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Bärensprung war nicht gewillt, den Beginn der Zeitschrift noch weiter zu verschieben, also wandte er sich an seinen Nachbarn, Hofrat Ernst Friedrich Bouchholtz (1718–1790), «der die Gefälligkeit für ihn hatte, aus den wenigen bey im vorräthigen Aufsätzen das erste Stück zu arrangiren».41 Das nahm Wehnert Bärensprung sehr übel. Auf die Vorhaltungen, er habe sich ja nicht um die Zeitschrift gekümmert, rechtfertigte sich Wehnert, das ihm Zugeschickte habe nicht getaugt:
«Die mehrsten Aufsätze waren von einem brausenden Jüngling – waren Schaale ohne Kern; und die wenigen andern brauchbarern von einem oder dem andern Verfasser, waren schon von diesem jungen Menschen mit einer leidigen Censur, – (wenn man anders das höchst unreife Urtheil eines unbärtigen Jünglings Censur nennen kann:) – gestempelt, mithin der Aufnahme und Erscheinung im Publikum nicht ganz würdig erklärt.»42

Abschiedsgruss von Georg Bärensprung, Zschokkes Schüler, der im Alter von 21 Jahren starb. Der Sinnspruch deutet auf eine gemeinsame Erinnerung; Zschokke verwendete «Staub» als Metapher für Vergänglichkeit häufig in seinen Gedichten.
Auch wenn Zschokke diese kränkende Einschätzung seiner Person, seiner publizistischen Leistung und seines Urteilsvermögens nicht oder erst später las, konnte er schon daraus entnehmen, wie geringschätzig Wehnert von ihm dachte, dass er kaum einen Beitrag von ihm aufnahm. Weil Wehnert sich die alleinige Entscheidung ausbedungen hatte, was erscheinen sollte und was nicht, war Zschokke ausgebootet, kaum hatte er die Zeitschrift lanciert und in die Wege geleitet. Den weiteren Verlauf konnte er nicht mehr beeinflussen.
Wehnert wird stets als eigentlicher Gründer und erster Redakteur, ja als «die leitende Seele des Ganzen»43 angegeben – das stimmt nicht. Angestossen und vorbereitet wurde die Zeitschrift von Zschokke und Bärensprung. Wehnert stiess später dazu, übernahm nach Anfangsschwierigkeiten für ein Jahr die Schriftleitung, vermochte die Vereinbarung, «für hinlänglichen Vorrath an Manuscripten zu sorgen», aber nicht zu erfüllen. Bärensprung musste mit eigenem Material und Beiträgen aushelfen, um die Zeitschrift jedes Monatsende im vorgesehenen Umfang herauszugeben. Er stützte sich weiterhin auf die «Schweriner Gesellschaft», die sich aber Wehnerts Rotstift nicht unterziehen wollte und wohl mit Recht befürchtete, ihre Aufsätze könnten seiner rigiden Haltung zum Opfer fallen. Dadurch bekam Wehnert eben doch nicht alle Beiträge zu Gesicht. Ein Grund für Koordinationsschwierigkeiten war bestimmt auch die räumliche Distanz zwischen Druckort und Redaktion.
Es ist nicht ganz einfach festzustellen, ob und welche Beiträge von Zschokke stammten. Carl Günther ist geneigt, ihm die «mit ‹– – z› gezeichneten, unreifen Rezensionen und ‹Briefe über die Aufklärung›» zuzuschreiben.44 Deren Autor war aber der Güstrower Lehrer Johann Christian Friedrich Dietz (1765–1834), der schon als 15-Jähriger «Aufsätze eines Jünglings» (Rostock 1780) und als 18-Jähriger «Vermischte Bemerkungen über die Sitten. Litteratur und Aufklärung Mecklenburgs» in Winkopps «Bibliothek für Denker und Männer von Geschmack» veröffentlicht hatte.45 1786 gab er in Güstrow die Zeitschrift «Mecklenburgisches Museum» auf eigene Kosten heraus, deren erstes Heft er unter das Motto stellte: «Jeder deutsche Mann, der seine Fesseln fühlt, rassele damit dem Bösewicht um’s Ohr, und zerschlage sie, wenn’s möglich ist, an seiner Stirne.» Die Widmung lautete: «Allen Deutschen, vorzüglich Mecklenburgern, welchen Aufklärung, Tugend und Glückseligkeit der Menschen am Herzen lieget, gewidmet.»46
Um Zschokkes Beiträge zu identifizieren, müssen Inhalt und Stil untersucht und Bezüge zur Magdeburger Zeit oder zu seinen späteren Publikationen hergestellt werden. Man darf auch sein Alter nicht ausser Acht lassen, jene jugendliche Unbekümmertheit und Frische, die seine frühen Arbeiten auszeichnen, die Denkart, den Erfahrungshintergrund, die Interessen und den soziokulturellen Kontext.
