Seewölfe Paket 15

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„Bei der ‚Hornet‘ sind es zehn Stückpforten auf jeder Seite“, erklärte er. „Und ich kann jetzt auch die Drehbassen erkennen – drei auf der Back und drei auf dem Achterdeck. Richtig, Ben?“
„Richtig, Sir“, sagte dieser. „Die ‚Fidelity‘ scheint mir genauso viele Geschütze zu haben.“
„Ja“, bestätigte nun auch Terry. „Nur sind die Pforten sehr schwer zu erkennen, sie scheinen eins mit der Bordwand zu sein. Fast sieht es so aus, als habe man sie getarnt.“
„Das nutzen wir aus“, erklärte Hasard. „Wie ich schon sagte: Wir werden diese bretonischen Satansbraten mit einem kleinen Trick anlocken und – wie ich hoffe – auch hereinlegen.“ Er schritt weiter und steuerte über den Kai direkt auf die „Hornet“ zu, seine Männer folgten ihm auf dem Fuß, während Terry und dessen Crew etwas zurückblieben.
„Diese allzu helle Sonne gefällt mir nicht“, sagte der alte O’Flynn. „Es gibt einen Wetterumschwung.“
„Das glaube ich auch“, pflichtete Shane ihm ausnahmsweise einmal bei. „Es könnte Sturm geben.“
„Uns soll das nur recht sein“, sagte Hasard. „Es würde unser Vorhaben dem Feind gegenüber begünstigen.“
„Ja, gewiß“, meinte Ben Brighton, „Die Hauptsache ist, wir saufen im Kanal nicht vorzeitig ab.“
„Mit solchen Schiffen?“ Carberry lachte rauh. „Das ist fast unmöglich. Es müßte schon ganz dick werden, um die zum Sinken zu bringen.“
„Man soll sich auf die Baukunst nie völlig verlassen“, gab der Kutscher zu bedenken. „Die ‚Hornet‘ und die ‚Fidelity‘ könnten Konstruktionsfehler haben. Man steckt ja in so einem Schiff nicht richtig drin, überall können verborgene Schwächen liegen, die man auf Anhieb nicht entdeckt.“
Der Profos drehte sich zu ihm um.
„Mal’ bloß nicht den Teufel ans Schott, Mister Kutscher“, sagte er drohend. „Im übrigen gebe ich dir den guten Rat, dich gleich um die Kunst der Schiffsküche zu kümmern. Sobald wir an Bord sind, wollen wir zu Mittag was Ordentliches vorgesetzt kriegen.“ Sein Blick richtete sich auf Mac Pellew. „He, Mister Pellew, was grinst du so dämlich?“
„Was darf’s denn heute sein, Sir?“ fragte dieser mit gespielter Freundlichkeit. „Gefüllte Rattenhälse oder Kakerlaken-Gulasch?“
„Mister Pellew“, sagte Carberry nur mühsam beherrscht. „Werd hier bloß nicht üppig. Ich kenne dich von früher her gut genug, mir kannst du nichts vorerzählen. Wenn du nur einmal Mist verzapfst, bevor wir auslaufen, stopf ich dich solange ins Kabelgatt, bis du fromme Sprüche aufsagst, klar?“
„Aye, Sir“, sagte Mac Pellew. „Werde mir Mühe geben, alles richtig hinzukriegen und nur schmackhafte Sachen zu kochen.“
„Das klingt schon besser“, brummte der Profos, dann wandte er sich wieder nach vorn und schloß sich Hasard, Ben, Shane und den O’Flynns an, die sich bereits an Bord der „Hornet“ begaben.
Durch Mac Pellews Rückkehr in die Seewölfe-Crew konnte Hasard jetzt über zwei Köche verfügen, doch die neue Rollenverteilung war trotzdem nicht schwer. Da die Mannschaft inzwischen auch noch um einige andere Männer gewachsen war, hätte der Kutscher allein die Kombüsenarbeit auch mit Hilfe der Zwillinge kaum bewältigen können. So war es gut, daß nun auch Mac Pellew mit ins Vordeck einzog. Überdies würde sich der Kutscher seiner zweiten Hauptaufgabe, der Feldscher-Tätigkeit, fortan mit größerem Einsatz widmen können.
