Tara

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Ich blinzelte kurz, fand aber schnell meine Fassung wieder. Ok, das würde hier also Ärger geben. Ich hatte noch nie gekämpft, nie als Vampir und erst recht nicht als Mensch. Ich hoffte, dass irgendein Vampirinstinkt in mir wüsste, wie ich zu kämpfen hatte.
„Ich frage dich ein letztes Mal: Was willst du hier?“, langsam formte der Anführer Wort für Wort diesen Satz.
Mein Temperament ging mit mir durch. „Und ich sage dir zum letzten Mal: Ich will zu Elisabeth!“
Dieses Mal traf mich eine Faust in die Magengegend und kurz darauf ein Schlag in den Nacken.
Ich sank auf die Knie und hustete. Doch noch hatte man mich nicht gebrochen. Stolz blickte ich zu meinem Peiniger herauf.
„Ihr redet deutsch mit mir. Ihr scheint zu wissen wer ich bin. Also wisst ihr auch, was ich will.“
Der Anführer hob eine Augenbraue. „Was willst du von Elisabeth?“ Ich grinste. Blut rann dabei aus meinem Mundwinkel, doch das kümmerte mich nicht.
Ich weiß nicht warum ich den folgenden Satz sagte. Vielleicht hatte mein Gehirn von den Schlägen bereits zu viel abbekommen, vielleicht war es Trotz oder die aufgestaute Wut auf diese verhasste Vampirin. Es konnte die Rachlust gewesen sein, für alles, was sie mir angetan hatte. Auf keinen Fall hatte ich gut darüber nachgedacht, als ich meinte: „Ich will sie töten.“
Dem darauffolgenden Schlag konnte ich ausweichen, doch ein Tritt traf mich schwer an der Schulter. Ich schwankte zur Seite.
Nein, so konnte ich diese Situation nicht ablaufen lassen. Auch wenn ich vielleicht diesen Kampf nicht überleben sollte, so wollte ich ihn wenigstens nicht wehrlos verlieren.
Ich rappelte mich auf und schlug mit der Faust dem erstbesten Vampir, der mir gegenüberstand mitten ins Gesicht. Der Schlag saß. Der Vampir taumelte nach hinten und hielt sich geschockt die blutende Nase.
Doch ich hatte kaum Zeit diesen kleinen Sieg zu genießen. Der nächste Vampir griff mich an und nun erwachte dieser erhoffte Vampirinstinkt. Ich wusste nicht, woher ich die Kraft nahm oder die Kampftechniken. Doch ich merkte schnell, dass ich meinen Gegnern einige gute Schläge verpassen konnte. Die Frage war nur, wie lange ich vermochte mich gegen vier von ihnen zu behaupten.
Bis jetzt hatte sich der Anführer zurückgehalten und amüsant das Geschehen verfolgt. Nun, als er sah, dass sein treues Gefolge mehr Prügel einstecken musste, als er angenommen hatte, mischte er sich mit ein.
Bereits am ersten Schlag erkannte ich, dass er ein sehr alter Vampir sein musste. Er hatte eine Kraft, die mich mehrere Meter weit fliegen ließ. Ein Baumstamm bremste schmerzhaft meinen Flug.
Noch bevor ich aufstehen konnte, hatte der Anführer mich am Hals hochgehoben, sodass meine Füße in der Luft baumelten. Verzweifelt versuchte ich seinen Griff um meinen Hals zu lockern.
„Du Miststück! Nenn mir einen Grund, warum ich dir jetzt nicht sofort deinen Kopf abreißen sollte!“, fauchte er mich wütend an.
Nun hatte mein letztes Stündlein geschlagen. Ich versuchte mir einen guten Grund einfallen zu lassen, als eine Stimme hinter ihm ertönte.
„Vielleicht, weil du dann deinen eigenen verlieren würdest?!“
Der Anführer drehte sich mit einem Satz um, während er mich immer noch am Hals in der Luft hielt. Zum Glück brauchte ich keine Luft zum Atmen.
