Seewölfe Paket 15

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An Land wurden Lampen entzündet. Leute erschienen, verschlafen und entnervt von dem plötzlichen Gedonner.
Das alles hatte der Lange einkalkuliert. Klar, daß dieser Feuerzauber nicht unbemerkt blieb, aber den ehrenwerten Sir Lawrence, den hatte er nicht auf der Rechnung gehabt. Und dieser wilde Fuchs würde natürlich alles daransetzen, um die Kerle zu kriegen die da sein stolzes Schiff mitten in der Nacht heimtükkisch und hinterhältig zusammenschossen und zu Trümmern verarbeiteten. Sir Lawrence hatte Verbindungen bis zum Hofe. Solch einem Mann schoß man nicht ungestraft die Galeone zusammen.
Daher war es nur verständlich, daß sich die Wut und der Ärger jetzt auf Burton und Bromley konzentrierten. Dem Exhauptmann war das Absingen von Heldenliedern gründlich vergangen, und Burton fühlte sich schlicht und einfach von Leuten bedroht, die in seinen Diensten standen und ihm jetzt ans Leder wollten.
Daher lenkte er rasch ein.
„Ich kann mich ja auch irren“, sagte er hastig. „Vielleicht war es doch ein anderes Schiff. Aber wir müssen jetzt eisern zusammenhalten, Leute, und keiner darf auch nur andeuten, daß er etwas von heute nacht weiß.“
Der Lange lachte verächtlich. Er segelte wie der Teufel persönlich.
„Ja, glaubst du Blödmann denn, wir werden das an die Kirchenglokken von Plymouth hängen! Wir setzen den Kahn jetzt auf, gleich da vorn, unter vollem Preß, und dann verschwinden wir ganz zackig in der Nacht. Wo ihr hingeht, ist mir scheißegal, aber folgt uns ja nicht. Verkriecht euch lieber in eine andere Gegend.“
Burton verstand die drastische Sprache nur allzu gut. Sie konnten wirklich noch froh sein, von den Kerlen nicht umgebracht zu werden.
Das war nun der Dank für eine große Sache!
„Klar, das tun wir“, versicherte er schnell. „Es soll auch euer Schaden nicht sein. Ich werde mich erkenntlich zeigen.“
„Mit dir wollen wir nichts mehr zu tun haben, du Fettkloß“, rief ein Mann mit kantigem Gesicht. „Halt besser die Schnauze und sieh zu, daß du nachher ganz schnell deine Gräten in die Hand nimmst.“
Die Nacht war jetzt rabenschwarz. Weit hinten an der Werft aber zuckte immer noch der Lichtschein durch die Nacht, und vom Hafen her war Gebrüll zu hören. Sie segelten unter vollem Preß ins Nichts hinein. Burton sah voraus nicht einmal mehr die Hand vor Augen. Zitternd und weiß vor grenzenloser Wut und Enttäuschung stand er an Deck und dachte über sein Pech nach. Bromley sagte auch nichts mehr, der hatte die Hosen gestrichen voll vor Angst.
Der Kerl am Kolderstock aber schien Augen wie ein Luchs zu haben. Er segelte so hart, als befinde er sich mitten in einem Ozean. Dann ließ er ganz plötzlich den Kolderstock los und warf sich auf die Planken. Burton und Bromley standen noch wie versteinert herum. Dann wurde die Galeone plötzlich von einer mächtigen Faust gestoppt. Von einer Sekunde zur anderen stand sie still, als sei sie in eine Mauer gerannt.
Burton sauste wie eine Kanonenkugel über das Deck und schlug schwer auf. Er schlug sich die Nase an den Planken blutig und spürte, wie eine zweite Gestalt aufschreiend in seinem Kreuz landete. Das war der Exhauptmann Mark Bromley, der ebenfalls nichts von der Seefahrt wußte. Vor allem nicht, daß man sich in einem solchen Fall vorsorglich einen festen Halt verschafft.
Zum Glück war Burton fleischig und massig, und so passierte Bromley nicht viel. Burton selbst hatte da wesentlich mehr abgekriegt.
