- -
- 100%
- +
Die beiden nebeneinander zu sehen, fühlt sich für mich überhaupt nicht harmonisch an. Kontrastreiche Erscheinung. Aber Gegensätze ziehen sich vielleicht auch in Freundschaften an. Wenn das der Freund ist, der ihm den Job besorgt hat und bei dem er übernachten darf, dann nutzt Liam ihn möglicherweise nur aus? Würde ich ihm zutrauen.
„Hey, Brownie! Wie geht’s?“, begrüßt er mich und umarmt mich. Es fühlt sich freundschaftlich an. Wenn ich ehrlich bin, bin ich enttäuscht, denn ich habe auf einen Begrüßungskuss gehofft. Ich korrigiere: Mein Dämon in mir hat darauf gehofft …
Bis zu dem Zeitpunkt, als ich seinen Kumpel entdeckt habe, habe ich fest damit gerechnet, dass es einen Kuss geben wird.
„Gut, gut und selbst?“
„Auch. Training war hart. Du bist echt richtig braun geworden im Urlaub. Das ist übrigens Lars“, stellt er uns höflicherweise vor.
Wir geben uns die Hand. Es macht den Eindruck, als wusste Lars nicht, dass sein Freund mit einer Frau verabredet ist. Er schaut mich zwar freundlich an, aber sein Blick verrät mir, dass er gerne weiterhin alleine Zeit mit Liam verbracht hätte. Ich hoffe stark, dass wir den Tag nicht zu dritt miteinander verbringen!
Liam verabschiedet sich von ihm, als wir die Hauptstrasse erreichen und mir fällt ein Stein vom Herzen. Eine weitere Situation, die ich nicht mit eingeplant habe, löst sich in Luft auf.
„Und? Wie war der Urlaub? Erzähl mal!“, fragt er mich, während ich ihm folge, weil ich keine Ahnung habe, wo wir nun hingehen.
„Sehr schön und entspannt. Bin allerdings immer noch ein wenig angeschlagen. Wäre schon gewesen, wenigstens im Urlaub gesund zu werden.“
„So ist das, wenn man nicht auf mich hört und einfach feiern geht“, sagt er streng, aber mit einem Grinsen im Gesicht.
Darauf antworte ich mit meiner Zunge, die ich ihm frech entgegenstrecke. Da wir in der Öffentlichkeit sind, fühle ich mich sicher. Sein Blick verrät mir, was er gerade denkt. Wäre er nicht so vergesslich, würde ich meine Antwort später definitiv sehr bereuen.
Wir gehen am Dammtor Bahnhof entlang und überqueren die große Kreuzung. Als wir vor der Jet-Tankstelle stehen, wechseln wir noch einmal die Straßenseite, gehen ein paar Meter hoch und dann bleibt Liam abrupt stehen. Denn dort steht sein Smart geparkt. Das Autofahren mit ihm habe ich sehr vermisst.
Er begibt sich nicht auf die Fahrerseite, sondern durchdringt mich mit einem finsteren Blick.
Ich schaue ihn fragend an. Woraufhin er sich vor mich stellt, auf mich zutritt und erst stoppt, als ich mit meinem Rücken gegen die Beifahrertür des Smartes gepresst werde.
Nur wenige Zentimeter trennen unsere Gesichter und dementsprechend unsere Lippen voneinander.
Mein kompletter Körper steht unter Hochspannung. Ich muss mich konzentrieren, zu atmen.
Das sind genau die Situationen, die ich liebe … die ich bei David vermisst habe. Dieses Feuer zu entfachen, darin ist Liam wirklich gut. Seine Selbstsicherheit ist sexy.
Ich erwarte, dass er jeden Augenblick beginnt mich zu küssen. Die Glut in unseren Augen lässt uns mit vollkommener Hitze umgeben. Leidenschaft entflammt in meinem Schoß, breitet sich langsam in meinen Adern aus, vermischt sich mit meinem unter Strom stehenden Blut.
Körper und Geist stehen bereit, in Flammen aufzugehen. Doch es kommt anders als erhofft.
Gerade noch schmückte ein leichtes Lächeln seinen finsteren Gesichtsausdruck; von der einen auf die andere Sekunde entweicht es ihm. Auf seinen harten, kalten Blick folgt eine noch härtere Handlung.
