Seewölfe Paket 15

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Eine dichte, undurchdringliche Rauchwolke, aus der immer noch Blitze schossen, hüllte die drei Wagen ein. Gestalten taumelten aus dem Qualm hervor, wurden aber von den Soldaten, die sich außerhalb des Qualms zurückgezogen hatten, mit Kugeln und Säbelhieben empfangen. Le Testu sah keinen von seinen Leuten, der es geschafft hätte, den tödlichen Ring zu durchbrechen.
Dann sah er, daß man auch sie entdeckt hatte. Doch nur wenige Soldaten waren noch zu Pferde. Die höllische Explosion der Pulverfässer auf den Wagen hatte die meisten Tiere das Weite suchen lassen, nachdem sie ihre Reiter abgeworfen hatten.
Zwei Soldaten wendeten auf den Befehl eines Offiziers ihre Pferde und preschten hinter dem Schweißfuchs her, auf dem Le Testu und Montbars saßen.
Le Testu ließ dem Schweißfuchs die Zügel frei. Er merkte sofort, daß er ein ausgezeichnetes Tier erwischt hatte, das trotz der doppelten Last, die es zu tragen hatte, ein starkes Tempo vorlegte. Sie jagten den Weg entlang, der durch das Waldstück führte. Als sie über die nächste freie Strecke galoppierten, erkannte Montbars, der sich umgedreht hatte, daß die beiden Soldaten ihre Pferde am Rande des Waldstückes gezügelt hatten.
„Sie geben auf!“ brüllte er Le Testu ins rechte Ohr. „Die Hosenscheißer haben Angst! Wahrscheinlich werden sie ihrem Offizier irgendein Märchen erzählen, weshalb sie die Verfolgung abbrechen mußten!“
Le Testu lachte wild auf, obwohl ihm nach allem anderen als nach Lachen zumute war.
Doch wichtig war erst einmal, daß sie ihr Leben gerettet hatten. Alles andere ließ sich wahrscheinlich wieder einrenken. Er ahnte, daß keiner seiner Leute den Soldaten entgangen war. Die meisten von ihnen waren sicher tot. Le Testu hoffte, daß sich alle bis zum letzten Atemzug verteidigten, denn wenn jemand den Soldaten in die Fänge geriet, erwartete sie der Galgen. Auch für Le Testu bestand dann eine Gefahr. Jeder seiner Leute kannte das Versteck, in dem er die geraubten Waffen verborgen hatte, die er für seine gerechte Sache brauchte.
Er schüttelte die Gedanken ab und trieb den Schweißfuchs wieder an.
„Achtung!“ brüllte Montbars und warf sich gegen den Rücken von Le Testu.
Dieser spürte, wie der Schweißfuchs plötzlich unsauber ging, und dann stand der helle Knall einer Muskete in der morgendlichen Luft.
Mit einem Satz waren Le Testu und Montbars vom Rücken des stolpernden Schweißfuchses. Sie überrollten sich am Boden und waren schon wieder auf den Beinen, als der Schweißfuchs zusammenbrach, noch einmal mit den Hufen zuckte und dann still lag.
Le Testu sah die kleine graue Wolke vor dem Dunkel der Bäume, wo die beiden Soldaten angehalten hatten. Er sah, daß sich Montbars ziemlich in ihren Absichten getäuscht hatte. Sie dachten nicht daran, die beiden flüchtigen Schnapphähne entwischen zu lassen. Ihre triumphierenden Schreie waren bis hierher zu hören, und als sie ihre Pferde wieder in Galopp trieben, hetzten Le Testu und Montbars auf das nächste Waldstück zu, das etwa hundert Schritte vor ihnen lag.
Die Zunge hing ihnen aus dem Hals, als sie endlich zwischen den ersten Bäumen waren. Die Reiter hatten mächtig aufgeholt und waren nur noch fünfzig Schritte von dem toten Schweißfuchs entfernt.
Le Testu und Montbars sahen, wie sie ihre Tiere zurückrissen und auf den toten Fuchs starrten. Sie unterhielten sich eine Weile, schauten ein paarmal zum Wald und zogen dann ihre Pferde herum. Wie von Furien gejagt, hetzten sie zurück.