Etwas brach mit berstendem Knall, Kerle schrien und fluchten in der übelsten Weise, und dann knallte etwas an Deck, was sich so anhörte, als würde ein Wald gerodet. Ein dumpfes Rauschen, dann deckte ein schweres, feuchtes Segel die beiden Kerle zu, die darunter zappelten und angstvoll schrien.
Burton konnte sich schließlich befreien und zog den zähneklappernden Exhauptmann unter dem Segel hervor.
„Hallo!“ schrie er dann. „Wo seid ihr?“
Damit meinte er die anderen. Aber die hatten nicht auf ihn gewartet, sondern die Zeit genutzt. Sie waren über Bord gesprungen, hatten die Beine in die Hand genommen und waren losgelaufen. Burton und Bromley befanden sich allein auf einem verlassenen Schiff.
Bromley fluchte wild, rannte umher, stieß sich den Schädel und fluchte weiter.
„Schrei nicht so!“ fuhr Burton ihn an. „Die hören dich ja bis zur Werft. Wo sind wir hier überhaupt?“
„Keine Ahnung“, jammerte Bromley. „Ich glaube, wir sind mitten auf einer Wiese gelandet. Wie – wie steigen wir denn hier aus?“
„Rutschen“, sagte Burton lakonisch. „Der Kahn liegt ja ganz schief. Vielleicht können wir vorn hinunterrutschen.“
Sie konnten aber nicht rutschen, und so hangelten sie sich über das Schanzkleid, ruderten und zappelten mit den Beinen, fanden aber keinen Grund.
Da ließ Burton sich einfach fallen. Mit einem Aufschrei landete er der Länge nach im Wasser. Bromley schlug wie ein nasser Sack direkt neben ihm ein. Er erhob sich torkelnd, tastete nach Burtons fleischiger Hand und zog ihn mit sich.
Das Wasser wurde immer tiefer. Erst ging es ihnen nur bis zu den Knien, jetzt reichte es schon fast bis zur Brust.
„In die andere Richtung, du Hammel!“ fluchte Burton. „Und laß mich endlich los, mir reicht es.“
„Wo sind denn nur die anderen?“ fragte Brommley immer wieder. „Die hätten doch noch warten können.“
Burton gab keine Antwort. Er fühlte sich hundeelend, ihm war übel, sein Körper schmerzte, und der Ärger fraß ihn fast auf.
„Wir hätten das anders anpacken sollen“, keuchte er, als er endlich an Land war. „Ich weiß nicht, wie die anderen das immer schaffen, aber bei mir geht alles schief. Los, da hinüber, über den Strand, Mark!“
„Bei mir geht auch immer alles schief“, jammerte Bromley. „In dem stinkigen London hat es angefangen, und kaum bin ich wieder frei, muß ich weitere Qualen erdulden. Ist das denn gerecht, Samuel?“
„Nein, gewiß nicht“, knurrte Burton.
Sie humpelten über den Strand und bemitleideten sich gegenseitig.
Hinter den Büschen begannen sie zu rennen.
„Wir hauen uns in den alten Schuppen auf der Wiese hinter meinem Haus“, sagte Burton. „Da sucht uns niemand, falls sie herauskriegen, wer das war.“
„Mir ist alles egal, Samuel.“
„Mir nicht. Weiter jetzt!“
Dann verschluckte sie die Dunkelheit.
10.
Kurze Zeit vorher.
Auf der Sambuke von Ben Brighton wie auch auf der „Pride of Galway“ hatten die wachegehenden Seewölfe den Segler zwar bemerkt, doch der war weit entfernt, und es war nicht ungewöhnlich, daß nachts ein Schiff vorbeisegelte.
Dann aber war alles ziemlich schnell gegangen, der Feuerzauber, der Donner und die Einschläge auf der Werft.
Hasard ließ die kleine Jolle bemannen und segelte zur Werft hin über. Dort hatten sich schon einige Leute und Arbeiter eingefunden, die den Brand schnell unter Kontrolle brachten.
