Seewölfe Paket 15

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Polternd setzten sich die drei Wagen wieder in Bewegung und übertönten alle anderen Nachtgeräusche des Waldes.
Zwei Stunden noch, dachte der Kutscher. Beljac ist ganz schön blöd, daß er auf seinen Lohn verzichtet, nur weil der Spanier ihn angemekkert hat.
Er hörte neben sich aus dem Wald scharrende Geräusche und dann ein helles, metallisches Klirren. Als er sich umdrehte, die dunklen Gestalten erkannte, die zwischen den Bäumen auf die Wagen zuhuschten, und einen Schrei ausstoßen wollte, traf ihn ein Pfeil im Hals und tötete ihn auf der Stelle. Mit einem Röcheln ließ er die Zügel fahren und kippte zur Seite. Reglos blieb er mit dem linken Arm am Bremshebel hängen.
Er hörte nicht mehr das Brüllen der Angreifer, die sich auf die Wagen stürzten und auch den Spanier und den Fahrer des letzten Wagens von den Böcken zerrten.
Der Spanier schrie wie am Spieß. Er löste bei den wüsten Gestalten, die ihn umringten, nur grölendes Gelächter aus. Zwei bärenstarke Halunken hatten ihn an den Armen gepackt.
Er hörte auf zu schreien und starrte auf die beiden Männer, die zum ersten Wagen traten und zuschauten, wie ein paar andere die Wagenplanen aufschlitzten. Behende wie Affen kletterten sie hinauf, rissen die Kisten und Säkke auf und schwenkten triumphierend Musketen, Pistolen und Säbel über den Köpfen.
Der Spanier hatte einen der beiden Männer erkannt. Er preßte die Lippen aufeinander, daß sie nur noch schmale Striche waren. Seine schwarzen Augen sogen sich an dem länglichen Gesicht mit dem schmalen Oberlippenbärtchen fest. Die Augen wurden von der breiten Krempe eines dunkelroten Hutes beschattet, nur ab und zu erhellten die zuckenden Flammen der Fackeln, die von den Wegelagerern entzündet worden waren, sein Gesicht bis zur Stirn hinauf.
Das war Gustave Le Testu.
Der Spanier sprach den Namen lautlos aus wie einen bösen Fluch. Er hatte gewußt, daß sich der gottlose Hugenotte in dieser Gegend herumtrieb, deshalb hatte er ja auch Begleitschutz angefordert.
Aber der Schnapphahn mußte eine goldene Nase haben. Nur ein paar Meilen weiter wäre er den Soldaten Heinrich von Bourbons in die Hände gefallen, und dann wäre es ein für allemal um ihn geschehen gewesen.
Der Haß auf den Hugenottenteufel fraß den Spanier fast auf. Er sah, wie die Kerle den toten Kutscher vom Bock des zweiten Wagens zerrten und ihn in den Wald schleiften. Den Mann vom dritten Wagen hatten sie gepackt, und obwohl er um Gnade flehte, wurde er eiskalt mit einem Messer umgebracht.
Der Spanier tat, als verließen ihn die Kräfte. Seine Muskeln erschlafften. Er wehrte sich nicht mehr gegen die harten Griffe der beiden Kerle, die ihn in der Zange hatten. Unter halb geschlossenen Lidern hervor sah er, wie der hochgewachsene, schwarzhaarige Mann neben Le Testu auf ihn aufmerksam wurde. Gleichzeitig spürte er, wie sich die Griffe an seinen Armen lockerten.
Er dachte an das Messer, das in seinem Stiefelschaft steckte, aber noch konnte er sich nicht befreien. Er mußte den Ohnmächtigen, der sich selbst aufgegeben hat, weiterspielen, wenn er noch eine Chance haben wollte.
Der Schwarzhaarige trat näher auf ihn zu.
„Wen habt ihr denn da?“ fragte er die beiden Kerle, die den Spanier gepackt hatten.
„Er hat den ersten Wagen gelenkt“, erwiderte der eine der bärenstarken Burschen.
Der Schwarzhaarige grinste wie der Teufel persönlich.