Aus dem Augenwinkel versuchte ich zu erkennen, wer es wagte ihm die Stirn zu bieten. Die Stimme kam mir seltsam bekannt vor.
Dann erschienen in meinem Blickfeld lange blonde Haare und eine Lederjacke mit Aufnähern, die ich sofort wiedererkannte. Der Typ aus dem Flugzeug, Vlad, riskierte gerade seinen Kopf..., für mich.
Vlad, der Retter
Der Anführer warf mich mit einer Handbewegung in die Arme von einem seiner Anhänger und widmete sich ganz Vlad. Er lächelte ihn süffisant an und in der nächsten Sekunde schoss er auf ihn zu, immer noch lächelnd.
Doch Vlad war geschickt. Er wich ihm aus und gab ihm einen Schlag, sodass der Anführer einige Meter weiter in einen Busch krachte.
Doch in wenigen Sekunden stand er bereits wieder vor Vlad und griff ihn erneut an. Die beiden lieferten sich einen erbitterten Kampf.
Nach und nach mischten sich die Anhänger dazu. Ich wurde nur noch von dem Typen festgehalten, der mich aus dem Club gelockt hatte.
Nun witterte ich meine Chance. Mit einem Ruck drehte ich mich um und schlug mit der Handkante gegen sein Kinn, sodass sein Kopf nach hinten flog.
Mit der nächsten Bewegung drehte ich mich aus seinem Griff und trat ihm so fest gegen die Knie, dass die Kniescheibe hörbar brach und er zur Seite fiel.
Noch bevor er sich wieder aufrichten konnte, hatte ich mich in das Getümmel von Vlad, dem Anführer und seiner Anhängerschaft gestürzt und kämpfte nun Seite an Seite mit Vlad gegen die erbarmungslose Überzahl an Vampiren.
Nachdem Vlad einem von ihnen den Kopf abgerissen hatte, konzentrierte er sich ganz auf den Anführer, während ich versuchte die restlichen zwei Vampire in Schach zu halten.
Doch ich merkte schnell, dass ich viel zu unerfahren im Kampf war. Schneller als ich es hätte voraussehen können, versuchte einer von ihnen mir nun meinen Kopf von den Schultern zu reißen.
Ich schrie panisch auf und versuchte ihn abzuwehren.
Vlad bemerkte meine Notlage und ließ von dem Anführer ab, um mir zur Hilfe zu eilen. Mit einem Schlag hatte er meinen Angreifer gegen einen Baum befördert. Sein Rückgrat knackte laut, als sein Rücken gegen den Stamm aufprallte. Seine Heilung würde einige Momente dauern. Vorübergehend hatten wir von ihm nichts mehr zu befürchten.
Als wir uns nun beide dem Anführer widmen wollten, hielt Vlad erschrocken inne. Ich folgte seinem Blick und sah eine Gruppe von schwarz gekleideten Männern auf uns zukommen.
„Vampire“, flüsterte Vlad mir zu.
Ich riss entsetzt die Augen auf. Das waren mindestens 15 Mann, die nur noch wenige Schritte von uns entfernt waren.
Der Anführer blickte erfreut auf die Gruppe von Vampiren, die ihm offensichtlich zur Hilfe kamen.
Vlad verpasste ihm mit der Stahlsohle seines Stiefels einen kräftigen Tritt ins Gesicht. Der Abdruck der Sohle zog sich nicht nur sichtbar über die Visage, sie schien regelrecht eingedrückt wurden zu sein.
Noch bevor mich die heraustretenden Knochen zum Würgen brachen konnten, griff Vlad nach meiner Hand und riss mich mit sich.
In Windeseile jagten wir Seite an Seite durch den Park, gefolgt von der Vampirgruppe.
Ich kannte Vlad zwar nicht, aber ich wusste, dass ich ihm blind folgen musste. Er war die einzige Chance die ich hatte, um diesem Mob zu entkommen.
Ich hatte schon längst keine Ahnung mehr, wo wir waren, als wir uns plötzlich in einer stark belebten Fußgängerzone befanden. Wir schienen im Zentrum von Bukarest angekommen zu sein.