Hasard ging über das Hauptdeck der „Hornet“ und inspizierte alles mit fachmännischem Blick. Die Crew, die das Schiff von Brighton nach Plymouth überführt hatte, war bereits von Bord gegangen, aber sie hatte alles in mustergültig ordentlichem Zustand zurückgelassen. Blitzsauber waren die Planken, kein einziger Fußabdruck war zu sehen. Jedes Tau war klariert und vorbildlich aufgeschossen, nichts befand sich am falschen Platz.
Hasard hob den Blick. Auch das laufende und stehende Gut wies keine Makel auf, das gesamte Rigg schien erneuert worden zu sein. Er begann sich zu fragen, ob er überhaupt noch eine neue „Isabella“ brauchte.
Dann kehrte er auf den Boden der Tatsachen zurück. Natürlich – die „Hornet“ war nur ein „Leihschiff“. Nach erfülltem Auftrag würde sie wieder ein Dock anlaufen und wie die „Fidelity“ von den vom königlichen Hof bestellten Ausrüstern neu hergerichtet werden, möglicherweise als Kriegsschiff, vielleicht aber auch als Segler für Entdeckungsfahrten. Wer konnte das heute schon wissen?
Die neue „Isabella IX.“ würde außerdem größer sein als die „Hornet“, etwa fünfhundert Tonnen groß. Ihre Takelung würde anders sein, die Anzahl der Segel umfangreicher, die Armierung aller Voraussicht nach fast doppelt so groß.
Wenn das neue Schiff erst fertig war und auf der Werft von Hesekiel Ramsgate vom Stapel lief, würden all die bitteren Gedanken an die alte „Isabella VIII.“ endgültig der Vergangenheit angehören. Aber bis dahin war es noch eine relativ lange Zeit, die durch den Anflug von Ungeduld, den Hasard und seine Männer verspürten, nur noch zäher dahinfloß.
So war es gut, Plymouth erst einmal wieder den Rücken kehren zu können.
Doch was erwartete sie wirklich drüben in der Bretagne? Wie groß war die Macht der Gegner? Lord Gerald Cliveden hatte hierüber keine Auskunft geben können, denn die wenigen Überlebenden der Überfälle hatten keine präzisen Angaben liefern können. Nur darüber, daß es sich um „eine große Zahl“ von Feindschiffen gehandelt hatte, die pausenlos zu feuern vermochten, waren sie sich alle einig.
Würde das Unternehmen wirklich von einem Erfolg gekrönt sein? Oder stand den Seewölfen eine neue Niederlage bevor? Plötzlich zweifelte Hasard an dem Gelingen seines Planes. Die Spur von Unsicherheit, die er aus Ägypten mit heimgebracht hatte, war wieder da.
Ärgerlich verdrängte er alle düsteren Überlegungen, trat ans Schanzkleid der Backbordseite und blickte zu Easton Terry, der mit seiner Gruppe von zwanzig Männern auf dem Kai stehengeblieben war.
„Was ist, Mister Terry?“ rief er ihm zu. „Kommen Sie nicht an Bord der ‚Hornet‘?“
„Sie ist nicht mein Schiff, Sir. Ich kann nur Ihren diesbezüglichen Befehl abwarten.“
„Gut. Ich will Reeves, Baxter und Sie in fünf Minuten zur Übergabe der genauen Order in meiner Kapitänskammer sehen. Wir haben noch einiges zu besprechen.“
„Aye, Sir.“
„In der Zwischenzeit kann sich Ihre Mannschaft mit der ‚Fidelity‘ beschäftigen. Jeder soll seinen Posten einnehmen, ich gebe Ihnen eine halbe Stunde Zeit. Dann kontrolliere ich, ob alles seine Richtigkeit hat. Noch Fragen, Mister Terry?“
„Nein, Sir.“ Eine Bemerkung lag dem Mann auf der Zunge, aber er verkniff sie sich. Wie weit Hasards Befugnisse an Bord der „Fidelity“ gingen, war eine Frage, über die sich noch streiten ließ. Der Seewolf hatte zwar das Oberkommando inne, doch als Schiffskapitäne waren Terry und er sich gleichgestellt, was ihre Befugnisse auf der „Hornet“ und der „Fidelity“ betraf.
