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Seine Hände entspannten sich. Er ließ ihre Schultern los. Wulf drehte sich um und sah seinen Bruder Leif vor sich stehen. Nach nur einem kurzen Atemzug umarmten sie einander.
»Verzeih meine Worte, Bruder. Aber der alte Mann hat einen solchen Sohn wie dich nicht verdient. Du siehst nur das Gute in ihm.«
Leif studierte Wulf kurz.
»Und du, Bruder, siehst noch immer nur das Schlechte in ihm. Wird das immer so weitergehen?« Leif lachte kurz, aber es klang gequält, voll Sorge
»Solange, bis Eilaf der Wahrheit entgegensieht, Leif. Genau solange.«
»Er wird nie aufhören zu glauben, er sei im Recht. Er hatte Kinder, Söhne, unser Onkel nicht. Vater hat die Zeit nur nach vorn gedreht.«
»Unser Onkel hatte auch Kinder«, beharrte Wulf.
»Ja, aber nicht mehr. Vater hat ein Recht auf diesen Thron, so wie ich, so wie auch du.«
»Ich verzichte auf diesen Thron. Ich wollte ihn nie, ich habe nie darum gebeten. Es war ganz allein Eilafs Entscheidung.«
»Vater wollte nur das Beste für dich.«
»Deshalb schickte er mich also all die Jahre nach Byzanz.« Wulf konnte nicht glauben, dass Leif noch immer hinter ihrem Vater stand. Sie führten diese Diskussion nicht zum ersten Mal.
»Er tat es, weil er glaubte, du wärst der geeignetste, fähigste von uns.«
»Schluss damit, Leif.« Wulf war es leid. »Wir werden uns in dieser Sache nie einig sein. Geh hinein und feiere, trink einen Met für mich und sieh zu, dass sich unser Bruder Harold nicht besinnungslos säuft.«
»Es ist gut, dass du wieder hier bist, Wulf«, sagte Leif ernst.
»Du bist einer der wenigen, der so denkt.«
»Täusch dich nicht. Viele wagen nicht zu sprechen ...«
»Ich täusche mich nicht in dir und meinte, was ich in der Halle sagte.« Wulf sah seinen Bruder durchdringend an. »Du denkst die Wahrheit, willst sie aber nicht sagen.«
Leif kannte den Blick seines Bruders und nickte leicht.
»Wirst du morgen am Strand sein?«, fragte er ihn abschließend. Zum ersten Mal an diesem Abend trat ein milder Ausdruck in Wulfs Gesicht.
»Von jetzt ab jeden Tag, Leif, jeden Tag. Davon habe ich über fünfzehn Jahre geträumt.«
»Ich werde hinunterkommen und dich besuchen. Die Schiffsbauern erwarten dich freudig.«
»Diesen Männern, Leif, glaube ich es.«
»Wulf?«
Robyn bemerkte, dass der Bruder ihres Retters sie musterte. Wulf folgte seinem Blick.
»Ihr habt sie wirklich aus dem Meer gefischt?«
»So wahr sie dort steht.«
»Die Leute reden schon jetzt über sie.«
»Die Leute sollen sich um ihren eigenen Kram kümmern.«
Einen Moment war es still. Ihr Atem stieg dampfend in die Winternacht auf. Der Wind strich leise durch die nahe gelegenen Nadelbäume.
»Eine Nixe«, sagte Leif, fast ehrfürchtig.
Gerade in diesem Augenblick schwoll das Dröhnen in Robyns Kopf wieder unerträglich an. Sie stöhnte leise und drehte sich zum Pferd hin, um ihnen ihren Schmerz nicht zeigen zu müssen.
»Bis morgen.« Leif wandte sich ab und ging langsam zur Halle zurück. Wulf nickte nur, hob Robyn mühelos in den Sattel und achtete nicht auf ihr Unbehagen.
8.
Du wirst noch eine Weile ausharren müssen, Nixe.« Mit Leichtigkeit hatte Wulf sich ebenfalls in den Sattel geschwungen.
Robyn hörte seine Worte kaum. Sie krallte sich an seinem Umhang fest, musste sich an ihn lehnen, um wieder Herr über den Schmerz zu werden. Er ließ sie gewähren und zügelte das Pferd, das wie er nach Hause drängte.
