Die Verdammten Reiche

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Ayaz verstummte und ich stöhnte innerlich auf. Ich hatte nie behauptet mit Akesh reden zu wollen.
„Du willst zu Akesh? Ich dachte, du gehst ihm schon seit Jahren aus dem Weg. Weiß Viktor von deinem Plan?“, fragte Rieel und fuhr sich aufgebracht durch die Haare.
„Nein! Und nein, ich habe nicht direkt vor zu Akesh zu gehen“, entgegnete ich ausweichend und steuerte auf die Treppe zu, die in die oberen Stockwerke führte.
„Das soll heißen?“, fragte Rieel und eilte mir hinterher.
Verdammt, ich wusste, dass er nicht locker lassen würde. Aber genauso wie den Zwillingen konnte ich auch Rieel nichts von dem privaten Tor der Wölfe erzählen. Dämonen und Assassinen gehörten für meinen Vater zum selben Schlag.
„Können wir es einfach dabei belassen, das ich versuchen werde Ellysa zurückzuholen?“
„Das ist ja schön und gut, aber ich halte es für einen Fehler Viktor nichts davon zu sagen.“
Rieel folgte mir wie ein Schatten und ich überlegte kurz, wie ich meinen lästigen Anhang loswerden konnte. Ich hatte keine Lust auf irgendwelche Diskussionen. Mir reichte schon mein schlechtes Gewissen Viktor gegenüber. Ich wollte ihn nicht hintergehen, aber ich sah keine andere Möglichkeit als diese. Dass Viktor mehr als wütend auf mich sein würde, wenn er mich nicht mehr in seinem Bett vorfand war ein Übel, das ich wohl in Kauf nehmen musste.
„Zacharias nun warte doch einmal! Hast du überhaupt einen Plan?“
Ich erreichte Najems Tür und überhörte gekonnt Rieels Frage. Hoffentlich war der ehemalige heilige Bruder in seinem Zimmer. Ich klopfte an und wartete angespannt auf eine Antwort. Anscheinend war das Glück auf meiner Seite, denn die Tür öffnete sich und Najem sah mir mit verschlafenen Gesicht entgegen.
„Kann ich rein kommen?“, fragte ich und drängte mich ohne auf eine Antwort zu warten an ihm vorbei.
„Na klar, mein Zimmer ist dein Zimmer“, murmelte er und beobachtete wie ich mich in den Sessel fallen ließ.
Hatte ich gedacht, so Rieel und die Dämonenzwillinge abschütteln zu können, hatte ich mich getäuscht. Ich beobachtete, wie Najem die Tür hinter meinen Verfolgern schloss und erst jetzt fiel mir auf, wie ausgemergelt er aussah. Jarons und Leahs Tod hatten ihn anscheinend wirklich sehr mitgenommen. Ich biss mir wütend auf die Lippe. Zu meinem schlechten Gewissen wegen Viktor, gesellte sich nun auch noch das Najem gegenüber hinzu. Ich hatte meinen Freund viel zu lange mit seinen Schuldgefühlen alleine gelassen. Najem durfte sich nicht die Schuld an dem Tod der Beiden geben.
„Wie komme ich zu so viel unverhofften Besuch? Das Zacharias kommt und geht, wann er will, bin ich gewohnt, aber ihr?“
Najem verschränkte die Arme vor der Brust und sah Rieel abwartend an.
„Ich bin hier um Zacharias etwas Vernunft einzutrichtern“, meinte er mit einem Grinsen und lehnte sich an die Wand neben einem großen Bücherregal.
„Und wir, um sicher zu gehen das Zacharias wirklich sein Vorhaben in die Tat umsetzt. Außerdem laufen wir hier bei dir bestimmt nicht Viktor über den Weg“, überlegte Kyran.
„Moment, ihr meintet doch, er sei nicht in Kassathor!“, rief ich etwas zu laut und konnte die aufkommende Panik nicht ganz aus meiner Stimme heraushalten.
