Seewölfe Paket 15

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Lady Anne wußte sehr genau, wer geräubert hatte, nämlich Haig, der von einem Knöchelbruch her einen nach innen gedrehten linken Fuß hatte, und genau dieses Merkmal hatte sie bei den Fußspuren in ihrem Hühnerhof entdeckt. Nur hatte Haig nicht aufgrund eigener Initiative die Hühner entwendet, sondern das war ihm befohlen worden.
Baxter und Haig schrien um die Wette, während sie grün und blau geschlagen wurden, Haig schwor tausend Eide, daß er das nie wieder tun würde, und Baxter rückte endlich damit heraus, daß Sir John angeordnet habe, die Hühner zu stehlen.
Da tobte Lady Anne erst richtig los. Binnen kurzer Zeit verwandelte sie die Küche Sir Johns in ein Schlachtfeld und stülpte zum Abschluß Baxter den Abfallkübel mit den gerupften Federn, den abgehackten Köpfen und Beinen über den Schädel. Und Haig empfing zur Abrundung der Prügel einen schmetternden Schlag mit der Bratpfanne auf den Kopf. Er ging zu Boden, als sei er mit einer Axt gefällt worden.
Aber Lady Annes Feldzug war noch nicht beendet, denn auch der Urheber dieses Bubenstücks hatte sein Fett zu kriegen. Aus Erfahrung wußte Lady Anne, wo ihre schlechtere Ehehälfte zu finden war – natürlich in der Wohnhalle wie immer nach Zechgelagen.
Lady Annes Wut loderte auf wie eine Flamme, in die der Wind stößt, als sie die Halle betrat, die zwar Halle genannt wurde, aber nichts anderes war als ein Schweinestall.
Das war ja wohl nicht mehr zu fassen!
Lady Anne fluchte wie der letzte Fuhrknecht, und als einer der Köter sie anknurrte, empfing er mit dem Krückstock was aufs Maul, daß er aufjaulend und mit eingezogenem Schwanz flüchtete. Die beiden anderen Bestien zogen es vor, sofort zu verschwinden. Vor Sir Johns Hunden hatte Lady Anne noch nie Angst gehabt.
Als der Köter aufjaulte, war Sir John aus seinem Suffschlaf aufgewacht, aber er hatte keine Gelegenheit mehr, irgendwie zu reagieren.
Lady Anne war bereits hinter den Lehnstuhl geglitten. Sie bückte sich, packte links und rechts die beiden hinteren Stuhlbeine, ruckte sie hoch und kippte den Lehnstuhl vornüber.
Sir John merkte nur, daß er plötzlich abgelüftet wurde, und schon saß er nicht mehr, sondern segelte durch die Luft und klatschte vor dem Kamin auf den Steinboden. Er prellte sich Nase und Kinn und brüllte los.
Sekunden später tanzte der Krückstock über seinen Rücken, über Genick und Schultern, daß ihm Hören und Sehen vergingen. Lady Anne klopfte den Erzeuger ihrer Ferkelsöhne windelweich. Auch und gerade den dicken Hintern ihres Gemahls sparte sie nicht aus, und sie klopfte so lange, bis keine Staubwolken mehr aus dem Hosenboden aufstiegen.
Aufatmend hielt sie inne und wartete, bis sich Sir John stöhnend und ächzend umgedreht hatte. Als er sein zorniges Weib entdeckte, wollte er hoch, empfing aber mit dem Krückstock einen rabiaten Stoß vor die Brust, der ihm die Luft nahm und ihn wieder zurücksacken ließ.
„John Killigrew!“ donnerte Lady Anne. „Es ist das letzte Mal gewesen, daß du mich bestohlen hast! Das letzte Mal! Wird noch ein Stück aus meinem Besitz entwendet – und sei es ein Buchenscheit –, dann lade ich eine Muskete mit gehacktem Blei und schieß dich über den Haufen. Das gilt auch für deine verdammten Söhne! Ich habe es satt, mir das noch länger gefallen zu lassen. Hast du mich verstanden, du Mistkerl?“
Sir John schielte mit tückischen Augen zu der Feuerzange, die leider nicht ganz in seiner Reichweite lag.
Lady Anne sah das sehr genau.