Nach einer Weile entkrampfte Robyn ihre Hände. Wieder hatte der Schmerz nachgelassen. Sie würde in den nächsten Tagen versuchen, sich weniger abrupt zu bewegen. Sie öffnete die Augen, ohne ihren Kopf zu heben, und betrachtete in der Dunkelheit die Häuser der Nordmenschen. Einfache Häuser, aber stabil und dem Wetter trotzend. Manchmal schlich ein Schatten um sie, doch sie war sich nicht sicher, ob sie Mensch oder Tier beobachtete. Die Abstände der Häuser wurden größer, umso dichter die Bäume wuchsen. Sie hatten den Wald erreicht, der sie mit unheimlicher Stille empfing, nur das Stapfen des Pferdes war zu hören. Dann aber sah Robyn wieder Schatten, hinter den Bäumen. Diesmal glaubte sie zu irren.
»Wachen«, meinte ihr Retter, der ihrem Blick gefolgt war, »die uns vor unseren eigenen Leuten schützen sollen. Vor jenen, die dich raubten.«
Robyn verstand noch immer nicht, was hier vorging. Befanden sich die Nordmenschen im Zwist mit ihresgleichen? Mit anderen Nordmenschen, die einmal zu ihnen gehört hatten? Einen anderen König hatten? Der kinderlos war? Der verstoßen worden war? Von jenem Rotschopf, dem sie misstraute?
Es verging einige Zeit. Zeit, die Robyn an ihrem Retter lehnte. Ihrem Ehemann. Sie würde keine Sklavin sein. Er hatte sein Versprechen gehalten. Aber sie würde die Frau eines zornigen Mannes werden. Dem eine Frau aufgezwungen worden war. Und nun eine zweite. Und sie wäre die Frau eines Mannes, der Anspruch auf den Thron hatte. Einen Thron, den er nicht haben wollte. Genauso wenig haben wollte wie sie als Ehefrau.
Begriff sie überhaupt, was passiert war? Wie konnte sie? Sie saß fast gelassen vor ihm auf dem Pferd, ihr Kopf Halt suchend an ihm, ihre Hände in seinen Mantel verschlungen. Was würde er tun, wenn sie in seinem Haus ankamen? Würde er sie schlagen? Ihr Gewalt antun? Oder sie ignorieren?
Ein Ruck ging durch den Pferdekörper.
»Pass auf.« Er ließ sie zuerst vom Pferd heruntergleiten. Sie hielt sich an der Mähne fest und sah sich um. Das Haus auf der anderen Seite des Pferdes war fast zugeschneit. Um es herum standen Tannen, die ihre schneebedeckten Zweige tief hängen ließen. Weitere Häuser konnte Robyn in der Nähe nicht ausmachen, der Weg vor ihr führte weiter in den Wald hinein. Weit konnte sie jedoch nicht sehen, die Dunkelheit und mit ihr der helle Schnee verschluckten Formen und Bewegungen.
Ihr Retter nahm das Pferd nicht wie erwartet mit zum Haus. Er wies es an, zu verweilen, was das mächtige Tier ohne Ungeduld akzeptierte. Jemand hatte scheinbar den Weg zum Haus etwas geräumt. Sie erreichten die Tür mühelos, Wulf schob sie auf, trat zuerst ein und wartete, dass sie ihm folgte.
Robyn war überrascht. Wärme stieg ihr entgegen. Das leichte Glühen der Feuerstelle strahlte noch genügend Wärme aus, um sie selbst an der Tür zu spüren. Doch das Haus war leer. Als hätten Geister gewirkt, um es wohnlich zu machen.
Wulf legte ohne Verzug etwas Holz nach und ging dann im Raum umher. Robyn verfolgte sein Tun. Er schüttete Wasser aus einem Eimer in einen Topf, den er ins Feuer stellte. Auf seinem Lager rechts türmten sich Felle und Decken, säuberlich gelegt, desgleichen Kleidung, von der er ein Hemd hervorzog, um es auf die Bank neben dem Feuer zu legen. Dann schritt er hinter das Feuer auf den Tisch zu. Dort lagen einige Bündel, die er kontrollierte. Dann sah Robyn, dass er Met in ein Horn einschenkte und damit auf sie zukam. Er überragte sie um mindestens einen Kopf, doch sie erwiderte seinen Blick furchtlos.