Le Testu blickte Montbars an.
„Verstehst du das?“ fragte er den Korsen.
Montbars schüttelte den Kopf.
„Keine Ahnung“, sagte er. „Vielleicht hast du ein Pferd erwischt, das für irgend jemanden eine große Bedeutung hat. Vielleicht fürchteten sie, daß man ihnen den Hals abschneidet, weil sie den Schweißfuchs erschossen haben.“
Le Testu zuckte mit den Schultern. Ihm war es gleichgültig, aus welchem Grund die Soldaten umgekehrt waren. Hauptsache, sie hatten die Flucht geschafft. Er nickte Montbars zu, und sie begannen, nach Norden zur Küste zu marschieren.
Der Sturm hatte sie gezwungen, in der Bucht von Sillon de Talbert Schutz in einer Felsenhöhle zu suchen. Sie hatten ein kleines Feuer entzündet und ein Kaninchen gebraten, das der Korse mit seinem Messer erlegt hatte.
Dann waren sie vom Kanonendonner aufgeschreckt worden, der mit dumpfem Gebrüll über die Bucht hallte. Der Sturm hatte ihnen die Geräusche einer harten Schlacht an die Ohren getragen. Zeitweise hatten sie sogar brüllende Stimmen vernommen, deren Klang sie davon überzeugte, daß es englische Schiffe waren, die im Kampf mit irgendwelchen französischen Piraten lagen.
Dann hatten sie beobachtet, wie Männer an Land schwammen. Wahrscheinlich war ihr Schiff untergegangen. Sie hatten es nicht gewagt, ihre Höhle zu verlassen, aber in Le Testu war ein Plan gereift, den er in der ersten Morgendämmerung, die von feuchten Nebelbänken durchzogen wurde, Montbars mitteilte.
„Die armen Hunde sind fertig“, sagte er. „Sie werden froh sein, wenn sie irgendwo ihre Klamotten trocknen können. Weißt du was, Montbars? Wir werden sie sammeln, und dann haben wir eine neue Bande, mit der wir unsere Aufgabe fortführen können.“
„Es sind Kerle, die gegen die Engländer gekämpft haben“, meinte der Korse zweifelnd. „Vielleicht sind es Soldaten Seiner katholischen Majestät.“
Le Testu wiegte den Kopf.
„Wir werden sehen“, sagte er. „Komm, wir wollen nicht solange warten, bis sie sich in alle Winde verstreut haben.“
Der Sturm hatte etwas abgeflaut, als sie die Höhle verließen und in dem riesigen Waldgebiet untertauchten, in dem auch die Schiffbrüchigen verschwunden waren.
Der Nebel verschluckte fast alle Geräusche.
Montbars und Le Testu hatten Mühe, einander wiederzufinden, wenn sie sich mal ein wenig voneinander trennten, um in den dichten Schwaden ein größeres Stück des Waldes abzusuchen.
Es wollte nicht richtig hell werden an diesem Morgen. Immer wieder starrte Le Testu zu den Wipfeln der Kiefern hinauf, in denen der Nebel nistete und herunterdrückte. Wie ein feuchtes Tuch legte er sich auf die Haut der beiden Männer, die verbissen weitersuchten.
Montbars war es schließlich, der sagte: „Sie werden sich weiter ins Land zurückgezogen haben Vielleicht befürchten sie, daß sie von den Engländern auch hier noch verfolgt werden.“
Le Testu hob die Schultern. Er glaubte nicht recht daran, aber wenn hier, so nahe unter der Küste, niemand zu finden war, mußte es wohl so sein, wie Montbars sagte.
Sie hielten schnurstracks nach Osten, und schon nach einer halben Stunde bewahrheitete sich die Vermutung des Korsen. Durch Nebelschleier leuchtete ihnen das Rot eines Feuers entgegen.
3.
Die „Hornet“ schwoite im starken Wind, der von See her wehte, und zerrte am starken Ankertau. Nebelbänke, zerfetzt von Böen, jagten geisterhaft vorbei und hüllten Philip Hasard Killigrew ein, der sich über das Schanzkleid an der Steuerbordseite der Kuhl beugte und beobachtete, wie das Beiboot abgefiert wurde.