„Wenn du Viktor nicht verärgern willst, dann geh zurück in dein Zimmer oder in seines und überlasse ihm die Aufgabe Ellysa zurückzubringen“, entgegnete Rieel mit hochgezogener Augenbraue.
Ich unterdrückte ein Knurren und verfluchte sie allesamt.
Najem seufzte ergeben und setzte sich in den zweiten Sessel.
„Also?“, fragte er und ich wusste, dass er mich damit meinte.
„Ich bin gekommen, um dich abzuholen. Pack ein paar Sachen ein, wir unternehmen einen kleinen Ausflug.“
„Wie kommst du darauf, das ich dich begleiten werden?“
„Kyran meinte, du überlegst Kassathor zu verlassen. Da dachte ich mir, dass du mir vielleicht Gesellschaft leisten willst.“
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Rieel den Kopf schüttelte und beachtete ihn geflissentlich nicht.
„Zacharias als ich darüber nachdachte von hier wegzugehen, meinte ich das alleine. Ich brauche Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.“
„Du darfst dir für Leahs und Jarons Tod nicht die Schuld geben. Es war die Schuld dieser Magie wirkenden Bastarde.“
„Aber sie standen unter meiner Obhut. Es war mein Verschulden, das ich sie nicht heilen konnte. Wozu soll ich in Kassathor bleiben, wenn ich nicht einmal fähig bin jemanden zu helfen?“
„Najem du bist gut, in dem was du tust. Bitte mache nicht den Fehler und nimm ihren Tod als Maßstab für dein Können. Du hast damals Ellysa geholfen und vielen anderen zuvor.“
„Das waren Kleinigkeiten. Eine Schnittwunde, Fieber und Vergiftung, für all das gibt es helfende Mixturen. Da weiß ich, was zu tun ist. Aber dieser magische Angriff … ich dachte, sie würden es schaffen, ich dachte, ich hätte es geschafft, aber dann … dann waren sie eines Nachts einfach tot.“
Ich spürte die tiefe Verzweiflung, die von Najem ausging und auch das bedrückende Schweigen der Zwillinge und Rieels erfüllte den Raum mit einer düsteren Stimmung.
„Najem wir vertrauen auf deine Heilkünste. Wir wissen nicht was noch alles auf uns zukommt. Wenn wir die Magier nicht mehr zurückhalten können und sie uns verstärkt angreifen, dann brauchen wir dich hier“, meinte Rieel.
Ich war ihm dankbar, das er versuchte Najem vor Augen zuführen wie wichtig seine Arbeit war und vielleicht wäre es doch besser, wenn ich alleine ging. Sollte Kassathor in der Zwischenzeit wirklich angegriffen werden, dann wurde Najem hier gebraucht. Mein Magen zog sich plötzlich schmerzhaft zusammen, als ich an Viktor dachte.
War war, wenn ihm in der Zeit meiner Abwesenheit etwas zustieß? Wollte ich mich wirklich heimlich davon stehlen, ohne ihm von meinen Plänen zu erzählen? Hatte ich die Kraft dazu?
In den letzten Wochen hatte sich unser Verhältnis zueinander auf eine Art und Weise vertieft, die mehr als nur sexueller Natur war. Ich fühlte mich in Viktors Nähe wohl und irgendwie sträubte sich alles in mir, ihn auf diese Weise zu hintergehen.
„Überlegst du deinen Plan aufzugeben?“, fragte Rieel prompt und durchschaute mich viel zu leicht.
Sofort war Kyran an meiner Seite und verpasste mir einen Hieb gegen die Schulter.
„Wage es nicht! Wir haben dich nur losgemacht, damit du unsere Meisterin zurückholst. Ziehe ja nicht den Schwanz ein nur, weil du dich vor Viktor fürchtest!“
Wütend starrte ich in Kyrans silbrige Augen.
„Ich habe es schon einmal gesagt, ich habe keine Angst vor Viktor und ich bin ihm keine Rechenschaft schuldig. Wenn ich gehen will, dann kann ich das auch tun! Egal wann und egal wohin!“
Kyran sah mich nicht wirklich überzeugt an, aber er beließ es dabei und auch Rieel schwieg. Najem seufzte und schüttelte leicht den Kopf.
