Tara

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„Gibt es auch Pärchen unter den Vampiren hier?“
„Ein paar wenige. Sie sind eher eine Seltenheit. Auf Grund unserer ewigen Lebenserwartung macht eine feste Bindung wenig Sinn. Es ist unwahrscheinlich für ewig mit einem einzigen Vampir verkehren zu wollen. Aus diesem Grund gibt es zwar immer einmal wieder Partnerschaften, die mehrere Jahrzehnte oder sogar auch mal ein paar Jahrhunderte anhalten können, doch meist wächst bei beiden dann die Lust auf etwas Neues. Hier in Bukarest hat eigentlich jeder einmal mit jedem, wenn du verstehst, was ich meine.“
Das waren ja keine rosigen Aussichten für Tristan und mich. Zwar hielt seine Liebe zu mir auch bereits seit Jahrhunderten. Doch hatte er mich in dieser langen Zeit stets nur wenige Monate begleiten können. Vielleicht würde seine Liebe zu mir ebenfalls nachlassen, wenn er mich fortan Jahrzehnte um Jahrzehnte täglich haben konnte? Eine schreckliche Vorstellung.
Wir nippten an unserem Blut, während sich die Bar füllte. Die ersten Gäste eroberten die Tanzfläche. Die Musik war gut. Das meiste war aus den 80ern.
Gegen Mitternacht mischten sich unter die Menschen nach und nach Vampire. Misstrauisch beäugten sie mich, als würde auf meiner Stirn „Achtung, Neugeborene“ prangen.
Nervös rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her. Würden sie mich hier auch auffordern mit in den Park zu kommen, um kein Aufsehen zu erregen?
Ich musste nicht lange auf eine Antwort warten. Keine fünf Minuten später kam ein Vampir an unseren Tisch. Es war kein geringerer als Herr Arroganz persönlich, der Typ aus dem Swingerclub.
„Na, hey! Wir kennen uns doch. Wolltest du mich doch wiedersehen?“
Sein Hochmut war ungetrübt. Ich rollte genervt mit den Augen. Doch auch dies schreckte ihn nicht ab. Unbeeindruckt davon, dass ich mit Ville zusammensaß, strich er mir mit seinem Zeigefinger über meine Wange und über meine Lippen.
„Hübsch siehst du heute wieder aus. Wenngleich auch leider etwas zugeknöpfter als beim letzten Mal“, er grinste dreckig. Ville zog fragend eine Augenbraue hoch.
„Du musst mit mir in den Park kommen“, bestimmte der Typ.
„Das wird das letzte sein, was mir in den Sinn kommt“, gab ich schnippisch zurück.
Der Typ lachte. „Das war keine Bitte. Du bist hier nicht nur mir aufgefallen, meine Süße. Einige aus dem Clan wollen sich mit dir unterhalten.“
Du meine Güte, was hatten die nur alle mit mir.
„Warum?“, wollte ich wissen.
„Das werden sie dir dann schon sagen. Ich bin nur der Überbringer der Nachricht.“
„Wenn sie mit mir reden wollen, müssen sie sich schon selbst herbemühen, um mich zu bitten“, so leicht ließ ich mich nicht einschüchtern.
Villes Augen wurden immer größer. Wahrscheinlich begrub er gerade seine Hoffnung auf einen ruhigen Abend.
„Du bist noch genauso störrisch, wie beim letzten Mal. Das macht mich unglaublich scharf. Ich hoffe, der Clan lässt von dir noch etwas übrig, an dem ich mich dann vergehen darf.“
Angewidert verzog ich den Mund. Noch bevor ich etwas sagen konnte, kam ein zweiter Vampir zu uns an den Tisch.
„Lucian, was ist los? Du sollst dich nicht mit ihr unterhalten, sondern sie mitbringen.“
Ah, Lucian. So hieß der Typ also.
„Und wer bist du?“, wollte ich wissen.
Der neue Vampir blickte mich böse an, wie ich es wagen konnte, auf diese Art mit ihm zu sprechen. Dennoch ließ er sich zu einer Antwort herab.