»Es ist Brauch, dass Mann und Frau am Tage ihrer Hochzeit aus einem Horn trinken.« Er gab ihr das Horn in die Hand. »Trink, Nixe. Auch diesem Ritual müssen wir uns beugen.«
Robyn setzte an, vorsichtig, um keine Schmerzen auszulösen, nahm jedoch einen tiefen Schluck und schloss die Augen, da sie plötzlich Durst und Hunger verspürte. Der Met verteilte sich angenehm auf ihrer Zunge. Dem Anlass zum Trotz trank sie einen weiteren langen Schluck und gab ihm dann das Horn. Wulf beendete den Brauch und leerte das Horn. Dann sah er hinab auf seine Frau.
Robyn spürte plötzlich seine Hand. Sie umfasste ihr Kinn, hob es langsam zu ihm empor, als wisse er, dass ihr jede schnelle Bewegung weh getan hätte. Eine Ewigkeit blickte er sie an, intensiv und konzentriert. Dann kehrte die Bitterkeit in sein Gesicht zurück.
»Wasch dich, wenn dir danach ist. Zumindest trockne dich. Zieh das Hemd dort an, Kleidung werde ich dir noch beschaffen. Essen, etwas Brot und getrocknete Beeren sind auf dem Tisch. Sieh zu, dass das Feuer nicht ausgeht. Leg noch etwas Holz nach und dann schlaf. Du siehst aus, als hättest du es nötig. Ich bin bald zurück. Warte nicht, geh schlafen.«
Robyn erwartete, dass er sie loslassen würde, doch stattdessen siegte etwas anderes in ihm, nur für einen Augenblick. Er beugte sich gefährlich nahe zu ihr, sie konnte den Met in seinem Atem riechen.
»Nicht Sklavin wirst du sein«, wiederholte er sein Versprechen.
Robyn schreckte zurück, als er versuchte, sie zu küssen. Es war die erste bewusste Abneigung, die sie ihm offenbarte. Sie machte sich von seiner Hand los, von seiner Nähe.
»Schon gut, Nixe«, meinte er, »ich hatte es nicht anders erwartet. Schlaf gut.«
Er ging ohne ein weiteres Wort. Robyn stand da, ließ die Zeit verstreichen. Zuerst zuckten ihre Schultern, dann ihr Unterleib, dann sie. Im Schein des wärmenden Feuers stöhnte sie auf, vor Schmerz, Verzweiflung, Ungewissheit. Plötzlich war die Wärme nicht wohltuend, nicht mehr lindernd. Sie schrie auf, als sie zurück ins Freie trat hin zu einer aufgetürmten Schneewehe. Sie sank auf die Knie, drückte Schnee auf ihre linke Gesichtshälfte, bedeckte ihr Ohr damit. Ihr Aufstöhnen hallte durch den Wald, doch sie hörte es nicht, zuckte nach einer Weile nur noch unter ihren Weinkrämpfen, die nicht allein ihr Ohr verursachte.
Wulf wusste das. Er saß im Wald verborgen auf seinem Pferd, hatte auf eine Reaktion gewartet, eine Flucht vielleicht. Doch sie dachte nicht an Flucht, sie betäubte dort ihren Schmerz, jenen offensichtlichen und jenen, den sie ihm vorhin eingestanden hatte. Keine Sklavin. Ehefrau. Verurteilt zu leben. Etwas, das sie nicht gewollt hatte.
Er betrachtete ihren Kampf.
Zumindest darin sind wir uns einig, Nixe, dachte er. Keiner von uns beiden will dieses Leben.
Er wartete bis sie wieder nach drinnen ging, sicher war, dass sie die Tür verschloss und nicht daran dachte zu erfrieren. Sie würde weiterkämpfen.
9.
Der schwere Hengst stapfte zügig durch die Schneewehen. Er kannte den Weg gut. Sein Herr ritt ihn meist des Abends, wenn es unauffälliger war.