Im ersten Heft der «Monatsschrift von und für Mecklenburg» liest man den «Brief eines mecklenburgischen Bauersmannes an den Verfaßer der Mecklenburgischen Kalender, besonders des sogenannten Schillingskalenders»47 von einem Friedlieb Ehrlich, Bauer zu Pampow. Das war, allein schon dem sprechenden Namen nach, ein fingiertes Schreiben. Ehrlich (vermutlich Zschokke) kritisierte den neuen Volkskalender und erläuterte, wie er seiner Meinung nach aussehen sollte: ohne die obligaten (tausendjährigen) Wetterprognosen und die Fahrpläne der Postkutschen, in die sowieso kein Bauer steigen würde, dafür mit Wirtschaftsregeln, «so eine Art von Garten- und Ackerkalender», mit unterhaltenden und belehrenden Beiträgen, um die «jämmerliche Unwissenheit unter uns Leuten» zu bekämpfen. «Mit großem Nutzen lasen wir auch, was 1777 von dem Kometen gesagt ward, vor dem wir uns sonst so sehr fürchteten.»
Der Autor dieses Briefes schlüpfte in das Kostüm eines einfachen, aber redlichen Bauern, versetzte sich in seine Welt, seine Bedürfnisse und Sorgen, und bediente sich einer einfachen, aber durchaus humorvollen Sprache, zeigt sich lernfähig, dem Neuen gegenüber aufgeschlossen, ausgerüstet mit einem wachen, gesunden Menschenverstand. Er wusste allerdings mehr, als er eigentlich wissen durfte, denn er bezog sich auf Beckers «Noth- und Hülfsbüchlein», das zu jener Zeit noch gar nicht ausgeliefert war. Zu Becker meinte er nämlich, dass nicht alle seine Ratschläge probat (brauchbar) seien oder stimmten.48 Falls der Beitrag von Zschokke stammt – und vieles spricht dafür –,49 wäre es der früheste Hinweis seines Interesses am Wohl der Landbevölkerung und seiner lebenslangen Tätigkeit als Volksbildner, stünde in einer Kontinuität mit dem Schweizerboten (1798–1836), dem «Schweizerboten-Kalender» (1805–1808) und dem «Goldmacherdorf» (1817) und wäre bereits erstaunlich klarsichtig.
Auch bei einem Gedicht, dem «Lied der Mecklenburgischen Truppen, als sie nach Holland marschirten», das im Septemberheft erschien,50 ist Zschokkes Autorenschaft wahrscheinlich. Bärensprungs Sohn Justus schrieb, ohne dafür Belege zu bringen, von Zschokke seien einige Gedichte in der «Monatsschrift von und für Mecklenburg» abgedruckt worden.51 Das «Lied der Mecklenburgischen Truppen» ist jenes, das am ehesten in Frage kommt.
