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Wo war bloß ihre Entschlossenheit hin? Irgendwann zwischen dem Aufwachen und jetzt war sie verlorengegangen.
Es war kaum zu fassen, wie sehr ihr Körper nach seiner Berührung gierte und wie schnell er aus der Fassung geriet. Ihr war jetzt schon, als würde sie jeden Moment kommen. Ihre Beine fingen an zu zittern. Sie konnte sich kaum noch zurückhalten. Am liebsten hätte sie Charlie die Shorts heruntergerissen und sich auf ihn geworfen. Sie wollten ihn in sich haben. Sie verlor die Kontrolle. Genau das durfte nicht passieren, sonst wäre die ganze Übung gescheitert.
»Hör auf«, wollte sie sagen, aber ein Stöhnen kam ihr dazwischen und machte ihre Äußerung fast unverständlich.
»Noch ein bisschen«, flüsterte Charlie. Er warf einen Kuss auf ihren Nacken. Dann war sein Mund an ihrem Ohr. Er knabberte daran. Gleichzeit ließ er einen seiner Finger in sie gleiten.
»Nur ein bisschen.«
»Lass das bitte.«
»Sieh es als spirituelle Herausforderung an, als Prüfung.«
»Charlie!«
»Komm schon, Darling.«
Sie sah, wie er seinen Finger langsam aus ihr zurückzog. Sein Arm fuhr herauf und Charlie leckte seinen Finger so genüsslich ab, als würde er von einer süßen Köstlichkeit probieren.
»Übrigens«, sagte er leise, »hast du mich dich auch kein einziges Mal küssen lassen.«
»Charlie!«
»Nicht da unten.«
Lynn spürte, wie Charlie sie sanft in Richtung Bett ziehen wollte. Ihr Körper wollte nachgeben. Er hatte sich auf Charlies Seite geschlagen und sich mit ihm verbündet. Sie stand vollständig allein da. Umringt von Feinden.
»Nein«, sagte Lynn scharf.
»Komm, Darling. Ich will dich. Ich will meine zukünftige Frau.«
»Nein!« Lynn kämpfte sich aus Charlies Griff und presste ihre zitternden Beine zusammen. »Das genügt.«
»Willst wirklich aufhören? Jetzt?«
»Es ist Schluss!«
»Ich würde lieber weitermachen.«
»Ich würde auch gern weitermachen, aber wir haben etwas vor.«
Charlies verführerisches Minenspiel erstarb plötzlich. Seine Stirn legte sich in Falten. Frust stand jetzt in seinem Gesicht. »Was denn eigentlich? Was haben wir vor?«
»Das weißt du genau«, kam es zischend und zornig aus Lynn heraus.
»Okay, warte mal.« Charlie legte kurz sein Gesicht auf ihre Schultern, atmete schwer und schaute sie dann wieder an. »Ich will nicht streiten. Es ist nur so ... Du fehlst mir eben, okay? Ich will dich, und zwar richtig. Hörst du? Ich will dich richtig.«
»Wir haben etwas anderes vor.«
»Ich weiß, aber nach zwei Wochen darf man wohl eine Zwischenbilanz ziehen, oder?«
Sie sagte nichts. Charlie ging ein paar Schritte zurück. Lynn drehte sich zu ihm und sah, wie er sich vor dem Bett postierte. Seine Erektion war auf dem Rückzug.
»Du fehlst mir. Du stehst hier vor mir und du fehlst mir, Darling. Ich verstehe nicht, was daran gut sein könnte. Verdammt«, sagte er böse, »wir sind frisch verlobt!«
»Manchmal tut Entwicklung weh.«
»Woher hast du diese Sprüche eigentlich immer? Aus Glückskeksen?«
Lynn schüttelte den Kopf und griff mit einer wütenden Bewegung nach ihrer Jeans und ihrem Shirt. Sie merkte, wie der Zorn in ihr heiß und heftig wurde.
»Und das ist also alles für dich, ja?«
»Was meinst du?«, fragte Charlie.
»Alles, was dich mit mir verbindet – Vögeln.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber so ist es doch.«
»Nein.«
»Aber ohne Ficken ist alles andere nicht viel wert.«
Charlie schluckte merklich. Sie hatte ihn geschockt. Das sah sie, aber es änderte nichts an ihrem Zorn.