Wulf interessierte nicht, dass die Ritte ein Vergehen bedeuteten. Er begab sich dorthin, wo er, anders als in seinem Dorf, Wärme und Zuneigung erhielt. Er ging dorthin, wo jene zwei Menschen lebten, die ihm wirklich Mutter und Vater waren, ihn verstanden, ihm gaben, was er von Eilaf und seiner toten Mutter nie erfahren hatte. Da sie selbst keine Kinder hatten, hatte Wulf in ihren Herzen immer diesen Platz eingenommen. Und Wulf wusste, dass er diesen Platz auch gehabt hätte, hätten sie Kinder besessen.
Das Süddorf lag in einer Senke, so dass das Pferd mit Bedacht den Hügel hinabschritt, zuweilen hinunterglitt, doch sein Herr hatte ihn gut ausgebildet. Er blieb ruhig, wie er es in Byzanz gelernt hatte.
Wulf fühlte, dass es kälter geworden war. Er würde nicht lange verweilen können. Doch zumindest wollte er sie sehen. Und er musste Annija um Kleidung bitten. Dann konnte er seinen Wahleltern erzählen, dass Eilaf ihm wiederum eine Frau gegeben hatte. Weil er ihn aus dem Weg haben wollte.
Arnulfs Haus stand wie das seinige etwas abseits. Schon von weitem sah Wulf ihn in der Tür stehen. Der Lichtschein fiel auf den kräftigen Schiffbauer, der verhinderte, dass der Hund lossprang, um Wulf zu begrüßen. Annija tauchte hinter ihm auf, putzte sich ihre Hände an der Schürze ab und lächelte, als Wulf das Pferd vor ihnen zum Stehen brachte.
»Es tut so gut, dich zu sehen«, sagte sie. Sie konnte es kaum erwarten, dass er abstieg und sie an sich zog und leicht hochhob.
»Wie hat mir das gefehlt!« Wulf ließ sie wieder herunter, umarmte Arnulf wie es ein Sohn tun würde, ohne Scheu, ohne Zurückhaltung, einen Moment zu lang.
»Willst du über Nacht bleiben, Junge?«
Arnulf sah ihn abwartend an.
»Lasst uns kurz reingehen, dann erkläre ich euch den Grund meines Hierseins.«
Arnulf und Annija tauschten einen Blick. Sie bemerkten den bitteren Klang in Wulfs Stimme und folgten ihm wortlos hinein.
Annija sorgte für etwas Met, während Arnulf seinen Sohn und Freund musterte, den er seit zwei Jahren nicht gesehen hatte. Der Junge starrte mit finsterem Blick in das Feuer, die Arme verschränkt. Erst als Annija ihm das Horn reichte, sah er auf. Die dunklen, blauen Augen suchten ihn und baten ihn wortlos um Hilfe.
»Sprich, Junge, was ist passiert? Wir haben dein Haus in den letzten Tagen stets etwas hergerichtet in Erwartung deiner Ankunft, brachten dir Kleidung und Essen. Das Risiko hierher zu kommen ist groß, auch wenn wir froh sind über dein Kommen. Aber was hat dich bewogen?«
»Auf der Überfahrt fischten wir eine Frau aus dem Wasser ... ich«, verbesserte er sich, »holte sie aus dem Wasser. Ein Schiff aus dem Westdorf hat sie geraubt und ist in dem Sturm untergegangen. Sie ist wahrscheinlich die einzige Überlebende. Eilaf fragte, wer sie zur Frau begehrte. Niemand wollte sie. Doch sie wird nicht als Magd hierbleiben. Er machte sie zu ...« Wulf atmete tief durch. Arnulf und Annija warteten, dass er weitersprach.
»Er machte sie zu meiner Frau«, stieß er dann hervor.
Die beiden schwiegen für einen Moment. Er hatte schon einmal so vor ihnen gestanden. Vor vier Jahren. Hatte eine Frau nehmen müssen, die er nicht einmal in der Lage gewesen war zu mögen. Die in ihm vieles zerstört hatte. Er bekam ein ungezügeltes Weib ohne jeden Anstand. Sie hatte nach Einfluss gegiert und blieb zeitlebens unverständig, dass ihr Ehemann sich nichts aus seiner Stellung machte. Sie war unleidlich gewesen, dass er weit ab einem anderen Herrn diente. Sie wurde maßlos, skrupellos. Und schließlich untreu.