Für Zschokkes schriftstellerische Tätigkeit in Schwerin finden sich weitere Beispiele. Als er die beiden Schüler seines Arbeitgebers in mecklenburgischer Geografie und Geschichte unterweisen sollte, stellte er fest, dass ein populäres Lehrbuch dazu fehlte und machte sich daran, selber eins zu schreiben. Als er von Schwerin abreiste, überliess er Bärensprung ein Manuskript von 114 Seiten mit dem Titel «Joh. Heinr. Zschokke’s Handbuch der Geographie von Mecklenburg, nebst einem Abriß der Geschichte dieses Landes. Für Schulen und Privatleser entworfen.»52 Zwei Ausschnitte daraus wurden von Justus Bärensprung 1830 in seinem «Freimüthigen Abendblatt» veröffentlicht:53 die Vorrede, in der Zschokke auch eine Literaturgeschichte Mecklenburgs versprach, falls sein Buch günstig aufgenommen werde, und der Abschnitt «Von Mecklenburg überhaupt». Zum Volkscharakter der Mecklenburger, schrieb er darin, könne er nichts anderes sagen, «als was schon in dem Journale von und für Mecklenburg (1stes Stück, 1788) gesagt wurde».54 Ein solcher Aufsatz findet sich aber nicht in dieser Monatsschrift, so dass man annehmen muss, dass es sich um einen unterdrückten Beitrag handelt, die Schale ohne Kern eines brausenden Jünglings, wie Wehnert gerügt hatte. Es gehörte tatsächlich einige Unverfrorenheit dazu, nach knapp vierteljährigem Aufenthalt seine Meinung über die Bevölkerung abzugeben und es ihr als Frucht ausgiebiger Beobachtung zu präsentieren.
Auch andere Bemerkungen strotzen vor Verallgemeinerungen, selbst wenn Zschokke ein Stück weit recht haben mochte, wenn er «das Steife, das kleinstädtische Komplimentirwesen, das Gezwungene, welches in Mecklenburg zuweilen noch in Gesellschaften herrscht», monierte. Das war ja auch anderen Fremden aufgefallen. Abgesehen von dem «unreifen Urtheil eines unbärtigen Jünglings» und einer gewissen Unbeholfenheit in Darstellung und Argumentation erstaunt die sprachliche Sicherheit, die Leichtigkeit der Formulierung, die das Schreibvermögen eines durchschnittlichen 17-jährigen Gymnasiasten übertrifft, auch wenn die stilistische Eleganz von später hier noch fehlt.
GEISTERSEHER UND BLUTRÜNSTIGE DRAMEN
Zschokke schrieb im Juni 1789 an Andreas Gottfried Behrendsen, er sei in Schwerin zum Scherz κατ ’εξοχην, der Dichter, genannt worden.55 Das bezog sich natürlich nicht auf sein «Handbuch der Geographie von Mecklenburg», sondern auf andere literarische Arbeiten und Projekte. Sich selber betitelte er damals als Gelehrter und unterschrieb den ersten Brief, den wir überhaupt von ihm kennen, als «J. H. Zschokke, Homme des Lettres, wohnhaft beim Hofbuchdrukker Hl. Bärensprung».56
Von diesem Brief mit der aufschlussreichen Unterschrift ist noch mehr zu sagen. Im Juni 1788 wandte sich Zschokke an den Hamburger Verleger Benjamin Gottlob Hoffmann (1748–1818), um sich zu erkundigen, ob er ein «Werkchen» mit dem Titel «Raritäten und Albertäten vom Einsiedler Karmela» bei ihm herausgeben dürfe.57 Die beiden Schreiben an Hoffmann sind das einzige private Zeugnis Zschokkes aus Schwerin, das uns Auskunft gibt, womit er sich im Sommer 1788 neben Schulegeben, Korrekturen und dem «Handbuch» sonst noch befasste. Das angebotene «Werkchen» sollte 18 Bogen (288 Seiten) stark sein, drei Fortsetzungen bekommen und in allem den «Charlatanerien» von Cranz gleichen, ausgenommen, dass es auf dessen Religionsspöttereien und Angriffe auf Männer von Verdienst verzichte, es sei denn auf solche, die, «mögt ich sagen, notorisch berüchtigt sind».
August Friedrich Cranz (1737–1801), ein ehemaliger preussischer Kriegsund Steuerrat, der seit 1781 als Schriftsteller in Berlin lebte, hatte sich mit seiner fünfteiligen «Gallerie der Teufel», die Zschokke in seinem Brief ebenfalls erwähnte, Geltung als Satiriker verschafft.58 Es war eine humorvoll-satirische, lustvoll fabulierende, pseudo-gelehrte Schilderung von Abenteuern und Streichen verschiedener Teufel in Politik und Hofleben, die zeigten, wo überall die Teufel oder Laster, die sie vertraten, Einfluss besassen. Als eine Art Fortsetzung lieferte Cranz «Charlatanerien in alphabetischer Ordnung»,59 worin er lexikonartig politische, theologische, gelehrte und künstlerische Begriffe und Berufe wie Arzt, Bibel, Justiz, Literatur, Lobreden, Militär, Nutzen, Orthodoxie, Rang, Urteil und Recht durchleuchtete, um den Anteil an Scharlatanerie zu messen, die er so definierte: «Gaukelspiele die wie lauter Wichtigkeiten aussehen und wo nichts dahinter ist».60 Mit besonderer Freude widmete sich der weltgewandte Aufklärer den Schwächen der Kirche, ihrer Diener und ihren Lehren.