„Du hattest gestern einen Kampf mit einigen von uns. Wir möchten noch einmal mit dir reden.“
„Es gibt nichts, worüber ich mit euch reden müsste.“
Der Typ kämpfte zusehends um seine Beherrschung.
„Mag sein, dass du nicht mit uns reden willst. Doch es gibt jemanden, mit dem du dich bestimmt unterhalten möchtest. Suchtest du hier nicht nach einer gewissen Person..., einer Elisabeth?“
Damit hatte er mich. Als ich meine Augen aufriss, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Wusste ich es doch, dass dich das interessiert. Sie wartet im Park auf dich. Also los.“
„Woher wissen wir, dass dies keine Falle ist?“, schaltete Ville sich ein, der bis dahin schweigend alles verfolgt hatte.
„Da werdet ihr mir einfach vertrauen müssen.“
Na super, von Vertrauen konnte hier niemand reden. Aber ich musste es riskieren. Die Chance mit Elisabeth sprechen zu können, durfte ich mir nicht entgehen lassen. Selbst wenn ich dabei in eine Falle tappte.
„Du musst nicht mitkommen, Ville, du…“.
„Auf keinen Fall, ich komme mit!“
Mit diesen Worten sprang Ville bereits auf. Mich überkam jetzt schon ein schlechtes Gewissen für den Fall, dass dieser Ausflug wieder in einem Kampf enden würde.
Lucian strich mir mit seiner Hand über meinen Po, als ich aufstand und nach draußen ging. Ich schlug sie weg, worauf er leise lachte. Sein Duft kribbelte mich in der Nase. Wenn er doch wenigstens nicht so verflucht gut aussehen würde.
Doch für diese Gedanken hatte ich jetzt keine Zeit. Uns stand wahrscheinlich ein Kampf bevor, bei dem ich nicht wusste, ob wir ihn überleben konnten.
Als wir im Park ankamen, wurden wir in eine abgelegene Ecke geführt, die vom Weg aus kaum einsehbar war.
Dort warteten ungefähr zehn Vampire auf uns. Zwei von ihnen erkannte ich von gestern wieder. Der Anführer war jedoch nicht dabei. Dafür trat ein anderer aus der Gruppe hervor, der dem Anführer von gestern in Nichts nachstand. Von Elisabeth sah ich keine Spur.
Mist! War ich doch in eine Falle getappt?
„Liebe Tara“, begann der neue Anführer zu sprechen. Warum konnten die alle deutsch?
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass du dich in unsere schöne Stadt begeben hast, um unsere...“, er sah sich in der Runde um. „...ja, man kann schon sagen, 'Schwester' Elisabeth zu besuchen.“
Ich hörte ausnahmsweise auf Villes Ratschlag und nickte daher nur.
„Doch mir kam außerdem zu Ohren, dass du sie nicht nur treffen möchtest, sondern auch… töten magst. Ist dies richtig?“
Anstatt eine Antwort zu geben, starrte ich den Kerl nur an.
Er schien auch keine Antwort zu gebrauchen, denn er redete weiter. Die Frage war also eher rhetorisch gemeint.
„Du wirst verstehen, dass wir unsere Schwester nicht einfach so hergeben möchten. Wir lieben sie und möchten nur ihr Bestes. Da stehen deine Tötungsabsichten in absolutem Widerspruch zu unseren Interessen. Wie können wir also alle glücklich werden?“
Ich ging davon aus, dass auch diese Frage nur rhetorisch gemeint war und blieb daher still. Ich lag damit richtig.
„Wir haben uns alle Gedanken gemacht und möchten dir daher nun folgendes anbieten: Elisabeth wartet hier im Park. Du darfst mit ihr reden, aber nur innerhalb dieses Kreises und nur, während wir dich festhalten dürfen.“ Er blickte zu Ville und dann wieder zu mir. „Das Gleiche gilt auch für deinen... Kumpanen“, er wedelte mit seiner Hand abfällig in Villes Richtung.