„Das galt einwandfrei uns“, sagte Hasard, „ein neuer Anschlag von diesen beiden Halunken, nur haben sie das falsche Schiff getroffen. In die Galeone hat es mindestens fünfmal eingeschlagen. Da wird Sir Lawrence sehr erbost sein und Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die Kerle zu kriegen.“
„Es muß nur noch bewiesen werden“, meinte Dan O’Flynn, „und das dürfte gar nicht einmal so leicht sein.“
Die Galeone sah in der Tat erbärmlich aus. Überall ragten geborstene Planken aus dem Bauch des Schiffes heraus. Das Deck war aufgerissen, in der Bordwand klaffte ein riesiges Loch. Sie konnten nichts weiter tun, aber sobald es hell wurde, sollten die Aufräumungsarbeiten beginnen.
„Wir verholen nachher zur Werft“, sagte Hasard frostig, „damit das nicht noch einmal passiert. Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen, und wir decken ihn zu. Es ärgert mich, daß ich diesen Gedanken nicht schon früher hatte.“
Er blickte über den Hafen zur Sambuke hin, die wie ein kleines Spielzeug aussah. Ben Brighton hatte die Segel gesetzt, den Anker gehievt und segelte los.
„Er wird sie nicht mehr kriegen“, meinte Shane, „die Halunken haben sich längst abgesetzt und haben mindestens einehalbe Stunde Vorsprung.“
Ben Brighton unternahm den Versuch trotzdem. Die kleine, wendige Sambuke, mit der er vom Mittelmeer über den Atlantik bis nach England gesegelt war, bewegte sich schnell und leicht und glitt wie ein Schemen über das Wasser.
Am Horizont kroch jetzt ein fahler Schimmer hoch. Er segelte nicht mehr in die Nacht, sondern in den frühen Morgen hinein. Er wußte auch, daß er gegen die Übermacht nichts ausrichten konnte, aber es ließ ihm einfach keine Ruhe.
Etwas später entdeckten sie im fahlen Dämmerlicht die Galeone.
Ben ging in den Wind und hielt auf den Strand zu.
„Die ist unter vollem Preß da hinaufgejagt worden“, sagte er. „Wir gehen längsseits, obwohl ich kaum noch glaube, daß jemand an Bord ist.“
Al Conroy, Pete Ballie und Ben kletterten an Bord der schräg auf dem Strand liegenden Galeone. Ein Mast war zersplittert, die Segel hingen teilweise zerfetzt herunter, und auf dem Deck sah es wüst aus. Die Kanonen hatten sich losgerissen und einen Teil des Schanzkleides zerschlagen.
Das Schiff war bestenfalls noch ein Wrack.
Niemand war zu sehen, wie Ben ganz richtig vermutet hatte. Die Kerle hatten es hier hinaufgejagt und waren Hals über Kopf getürmt.
„Das ist doch der Eimer vom alten Patrick, der immer vor der Bucht am Strand lag“, sagte Al Conroy. „Oder täusche ich mich? Was fällt dem denn ein, hier …“
„Damit hat der alte Patrick nichts zu tun“, sagte Ben sehr bestimmt. „Das sieht mir eher so aus, als hätten sie ihm die Galeone geklaut und wären davongesegelt.“
Sie durchstöberten auch noch die Vorpiek, und da fanden sie zwei Männer, tot, erstochen.
„Diese Schweinehunde haben die Wachen umgebracht“, sagte Ben. „Damit ist wohl klar, daß der alte Patrick nichts damit zu tun hat. Laßt alles so liegen, damit sollen sich die Behörden befassen. Wir segeln wieder zurück.“
„Und die Spuren am Strand?“ fragte Smoky. „Die könnten vielleicht Aufschluß geben.“
Aber die Spuren verliefen sich nach etlichen hundert Yards, und so kehrte Ben mit der Sambuke zurück, um Hasard Bericht zu erstatten.