„Der sieht mir nicht wie ein Franzose aus“, sagte er. Mit einer herrischen Handbewegung befahl er den beiden, den Mann loszulassen.
Sie gehorchten und traten einen Schritt zurück.
Auf diesen Augenblick hatte der Spanier gewartet.
Seine Hand zuckte hinunter zum Stiefel, und nur Sekundenbruchteile später glitzerte die schmale, lange Klinge im Licht der blakenden Fakkeln.
Der Schwarzhaarige sprang zurück, und die kreisende Klinge verfehlte ihn knapp. Ehe die beiden Kerle, die seitlich hinter dem Spanier standen, wieder zupacken konnten, hatte der Spanier einem von ihnen das lange Messer in die Seite gestoßen. Der Mann klappte zusammen, als hätte ihn ein Pferd getreten.
Der andere begann zu brüllen. Mit einem mächtigen Satz versuchte er, sich aus der Reichweite der langen Klinge zu bringen, aber er schaffte es nicht ganz. Die Spitze erwischte sein Hemd an der Brust. Er schrie auf und starrte an sich hinunter. Ein blutiger Streifen zog sich quer über seine Brust.
Der Spanier nutzte die Verwirrung. Er warf sich herum, duckte sich und hetzte ein Stück den dunklen Weg entlang, den sie zur Mühle von Frigus hatten fahren wollen. Dann verschwand er seitlich zwischen den Bäumen.
In seinen Ohren dröhnte es vom Geschrei der Männer. Ein fürchterliches Krachen ließ ihn zusammenzucken. Hinter ihm wurde die Nacht von einem Blitz erhellt, und dann schlug ein Stück Blei dicht neben ihm im Stamm einer Eiche ein.
Panik ergriff ihn. Wie ein Wilder bahnte er sich einen Weg durch das Unterholz, stolperte, fiel der Länge zach hin, rappelte sich wieder hoch und hetzte weiter.
Er wußte, daß es um mehr als sein Leben ging. Er mußte die Soldaten m der Mühle von Frigus erreichen, sie warnen und auf Gustave Le Testu hetzen, der einer der ärgsten Feinde Heinrichs von Bourbon war.
Erst nachdem er mehrere hundert Schritte weit in den Wald gelaufen war, wagte er, stehenzubleiben und zu lauschen. Noch immer waren aus weiter Entfernung die Geräusche der Männer bei den Wagen zu vernehmen. Aber noch deutlicher hörte er das Rascheln von Sträuchern und das leise Brechen von Zweigen.
Sie hatten jemanden hinter ihm hergeschickt, um ihn zu töten!
Die Brust des Spaniers hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen. Das Stechen in seinen Lungen hatte sich bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Er wußte, daß er nicht mehr lange würde laufen können. Er konnte die Mühle von Frigus nur erreichen, wenn er die Verfolger ausschaltete und langsam seinen Weg fortsetzte.
Er verfluchte die Tatsache, daß er seine Pistolen nicht bei sich trug. Als er die Zügel des Gespanns übernommen hatte, waren sie ihm hinderlich gewesen, und er hatte sie hinter sich auf die Bank gelegt. Der Überfall der Schnapphähne war zu schnell erfolgt, als daß er Zeit dazu gehabt hätte, danach zu greifen. Vielleicht war gerade das sein Glück gewesen. Auch wenn er einen oder zwei von ihnen getötet hätte, wäre er selbst wahrscheinlich auch längst tot gewesen.
Sein Atem beruhigte sich nur langsam. Er starrte auf das lange Messer in seiner rechten Hand. Es mußte genügen, um mit den Verfolgern fertig zu werden.
Fackelschein zuckte in fünfzig Schritten Entfernung durch den Wald. Er hörte die Stimmen der drei Männer, die sich keine Mühe gaben, leise zu sein.
Auf einmal blieben sie stehen und lauschten.