Ich überlegte kurz. Mir blieb keine andere Wahl, als auf ihr Angebot einzugehen, wenn ich mit Elisabeth reden wollte und dies wollte ich, mehr als alles andere!
Ich vermied es Ville anzuschauen, der scheinbar gerade leicht mit dem Kopf schüttelte, so wie es mir aus dem Augenwinkel erschien. Schnell willigte ich nickend in das Angebot des Anführers ein.
Dieser begann selbstgefällig zu grinsen und winkte einen seiner Anhänger heran. Er wies ihn an, Elisabeth zu holen. Bereits in der nächsten Sekunde wurden Ville und ich ergriffen. Je zwei Mann hielten uns fest, während unsere Arme auf dem Rücken gedreht wurden.
Stolz hielt ich meinen Kopf aufrecht ohne den Blick vom Anführer abzuwenden. Er hob eine Augenbraue und drehte sich in Richtung leiser, herannahender Schritte um.
Dann sah ich sie. Elisabeth. Sie sah genauso aus, wie damals, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Damals vor sieben Jahren, als sie mich im Schnee liegen ließ, als sie mich verletzte, damit mich Tristan töten würde.
In mir wuchs unbändige Wut. Ich versuchte sie schmerzhaft herunterzuschlucken. Wenn ich jetzt ausrastete, würde ich nie eine Antwort von ihr bekommen.
Süffisant lächelnd trat sie vor mich. Anstatt etwas zu sagen, verpasste sie mir eine schallende Ohrfeige.
Sprachlos schaute ich sie an. Dann stellte sie sich vor mich hin.
„Das ist das geringste, was ich jemandem geben kann, der mich töten möchte“, lächelte sie eisig.
Obwohl ich nun selbst ein Vampir war, wirkte sie nach wie vor beängstigend auf mich.
„Streng genommen hast du mich zuerst getötet“, gab ich zwischen zusammengebissenen Zähnen zurück. Krampfhaft versuchte ich meine Wut im Zaum zu halten.
„Das kann man sehen, wie man möchte. Ich verstehe, dass du es so sehen willst, weil du deinen geliebten Tristan nicht verantwortlich machen möchtest für eine Tat, die er wahrhaft zum dritten Mal begangen hat“, sie grinste mich triumphierend an.
„Tja, nur hast du dennoch versagt. Ich lebe nun für ewig“, ich funkelte sie hämisch an.
Ihre Gesichtszüge verhärteten sich, eh sie wieder giftig zu grinsen begann.
„Das werden wir heute Nacht ja noch sehen.“
Ich spürte, wie Ville neben mir zusammenzuckte. Jedoch ließ ich mich nicht von ihren Worten beeindrucken und begann nun endlich mit dem Thema, weswegen ich hier war.
„Was weißt du über Tristans derzeitigen Aufenthaltsort? Hast du ihn wieder in irgendeine Gruft gesperrt?“, ich konnte nicht anders. Ich hasste diese Vampirfrau so abgrundtief.
Ein Schmunzeln umspielte Elisabeths Mundwinkel.
„Es tut mir leid, Tara. Leider hat er sich nach dem Mord an dir nicht bei mir gemeldet. Ich hatte es ehrlich gesagt auch nicht erwartet. Vielleicht hat er nun doch seine einstigen Pläne umgesetzt und sich in einen Vulkan gestürzt?“
Ich wusste es besser. Wenn er tot wäre - mich schüttelte es bei dem Gedanken - dann hätte ich diese Visionen ganz bestimmt nicht bekommen. Sie mussten etwas bedeuten.
„Es tut mir leid, dass du den ganzen Weg hierhergereist bist und ich dir nicht weiterhelfen kann. Mir tut es auch fast etwas leid, dass du wegen einer so unbefriedigenden Antwort nun sterben musst.“
Elisabeth trat einen Schritt zurück und schnippte mit dem Finger, worauf sich zwei Vampire auf mich stürzten.
Jagd auf Leben und Tod
Im selben Moment, wo sie auf mich hätten einkrachen müssen, schlug ihnen etwas entgegen. Oder vielmehr, jemand. Ville hatte sich vor mich geworfen und wirbelte wie ein Hurrikan durch die Vampirmenge.
