Seewölfe Paket 15

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Auch in einer Fuhrmannskneipe konnte man ihnen nicht helfen, obwohl die Augen vor Gier glänzten, wenn von der Belohnung gesprochen wurde.
Das nützte ihnen alles nichts, so gelangten sie nicht weiter. Es war zum Verzweifeln, und es schien, als sei Hesekiel Ramsgate spurlos im Erdboden versunken.
Eine Kneipe nach der anderen klapperten sie ab, bis es langsam Mittag und damit Essenszeit wurde. Aus den Küchen der Schenken roch es nach Kohl und Gemüse, hin und wieder auch nach Fisch, ganz selten jedoch nach gebratenem Fleisch.
„Damit hätten wir den größten Teil der Kneipen durch“, sagte Dan. „Ich kenne nur noch zwei oder drei. Vielleicht wäre es abends doch ergiebiger gewesen.“
Hasard gab keine Antwort. Er zeigte auf eine roh zusammengehauene Bank, die im Schatten unter zwei mächtig ausladenden Lindenbäumen stand. In dem Baum zwitscherten Vögel, eine Katze hockte schläfrig auf dem Boden und blinzelte.
Hinter ihnen befand sich der Schuldturm von Plymouth, das Gefängnis für Leute, die nicht in der Lage waren, ihre Schulden zu bezahlen. Konnten sie das nicht, dann wanderten sie in das Gefängnis. Dort konnten sie ihre Schulden erst recht nicht bezahlen, weil sie dazu keine Möglichkeit mehr hatten.
Der Schuldturm war ein verwittertes Backsteingebäude mit einem trockenen, staubigen Hof. Alles war durch Schmiedeeisen abgegittert, selbst über den Hof war ein Gitter gespannt.
Wer hier einmal drinsaß, dessen Schulden vermehrten sich laufend durch die anfallenden Zinsen, und es wurde immer unwahrscheinlicher, daß er jemals wieder in die Freiheit zurückkehrte. Hier war das Essen schlecht, im Winter wurde kaum geheizt, und viele Leute waren hier schon elend gestorben.
Aus den Augenwinkeln blickte Hasard einmal kurz in den kaum einzusehenden Hof. Ausgemergelte, apathische Gestalten in zerfetzter Kleidung hockten teilnahmslos auf dem staubigen Boden und dämmerten dem nächsten für sie genauso hoffnungslosen Tag entgegen.
Ein unangenehmes Gefühl überlief den Seewolf wie immer, wenn er Menschen sah, denen man die Freiheit genommen hatte. Leute, die keine Aussicht hatten, das geschuldete Geld abzuarbeiten. Viele von ihnen waren schuldlos in Not geraten, und jetzt hockten sie hier und warteten, warteten. Die meisten waren so abgestumpft, daß sie gar nicht mehr bemerkten, was um sie herum vorging. Sie hockten nur einfach auf dem Boden, warteten und starrten in den Staub und Schmutz.
„Ein Scheißleben ist das“, sagte Dan, dem Hasards schneller Blick nicht entgangen war. „Ein Nachbar von uns hat zwei Jahre lang im Schuldturm von Falmouth gesessen, wegen einer lausigen Handvoll Copper, die er nicht bezahlen konnte. Daheim hungerten seine Kinder, und im Laufe der zwei Jahre wurden aus der Handvoll Copper mehrere Goldstücke. Die konnte er erst recht nicht bezahlen, und so blieb er noch ein halbes Jahr drin. Dann starb er, und als seine Frau davon erfuhr, hängte sie sich auf dem Dachboden auf. Damit war dann allen gedient, die Schulden wurden nie bezahlt, und es gab zwei Tote.“
„So ist das Gesetz“, meinte Hasard. „Wir werden nichts daran ändern. Hier sitzen aber auch Säufer, Schnapphähne und solche, die sich das Geld auf recht üble Weise erschlichen haben.“
Zwei junge Sperlinge flatterten aus der einen Linde und hockten sich in den Staub, um darin zu baden. Die Katze richtete sich auf, schlich auf Samtpfoten näher und belauerte die jungen Spatzen.
Dan O’Flynn zog sie ein bißchen am Schwanz, und damit war die Idylle beendet. Die Katze fauchte, die Sperlinge zogen ab.