Nun verlangsamte er seinen Schritt und drängte sich mit mir, immer noch Händchen halten, durch die Menschen-massen.
Die Verfolger waren nicht mehr zu sehen. Offensichtlich wollten sie in der Menge keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Vlad zog mich um einige Ecken und schob mich dann in ein wartendes Taxi.
Nervös blickte er über seine Schulter, als er den Taxifahrer anwies drei Runden ziellos durch das Viertel zu ziehen bevor er eine Zieladresse erfuhr.
Der Taxifahrer tat wie ihm geheißen. Nachdem er brav eine halbe Stunde planlos durch die Straßen gefahren war, flüsterte Vlad ihm eine Adresse zu, die er anfahren sollte.
Dann ließ er sich neben mich in die Polster des fast ausgedienten Dacias fallen und suchte meinen Blick.
Bis dahin hatten wir kein einziges Wort miteinander gesprochen. Wir schienen uns entweder ohne Worte zu verstehen oder beide zu wissen, dass gerade keine Zeit war für Unterhaltungen und ich ihm einfach vertrauen musste.
Auch jetzt blieb das Schweigen erhalten. Vlad legte lediglich seinen Arm um mich und ich drückte mich schutzsuchend an ihn.
Ich war mir noch nicht sicher, ob ich die vergangenen Erlebnisse verarbeiten konnte.
Nach einer zwanzig minütigen Fahrt erreichten wir ein weit abgelegenes Viertel, welches direkt an die Nachbarstadt Voluntari angrenzte.
Wieder stiegen wir an einem Park aus. Ich hatte heute eigentlich keine Lust mehr auf Parks, aber Vlad zog mich bereits wieder mit sich und direkt durch den Park hindurch.
Wir rannten so schnell, dass ich die Bäume um mich herum nur noch als vorbeifliegende Schatten wahrnahm.
Nach einem zehnminütigen Sprint hatten wir den Park hinter uns gelassen, waren hinter die Stadtgrenze von Voluntari gelangt und kamen schließlich vor einem stark renovierungsbedürftigen Haus in einer kleinen, dunklen Gasse zum Stehen.
Vlad schloss die Haustür auf. Es stank muffig und nach Schimmel. Die Wände waren mit Graffiti bemalt, welche zusammen mit dem abblätternden Putz auf dem Boden landeten.
Vor einer Wohnungstür im 2. Obergeschoss hielten wir an.
„Ich habe nicht aufgeräumt.“
Es war der erste Satz, der Vlad an diesem Abend zu mir sagte.
Dann stieß er die Tür auf und ging voraus. Er warf seinen Schlüssel in eine Schale auf einer Kommode, zog seine blutverschmierten Stiefel aus und stellte sie auf ein Schuhbrett im Flur.
Ich ging in einen Raum, der wohl das Wohnzimmer war. Ein schwarzes Sofa stand an der Wand. Gegenüber befanden sich ein Fernseher und eine riesige Auswahl an DVDs und Videospielen. Daneben hingen zwei E-Gitarren an der Wand.
Zwischen den zwei Fenstern stand ein Ohrensessel. Um ihn herum stapelten sich Bücher.
Die Fensterrollos waren heruntergezogen. Lediglich eine alte Stehlampe erhellte den Raum.
Ich setzte mich auf die Couch. Vlad war inzwischen auch hereingekommen und hielt mir ein großes Glas mit Blut vor die Nase.
„Es ist nicht frisch, nur Tiefkühlkost, aber besser als nichts.“
Ich nahm es dankend entgegen. Er hatte es in der Mikrowelle warm gemacht. Somit fühlte es sich fast frisch an.
Vlad ließ sich neben mich auf die Couch fallen. „Ist es mit dir immer so aufregend?“, begann er das Gespräch.
Ich wusste nicht ob ich lachen sollte. Er seufzte. „Was wollten die Typen von dir? Oder hast du dich absichtlich mit so vielen Vampiren allein anlegen wollen?“
Ich schloss die Augen. Nein, so hatte ich es mir tatsächlich nicht gedacht. Mein Plan lief irgendwie komplett aus dem Ruder.