„Nur zu!“ höhnte sie. „Hol dir die Feuerzange, Killigrew. Oder bist du zu feige?“
„Ich – ich dreh dir den Hals um, du alte Ziege …“
Lady Anne explodierte, und wieder hagelte es Hiebe mit dem Krückstock. Ja, sie war ein verdammt harter Brocken, diese Lady Anne, und jetzt zahlte sie dem Alten alles zurück, was er ihr in den letzten Jahren angetan hatte. Das war alles in Lady Anne angestaut gewesen, und jetzt brach es sich Bahn wie eine Naturkatastrophe.
Gleich der erste Hieb prallte Sir John an den Hals, nahm ihm die Luft zu weiteren Beschimpfungen und legte ihn im Sitzen um. Lady Anne kannte kein Erbarmen, zu häufig war sie von diesem Ungetüm entwürdigt, beleidigt, betrogen und sogar bestohlen worden. Nur ihr Stolz hatte es ihr verboten, die Feste Arwenack zu verlassen.
Ja, heute war Zahltag, und stellvertretend für die Schlampen, die Saufkumpane und die eigenen Söhne empfing Sir John die Prügel, und Lady Anne ließ ihm keine Chance, um den Spieß umzudrehen.
Als sie das Feld räumte, hatte Sir John die Dresche seines Lebens bezogen, und da war wohl keine Stelle an seinem Körper, die Lady Anne verschont hatte.
Nun waren Thomas Lionel und Simon Llewellyn vor einem Viertelstündchen etwa ebenfalls in die Gegenwart zurückgekehrt, der eine im Rübenkeller, der andere in der Kiste. Sie hatten sich ins Wachsein zurückgequält und litten an allerlei Störungen, wie sie nicht ausbleiben, wenn der Geist des Alkohols zuschlägt. Beide hatten etwa das Gefühl, mit den Köpfen zwischen zwei Mühlsteinen eingeklemmt worden zu sein.
Sie trafen sich am Kellerniedergang, und da keiner den anderen zunächst erkannte – da unten herrschte ein schummriges Halbdunkel –, fuhr ihnen der Schreck in die Glieder und ließ sie noch mehr wanken. Vermutlich meinte jeder vom anderen, einem Geist begegnet zu sein oder vielleicht sogar dem Gehörnten. Als sie voreinander Reißaus nehmen wollten, ertönte oben in der Halle die donnernde Stimme, die unschwer als die ihrer resoluten Mutter zu identifizieren war. Da zuckten sie wieder zusammen.
Und sie lauschten. Als in der Standpauke auch von ihnen die Rede war, setzten sie sich in Bewegung, um die Steintreppe hochzuschleichen. Erst da erkannten sie einander. Sie grinsten sich gequält an, zwei derangierte Kerle mit vom Suff verquollenen Visagen. Man hätte sie nie als gut aussehend bezeichnen können, aber jetzt ähnelten sie Ferkeln mehr denn je.
Wie Spitzbuben schoben sie sich längs der Seitenmauern die Stufen hoch und spähten oben aus dem Halbdunkel des Niedergangs in die Halle, wo ihr Alter verdroschen wurde.
Natürlich waren sie weit davon entfernt, sich einzumischen oder etwa ihrem Alten beizustehen. Erstens hätten sie selbst Senge bezogen, zweitens kannten sie den Zorn ihrer Mutter, und drittens labten sie sich an der Schadenfreude. Es war zu schön, zusehen zu dürfen, wie dem Alten das Fell gegerbt wurde. Zu gern hätten sie ihren Beifall kundgetan, aber das verbot sich aus naheliegenden Gründen.
So blieben sie stumme, aber doch sehr erfreute Zeugen eines nicht alltäglichen Geschehens. Wirklich schade, daß sie so etwas so selten erlebten.
Als die Tür hinter der Burgherrin ins Schloß krachte, zuckten die beiden Ferkelkerle noch einmal zusammen. Der Alte konnte nicht mehr zucken, weil er total zerschlagen war. Aber das Zukrachen der Tür verriet ihm, daß seine bessere Hälfte die Halle nunmehr verlassen hatte. Dann knirschten irgendwo hinter ihm Schritte über Scherben, und er wälzte sich stöhnend herum.