Die Art, wie es Cranz gelang, in scherzhaftem Ton Wahrheiten auszusprechen und eine grosse Leserschaft zu gewinnen, ohne von der preussischen Zensur behelligt zu werden,61 hatte Zschokke beeindruckt. Seit dem vergangenen Sommer, schrieb er Hoffmann – also schon in Magdeburg –, habe er an diesem «Werkchen» gearbeitet, von dem er überzeugt sei, dass es «nach einer so langen Pause, welche unsre launigsten Schriftsteller machten, kein so ganz unwillkommenes Gericht sein soll und wird». Gegen ein mässiges Honorar von vier Reichstalern pro Bogen verspreche er, alle Folgebände «in der muntern Laune, mit den satyrischen Zügen und dem treffenden Wizze geschrieben zu liefern» wie den ersten Band. Falls Hoffmann einen Kupferstich beifügen wolle, werde er ihm einen sinnigen Vorschlag mit einer Zeichnung schicken. Er bat, der Antwort einen Verlagskatalog beizulegen.
Auf diese Antwort wartete Zschokke fast zwei Monate vergebens, dann schrieb er erneut.62 Er habe mit einigen durch ihre schriftstellerischen Arbeiten berühmten Männern ein Buch mit dem Titel «Narren-Kronik!» von 23 Bogen (368 Seiten in Oktav) verfasst, das sie an der kommenden Leipziger Messe veröffentlicht sehen möchten. Zu jeder Leipziger Messe (also im Frühling und Herbst) werde ein weiterer Band folgen. «Ich hoffe daß es Sensazion im Publikum erregen, und mit Vergnügen gelesen wird, eben so wol als Wekhrlins graues Ungeheuer oder die Chronologen.»
Die «Charlatanerien», mit denen sein Buch ursprünglich in allem Ähnlichkeit haben sollte, erwähnte Zschokke diesmal nur nebenbei. Der süddeutsche Publizist Wilhelm Ludwig Wekhrlin (1739–1792) mit seinen beiden erfolgreichen Zeitschriften «Die Chronologen»63 und «Das Graue Ungeheuer»,64 die Zschokke in seinem zweiten Brief ansprach, war ein anderes Kaliber als Cranz. Er war ein noch streitbarerer Publizist, ein unabhängiger Denker, politisch engagiert und hatte in seinem «Almanach der Philosophie aufs Jahr 1783» Voltaire gerühmt und eine Bibliografie der Philosophie, das heisst des Unglaubens, aufgestellt.65
Zschokkes literarischen Projekte hatten in den zwei Monaten vom ersten zum zweiten Brief bedeutend an Ausdehnung und Umfang gewonnen. Die Anzahl Bände, halbjährlich geplant, sollte jetzt nicht mehr begrenzt sein. Aus den «Raritäten und Albertäten vom Einsiedler Karmela» waren «Raritäten und Albertäten meiner Zeitgenossen[,] ein alphabetisches Bruchstük von M. Paskwin» geworden, eine Anspielung auf Pasquino, jene antike Statue in Rom, an die früher Spottverse geheftet wurden, woraus sich der Begriff Pasquill ableitet.66
In seinen «Charlatanerien» hatte Cranz 1781 angekündigt, er werde, nachdem er in der «Gallerie der Teufel» die Laster der Mächtigen und in den «Charlatanerien» die Windbeuteleien der Prominenz zur Zielscheibe seines Spotts gemacht hatte, sich jetzt den Narren zuwenden. Das von Cranz vorgesehene «Narrenhospital»,67 in dem er Jesus Sirach als Arzt auftreten lassen wollte, nach dem Motto: «Die Ruthe auf den Rücken der Narren», kam nicht zustande, und jetzt wollte Zschokke offenbar die Lücke schliessen. Er traute sich zu, die menschlichen Schwächen und Dummheiten genauso beredt und witzig wie Cranz anzuprangern. Weil es so leicht daherkam, dachte er wohl, es sei auch leicht zu schreiben. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs hätte er dann wie Cranz weitere Bücher mit dem Vermerk auf das Erstlingsbuch erscheinen lassen, also «vom Autor der Narren-Kronik». Vorerst scheiterte der Plan allerdings an der Suche nach einem Verlag. Aber noch war nichts verloren, auch Cranz hatte seine wichtigsten Satiren im Eigenverlag veröffentlicht.
