.
»Warte kurz«, sage ich und wende mich von ihr ab.
»Was?« Aber ich höre ihre Stimme kaum noch, als ich die Tür aufmache.
Über der Kloschüssel hängt ein Kerl mit dunklen Haaren und leert ziemlich geräuschvoll seinen Mageninhalt. Er scheint so hinüber, dass er noch nicht mal mitbekommt, wie ich den Raum betrete. Ich will gerade etwas sagen, da spüre ich Nayomi hinter mir.
»Wer ist das?«, fragt sie, weil mein Körper ihr die Sicht versperrt.
»Warte bitte einfach. Ich will nur sichergehen, dass er allein klarkommt«, antworte ich und drehe mich noch kurz zu ihr, bevor ich die Tür zu mache. Aus irgendeinem Grund will ich nicht, dass sie ihn sieht. Am Ende wird nur darüber geredet, weil die Leute ihr eigenes Leben zu langweilig finden. Mein Blick wandert wieder zu dem Typen, der aufgehört hat zu würgen und jetzt ziemlich ungemütlich an der Schüssel hängt. Ich gehe einen Schritt auf ihn zu und stupse ihn vorsichtig an. Er rutscht sofort von der Klobrille ab und ich kann geradeso noch nach ihm greifen, bevor sein Kopf gegen die Glastür der Dusche geschlagen wäre. Schwer hängt er in meinen Armen und seine Lider flattern immer wieder, ansonsten reagiert er kaum. Ich lasse ihn sanft auf den Boden gleiten und lege ihn auf die Seite. Keine Ahnung, ob das medizinisch so korrekt ist, aber er kann so zumindest nicht an seinem Erbrochenen ersticken. Ich mache mich auf die Suche nach einem Waschlappen, da klopft es an der Tür.
»Adrian, bist du bald fertig?« Arian.
»Kannst du Marla holen gehen?«, frage ich laut und werde im selben Moment im Unterschrank fündig.
»Was?« Ich verdrehe die Augen und lasse kaltes Wasser über den blauen Lappen laufen.
»Sorry. Das wird heute nichts mehr. Könntest du vielleicht, wenn du runter gehst, Marla Bescheid sagen? Schwarze Haare, schwarzes Kleid«, beginne ich sie zu beschreiben, werde jedoch von Nayomis Stimme unterbrochen.
»Fick dich.« Dann eben nicht.
Ich wringe den Waschlappen etwas aus und fahre ihm damit über die Stirn. Sein Körper erschaudert kurz, aber die Augen bleiben geschlossen. Ich streiche mit dem Lappen über die dunklen Augenbrauen und seine Lider, an denen dichte, lange Wimpern hängen. Dann wische ich die klebrigen Reste des Erbrochenen von seinen Mundwinkeln ab. Seine Gesichtszüge kommen mir bekannt vor, ich kann sie aber niemanden zuordnen.
Ich mache das Bad sauber, werfe den Lappen in den Wäschekorb und blicke nochmal zurück zu dem Typen mit den fast schwarzen, strubbeligen Haaren und dem ebenso schwarzen Hemd, auf dem von meiner Waschaktion einige nasse Flecken verblieben sind. Ich weiß nicht so recht, was ich machen soll, weil Nayomi natürlich nicht Marla gerufen hat. Ich will den Kerl aber auch nicht hier liegen lassen. Nach kurzer Überlegung nehme ich mein Handy und tippe eine Nachricht an Marla.
Arian @Marla [1:23]:
Ich muss einen betrunkenen Typen nach Hause fahren. Lasse mein Handy aber an, melde dich also, wenn ich dich abholen soll. X
Da ich leider absolut keine Ahnung habe, wer er ist und somit auch nicht weiß, wohin ich ihn fahren soll, versuche ich ihn wach zu rütteln. Als das nicht funktioniert, atme ich einmal kurz durch und gebe ihm eine Ohrfeige. Das klatschende Geräusch hallt von den Fliesen wider. Dann öffnet er flatternd seine Lider. Seine rechte Wange läuft derweilen rot an, was mich ihn entschuldigend angrinsend lässt.
»Wo?«, lallt er und guckt aus blauen, glasigen Augen zu mir auf.
»Ich bring dich jetzt heim. Hab allerdings keine Ahnung, wo du wohnst.«
»Okay«, antwortet er nur und versucht sich aufzurichten. Ich reiche ihm meine Hand und ziehe ihn nach oben. Dann lege ich ihm meinen Arm um die Schulter, da er ein gutes Stück kleiner ist als ich. Er hält sich an meinem weiten T-Shirt fest und so verlassen wir schwankend das Bad. Bei jedem Schritt versuche ich seine unkoordinierten Bewegungen auszubalancieren. Wir schaffen es die Treppe runter, ohne dass er fällt, und kommen sogar ungesehen an der Menge an Leuten vorbei, die sich im Flur aufhält. Aber nur, weil sich gerade zwei Typen schubsen und alle Umstehenden lautstark nach einer Schlägerei verlangen.
Ich schleppe seinen schweren Körper zu Marlas Golf, den ich heute fahren darf.