Der Spanier hörte, wie einer von ihnen sagte: „Der Bursche muß sich irgendwo in der Nähe versteckt haben. Er kann nicht so weit weg sein, daß wir ihn nicht mehr hören.“
„Seid vorsichtig!“ warnte ein anderer. „Er hat Sorlin mit einem Stich getötet und Marbiche die Brust aufgeschlitzt!“
Sie begannen zu flüstern, und mit weit vorgereckten Fackeln setzten sie ihren Weg langsamer fort. Sie hatten sich verteilt und blieben hin und wieder stehen, um zu lauschen.
Der Spanier wagte nicht, sich zu rühren. Er kauerte sich hinter einem dichten Gebüsch nieder. An den Lichtpunkten der Fackeln erkannte er, wie dicht die drei Männer bereits waren.
Sie bewegten sich zum Glück nicht genau auf ihn zu. Vielleicht übersahen sie ihn, und er konnte eine andere Richtung einschlagen, wenn sie an ihm vorbei waren.
Im nächsten Augenblick erkannte er, daß seine Hoffnung vergebens war. Der Straßenräuber, der den linken Flügel bildete, würde dicht an seinem Versteck vorbeigehen. Im Licht seiner Fackel mußte er den dunkel gekleideten Mann erkennen.
Der Spanier begann zu zittern. Er wußte, daß seine Chancen, einen Kampf mit den drei Wegelagerern, für die das Morden ein alltägliches Geschäft war, zu überleben, äußerst klein waren. Dennoch war er bereit, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.
Der Mann war schon fast an ihm vorbei, als er den dunklen Schatten hinter dem Gebüsch erkannte. Er schlug mit der Fackel, die er in der linken Hand hielt, blitzschnell zu, aber der Spanier hatte bereits reagiert. Sein Messer drang in den Körper des Wegelagerers ein.
Der Mann brüllte seinen Schmerz hinaus. Er ließ Fackel und die Pistole, die er in der rechten Hand gehalten hatte, fallen und preßte beide Hände auf die tödliche Wunde, die ihm der Spanier beigebracht hatte.
Der Spanier griff hastig nach der Pistole. Bevor der zweite Mann, der auf ihn zustürzte, die Gefahr erkannte, krachte die Waffe in der Hand des Spaniers, und das Blei schleuderte den Wegelagerer zur Seite.
Die Fackel beschrieb einen zischenden grellen Kreis, dann fiel sie zur Erde, und kleine Flammen leckten an einem Busch hoch. Sie erloschen jedoch bald, da das Laub von dem vorhergegangenen Regen noch ziemlich feucht war.
Der dritte Straßenräuber war stehengeblieben und starrte dorthin, wo die beiden Fackeln seiner Kumpane langsam erloschen. Er konnte sich nicht erklären, was vorgefallen war, da er zu weit von den anderen entfernt gestanden hatte.
„Briand!“ rief er. „Hast du den Burschen erwischt?“
Der Spanier kroch hastig auf den Wegelagerer zu, den er niedergeschossen hatte. Hoffentlich hatte der Kerl ebenfalls eine Pistole bei sich. Er hörte die Stimme des dritten, und aus seinen Worten entnahm er, daß er nicht wußte, daß er den Schuß abgegeben hatte. Offensichtlich hatte er nicht mitgekriegt, daß er dem ersten Mann die Waffe hatte abnehmen können.
Er erreichte den zweiten Kerl und sah sofort, daß die Kugel tödlich getroffen hatte. Der Mann hatte beide Arme weit von sich gestreckt. In den letzten zukkenden Flammen seiner Fackel sah der Spanier die leblosen Augen des Straßenräubers.
Und er sah die Pistole, die der Mann immer noch in der Hand hielt.
Er kroch auf ihn zu und faßte nach der Waffe. Er zerrte an der Hand des Toten, aber der gab die Pistole nicht frei. Keuchend bog der Spanier die Finger auf. Entsetzen breitete sich in ihm aus, als die Geräusche des dritten Mannes, der durch die Büsche brach, immer lauter wurden.
Dann hatte er es endlich geschafft. Er warf sich herum, sah den langen, grellen Blitz, der auf ihn zuraste, hörte das Krachen und spürte, wie ihm Dreck gegen die linke Gesichtshälfte gespritzt wurde. Instinktiv richtete er die Pistole des Toten auf den riesigen Schatten, der vor ihm auftauchte. Mit dem Daumen zog er während der Bewegung den Hahn zurück.