Der Seewolf fluchte unterdrückt und lauschte auf das entfernte Dröhnen, als befände sich jenseits der Nebelbänke der Schlund der Hölle.
Er wußte, wie gefährlich die Brandung an dieser Küste sein konnte, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Sie mußten an Land, wenn sie ein paar der französischen Freibeuter erwischen wollten, die nach dem Untergang zweier ihrer Schiffe hatten an Land schwimmen können.
Zum Glück hatte der Sturm etwas nachgelassen, aber dafür lagen sie jetzt auf Legerwall. Der Seewolf warf einen Blick zu Ben Brighton auf dem Achterdeck hinauf, und er sah das bedenkliche Gesicht seines Ersten Offiziers. Dennoch war er überzeugt, daß Ben keine Mühe haben würde, die freie See zu gewinnen, wenn die Lage kritisch wurde.
Aus einer Nebelbank tauchte plötzlich die „Fidelity“ auf. Hasard sah, daß auch Terry sein Boot bereits zu Wasser gelassen hatte und dabei war, über die Berghölzer ins Boot zu steigen. Sein Gesicht verzog sich etwas. Er mochte diesen blonden, kantigen Zyniker nicht, aber er hatte ihm während der Schlacht gegen die vier französischen Freibeuterschiffe neidlos zugestehen müssen, daß er ein harter und ausgezeichneter Kämpfer war.
Das Beiboot der „Hornet“ klatschte aufs Wasser und schlug mit dumpfem Laut gegen den Rumpf der Galeone. Geschmeidig enterten die ausgewählten Bootsgasten für diesen Landausflug übers Schanzkleid ins Boot ab.
Hasard wartete, bis Carberry, Ferris Tucker, Shane, Blacky, Finnegan, Dan O’Flynn, Matt Davies und Stenmark auf ihren Duchten saßen. Er wandte sich noch einmal um und blickte zu Ben Brighton hinüber, der ihm mit einer Handbewegung viel Glück wünschte. Neben Ben sah er seine beiden Söhne stehen, und neben den Zwillingen tauchte soeben auch Mac Pellew auf, der ehemalige Koch der „Golden Hind“, den er kürzlich in Plymouth aus dem Schuldturm ausgelöst hatte.
Hasard winkte zurück. Flüchtig schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, wie groß diese beiden Rangen inzwischen geworden waren. Und wie so oft, mußte Hasard in diesem Moment auch an die Mutter der beiden denken und auch daran, auf welche entsetzliche Weise seine Frau Gwendolin damals ums Leben gekommen war. Hasard riß sich aus seinen Gedanken und schwang sich dann ebenfalls über das Schanzkleid, um von dort behende ins Boot abzuentern, das von Carberry und Ferris Tucker sofort vom Rumpf der „Hornet“ abgestoßen wurde. Niemand sprach ein Wort, sie wußten alle, was ihnen bevorstand.
Hasard hörte das Klatschen der Riemen von Easton Terrys Boot, das in ihrer Nähe sein mußte, doch er sah es nicht. Eine Nebelbank hatte die „Fidelity“ wieder verschluckt.
Mit Zeichen gab Hasard die Richtung an. Seine ganzen Sinne waren auf die lauter werdende Brandung gerichtet. Mit einemmal riß der Nebel auf, und in mehreren hundert Yards Entfernung sah er im grauen Licht des frühen Morgens die ungeheuren Gischtkronen der sich an der felsigen Küste brechenden Wellen.
Er biß die Zähne aufeinander und schaute sich nach Terrys Boot um. Aber zur See hin konnte er nicht einmal die Hand vor Augen erkennen.
Er dachte einen kurzen Augenblick an ihr Gefecht mit den Franzosen. Eine Menge Freibeuter hatten nach dem Untergang ihrer Schiffe im Sturm sicher ihr Leben lassen müssen. Eins ihrer Boote, das sie noch zu Wasser hatten bringen können, war gekentert, aber bestimmt hatten sich viele Männer schwimmend an die Küste retten können.