„Vielleicht war das ihr Mittagessen“, sagte Hasard lächelnd.
„Na, wenn schon! Die soll sich um Mäuse kümmern, von dem Viehzeug gibt es noch viel mehr.“
Da war irgendwo ein Stimmchen, schwach und verwehend.
„Killigrew!“ tönte es jetzt etwas deutlicher.
„Ramsgate“, sagte Hasard spontan und stand auf. Er blickte zu dem schmiedeeisernen Gitter des Schuldgefängnisses hinüber und kniff die Augen zusammen, um gegen das Sonnenlicht besser sehen zu können. Auch Dan war aufgestanden und blinzelte zu dem Tor.
Ein Mann stand dort, dem das Sonnenlicht in den Rücken fiel. Er hatte beide Hände um das Gitter geklammert und blickte zu ihnen. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, die Sonne zauberte lediglich einen grellen Reflex um seinen Schädel.
Nein, natürlich war es nicht Ramsgate, der da stand. Wie hätte er auch hier im Schuldgefängnis landen sollen?
„Hasard!“ rief die Stimme des Mageren jetzt. „Killigrew. Bist du nicht der Mann, den sie den Seewolf nennen?“
„Jetzt packt’s mich aber“, sagte Hasard. „Wer ist das denn?“
„Keine Ahnung“, sagte Dan kopfschüttelnd.
Hasard hatte nicht die geringste Vorstellung, wer ihn da rufen konnte. Hier, im Schuldgefängnis von Plymouth, da war er sich ganz sicher, kannte er ganz bestimmt keinen Menschen. Aber jetzt hatte ihn doch die Neugier gepackt, und er trat näher an das Gitter heran, das den dahinterliegenden Hof abtrennte.
Alle beide blickten dem fremden Mann ins Gesicht. Jetzt, als er den Kopf leicht zur Seite wandte, sahen sie ihn deutlich.
Da stand er in all seiner Traurigkeit, mit einem griesgrämigen Gesicht und einem Ausdruck in den Augen, als müsse er alle seine Freunde persönlich beerdigen. Wie ein Leichenbitter stand er da, und nun trat in seine Augen ein Ausdruck der Freude. Aber es war eine Freude, wie sie ein Sargträger empfinden und ausdrücken mochte, wenn er die schwere Kiste endlich absetzen konnte.
Mac Pellew!
Mac Pellew, Schiffskoch, Feldscher und Bader der „Marygold“ unter Sir Francis Drake, der Mann, der Zähne zog, Knochen flickte, Schweine abstach und doch auf seine Art ein Genie war.
Sein Gesicht war etwas faltiger geworden, aber es war immer noch so grämlich verzogen wie in alten Zeiten.
„Hasard“, sagte er leise und tief bewegt. Sein Blick huschte schnell über Dan, dann kehrte er zu Hasard zurück.
Der Seewolf war so verdutzt, daß es ihm sekundenlang glatt die Sprache verschlug. Er konnte es einfach nicht glauben, doch die Tatsachen bewiesen es nur allzu deutlich: Da stand Mac Pellew, daran biß keine Maus einen Faden ab, der gute alte Mac Pellew.
„Mann, Mac Pellew!“ sagte Hasard kopfschüttelnd.
Der alte Griesgram schniefte tief bewegt. Dann griff er durch das Gitter und schüttelte dem Seewolf zaghaft die Hand. Er war so gerührt, der gute Mac, daß er nur sehr mühsam Worte fand. Trotzdem ging sein Blick immer wieder zwischen den beiden Männern hin und her.
Dan O’Flynn hatte ihn ebenfalls längst erkannt, aber bei Mac dauerte das noch ein Weilchen.
„Das ist Dan O’Flynn“, sagte Hasard.
„Das Bürschchen?“ fragte Mac und fuhr zurück, als hätte ihn eine Natter gebissen. „Waaas – du bist der junge O’Flynn?“ fragte er gerührt. „Der mit der Kodderschnauze, der immer soviel fraß?“
„Genau der“, sagte Dan grinsend. „Nur etwas größer und älter geworden, Mac.“
Pellew schüttelte den Kopf, wandte sich halb zur Seite und begann wieder zu schniefen.