Sein Blick fiel auf seine beiden Stammhalter, und an deren dreckigem Grinsen erkannte er, daß sie Zeugen seiner schmachvollen Züchtigung geworden waren. Das stimmte ihn keineswegs fröhlich.
Die beiden hatten sich schleunigst verdrücken wollen, ohne vom Alten bemerkt zu werden, aber das war nun leider danebengegangen. Das Knirschen der Bruchscherben hatte sie verraten. Ihr Grinsen vereiste sehr schnell.
Vater und Söhne starrten sich also an und ihren Blicken war zu entnehmen, daß sie einander keineswegs in Liebe zugetan waren, jedenfalls nicht so, wie es zwischen Vätern und Söhnen wünschenswert wäre.
So zerschlagen der Alte auch war, er konnte schon wieder brüllen, und seine Söhne erhielten den Befehl, ihm aufzuhelfen. Sie hätten jetzt noch auskneifen können, aber dazu fehlte ihnen der Mumm. Und früher oder später wäre der Alte doch über sie hergefallen. Vielleicht war es jetzt sogar besser, alles über sich ergehen zu lassen, zumal der Alte Federn hatte lassen müssen – wie die zehn gestohlenen Hühner.
Ohne viel Begeisterung latschten sie über die Scherben, griffen dem Alten unter die Achseln, hievten ihn hoch und zerrten ihn zu einem Stuhl, der noch nicht umgekippt war.
Der verdammte Wüterich ließ sich hängen wie ein ausgewrungener Putzlappen. Aber kaum saß er mit dem dicken Hintern auf dem Stuhl, kriegte der dümmliche Thomas Lionel, der nicht schnell genug reagierte, ein Ding an die Ohren gescheuert, das ihn ins Taumeln brachte. Simon Llewellyn schaffte es rechtzeitig, sich dem Zugriff des Alten zu entziehen. Er tat es mit dem Hinweis, in der Küche für das Frühstück sorgen zu wollen. Das war immerhin eine gute Ausrede, und sie wurde auch akzeptiert, weil der Alte Hunger hatte. Thomas Lionel durfte ihm dafür einen Eimer mit kaltem Wasser bringen und dem Alten kalte Kompressen auf den Kopf legen.
Zu diesem Zeitpunkt tauchten auch der dicke Burton und sein Kumpan Bromley in der Halle auf. Sie hatten die Mienen von Sargträgern, vor allem Bromley, der inzwischen von Burton erfahren hatte, wie von dem Alten „der geschäftliche Teil“ geregelt worden war. Immerhin waren diese beiden Gauner bereits übereingekommen, sich nicht mit einem Viertel der Beute zu begnügen. Irgendwie würden sie schon einen Dreh finden, sich vor der Teilung die Taschen vollzustopfen.
Als sie den Burgherrn erblickten, lockerten sich ihre verkniffenen Mienen um einige Nuancen.
Und zuckersüß sagte der dicke Burton: „Ah, Sir John, ich hoffe doch sehr, daß Sie eine gute Nacht hatten!“
Als Antwort erhielt er einen bitterbösen Blick und ein unverständliches Grunzen.
Mittags gab’s also das Frühstück, und die Trauergemeinde hatte sich nicht viel zu sagen. Die Killigrews schmatzten wie üblich und waren maulfaul, Burton hüstelte dann und wann, und Bromley brütete finster über seinem Teller. Er dachte schon wieder an Philip Hasard Killigrew. Die herrlichen Spiegeleier auf dem gebratenen Speck konnten ihn davon auch nicht abhalten.
4.
Erst gegen zwei Uhr am Nachmittag wurden unten im Hafen von Falmouth die Leinen gelöst. Zwölf wüste Kerls gehörten zur Stammbesatzung der Karavelle, die Sir John sein eigen nennen konnte. Sie war gut bestückt, denn sie diente dem alten Schnapphahn ja dazu, bei den Scillys oder in der Irischen See herumzuwildern. Er konnte ja nie den Hals voll genug kriegen, und das ausschweifende Leben, das er zwischendurch führte, verschlang ganz hübsche Sümmchen.