Nachdem ich ihn und mich angeschnallt habe, frage ich nach seiner Adresse.
»Garrrtennstraße zwöölf«, bringt er lallend hervor. Ich gebe die Adresse in mein Handy ein und hänge es an die vorgesehene Halterung. Nach zehn Minuten biege ich bereits in die Zielstraße ein. Wahrscheinlich hätten wir den Weg auch zu Fuß meistern können. Allerdings wären wir mit ihm bestimmt eine Stunde unterwegs gewesen. Nachdem ich ihm beim Aussteigen geholfen habe, gehen wir einen gepflasterten Weg durch einen hübsch angelegten Vorgarten entlang. Zumindest sieht er bereits in dem spärlichen Licht der Straßenlampen sehr ordentlich aus. Wir schaffen die drei Stufen und stehen an einer großen Holzeingangstüre.
»Schlüssel?«, frage ich und gucke zu dem Dunkelhaarigen an meiner linken Seite.
»Reschts. Vorne«, entgegnet er, ohne seine Hand von meiner Taille zunehmen. Mit der anderen stützt er sich am Haus ab. Ich atme genervt aus. Dann schiebe ich meine rechte Hand in seine Hosentasche. Die schwarze Jeans sitzt eng und da er sich noch nicht mal bemüht mich irgendwie zu unterstützen, brauche ich einen Moment, um das warme Metall zu finden. Plötzlich kommt mir der Augenblick viel zu intim vor und eine Gänsehaut legt sich über meinen Körper. Als ich dann noch beim Rausziehen des Schlüssels seinen Penis streife, schlägt mein Herz viel zu schnell und ich würde am liebsten sofort verschwinden.
»Hör auf mich zu begrabbbschen«, sagt er daraufhin und fängt laut an zu lachen. Ich rolle mit den Augen und verkneife mir jeden Kommentar. Bevor ich die Tür öffne, werfe ich einen kurzen Blick zu dem Klingelschild.
Hier wohnt Familie Zell mit Katrin, Jens, Elias und Mila.
Elias Zell, »Starstürmer« des 1.FC Bromburg. Sein Gesicht kommt mir so bekannt vor, weil ich mit Marla schon zu oft ein Spiel von ihnen gucken musste, auch wenn mich Fußball so gar nicht interessiert. Aber da sie seit langer Zeit auf Jonas Schmitt, Mittelfeldspieler und Elias‘ besten Freund steht, habe ich ihr natürlich den Gefallen getan und bin mitgekommen.
Wenig später stehen wir mitten im Flur. Er wankt immer noch, löst sich aber von mir, um dann fast über seine Füße zu fallen. Völlig überrumpelt bekomme ich ihn zu spät zu fangen und er stürzt auf die Stufe.
»Scheiße«, flucht er laut und versucht sich mühsam aufzurichten. Bevor er ein zweites Mal fallen kann, greife ich ihm unter die Arme und halte ihn fest.
»Ich lege mich auf die Couch«, sagt er undeutlich und will sich wieder Richtung Haustür bewegen.
»Ich helfe dir.« Ich entscheide, ihn doch nach oben zu bringen, weil ich keine Ahnung habe, ob er sonst Stress mit seinen Eltern bekommt. Die ersten Stufen schaffen wir gerade so, obwohl er nur noch mit einem Bein richtig auftritt. Dabei ächzt er immer wieder vor Schmerzen und bringt mich beinahe zum Fallen, weil er so stark an mir zerrt.
»Stopp«, sage ich, als ich fast ins Leere getreten wäre. Ich überlege nicht lange, greife unter seine Knie und hebe ihn hoch. Er ist verdammt schwer, weil seine Körperspannung dem Alkohol erlegen ist. Trotzdem schaffen wir es schneller nach oben. Er dirigiert mich zu dem Zimmer am Ende des Flurs und ich versuche das seltsame Gefühl in meinem Magen zu ignorieren, was immer wieder aufkommt, wenn ich zu ihm blicke.
Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Kerl so getragen zu haben. Mit dem Moment in seiner Hosentasche sind das zwei erste Male, auf die ich locker hätte verzichten können. Ich lege ihn auf seinem Bett ab und ignoriere das nervöse Ziehen in meiner Magengegend, als ich ihn auf der hellen Bettwäsche einen Augenblick zu lange betrachte. Dann treffen unsere Blicke aufeinander und ich muss hart schlucken, weil er mich genauso interessiert betrachtet, wenn auch mit einem benebelten Ausdruck. Ich erwarte einen dummen Spruch, als er das nächste Mal seinen Mund öffnet.
»Du bist ziemlich hübsch.« Und plötzlich ist da dieses verdammte Kribbeln in meinem ganzen Körper. Stunden zu spät. Ruckartig wende ich mich ab, fülle ihm das Glas auf seinem Nachttisch mit Wasser und stelle es zurück. Ich spüre seinen Blick auf mir und versuche das Gefühl zu ignorieren, das er in mir auslöst.