»Lynn, was soll denn das jetzt?«
»Was das soll? Es geht um eine Erkenntnis. Genau deshalb macht man solche Übungen – um Erkenntnisse zu sammeln. Das ist die Grundbedeutung von Spiritualität.«
»Jetzt mal langsam. Du bist ja ganz hysterisch«, sagte er kleinlaut und setzte sich auf das Bett.
»Und meine Erkenntnis ist: Wir können ficken, aber sonst können wir nicht viel miteinander. Eigentlich gar nichts.«
»Also ...« Charlie verstummte.
»Wir haben nichts gemeinsam – nur das Ficken.«
»Du bist ...«
»Was bin ich denn? Na? Du nennst mich ›Darling‹ und bist so verliebt in mich, richtig? Aber wenn du mich nicht vögeln kannst, sieht alles gleich ganz anders aus.«
»Das habe ich doch nie behauptet.«
»Nee, hast du nicht. Du hast nur deine sarkastischen Sprüche gemacht.«
Charlie schwieg.
»Das ist ja alles so endlos naiv und albern, was die Lynn macht, richtig? Dein Darling! Ein bisschen blöd und verwirrt ist die kleine Lynn, aber mit ihr ficken ist ganz in Ordnung. So siehst du die Dinge doch.«
»Hier gerät alles durcheinander.«
»Und warum?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich schon«, brodelte es aus Lynn heraus. Sie schrie jetzt. »Weil wir nicht ficken! Weil wir nichts anderes haben als das. Weil wir uns außerhalb vom Bett scheißegal sind. Schön, dass wir das beide einmal so klar vor Augen haben. Jetzt sehen wir, was unsere Beziehung wert ist. Und – das ist doch auch gut – wir haben nur zwei Wochen dafür gebraucht. Wenn das nicht effektiv ist, was? Ein paar Tage keinen Sex, und man sieht die Dinge klarer.« Sie presste ihre Klamotten an ihre Brust und ging zur Tür hinaus.
***
»Lynn?«, fragte eine tiefe Stimme. »Ich wusste doch, dass du das bist.«
»Benn?« Lynn stand von ihrem Tisch auf. Sie bewegte sich etwas ungeschickt. Fast hätte sie ihre Tasse umgestoßen.
Sie war nach ihrem Streit mit Charlie durch die Stadt gelaufen, eine ganze Weile. Ihre Gedanken drehten sich immer um dasselbe – darum, was für ein Ignorant Charlie war. Irgendwann hatte sie sich in ein Café gesetzt und einen Grünen Tee bestellt. Bis Benn sie überrascht hatte, hatte sie einfach grübelnd dagesessen und auf ihren Verlobungsring gestarrt.
Benn umarmte sie.
»Mensch, Lynn, du siehst toll aus!«, sagte er anerkennend, als sie sich wieder getrennt hatten.
»Darf ich mich zu dir setzen oder wartetest du auf jemanden?«
»Nein, setzt dich«, sagte Lynn, ohne sich ihre Unschlüssigkeit anmerken zu lassen.
Benn war ein hochgewachsener Mann. Er hatte – wie damals, als sie noch mit ihm zusammen gewesen war – schulterlange Haare. Auch seine Kleidung hatte noch denselben lockeren Stil wie damals. Er trug ein dunkles T-Shirt und eine weite verwaschene Jeans. Irgendwie sah er immer ein bisschen wie ein Surfer aus. Seine Augen waren hellblau und strahlten sie freundlich an.
»Also, wie geht es dir, Lynn?«
»Gut. Und dir?«
»Sehr gut.«
Sie lächelten sich an.
»Wir haben uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen«, sagte er.
»Stimmt.«
»Meditierst du noch?«, wollte Benn wissen.