„Für mich steht fest, daß Burton und Bromley dahinterstecken“, sagte Hasard. „Sie haben eine Bande von Halsabschneidern angeheuert, um uns eins auszuwischen. Sie haben nur das falsche Schiff erwischt, und dieser Irrtum wird für sie hoffentlich noch Folgen haben.“
„Und wie sieht es auf der Werft aus?“
„Ziemlich viele Trümmer“, sagte Ferris Tucker. „Anfänger waren das nicht, das muß eine Horde von Piraten gewesen sein, so, wie die vorgingen.“
„Wir verholen zur Werft“, sagte Hasard. „Der Vorfall wird sich vielleicht nicht mehr wiederholen, aber sicher ist sicher. Und dann werden wir uns an die Behörden wenden.“
Noch am frühen Morgen gingen die „Pride of Galway“ und die kleine Sambuke ankerauf und legten sich dicht vor die Werft, um sie gegen weitere Zwischenfälle dieser Art abzuschirmen. Dann wurde auf Rame Head aufgeklart, und die Behörden von Plymouth schalteten sich ein.
Den alten Patrick traf keine Schuld. Er wußte noch gar nichts von dem nächtlichen Geschehen, außerdem war er noch so voll, daß er gar nicht richtig begriff, was geschehen war.
Die beiden Toten wurden geborgen und beigesetzt, dann begann die Suche nach den Halunken. Aber weder Hasard noch irgend jemand konnte einen Beweis erbringen, daß Burton und Bromley dabei die Hände im Spiel hatten. Außerdem waren die beiden Gauner wie vom Erdboden verschwunden.
Auch die Helfershelfer blieben verschollen und hielten wohlweislich ihr Maul. Ebenso kriegte man auch von den diversen Hafenwirten kein einziges Wörtchen heraus, denn wenn Sir Lawrence der Geschädigte in diesem Fall war, so wußte jeder, daß dann gleich der Galgen in Aktion trat, und das wollte niemand riskieren.
Burton und Bromley hielten sich jedoch immer noch in Plymouth auf.
Sie hockten weit außerhalb der Stadt in einem alten Pferdestall und wollten abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen war. Sie hatten sich einigermaßen wieder beruhigt.
„Wir sind einfach nicht die Kerle dazu“, sagte Burton niedergeschlagen, aber doch vom Haß auf den Seewolf beseelt. „Wir packen es zu dilettantisch an. Die Kerle sind für uns eine Nummer zu groß. Du hast doch immer so tolle Ideen, Mark. Vielleicht läßt sich doch noch eine davon durchführen. Wir können sie ja mal durchsprechen.“
Bromley hockte schweigend auf einer umgestülpten Futterkrippe und dachte nach.
Nein, alle Ideen, die er hatte, taugten nichts, doch etwas später hatte er einen Geistesblitz.
„Ich kenne einen Mann in Falmouth“, sagte er nachdenklich, „der haßt den Seewolf fast noch mehr als wir. Weißt du, wen ich meine?“
„Keine Ahnung, Mark.“
„John Killigrew, du kennst ihn doch. Sir John Killigrew von der Festung Arwenack in Falmouth.“
„Mann, verdammt“, sagte Burton und sprang erregt auf. „Na klar, John Killigrew. Die beiden haben noch eine Rechnung offen, das weiß ich.“
„Wir müssen ihm das nur recht schmackhaft servieren“, meinte Bromley listig, „dann beißt das alte Schlitzohr ganz sicher an. Wir müssen ihm was von vielen Schätzen erzählen, von großer Beute. Der Mann hat die Möglichkeit, den Seewolf zu erledigen, wir selbst sind dazu eine Nummer zu klein.“
„Zehn Nummern zu klein“, verbesserte Burton. „Das ist eine tolle Idee, Mark. Deine beste überhaupt. Das wird ein richtiges Volksfest geben; ich kenne den alten Burschen, der hat sich damals gerade noch rechtzeitig in die Irische See verholt, als wir aufflogen. Dem kann so schnell keiner was. Los, wir hauen gleich ab, ich besorge zwei Pferde, und heute nacht reiten wir zur Feste Arwenack.“
So geschah es dann in der folgenden Nacht. Zwei dilettantische Schlitzohren ritten los nach Falmouth, um den Herrn von Arwenack Castle in Stimmung zu bringen. Was sie selbst nicht schafften, so hofften sie jedenfalls, würde der alte Killigrew schaffen.