Acht Beiträge hatte Zschokke für seine «Narren-Kronik» vorgesehen, einige wohl als laufende Titel für eine ganze Serie: «Fragmente aus dem Taschenbuche des weisen Kadmorsurigand», «Raritäten und Albertäten meiner Zeitgenossen», «Mondlieder und Anecdoten» und «litterarisch kritischer Narrenprangen nebst Auszügen aus dem Buche v[om] Stein des Weisen». Man spürt allenthalben eine Anspielung auf Bekanntes. So hatte der jung verstorbene Ludwig Heinrich Christoph Hölty (1748–1776), Mitglied des Göttinger Hainbunds, viel beachtete Mondlieder gedichtet. Der Titel «Skizze einer Geschichte der Astrologie nebst ein[em] Abris der astrologischen Litteratur» nahm Bezug auf Zschokkes Tätigkeit für Reichards «Beiträge zur Beförderung einer nähern Einsicht in das gesamte Geisterreich». Es ist anzunehmen, dass die meisten Manuskripte schon vorlagen, denn Zschokke wartete nur auf die Zustimmung Hoffmanns, um sie ihm zuzusenden. Anders wäre es gar nicht möglich gewesen, den ersten Band noch zur Michaelismesse erscheinen zu lassen.
Er erhielt aber auch auf diesen zweiten Brief von Hoffmann keine Antwort. Die von ihm verschmähte «Narren-Kronik» brachte Zschokke auf einem anderen Weg doch noch in die Öffentlichkeit: «Über Ahndungen» wurde überarbeitet und als «An Rosais. Über Ahndungsvermögen und Schuzgeister» 1791 im ersten Band von «Schwärmerey und Traum in Fragmenten, Romanen und Dialogen von Johann von Magdeburg» veröffentlicht. In vier Briefen beruhigt darin Johann von Magdeburg – ein Pseudonym Zschokkes – die Angst einer jungen Frau vor dem Eintreten böser Vorahnungen, vor Einbildungen und Wunderglauben.
«Der Hang zum Wunderbaren in unsern Tagen ist beinahe noch eben derselbe, der er in vorigen Jahrhunderten war, und hat zu seinem Ursprunge eben die Ursachen, als damals. Diese sind vorzüglich Mangel an tiefern Einsichten in die Mysterien der Natur [...].»68
Man merkt an den teils gelehrten Ausführungen und literarischen Verweisen, dass Zschokke sich theoretisch mit einem Thema auseinandersetzte, das ihn persönlich betraf, hatte er doch selber einmal an Magie, Dämonen und Geister geglaubt oder auf sie gehofft. Von den vier Dramen und sieben Romanen, den ungezählten Essays und Gedichten, die während Zschokkes Aufenthalt in Deutschland (bis August 1795) entstanden, ist «An Rosais. Über Ahndungsvermögen und Schuzgeister» die einzige Arbeit, welche in seine gesammelten Schriften Eingang gefunden hat.