„Es tut mir leid Najem. Vielleicht ist es wirklich besser du bleibst hier. Ich werde zurechtkommen und alleine bin ich um einiges schneller“, meinte ich und hoffte, dass ich überzeugend genug klang.
Ich hätte Najem nur zu gerne dabeigehabt, aber ich verstand auch Rieels Argumente. Sollte wirklich ein Angriff über Kassathor hereinbrechen, dann wurde er hier dringend gebraucht.
Ich stand auf, bevor ich mich selbst noch umentschied. Der Gedanke Viktor zu hintergehen lastete dummerweise schwerer auf meinem Gewissen, als mir lieb war. Das ich überhaupt einmal ein Gewissen gegenüber einem Dämon haben würde, war schon seltsam genug.
„Wo willst du überhaupt hin?“, fragte Rieel und beobachtete, wie ich aufstand und sich langsam immer mehr helle Lichter um mich sammelten.
„Nach Latherra“, erwiderte ich mit einem schiefen Lächeln, während meine Gestalt langsam verschwamm und das Tier in mir zum Vorschein kam.
„Da hättest du gleich in Keross bleiben können. Latherra ist noch zwielichtiger und verkommener. Ich hätte mir gleich denken können das sich euer Tor dort befindet.“
Bevor ich ihn danach fragen konnte, woher er von dem Tor wusste, stand ich schon auf meinen vier Beinen. Rieel griff überraschend in mein Nackenfell und zog mich zu sich heran.
„Pass gefälligst auf dich auf, sonst wird Viktor Kassathor ganz von alleine zerstören und für unsere Meisterin gäbe es dann auch keine Rettung mehr“, raunte er mir zu.
Ich knurrte leise und hoffte er würde das als Zustimmung sehen. Nach einem letzten Blick auf Najem, der mir zunickte, trabte ich zur Tür. Kyran hielt sie mir auf und musterte mich mit einem ungewöhnlich ernsten Gesicht.
„Pass auf, Viktor ist zurück, nicht das du wieder angeleint wirst!“
Ayaz zog seinen Bruder gerade noch rechtzeitig zurück, als ich nach ihm schnappte. Diese verfluchten Zwillinge!
Doch Kyran hatte nicht Unrecht. Ich durfte auf gar keinem Fall Viktor über den Weg laufen.
Vorsichtig lief ich die Treppen zur Eingangshalle hinab und witterte prüfend. Noch konnte ich Viktors Geruch nirgends wahrnehmen, geschweige denn diesen Dämon hören oder sehen. Trotzdem beschlich mich eine gewisse Vorahnung und ich beeilte mich weiterzukommen.
Ich durchquerte gerade die Eingangshalle, als sich von einem Moment zum Nächsten die Luft um mich herum veränderte und eine überwältigende, dunkle Aura meine Sinne flutete.
Verdammt, mein Glück hatte nicht lange angehalten!
„Hübscher, erklärst du mir einmal, was genau du da vorhast?“
Mein Herz pochte laut in meiner Brust und anstatt stehenzubleiben, sprang ich in wenigen Sätzen zu dem großen Eingangstor.
„Zacharias!“
Viktors harscher, wütender Befehlston hätte mich fast erstarren lassen, aber ich zwang mich, mich auf gar keinen Fall zu ihm umzudrehen, sondern drückte meine Schulter gegen das alte Holz.
„Zacharias ich warne dich! Bleib sofort stehen!“
Ich spürte, wie Viktors dämonische Bannsiegel auf mich zuhielten und fast panisch zwängte ich mich nach draußen. Etwas in mir zog sich schmerzhaft zusammen und ich zögerte kurz.
War es wirklich richtig so Hals über Kopf davon zu laufen?
Vielleicht könnte ich Viktor meinen Plan ganz vernünftig erklären? Vielleicht würde er mir zustimmen und wir könnten gemeinsam nach Ellysa suchen? Vielleicht ließ er ja wirklich mit sich reden?