Armiert war die Karavelle mit je sechs Culverinen an Backbord und an Steuerbord, ferner mit demontierbaren Relingsbüchsen – zehn an der Zahl –, die überall jederzeit in die dafür vorgesehenen Halterungen auf dem Schanzkleid eingesetzt werden konnten, sowie mit je vier Dreh@assen auf dem Achterdeck und der Back.
Zur Bedienung dieser Waffen hätte Sir John gern ein paar Kerle mehr gehabt, aber da wäre dann auch mehr Sold fällig gewesen, und er war nun mal ein notorischer Geizkragen, was die Bezahlung seines Gesindes oder seiner Mannschaft betraf. So war er auch stets unterbemannt, was er aber dahin ausglich, daß er von seinen Kerlen eben mehr als üblich an persönlichem Einsatz verlangte. Sie hatten statt zwei Händen eben vier Hände zu haben – basta. Daß er seine beiden Ferkelsöhne als zusätzliche Decksleute betrachtete, versteht sich am Rande.
Dieser verwilderten Crew stand ein Bootsmann vor, O’Leary mit Namen, ein rüder Klotz von einem Kerl mit Holzhackervisage, mächtigen Fäusten und einem breiten Kreuz. Wenn Sir John nicht an Bord war, dann hatte er die Funktion eines Kapitäns. Er war ein guter Seemann und verstand auch was von der Navigation.
Hier muß noch hinzugefügt werden, daß O’Leary den beiden Ferkelsöhnen übergeordnet war, was bedeutete, daß er mit ihnen nach Belieben verfahren konnte, ohne vom Alten deswegen gerüffelt zu werden, ja, er verlangte sogar, daß O’Leary den beiden „Lümmeln“ was an die Ohren gab oder sie in den Hintern trat, wenn sie Mist bauten oder meinten, faulenzen zu dürfen.
Das hatte überhaupt nichts mit Erziehung zu tun, die mit spätestens zwanzig Jahren hätte abgeschlossen sein müssen. Nein, von solchen Überlegungen war Sir John meilenweit entfernt. Er hatte nur eine perverse Freude daran, seine Söhne zu kujonieren und zu piesacken – und was ihm bei Philip Hasard Killigrew nicht gelungen war, das ließ er an seinen beiden Ferkelsöhnen aus, ungeachtet dessen, daß diese Söhne bei einer solchen „Erziehung“ weiß Gott nichts anderes als nichtsnutzig werden konnten.
Wahrscheinlich auch wußte der Alte nichts von der Redensart in seinem Land, die da lautet: like a cornered rat – wie eine in die Enge getriebene Ratte. Denn das konnte eines Tages passieren, daß sich seine Söhne wie cornered rats fühlten und so handelten, nämlich mit dem letzten wahnsinnigen Mut der Verzweiflung den Folterknecht anzuspringen und sich in ihn zu verbeißen.
Seltsamerweise war es der dümmliche Thomas Lionel, der an diesem Tage zur Ratte wurde.
Es ließ sich alles gut an, wenn man von der schlechten Laune und der Brüllerei des Alten einmal absah.
Ein paar von den zwölf Kerlen, die allesamt so rechte Galgenstricke waren, drückten mit langen Bootshaken die Karavelle von der Pier weg, bis sie im Wind lag, der von Westen wehte. Die Fock wurde backgesetzt, bis der Bug nach Lee zu drehen begann, dann herumgeholt, während gleichzeitig auch Großsegel und Besan vorgeheißt wurden. Der Alte stand selbst am Ruder, während O’Leary, der Bootsmann, das Segelsetzen und Durchholen der Schoten überwachte.
Burton und Bromley befanden sich natürlich an Bord. Sie standen reichlich überflüssig auf dem Achterdeck herum und damit jedem im Wege. Von der Seefahrt verstanden sie soviel wie die Kuh vom Bauerntanz. Da ihnen die See dazu noch fremd war, hatten sie Beklemmungen, Schweißausbrüche und das dumpfe Gefühl, demnächst von dem nassen Element verschlungen zu werden.
Dieses Gefühl verstärkte sich, als sich die Karavelle nach Lee neigte und mit halbem Wind die Bucht von Carrick Roads durchlief und an Pendennis Point vorbei Zone Point ansteuerte, die Spitze jener Halbinsel, die gerundet werden mußte, wenn man entlang der kornischen Küste Plymouth anlaufen wollte.