Noch persönlicher wird Zschokke in einem Roman, den er im Brief an Hoffmann als «Wilhelm Walter, oder befriedigter Hang zur Magie, eine wahre iesuitisch-freimaürer[ische] Geschichte» bezeichnete. Es entstand daraus seine erste selbständige Veröffentlichung, «Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten. Eine warnende Anekdote unserer Zeit von J. H. Zsch***», die 1789 im Verlag Oehmigke in Küstrin herauskam.69
Obwohl diese Erzählung erst im Folgejahr erschien, muss sie hier erwähnt und etwas ausführlicher dargestellt werden, da sie in Schwerin (in Teilen wahrscheinlich bereits in Magdeburg) entstand und autobiografische Züge trägt. Gegen den Schluss wird in einer Fussnote auf Zschokkes «Narren-Kronik» verwiesen.70 Damit sind alle Zweifel ausgeräumt, dass dieser Kurzroman von 92 Seiten, den Adrian Braunbehrens vor zwanzig Jahren entdeckte und Heinrich Zschokke zuschrieb, tatsächlich von ihm stammt.71
Der erste Teil dieses Textes folgt zunächst Zschokkes eigenem Werdegang. Wilhelm Walter, in einer mittelgrossen deutschen Stadt geboren, verliert früh seinen Vater. Ihn faszinieren Märchen und Erzählungen in der Art von 1001 Nacht, wo dienstbare Geister vorkommen, und er wünscht sich eine Wunderlampe wie die von Aladin. Er liest, was ihm gerade in die Hände kommt, und als er in H* (Halle) sein Studium aufnimmt – hier trennen sich die Wege von Zschokke und Wilhelm –, vertieft er sich intensiv in magische Literatur. Als er die Nachricht erhält, dass seine Mutter im Sterben liegt, will er sogleich nach Hause fahren, wird aber unterwegs von einem buckligen Männchen in einem grauen Rock aufgehalten, das Interesse für seine magischen Studien bekundet. Es schnallt den als Buckel getarnten Rucksack ab, holt Geld heraus und gibt es Wilhelm. Zu Hause findet er die Mutter bereits tot. Überraschend wird er vom Magistrat seiner Vaterstadt als Sekretär angestellt und erhält regelmässig Besuche vom geheimnisvollen Fremden, der ihn in den Geheimnissen der Magie unterweist.
Da sein nächtliches Studium seine Gesundheit unterminiert, erkrankt Wilhelm schwer. Freunde und Bekannte versuchen, ihn von seiner verhängnisvollen Sucht zur Magie zu befreien und in die Wirklichkeit zurück zu holen. Tatsächlich scheint es ihnen zu gelingen, bis Wilhelm wieder dem Fremden begegnet, der ihn zu einer Zeremonie des Geheimordens der Dreifaltigkeit mitnimmt. Um aufgenommen zu werden und einen höheren Grad zu erreichen, muss er ein Schweigegelübde ablegen und Prüfungen bestehen. Man schickt ihn mit einer Botschaft zur Schwesterorganisation nach W*. Ein Mädchen macht sich an ihn heran, um ihm sein Geheimnis zu entlocken. Er widersteht zwar ihren Schmeicheleien, aber nicht ihren Reizen, und schläft mit ihr.
Anderntags erwacht er im Gefängnis, wo er einer strengen Befragung unterzogen wird. Einen Monat lang wird er unter den härtesten Bedingungen festgehalten und immer wieder verhört, gibt sein Wissen aber nicht preis. Seine Inquisitoren, so stellt sich heraus, sind Brüder des Ordens und haben seine Standfestigkeit und Verschwiegenheit zu prüfen. Zu diesem Zweck wurde ihm auch eine Dirne zugeführt. Wilhelm hat mit Bravour bestanden; er soll für den Orden jetzt schwierigere Aufgaben übernehmen, erhält reichlich Geld und wird in die beste Gesellschaft eingeführt. Aber seine Gesundheit ist durch die Kerkerhaft völlig zerrüttet, und er stirbt im Alter von 31 Jahren. Ein Ungenannter findet seine Aufzeichnungen und beschreibt das Schicksal des bedauernswerten Schwärmers, zur Warnung für Leute, die wie er Adepten der Magie werden möchten.

Der schmale Roman «Geister und Geisterseher oder Leben und frühes Ende eines Nekromantisten», der 1788 in Schwerin entstand, ist Zschokkes erstes selbständiges Werk. Es enthält autobiografische Anteile.
Die Erzählung steht im Umfeld von Zschokkes Tätigkeit für Elias Caspar Reichard mit dem Aber- und Wunderglauben seiner Zeit und fügt Elemente des damals noch jungen Genres des Geheimbundromans ein,72 eines Vehikels, dem sich ebenso viel aufladen liess wie dem Kriminalroman im nächsten Jahrhundert. Zschokke schrieb weitere Romane dieser Art; der vorliegende ist der unpolitischste und lehnt sich an die Andichtungen oder tatsächlichen Machenschaften des Grafen Cagliostro, der soeben von der päpstlichen Inquisition verhaftet worden war, der Rosenkreuzer, der Jesuiten und der Illuminaten an.