Ich hatte keine Ahnung, wie er in so kurzer Zeit sich hatte losreißen können. Doch ich nutzte den Schreckensmoment meiner Wächter und wand mich aus deren Griff. Im nächsten Moment kämpfte ich schon wieder an Villes Seite. Und dann riss ich zum ersten Mal in meinem Vampirleben einen Kopf von einem Hals.
Dieses Geräusch würde mich den Rest meines ewigen Lebens verfolgen.
Ich ging davon aus, dass auch bei diesem Treffen eine größere Gruppe Vampire im Hintergrund warten würden, um einzugreifen, sollte es der Clan nicht schaffen.
Ich wusste, dass ich nicht viel Zeit hatte. Also stürzte ich mich, nachdem meine Angreifer erst einmal abgewehrt waren, auf Elisabeth.
Ihren Kopf wollte ich als nächstes abreißen. Gerade als ich ihn zu packen bekam, wurde ich von einem anderen Vampir weggeschleudert. Wütend stürzte ich umgehend zurück. Doch Ville riss mich mitten im Sprung zurück, hielt mich fest und rannte mit mir los.
Erst jetzt merkte ich, dass die Vampiranzahl drastisch gestiegen war.
Wie Blitze jagten wir durch den Park und durch die angrenzenden Straßen. Dieses Mal ließen die Vampire sich nicht von der Öffentlichkeit abschrecken. Wie viele Straßenzüge wollten sie denn anschließend von Zeugen „säubern“?! Nicht, dass Menschen wirklich erkennen konnten, was gerade geschah. Wir waren für das menschliche Auge kaum wahrzunehmen, so schnell wie wir rannten. Sie bekamen nicht mehr von uns mit, als einen Windstoß, begleitet von einem vorbeihuschenden Schatten. Kein Mensch würde etwas anderes dahinter vermuten, als eine kleine Windböe in einer schlecht beleuchteten Straße.
Unsere Angreifer folgten uns weiter. Ich war mir langsam noch nicht einmal sicher, ob wir überhaupt noch in Bukarest waren. Ville schien sich jedoch bestens auszukennen. Er führte mich über Zäune, Hinterhöfe und teilweise über Dächer.
Nach einem Sprung über einen hohen Zaun, dem Durchqueren einer Fabrikruine und einem mutigen Sprung in einen Abgrund, kauerte er sich mit mir hinter einer Mauer. Vorsichtig lugte er um die Ecke, ob wir unsere Angreifer endlich abgeschüttelt hatten.
„Du bist wahnsinnig! Du hast die gesamte Bukarester Vampirgesellschaft gegen dich aufgebracht!“, flüsterte er.
„Es tut mir leid, dass ich dich mit hineingezogen habe“, mich plagten ehrliche Gewissensbisse. Ich hätte seine Unterstützung ablehnen müssen.
„Du kannst noch aussteigen.“
„Nein, unmöglich. Ich stecke da jetzt viel zu tief mit drin. Ich werde nie wieder einen Fuß in dieses Lands setzen können.“
„In das ganze Land nicht?“
„Die Reichweite des Gardianuls-Clans ist groß.“
Bedauernd schaute ich ihn an. Doch Ville grinste nur breit. „So viel Spaß wie heute hatte ich ewig nicht mehr. Ich fühle mich richtig... lebendig. Und irgendwie auch verdammt sterblich“, er lachte leise.
Dann lugte er wieder um die Mauer herum.
„Die Luft scheint rein zu sein.“ Er deutete mir an, mich entlang der Mauer weiter zu schleichen.
Als ich am Ende der Mauer ankam, stellte sich mir auf einmal jemand in den Weg. Nicht nur jemand, es war Lucian! Ich starb gerade tausend Tode. Waren wir jetzt doch entdeckt wurden? Ich wollte nicht sterben. Noch weniger wollte ich, dass Ville wegen mir starb.