»Ja. Und du?«
»Natürlich. Ich habe gerade ein Buch darüber veröffentlicht.«
»Wirklich?«
»Ja, ich habe versucht, Techniken zusammenzutragen, die westlichen Stadtmenschen nicht so fremd sind wie die fernöstlichen Übungen. Weißt du, was ich meine? Einfache spirituelle Trainings, die jeder in seinen Alltag einbinden kann. Auch der neurotische Durchschnittsamerikaner.«
»Das kling spannend.«
»Na ja. Ich bin mir nicht sicher, ob es gut geworden ist.«
»Bestimmt ist es gut geworden«, sagte Lynn.
»Na ja. Man wird sehen ... Aber was ist mit dir? Erzähl doch mal.« Benn lehnte sich im Stuhl zurück und schickte ihr ein entspanntes Lächeln über den Tisch.
»Oh ... na ja ... Ich habe immer noch diesen Job als Fotografin.«
»Aha.«
»Und ... äh ... Ich bin mit Charlie zusammengezogen.«
»Tatsächlich? Das ist schön«, sagte Benn.
Lynn beobachtete ihn genau bei seiner Antwort. Er sagte es aufrichtig, ohne Heuchelei und Eifersucht.
Sie und Benn hatten sich im Guten getrennt. Kurz nachdem sie Charlie kennengelernt hatte, war der Kontakt zu ihm allerdings vollkommen abgerissen. Sie hatten sich jetzt beinahe zwei Jahre nicht mehr gesehen oder gesprochen.
»Und, klappt das gut?«
»Wie bitte?« Sie verstand nicht.
»Du und Charlie ...?«
Lynn dachte darüber nach, was sie darauf antworten sollte. Als Erstes wollte sie einfach Ja sagen, aber dann kam es ihr komisch vor, ohne Not zu lügen. Gleichzeitig stellte sie sich die Frage, warum sie nur erwähnt hatte, dass sie mit Charlie zusammengezogen war, und nicht, dass sie heiraten wollten. Sie dachte solange über all das nach, bis es merkwürdig wirkte.
»Verstehe«, sagte Benn. »Entschuldige, dass ich gefragt habe.«
»Ach«, sagte Lynn. »Du kannst ja nichts dafür.«
Ein langes, peinliches Schweigen entstand.
Endlich sagte Benn: »Willst du vielleicht kurz mitkommen? Ich wohne gleich hier um die Ecke.«
Lynn sah ihn überrascht an. War das gerade eine Anmache? So war Benn früher doch nie gewesen.
»Ich meine wegen dem Buch. Ich möchte dir gern ein Exemplar mitgeben. Es würde mich interessieren, was du davon hältst. Du meditierst doch schließlich selbst. Oder ist es unpassend, dass ich frage?«
»Nein, nein«, sagte Lynn und lachte kurz auf. »Das ist nicht unpassend. Ich würde dein Buch wirklich gern lesen.«
»Also ...?«
»Gehen wir.«
***
Die Verlobungsringe, die Charlie gekauft hatte, waren aus Weißgold. Er hatte ihre Vornamen eingravieren lassen. Auf dem Ring von Lynn stand »Charlie«, auf seinem »Lynn«. Sonst waren die Schmuckstücke schlicht gehalten.
Geistesabwesend klopfte er mit dem Ring an seinem Finger auf den großen Konferenztisch. Er hatte sich in den Besprechungsraum des CHRONICLE gesetzt, eine Stunde bevor das offizielle Meeting beginnen sollte. Besonders intelligent war das nicht, aber es war immer noch besser, als in der Wohnung zu bleiben, nachdem Lynn hinausgelaufen war.
Sie hatte nichts weiter gesagt, war einfach hinausgelaufen und hatte die Wohnungstür hinter sich zugeknallt. So heftig gestritten hatten sie beide noch nie. Sicher, es gab immer mal wieder Zank, aber so war es wirklich noch nie gewesen. Und woher kam das? Vielleicht hatte Lynn recht. Vielleicht hatten sie beide wirklich nur den Sex. Na ja, dank ihrer bescheuerten Esoterik hatten sie jetzt noch nicht einmal mehr das.
Charlie ließ den Ring laut auf den Tisch klopfen. Im Prinzip war das Ding auch nichts wert. Im Prinzip war er nur ein idiotisches Symbol für etwas, das es nicht gab. So wie dieser verdammte Buddha in ihrem Wohnzimmer. Jetzt fiel er Charlie wieder ein. Er hatte den Buddha genau vor seinem geistigen Auge und es ärgerte ihn, wie er so gelassen und heilig da hockte. Dieser verdammte, erleuchtete Scheißkerl.