Ich spüre, wie sich seine große, kräftige Hand fest um meinen Hals schlingt und mir die Luft zum Atmen nimmt.
Im ersten Moment blicke ich mich reflexartig um. Wir sind mitten in der Stadt! Etwas weiter hinten kommt ein Mann auf uns zu. Ob er kommentarlos an uns vorbeigehen wird?
Mein Fokus schweift dann aber zu Liams Gesicht hin. Meine Augen beißen sich an seinen fest; böse schaue ich ihn an. Mein Ego ist zu stolz, um Schwäche zuzulassen. Ich will mich nicht ergeben, auch wenn ich in diesem Moment offensichtlich total machtlos bin.
Alles um mich herum wird schwammig, nehme ich plötzlich kaum noch wahr. Als wären wir völlig alleine. Die Wirklichkeit verblasst immer mehr, umso weniger Sauerstoff durch meine Lungen fließt.
Leichte Panik kommt in mir auf und ich versuche, mich aus seinem Griff zu befreien. Meine Hand packt sein Handgelenk.
„Sofort loslassen!“, sagt er nicht laut, aber bestimmend. Ich reagiere schlagartig, denn er drückt fester zu als zuvor. Meine Kehle schmerzt. Ich kann nichts sagen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht um Hilfe rufen.
Ich spüre, wie sich meine Mimik verändert und die harte Schale langsam beginnt zu pellen. Flehend suche ich nach Gnade in seinen Augen.
Er lockert seinen Griff, sodass ich wieder atmen kann. Tief sauge ich die mit Abgasen erfüllte Luft ein. Versuche schnellstmöglich mein Organ mit genügend Sauerstoff zu füllen, da ich befürchte, dass er jeden Moment wieder fest zupacken wird. Liam presst mich mit seinem Körpergewicht dichter an den Wagen.
„Du weißt, warum ich das gerade tue?“, will er von mir wissen.
Mein Verstand ruft mir zu: Nicke! Nicke! Verdammt nochmal! Aber was tue ich? Ich schüttle den Kopf. Mein Ego ist unvernünftig und lässt sich leider nichts sagen. Und wer darf darunter leiden? Ich. Sofort wird mir das Atmen verwehrt.
„Falsche Antwort“, gibt Liam angesäuert von sich.
Ich bin mir gerade tatsächlich nicht sicher, ob er wirklich sauer ist oder ob ihm mein Widerstand eigentlich doch gefällt. Jedoch hat die Vergangenheit gezeigt, dass er wohl nicht so sehr auf Herausforderungen steht. Er wünscht sich eine Sub, die durch und durch devot ist.
Die wird er in mir nur nie finden. Eine weitere Unsicherheit sucht mich heim, obwohl ich gerade andere Sorgen haben sollte.
Doch ich bilde mir ein, dass es gar nicht allein mein Stolz ist, den ich da gerade spüre. Es ist eher etwas anderes. Nur kann ich nicht deuten, welches Gefühl es ist.
Liam lässt mir kurz Zeit, um Luft zu holen und zu antworten, aber da ich wissen möchte, welche Emotion er noch in mir auslöst, schweige ich.
„Wir können das Spiel gerne so lange spielen, bis ich zur Arbeit muss. Nur werden dann mit Sicherheit sichtbare Spuren an deinem Hals zu sehen sein. Keine Ahnung, wie du das zu Hause erklären willst“, versucht er mich aus meiner Reserve zu locken.
Die Emotion, die mir eben noch Kraft gegeben hat, schwindet.
Sie wird ersetzt durch das Gefühl der Wehrlosigkeit, was mir erschreckenderweise die Nässe in meinen Schritt schießen lässt.
Mein Hals schmerzt zunehmend. Wieder lockert er seinen Griff und ich nicke heftig mit meinem Kopf.
„Falsche Antwort“, sagt er und in meinem Verstand ploppen die Fragezeichen auf.
Meine Augen beginnen, sich mit Wasser zu füllen. Ich kämpfe dagegen an, weil ich nicht weinen und mich nicht schwach zeigen will, aber ich muss mir eingestehen, dass diese Wehrlosigkeit in mir eine Lust ausgelöst hat, die ich zuvor noch nicht kannte.
