Seewölfe Paket 15

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Darum also waren sie nach Falmouth geritten, ohne auf ihre Pferde Rücksicht zu nehmen.
Zwar bestand zwischen der Familie der Burtons, die in der kleinen Hafenstadt Marcet Jew südwestlich von Falmouth ansässig war, und den Killigrews seit Urväterzeiten eine Fehde, weil die Burtons den Killigrews die Vorrangstellung in Cornwall neideten, aber Samuel Taylor Burton kümmerte diese Fehde schon längst nicht mehr, und wenn es gegen den Seewolf ging, hätte er auch mit dem Teufel und seiner Großmutter paktiert.
Sie hatten befürchtet, Sir John könne abwesend sein, denn wann immer es ihn gelüstete, kehrte er dem Suff und den Weiberröcken den Rücken und segelte hinaus zu den Scilly-Inseln, jenem Gebiet, wo meist spanische Handelsfahrer auf dem Weg nach Irland aufkreuzten. Dort legte er sich auf die Lauer, der typische Wegelagerer zur See, um die „Reisenden“ auszuplündern.
Er war jetzt in den Sechzigerjahren, der alte Halunke, und alles, was an ihm böse war, hatte sich nicht geläutert, sondern eher verschlimmert.
Nun, die Wache am Burgtor, von der die beiden Reiter eingelassen wurden, zeigte nur ein schmieriges Grinsen, als sie fragten, ob Sir John anwesend und zu sprechen sei.
Er war anwesend, denn Licht fiel aus den Fenstern der Wohnhalle, und der Krach, der dort ertönte, war auch nicht zu überhören. In den Krach mischten sich das Kreischen von Weibern und das rohe Lachen von Männern.
„Anwesend ist Sir John“, sagte der Wachposten und behielt das schmierige Grinsen bei, „aber ob er gestört werden möchte, ist sehr fraglich.“
Samuel Taylor Burton rutschte mit Mühe aus dem Sattel, rieb sich den dikken Hintern und fuhr den Posten an: „Sagen Sie Sir John, zwei Gentlemen wünschten ihm mitzuteilen, daß ein gewisser Philip Hasard Killigrew wieder in Plymouth aufgetaucht sei, und die beiden Gentlemen hätten in dieser Angelegenheit dringend mit ihm zu sprechen. Haben Sie das verstanden, Kerl?“
Der Wachposten hatte bei der Nennung des Namens die Augen aufgerissen. Jetzt fragte er stotternd: „Etwa – etwa der Seewolf?“
Der hagere, etwas krummrückige andere Reiter zuckte zusammen, als der Wachposten das Wort „Seewolf“ aussprach. Er hörte es wohl nicht gern.
Und er sagte giftig: „Ja, der Bastard! Melden Sie das Sir John, verdammt noch mal! Wir haben keine Lust, hier lange herumzustehen.“
„Sehr wohl, Sir“, sagte der Wachposten und stiefelte zu den mächtigen Flügeltüren der Feste, wo wiederum ein Posten stand.
Den informierte er, der Posten nickte und verschwand im Inneren der Feste. Minuten später kehrte er zurück und winkte den beiden Besuchern zu. Ein Stallknecht erbarmte sich der Pferde, die breitbeinig und mit tief gesenkten Köpfen dastanden. Aus ihren Lungen drangen rasselnde Geräusche. Der Wachposten vom Burgtor konnte da nur mit dem Kopf schütteln. Er hätte nicht behaupten können, daß ihm diese beiden Gentlemen gefielen. Andererseits paßten sie zu John Killigrew, dem Burgherrn, in dessen Sold er stand.
Sold! Der Wachposten spuckte auf den hartgestampften Boden des Innenhofes. Da mußte man doch auf den Knien herumrutschen, um den zu kriegen. Aber für Weiber und Suff war immer Geld vorhanden – wie jetzt wieder. Und wenn der Burgherr volltrunken war, randalierte er auf der Feste herum, trat die Burgmannschaft in den Hintern, verteilte Prügel oder griff sich einen zu einem Spiel heraus, das er „Schweineklopfen“ nannte.