Noch war bei dem Wind aus Westen die Bucht von Carrick Roads gut geschützt und der Seegang beileibe nicht aufregend. Aber der dicke Burton und sein Kumpan Bromley standen seltsam verdreht auf den Planken des Achterdecks und klammerten sich am Schanzkleid an Steuerbord fest, als befürchteten sie, im nächsten Moment auf dem mäßig schiefgeneigten Deck abwärts nach Lee zu rutschen.
Ihre Haltung sah schon reichlich komisch aus. Sie wirkte, als hätten sie die Hosen voll. Und Ihre Mienen wiesen aus, daß sie von erbärmlicher Angst erfüllt waren. Die durchzechte Nacht war auch nicht dazu angetan, ihr Wohlbefinden zu stärken.
Als Zone Point gerundet und damit die Atlantikdünung wirksam wurde, passierte das, was für Landratten vom Schlage dieser beiden Spitzbuben obligatorisch ist.
Ihre Mägen stiegen ihnen durch die Kehlen, und sie opferten. Ungetrübt von den Gesetzen des Windes entleerten sie sich, über dem Schanzkleid hängend, nach Luv. Das Zeug – noch nicht verdaute Spiegeleier mit Speck und Roggenbrot – flog ihnen wieder entgegen und um die Ohren, verkleisterte ihnen die Augen, das Gesicht und die Halskrausen, und so stimmten sie unisono ein Jammergebrüll an, als befänden sie sich auf dem Wege zur Schlachtbank.
Das war so richtig was für den Alten, der die Ruderpinne einem der Kerle übergeben hatte. Er lachte sich halbtot über die beiden Gestalten am Steuerbordschanzkleid. Dann wurde ihm der Geruch zuwider, der ihn von dort anwehte, und er brüllte den Bootsmann an, dafür zu sorgen, daß die Schweinerei, mit der auch das Deck bekleckert war, beseitigt würde.
O’Leary stand auf der Kuhl, röhrte sein „Aye, aye, Sir!“ und scheuchte Thomas Lionel aufs Achterdeck, nachdem er ihn angebrüllt hatte, was er mitzunehmen hätte, nämlich eine Pütz samt Fangleine, eine Handbürste und einen Lappen.
Thomas Lionel gehorchte.
Inzwischen war gehalst worden, und die Karavelle lag nunmehr über Steuerbordbug auf Nordost-Kurs, um Dodman Point anzusteuern, die nächste Halbinselspitze auf dem Wege nach Plymouth. Der Wind aus Westen fiel raumschots ein, die Karavelle wiegte sich in der von achtern anlaufenden Atlantikdünung – für magenschwache Landratten eine sehr üble Bewegung, die beharrlich und stetig ein Schiff hochklettern und hinuntergleiten läßt. Beim Hochklettern schwenkte der Bug hoch, beim Hinuntergleiten das Heck. Mit dem Magen verhält sich das nahezu synchron. Feste Mägen vertragen das, schwache Mägen rebellieren.
Bei Burton und Bromley rebellierten sie also weiterhin.
Sie hatten inzwischen begriffen, daß es unzweckmäßig war, gegen den Wind zu opfern. So lehnten sie jetzt achtern am Schanzkleid, den Rücken fast zum Wind, und versauten die Planken. Sie hatten noch allerlei in ihren Mägen.
Der Alte, achtern drüben am Backbordschanzkleid, sah genüßlich und grinsend zu, als sein Sohn Thomas Lionel, bewaffnet mit Pütz, Handbürste und Lappen, den Niedergang hochenterte, auf dem Achterdeck jedoch stehenblieb und zögerte.
O’Leary tauchte hinter ihm auf, verpaßte ihm spornstreichs einen Tritt in den Hintern und beförderte ihn auf diese Weise in Richtung des verunreinigten Decks, also dorthin, wo es nicht sehr appetitlich aussah.