Innerhalb von Sekundenbruchteilen schossen ihm die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Was war, wenn das Pulver nicht trocken war? Hatte der Mann die Pistole überhaupt schußfertig gehabt? Aber sonst hätte er sie doch nicht in der Hand gehalten!
In seine Gedanken hinein krachte der Schuß. Seine Hand wurde vom Rückstoß geprellt, und der Schmerz zuckte bis in sein Schultergelenk.
Im Schein der Fackel, die der Mann in der erhobenen Linken hielt, sah er, wie sich die Augen des Mannes weiteten. Auf seinem derben Leinenhemd bildete sich schnell ein dunkler Fleck. Er wankte, aber er fiel nicht. Die Finger seiner rechten Hand öffneten sich. Die abgeschossene Pistole fiel zu Boden.
Die Augen des Spaniers füllten sich mit Angst, als die rechte Hand des Mannes zu der zweiten Pistole griff, die er im Gürtel stecken hatte. Wie gebannt starrte er auf die langsame, fast bedächtig wirkende Bewegung. Er wollte nach seinem Messer greifen, doch zu seinem Entsetzen dachte er daran, daß das Messer bei dem ersten Straßenräuber, dem er die Pistole abgenommen hatte, liegengeblieben war.
Die Hand des Wegelagerers schloß sich um den Knauf der Pistole und zerrte sie hervor. Der Lauf schwenkte auf den Spanier zu, und dann wies die daumengroße Mündung genau auf seinen Kopf.
Schweiß lief dem Spanier durch die Augenbrauen in die Augen. Es brannte, aber er konnte den Blick nicht von dem Riesen wenden, der ihn töten wollte. Er sah, wie sich dessen Finger am Abzug krümmte, und erwartete die Mündungsflamme.
Aber nichts geschah. Dann erkannte er, daß der Mann den Hahn nicht gespannt hatte. Mit einem Schrei wollte er aufspringen, doch in diesem Moment begann die schwere Gestalt vor ihm zu schwanken. Ohne die Fackel oder die Pistole loszulassen, krachte der Mann der Länge nach ins Gebüsch.
Erstarrt verharrte der Spanier fast eine Minute lang. Er konnte nicht begreifen, daß es ihm gelungen war, seine drei Gegner zu überwältigen. Dann blickte er sich gehetzt um. Doch nirgends war etwas zu sehen. Als er angestrengt lauschte, vernahm er nicht das geringste Geräusch. Der in seiner Ruhe gestörte nächtliche Wald hüllte sich in Schweigen. Nicht einmal die Bäume schienen sich im stärker werdenden Wind zu bewegen.
Der Spanier warf sich herum und begann zu laufen. Er schlug die Richtung zur Straße ein, die zur Mühle von Frigus führte. Ein Glücksgefühl stieg in ihm auf.
Er hatte überlebt! Er konnte die Soldaten warnen, und dann würde eine Jagd auf die Schnapphähne beginnen, daß ihnen Hören und Sehen verging. Er lachte laut auf.
In diesem Moment traf es ihn wie ein Hufschlag in der rechten Schulter. Im Unterbewußtsein hörte er das Krachen einer Pistole, und als er nach vorn aufs Gesicht fiel, dachte er voller Panik: Ich habe ihm die Pistole nicht abgenommen!
Schmerzen rasten durch seinen Körper und schienen ihn zu verbrennen. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, daß die Kugel ihn nicht getötet hatte. Mit dem linken Arm stemmte er sich vom weichen Waldboden hoch und schaffte es, auf die Knie zu gelangen.
Er blickte sich um. Die Fackel des Mannes, der ihm die Kugel in die Schulter gejagt hatte, verlöschte gerade zuckend. Von dem Mann war nichts mehr zu sehen. Dunkelheit herrschte zwischen den Stämmen der Bäume.
Es dauerte eine Weile, bis er sich am Stamm einer Fichte hochgezogen hatte. Der Schmerz in der rechten Schulter brachte ihn fast um. Er spürte ihn bis hinunter ins Bein, Wellen von Übelkeit überschwemmten sein Bewußtsein.