Nur schmerzt es mich zu sehen, dass wirklich kein Fünkchen Mitgefühl in Liams Blick zu finden ist.
Von wegen ihm ist meine Gesundheit wichtig! Ungefährlich ist das mit Sicherheit nicht, was er hier gerade mit mir veranstaltet. Aber unsagbar heiß!, erwidert meine Lust.
Mir rinnt eine einzelne Träne die Wange herunter. Liam gibt mir Zeit, um zu antworten. Ich schlucke schwer und versuche, ihm mit meinem Blick flehentlich verstehen zu geben, dass ich nicht weiß, was er von mir erwartet. Er deutet meinen Blick richtig.
„Sprich mit mir und schüttle nicht wie eine Irre deinen Kopf! Ich will es hören!“
Da mein Hals brennt, bin ich nicht sicher, ob ich überhaupt noch einen Ton herausbekommen kann.
„Ja, weiß ich“, krächze ich.
„Ja, und? Warum?“ Bevor ich antworten kann, drückt er wieder zu. „Und wie sollst du mich ansprechen? Hast du so schnell deine Manieren verlernt? So lange war ich nun auch nicht weg.“ Ich darf antworten.
„Weil ich Euch meine Zunge herausgestreckt habe, Sir.“ Diese Worte auszusprechen, hat mich totale Überwindung gekostet. Dass ich ihn real »Sir« genannt habe, ist schon einige Monate her und auch damals ist es mir nicht leicht über die Lippen gegangen.
Vor allem dachte ich, wir hätten unsere D/s-Bindung aufgelöst. Wir haben uns beim Schreiben nur noch geduzt … Ich habe keine Ahnung, woran ich bei Liam bin.
Will er darüber mit mir reden? Will er die D/s-Beziehung weiterführen? Ich warte es ab.
„Geht doch.“ Und da ist es wieder. Ein sanftes Lächeln spielt sich um seine Lippen, die sich langsam auf meine zubewegen.
Mein Slip trieft vor Nässe. Als sein Mund meine Lippen berührt, die vor Aufregung total ausgetrocknet sind – im Gegensatz zu meinen Lippen im unteren Bereich meines Körpers –, schnürt er mir wieder die Luft ab. Doch diesmal drückt er nicht zu fest zu, sodass ich diesen Moment des Ausgeliefertseins total genießen kann und mich darin verliere.
Ich erinnere mich an unseren ersten Kuss in der Bar und vergleiche ihn mit dem jetzigen. Ich dachte, die Erfahrung sei kaum zu übertreffen, aber mein sexuelles Verlangen ist in diesem Augenblick erheblich größer, als es damals der Fall war.
Er löst sich von meinen Lippen. Schade. Ich hätte ihn gerne noch länger geküsst, obwohl mir die Luft doch ziemlich knapp wurde.
„Steig ein“, befiehlt er mir mit einem Lächeln, während er sich auf die Fahrerseite begibt.
Ich setze mich in meine eigene Pfütze. Ich kann mich tatsächlich nicht daran erinnern, jemals so erregt gewesen zu sein, ohne dass ich intim berührt worden bin. Mich stimmt es ein wenig traurig, da ich mir bewusst bin, dass genau solche Situationen etwas Besonderes sind. Sie sind nicht erzwingbar, nicht wiederholbar. Würde ich einem Mann in Zukunft diese Erfahrung als Beispiel dafür nennen, wie meine Lust wirklich in Fahrt zu bringen ist, wie sie über das Körperliche hinausgeht, dann wäre die Magie bereits erloschen, weil seine Bemühungen bloß Bemühungen bleiben würden. Es verliert den Reiz, wenn man jemandem erläutern muss, worauf die eigene Lust reagiert.
Ich würde mich bei jeglichen Handlungen fragen, ob er nun versucht, eine derartige Situation zu erschaffen. In dem Augenblick, in dem er dies versucht, wäre es nicht authentisch.
Die Absicht, die hinter diesen Handlungen steckt, würde mir nicht entgehen und mich sogar abtörnen.