»Eine Nordfrau?«, fragte Annija vorsichtig.
Wulf war fast froh, dass sie versuchte, ihn von seinen düsteren Gedanken und Erinnerungen abzulenken.
»Wahrscheinlich. Sie hat noch nicht gesprochen. Sie scheint sich den Kiefer oder das Ohr verletzt zu haben.« Er wartete Annijas Reaktion ab. Sie überlegte, wägte die Umstände ab, wie sie es als Heilerin über viele Jahre hinweg gelernt hatte.
»Kann es sein«, wollte sie dann wissen, »dass sie ins Wasser gesprungen ist?«
»Sie hat sich damit womöglich sogar gerettet«, erwiderte Wulf.
»Mmh«, murmelte Annija. Sie ging an einen Tisch, der offensichtlich ihr vorbehalten war und mit getrockneten Kräutern, kleinen Schalen und handgeschnitzten Dosen übersät war. Sie suchte eine Weile, dann ergriff sie eine Dose und brachte sie Wulf.
»Ich denke, sie hat sich nicht den Kiefer verletzt, sondern das Ohr. Möglich, dass sie auf diesem Ohr nie wieder richtig hören wird. Aber gegen den Schmerz kann ich etwas tun. Gib ihr das, sie soll es um das Ohr schmieren, es kühlt und lindert etwas. Ist sie etwas desorientiert?«
»Ja, schnelle Bewegungen fallen ihr schwer«, erklärte Wulf. Er erinnerte sich an ihre Unsicherheiten seit er sie aus dem Wasser gezogen hatte.
»Ich weiß, es verlangt dir viel ab, aber lass sie in den nächsten Tagen etwas in Ruhe. Gib ihr nicht zu schwere Arbeiten; weben und Wasser holen und dir Freude bereiten kann sie später noch.«
Annija und Arnulf sahen ihn wiederum schweigend an. Noch hatte Arnulf nichts gesagt, er kam jedoch nahe zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter.
»Wer hat Schuld, Wulf? Das ist es, was du wissen willst, nicht wahr?«
»Wer sonst, wenn nicht Eilaf?«, stieß Wulf wütend hervor.
»Sicher?«
Wulf sah Arnulf an.
»Du meinst, ich hätte sie nicht aus dem Wasser ziehen sollen?« Wulf klang ungläubig.
»Nun, Wulf, ich glaube, du hast das richtige getan. Alles hat seinen Grund. Auch, dass du so empfindest und sie nicht hast ertrinken lassen, wie es deine Männer wahrscheinlich getan hätten.«
Arnulf tauschte einen Blick mit Annija. Sie schien dem zuzustimmen.
»Wulf«, meinte Arnulf eindringlich, »anders als die meisten Männer hier, jedoch auch deine eigenen Männer der Leibgarde, kennst du Mäßigung und Zurückhaltung. Du hast einer Frau mehr zu bieten. Deine erste Frau verstand das nicht, sie hat dafür bezahlt ...«
»Arnulf«, sagte Annija leise, doch Arnulf ließ sich nicht beirren.
»Nein, Annija, Dora war ein schlechter Mensch und hatte Wulf nicht verdient. Den Tod vielleicht nicht, aber verursacht hat sie ihn selbst, während sie im Kindsbett Wulf ihre Untreue offenbarte. Ein Knabe mit roten Haaren ...« Arnulf hätte ausspucken mögen. »Ich kann nicht sagen, dass mir Dora leidtut, der Knabe schon ... sein Fehler war es nicht ... aber vielleicht ist es gut so, dass sie beide dabei starben ...«
»Arnulf«, sagte sie diesmal laut.
»Annija«, beschwichtigte Wulf sie, »er hat Recht. Ich kann nicht sagen, dass es schmerzte, sie und den Knaben gehen zu sehen ... ich ...« Wulf blickte zurück ins Feuer. »Es ist nicht zu ändern, genauso fühle ich.«
Arnulf hatte sich wieder beruhigt. »Wulf, sieh in ihr nicht Dora. Das hat sie vielleicht nicht verdient. Ändern werden wir nicht, dass sie ab jetzt deine Frau ist, aber du wirst stark genug sein, um Eilaf nicht wieder einen Grund zu geben, dich fortzuschicken.«
»Ich wünschte, ich hätte einen Grund gehabt, nicht wiederzukehren. Ich wünschte, es wäre so.«
»Sag so etwas nicht«, warf Annija aufgebracht ein.