Doch dann krachte hinter mir das Eingangstor mit einem gewaltigen Knall an die Außenmauern und Viktors dämonische Aura hielt mit einer Intensität auf mich zu, die mir Angst einjagte. Mit einem Satz sprang ich die Treppen hinunter und zwang mich zu einem schnelleren Tempo.
„ZACHARIAS!“
Ich rannte wie ein Wahnsinniger, preschte über den gepflasterten Weg und tauchte mit einem Sprung in das Dickicht des schwarzen Waldes ein. Ich war Viktor entkommen – zumindest vorerst.
2. Kapitel
Ellysa
Der Duft von Essen stieg mir in die Nase und ließ meinen Magen kläglich knurren. Es roch so gut, das es die reinste Qual war. Doch wie die Male zuvor würde ich es nicht anrühren. Es war nicht so, das ich nicht wollte, sondern eher, dass ich nicht konnte. Mir schnürte sich die Kehle zu, sodass es unmöglich war auch nur einen einzigen Bissen hinunter zu bekommen.
Panische Angst und Hilflosigkeit hielten mich in einer gefährlichen Spirale gefangen. Einer Spirale, aus der es kein Entkommen gab.
Wie hatte ich nur zulassen können das es soweit gekommen war?
Eingesperrt in den Verdammten Reichen, umringt von toten Seelen und Dämonen.
Wie hatte ich mich nur aufgeben können?
Denn das hatte ich getan – irgendwie.
Ich schlang meine Arme um die Knie und wippte leicht vor und zurück. Die Kälte der Wand in meinem Rücken kroch in mich hinein und ließ mich zusätzlich erzittern.
Raue Steine schrammten über den dünnen Stoff des Kleides und hinterließen ihre Spuren auf meiner Haut. Meine Augen huschten zu dem Bett, an der Wand gegenüber und ich verfluchte mich selbst. Zumindest was diese Sache betraf, könnte ich es mir einfach machen, aber meine Sturheit und mein Selbsthass hinderten mich daran, mich auf die einladenden Decken zu legen. Seit mich Akesh in die Verdammten Reiche gebracht hatte, hatte ich keine einzige Nacht darin geschlafen.
Wie lange war das jetzt her?
Tage, Wochen, Monate?
Ich wusste es nicht, aber seit jenem Vorfall in Keross hatte ich Akesh, den Herrn dieser Hölle hier, nicht mehr gesehen.
Als ich an Keross zurückdachte, stieg neu Übelkeit in mir auf und mein Magen drehte sich erneut um. Schnell beugte ich mich zur Seite und würgte, doch zum Glück kam nichts hoch. Sarkastisch verzog ich den Mund.
Was hätte ich auch erbrechen sollen?
Zitternd lehnte ich mich zurück an die Wand. Keross war mein Untergang gewesen, die Selbstaufgabe meines Ichs, das Ende meiner Seelen.
Wie viele Tote hatte ich in der zerstörten Stadt hinterlassen? Wie viel Leid verursacht?
Leid, das ich nie wieder gut machen konnte.
Meine weiße Seele krümmte sich bei dieser Wahrheit schmerzhaft zusammen und ich würgte bittere Galle hinunter. Tränen stiegen mir in die Augen und zerrten mich weiter in einen dunklen Abgrund aus tiefster Verzweiflung. Ich fühlte mich verloren und wusste, das ein Teil von mir das auch wahrhaftig war. Meine schwarze Seele war verschwunden. Ich spürte nicht einmal mehr einen Hauch von ihr. Ich war unvollständig und meine weiße Seele nutzte diese Tatsache vollkommen aus. Sie füllte mich mit ihrer Reinheit, ihrer Güte und konfrontierte mich im gleichen Zuge mit meinem Selbsthass, der genau aus ebenjenen Gründen entsprang. Ich war das reinste, seelische Frack. Ich kam mir vor wie ein Blatt im Wind. Mitgerissen von einem Sturm, den ich selbst entfesselt hatte und dessen Willkür ich nun ausgesetzt war.