Und dann sagte der mit der „Kodderschnauze“: „Weißt du noch, wie ich dich immer beklaut habe, Mac“, und das rührte Mac noch mehr, und er schniefte noch lauter.
Sie ließen ihm Zeit, sich zu beruhigen, denn sie selbst brauchten auch eine ganze Weile, so unverhofft hatte das Wiedersehen nach vielen langen Jahren stattgefunden.
Dann, zum erstenmal, setzte sich ganz scheu und zaghaft ein Lächeln in dem Gesicht des Mannes fest, der sonst immer so aussah, als hätte er gerade an der Essigkruke genascht.
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, stammelte er. „Wenn ich euch hier vor mir sehe, dann steigt bei mir schlagartig die ganze Erinnerung auf. Plymouth, die ‚Marygold‘, Drake, der Profos, Gordon Brown, den sie damals an die Rah gehängt haben. Was ist aus diesen Leuten und vor allem aus euch geworden?“
„Das ist eine lange Geschichte“, sagte Hasard. „Man kann sie nicht mit ein paar Sätzen schildern. Aber die Kerle sind alle noch am Leben, bis auf Buck Buchanan, den hat es damals erwischt. Allen anderen geht es gut, sie sind hier in Plymouth.“
„Und Hasard ist von der Königin zum Ritter geschlagen worden“, erklärte Dan grinsend. „Das hat sich auch geändert.“
Mac Pellew wich einen Schritt zurück.
„Oh, das …, Verzeihung, Sir, das konnte ich nicht wissen, Sir.“
„Nun brech dir mal nichts ab“, sagte Hasard gemütlich, „das galt der ganzen Mannschaft und nicht nur mir allein.“
Ganz unbewußt blickte er dabei auf Mac Pellews Kleidung. Die Leinenhose, die er trug, hatte vor Jahren auch schon mal bessere Tage gesehen. Das Hemd war löchrig, verdreckt und so dünn, daß er wohl kaum noch wagen konnte, es auszuziehen, sonst wäre es vermutlich in tausend Fetzen zerfallen. Seinen Bartstoppeln nach hatte er sich seit mindestens zehn Tagen nicht mehr rasiert, aber das besorgte hier anscheinend ein Bader, der nur alle zwei Wochen erschien.
Alles in allem sah Mac abgerissen, verhärmt, etwas dürr und unendlich griesgrämig aus. Aber in seinen Augen leuchtete ein Feuer. Nein, es war keineswegs die Hoffnung, hier herauszukommen, es war lediglich die unverhoffte Freude, alte Bekannte wiederzusehen. Daß ihn hier jemand herausholte, damit rechnete Mac im ganzen Leben nicht.
Hasard hatte seinen Entschluß jedoch schnell gefaßt. Die Crew war größer geworden, und voraussichtlich würde sie sich noch weiter vergrößern. Der Kutscher konnte das alles allein nicht mehr schaffen, und so war sein Entschluß spontan gefaßt.
„Warum bist du hier, Mac?“ fragte er.
Mac klammerte sich noch fester an die Gitterstäbe. Jetzt sah er wieder wie ein Sargträger aus, der ein paar Freunde zu Grabe trägt.
„Das ist schnell erzählt“, erwiderte er mit Leichenbittermiene. „Ich wollte selbständig werden und mir eine kleine Kneipe kaufen, aber dazu reichte mein Geld nicht. Vier Goldstücke fehlten mir, und die borgte ich mir von einem Wucherer. Ich wußte nicht, daß der Kerl ein Betrüger war. Er verlangte recht hohe Zinsen, doch ich war sicher, das Geld auch bald zurückzahlen zu können. So ging ich vor Freude mit dem Wucherer in meine künftige Kneipe hier in Plymouth und lud ihn zu einem Glas ein. Doch dann setzten sich ein paar andere Kerle dazu und gossen mir etwas in den Wein. Danach erging es mir so ähnlich wie den Seeleuten bei Plymson. Ich fiel um, war aber nicht auf ein Schiff gepreßt, sondern wachte mit einem Brummschädel in der Gosse auf.“
„Und vom Geld keine Spur mehr“, sagte Dan.