»Doch, Annija, es ist so. Oder ist es so, wie es ist, erträglich?«
»Es ist der Prinz, der jetzt spricht«, meinte Arnulf.
»Du weißt, wie wenig mir das bedeutet.«
»Vielleicht mehr als deinen Brüdern und deinem Vater.« Arnulf studierte den wiederkehrenden bitteren Ausdruck in Wulfs Gesicht.
»Er ist so wenig mein Vater wie Leif und Harold meine Brüder sind. Und er wird es mich spüren lassen, solange ich lebe. Ich hasse ihn dafür. Ich verfluche ihn. Er hätte mich damals in den Trümmern sterben lassen sollen. Warum hat er Mitleid für einen Jungen gezeigt, dessen Eltern und Geschwister durch sein Verschulden umgekommen waren? Warum, Arnulf, warum? Hast du dafür einen Grund? Einen Grund für diese grausame Tat?«
»Eine grausame Tat?« Arnulf mühte sich, seine Beherrschung zu behalten. »Womöglich, Wulf, aber es wäre noch grausamer gewesen, hätte dieser in deinen Augen herrschsüchtige, ruchlose und ungezügelte Despot dich sterben lassen. Er tat es nicht!« Arnulfs Stimme drohte sich zu überschlagen. »Stattdessen nahm er dich als seinen eigenen Sohn an, mit allen Rechten, aber auch Pflichten ...«
»Rechte, Arnulf?«
»Bei den Göttern, Junge, wenn du nicht wie mein eigener Sohn wärst, würde ich dir am liebsten ins Gesicht schlagen.«
Wulf verbiss sich einen weiteren Kommentar. Die klaren, ehrlichen Worte seines Freundes trafen ihn mehr, als er je zugeben würde.
»Wenn du es wünschtest, Wulf, würdest du wie deine Brüder in der Halle leben können, wie es deinem Rang und Namen entspricht. Du entscheidest dich aber für die Einöde, für ein Randdasein, nicht nur wegen deines Handwerkes. Wir Schiffbauer werden immer anders sein durch unsere Einstellung. Aber bei den Göttern, Wulf, du treibst es seit Jahren auf die Spitze. Bist selten Gast am Tische deines Vaters, lehnst jegliche Einladung ab, es sei denn, es lässt sich nicht vermeiden ...« Arnulf holte kurz tief Luft. Es schien, als hätte er dieses Gespräch schon länger im Kopf gehabt. Trotzdem traf es ihn unvorbereitet, Wulf so kurz nach seiner langersehnten Wiederkehr die Meinung zu sagen.
»Weißt du, warum dein Vater dich und nicht deine Brüder fortschickte? Hast du es dir je einmal wirklich durch den Kopf gehen lassen?«
»Ich glaube noch immer, dass er mich loswerden wollte ...«, begann Wulf vorsichtig.
Arnulf brummte vor sich hin. Er ging zum Feuer, legte Holz nach und sah im erwachenden Feuerschein in die Augen seines Ziehsohns.