Doch Lucian legte nur seinen Finger auf seinen Mund und bedeutete uns leise zu sein. Zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt habe, sah er ernsthaft aus.
Wir schlichen hinter ihm her. Ich wusste selbst nicht, warum wir ihm auf einmal vertrauten. Aber irgendwie wirkte er gegenüber den anderen Vampiren erstaunlich harmlos.
Durch eine Klappe krochen wir in die Kanalisation und krabbelten durch stinkende Rohre bis wir fern ab der Fabrik aus einem Gulli wieder auf die Straße kletterten.
Wir folgten ihm durch einen Keller in ein baufälliges Mehrfamilienhaus und erst als wir eine der leeren Wohnungen betreten und die Tür hinter uns geschlossen hatten, ließen wir uns stöhnend auf den Boden sinken.
„Sicherheit!“, erklärte Lucian.
„Wirklich? Können wir dir trauen? Oder hast du uns direkt in die Gardianulshauptzentrale geführt?“, ich konnte nicht glauben, dass er uns half.
„Nein, wirklich. Ihr seid in Sicherheit. Ich kann euch aber nur raten, schnellstmöglich das Land zu verlassen. Deinen Tristan findest du hier nicht, wie du heute gehört hast.“
„Falls Elisabeth die Wahrheit gesagt hat“, warf ich ein.
„Das hat sie. Ich habe sie heute reden hören, dass sie versucht hatte ihn zu finden, nachdem er dich wieder getötet hatte. Sie konnte ihn aber nicht aufspüren. Sie vermutet, dass er sich in Finnland versteckt hält, bei seinen Freunden. Die schirmen alle ab. Da ist kein Herankommen. Vielleicht solltest du es da versuchen.“
Ich war fassungslos. Konnte es sein, dass Lucian mir gerade half?
„Warum tust du das?“
„Was?“
„Warum hilfst du mir auf einmal?“
„Ich bin nicht so schlecht, wie du von mir denkst. Sicherlich bin ich nicht so ein Gut-Vampir wie dein Tristan oder dein blonder Engel hier“, er nickte in Villes Richtung. „Aber die Vorgehensweise der Gardianuls ist nicht meine Art. Sie hätten dich im Swingerclub nicht davonkommen lassen. Auch ich hätte dich locker überwältigen können. Aber so bin ich nicht. Du gefällst mir wirklich, Tara. Ich mag deine Sturheit und deinen Kampfeswillen. Lass dich nicht brechen, ok?!“, er stand auf und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Dann verschwand er.
Ich war sprachlos. Da hatte dieser Idiot sich doch tatsächlich von einer Seite gezeigt, die ich nie erwartet hätte. Na super, nun konnte ich ihn nicht mehr verabscheuen. Jetzt tat er mir sogar irgendwie leid. Wahrscheinlich war er auch nur ein unterdrücktes Opfer der Gardianuls, der versuchte mit ihnen auszukommen.
„Was nun?“, riss mich Ville aus meinen Gedanken.
„Hast du Lust, deine alte Heimat zu besuchen?“, grinste ich ihn an. Ville antwortete mir mit einem breiten Lächeln.
„Wie war das? Du wolltest mich da nicht mehr mit hineinziehen?
„Du hast jetzt eh Landesverbot hier“, witzelte ich.
„Außerdem sind die in Finnland mit denen hier in keinster Weise zu vergleichen.“
„Schon gut. Du hattest mich schon beim ersten Satz“, grinste Ville.
Erleichtert strahlte ich ihn an. Konnte es sein, dass ich in dieser Stadt, in der ich ausschließlich blanken Horror erlebte, doch tatsächlich einen Freund gefunden hatte?
Die Reise war sehr einsam gewesen, bis ich ihm begegnet war. Diese nun mit jemanden an meiner Seite fortzuführen erschien mir wundervoll. Und ich mochte Ville, sehr sogar. Es wäre mir eine Freude gewesen, mit ihm die Suche fortzusetzen.
Geschafft griff er nach meiner Hand und zog mich hoch.