Thomas Lionel sauste bäuchling über die Ferkelei auf den Planken und nahm insofern bereits mit seinen Klamotten eine Art Vorreinigung vor. Seine Rutschfahrt endete kurz vor den beiden Gentlemen, denen so speiübel war. So passierte es, daß er deren Magenkram auch noch ins Genick kriegte, sozusagen frisch, denn die beiden Gentlemen scherte es nicht, wer da zu ihren Füßen lag. Er hätte ja woanders hinrutschen können.
Als Thomas Lionel noch ein Bübchen gewesen war, da hatte sich sein älterer Bruder Malcolm oft daran verlustiert, ihm kaltes Wasser hinten in den Kragen zu gießen oder bei Frost auch mal Eisstückchen dort hineinzustopfen. Wenn dann der kleine Thomas Lionel wie am Spieß gebrüllt hatte, war Malcolm ganz weg gewesen vor lauter Lust an diesem Spaß.
Seit jenen Jahren reagierte Thomas Lionel nahezu hysterisch, wenn ihm irgend etwas hinten ins Genick geriet, es brauchte gar nicht einmal kalt zu sein.
Einmal war ihm unter Deck, als er mit seinem Alten und Simon Llewellyn an der Back gesessen hatte, eine Kakerlake hinten in den Kragen gefallen. Die war ihm noch dazu den nackten Rücken hinuntergekrabbelt. Da hatte er sich gebärdet wie ein Tobsüchtiger, einen Veitstanz hatte er aufgeführt, Geschirr zerschlagen und die Kammer demoliert. Erst ein Kinnhaken des Alten hatte ihn außer Gefecht setzen können.
Da war nun dieses Mal etwas anderes im Genick des Thomas Lionel gelandet, etwas nicht sehr Schönes, denn es roch mächtig übel. Für etliche Sekunden lag der Ferkelsohn starr und stumm platt auf den Planken, stierte das Holz an und das, was sich dort schon angesammelt hatte. Gleichzeitig spürte er jenes andere bereits im Genick, und er wagte kaum, sich zu rühren, damit es nicht tiefer rutschte.
Schritte waren hinter ihm, gleich darauf klatschte ein Tauende auf seinen Hintern, und die Stimme O’Learys dröhnte in seine Ohren.
„Willst du da pennen, du Sack?“ brüllte der Bootsmann. „Hoch mit dir, verdammt noch mal! Hier wird nicht gefaulenzt!“ Und wieder kriegte er das Tau zu kosten, schon härter als zuvor.
Das genau war der Moment, der jene Situation heraufbeschwor, in der Thomas Lionel, der plumpe, dumme Kerl, zu einer in die Enge getriebenen Ratte wurde.
Er schoß mit einem schrillen, quiekenden Schrei von den Planken hoch, als sei er von dort abkatapultiert worden. Dann passierte etwas, was für O’Leary viel zu schnell ging, um noch reagieren zu können. Er hatte auch mit gar keiner Gegenwehr gerechnet.
Thomas Lionel kreiselte herum, schwang dabei die Pütz mit der Fangleine aus, die Leine prallte seitlich an das Kinn des Bootsmanns und hatte genug Drall drauf, um sich samt Pütz um dessen Hals zu wikkeln.
Dieses Mal brüllte Thomas Lionel wie ein wilder Stier, dann packte er blitzschnell mit der anderen Hand zu und riß die Fangleine mit einem wahnsinnigen Ruck zu sich heran, sprang aber gleichzeitig zurück.
Der Ruck genügte, um den Klotz von Bootsmann umzuwerfen. Mit der schweren Masse seines Körpers krachte er vierkant auf die Planken und begrub die Pütz unter sich. Die Fangleine lag wie eine Würgemanschette um seinen Hals.
Thomas Lionel geriet außer sich vor Triumph, den Kerl umgelegt zu haben. Mit einem Satz sprang er auf den Rücken des Bootsmanns und trampelte wie ein Irrer auf ihm herum, als wolle er ihn durch das Deck stampfen.
Der dicke Burton und der hagere, krummrückige Bromley flüchteten schreiend vor den Ruderstand. Die anderen Kerls an Bord standen wie erstarrt. Das hatte noch keiner geschafft, den Bootsmann O’Leary von den Füßen zu holen.