Er wußte nicht, wie es ihm gelungen war, bis auf die Straße zu gelangen. Jetzt fanden seine Füße sichereren Halt, und er taumelte vorwärts.
Es schien ihm, als sei er stundenlang gelaufen, als er endlich ein Licht durch die Bäume schimmern sah. Er hörte das Klirren von Zaumzeug. Stimmen wehten ihm entgegen.
Er versuchte, seinen Schritt zu beschleunigen, aber er merkte, daß seine Füße ihm nicht mehr gehorchen wollten. Er geriet ins Straucheln und stürzte. Mühsam hob er den Kopf und spuckte Sand aus. Er wollte schreien. Mehr als ein leises Krächzen brachte er nicht zustande.
Nein, dachte er. Nicht so kurz vor dem Ziel! Ich muß es schaffen! Jetzt darf ich nicht aufgeben!
Er spürte, wie das Blut aus der Schulterwunde wieder zu rinnen begann, und er wußte, daß immer mehr Leben aus ihm wich. Mit zusammengepreßten Zähnen schaffte er es, sich wieder auf die Beine zu stellen. Es dauerte eine Weile, bis er wieder gehen konnte. Vorsichtig setzte er Fuß vor Fuß. Er wußte, daß ihn Eile nur dem Tod näherbringen würde.
Dann hatten ihn die Soldaten entdeckt. Uniformierte Männer mit Waffen in den Händen eilten ihm entgegen, und als sie sahen, wie schwer er verwundet war, trugen sie ihn bis vor die Mühle, wo ein Offizier stand und ihn anblickte, als sei er der Hölle entsprungen.
„Die Waffen …“ stieß er heiser hervor. „Le Testu – er hat die Wagen …“
Der Offizier war mit zwei Schritten bei ihm.
„Wo?“ fragte er knapp.
„Fast zwei Stunden von hier …“ Die Stimme des Spaniers verwehte. Sein Kopf sackte zusammen, und die beiden Soldaten, die bemerkten, daß sie einen Toten in den Armen hielten, ließen ihn sanft zu Boden gleiten.
„Auf die Pferde!“ erklang die schneidende Stimme des Offiziers. Er wandte sich an den beleibten Mann, der in der Tür der Mühle stand. „Sie kümmern sich um den Toten, Mann!“
Dann schwang er sich in den Sattel des Schweißfuchses, den einer der Soldaten herangebracht hatte, stieß den rechten Arm mit dem Säbel in die Luft und preschte los.
Mit lautem Klirren und dem Schlagen von Hufen folgten ihm die zwei Dutzend Soldaten, die den Wagenzug von der Mühle von Frigus aus bis nach Rennes hatten eskortieren sollen.
2.
Gustave Le Testu rieb sich die Hände, als er die drei Wagen inspiziert hatte. Das war der größte Transport, den er bisher hatte abfangen können. Er wußte, daß die Musketen und Pistolen, die Hieb- und Stichwaffen und das Pulver englischen Ursprungs waren. Noch hatte er nicht herausgefunden, wieso Engländern daran gelegen sein könnte, den undurchsichtigen Heinrich von Bourbon zu unterstützen, der mit spanischen Spitzeln und Spionen gemeinsame Sache machte.
Heinrich von Bourbon war Hugenotte, aber Le Testu nahm dem verschlagenen Mann nicht ab, daß er für diese Überzeugung auch kämpfen würde. Sein Ziel war es, den Thron Frankreichs zu besteigen, und dafür würde er wahrscheinlich auch seinem protestantischen Glauben abschwören.
Le Testu blickte seinem Freund Montbars entgegen, der mit zwei anderen Männern im Wald verschwunden war, nachdem sie Schüsse gehört hatten und die drei Männer, die dem Spanier gefolgt waren, sich nicht hatten blicken lassen.
„Was ist, Montbars?“ fragte er den hochgewachsenen Korsen, dessen jettschwarze Augen im Schein der Flammen von innen heraus zu leuchten schienen.