Hasard hatte jedoch nicht das geringste Verlangen, mit Terry zu diskutieren. Von jetzt an ließ er seine Autorität spielen, und wenn Terry irgend etwas nicht paßte, so sollte er sofort abspringen und aussteigen. Diese Chance ließ er ihm. Solange sie Plymouth nicht verließen, standen dem Mann noch alle Möglichkeiten offen.
Hasard warf seinen grinsenden und zustimmend nickenden Männern, die sich jetzt alle auf dem Hauptdeck der „Hornet“ versammelt hatten, einen kurzen Blick zu, dann suchte er das Achterkastell auf.
Er war nicht sonderlich überrascht, Lord Gerald Cliveden in der Kapitänskammer vorzufinden. Eigentlich hatte er damit gerechnet.
„Die Übergabe der Schiffe bedarf keiner Formalitäten mehr“, sagte Cliveden nach einer kurzen Begrüßung. „Alle erforderlichen Schriftstücke sind im Pult eingeschlossen, Mister Killigrew. Hier ist der Schlüssel.“ Er händigte ihn dem Seewolf aus, dann fuhr er fort: „Das Logbuch ist so neu wie die Takelage der ‚Hornet‘. Sie werden sich als erster Kapitän dieses neuen, umgebauten Schiffes darin verewigen. Es ist, als sei die ‚Hornet‘ gestern erst vom Stapel gelaufen. Das gleiche gilt auch für die ‚Fidelity‘. Sie sehen, wir haben mit dem erforderlichen Aufwand nicht gespart, um Ihnen zwei voll taugliche, allseitig einzusetzende Schiffe zu übergeben.“
„Ich danke Ihnen, Lord Gerald. Mit allem, was ich bisher gesehen habe, kann ich nur zufrieden sein.“
„Auch mit Terry?“
„Das steht auf einem anderen Blatt“, entgegnete der Seewolf und sah sein Gegenüber offen an. „Ich will Ihnen nicht verheimlichen, daß ich meine Vorbehalte gegenüber diesem Mann habe.“
Cliveden lächelte dünn. „Wie ich eben hören durfte, haben Sie sich aber bereits den erforderlichen Respekt verschafft.“
„Allerdings. Ich hätte da noch eine Frage, Sir: Was ist mit den Mannschaften, die die Galeonen von Brighton bis hierher überführt haben?“
„Das waren insgesamt zwei Dutzend Männer. Sie haben noch im Dunkeln die Schiffe und Plymouth verlassen und sind nach Dover und nach Brighton zurückgekehrt, woher sie stammen. Auf meine Anweisung hin haben sie dazu den Landweg benutzt.“
„Das meine ich nicht. Diese Notbesatzungen – wissen sie etwas von dem geplanten Unternehmen?“
„Nein. Sie denken, die ‚Hornet‘ und die ‚Fidelity‘ sollen eine Ladung übernehmen und in die Neue Welt hinüberbringen.“
„Etwas Ähnliches habe ich auch dem blonden Burt erzählt, und er hat es mir unbesehen geglaubt“, erklärte Hasard. „Inzwischen ist auch er mit seinem Küstensegler ausgelaufen, wie ich angenommen hatte. Somit wäre die Geheimhaltung also gewahrt.“
„Ja. Und für den Fall, daß sich in Plymouth spanische Spitzel befinden, wird auch alles ganz harmlos aussehen. Keiner wird ahnen, was es mit diesen beiden Schiffen wirklich auf sich hat.“
„Sie nehmen wirklich an, daß die Spanier auch hier ihre Leute sitzen haben?“
„Rechnen muß man damit. Es gibt überall Menschen, die sich kaufen lassen. Was ist zum Beispiel mit diesem Nathaniel Plymson?“
Hasard mußte lachen. „Der hat vorläufig die Nase voll von uns. Wir haben ihm angedroht, daß wir nicht nur seine ‚Bloody Mary‘, sondern auch ihn auseinandernehmen, falls er auf irgendeine Weise versucht, uns zu hintergehen oder auch nur zu beobachten.“
„Er hat Angst vor Ihnen und Ihren Männern?“
„Gräßliche Angst.“
„Ausgezeichnet. Wann können Sie auslaufen, Mister Killigrew?“
„Sofort, wenn Sie wollen.“