„Ich wollte zu Elisabeth“, ich glaubte nicht, dass es ihm weiterhalf, um die Situation heute zu erklären.
„Heißt du nicht so?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Dann hast du mir einen falschen Namen genannt? Warum?“
Spöttisch hob ich eine Augenbraue. „Ich weiß nicht, sag du es mir..,‘Vlad'“, ich ahmte Gänsefüßchen mit meinen Fingern nach.
Entschuldigend grinste er.
„Schuldig. Ich heiße Ville“, grinsend schüttelte er mir die Hand.
„Tara.“
„Klingt nett.“
„Danke.“
Wir grinsten uns an.
„Dein Name klingt nicht sehr rumänisch“, stellte ich fest.
„Ich komme aus Finnland, einem kleinen Dörfchen Nahe Helsinki, um genau zu sein.“
„Und was verschlägt dich hierher? Und nach Italien?“
„Ich habe ein unendliches Leben vor mir. Ich kann doch nicht nur in Finnland hocken und warten, dass wieder ein Jahrzehnt vergeht. Ich reise durch die Welt. Verdiene mir etwas Geld als Gitarrist bei Bands“, er nickte mit dem Kopf in Richtung seiner Gitarren. „Und in der Saison gehe ich Hochseefischen und mache dort meist meinen Jahresumsatz. Davon lässt es sich sehr gut reisen.“
Seine Gesichtszüge wurden nachdenklich.
„Aber du siehst nicht aus, wie jemand, der auf der Reise ist. Mehr wie jemand auf der Suche nach etwas“, er suchte meinen Blick. „Wer ist Elisabeth? Und was hat sie mit den Typen zu tun?“
Ich blickte Ville in die Augen. Eigentlich war er mir komplett fremd, aber die letzten Stunden hatten uns zusammengeschweißt. Wir gingen einander jetzt etwas an. Daher traute ich mir ihm meine Geschichte zu erzählen…, alles…, jedes Detail.
Erstaunlicherweise hörte er mir aufmerksam zu und unterbrach mich nicht.
Als ich geendet hatte, atmete er hörbar aus.
„Das ist ja echt heftig. Du meine Güte“, er fuhr sich durch seine langen, blonden Haare.
„Da werden wir also heute Nacht wieder los machen, um nach ihr zu suchen?“
„Wir?“
„Ja, klar! Denkst du, ich lass dich allein losziehen? Nach allem was passiert ist?“
„Aber dies alles ist doch nicht dein Problem. Du hättest heute Nacht sterben können. Warum gehst du dieses Risiko ein?“
„Vielleicht kämpfe ich einfach gern“, er grinste.
„Im Ernst, warum riskierst du dein Leben wegen mir?“
„Nicht wegen dir…, eher für dich.“
Verständnislos schaute ich ihn an. „Warum?“
„Wie gesagt, ich habe ein unendliches Leben vor mir. Ich habe nichts dagegen, wenn es mal etwas aufregender wird.“
„Aber du...“.
„Ich komme mit, keine Widerrede. Damit ist das Thema jetzt durch, verstanden?!“
Ich holte noch einmal Luft, um etwas zu erwidern, aber nickte letztendlich nur. Ich konnte wirklich jede Hilfe gebrauchen.
„Jetzt ruhe dich erst einmal aus. Auch einer Vampirin verlangt so ein Kampf viel Energie ab.“
Ich nickte und streckte mich auf der Couch aus. Meine Wunden kribbelten und begannen zu heilen. Die Rippenbrüche waren fast wieder verschwunden.
Ville deckte mich zu. Natürlich ging es nicht darum mich zu wärmen, denn ich konnte nicht frieren. Aber so eingekuschelt fühlte ich mich gleich viel sicherer und geborgener.
Ich schloss meine Augen und da ich nicht mehr durch einen menschlichen Schlaf der Wirklichkeit entfliehen konnte, versuchte ich es in meinen Tagträumen.