In ihren Herzen war wieder Hoffnung, als sie losritten, und sie rieben sich vergnügt die Hände …

1.
Falmouth, Ende Juli 1592.
Die beiden Männer, die an diesem Abend von Osten her Falmouth erreichten, waren keine guten Reiter. Vor allem der eine von beiden hing mehr im Sattel, als daß er saß. Er wirkte wie eine dicke fette Kröte, die aus purem Zufall auf ein Pferd geraten und aus Angst, hinunterzufallen, dort hocken geblieben war.
Dieser Mann hieß Samuel Taylor Burton. Er war einmal Friedensrichter in Plymouth gewesen – eine sehr noble Bezeichnung für einen Kerl, der korrupt bis auf die Knochen war, was ihm letztlich auch das Genick gebrochen hatte. Damals, 1580, hatte er sich an der Schatzbeute eines gewissen Philip Hasard Killigrew und einer Seewölfe bereichern wollen, allerdings an einer Schatzbeute, die der königlichen Lissy zugedacht gewesen war. Nur der Schlaganfall, den er damals erlitt, rettete ihn vor schwerem Kerker, wenn nicht vor dem Galgen. Jahre hatte er geraucht, um sich wieder zu erholen. Seitdem fischte er im trüben – jetzt zum Beispiel auch wieder.
Der andere Reiter blickte auf eine ähnliche Vergangenheit zurück, allerdings ohne Schlaganfall, dafür aber hatte er die Jahre von 1580 bis 1590 im Londoner Kerker verbringen dürfen, was seine schwarze Seele jedoch keineswegs geläutert hatte.
Dieser Mann war der ehemalige Tower-Hauptmann Mark Bromley, der die Absicht gehabt hatte, die für die Königin bestimmte Schatzbeute der Seewölfe schlicht zu unterschlagen und selbst einzusacken. Er war von Philip Hasard Killigrew entlarvt worden. Man hatte ihn degradiert und in den Kerker geworfen. Die zehn Jahre hinter Eisenstäben waren ihm auf den Geist gegangen.
Vor zwei Jahren war er nach der Verbüßung der Kerkerstrafe in Falmouth aufgetaucht. Dort hatten die Killigrews auf der Feste Arwenack ihren Stammsitz. Ah! Seine Hoffnung war gewesen, sich in Falmouth nach dem „Bastard“ Killigrew umzuhorchen. Aber man wußte nichts von ihm – oder nur so viel, daß er von der Königin zum Ritter geschlagen worden war und maßgeblich an der Vernichtung der Armada teilgenommen hatte. Man sprach mit Achtung und Stolz von Sir Hasard, dem Seewolf. Das ist ein Mann, hatten die Leute von Falmouth gesagt, ein Kerl wie Samt und Seide – anders als die Sippschaft von Ferkeln da oben auf Arwenack, ganz anders, jawohl.
Das war keine Musik in Mark Bromleys Ohren gewesen, im Gegenteil. Sein früheres Nußknackergesicht, jetzt hager und von vielen Falten durchzogen, hatte sich bei solcher Kunde verzogen, als leide er mächtig unter Zahnweh. Und in seinen Augen hatte es merkwürdig geflackert. Es war der Haß, der diesen degradierten Offizier auffraß. Dann natürlich war er unschuldig bestraft worden, Unrecht war ihm geschehen, fürchterliches Unrecht, das nach Rache schrie!
Genau diese Gedanken hatten ihn unablässig in den zehn Kerkerjahren beschäftigt und dahin gebracht, sich gar für einen Märtyrer zu halten. Folglich war nicht er der Schurke, sondern der Bastard Killigrew, dem er die zehn Jahre Kerker zu verdanken hatte.
Insofern hatten sich im Kopf des Mark Bromley Spinnengewebe angesiedelt, die ihm den Geist verhängten.