»Legst du dich zu mir?«, fragt Elias dann. Seine Stimme ist kratzig und mein Körper erliegt ihr augenblicklich. Jedes Härchen stellt sich auf und peinlicherweise ist es nicht das Einzige, was sich aufrichtet.
Ich hätte ihn einfach in dem Bad liegen lassen und mit Nayomi vögeln sollen. Doch bevor ich überhaupt antworten kann, klingelt mein Handy mit dem Ton, den ich speziell für Marla eingerichtet habe. Dankbar greife ich sofort danach.
Marla [2:04]:
Kannst du mich abholen?
»Ich muss los«, sage ich, tippe eine Antwort und blicke nochmal in seine Richtung. In dem warmen Licht der Nachttischlampe schimmern seine Augen glasig und plötzlich überzieht eine Traurigkeit das dunkle Blau.
»Lass mich nicht allein«, fleht er und seine dünne Stimme bricht mir beinahe das Herz.
»Ich kann nicht bleiben«, erwidere ich und will mich gerade abwenden.
»Bitte, komm wieder«, sagt er dann nachdrücklich.
»Du bist doch nicht alleine. Deine Eltern sind doch da.«
»Nein«, entgegnet er und der Ausdruck in seinem Gesicht ist so verzweifelt, dass ich tatsächlich überlege Marla heimzubringen, und wieder zu kommen. Allerdings muss ich morgen um sechs zuhause sein, weil ich Kurt rauslassen muss. Meine Stiefschwestern weigern sich nämlich strikt, so früh aufzustehen und Iris würde mir sowieso nicht antworten, wenn ich sie frage.
»Ich versuch’s«, entgegne ich und verlasse sein Zimmer so schnell, dass es einer Flucht gleichkommt. Dabei trommelt mein Herz heftig. Auch dann noch, als ich die Schlüssel wieder zurück in meine Tasche schiebe, anstatt da zu lassen.
Kapitel 3
Elias
Ein nervtötender Ton reißt mich nicht nur aus dem Schlaf, sondern spaltet zeitgleich auch mein Hirn. Der aufblitzende Schmerz wird nicht wie sonst von einer absoluten Dunkelheit verschluckt, sondern tritt in den Hintergrund, als sich neben mir jemand bewegt.
»Fuck«, höre ich seine tiefe, raue Stimme und bleibe einen Moment wie versteinert und mit geschlossenen Augen liegen. Ich bemühe mich, meine Atmung zu kontrollieren. Der Klingelton verstummt. Ich höre das Rascheln von Kleidung und Schritte in meinem Zimmer. Die ganze Zeit spüre ich seinen Blick auf mir, versuche mich aber schlafend zu stellen. Seit Jahren hat niemand mehr bei mir übernachtet. Selbst Jonas nicht. Und seine Stimme ist es nicht. Doch bevor ich meine Augen nur kurz öffnen kann, schließt sich meine Zimmertür. Mein Herz schlägt schnell und meine Atmung geht nur stoßweise. Vergessen sind der Kopfschmerz und die Dunkelheit, die sich ganz langsam in meinem Körper ausbreiten. Wer zur Hölle war das? Und warum legt er sich einfach in mein Bett? Schockiert reiße ich meine Augen auf und blicke an meinem Körper hinab. Ich trage immer noch das schwarze Hemd und die passende Röhrenjeans. Erst jetzt realisiere ich den widerlichen Geschmack in meinem Mund. Ich drehe mich zu dem schwarzen, kleinen Holztischchen neben meinem Bett und greife nach dem Glas Wasser. Normalerweise bin ich nicht so umsichtig, wenn ich betrunken bin. Vor allem kann ich mich nicht entsinnen, es da hingestellt zu haben. Allerdings ist das Letzte, woran ich mich erinnere, dass ich kotzend auf Jonas Klo gehangen habe. Danach sind nur noch Erinnerungsfetzen vorhanden, die wie kleine unzusammenhängende Partikel durch mein Hirn schweben. Je mehr ich versuche sie zu sortieren, desto schneidender ist der Druck in meinem Kopf. Da hilft auch die kühle Flüssigkeit nicht, die sich in meinem Magen ausbreitet. Ich stelle das Glas zur Seite und lasse mich erschöpft in die Kissen sinken. Die Kopfschmerzen sind so präsent, dass ich sie fast schon sehen kann. Dann siegt schließlich meine Müdigkeit und ich schlafe traumlos ein.
»Elias, Schatz. Du musst zur Schule«, höre ich Mums Stimme entfernt zu mir vordringen. Dann streicht sie mir über die Stirn. Ihre Fingerspitzen erinnern mich an einen kühlen Waschlappen und irgendetwas klingelt in meinem Kopf. Aber wie bei jedem meiner Träume verschwindet dieser Gedanke, als ich versuche ihm mehr nachzugehen.
»Papa hat dir Kaffee gemacht«, sagt sie liebevoll. Ich schlage meine Augen auf und blicke in ihre, die meinen dunkelblauen so ähnlich sind. Gleichzeitig erkenne ich aber auch, dass sie so müde aussehen, wie ich mich fühle.