Die wenigsten Männer verstehen, dass wahre Leidenschaft aus der Anziehungskraft heraus entsteht und nicht aus dem, was man sich in seinem Kopf zusammenbastelt, wie man es sich in seiner Fantasie vorstellt und diese dann krampfhaft versucht, real werden zu lassen …
Das Schöne an der Fantasie ist doch, dass ihr keine Grenzen gesetzt werden können. Sie ist unendlich. Sex endet. Hat moralische Grenzen. Jedenfalls für mich.
Warum sollte ich also das, was ich mit meiner Vorstellungskraft erschaffe, Realität werden lassen wollen, wenn es sich doch rein imaginär gut anfühlt? Vor allem, weil sich ein Großteil meiner damaligen Fantasien in der Realität mit Sicherheit nicht erregend angefühlt hätten.
Entführt zu werden, für sexuelle Zwecke, steht jedenfalls nicht auf meiner Bucket List.
Jegliche Szenarien, die aus dem Kopf heraus nachgestellt werden, sind für mich bloß unauthentisch und stehen in keinem Zusammenhang mit Leidenschaft. Leidenschaft ist ein Gefühl. Wie Liebe. Sie kann nicht erzwungen werden. Es geschieht oder eben nicht.
Für Kopfmenschen mag das alles vielleicht funktionieren. Für sie fühlt es sich vielleicht gut an, wenn sie ihre sexuellen Fantasien umsetzen. Ihre Gedanken lösen ihre Gefühle aus. Das klappt bei mir nur sehr begrenzt. Denn ich bin immer auf der Suche nach der Wahrheit. Gedanken kann ich mir so zurechtlegen, wie ich sie will. Mit ihnen bin ich in der Lage, mir bewusst meine eigene Realität zu erschaffen.
Wahr ist für mich das Gefühl, welches mich heimsucht und erst im Nachhinein zu einem Gedanken in meinem Verstand wird.
Dass Liam mir eben die Luft in der Öffentlichkeit abgeschnitten hat … ein Moment, den ich nie wieder erleben werde. Genau, wie den Kuss in der Bar.
Er ist einzigartig. Seine Selbstsicherheit fasziniert mich und dennoch spüre ich, dass auch sie ihre Risse hat, die wesentlich tiefer liegen.
Ist er mutig, weil er Dinge mit mir tut, für die er von anderen Frauen mit Sicherheit eine geklatscht bekommen hätte? Oder ist er schlichtweg naiv und geht unbewusst diese Risiken ein, weil er nur dem nachgeht, worauf er gerade Lust hat? Geht es ihm gar nicht um mich, um uns, sondern bloß um sich selbst?
Vielleicht basiert seine Selbstsicherheit, was seine Dominanz anbelangt, nur auf seinen bisherigen Erfahrungen. Möglicherweise kam seine Art bei allen Frauen gut an, sodass dort gar kein Platz für Zweifel sind.
„Öffne das Handschuhfach“, reißt Liam mich aus meiner Analyse.
Ich öffne es und sehe die Krokodilsklemmen aka. Teufelsklemmen darin liegen. Fragend schaue ich ihn an.
Er wirft mir nur einen kurzen Blick von der Seite zu, der mir suggeriert, dass ich wohl wissen sollte, was jetzt kommt.
„Willst du, dass ich die jetzt anlege?“, frage ich naiv.
„Kluges Mädchen“, grinst er frech vor sich hin, während er durch die Stadt fährt. Wohin es genau geht, weiß ich nicht.
„Aber wie soll ich das machen? Ich kann mich doch schlecht mitten am Tag in deinem Auto entblößen. Es ist viel zu viel los auf den Straßen“, widerspreche ich.
„Ganz einfach. Du streifst dir die Träger deines BHs runter und ziehst den unter deinem Top etwas nach unten. Dein Oberteil ist doch blickdicht.“ Liam lässt keine Diskussion zu.
Widerwillig tue ich, was er sagt. Als wir jedoch an einer Ampel halten, halte ich inne. Die Klemmen liegen in meinem Schoß. Ich brauche nur noch meine Brüste von den Körbchen befreien. Verlegen schaue ich in das Auto neben uns. Der Fahrer guckt zu mir und schenkt mir ein Lächeln. Ich grinse verkrampft zurück.