„Sagen wir, in einer Stunde? Wenn Sie nichts dagegen haben, bleibe ich noch an Bord der ‚Hornet‘. Heute nachmittag können Sie mich zwischen Plymouth und Falmouth an Land lassen, wo eine Kutsche auf mich wartet. So wird mich kein Mensch in Plymouth mehr sehen, und das ist gut so.“ Cliveden lächelte. „Aber Sie müssen damit einverstanden sein, denn Sie sind der Kapitän.“
Hasard erwiderte das Lächeln. „Ich sehe, meine Worte von vorhin haben auch auf Sie gewirkt. Na schön. Wir verlassen um zwölf Uhr den Hafen und setzen Sie an Land, wo Sie wollen, Lord Gerald. Die verbleibende Zeit werde ich dazu benutzen, die Stückpforten beider Schiffe noch besser tarnen und die Drehbassen mit gewachstem Segeltuch verkleiden zu lassen. Jeder, der uns auf See begegnet, soll denken, daß unsere Schiffe zwei schlecht armierte Kauffahrer sind.“
„Das gehört mit zu Ihrem Plan?“
„Ja. Es ist ein einfacher Plan, aber die simpelsten Vorhaben zeitigen oft den größten Erfolg.“
„Sagt Ihnen das Ihre Erfahrung als Seemann?“
„Als Seemann und als Korsar“, entgegnete der Seewolf. „Aber da wir gerade von solchen Dingen sprechen, lassen Sie mich noch eine Frage stellen. Warum haben Sie ausgerechnet Easton Terry gerufen und mir zur Seite gestellt? Keiner von uns kannte ihn vorher, wir wissen nicht, wie wir ihn einschätzen sollen.“
Cliveden sagte mit ernster Miene: „Ohne Verstärkung können Sie, Mister Killigrew, den Kampf gegen diese Piraten niemals aufnehmen. Vielleicht sind noch zwei Schiffe zu wenig.“
„Lassen Sie das ruhig meine Sorge sein“, sagte Hasard etwas schroffer als beabsichtigt.
„Zwei Schiffe hätten Sie allein mit Ihren Leuten niemals ausreichend bemannen können“, fuhr Cliveden unbeirrt fort. „Von diesen Tatsachen ging ich aus, als ich in London meine Pläne zu fassen begann und die mir vorliegenden Informationen verarbeitete. Wen sollte ich zu Ihrer Unterstützung rufen? Drake? Frobisher? Cabot? Hawkins? Unmöglich. Deren große Zeit ist vorbei, sie sind keine Kämpfer mehr. Mit Drake hätten Sie sich ohnehin nicht vertragen, nicht wahr?“
„Ihre Informationen scheinen doch umfangreicher zu sein, als ich ursprünglich angenommen habe, Lord Gerald.“
„Es gibt genaue Dokumentationen über den Verlauf der großen Schlacht gegen die Armada“, erklärte Cliveden lächelnd. „Ich habe sehr aufmerksam darin gelesen.“
„Sie sind ein guter Theoretiker.“
„Aber kein Praktiker, nicht wahr? Nun, die mich als Berater umgebenden Männer in meinem neuen Amt haben mir Terry, der sich bei Raids in der Nordsee ausgezeichnet hat, wärmstens empfohlen. Ihrer Ansicht nach ist dieser Terry ein Mann der Zukunft.“
Hasard konnte nicht anders, er mußte spöttisch grinsen. „Etwa ein Nachfolger der Seewölfe? Lord Gerald, nehmen Sie mir nicht übel, was ich sage, aber ich kann meine Natur nicht gewaltsam unterdrücken.“
„Nur zu, heraus damit, Mister Killigrew.“
„Ich traue Terry nicht.“
„Trotzdem werden Sie mit ihm segeln?“
„Ja. Ich werde mich bemühen, ihm gegenüber fair zu sein.“
„Man spricht viel über die Fairneß des Seewolfs“, sagte Cliveden. „Ihre Ehrlichkeit und Ihr anständiges Verhalten sind schon fast sprichwörtlich. Wußten Sie das?“
„Nein.“
„Und es ist Ihnen auch nicht bekannt, daß Sie schon jetzt zu einer Legende geworden sind?“