Zarte Bande
Ein sanftes Rütteln an der Schulter holte mich aus meinen Tagträumen. Ich öffnete meine Augen und blickte in einen Ozean, in dem rote Funken wild tanzten.
Ville kniete vor mir und strich mir sanft eine rote Strähne aus dem Gesicht.
„Geht es dir etwas besser?“
Ich nickte. Meine Wunden waren geheilt. Ich war hungrig, aber fühlte mich wieder fit.
Als ob Ville meine Gedanken lesen konnte, reichte er mir ein Glas mit warmem Blut.
Ich trank es mit einem Zug aus.
„Dann bist du also bereit wieder hinauszugehen und dich erneut zu prügeln?“, er legte den Kopf schief und schmunzelte.
„Meinst du, es wird wieder nötig sein?“
Er runzelte die Stirn. „Ich frage mich schon die ganze Zeit, wieso es überhaupt dazu kommen konnte. Normalerweise weist der Gardianul - Clan jeden Neuling daraufhin, dass er sich in ihrem Jagdrevier befindet und fordert ihn auf, sich zu verziehen. Dieser Neuling kommt dieser Aufforderung meist auch nach und folglich gibt es keinen Ärger. Der Clan versucht so wenig wie möglich Aufsehen zu erregen. Darum wird jeder Kampf in der Öffentlichkeit vermieten. So etwas wie mit dir war daher etwas absolut Ungewöhnliches. Die Gardianuls haben damit so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass selbst einige Menschen diesen Kampf verfolgen konnten. Was hast du zu ihnen gesagt, dass sie so ausgerastet sind?“
„Ich habe gesagt, dass ich Elisabeth suche.“
„Aber davon können sie sich doch nicht so provoziert geworden sein. Was hast du denn gesagt, weswegen du sie suchst?“
„Ich habe gesagt, dass ich sie töten will.“ Als ich die Worte aussprach schaute ich ihm fest in die Augen. Ich wollte seine Reaktion sehen.
Ville schluckte schwer und nickte langsam.
„Jetzt verstehe ich es“, er traf wieder meinen Blick.
„Willst du das wirklich?“
Ich überlegte einen Moment. Ehrlich gesagt wusste ich nicht genau, was ich machen würde, wenn ich ihr gegenüberstand. Klar, ich würde versuchen aus ihr herauszubekommen, ob sie etwas über Tristan wusste. Aber was dann? Würde ich sie töten?
Ich zuckte nur mit den Schultern. Wahrscheinlich würde meine Reaktion von ihrer abhängen.
„Du sagtest, dass Menschen den Kampf mitbekommen haben. Wie haben sie reagiert? Wird davon etwas in der Zeitung stehen oder haben sie überhaupt verstanden, was da vor sich ging?“
„Sie werden es niemanden mehr erzählen können.“
Ich schaute ihn geschockt an. „Wie meinst du das?“ Nicht, dass ich es mir nicht bereits denken konnte, was er meinte, aber ich wollte es aus seinem Mund hören.
„Die Gruppe von Vampiren, die später noch hinzugekommen war, hat sich darum gekümmert. Der Guardian-Clan, der dich angegriffen hat, war nicht allein gekommen. Die andere Gruppe war die ganze Zeit im Hintergrund gewesen, um einzugreifen, sollte der Clan Unterstützung brauchen und um den Schauplatz sauber zu halten…, beziehungsweise von Zeugen zu säubern. Niemand von den Menschen, die euch gesehen haben, hat diese Nacht überlebt.“
Diese Wahrheit traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Das hatte ich nicht gewollt. Meine Suche nach Elisabeth hatte die ersten Opfer gekostet. Doch, dass sich darunter unschuldige Menschen befanden, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort waren, hatte ich nie einkalkuliert.
Sollte sich so meine Suche weiterhin gestalten? Sollten noch mehr wegen mir sterben?
Ich strich mir durch meine Haare und kämpfte mit den Tränen.