„Keinen einzigen Copper“, versicherte Mac. „Später erfuhr ich, daß die Kerle Helfer von dem Wucherer waren. Aber ich kann es nicht beweisen. Sie nahmen mir das Geld wieder ab, und dann erschien der Kerl und verlangte es zurück, so, wie es vereinbart war.“
„Den Rest kann ich mir vorstellen“, sagte Hasard. „Du konntest natürlich nicht zahlen, er hat dich angezeigt, und der Büttel sperrte dich kurzerhand ein.“
„So war es“, sagte Mac traurig. „Inzwischen sind aus den vier Goldstükken schon sieben geworden, und mit jedem Tag wächst der Berg weiter an. Mein Traum von einer eigenen Kneipe war zu Ende, und aufs Schiff konnte ich natürlich auch nicht mehr.“
„Und wie lange bist du schon hier, Mac?“
„Das müssen jetzt ungefähr vier Monate sein, vielleicht auch etwas länger, man zählt die Tage ja nicht mehr.“
Nein, man zählte die Tage hier nicht mehr, dachte Hasard wie betäubt. Jene, die hier hockten, zählten gar nichts mehr, denn seit sie mit Mac sprachen, hockten die anderen noch genauso apathisch herum wie vor einer Weile. Nichts interessierte sie mehr, sie waren ohne Hoffnung und dachten nicht mehr an morgen.
„Dann sitzt du hier ja noch bis zur nächsten Steinzeit“, sagte Dan.
„Und noch länger wahrscheinlich, weil das ein verdammter Teufelskreis ist. Die Kerle geben einem ja keine Chance zum Arbeiten. Meinetwegen würde ich Müll durch die Gegend kutschieren, aber sie haben Angst, daß man heimlich verschwindet.“
Das sind nun wahrhaftig mehr als trübe Aussichten, überlegte Hasard. Aus dieser Mühle kam Mac Pellew nie wieder heraus. Wer hier einmal gemahlen wurde, von dem blieb nur noch grobes Schrot übrig.
Hasard wechselte mit Dan O’Flynn einen schnellen Blick. Klar, da gab es gar keine Frage. Einen alten Kameraden ließ man nicht im Schuldturm hängen, schon gar nicht unter diesen üblen Umständen. Sie waren sich schon durch diesen Blick einig. Aber davon hatte Mac nichts mitgekriegt.
„Wir haben unser Schiff verloren“, sagte Hasard. „In einem Kanal liegt es unter Sandmassen begraben. Jetzt haben wir uns nach England durchgeschlagen und legen bei Ramsgate ein neues auf. Das soll natürlich größer und besser werden als die alte ‚Isabella‘, aber es dauert noch eine Weile, bis es fertig ist. Wir haben da ein paar Schwierigkeiten.“
Mac Pellew sah den beiden starr in die Augen.
„Wenn ich euch irgendwie helfen kann“, sagte er zaghaft, „dann würde ich es gern tun. Aber wenn ihr schon Schwierigkeiten habt, wo ihr doch eine Crew aus Eisen seid, da kann ich erst recht nichts ausrichten. Was sind denn das für Schwierigkeiten?“
„Ich glaube du hast mehr am Hals als wir, also später davon. Aber eine Frage wollte ich dir stellen, Mac: Wir könnten einen tüchtigen Mann brauchen, einen, der dem Kutscher in der Kombüse zur Hand geht, denn allein schafft der das bald nicht mehr. Wenn du Lust hast, bei uns zu fahren, dann holen wir dich hier raus.“
„He, Mac, gib Antwort“, sagte Dan. „Oder hast du plötzlich die Sprache verloren?“
Mac gab aber immer noch keine Antwort. Er konnte keine geben, weil in seinem Hals ein gewaltig aufgeblähter Frosch hockte, und der strampelte anscheinend auch noch mit den Beinen, denn Macs Adamsapfel war in wilder Bewegung. Es dauerte sehr lange, bis er wieder einigermaßen ruhig sprechen konnte. Dabei stand ihm aber das Wasser immer noch in den Augen.