Ein Schatten tauchte an Steuerbord auf. Instinktiv griff der Seewolf nach seiner Pistole, die er im Gürtel stecken hatte, aber dann erkannte er das Boot Easton Terrys. Der Korsar stand breitbeinig im Heck des Bootes, und sein übliches geringschätziges Lächeln, das seine kalten grauen Augen allerdings nicht erreichte, verzog sein kantiges Gesicht.
Der Seewolf wandte den Kopf. Er mußte sich auf die Brandung konzentrieren, deren dumpfes Brüllen jetzt alle anderen Geräusche übertönte.
An den sich bewegenden Lippen seines Profos’ sah Hasard, daß dieser fluchte, und er wußte, wem seine Flüche galten. Mit einem heftigen Handzeichen gab Hasard ihm zu verstehen, daß er sich gefälligst auf seinen Riemen konzentrieren solle.
Das Boot begann zu stampfen; als es in die ersten von Gischtkronen bedeckten Brandungswellen geriet. Noch war die Gefahr nicht groß, der härtere Teil erwartete sie dicht unter der Küste, wo sich die Wellen an den Unterwasserklippen brachen und gefährliche Strudel auslösten, die ein Boot in Sekundenschnelle zu Kleinholz verarbeiten konnten.
Ein Schrei übertönte das Dröhnen der Brecher. Der Seewolf sah, wie sich das Boot Terrys für einen Moment aus den Wellen hob, auf einem Gischtkamm tanzte und sich dann drehte, als hätte jemand daran gezerrt. Auch die anderen Männer in Hasards Boot hatten auf den Schrei hin die Köpfe herumgerissen. Auf Carberrys narbigem Gesicht zeichnete sich eine höllische Schadenfreude ab, aber die verschwand schnell, als er sah, daß es Terry und seinen Bootsgasten gelang, ihr Beiboot wieder unter Kontrolle zu bringen.
Easton Terry war von der Woge bis dicht unter die Küste getragen worden, und Hasard erkannte, daß er die Brandung mit viel Glück gemeistert hatte. Er brüllte auf, als er den riesigen Brecher sah, der ihm den Blick zur Küste verdeckte. Er schrie seine Männer an, die sich in die Riemen legten, was das Zeug hielt.
Die Bugspitze des Beibootes tauchte in den gischtenden Brecher, ein ungeheurer Schwall Wasser brach über das Boot herein und fegte Stenmark und Finnegan von ihren Duchten. Ihre Riemen wurden durch die Luft gewirbelt. Finnegan, der sich krampfhaft an seinem Riemen festhielt, kriegte den Griff vors Gesicht geknallt und ließ brüllend los. Mitsamt der Dolle segelte der Riemen davon, als ob er Flügel hätte.
Stenmarks Riemen war gesplittert. Er zerrte das Stück, das er noch in den verkrampften Händen hielt, aus der Dolle und schleuderte das Ding weit von sich.
Sie hatten den Brecher überstanden und tauchten zischend in das nächste Wellental. Ein häßliches Knirschen erschütterte das Boot und brachte den Bug aus der Richtung.
„Ein Riff!“ brüllte Carberry.
„Wollt ihr wohl pullen, ihr Hundesöhne!“ schrie Hasard, der wußte, daß sie verloren waren, wenn der nächste Brecher sie in voller Breitseite erwischte.
Sie schafften es nicht mehr ganz. Der Bug des Bootes war noch nicht wieder auf die Küste gerichtet, als der nächste Brecher es anhob und in eine Drehbewegung versetzte, daß den Seewölfen Hören und Sehen verging.
Hasard war zu Boden gegangen. In seinen Ohren war ein Brausen und Dröhnen, wie er es noch nie erlebt hatte. Das Boot sackte wieder weg, und er fühlte sich plötzlich leicht und angehoben. Dann ein Ruck, ein Knirschen, als zerrten Gewalten an dem Boot, um es auseinanderzubrechen.
Hasard knallte mit dem Kopf gegen die achtere Ducht. Er hatte plötzlich Carberrys verzerrtes Gesicht vor sich und spürte, wie sich dessen mächtige Faust in seinem Rock verkrallte.