Ville setzte sich neben mich und nahm mich in seine Arme. Ich atmete den Duft seiner Haare ein. Sie rochen nach Holz und Zitrus.
Zärtlich wischte er mir eine Träne von der Wange, nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und schaute mir tief in die Augen.
„Es ist nicht deine Schuld, ok? Der Gardianul - Clan und seine Anhänger sind grausam. Sie sind einer der grausamsten Vampirgruppen, denen ich je begegnet bin. Es war ihre Entscheidung dich anzugreifen, ihre Entscheidung die Menschen zu töten. Es trifft dich nicht die geringste Schuld, hast du mich verstanden?“
Ich nickte. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Seine meeresblauen Augen, in denen man nur versinken konnte, ließen keine andere Antwort zu.
„Was bedeutet dieses Gardianul eigentlich? Wer ist dieser Clan?“
„Gardianul bedeutet 'Hüter'. Sie betrachten sich als die Beschützer unserer Art. Sie sehen sich als den Menschen überlegen an. Der Clan tut alles dafür, die Existenz der Vampire geheim zu halten. Gleichzeitig morden sie nach Herzenslust, denn Menschen sind für sie ausschließlich Nahrungsspender. Wobei sich einige von ihnen auch durchaus fleischliches Vergnügen mit Menschen erlauben. Es gibt jedoch auch ähnliche Clans wie die Gardianuls, die selbst dies untersagen. Für sie ist es eine Abnormalität, wenn Vampire und Menschen sexuell miteinander verkehren. Da für sie Menschen nur Nahrung sind, empfinden sie eine solche Tat genauso abartig, wie die Menschen, wenn sich welche von ihnen sexuell an Tieren vergreifen. Jedenfalls haben dich die Gardianuls als Eindringling in ihr Revier empfunden und wollten dich lediglich darauf hinweisen, bevor sie den Grund deines Auftauchens erfuhren.“
„Gehörst du auch zu ihnen oder warum warst du dort, wenn nur Clanmitglieder sich da aufhalten dürfen?“
„Nein, ich hatte mich in der Nähe des Clubs mit einer Band getroffen, die auf Rumänientour gehen wollte und noch einen Gitarristen suchte, da ihrer krank geworden war. Danach verspürte ich noch einen Hunger und wollte in dem Club sozusagen zu Abend essen“, er zwinkerte mir zu. „Leider hatte ich die legendäre Mitternachtsimbissshow verpasst.“
Also waren diese „Sunglasses at night“-Minuten tatsächlich Tradition. Wahnsinn, dass dort routinemäßig sich Vampire auf diese Art ernähren konnten.
„Darum war ich in den Park gegangen und hoffte, dort noch einen Snack zu finden. Dann sah ich euren Kampf und erkannte dich in dem Moment wieder, als dich Alexandru nach oben hob.“
„Und dann kamst du mir zur Hilfe. Aber warum?“
„Ich wusste, dass du keine Chance hattest. Selbst wenn du allein mit den Clanmitgliedern fertig geworden wärst, so hättest du die Gruppe von Vampiren, die im Hintergrund wartete, niemals überlebt.“
„Aber wir hätten auch zusammen keine Chance gegen sie gehabt. Warum bist du trotzdem dazu gekommen?“
Ville zuckte mit den Schultern. „Ich habe nicht überlegt, ich habe es einfach getan. Und ich würde es immer wieder tun“, er schenkte mir ein breites Lächeln.
Kopfschüttelnd lächelte ich ihn ebenfalls an. „Das ist eine lobenswerte Einstellung für heute Abend“, neckte ich ihn und boxte ihn spaßeshalber in die Schulter.
„Vielleicht könnten wir trotzdem nicht sofort erwähnen, dass du Elisabeth töten möchtest, um wenigstens eine kleine Überlebenschance zu haben?“
„Ach, das wäre doch langweilig“, zog ich ihn auf.
Er grinste mich schelmisch an. „Na, dann los!“
Wir fuhren mit dem Taxi in mein Hotel, damit ich mich frisch machen und umziehen konnte. Meine Kleidung war noch blutverschmiert. So wollte ich keinesfalls heute Abend ausgehen.