„Los jetzt!“, befiehlt Liam, als die Ampel auf Grün schaltet.
Ich ziehe mir den BH bis zu meinem Bauchnabel herunter. Das Gefühl, dass meine Brüste unter meinem Oberteil entblößt sind, kann ich nicht leiden. Es kostet mich Überwindung, die Klemmen an meinen Nippeln zu befestigen, da ich das noch nie selbst getan habe. Ich weiß, wie sehr es schmerzt; was das Ganze nicht gerade vereinfacht. Eigentlich sollte ich geübt darin sein, mich selbst zu quälen, aber ich denke, dass diese Hürde immer bestehen wird und immer wieder aufs Neue gemeistert werden muss.
Kurz nachdem ich sie mir angelegt habe, ziehe ich scharf Luft ein. Allerdings stelle ich sehr schnell fest, dass der Schmerz meine Geilheit nicht wie sonst eindämmt, sondern das Gegenteil bewirkt. Ja, es kickt mich, in Liams Auto zu sitzen, ohne BH, und seine Nippelklemmen zu tragen. Aber noch mehr reizt mich überraschenderweise das Brennen meiner Brustwarzen.
Ich genieße die Autofahrt in vollen Zügen. Ab und zu wendet Liam sich zu mir und schnipst mir gegen meine Mamillen. Statt zu fluchen, lächle ich.
Indem er mir nicht verraten hat, wo es hingeht, regt er mein Kopfkino an. Diese Art von Fantasieren mag ich durchaus. Es ist für mich nicht gleichzusetzen mit den sexuellen Fantasien, die man hegt, wenn man sich alleine liebt. Das sind Fantasien, die sexuelle Wünsche schaffen; neue Ideen für die Kopfmenschen.
Das Kopfkino, welches durch die Gegenwart eines Mannes in die Gänge gebracht wird, hängt mit der Realität zusammen, ist bezogen auf die gesamte Situation. Das, was ich mir vorstelle, kann eintreffen, ohne dass ich ihm mitteile, was ich mir wünschen würde. Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass das, was in meiner Vorstellung lebt, eintrifft und nicht immer geht man von etwas Gutem aus … Man hofft, dass es anders kommt, als man denkt. Diese Ungewissheit macht einen großen Reiz aus.
Liam hat noch keine eigene Wohnung. Also schließe ich aus, dass wir heute gemeinsam in einem Bett miteinander vögeln werden, obwohl es genau das wäre, wonach ich mich gerade total sehne. Wie gerne würde ich diese neue Lust, die mit unbeschreiblicher Intensität anwesend ist, jetzt unbändig mit ihm ausleben.
Für ein Hotelzimmer hat er keine Kohle … und ich auch nicht. Meine Kreativität stößt schnell an ihre Grenzen. Mir fällt nichts weiter ein. Gerade im BDSM spielt das Kopfkino eine große Rolle. Ich erinnere mich daran, wie Liam in unserer ersten gemeinsamen Nacht mehrmals an dieser Wundertüte zugange war und ich mich durchgehend gefragt habe, was wohl als nächstes passieren wird … Und ich bin durchaus nicht nur von schönen Dingen ausgegangen.
Die Aufregung löste ein begieriges Prickeln aus. Wie auch in diesem Moment. Fünf Monate später. Ich bin damals nicht davon ausgegangen, dass wir über diesen Zeitraum in Kontakt bleiben werden. Das Leben ist nicht vorhersehbar.
Ob Liam und ich irgendwann an eine Mauer stoßen werden und ich durch ihn nichts Neues mehr erleben kann? Wer weiß …
Ich lasse den weiteren Tag auf mich zukommen.
Wir befinden uns im Stadtteil St.Pauli. Er biegt in die Glacischaussee ab und reduziert die Geschwindigkeit.
„Willst du hier parken?“, frage ich, um nun endlich herauszufinden, wie sein Plan ausschaut.
„Genau.“
„Aber der Hamburger Dom hat noch zu …“, merke ich an.
„Ich weiß. Da das Wetter gut ist, dachte ich, wir könnten in Planten un Blomen etwas spazieren gehen.“
„Schöne Idee. Darf ich die Klemmen abnehmen?“ Liam nickt kurz. Konzentriert schaut er nach einem freien Parkplatz.