„Ich weiß nur eins“, sagte Hasard. „Ich habe die Verantwortung für das Gelingen der Mission, die vor uns liegt, und ich werde alles daransetzen, um mein Ziel zu erreichen. Sollte mir irgend jemand Knüppel zwischen die Beine werfen – ganz gleich, aus welchem Lager –, dann werde ich ihn vernichten.“
„Ich werde mich an diese Worte zu erinnern wissen, Sir“, sagte Cliveden. „Einen besseren Mann als Sie hätten wir nicht auswählen können, soviel steht fest. Und vielleicht schließen Sie auch mit Terry Burgfrieden, vielleicht erweist er sich als brauchbarer Mitstreiter für Sie.“
„Hoffentlich.“
„Verraten Sie mir jetzt Ihren Plan?“
„Ja. Morgen um diese Zeit stehen wir bereits vor der bretonischen Küste, mehr als eine Nacht brauchen wir für die Überquerung des Kanals nicht. Das heraufziehende schlechte Wetter dürfte uns, wie ich annehme, bei unserer List dienlich sein.“
„Eine Falle?“
„Richtig“, erwiderte Hasard. „Aber der Gegner muß glauben, daß er es ist, der die Beute in die Enge treibt. Je sicherer er sich fühlt, desto mehr Chancen haben wir, ihm gleich zu Beginn einen empfindlichen Hieb zu versetzen.“
Sie nahmen Platz, und von jetzt an plauderten sie wie zwei gute Bekannte miteinander.
7.
Nachdem sich die Seewölfe auch von Doktor Freemont verabschiedet hatten und mit dem alten Ramsgate die notwendigen Vereinbarungen getroffen hatten, wurden zur Mittagsstunde die Festmacher und Trossen der „Hornet“ und der „Fidelity“ von den Pollern des abgelegenen Kais gelöst, und beide Schiffe verließen den Hafen und den Plymouth Sound, um mit zunächst westlichem Kurs an den aus Süden heranpfeifenden Wind zu gehen.
Wolken hatten den Himmel überzogen und verdeckten in unregelmäßigen Zeitabständen die Sonne. Es wurde zunehmend kälter. Die Dünung, die die See bewegte, ging immer höher.
In der Kapitänskammer der „Hornet“ wandte sich Lord Gerald Cliveden noch einmal an den Seewolf. Er hatte einen Blick durch die Bleiglasfenster geworfen und sagte: „Sie haben wohl recht, es wird Sturm geben. Wie viele solcher Wetter haben Sie schon erlebt, Mister Killigrew?“
„Ich habe sie nicht gezählt. Warum interessiert Sie das?“
„Es sind wohl die typischen Fragen einer Landratte.“
„Ein Sturm ist in den meisten Fällen nicht so schlimm wie ein Gefecht, soviel kann ich Ihnen versichern.“
Cliveden schnitt eine nachdenkliche Miene. „Das kann ich mir vorstellen. Werden Sie eines Tages an Land bleiben und ein Buch über Ihre Erlebnisse schreiben?“
„Daran habe ich noch nicht gedacht“, erwiderte Hasard amüsiert. „Wirklich nicht. Ich glaube nicht, daß ich der See untreu werde.“
„Es würde sich lohnen, solch ein Buch zu verfassen.“
„Wissen Sie was? Das haben mir meine Söhne auch schon mal gesagt.“
„Zwei Prachtkerle übrigens, aus denen noch einmal viel werden kann“, sagte Cliveden. „Ich nehme an, daß sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten.“
„Das ist noch nicht sicher.“ Der Seewolf hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Wer kann schon in die Zukunft blicken? Nicht einmal Old O’Flynn ist dazu in der Lage, und der sagenhafte Jonas, von dem die Fahrensleute ehrfürchtig sprechen, existiert nicht. Was die Zwillinge an Rüstzeug brauchen, das vermittle ich ihnen. Der Rest, die Entscheidung, wie sie ihr Leben gestalten, wenn sie volljährig sind, bleibt ihnen überlassen.“
„So ist es vielleicht das beste. Ich selbst habe in dieser Beziehung Fehler begangen, die sich nicht mehr ausbügeln lassen.“
„Sie haben selbst Kinder?“ fragte Hasard.