„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich heute einen Ort aussuchen, an dem du garantiert welche von Elisabeths Gefolge treffen kannst“, rief mir Ville durch die Badezimmertür durch.
Das machte Sinn. Er war ein Vampir und kannte sich hier bereits bestens aus. Ville wurde für mich immer wertvoller bei meiner Suche nach Elisabeth. Doch welchen Nutzen hatte er davon? Ich wurde aus ihm noch nicht schlau. Aber ich vertraute ihm.
„Wohin willst du?“
„Es ist eine Nachtbar in der Nähe vom Parcul Operei.“
Na toll, noch ein Park. „Wieso ist hier alles in der Nähe von Parks?“
„Naja, man kann dort als Vampir sich sehr gut unbeobachtet ernähren.“
Ja, das machte Sinn. Aber man konnte dort offensichtlich auch sehr gut angegriffen werden.
Ich entschied mich für eine Lederhose und ein schwarzes Neckholder-Lacktop, welches am Rücken lediglich mit drei Riemen zusammengehalten wurde. Meine langen, roten Haare hatte ich leicht gewellt.
Als ich fertig gestylt vor Ville trat, wurden seine Augen immer größer. Anerkennend stieß er einen kurzen Pfiff aus.
„WOW, du siehst echt… WOW“, er schluckte.
„Danke“, grinste ich.
„Lass uns lieber schnell gehen“, riss er seinen Blick von mir und hielt mir die Tür auf.
Um jeden Preis
Mit dem Taxi fuhren wir zu der Nachtbar. Sie lag unauffällig im Souterrain einer Häuserreihe. Eine ausgetretene Treppe führte hinunter zum Eingang der Bar.
Die Tür stand bereits offen. Eine Luft, vollgesogen mit Zigarettenqualm und Wodka, quellte uns entgegen.
Von einem kleinen Vorraum, der von einem Zigaretten-automaten dominiert wurde, gelangte man in den Barraum. Rechts erstreckte sich eine lange, dunkel-holzige Bar mit wenigen Barhockern. Gegenüber standen kleine runde Tische mit jeweils drei Stühlen.
Wir gingen den schmalen Gang zwischen Bar und den Tischen entlang. Der Raum öffnete sich nach diesem Bereich in einen größeren, quadratischen Tanzflur. Von diesem gingen links und rechts ebenfalls zwei schmale Gänge mit kleinen, runden Tischen ab. Wir gingen in den linken Gang und setzten uns an den zweiten Tisch.
Als die Kellnerin an unseren Tisch kam, bedeutete Ville ihr, sich zu ihm herunter zu beugen. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, worauf sie verschwand und kurz darauf mit zwei schwarzen Bechern wieder auftauchte, welche sie vor uns abstellte.
Der Duft von frischem Blut drang mir in die Nase. Fragend schaute ich Ville an. Der grinste nur.
„Der Service hier ist unübertroffen in Bukarest.“
Mit dieser Antwort wollte ich mich noch nicht zufriedengeben, was Ville bemerkte. Also erklärte er weiter: „Diese Bar wird von einem Vampir geführt. Ja, er gehört auch dem Gardianul-Clan an. Seine Kellnerinnen sind alle Prostituierte. Entweder bestellst du bei ihnen einen Becher Blut, wie ich es tat, oder du bedienst dich direkt von ihnen. Dazu musst du jedoch einen der Räume am Ende der Gänge aufsuchen. Dort kannst du natürlich auch andere Dinge mit ihnen anstellen. Das Betreten dieser Räume ist für menschliche Gäste jedoch verboten.“
Also ich musste sagen, dass die Welt der Vampire, wie ich sie nun zum ersten Mal kennenlernte, nicht gerade die schönste war. Mit Tristan war alles so romantisch gewesen. Jetzt wirkte es kalt, blutrünstig und pornografisch. Es ging nur um Blut trinken, Morden und Sex. Gab es denn hier überhaupt keine Liebe?