Ein Spaziergang ist eine gute Möglichkeit, um mit mir das Gespräch zu führen, auf das ich schon viel zu lange gespannt warte.
Nachdem wir einen Parkplatz gefunden haben, gehen wir stillschweigend nebeneinander her. Erst, als wir den Eingang des Parks ein paar Meter hinter uns gelassen haben, ergreift Liam das Wort.
„Möchtest du ein Eis?“ Links vor uns steht ein Kiosk.
„Da sage ich nicht Nein“, bejahe ich seine Frage.
Ich wähle ein günstiges Eis aus. Den Flutschfinger. Obwohl ich eher Lust auf ein Magnum Mandel habe. Aber ich finde es süß genug, dass er mich einlädt, obwohl es ihm finanziell nicht gut geht. Erst, als er bezahlt, sehe ich, welches Eis er genommen hat … Magnum White. Ich verkneife mir jeglichen Kommentar und nehme dankbar mein Eis an.
„Lass uns mal eine Sitzmöglichkeit suchen.“ Liam geht voran, ich folge.
„Ich weiß auch schon wohin. Ich bin echt gerne hier. In der Zeit, als ich noch in der Bar getanzt habe, war ich oft in diesem Park. Ich mag die Anlage, die Natur. Da kann man wunderbar in Ruhe seinen Gedanken nachgehen.“
Ich erinnere mich an ein Foto, welches er auf Facebook gepostet hatte. Da saß er auf einer Bank in der Sonne. Ich verdammte Stalkerin habe sein Profil so weit heruntergesrcollt, bis ich bei seiner Anmeldung angelangt war. Hätte ja sein können, dass ich aufschlussreiche Informationen über ihn finde …
„Ich finds auch schön hier. Vor allem, dass so eine riesige Grünanlage mitten in der Stadt liegt …“, bemühe ich mich, die Unterhaltung aufrechtzuerhalten.
„Das stimmt. Das ist wirklich cool.“
Meine letzte Erinnerung an diesen Park ist allerdings nicht sonderlich positiv. Auf der anderen Seite der Anlage teilte er mir vor ein paar Monaten mit, dass er Hamburg verlassen wird …
Und nun spazieren wir hier wieder nebeneinander her. Wieder ohne körperliche Nähe. Aber wir verspeisen auch gerade unser Eis. Ich bin gut damit beschäftigt, da es sehr schnell schmilzt und ich mich nicht vollkleckern möchte.
Mein Eis droht in den nächsten Sekunden das Zeitliche zu suchen, daher schiebe ich mir den ganzen Rest in meinen Mund. Was verdammt kalt ist! Dementsprechend verzerrt muss mein Gesichtsausdruck aussehen.
„Hahaha! Da nimmt sie den Mund mal wieder zu voll!“, macht Liam sich über mich lustig.
Ich bleibe stehen, wedle wild mit meiner Hand vor meinem Mund herum, den ich leicht geöffnet habe, damit die kalte Luft entweichen kann. Gleichzeitig versuche ich, das aufgelöste Eis herunterzuschlucken, ohne mich zu verschlucken.
„Du bist echt ne Marke“, kommentiert Liam meine Gestiken und Mimiken und wuschelt mir einmal über den Kopf.
„Geht’s wieder?“, erkundigt er sich.
„Ja, das war doch etwas zu viel Eis … aber ich wollte nicht, dass es auf den Boden fällt. Das schmolz einfach zu schnell.“ Während ich mich rechtfertige, versuche ich, mit einer Hand meine Haare wieder herzurichten, denn in der anderen Hand halte ich noch den klebrigen Eisstiel.
Als wir an einem Mülleimer vorbeikommen, nimmt Liam mir diesen ab und wirft ihn mit seinem Stil vorbildlich in den Abfallbehälter. Er wischt sich seine Hand an seinem Hosenbein sauber und ergreift dann meine nicht schmierige Hand. Endlich.
Händchen haltend führt er uns zu der Bank, die er im Sinn hat.