„Na dann, holen wir mal noch fix unseren Kram und dann nichts wie ab zum Flughafen.“
„Bist du dir sicher?“
Ville legte seine Arme um meine Schultern und schaute mir tief in die Augen.
„Ich war mir noch nie bei etwas so sicher wie jetzt.“
Ja, ich hatte einen Freund gefunden.
Finnland
Wir fuhren zunächst zu Villes Wohnung, um seine Sachen zu holen, welche er erstaunlich schnell zusammengepackt hatte.
Danach ging es mit dem Taxi in mein Hotel. Ville half mir dabei, alles schnell in meine Koffer zu pressen.
Es war inzwischen 4 Uhr morgens. Natürlich war um diese Zeit die Rezeption nicht besetzt. Normalerweise checkten die Gäste um eine solche Zeit weder ein noch aus.
Dennoch musste ich los. Ich hätte einfach gehen können. Meine Papiere, die ich zum Anmelden meines Zimmers angegeben hatte, waren sowieso gefälscht.
Doch es kam mir falsch vor, das Hotel um meine Zimmermiete zu bringen. Daher hielt ich das Geld sichtbar in die Überwachungskamera und legte es dann zusammen mit meinem Schlüssel auf den Rezeptionstresen.
Ob es nachher noch da lag oder geklaut wurde, befand sich außerhalb meines Verantwortungsbereichs.
Je näher das Taxi dem Flughafen kam, desto mehr entspannten wir uns. Doch erst im Check In fiel die Anspannung gänzlich von uns ab.
Wir hatten es geschafft. Hierhin würden uns die Guardianuls nicht verfolgen.
Aus dem Augenwinkel beobachtete ich Ville, wie er sein Flugticket studierte. Seine blauen Augen hatten sich verdunkelt. Er hatte Hunger. Sie sahen jetzt aus wie ein Meer in der Nacht.
Seine langen, blonden Haare hatte er locker zu einem Pferdeschwanz im Nacken zusammengebunden.
Als er bemerkte, dass ich ihn ansah, blickte er mich fragend mit einem breiten Grinsen an.
Ich grinste zurück, worauf er seinen Arm um mich legte und mich an seine Schulter zog.
Seinen Duft einatmend, schmiegte ich mich an seine Lederjacke.
Er streichelte meine Schulter, gab mir einen Kuss auf mein Haar und legte anschließend seine Wange auf meinem Kopf.
„Es wird alles gut“, flüsterte er, als ob er wüsste, dass ich gerade Trost nötig hatte.
Ich war bereits in Sizilien gewesen und hatte nun in Rumänien eine furchtbare Zeit erleben müssen und alles ohne auch nur einen einzigen Schritt näher zu Tristan gekommen zu sein.
Ich war frustriert und leicht entmutigt. Ich wusste nicht, wie ich dies alles ertragen hätte, wenn Ville nicht an meine Seite getreten wäre. Wahrscheinlich wäre ich noch nicht einmal mehr am Leben ohne ihn.
Er rettete mich auf viele Arten und Weisen und ich war unsagbar dankbar dafür, dass er mich auf der weiteren Reise begleiten würde.
Endlich wurden wir in das Flugzeug gelassen. Es war ein Gefühl, als würde ich die Hölle verlassen dürfen.
Bis auf Ville, hatte ich wirklich nichts Positives in Bukarest erfahren. Ich war Elisabeth begegnet und wurde wieder einmal davon überzeugt, wie abgrundtief böse sie war. In ihr steckte nicht ein winziger Funken Mensch mehr.
Ich hatte den gesamten Vampirzirkel von Bukarest gegen mich aufgebracht und wäre fast getötet wurden.
Nein, ich würde Rumänien nicht so schnell wieder besuchen, das stand fest.
Während die Lichter von Bukarest unter uns immer kleiner wurden, fühlte ich mich mehr und mehr befreiter.
Meine erste Begegnung mit anderen Vampiren war furchterregend gewesen. Ich hatte erfahren, was es wirklich bedeutete zu diesen Kreaturen zu zählen.