Er wischte die Faust beiseite und schrie: „Haltet die Riemen fest, Männer, wir haben es gleich geschafft!“
Er glaubte selbst nicht daran, aber wenn sie sich in diesem Wirbel der Gewalten aufgaben, waren sie wirklich verloren.
Plötzlich war es wieder hell um sie.
Hasard sah Felsen vor sich auftauchen, als seien sie aus dem Wasser gewachsen. Er riß die Pinne, die er wieder gepackt hatte, herum, brüllte einen scharfen Befehl, und die Rudergasten an Steuerbord schwenkten blitzschnell ihre Riemen vor. Ein scharrendes Geräusch, dann waren sie an dem Felsen vorbei.
Der Seewolf dachte in diesem Augenblick, daß sie es geschafft hatten, doch dann war erst die richtige kochende Hölle um sie herum.
Das Beiboot wurde angehoben, herumgeschleudert und kenterte fast. Wasser war über, unter, neben den Männern. Sie konnten sich nur noch festklammern. Ruderschläge waren in diesem Inferno nutzlos.
Ein weiterer Strudel hatte sie gepackt. Er stieß das fast gekenterte Boot wieder hoch, und Hasard und die anderen konnten für Sekunden wieder Luft schnappen.
Plötzlich ließ sich das Boot wieder steuern. Die Riemen tauchten in ruhigeres Wasser. Das Brüllen der Brecher schien mit einemmal hinter ihnen verschwunden zu sein.
Eine dichte Nebelbank hüllte sie ein. Sie hörten gedämpftes Rufen. Für einen Moment hatte der Seewolf die Orientierung verloren. Er lauschte dem Orgeln des Windes und den Geräuschen, die die gegen die Felsen donnernden Wellen verursachten. Sie mußten in einer kleinen Bucht gelandet sein, deren vorspringende Felsnase die Wucht des Windes und der Wellen brach.
Die Nebelbank kroch an den Felsen hinauf und schob sich darüber hinweg wie eine gleitende, zusammenhängende Masse.
Der Strand lag plötzlich vor ihnen. Sie sahen das Boot Easton Terrys am schmalen Sandstreifen. Seine Männer hatten offensichtlich weniger Schwierigkeiten gehabt, die Bucht zu erreichen.
Carberry, der den Kopf gewandt hatte und ebenfalls zum Strand hinüberblickte, lief rot an, als er das abfällige Lächeln um Terrys Mundwinkel sah. Er ballte die Hände, und der Seewolf hörte, wie er leise vor sich hinmurmelte: „Ich dreh dem Bastard noch mal den Hals um!“
Easton Terry wartete, bis Hasard und seine Männer den Strand erreichten, aus dem Boot sprangen und es auf den Sand zogen. Er traf keine Anstalten, Hasard entgegenzugehen und ihn zu begrüßen.
Der Seewolf blickte seine Männer an. Niemand von ihnen schien eine ernsthafte Verletzung davongetragen zu haben. Nur Finnegans Lippe blutete ein wenig, und seine Nase begann sich ins Bläuliche zu verfärben.
Außer den beiden Riemen war auch am Beiboot noch alles heil. Ohne sich zu bücken, warf Hasard einen kurzen Blick auf die Steuerbordseite, wo der Rumpf an dem Felsen vorbeigeschrammt war. Aber er konnte kein Leck entdecken. Er nickte Carberry zu, der mit den anderen Bootsgasten das Boot aufklarte und das restliche Wasser ausschöpfte, dann ging er zu Terry hinüber.
„Freut mich, daß Sie es geschafft haben, die paar Wellen abzureiten, Mister Killigrew“, sagte Terry.
Du verdammter Angeber! dachte der Seewolf, aber laut erwiderte er: „Wir lieben es nun mal nicht, die einfachsten Wege zu gehen.“
Easton Terry zog die Brauen hoch. Das abfällige Lächeln war für einen Moment aus seinem kantigen Gesicht verschwunden. Hasard merkte, daß Terry sich auf den Arm genommen fühlte. Doch der Ausdruck in seinen grauen Augen änderte sich schnell wieder. Er nahm den Hut ab, und seine fast schulterlangen blonden Haare wehten im steifen Wind.