»Wir sind heute aber früh dran.«
Charlie schreckte auf.
Vor ihm stand die stellvertretende Chefredakteurin Samantha Morten. Samantha war, wie Charlie wusste, Mitte Vierzig. Wann immer er sie sah, wirkte sie elegant und sehr kühl – als wäre die Welt um sie herum ein Witz, der sie amüsierte, aber nicht sonderlich beeindruckte. Ihre Stimme war sehr markant, kratzig, etwas verraucht, und immer lag ein selbstsicherer, fast spöttischer Ton darin. So auch jetzt.
Sie trug sein sehr adrettes schwarzes Kostüm, Nylons, schwarze hochhackige Schuhe und lächelte ihn mit ihrem roten Mund an.
»Tja, ist doch mal eine Abwechslung. Sonst komme ich ja gern zu spät.«
»Das stimmt allerdings«, entgegnete Samantha. Sie setzte sich neben Charlie an den großen Konferenztisch und sah ihn an. »Ist alles in Ordnung?«
»Bei mir?«
»Sonst ist hier ja wohl keiner.«
»Stimmt auch wieder«, räumte Charlie ein.
»Und? Ist nun alles in Ordnung?«
»Klar.«
»Tatsächlich?«
»Aber ja. Warum fragst du?«
»Du sitzt hier rum und starrst vor dich hin.«
»Ich habe nur nachgedacht.«
»So, so«, sagte Samantha. Ihr Blick huschte kurz zu den großen Fenstern, durch die man bis nach Manhattan sehen konnte. Auch Charlie sah einen Moment lang aus dem Fenster. Irgendwo dahinten lag seine Wohnung. Lynn war wahrscheinlich schon wieder zu Hause. Sie saß vermutlich gerade im Lotussitz im Wohnzimmer und versuchte zu meditieren. Was immer das auch sein sollte.
»Rauchst du eigentlich?«, hörte er Samantha plötzlich fragen.
Als er sich zu ihr wandte, bemerkte er, dass sie ihn prüfend ansah. »Nicht mehr. Nicht so häufig jedenfalls.«
»Kommst du mit, eine rauchen?«
Charlie zögerte. »Ich weiß nicht.«
»Ich für meinen Teil brauche vor diesem öden Meeting noch eine Zigarette.« Samantha stand auf und ging zur Tür. Charlie bemerkte, dass sein Blick über ihre Beine und ihren Po strich, während sie sich bewegte.
»Sicher, dass du nicht mitkommen willst?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen. »Letzte Chance.«
»Na schön. Warte auf mich«, sagte Charlie, als sie die Tür aufzog. »Ich komm mit.«
Sie gingen durch das Treppenhaus, hoch zur Dachterrasse, wo der CHRONICLE eine Raucherecke für seine Angestellten eingerichtet hatte.
Als sie nach draußen an die frische Luft kamen, hielt Samantha Charlie eine Zigarette hin. Er nahm sie und ließ sich Feuer geben.
»Und jetzt noch einmal von vorn«, sagte Samantha mit einem Lächeln. »Was ist los?«
»Tja«, machte Charlie. »Ich habe mich mit meiner Freundin gestritten.«
»Lynn, nicht wahr?«
Charlie nickte.
»Sie war doch auf der Weihnachtsfeier.«
»Ja.«
»Sie ist niedlich.«
Charlie wusste nicht, was er darauf sagen sollte, und rauchte still weiter vor sich hin. Das Rauchen tat gut.
»Um was ging es denn, wenn ich fragen darf?«
»Das ist ein bisschen kompliziert«, druckste Charlie.
»Hin und wieder habe ich meinen helle Momente. Vielleicht versteh ich es ja.«
»Na ... also ... Ich weiß nicht. Vielleicht lassen wir das Thema besser.«
»Okay, du musst ja nicht darüber reden.«
»Danke.« Charlie nahm einen weiteren tiefen Zug.
Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander. Er schloss seine Augen und hielt sein Gesicht in die Sonne. Es war Juni. Die Luft war angenehm warm, nicht zu heiß, und ein leichter Wind ging. Außer ihm und Samantha war niemand sonst auf der Dachterrasse. Der Verkehr unten auf der Straße war nur leise zu hören.
»Hat dir Freddy eigentlich schon Bescheid gesagt?«
Charlie blickte Samantha an.
Jener Freddy, von dem Samantha sprach, war seit zwei Jahren der Chefredakteur des CHRONICLE. Charlie hatte noch nie viel mit ihm zu tun gehabt. Die meisten Fragen klärte er mit Samantha und es gab ohnehin nicht viele Fragen. Üblicherweise gingen Charlies Texte so durch, wie er sie niederschrieb.
»Weswegen?«
»Er ist der Ansicht, dass deine Kolumnen in letzter Zeit einen Tick zu weit gehen.«
»Inwiefern?«
»Manche deiner Sätze sind zynisch und verletzend.«
»Natürlich, deshalb lesen die Leute meine Kolumne. Das sind die Markenzeichen der ›Bad Notes‹.«
»Das sehe ich genauso, aber Freddy hat seine Probleme damit.«
»Aha«, sagte Charlie wenig begeistert.
»Besonders der Text letzte Woche hat ihm nicht gefallen.«
»Warum?«
»Charlie, du hast geschrieben, dass Leute, die ... Also, du weißt, was du geschrieben hast.«
»Ja klar. Diese Typen sind nun einmal ...«
»Ist schon gut«, fuhr ihm Samantha dazwischen. »Ich bin ja auf deiner Seite, aber ich habe Freddy versprochen, mit dir das ganze Konzept für die Kolumne noch einmal ruhig durchzusprechen.«
»Aha.«
»Aber beim Meeting wird das nichts. Es geht hier gerade drunter und drüber. Hast du heute Abend schon was vor?«
»Hm«, machte Charlie nachdenklich.
»Nun sei man nicht so. Ich werde dir schon nicht zu arg ins Handwerk pfuschen. Wir sollten nur mal reden. Ich sage dir, was Freddy gesagt hat, und verkaufe ihm dann später deine Meinung. Ich spiele die Moderatorin.«
»Na schön.«
»Dann komm bei mir zu Hause vorbei.«
»Okay«, sagte Charlie.
»Ich schreib dir gleich meine Adresse auf. Sagen wir gegen neun?«
»Okay.«
Seine Zigarette ging zur Neige. Er drückte sie im Aschenbecher aus.
»Schön«, sagte Samantha und drücke ebenfalls ihre Zigarette aus. »Dann tun wir uns jetzt mal dieses verflucht öde Meeting an.«
***
»Das ist die Luftaufnahme von einem indischen Ashram«, sagte Benn erklärend, »ein indisches Meditationszentrum.«
»Ich weiß«, sagte Lynn. »Ich habe auch ein Bild von einem Ashram zu Hause.« Sie stand, Benns Buch vor der Brust haltend, neben ihm. Beide schauten auf die Fotografie, die an der Wohnzimmerwand hing. Sie war sehr groß.
Es war schon Abend geworden. Eigentlich wollte Lynn ja nur schnell ein Exemplar von Benns Buch mitnehmen, aber dann war es anders gekommen. Sie hatten stundenlang geredet. Benn hatte im vorigen Jahr eine Asienreise unternommen und viel davon erzählt, besonders von Indien. Lynn hatte von ihrer Arbeit gesprochen und den Meditationsübungen, die sie regelmäßig absolvierte. Sie hatte auch von ihrer Fastenkur erzählt. Die laufende Chakra-Übung und die einmonatige Enthaltsamkeit hatte sie nicht erwähnt. Außerdem waren ihr ein paar Worte über Charlie herausgerutscht. Sie hatte nicht das Bedürfnis, ihren Ex-Freund allzu viel über ihre aktuelle Beziehung wissen zu lassen, aber einige Bemerkungen und Andeutungen ließen sich nicht verhindern. Irgendwie wollten sie einfach gesagt werden. Benn hatte dankenswerterweise kein einziges Mal nachgehakt. Er war immer ein zurückhaltender Typ gewesen, ein guter Zuhörer. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Lynn das geliebt.