Ich spüre, wie mein Engelchen versucht, sich an die Oberfläche zu drängeln, um mich daran zu erinnern, dass ich gefälligst keine Nähe brauche und dem Händchenhalten mit Gleichgültigkeit begegnen soll.
Doch fühlt es sich einfach viel zu gut an, wenn Liam meine Hand in seiner hält. Ich schenke dem Blondkopf keinerlei Beachtung. Obwohl ein tief verborgener Teil in mir weiß, dass es besser wäre, auf sie zu hören und ihr mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
Die Schmetterlinge in meinem Bauch bleiben fern. Das sollte ihr genügen. Sie sollte darauf vertrauen, dass ich die richtigen Entscheidungen treffe und mir ein wenig Zweisamkeit und Glück gönnen. Auch wenn Liam nicht der Mann fürs Leben ist …
Was spricht dagegen, weitere Erfahrungen mit ihm zu sammeln? Darf ich das nur mit einem Mann, von dem ich denke, dass er der Richtige für mich ist und es auch ernst mit mir meint? Dann kann ich ja lange warten …
Und welcher Mann möchte sich auf eine Frau festlegen, die kaum Erfahrungen in ihrem Leben gesammelt hat?
Ich bin mir sicher, dass mein Engelchen spätestens jetzt Ruhe geben würde, wenn es überhaupt zu Wort gekommen wäre.
Und wer weiß … vielleicht ist er ja doch der Mann, der an deiner Seite sein wird …, flüstert mir mein Teufelchen ganz beiläufig ins Ohr.
Es hält den Funken an Hoffnung am Leben. Mein Verstand fand allerdings einige Argumente, die dagegen sprechen und dennoch fängt er an, sich plötzlich nur auf das Positive zu fokussieren. Das sah in den letzten Tagen ganz anders aus …
Liam wird das zwischen uns, was auch immer es sein mag, nicht beenden. Ansonsten hätte er es direkt getan, hätte uns kein Eis gekauft und wir würden auch nicht Hand in Hand nebeneinander herlaufen. Die Zeichen sind eindeutig.
Entweder will er die D/s-Beziehung weiterführen oder er will mehr als das. Wovon ich ausgehe, da man – wenn die negative Möglichkeit auszuschließen ist – einem nicht schreibt, dass man reden muss. Würde er nur die D/s-Bindung aufrechterhalten wollen, hätte er mir das mit Sicherheit über WhatsApp geschrieben.
Wir verlassen den gepflasterten Weg und betreten einen Steg, der zu einer kleinen Plattform auf einem Teich führt.
Dort befinden sich parallel gegenüber zwei Sitzmöglichkeiten. Links und rechts stehen jeweils zwei Steinpflöcke im Wasser, auf denen ein marodes Stück Holz liegt. Als eine richtige Bank kann man das nicht bezeichnen.
Wir setzen uns auf die Holzplatte, hinter der sich hinter dem Teich nur eine Hecke befindet. So haben wir alles im Überblick, obwohl ich mir eine schönere Aussicht hätte vorstellen können. Rechts vor uns steht ein kleines altes verglastes Häuschen auf Stelzen. Man fühlt sich zwar geschützt, weil wir abseits des Hauptweges sind, aber unbeobachtet ist man hier definitiv nicht. Ein wenig ruhiger hätte ich es mir schon gewünscht.
„Setz dich auf meinen Schoß“, unterbricht Liam unser kurzes Schweigen.
Ich setze mich auf ihn und lasse meine Beine übers Wasser baumeln. Wir sind uns ganz nah. Keiner sagt etwas. Wir schauen uns bloß in die Augen. So tief gehend war unser Blickaustausch noch nie. Meine Lust, die kurz ein Nickerchen machte, ist nun wieder hellwach. Das Feuer, welches zwischen uns entflammt, breitet sich in meinem gesamten Körper aus. Mir wird schlagartig heiß. Ich fühle mich allerdings nicht wie vorhin. Vorhin habe ich mich hilflos gefühlt. Ihm ausgeliefert. Ergeben. Wir begegnen uns gerade auf Augenhöhe. Meine Dominanz – sollte sich so Dominanz anfühlen – trifft auf seine. Zwischen uns beginnt die Energie zu brodeln, zu blitzen und zu donnern.