„Ich hatte einen Sohn – und eine Frau, die mich liebte“, erwiderte Lord Gerald Cliveden. „Ich habe sie beide verloren. Die Schuld daran trage ich zum Teil selbst. Doch das ist eine lange Geschichte, mit der ich Sie nicht langweilen will.“
„Sie langweilen mich nicht“, sagte der Seewolf. „Wenn Ihnen danach zumute ist, dann sprechen Sie darüber, Sir.“
Wieder unterhielten sie sich wie zwei gute Bekannte, mehr noch, wie zwei Freunde. Cliveden erzählte aus seinem Leben, und Hasard erfuhr, wie hart das Schicksal selbst einen Mann treffen konnte, der sich eigentlich nie mutwillig in ein Abenteuer gestürzt, sondern eher ein Dasein als Biedermann und unauffälliger Bürger geführt hatte.
Als sie sich am Nachmittag dreißig Meilen von Falmouth entfernt trennten, sagten sie sich nur noch wenig, aber Hasard bedauerte aufrichtig, daß Lord Cliveden die „Hornet“ verließ. Lieber hätte er diesen Mann mit nach Frankreich genommen, der doch überhaupt keine See-Erfahrung hatte, als Easton Terry, der im Grunde noch keinen konkreten Anlaß zu Ärger geliefert hatte.
Die Abneigung diesem Mann gegenüber beruhte auf gefühlsmäßigen Erwägungen. Durfte man sich auf seine Empfindungen verlassen? Konnten sie einem Mann nicht auch üble Streiche spielen?
All dies ging dem Seewolf durch den Kopf, als Lord Gerald Cliveden von Bord ging und von Jack Finnegan, Paddy Rogers, Batuti und Gary Andrews mit dem Beiboot an Land gepullt wurde.
Der Treffpunkt, den Cliveden mit den Leuten vereinbart hatte, die ihn abholen und zurück nach London bringen sollten, war erreicht, davon kündete die Kutsche, die oberhalb der Uferböschung wartete. Cliveden verließ die Jolle, kaum, daß sie angelegt hatte, eilte die Böschung hoch, drehte sich nur noch einmal kurz um und winkte ein letztes Mal zum Abschied. Dann kletterte er in die Kutsche, und sie rollte, von zwei Pferden gezogen, davon.
Die Jolle kehrte zur „Hornet“ zurück und wurde an Bord gehievt, dann ließ Hasard Terry durch Bill, der als Ausguck im Großmars hockte, ein Zeichen geben. Die „Hornet“ und die „Fidelity“ gingen gleichzeitig ankerauf und wandten sich mit Kreuzkurs gegen den Wind nach Süden.
Die Dämmerung nahte, der Wind nahm an Stärke zu, es wurde ein immer beschwerlicheres Werk, gegen ihn zu kreuzen. Zwei Schritte vor, einen zurück, so ging es auch die ganze Nacht über. Die Schiffe begannen in den Wogen zu stampfen und zu schlingern. Die Schotten und die Luken mußten verschalkt werden. Vorsichtshalber ließen Hasard und Terry auch die Manntaue auf den Decks spannen. Die Sturmsegel wurden jedoch nicht gesetzt, noch konnte mit Vollzeug gesegelt werden.
Wieder sann der Seewolf in seiner Kammer darüber nach, was ihnen die nahe Zukunft bescheren würde. Hatte er sich nicht etwas zu leichtfertig auf dieses neue Abenteuer eingelassen?
Gewiß, Cliveden war in der kurzen Zeit so etwas wie ein richtiger Freund für die Seewölfe geworden, und er hatte ihm, Hasard, auch anhand einer weiteren Pergamentrolle nachgewiesen, daß er tatsächlich ein Sonderbeauftragter der Königin war und über alle erforderlichen Vollmachten verfügte. Ein Schwindel war ausgeschlossen, alles hatte seine Richtigkeit und Legitimation.
Doch es war immer wieder die Person Easton Terrys, die dem Seewolf zu denken gab. Terry sollte so etwas wie ein Günstling des Hofes sein? Kaum zu fassen, aber wohl doch wahr. Der Mann verfügte tatsächlich über einen Kaperbrief, Cliveden hatte es bestätigt.