Hasard sah, wie er aufs Meer hinaus sah, und er blickte sich um. Die „Hornet“ und die „Fidelity“ lagen nicht weit voneinander entfernt vor Anker. Hasard hoffte, daß die französischen Piraten nach ihrer vernichtenden Niederlage erst einmal genug hatten. Er glaubte nicht, daß sich die beiden entwischten Schiffe in den nächsten Stunden wieder hier blicken lassen würden.
Er wandte sich an Terry.
„Meine Hochachtung, Mister Terry“, sagte er. „Es war eine ausgezeichnete Schlacht. Ich hätte mir keinen besseren Mitstreiter aussuchen können.“
Er meinte zwar nicht, was er sagte, aber warum sollte er Terry nicht seine Anerkennung aussprechen? Vielleicht nahm das seinem Zynismus und seiner Überheblichkeit ein bißchen die Spitze.
Hasard merkte schnell, daß er sich gründlich getäuscht hatte. Das Grinsen auf Terrys Gesicht war schon mehr als eine Beleidigung. Er tat, als hätte der Seewolf noch weit untertrieben.
„Sie sind nicht der einzige, Mister Killigrew, der große Stücke auf mich hält“, erwiderte er großspurig. „Wie wäre es, wenn Sie mir den Oberbefehl über unser Unternehmen übertrügen? Das Risiko, daß etwas schiefgeht, wäre damit ausgeschaltet.“
Der Seewolf hörte neben sich ein Geräusch, das sich wie eine Mischung aus dem Brummen eines Braunbären und dem Stöhnen eines geschundenen Mannes anhörte. Aus den Augenwinkeln sah er Carberry heranstampfen. Der Profos blieb neben ihm stehen, und sein Gesicht sah aus, als müßte ihm jeden Augenblick Dampf aus den Ohren und der Nase steigen.
„Es freut mich, daß Sie nicht an Minderwertigkeitskomplexen leiden, Mister Terry“, sagte Hasard. „Und es ist mir durchaus recht, wenn Sie und Ihre Männer während unseres Einsatzes keine Fehler begehen.“
Easton Terry begann zu lachen, aber seine grauen Augen blieben davon unberührt. Sie blickten Hasard kalt an.
„Sie scheinen ein Mann ohne Humor zu sein, Killigrew“, erwiderte er heiter.
Hasard hob die Schultern.
„Wahrscheinlich haben wir nur eine andere Art von Humor“, sagte er. Er wies zu den Felsen hinüber, die den schmalen Sandstrand einschlossen. „Gehen wir dort hinüber und beratschlagen, wie wir die Sache am besten anpacken. Ich nehme nicht an, daß sich die beiden geflohenen Schiffe so bald wieder in dieser Bucht sehen lassen werden.“
„Das will ich meinen“, sagte Terry.
Hasard winkte seinen Männern zu, ihm zu folgen. Carberry stiefelte dicht neben ihm her.
„Wie lange willst du dir das von dem verdammten Affen noch bieten lassen?“ fragte er wütend. „Laß mich sein hämisches Grinsen mit einem Belegnagel breitklopfen, und ich verspreche dir, daß ich ein halbes Jahr auf meine Rumrationen verzichte.“
Der Seewolf schüttelte den Kopf.
„Bleib ruhig, Ed“, sagte er leise. „Du weißt, wie wichtig unsere Mission für England ist. Ich konnte mir den Partner nicht aussuchen. Er ist ein harter Kämpfer, und das ist im Augenblick das wichtigste. Vielleicht kann er nicht mal was dafür, daß er immer so schäbig grinsen muß.“
„Und ob der was dafür kann!“ stieß Carberry hervor, und sein narbiges Gesicht glühte vor Zorn. „Das ist ein eiskalter Hund, den Englands Wohlergehen einen Scheißdreck interessiert, glaub mir. Das ist ein Killer, nichts weiter. Und wenn wir uns mit ihm einlassen, wird er uns eines Tages alle unter die Erde bringen.“
„Du übertreibst, Ed“, murmelte Hasard, aber er wußte, daß Carberry im großen und ganzen recht hatte. Er selbst schätzte Terry nicht viel anders ein. Seine ganze Art bewies, daß für ihn nur eins zählte: er selbst.