Simon Llewellyn wieherte über den Spaß wie ein liebeshungriger Hengst, und dann nahm er die seltene Gelegenheit wahr, sich ebenfalls an dem Bootsmann für die bisher empfangenen Prügel, Fußtritte und Beschimpfungen zu rächen. Er tobte aufs Achterdeck, stieß seinen Bruder weg und bearbeitete den Bootsmann mit Fußtritten.
Thomas Lionels Tätigkeitsdrang war noch längst nicht erloschen. Grölend packte er den Haarschopf des Bootsmanns und donnerte dessen Kopf auf die Planken.
„Aufhören!“ brüllte der Alte, hochrot im Gesicht vor Wut. „Seid ihr verrückt geworden?“
Seine Söhne waren taub. Wer Rache nimmt, hört nichts mehr. Sie warfen sich über den Bootsmann und prügelten mit den Fäusten auf ihn ein. Sie rissen ihm Haare aus, kniffen und zwackten ihn, und wenn sie Wölfe gewesen wären, hätten sie ihn auch aufgefressen. Kurz, sie tobten wie die Wilden auf ihm herum.
Der Alte beging den Fehler, seine tobsüchtig gewordenen Söhne in der alten Manier bändigen zu wollen, das heißt, zu versuchen, ihnen Maulschellen zu verpassen. Das mißlang gründlich.
Entweder waren sie allmählich immun geworden, oder sie empfanden zur Zeit nichts mehr, weil sie außer sich vor Lust waren, es dem gefürchteten und gehaßten Bootsmann endlich einmal heimzahlen zu können – letzteres traf wohl zu. Das heißt, die Bestien waren los und total entfesselt.
Der Alte wurde von einem wilden Schwinger Simon Llewellyns erwischt und geriet gleichzeitig mit dem Kinn unter den hochruckenden Kopf Thomas Lionels. Dem machte das überhaupt nichts aus, weil er sowieso nur Stroh im Kopf hatte. Aber das Kinn des Alten war empfindlich, ganz abgesehen von dem Schwinger, der auf sein rechtes Ohr krachte.
Die Nacht war für Sir John schon mies genug gewesen, die Prügel von Lady Anne gegen Mittag hatte er auch noch nicht verdaut, also nippelte er ab wie eine verlöschende Kerze. Er rollte – dieses Mal jenseits von Gut und Böse – über die Planken nach Lee, und da war zum Glück das Steuerbordschanzkleid, das ihn davor bewahrte, außenbords ein kühlendes Bad zu nehmen.
Genau das wäre der Moment für seine beiden Ferkelsöhne gewesen, das Kommando über die Karavelle an sich zu reißen – nicht nur über die Karavelle, sondern im weiteren Sinne auch über die Feste Arwenack. Eine bessere Gelegenheit würden sie aller Wahrscheinlichkeit nie mehr erhalten – der Alte total aus dem Gefecht und der Bootsmann ebenso.
Aber sie waren zu bescheuert, um die Gunst der Stunde zu begreifen. Der dämliche Thomas Lionel nämlich verließ seinen Standort auf dem Rücken des Bootsmanns und stolperte zum Steuerbordschanzkleid, um seinen Alten weiter in die Mangel zu nehmen.
Da war also plötzlich einer weniger auf dem Rücken des Bootsmanns, der gerade in diesem Augenblick mit dem Ersticken kämpfte und sich in einem letzten Reflex aufbäumte. Das geschah so jäh, daß Simon Llewellyn von seinem Rücken geschleudert wurde. Fast automatisch griff O’Leary nach der Fangleine um seinen Hals und löste sich aus der Erdrosselung. Die Pütz flog sonstwohin.
Mit einem mächtigen Atemzug holte der Bootsmann Luft in seine Lungen, mit dem nächsten Atemzug war er auf den Beinen, wirbelte herum, griff sich Simon Llewellyn, der sich noch nicht aufgerappelt hatte, und damit war die Schlacht auf dem Achterdeck der Karavelle auch schon entschieden.
Simon Llewellyn sank mit glaisgen Augen nach einer Explosion an seinem Kinn auf die Planken, und Thomas Lionel landete Sekunden später neben ihm, gleichfalls im Zustand totaler Passivität. Da war nichts mehr drin. Die alte Ordnung war wiederhergestellt, alles blieb so, wie es gewesen war.