Der Korse nahm den dunklen Hut ab und fuhr sich durchs graue Haar. Sein markantes Gesicht mit dem energischen Kinn drückte Ärger aus.
„Die Idioten haben sich von dem Kerl überrumpeln lassen“, sagte er mit Verachtung in der Stimme. „Sie sind alle drei tot, und von dem Kerl war nirgends etwas zu sehen.“
Gustave Le Testu zuckte mit den Schultern.
„Er wird sich im Wald versteckt haben“, sagte er. „Er allein kann uns nicht gefährlich werden. Laß vorsichtshalber eine Nachhut zurück, falls er wagen sollte, uns zu folgen.“
Montbars nickte. Er teilte vier Männer ein und schärfte ihnen ein, vorsichtig zu sein. Dann ging er zu den Wagen hinüber, die abfahrbereit waren. Man hatte sie auf dem schmalen Weg bereits gewendet.
Von Saint Brieuc würden sie ihre Beute nach Dinard bringen, dort in Boote umladen und über die Bucht in ihr Versteck verfrachten, in dem sie schon eine ganze Menge Waffen gehortet hatten.
Le Testu gab das Zeichen, und die Wagen setzten sich in Bewegung. Die meisten Straßenräuber gingen zu Fuß neben den Wagen her, nur wenige hatten wie Le Testu und Montbars Pferde.
Als sie die Hauptstraße von Brest nach Rennes überquert hatten, lenkten die Fahrer die Wagen auf unwirtliche Wege, die hinauf zur Küste führten. Dorthin wagten sich nur selten die Soldaten Heinrich von Bourbons.
Die Nacht wich langsam einer milchigen Morgendämmerung, und Müdigkeit hatte fast alle Wegelagerer übermannt. Selbst die Fahrer kämpften dagegen an.
„Noch eine Stunde, Männer!“ rief Le Testu. „Dann legen wir eine Pause ein, und ihr könnt den Tag über schlafen!“
Er hatte noch nicht ausgesprochen, als er das dumpfe Dröhnen vernahm, das den Boden unter den Hufen seines Pferdes zu erschüttern schien. Er drehte sich fragend zu Montbars um.
„Reiter!“ preßte der Korse zwischen den Lippen hervor. „Verdammt, das können nur Soldaten sein!“
Sie befanden sich mit den drei Wagen gerade auf einer freien Strecke zwischen zwei Waldstücken. Nirgends gab es eine Möglichkeit, sich zu verbergen oder Deckung zu suchen.
Gustave Le Testu trieb sein Pferd an, um es vor den ersten Wagen zu bringen. Dann weiteten sich seihe dunklen Augen.
Fast zwei Dutzend Soldaten tauchten mit Geschrei auf galoppierenden Pferden vor ihnen auf, Pistolen und Säbel in den erhobenen Fäusten. Sie schälten sich aus der milchigen Dämmerung wie Geister, die der Erde entsprungen waren.
„Fahrt die Wagen zu einem Kreis!“ brüllte Le Testu. „Holt euch Waffen von den Wagen, und dann schießt sie über den Haufen!“
Er wollte sein Pferd herumreißen, doch in diesem Moment fiel der erste Schuß. Das Tier bäumte sich unter ihm auf, wieherte gequält und brach in der Hinterhand zusammen.
Le Testu war mit einem Satz aus dem Sattel. Nur mit Mühe entging er den schlegelnden Hufen seines Pferdes, das auf die Seite gefallen war und im Todeskampf noch um sich schlug.
Geduckt rannte Le Testu zu den Wagen hinüber. Seine Männer hatten schnell reagiert, doch die Sechsergespanne waren von dem nun hereinbrechenden Bleigewitter verrückt geworden und zerrten einen der Wagen wieder aus dem Ring, ohne daß die Straßenräuber etwas dagegen unternehmen konnten.
Le Testu sah, wie seine Leute die Planen von den Wagen fetzten und sich Musketen und Pistolen holten. Er verfluchte seine Nachlässigkeit, nicht mit einem Kampf gerechnet zu haben. Er wußte, daß dieser Fehler wahrscheinlich tödlich war, und während seine Männer bereit waren, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen, sah er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um.