»Wulf.« Arnulf atmete erneut tief ein und aus. »Er schickte jenen Sohn fort, der die Dinge vielleicht wieder in Ordnung bringen kann. Er schickte dich fort, damit du lernst. Nicht das Kämpfen, sondern das Herrschen. Damit du andere Herrscher siehst und von ihnen lernst. Harold und Leif haben diese Möglichkeit nie gehabt. Sie sehen nur ihren despotischen Vater, folgen ihm und dem Chaos, das Eilaf vor so vielen Jahren angerichtet hat. Despot, Wulf, ja, aber er ließ seinen Leuten auch die Wahl. Und sie wählten den leichten Weg der Feindschaft. Eilaf richtete Unheil an, spielte seine eigenen Leute gegeneinander aus, so dass sie schließlich begannen, einander umzubringen. Er war nicht dumm, Wulf. Und die Gerüchte, Wulf, er sei verantwortlich für den Tod der Kinder seines Bruders ... was glaubst du?«
»Ich habe nie behauptet, Eilaf sei dumm. Aber er ist auf eine gefährliche Art schlau und wusste um die wunden Punkte seiner Gegner.«
»Ah, natürlich wusste er das. Nichts wird ändern können, dass Wiglifs Kinder in einer anderen Welt sind und das zuallererst Harold Thronerbe ist.«
»Dann verstehe ich immer noch nicht, warum er mich fortschickte, wenn er mich für den fähigsten hielt.«
»Wulf.« Arnulf wusste um die Gefahr, aber es musste gesagt werden. Das hier war wichtig für die nächsten Monate, deren lange Arme sich bereits nach ihnen ausstreckten und nichts Gutes verhießen, »Harold ist ein Säufer ...«
»Arnulf, das ist kein Geheimnis.«
»Wulf«, mischte sich nun Annija ein, »Harold ist im Begriff sich damit mehr oder weniger das Leben zu nehmen.«
»Wie meinst du das?«
Annija kaute kurz auf ihrer Unterlippe. Nur einen Moment zögerte sie, doch sie konnte Wulf vollends vertrauen.
»Vor einigen Wochen«, begann sie unsicher, »schickte Harolds Frau einen Boten hierher. Des Nachts. Du weißt, die Heilerin in eurem Dorf ist nichts weiter als eine böse Zauberin. Sie versteht nichts von Kräutern und Tinkturen, nur von ihren Sprüchen und alten Knochen, von denen sie glaubt, dass sie alles heilen können. Nun, der Bote bat mich eindringlich mitzukommen. Es gehe um Leben und Tod des Thronerben. Ich ging mit ihm, wurde in die Halle geführt, so dass niemand etwas bemerkte, nicht einmal der König. Harold war in einem entsetzlichen Zustand. Ich habe noch nie gesehen, was Zügellosigkeit wirklich mit einem Menschen anrichten kann. Dein Bruder, Wulf, ist sehr, sehr krank. Ich konnte ihn in dieser Nacht retten, aber ich befürchte, wenn er nicht aufhört in dem Maße zu trinken, wie er es seit Jahren tut, wird irgendwann jede Hilfe zu spät kommen.«
»Was ...« Wulf stockte kurz, er war sich nicht sicher, ob er mehr wissen wollte. »Was meinst du damit, was Zügellosigkeit anrichten kann?«
Annija war es sichtlich peinlich, darüber zu sprechen. Sie räusperte sich kurz.
»Er ... er erkannte nicht einmal mehr seine eigene Frau. Er hatte jegliche Kontrolle über seinen Körper verloren ... ich meine, er ... er erbrach sich, er ... nun ,..er schrie, wir mussten ihn knebeln, damit er niemanden weckte ...«
Wulf strich sich kurz über das Gesicht. Doch Arnulf ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
»Und Leif?«, fuhr er fort, »Leif ist ein guter Junge, aber ein König?«
»Nicht, Arnulf, nicht Leif ...«
»Doch, Junge, es muss gesagt werden. Er wäre ein schwacher König. Und das weißt du. Er würde nie richten können, was sein Vater verursachte. Eilaf akzeptierte die Trennung. Er musste sie akzeptieren. Das Königreich zerfiel, wir alle waren Zeuge, entschieden uns für eine der drei Seiten. Niemand ist wirklich glücklich damit ...«
»Ich hatte nie eine Wahl, Arnulf«, brauste Wulf auf.
»Oh doch, Wulf, und es war dein Vater, der dir die Wahl ließ. Du bist wiedergekommen. Du bist nicht beim Kaiser geblieben oder hast dich in andere Dienste begeben. Du stehst mir gegenüber mit all deinem Stolz und Trotz, all deinen Fähigkeiten, deinem Mut und deiner Schlauheit. Und was gibst du deinen Leuten? Was gibst du uns, der du so anders bist als dein Vater? Der unsere Hoffnung sein könnte? Ablehnung, Wulf! Du lehnst uns ab. Deine eigenen Leute, die so darauf warten, erlöst zu werden.«