Draußen war immer noch herrliches Wetter. Die Abendsonne schien. Das Licht, das in den Raum fiel, war golden.
Eine Weile bestaunte Lynn noch die fantastische Aufnahme von dem Ashram. Dann sagte sie: »Ich muss jetzt wirklich los. Wir haben ja den ganzen Tag verquatscht.«
»Ja«, sagte Benn und lächelte glücklich. »Das war doch schön. Wie in alten Zeiten.«
Lynn ging auf die Tür zum Flur zu.
»Lynn?«
»Ja.«
»Ich würde jetzt gern etwas Dummes tun.«
»Was meinst du?«
Er kam dicht an sie heran und umarmte sie. Lynns Herzschlag beschleunigte sich, fing an zu rasen an. Ihre Beine gaben etwas nach.
»Etwas sehr Dummes.« Er küsste sie. Seine Lippen fühlten sich voll und kühl an.
»Ist das zu dumm?«
Er küsste sie noch einmal, bevor sie antworteten konnte. Seine Zunge strich sanft an ihrer Oberlippe entlang. Lynn öffnete den Mund und sie begannen, miteinander zu spielen. Benn hielt sie jetzt fester.
»Du hast mir gefehlt«, flüsterte Benn, als sich ihre Lippen getrennt hatten. »Ich glaube, ich begreife erst jetzt, wie sehr du mir gefehlt hast.«
Wieder zog er sie an sich. Seine Küsse waren sanft, aber sehr leidenschaftlich. Der Rest der Welt schien auf einmal ganz fern zu sein. Lynn ließ das Buch aus ihren Fingern gleiten und presste sich an Benn. Es fühlte sich unwirklich an, als wäre sie in eine Trance verfallen.
Benn drehte sie so herum, dass Lynn an die Wand stieß. Dann glitt sein großer Körper an ihrem herab. Oh Gott, das war alles so schrecklich falsch. Sie spürte, wie Benn ihre Jeans öffnete. Warum tat sie nichts dagegen? Am Morgen hatte sie Charlie zurückgewiesen, aber jetzt ...
Sie hörte, wie Benn ihren Gürtel aufzog. Dann rieb der Jeansstoff an ihrer Haut entlang. Die Erinnerungen an ihre gemeinsamen Monate kamen zurück. So hatte es sich ganz am Anfang angefühlt, als sie frisch verliebt gewesen waren, so aufregend, intim und ehrlich.
Ihre Hände senkten sich auf Benns Haupt und sie spürte seine langen, weichen Haare in ihren Handflächen. Wie automatisch schlüpfte sie mit Benns Hilfe aus ihrer Jeans.
»Das habe ich immer geliebt ...«, hörte sie ihn sagen. Er kniete vor ihr auf dem Boden. »... dich auszuziehen.«
Jetzt fasste Benn an ihren Slip. Er zog ihn nur bis zu ihren Knien herunter. Dort blieb er, während Benns Lippen ihre Oberschenkel liebkosten. Als er seinen Kopf senkte, glitt sein Haar durch Lynns Finger. Seine Küsse fühlten sich weich und wunderbar kühl auf ihrer erhitzten Haut an. Seine Lippen wanderten höher. Lynn hatte Mühe, gerade stehenzubleiben. Zärtlich leckte Benn über ihrer Klit. Es war nur der Hauch einer Berührung, aber es bewirkte, dass ihr Schoß schlagartig feucht wurde. Seine Zunge glitt wieder tiefer, wanderte in sie. Lynn stöhnte auf, aber mit einem Schlag fiel alles zusammen.
Die Lust war fort. Da war kein Glühen mehr unter Benns Liebkosungen. Ihr Körper wurde kalt. Lynn griff an sich herab und drückte den Kopf von ihrer Scham fort.
Benn sah sie fragend an. »Was ist?«
»Es geht nicht. Ich bin mit Charlie zusammen. Wir haben uns verlobt.«
In Benns Gesicht arbeitete es. Er kämpfte sichtlich mit sich.