Im Augenblick war es unmöglich, denn die Soldaten waren ausgeschwärmt und umzingelten die drei Wagen. Der dritte hatte sich in den ersten verkeilt, und die in Panik geratenen Percherons, von denen einer schon von einer Kugel niedergestreckt worden war, brachten die Männer hinter den Wagen in Gefahr.
Erst jetzt wurden die Schüsse der Soldaten erwidert. Eine Wolke von Pulverdampf erhob sich bei den Wagen und vermischte sich mit der milchigen Dämmerung.
Le Testu konnte nur noch Schemen erkennen, die an den Wagen vorbeijagten. Er schoß einen der Soldaten aus dem Sattel, aber der Mann erhob sich wieder und humpelte davon.
Plötzlich war Montbars, der Korse, neben ihm.
„Wir sind verloren!“ brüllte der Mann mit den jettschwarzen Augen. „Wir müssen versuchen, durch ihre Reihen durchzubrechen!“
Le Testu griff nach der Hand des Korsen, die dieser ihm entgegenstreckte, und saß mit einem Ruck hinter ihm auf dem Rücken des Apfelschimmels.
Der Pulverdampf hüllte das Kampfgetümmel immer mehr ein. Die Männer bei den Wagen schossen wie verrückt und schafften es, die Soldaten von den Wagen fernzuhalten.
Einzig Le Testu und Montbars schienen die wirkliche Gefahr erkannt zu haben. Le Testu duckte sich tief hinter dem Korsen, als dieser seinem Pferd die Hacken in die Seiten stieß und den Grauschimmel mit wilden Schreien antrieb.
Einem Soldaten, der plötzlich an ihrer Seite auftauchte, warf Le Testu die leergeschossene Pistole an den Kopf. Er sah, wie der Uniformierte aus dem Sattel fiel, dann waren zwei andere vor ihnen, und Montbars mußte den Grauschimmel herumreißen.
Wir schaffen es nicht! schrie es in Le Testu. Er hatte mit der rechten Hand ein armlanges Messer aus der Scheide am Gürtel gezogen und hieb damit auf einen Soldaten ein, der versuchte, Montbars mit seinem Säbel aus dem Sattel zu fegen.
In diesem Augenblick brach die Hölle los. Le Testu fühlte sich wie von einer Riesenfaust angehoben und in die Luft geschleudert. Er versuchte noch, sich an Montbars festzuklammern, aber die Gewalten, die an ihm zerrten, waren zu stark.
Ein ohrenbetäubendes Krachen war in der Luft, das sich zu einem Höllenlärm steigerte. Der Soldat mit dem Säbel war plötzlich verschwunden. Der Himmel hatte sich grellrot gefärbt, und als Le Testu von einer neuen Druckwelle um die eigene Achse gewirbelt wurde, sah er, wie aus allen drei Wagen immer wieder Lichtblitze hervorzuckten, begleitet von donnerndem Krachen.
Er rappelte sich auf. Ein wiehernder Schweißfuchs wollte an ihm vorbei. Instinktiv griff Le Testu nach den hängenden Zügeln und hängte sich daran.
Er wurde einige Schritte mitgeschleift, bevor das Tier schnaubend stehenblieb und Le Testu sich in den Sattel schwingen konnte.
„Montbars!“ brüllte er durch den Lärm.
Eine hochgewachsene Gestalt tauchte neben ihm auf, das dunkle Gesicht rauchgeschwärzt. Zuerst erkannte er den Mann nicht und wollte schon mit dem langen Messer nach ihm stechen, doch dann entblößte der Korse sein Gebiß, und an den blitzenden weißen Zähnen und dem verwegenen Grinsen erkannte Le Testu den Kumpan. Er zerrte Montbars in den Sattel und trieb den Schweißfuchs an, der sofort in Galopp fiel und froh zu sein schien, dem Inferno zu entgehen.
Le Testu beugte sich weit über die Mähne des Fuchses. Erst als er die Laubbäume des kleinen Waldstückes erreicht hatte, wagte er, sich umzudrehen.