Doch Ville war der Beweis, dass es auch anders möglich war zu leben und das Vampir nicht gleich Vampir war.
Nun würden wir zu Vampiren reisen, die so waren wie wir. Die noch Menschlichkeit in sich trugen und friedvoll eine Co-Existenz führten.
Ville drückte liebevoll meine Hand. Ich schaute ihm in die Augen. Er hatte alles für mich riskiert, obwohl er mich kaum kannte. Ville hatte seine Tournee für mich aufgegeben und sich die Wut der Guardianuls eingehandelt, weswegen er wohl auch nie wieder hierherkommen sollte.
Dennoch sah ich in seinem Blick kein Fünkchen Reue oder Traurigkeit. Er schien seinen Frieden mit seiner Entscheidung gemacht zu haben.
Und als Rumänien unter uns verschwunden war, versuchte ich ebenfalls diesen Frieden zu schließen.
Am späten Vormittag landeten wir in Helsinki. Das Wetter war kalt und regnerisch und dennoch war ich glücklich jetzt hier stehen zu können.
Doch so sehr ich mich auch freute, dämmerte es mir, dass ich keinerlei Ahnung hatte, wo ich Aleksi, Raila, Mika und Co. finden konnte.
Ich wusste nur, dass sie zwei Wohnsitze in Finnland hatten, einen in Helsinki und einen abgeschiedenen in der Nähe von Saariselkä, direkt zwischen zwei großen Nationalparks.
Doch dieses Mal hatte ich Ville an meiner Seite. Er kannte sich hier aus, wusste, wo man Vampire antreffen konnte und war vernetzt. Es beruhigte mich, dass sich die Suche dieses Mal nicht wieder so kompliziert gestalten würde.
Ville wollte erst einmal zu sich nach Hause fahren, obwohl ich mich am liebsten sofort aufgemacht hätte, Raila und ihre Freunde zu finden. Doch ich konnte verstehen, dass er seine Gitarren sicher nach Hause bringen wollte, bevor er sich mit mir ins nächste Abenteuer stürzte.
Bis jetzt hatte er mit mir nur Ärger kennengelernt, vielleicht ging er davon aus, dass sich dies hier fortsetzen würde.
Mit dem Taxi fuhren wir in den Stadtteil Katajanokka, ein ruhiges Hafenviertel mit wunderschönen Gebäuden im Jugendstil. Vor einem dieser Gebäude ließ Ville das Taxi anhalten und wir stiegen aus.
Er führte mich in das Haus, leerte seinen Briefkasten und stieg mit mir mehrere Etagen hoch, bis wir vor seiner Wohnungstür ankamen. Es fühlte sich alles so normal und menschlich an. Was für ein krasser Kontrast zu Bukarest, wo wir noch vor wenigen Stunden vor einer Horde Vampire um unser Leben gerannt waren.
Die Wohnung von Ville war mit dem Appartement in Bukarest nicht im Geringsten vergleichbar. Diese Wohnung strahlte Eleganz und Stil aus.
Dunkle Holzmöbel hoben sich vor weinroten Tapeten ab. Weißer Flokati lag auf Kirschholzparkett. Kronleuchter hingen von der Decke und schwere Ledersofas dominierten den Raum.
Besondere Aufmerksamkeit zog der Balkon auf sich. Nicht nur, weil er sehr gemütlich mit Korbsesseln und Windlichtern ausgestattet war, sondern weil er eine wunderschöne Aussicht auf das Meer bot. Das hätte ich niemals erwartet.
Angezogen von dem Anblick trat ich auf dem Balkon hinaus.
„Gefällt es dir?“, Ville trat hinter mich heran und reichte mir ein Glas. Der Duft von warmem Blut mischte sich mit der salzigen Luft des Meeres.
„Es ist wunderschön. Ich hätte nie gedacht, dass du hier so wohnst“, ich wollte mich sogleich korrigieren. „Also ich meine, die Wohnung in Bukarest sah ja schon sehr anders aus als diese hier“, versuchte ich es zu retten.
Ville lachte. „Du meinst schäbig?“
Ich errötete.