Ich war nicht mehr die, die ich einmal war, auch wenn ich noch nicht sagen konnte, was genau das für mich bedeutete.
Ich hörte das Klacken des Schlüssels im Schloss und schnell wischte ich mir die Tränen von den Wangen. Noch hatte ich soviel Stolz um niemanden, auch keinem noch so abartigen Dämon, meine Schwäche zu zeigen. Das dieser Dämon, sie allerdings nur zu gut kannte, war etwas anderes.
Meine Tür wurde aufgeschoben und ein schwarzer Koloss trat ein. Funkelnde rot-geschlitzte Augen stierten mich an, huschten kurz zu dem unberührten Essen und dann wieder zurück zu mir. Die Gestalt vor mir war überwältigend schön, wie fast jeder Dämon, aber leider genauso gefährlich. Graues Zwielicht umgab mich und ich war froh, das es nicht heller war, denn ich wollte nicht, dass mich mein Wärter genauer betrachten konnte. Ich wollte nicht, das er die Angst auf meinem Gesicht sah, die aus reiner Hoffnungslosigkeit geboren war. Diese Genugtuung wollte ich ihm nicht geben.
Seit mir meine schwarze Seele genommen worden war, fühlte ich mich ängstlicher und angreifbarer als zuvor. Mir hatten Dämonen und sonstige Kreaturen nie Angst eingejagt. Im Gegenteil, sie fürchteten sich vor mir. Doch jetzt, jetzt war alles anders.
Mein Gefängniswärter stieß ein Grollen aus, schnappte sich den Teller mit dem Essen und kniete sich vor mich hin.
„Wenn du jetzt nichts isst, werde ich dir mindestens zwei Tage nichts mehr bringen.“
Aelos, mein persönlicher Gefängniswärter, hielt mir den Teller direkt unter die Nase und schlagartig überkam mich eine neue Welle Übelkeit. Ich zuckte zurück, stieß mir den Kopf an der Wand und drehte mich gerade noch rechtzeitig zur Seite. Mein ganzer Körper krampfte sich zusammen, als ich wieder nichts als Galle hervorwürgte.
„Vielleicht sollte ich es dir einfach in den Rachen stopfen, immerhin bin ich es, der einen Kopf kürzer gemacht wird, wenn du stirbst.“
Aelos erhob sich, packte meine Haare und zog mich mit einem Ruck nach oben. Ich schrie auf und versuchte seine Hände wegzuschlagen. Meine weiße Seele zeigte sich in silbrig glänzenden Fäden und waberte um mich herum. Doch sie war ein Hauch von nichts, in all der Dunkelheit, die mich umgab und Aelos schien sie nicht im Geringsten zu stören.
„Lass mich verdammt nochmal los!“
„Wirst du dann etwas essen?“, fragte er mit seiner Reibeisenstimme und musterte mich mit einem gefährlichen Glitzern in seinen roten Augen.
„Ich kann nicht“, stieß ich hervor und starrte stur zurück.
Ein hinterhältiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht und entblößte eine Reihe spitzer Zähne.
„Ich könnte dich auch einfach ficken, so wie wir es mit allen lebenden Frauen tun, die sich hierher verirren. Vielleicht hättest du dann ja Hunger?“
Seine Augen wanderten tiefer und ich wusste genau, dass er nun auf meine Brüste stierte, die sich durch das Kleid hindurch nur zu deutlich abzeichneten.
„Lass mich in Ruhe!“, zischte ich und versuchte meine gepeinigte Kopfhaut nicht zu beachten.
„Noch bist du sicher Hübsche, aber sobald dich Akesh fallen lässt, bist du Freiwild und glaube mir, mir und meiner Art ist es egal, ob du dabei halb tot bist oder nicht.“
Aelos ließ mich los und ich landete unsanft auf meinem Hintern. Ohne ein weiteres Wort stand er auf und ging Richtung Tür. Ich unterdrückte ein Schluchzen und rappelte mich auf. So gern ich mich auch in einer der dunklen Ecken dieses Verlieses verkriechen wollte, so hinderte mich noch ein klitzekleiner Rest meiner Selbstachtung daran.