„Das wollt ihr wirklich tun?“ fragte er ungläubig. „Ich will das Geld ja auch gern abarbeiten, Tag und Nacht, aber dazu brauche ich ein paar Jahre. Aber fahren würde ich gern mit euch.“
„Du kannst ja ein paar Jahre an Bord bleiben“, sagte Hasard. „Und du zahlst es einfach dann zurück, wenn wir den nächsten Don ausgenommen haben. Früher oder später wird das sicher der Fall sein.“
„Mein Gott“, sagte Mac immer wieder, „mein Gott, womit habe ich das nur verdient?“
„Weil du ein ehrlicher Kerl bist“, sagte Hasard. „Du bist unverschuldet in diese Lage geraten. Jedem kann so was passieren, das ist noch lange keine Schande.“
„Wo muß man dich denn auslösen?“ fragte Dan.
„Bei der Kämmerei“, heulte Mac los und schniefte wieder. „Aber es ist doch so verdammt viel Geld.“
„Klar ist es das“, meinte Dan trokken, „sonst würdest du ja auch nicht hier sitzen. Wir sind gleich wieder zurück, Mac.“
Mac Pellew konnte sein Glück nicht fassen. War das nun Schicksal, ein Wunder oder ein Zufall? überlegte er immer wieder. Er blieb stehen, lehnte sich an das Gitter und schämte sich nicht, daß ihm ein paar Tränen über die Bartstoppeln liefen.
In der Kämmerei bezahlte Hasard bei einem mürrischen Burschen sieben Golddublonen und ließ sich eine Quittung geben.
„Ich weiß nicht, ob Sie da ein gutes Geschäft abgeschlossen haben“, sagte der Mann. „Der Kerl sieht doch aus, als sei er keine halbe Dublone wert.“
„Ich habe Sie nicht um Ihre Meinung gefragt“, erwiderte Hasard eisig. „Hier ist das Geld, und dafür kriege ich den Mann. Alles andere geht Sie einen Dreck an. Bringen Sie den Mann jetzt raus.“
Das war kurz und bündig. Der Büttel schluckte, wollte etwas erwidern, sah aber die eisigen Augen und schwieg lieber. Mit dem schwarzhaarigen Riesen war nicht gut Kirschen essen, das sah man auf den ersten Blick. Und der andere neben ihm sah auch so aus, als könne er kein Wort zuviel vertragen.
Also ging er los, um Mac Pellew zu holen. Der stand verlegen vor ihnen und bedankte sich immer wieder, bis Hasard abwinkte.
„Schon gut, Mac, beruhige dich jetzt wieder und hör auf zu flennen. Und vergiß die vier Monate, wenn du kannst.“
„Danke, Sir“, stammelte Mac tief bewegt.
Während sie hinausgingen, sah der Seewolf den ehemaligen Koch der „Marygold“ noch einmal genau an.
„So kannst du nicht herumlaufen, Mac, du siehst furchtbar aus. Hier hast du etwas Geld. Damit gehst du zu dem Bader da drüben, läßt dir die Haare schneiden und dich rasieren. Wenn du das erledigt hast, gehst du zu dem Leineweber, kaufst dir Hose und Hemd und suchst dir danach bei dem Schuster ein Paar Schuhe aus. Anschließend gehst du in die Kneipe am Marktplatz, in den ‚Red Lion‘. Dort warten wir auf dich und bestellen dir inzwischen ein kräftiges Mittagessen. Dann gehen wir an Bord, und du wirst die anderen wiedersehen.“
„Sir, das kann ich nicht …“
Mac Pellew wand sich vor Verlegenheit, bis Hasard ihn durchdringend ansah.
„Willst du gleich am ersten Tag meutern, Mac?“
„Nein, Sir, aye, aye!“ brüllte Mac, und weg war er.
„Der fühlt sich bestimmt wie neugeboren“, sagte Dan. „Muß schon ein verdammt lausiges Gefühl für den guten Mac gewesen sein. Und den Bauch kann er sich bestimmt auch seit sehr langer Zeit wieder mal richtig vollschlagen.“
„Bin gespannt, was die anderen sagen“, meinte Hasard.