Da wurden so einem armen Burgknecht die Augen verbunden, er mußte sich bücken, empfing einen Stockhieb auf den Allerwertesten und sollte nun raten, wer ihn geschlagen hatte. Die ganze erlauchte Gästeschar samt der Weiber durfte sich an dem Spiel beteiligen. Da sie alle meist nicht weniger betrunken als der Burgherr waren, hatte der Burgknecht übel zu leiden. Der rohe Spaß der einen war der demütigende Schmerz des anderen.
Ja, so ging es zu auf der Feste Arwenack, und in und um Falmouth wurde so manche Hand zur Faust geballt, wenn zu nächtlicher Zeit der grölende Lärm aus der Feste drang und verriet, daß da oben mal wieder eine Orgie gefeiert wurde. Schandbar war das, von den Jungfrauen, die dabei ihre Unschuld verloren, gar nicht zu sprechen.
Der Wachposten spuckte noch einmal aus und schaute den beiden Besuchern nach, diesem so ungleichen Paar, was das Äußere betraf. Der Feiste mit den tückischen Augen und dem grauen Bart watschelte neben dem Hageren her, dessen Blick so merkwürdig flackernd war. Dieser Hagere stelzte wie ein Storch und hatte dabei auch den Rücken gerümmt, als suche er nach etwas freßbarem.
Ein Diener mit einem griesgrämigen Gesicht führte die beiden in die Burghalle, wo die Gastrunde am Toben war. Im Moment vergnügten sie sich damit, abgenagte Knochen in das prasselnde Feuer des riesigen Kamins zu werfen, dessen Haube ein gewaltiges Hirschgeweih zierte. Es stank bestialisch in der Halle. Aber bei Sir John ging es bei solchen Gelagen immer mit Hemdsärmeln zu, je vulgärer, desto lustiger.
Der lange Eichentisch mit der dikken Bohlenplatte stand mit der Schmalseite zum Kamin, so daß die Gentlemen und die Ladys, die keine waren, sich nicht umzudrehen brauchten, um ihre Würfe auszuführen, mit denen Sir John, an der entfernten Kopfseite sitzend, angefangen hatte. Er hatte das beste Schußfeld.
Nur Simon Llewellyn Killigrew, nach dem Tode seines älteren Bruders John Malcolm nunmehr späterer Erbe von Arwenack, der seinem Vater an der anderen Kopfseite gegenübersaß, hätte sich umdrehen müssen – und die Schlampe neben ihm genauso –, aber das konnten sie nicht, weil sie den Knochen ausweichen mußten, die an ihnen vorbei zum Kamin flogen. Traf ein Knochen nicht ins Feuer oder prallte vom Kamin ab, fielen die Hunde Sir Johns knurrend darüber her.
Das war schon was, nach dem Sohn des Burgherrn mit Knochen werfen zu können. Da Sir John angefangen und seine Gäste aufgefordert hatte, es ihm gleichzutun, ließen sie sich nicht lumpen, zumal sie wußten, daß Sir John nichts dagegen hatte, wenn ein Knochen den schwitzenden Simon Llewellyn oder die ebenso schwitzende Schlampe neben ihm traf. Natürlich schwitzten die beiden auch, weil sie am dichtesten am Kamin saßen und die Hitze kriegten.
Die Schlampe kreischte, und Simon Llewellyn grinste gequält. Er hätte nie gewagt, gegen seinen Alten aufzumucken. Er kannte dessen Handschrift und empfing noch heute, bereits über dreißig, von ihm Maulschellen, genauso wie sein vier Jahre jüngerer Bruder Thomas Lionel Killigrew, der nun allerdings die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen hatte und daher vom Alten häufiger was an die Ohren kriegte.