Zschokke gehörte mit den fast gleichaltrigen Ludwig Tieck (1773–1853) und E. T. A. Hoffmann (1776–1822) zu jenen Dichtern, die trotz Widerstand der Verwandten und der Schule und ungeachtet knapper finanzieller Mittel eifrig phantastische Literatur lasen und bald dazu neigten, selber solche Romane zu verfassen.73 In England besass diese Art von Literatur als «gothic novels» bereits eine Tradition.74 Marianne Thalmann spricht von einer literarischen Revolution, da diese jungen Menschen sich nicht mehr an literarischen Klassikern, sondern an Trivialliteratur orientierten.75 Der dort vorgefundene Stoff und die Motive liessen sich beliebig variieren und anreichern, um Spannungseffekte zu erzeugen. Der beliebteste deutsche Geheimbundroman, «von der jungen Generation bis zur Tollheit gelesen»,76 wurde «Der Genius», ein Vierteiler von Zschokkes Magdeburger Mitschüler Carl Grosse, der aber erst nach Zschokkes «Geister und Geisterseher» erschien, diesen Roman also nicht mehr beeinflussen konnte.77
Zschokke gab dem Verleger Hoffmann aus seiner «Narren-Kronik» vorderhand nichts zu lesen; stattdessen legte er das Manuskript eines Trauerspiels bei, mit der Erklärung, dass es an guten Trauer- und Lustspielen mangle, und Schauspieler ihm versprochen hätten, sein Stück in Schwerin aufzuführen. Nun stimmte es zwar, dass Hoffmann hin und wieder Dramen verlegte; die Aussicht auf eine Aufführung in Mecklenburg war aber sicher kein schlagendes Argument für ihn. Es scheint, dass Zschokke auch nicht unbedingt mit einer Zusage rechnete, aber von der Qualität seines im Sommer 1788 fertig gestellten Dramas überzeugt war und dem Brief mehr Gewicht verleihen wollte – auch im wörtlichen Sinn. Er scheue die Rezensenten nicht, von denen sich einige schon dazu geäussert hätten, schrieb er Hoffmann, deshalb sei er bereit, seinen Namen darunter zu setzen.
«Graf Monaldeschi» heisst das Drama, mit dem Nebentitel «oder Männerbund und Weiberwuth».78 Den Stoff hatte er einem Lexikon des Basler Professors Jakob Christoph Iselin (1681–1737) entnommen.79 Es ging darin um Königin Christina von Schweden (1626–1689), die gemäss Iselin wegen ihres italienischen Günstlings Monaldeschi auf ihren Thron und den protestantischen Glauben verzichtet hatte und 1656 mit ihm nach Frankreich reiste, wo sie aus kompromittierenden Briefen von seinem Verhältnis zu einer anderen Frau und seiner Verachtung für die Königin erfuhr. Darauf liess sie ihn auf Schloss Fontainebleau töten, was zu einer diplomatischen Verstimmung mit Frankreich führte. – Noch Jahrhunderte später wurden den Besuchern von Schloss Fontainebleau die Galerie gezeigt, wo diese Exekution stattfand, und das durchlöcherte Kettenhemd, das Monaldeschi dabei angeblich getragen hatte.80 Unter Weglassung der politischen Zusammenhänge, die auch bei Iselin nur angetönt sind,81 schrieb Zschokke ein bürgerliches Trauerspiel um Intrigen, Betrug und Verrat und konzentrierte sich auf Graf Monaldeschi, den er als Opfer von Machenschaften des Adels hinstellte. Monaldeschi verliebt sich in ein bürgerliches Mädchens, die Malerstochter Theresa, und will mit ihr eine Ehe eingehen, wird aber von der geballten Eifersucht der Königin und zweier Schurken, der Gräfin Kassandra de Karignan und des Marquis de Sida, zur Strecke gebracht. Kassandra vergiftet Theresa mit einem Glas Limonade, worauf deren Vater die Gräfin erdolcht. Zuvor aber hat die wahnsinnig gewordene Kassandra ihren Mord und die Fälschung der verräterischen Briefe Monaldeschis gestanden. Zu spät erfährt die Königin von ihrem Irrtum.