„Wo ist er? Wo ist Akesh? Warum hat er mich hier eingesperrt und warum lässt er sich nicht blicken? Sag deinem Herrn das ich ihn sprechen will! Hol ihn her!“
Aelos drehte sich mit einem Stirnrunzeln zu mir um. Anscheinend hatte mein kleiner Wutausbruch ihn beeindruckt. Immerhin war es der erste, seit ich hier war.
„Du bist nicht in der Lage zu befehlen Hübsche. Akesh hat sich um wichtigere Dinge zu kümmern als um dich.“
Ich ballte die Fäuste und versuchte meine zitternden Beine unter Kontrolle zu halten. Meine weiße Seele gewann an Kraft und ich fühlte mich besser. Entschlossen tat ich einen Schritt nach vorne.
„Ich will ihn sprechen!“, forderte ich ungerührt.
Aelos beachtete mich nicht weiter. Für ihn war ich nur lästiges Ungeziefer, das nicht tat, was er verlangte. Er machte Anstalten die Tür meines Gefängnisses wieder zu schließen und mich erneut in der Dunkelheit zurückzulassen. Endlich spürte ich einen Anflug von Kampfgeist und dieser reichte aus, um mich handeln zu lassen. Ich betete zu den weißen Göttern, das meine kraftlosen Beine durchhielten und rannte los. Ich erreichte die Tür, schlüpfte unter Aelos Armen hindurch und raste los. Das ich Aelos mit meiner Aktion überraschte bekam ich postwendend zu hören, als das Tablett hinter mir scheppernd zu Boden fiel und ein ungestümer Fluch erklang.
„Verfluchtes Weib! Warte bis ich dich in die Finger bekomme!“
Aelos wütende Rufe verfolgten mich, als ich wie eine Irre den Gang entlang rannte. Ich hörte, wie er hinter mir her sprintete und hoffte, das ich weit genug kam, um … ja um was zu tun eigentlich?
Verflucht ich war in den Verdammten Reichen!
Wohin sollte ich fliehen?
Ich stolperte und spürte keinen Augenblick später einen mörderischen Ruck an meinem Arm. Ich schrie auf und gleichzeitig wich die Kraft aus meinen Beinen. Mit einem schmerzhaften Krachen schlug ich ungebremst auf dem harten Steinboden auf.
„Das war eine ganz dumme Idee!“
Aelos schlang einen seiner stahlharten Arme um meine Taille und berührte dabei wie zufällig meine Brust. Sofort erstarrte ich und gab meinen Widerstand auf.
„Anscheinend hast du doch noch genügend Energie. Ich werde dich an die Wand ketten und die nächsten Tage hungern lassen. Vielleicht stirbst du dann ja endlich und ich kann es als unglücklichen Unfall darstellen und wieder meinen eigentlichen Aufgaben nachkommen“, zischte mir Aelos gehässig ins Ohr.
„Ich habe dich nicht darum …“
Meine Stimme versagte, als sich seine Hand um meine Kehle legte und zudrückte. Ich bekam keine Luft mehr und panisch zerrte ich an seinem Arm. Aber genau wie zuvor schon, konnte ich nicht das Geringste gegen ihn ausrichten. Meine weiße Magie strömte hervor und konnte mir doch nicht helfen. Sie war viel zu schwach. Ohne meine schwarze Seele war ich machtlos. Schwarze Punkte blitzen vor meinen Augen auf und ich spürte, wie meine Kraft unaufhaltsam schwand.
„Aelos was treibst du da?“
Diese Stimme! So ruhig, so kalt, so gefährlich. Ich hob meinen Blick und versank in den nur zu bekannten amarantfarbenen Tiefen von Akeshs Augen. Endlich, endlich zeigte er sich!
„Herr. Ich gehe nur dieser unliebsamen Aufgabe nach, die ihr mir aufgetragen habt. Ihr geht es gut“, grollte Aelos, ließ meinen Hals los und zog mich auf die Beine.