Im Sichtschutz der Felsen blieb der Seewolf stehen und wartete, bis Terry und seine Männer heran waren.
Der Seewolf blickte ihnen entgegen. Ein paar von ihnen kannte er aus London schon mit Namen. Da war der hochgewachsene, schlanke Jerry Reeves, Terrys Bootsmann. Er war ein Mann, der voller Energien zu stecken schien, immer in Bewegung, die Augen überall. Reeves sollte ein hervorragender Kanonenschütze sein, und im Gefecht gegen die französischen Freibeuter hatte er sein Können schon in ausreichendem Maße unter Beweis gestellt.
Neben Reeves stand Stoker, der Decksälteste der Terry-Crew. Shane hatte behauptet, der Kerl hätte mehr Ähnlichkeit mit ihrem Schimpansen Arwenack als mit einem Menschen. Der Eindruck war nicht unrichtig, hatte Stoker doch viel zu lange Arme für seinen gedrungenen Körper. Außerdem hatte er eine flache, in tausend Falten gelegte Stirn. Stoker sah ziemlich bescheuert aus, aber immer, wenn Hasard in seine Augen blickte, dachte er, daß der Mann ein Bluffer war. Er war offensichtlich bei weitem nicht so dumm, wie er aussah.
Mulligan, der auf Terrys anderer Seite stand, war als Schiffszimmermann auf der „Fidelity“. Er war ein großer, ungeschlachter Klotz mit stoppelkurzen strohblonden Haaren und einem etwas träumerischen Blick.
Der Ausdruck der kalten Augen des Mannes neben ihm war alles andere als träumerisch. Halibut hieß der Kerl, der sich an Mulligans Seite hielt. Mit seinem stumpfsinnigen Gesichtsausdruck hatte er schon so manchen getäuscht, aber der Seewolf spürte, daß dieser Kerl zu der hinterhältigen Sorte gehörte, die es fertigbrachte, die eigene Großmutter wegen ein paar Pennies um die Ecke zu bringen.
Die vier anderen Burschen waren dem Seewolf vom Namen her unbekannt, aber sie standen den anderen wahrscheinlich an Kampfkraft in nichts nach. Terry hatte sicher nicht die schwächsten Kerle für diesen Landgang ausgesucht.
„Es gibt nicht viele Möglichkeiten für die überlebenden Schiffbrüchigen, sich hier in dieser Gegend zu verbergen“, begann Terry. „In den Dörfern dürfen sie sich nicht sehen lassen, weil man ihnen die Haut abzieht, wenn man sie unbewaffnet erwischt. Und sie werden außer ein paar Messern keine Waffen mehr bei sich haben.“
Der Seewolf nickte. „Ich nehme auch an, daß sie sich in den Wäldern verborgen haben. Es dürfte uns nicht schwerfallen, sie zuhauf zu treiben und gefangenzunehmen.“
Terry blickte den Seewolf an.
„Und was wollen Sie mit den Kerlen anfangen, Killigrew?“ fragte er zynisch. „Wollen Sie sie in Ihre Kammer zu einem Glas Port einladen?“
„Darf ich mit einer Gegenfrage antworten, Terry?“ fragte Hasard zurück. „Wie haben Sie es sich vorgestellt?“
„Eine ziemlich einfältige Frage, Mister Killigrew“, erwiderte Easton Terry überheblich. „Wir werden uns ein oder zwei Gefangene holen und den Rest über den Haufen schießen oder niederstechen, damit wir nicht irgendwann und irgendwo wieder auf sie treffen, wo sie uns dann töten könnten.“
Aus den Augenwinkeln sah der Seewolf die harten Gesichter seiner Männer, und er war froh, daß Terrys mörderische Absicht bei ihnen genauso auf eisige Ablehnung stieß wie bei ihm selbst.
„Wir sind keine Mörder, Mister Terry“, sagte Hasard kalt. „Merken Sie sich das, solange Sie unter meinem Kommando stehen. Wir werden alle Piraten, die wir im Wald auftreiben, lebend einfangen und an Bord unserer Schiffe bringen.“