»Lass mich bitte los.«
Nach einigem Zögern tat er es, ohne ein Wort zu sagen.
Lynn beugte sich, zog ihren Slip wieder richtig an und machte sich daran, zurück in ihre Jeans zu schlüpfen. Benn erhob sich.
»Ich dachte, wir wollten dasselbe«, sagte er, als sie wieder vollständig angezogen vor ihm stand.
»Das dachte ich erst auch. Wir haben uns beide geirrt.«
»Und jetzt?«, fragte Charlie.
»Jetzt gehe ich.«
»Aber Lynn ...«
»Hör zu. Ich habe in diesen Sachen inzwischen einige Erfahrung. Wenn ich sage, dass es vorbei ist, dann ist es vorbei.«
Benn hob und senkte seine Arme. Es wirkte, als wäre er unentschlossen, ob er sie festhalten sollte, oder nicht.
»Und was bitte schön war das gerade? Du hast es doch auch gewollt.«
Lynn biss die Zähne zusammen. »Wie schon gesagt: Ich habe mich geirrt. Du hast mich in einer merkwürdigen Phase erwischt. Es ist vorbei.«
Benn blieb stehen und sah sie ratlos an. Lynn marschierte in den Flur und schlüpfte in ihre Schuhe. Als sie die Tür hinter sich zuzog, musste sie schnaufen.
Charlie hatte recht gehabt: Es geriet tatsächlich alles durcheinander. Und wie! Lynn wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und eilte die Treppen hinab.
***
Samantha Morten wohnte in einem geräumigen Apartment in bester Citylage. Die Einrichtung hatte einen modernen kühlen Chic. Es gab nur rechte Winkel und bloße Fläche. Es hing kein einziges Bild an den Wänden. Sämtliche Möbelstücke waren entweder schwarz oder weiß.
Charlie war gar nicht erst nach Hause gefahren. Die Aussicht, den Streit mit Lynn fortsetzen zu müssen, hatte ihn davon abgehalten. Nach der Redaktionssitzung beim CHRONICLE war er essen gegangen. Anschließend hatte er sich in ein Café gesetzt und sich ein paar Ideen für seine Kolumne notiert, die ihm durch den Kopf gegangen waren. Dann war er zu Samantha spaziert. Sie wohnte nicht weit vom CHRONICLE entfernt.
Samantha hatte eine Flasche Wein geöffnet und ihm von den Meinungen des Chefredakteurs berichtet. Freddy wollte eigentlich überhaupt nichts ändern. Er war bloß ängstlich, dass Charlie jemanden so arg beleidigte, dass dieser Jemand den CHRONICLE vor Gericht zerrte. Das war verständlich für einen Chefredakteur.
Während Samantha redete, ertappte sich Charlie dabei, wie er sich die Frage stellte, ob sie eine Strumpfhose oder Stockings trug. Er fühlte sich ein wenig schuldig deswegen, allerdings nicht genug, um aufzuhören, weiter über die Frage, ob Strumpfhose oder Stockings, nachzudenken. Er konnte einfach nicht anderes. Diese Frau sah aber auch heiß aus! Sie war über zehn Jahre älter als Lynn, aber so sexy, dass sie jeden Mann verrückt machen konnte.
Der Rock, den sie trug, war noch ein Stück kürzer als der, mit dem Charlie sie am Vormittag gesehen hatte. Sie hatte gleich drei Knöpfe ihrer Bluse offen, sodass nicht wenig zu sehen war. Und einige Male schien sie sich bewusst aufreizend zu bewegen. Das mochte vielleicht auch Charlies Einbildung sein, schließlich hatte er jetzt zwei Wochen Zeit gehabt, um durcheinanderzugeraten.
Gerade nahm Samantha einen Schluck aus ihrem Weinglas und sagte: »Okay, ich denke, langsam haben wir genug über deine Kolumne diskutiert. Sieh einfach zu, dass du den Bogen nicht überspannst. Das ist alles, was Freddy von dir möchte.« Sie trank einen Schluck und warf Charlie ein Lächeln zu, das etwas zu bedeuten schien.
Er saß ihr genau gegenüber, auf einem edlen, weißen Ledersofa.