Das ich fast nicht von alleine stehen konnte schien niemanden zu interessieren.
„Sie erweckt nicht den Eindruck das es ihr gut geht. Anscheinend musst du noch etwas sorgfältiger an deine Aufgabe herangehen Aelos.“
Gebannt beobachtete ich, wie Akesh näher kam. Seine abgrundtief schwarze Aura flutete über mich hinweg und sie kam mir noch mächtiger vor als bisher. Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, das wir uns in seinem Reich befanden.
Er beugte sich zu mir hinab und unfähig auch nur ein Wort über die Lippen zu bekommen hielt ich den Atem an.
„Vielleicht hätte ich dich doch töten sollen“, flüsterte er und mein Herz geriet ins Stolpern.
Er griff nach meinem Kinn und zwang mich meinen Kopf zu heben. Sein Daumen strich über meine Unterlippe und ich konnte ein Zittern nicht unterdrücken.
„Warum hast du es nicht getan?“, hauchte ich und wollte seine Antwort eigentlich gar nicht hören.
Kurz meinte ich eine sonderbare Regung auf seinem Gesicht zu sehen, doch dann zeigte er mir wieder seine kalten, undurchdringlichen Gesichtszüge.
„Vielleicht tue ich es ja noch.“
Ich biss mir auf die Unterlippe und starrte ihn weiterhin an. Das Rot in Akeshs Augen nahm eine dunklere Nuance an und mein Herzschlag beschleunigte sich.
„Ich bringe sie zurück“, meinte Aelos plötzlich und riss mich aus meiner Starre.
„Nein warte! Ich will mit dir reden!“, forderte ich und hoffte, Akesh würde mich vor meinem kargen Verlies bewahren.
„Tut mir Leid Liebes, aber ich bin beschäftigt“, entgegnete er mit einem süffisanten Lächeln und trat einen Schritt zurück.
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Akesh wollte nicht mit mir reden und mir blieb keine andere Wahl, als das zu akzeptieren. Ich war nicht in der Position Bedingungen zu stellen.
„Sei ein braves Mädchen und iss etwas. Du bist zu dünn geworden.“
„Sie weigert sich hartnäckig“, warf Aelos dazwischen und Akeshs Blick verbrannte mich regelrecht.
„Dann zwing sie dazu!“
Mit diesen Worten und einem hinreißenden Lächeln drehte er sich um und ging.
„Du elendiger Bastard!“, stieß ich hervor und wollte ihm hinterherlaufen, aber Aelos hielt mich zurück.
„Genug ist genug!“, knurrte er, packte mich grob am Oberarm und zog mich zurück zu meiner Zelle.
Ich konnte nicht mehr als hilflos zusehen, wie meine Chance mit Akesh zu reden ungenutzt verstrich.
Unbarmherzig zog mich mein Gefängniswärter zurück zu meiner Unterkunft, schmiss mich regelrecht hinein und verschloss mit einem dumpfen Laut die Tür.
Ich war wieder alleine. Alleine mit meinen zermürbenden Gedanken, den Schuldgefühlen und der Dunkelheit.
Wie lange würde ich noch durchhalten, bevor ich mich vollständig aufgab? Warum hielt mich Akesh weiterhin gefangen? Wollte er mich quälen? Mich für meine Sünden bestrafen? Warum tötete er mich nicht einfach, anstatt mich in diesen unvollkommenen Zustand zurückzulassen?
Ich kauerte mich wieder an der kalten Mauer zusammen und krallte die Finger in meine Haare. Der einsetzende Schmerz war das einzige Zeichen dafür, das ich noch lebte. Tränen sammelten sich in meinen Augen und Kälte breitete sich in mir aus. Niemand war hier oder würde kommen, um mir zu helfen. Meine Hoffnung das Akesh mit sich reden ließ war verschwunden. Meine weiße Magie zog sich in mein tiefstes Innerstes zurück und verstummte und ich fühlte mich einsamer denn je.