Im übrigen hatte er sich mit Samuel Taylor Burton, dem ehemaligen Friedensrichter, zusammengetan, und sie betrieben gemeinsam dunkle Geschäfte. Natürlich waren sie Ehrenmänner. Sie agierten aus dem Hintergrund und brauchten sich nicht die Finger zu beschmutzen, weil ihnen die Zunft der Galgenvögel und Schnapphähne dienlich war. Außerdem verfügten sie über ein Netz von Spitzeln. Am meisten verdienten sie am Verkauf von Waffen, die sie aus dunklen Kanälen bezogen und in gleiche dunkle Kanäle verschoben. Zu ihren Abnehmern zählten irische Rebellen, Räuberbanden und Piraten. Daß es ihnen schlecht ging, hätte man nicht sagen können. Wer im Gewerbe eines Hehlers tätig war – von dem man sagt, daß er schlimmer als der Stehler sei –, hatte noch nie gedarbt.
Dem ist nur noch hinzuzufügen, daß sie beide nach wie vor geradezu versessen darauf waren, Besitz an sich zu raffen. Sie waren geldgierig. Diese Gier hatte den einen die Position des Friedensrichters und den anderen die Hauptmannswürde gekostet. Gleichviel waren ihre Finger klebrig geblieben.
Jetzt ritten sie in einer gemeinsamen Sache nach Falmouth, einer Sache, die ihnen so dringlich war, daß sie ihre Pferde nahezu zuschanden getrieben hatten. Der fette ehemalige Friedensrichter wäre zwar lieber mit der Kutsche gereist, aber die Fahrt hätte zu lange gedauert.
Mit Schweißflocken bedeckt, das Fell naß und schmutzig, die Köpfe hängend, so wankten die beiden Pferde durch die Straßen von Falmouth und wurden von ihren Reitern zur Feste Arwenack gelenkt.
Einige der Bürger erkannten in dem hageren Reiter die Person des Mister Bromley, den sie für etwas verrückt hielten und von dem niemand genau wußte, was er eigentlich so betrieb – mit Ausnahme der Kenntnis, daß er viel in Wirtshäusern und Spelunken herumsaß und Geld verlieh, das er dann mit Wucherzinsen zurückverlangte.
Den gleichen Nebenerwerb betrieb auch Samuel Taylor Burton in Plymouth, wo er unter anderem einen gewissen Mac Pellew in den Schuldturm gebracht hatte. Der würde jetzt noch dort sitzen – jetzt und bis in alle Ewigkeit –, wenn nicht der Zufall in der Person Philip Hasard Killigrews mitgespielt hätte, der den ehemaligen Koch der „Golden Hind“ ausgelöst und beschlossen hatte, ihn in seine Crew aufzunehmen.
Diese Maßnahme hatte sich sofort ausgezahlt, denn durch ihn hatten die Seewölfe erfahren, daß die beiden Schurken Burton und Bromley noch lebten und schon wieder kräftig dabei waren, Unheil zu stiften. Denn sie steckten hinter den Anschlägen auf die Werft des alten Hesekiel Ramsgate, wo die neue „Isabella“ auf Kiel lag.
Der letzte Anschlag dieser beiden sauberen Gentlemen hatte wiederum der neuen „Isabella“ gegolten, war aber in die Hose gegangen, weil der Breitseitenbeschuß mittels einer gestohlenen Galeone nicht die „Isabella“ auf der Helling, sondern ein anderes Schiff getroffen hatte.
Das hatte den Haß Burtons und Bromleys nur noch geschürt und sie auf weitere Rache sinnen lassen. Und da war der düstere Bromley mit seinem von Spinnweben verhangenen Geist auf die Idee verfallen, daß es gut sei, noch einen bestimmten Bundesgenossen hinzuzuziehen, einen Mann, den man als Experten für ganz böse Schurkereien bezeichnen konnte und zudem auch noch zu den eingeschworenen Feinden des Seewolfs und seiner Meute zählen durfte.
Dieser Mann war kein geringerer als Sir John Killigrew, Burgherr auf Arwenack, Vizeadmiral von Cornwall, Schlitzohr und Schnapphahn zur See – und Hasards Stiefvater.