Dennoch, die Erfahrung hatte Hasard gelehrt, vor Männern wie Terry auf der Hut zu sein. Mit Landsleuten, die vorgeblich aus ähnlichen Motiven wie die Seewölfe gegen die Spanier und Portugiesen auszogen, hatte es schon Verdruß gegeben, wie beispielsweise die Begegnungen mit Lord Henry, einem der übelsten Schnapphähne und Beutegeier, bewiesen hatten.
Eben: Terry hatte viel zuviel Ähnlichkeit mit diesem Lord Henry, nicht äußerlich, aber seinem ganzen Wesen nach. Er mochte ein guter Mitstreiter sein, bestimmt auch ein verwegener Kaperfahrer mit seiner Crew von Teufelskerlen – völlig trauen durfte man ihm deswegen aber noch lange nicht.
Es würde sich schon noch herausstellen, ob alle diese Bedenken, die auch Ben, Ferris, Shane, Carberry und die anderen geäußert hatten, nicht einfach aus der Luft gegriffen waren. Vorsicht konnte nie groß genug geschrieben werden, was das Zusammenwirken mit Verbündeten betraf, die sich Hasard nicht selbst ausgesucht hatte.
Seiner Ansicht nach ging es Terry in erster Linie um reiche Beute und weniger um die Sache des Vaterlandes. Er war bestimmt mehr Pirat, das würde sich bei der nächsten Gelegenheit herausstellen.
Das war Hasards feste Überzeugung, und er bedauerte, jetzt nicht Siri-Tong, Jean Ribault oder den Wikinger mit deren Männern zur Seite zu haben. Bei ihnen hätte er gewußt, woran er war, und hätte sich völlig auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentrieren können, statt seinen Partner beobachten und auf die Probe stellen zu müssen.
Aber auch dafür würde er noch eine Lösung finden, die Hauptsache war, daß sie zunächst einmal die Piraten aufstöberten, die die bretonische Küste für englische Schiffe verunsicherten.
Im Morgengrauen kreuzten die „Hornet“ und die „Fidelity“ bei anhaltend schwerer See westlich des Golfes von St. Malo auf Sillon de Talbert zu. Die Brecher donnerten gegen die Bordwände, der Wind heulte in den Wanten und Pardunen, und das Rollen der Schiffe in den Wogen war ein fortdauernder, bedrohlicher Tanz.
Gischt umsprühte die Gestalt des Seewolfs, der jetzt auf dem Achterdeck seines Flaggschiffes stand und auf Meldungen seiner Ausgucks wartete. Dan O’Flynn war als Ausguck in den Vormars geentert, um Bill zu unterstützten. Alle Männer waren auf den Beinen und versahen ihren Dienst an Deck, eine Freiwache gab es zu diesem Zeitpunkt nicht.
Hasard spähte zur „Fidelity“ hinüber und konnte im grauen, trüben Licht des jungen Morgens gerade Easton Terry erkennen, der ganz achtern auf der Kampanje der Galeone stand. Er hatte sich jetzt ein Tuch um seine blonden Haare geschlungen, das Abenteuerliche seiner Erscheinung wurde davon noch unterstrichen.
Mit dem Schiff wurden er und seine Männer gut fertig. Somit stellten sie gleich zu Anfang unter Beweis, daß sie den Seewölfen in nichts nachstanden, was ihre seemännischen Fähigkeiten betraf. Kein einziges Mal während der Überfahrt durch den Kanal waren sie zurückgeblieben oder hatten den Kontakt zur „Hornet“ verloren. Sie konnten es mit jedem Wetter und jeder Situation aufnehmen, daran bestand kein Zweifel.
Dan O’Flynn stieß plötzlich einen grellen Pfiff aus. Hasard richtete seinen Blick voraus, konnte aber vor dem Bugspriet der „Hornet“ nicht mehr erkennen als die grauschwarzen Wellengebilde und den hochzischenden Gischt.
„Land in Sicht!“ schrie Dan. „Steuerbord voraus!“
Hasard verzichtete darauf, sich selbst davon zu überzeugen, daß die Küste Frankreichs erreicht war, Bill und Dan wußten schon, was sie meldeten und saßen bestimmt keiner Täuschung auf.
Hasard winkte Ben Brighton zu sich heran und schrie ihm zu: „Jetzt könnte es bald spannend werden, Ben! Daß sich ja die Tarnung der Stückpforten nicht auflöst! Hast du die Verkleidung der Kanonen noch mal kontrolliert?“