„Die nehmen ihn sicher mit offenen Armen auf“, erklärte Dan. „Sogar mein Alter wird erfreut sein, wenn er die Geschichte hört. Aber ich glaube, er kennt Mac gar nicht. Aber für den Kutscher ist er ganz sicher eine große Hilfe.“
Vor dem „Red Lion“ standen zwei Pferdefuhrwerke. Die Gäule ließen die Köpfe hängen und standen da wie angenagelt. Den beiden Kutschern in der Kneipe ging es nicht viel anders. Sie hatten Humpen mit Dünnbier vor sich stehen und starrten auf die Platte. Nach ihrem stumpfen Blick zu urteilen, waren es schon etliche Humpen.
Hasard bestellte beim eilfertig heranwieselnden Wirt drei kräftige Mahlzeiten, dazu ebenfalls kühles Dünnbier, das der Wirt aus dem Keller holte. Die drei Mahlzeiten für zwei Personen gaben dem Wirt zwar anfangs ein Rätsel auf, doch später begriff er.
Es war, als hätte Mac es gerochen. Kaum stand das Essen auf dem Tisch, erschien er, und diesmal grinste der alte Sauertopf bis über beide Ohren.
Hasard und Dan blickten ihn lange an.
Mac war frisch rasiert, gebadet, hatte die Haare geschnitten, trug ein sauberes Leinenhemd und eine Leinenhose. Dazu hatte er sich ein Paar derbe Lederschuhe gekauft. Sie kannten ihn kaum wieder, so sauber und glatt sah er aus.
„Mann, bist du ein feiner Kerl geworden“, lästerte Dan, um nicht wieder in Macs Danksagungen ersticken zu müssen. „Frisch geplättet, frisch rasiert und keine einzige Laus im Gesicht.“
Mac grinste noch immer, das war bei ihm zwar reichlich ungewöhnlich, aber die Umstände waren nun einmal so.
„Recht so, Mac“, sagte Hasard. „Du siehst wirklich prächtig aus. Hier, nimm dir einen Humpen Bier und lang zu. Wenn das Essen nicht reicht, dann bestelle ich noch mal eine Portion.“
„Sir, ich weiß nicht …“, setzte Mac wieder an.
„Greif zu!“ forderte Hasard ihn auf. „Vom vielen Dankeschönsagen ist noch keiner satt geworden.“
Dann haute Mac rein. Man sah, daß er ausgehungert war weil es im Schuldgefängnis nichts weiter als ein Stück Brot und eine undefinierbare Brühe gegeben hatte.
„Ein Traum ist das“, sagte Mac Pellew anschließend, nachdem er sich satt gegessen hatte. „Ich kann es immer noch nicht so richtig glauben, es ist so unwirklich.“
Etwas später brachen sie auf und kehrten zum Hafen zurück, wo die „Pride of Galway“ und Ben Brightons Sambuke lagen.
4.
Der Profos Edwin Carberry stierte sich fast die Augen aus. Anfangs hatte es so ausgesehen, als hätten Hasard und Dan den alten Hesekiel Ramsgate gefunden und brächten ihn nun zurück. Aber Ramsgate unterschied sich von diesem Mann doch beträchtlich, und so stierte der Profos weiter. Dann zuckte er zusammen.
„O Großlord“, sagte er andächtig und grinsend, „wenn das nicht der alte Affenarsch und Sauertopf Mac Pellew ist, dann soll mich doch gleich ein Eisbär am Hintern kratzen.“
„Mac Pellew?“ fragte Smoky. „Der hat sich doch längst in Essig verwandelt, du mußt dich täuschen, Ed.“
„Und ich sage euch, er ist es, ihr trübäugigen Kanalratten.“
Gespannte Gesichter sahen den drei Männern entgegen. Es gab jetzt keinen Zweifel mehr: Das frisch gewaschene Individuum war tatsächlich der gute alte Mac. Wo mochte Hasard den wohl aufgegabelt haben? Das war die Frage, die sich jeder neugierig stellte.
Sie alle hatten ihn viele Jahre lang nicht mehr gesehen, und keiner wußte, was aus ihm geworden war. Und jetzt war er da, frisch wie aus dem Ei gepellt, schicklich in helles Tuch gekleidet und mit gestutzten Haaren.
Er winkte schon von weitem, riß dann beide Arme hoch und brüllte schließlich vor Freude. Dabei schniefte er ständig und konnte nicht vermeiden, daß abermals Wasser in seine Augen trat.