Natürlich bestanden zwischen Hasard und den Killigrews keine blutsmäßigen Familienbande, und nur Lady Anne Killigrew, die Ehefrau Sir Johns, hatte zu Hasard eine innige Beziehung entwickelt, obwohl sie es eigentlich gewesen war, die verhindert hatte, daß das etwa einjährige Söhnchen eines gewissen Godefroy von Manteuffel, Edelmann aus Pommern, und einer gewissen spanischen Edeldame Graciela de Coria dorthin transportiert wurde, wohin es die Familie der de Corias abzuschieben wünschte, nämlich zu den Manteuffels nach Pommern.
Kurz, sie hatte in einer Neujahrsnacht vor über drei Jahrzehnten – Sir John war abwesend gewesen – von den Mannen der Feste Arwenack die Hansekogge „Wappen von Wismar“, die im Hafen von Falmouth Schutz vor einem Sturm gesucht hatte, überfallen und ausplündern lassen. Man hatte ihr zugetragen, die Kogge habe spanischen Wein in den Laderäumen, den sie besonders gern trank.
Sie war eine resolute, handfeste Frau aus der ebenso handfesten Piratensippe der Wolverstons, und darum hatte sie eben zupacken lassen, als die vom Sturm gerupfte Kogge Falmouth anlief. Niemand von der Besatzung war am Leben geblieben – nur das kleine Bündel von Menschlein, das man im Frachtraum entdeckte.
In einer Anwandlung von Mütterlichkeit hatte sich Lady Anne entschlossen, das „Findelkind“ am Leben zu lassen und als vierten „Killigrew“-Sohn aufzuziehen. Er war auf den Namen Philip Hasard getauft worden.
Dieser Philip Hasard hatte sich dann sehr erstaunlich entwickelt – für Sir John und seine eigenen drei Söhne war er der „Bastard“ gewesen, für Lady Anne hingegen ein Prachtjunge, von dem sie sich eingestand, daß sie ihn merkwürdigerweise mehr liebte als ihre drei Söhne.
Und je älter der „Bastard“ geworden war, desto mehr hatte sich herausgestellt, was er für ein Kaliber war. Jahr für Jahr hatte er mehr bewiesen, daß er intelligenter, härter, kampfstärker, tollkühner und charakterfester als seine Brüder war. Siebzehnjährig hatte er von Sir John seine letzte Ohrfeige empfangen und darauf jäh und wild reagiert.
Er hatte seinen Alten in das Hirschgeweih über dem Kamin gehängt und seine drei Brüder nach allen Regeln der Kunst verdroschen, als die den brüllenden und zappelnden Sir John aus dem Hirschgeweih bergen wollten.
Und er hatte verkündet, daß er jedem die Knochen brechen werde, der es wage, ihn noch einmal anzufassen.
Und dann war er eines Tages verschwunden und seinen eigenen Weg gegangen, um „hinter die Horizonte zu schauen“.
Eines Tages war er zurückgekehrt, als Seewolf bereits zur Legende geworden. Da fuhr er schon als Kapitän, und die Schatzbeute in den Frachträumen seines Schiffes war für die Königin bestimmt. Nur Sir John sah das anders und meinte, er könne dem „Bastard“ von der Beute was abzwacken. Und da hatte es wiederum Kleinholz gegeben – zum Nachteil Sir Johns und seiner drei Ferkelsöhne, versteht sich.
Später hatten noch mehr Zusammenstöße zwischen ihnen stattgefunden, und stets war Sir John dabei so richtig vierkant auf die Schnauze geflogen.
Einen Mordversuch an Hasard hatte Big Old Shane abgewehrt. Dabei hatte John Malcolm Killigrew, der älteste Sohn Sir Johns, sein ohnehin dreckiges Leben eingebüßt. Da zählte nicht, daß Big Old Shane in einer Notwehrsituation gewesen war, denn Hasard hatte mit einem Schädelbruch in der Koje gelegen, wehrlos und ohne Besinnung.
So bohrte und fraß auch heute noch der Haß in Sir John, und er war nach Ansicht der beiden Schurken Burton und Bromley genau der richtige Mann, den man brauchte, um den Seewolf in die Hölle zu befördern.