„Ah, der Profos“, flennte er und umarmte Carberry. Die meisten von ihnen kannten sich noch von der „Marygold“ her, und Mac flitzte hin und her, flennte, umarmte, hockte sich dann an Deck und begrüßte die Männer, die er noch nicht kannte.
Dann erzählte er seine Geschichte, und als er damit fertig war, sagte der Profos: „Mac könnte doch an Bord bleiben, Sir. Wenn wir den Neubau fertig haben, brauchen wir noch einen guten Zweitkoch. Und kochen kann der alte Bursche, wirklich.“
„Deshalb haben wir ihn auch mitgenommen“, sagte Hasard. „Dasselbe schwebte nämlich Dan und mir ebenfalls vor.“
Damit war Mac Pellew in den Kreis alter und neuer Freunde aufgenommen. Anschließend lernte er die Zwillinge kennen und erfuhr auch die Geschichte dazu.
„Die sind dir wie aus dem Gesicht geschnitten, Sir“, sagte er, „das ist einfach unglaublich.“
Hasard beobachtete seine Söhne, ob sich auf deren Gesichtern Ablehnung abzeichnete, doch davon war nichts zu erkennen. Anders als bei dem alten Schlitzohr Ali Abdel Rasul, dem sie sofort mit allergrößtem Mißtrauen begegnet waren, benahmen sie sich. Sie waren freundlich, musterten Mac und fanden ihn in Ordnung. Auch Old Donegal hatte diesmal nichts auszusetzen, aber er glaubte, Mac Pellew schon einmal gesehen zu haben. Sicher war er sich seiner Sache allerdings nicht. Und wenn, dann war das schon verdammt lange her.
Nach und nach erfuhr Mac Pellew so alles, was in der Zwischenzeit passiert war, und er erfuhr auch, daß sie ein kleines Problem am Hals hatten, das ihnen Schwierigkeiten bereitete.
„Jetzt ist dieser Mann spurlos verschwunden“, beendete Ferris Tucker die lange Erklärung.
„Ramsgate kenne ich gut“, sagte Mac, „schon eine Ewigkeit, und Plymouth kenne ich bis in den letzten Winkel. Vielleicht hat man ihn aus irgendwelchen Gründen doch umgebracht und seine Leiche verschwinden lassen.“
Der Kutscher, Matt Davies, Smoky, Ben Brighton, Blacky, Bob Grey, Roskill, Bill, Roger Brighton, Finnegan, der alte Segelmacher Will Thorne, fast alle hockten sie herum und erzählten. Auf der „Pride of Galway“ herrschte eine beängstigende Enge, als alles an Deck versammelt war.
Dann erwies sich etwas später, welchen Goldfisch sie mit Mac Pellew an Bord gezogen hatten.
Nachdem die Begrüßungsfreude und das Erzählen wieder normales Maß angenommen hatten, wurde Pellews Gesicht zusehends faltiger und erinnerte sie wieder an den alten, ewig grämlichen Mac Pellew, auf dessen Schultern alle Last dieser Welt ruhte.
Er kratzte sich das sauber rasierte Kinn und sah mit Leichenbittermiene auf die Planken des Schiffes.
„Wenn sie den alten Hesekiel nicht umgebracht, sondern nur versteckt haben“, sagte er, „dann kenne ich eine Ecke, wo man jemanden unauffällig verbergen kann. Ich weiß ja nicht, wer dahintersteckt, ob es ein oder mehrere Kerle sind, aber das ist schließlich egal.“
„Dann sag schon, was du vermutest, Mac“, sagte Blacky, der früher ebenfalls auf der „Marygold“ gefahren war.
„Hm, ist nur ’ne Vermutung“, murmelte Mac und kratzte sich wieder das Kinn, weil er sich an die frische Rasur noch nicht gewöhnt hatte.
„Dann sag doch endlich deine Vermutung“, sagte Smoky.
Der ehemalige Koch sah die Männer der Reihe nach an. „Wie gesagt, es ist nur ’ne Vermutung.“
„Himmel“, sagte Carberry lachend, „jetzt brummelt er wieder genauso rum wie damals bei Drake. Verdammt, deine Vermutung ist vielleicht eine Menge Geld wert, Mac.“