Sie waren beide rothaarig wie ihr Erzeuger, dessen Haar allerdings mit zunehmendem Alter eine schmutzigfade Helle angenommen hatte. Eins war beiden gemeinsam: das Ferkelgesicht, denn ihre Nasen und die aufgeworfenen Lippen wirkten wie Ferkelschnauzen. Ihre Augen waren von einem wässrigen Blau, ihre Figuren bulligplump. Im übrigen stiegen sie hinter jedem Weiberrock her, waren aufdringlich und neigten zur rohen Gewalt, wo sie sich stärker fühlten. Kurz, sie waren ein ganz mieser Wurf, und Lady Anne hatte allen Grund, sich ihrer zu schämen.
Übrigens waren an diesem illustren Abend tatsächlich keine Ladys anwesend, sondern nur jene Vertreterinnen ihres Geschlechts, die zum käuflichen Schmusen bereit waren und diesem Broterwerb sonst in den Spelunken und anrüchigen Häusern von Falmouth, Penryn und Truro nachgingen. Die beiden Ferkelsöhne Sir Johns hatten sie „eingeladen“, und so flossen die Steuergelder, die Sir John in diesem Teil Cornwalls brutal eintrieb, im gewissen Sinne wieder in die arbeitende Bevölkerung zurück.
Die Lotterweiber fanden das nur gerecht, außerdem wußten sie, daß man sich bei Sir Johns Gelagen die Bäuche vollstopfen und die Nasen begießen konnte, und es war nicht das schlechteste, was Küche und Keller von Arwenack zu bieten hatten.
An diesem Abend waren Zinnplatten aufgetischt worden, überladen mit Truthahn-, Gänse-, Hühner-, Wildschwein- und Rehbraten. Dazu gab es rote und weiße Weine aus Kannen sowie irischen Whisky.
Der Lärm verstummte, als die beiden Besucher in die Halle geführt wurden. Und Simon Llewellyn und seine Schlampe konnten aufatmen, daß ihnen keine Knochen mehr um die Ohren flogen.
Als Sir John den ehemaligen Friedensrichter erkannte, stieß er ein dröhnendes Gelächter aus.
„Burton!“ röhrte er. „Burton, du alter Beutelschneider! Was habe ich da eben gehört? Der Bastard ist wieder im Lande?“
„Sir“, sagte Burton, etwas peinlich berührt von der Anrede, „könnten wir uns darüber in einem Nebenraum unterhalten? Es braucht nicht jeder zu hören, was nur für Ihre Ohren bestimmt ist. Die Sache ist – äh – zu delikat.“ Und er warf einen mißbilligenden Blick zu den Weibern, die ihn und Bromley kichernd und mit frechen Augen anstarrten.
Sir John rülpste, warf eine Truthahnkeule, an der er herumgenagt hatte, auf den Tisch zwischen die Becher, wischte sich die fettigen Finger am Wams ab und stand auf. Mit seiner bulligen Figur wirkte er wie ein Klotz. Seine hellblauen Augen über der Knollennase funkelten, als er seine Tafelrunde musterte.
„Ihr habt genug gefressen und gesoffen“, erklärte er grob. „Und jetzt haut ab! Verschwindet! Der Vizeadmiral von Cornwall hat eine geschäftliche Besprechung und will nicht mehr gestört werden.“
Sie saßen da und glotzten zu ihm hoch, die ehrenwerten Gentlemen und die Schlampen. Da waren der Burghauptmann von Pendennis Castle, der Friedensrichter von Falmouth, zwei Kaufleute aus Falmouth, der Burghauptmann von Arwenack, der Pfarrer der Gemeinde von Truro – ein ganz besonderer Lüstling, ferner ein entfernter Vetter der Killigrew-Söhne, der Apotheker von Falmouth sowie der Direktor der Zinngruben von Devon, na – und die Schlampen.
Sie fanden, daß das Gelage eigentlich erst angefangen hätte. Und daß sie „genug gefressen und gesoffen“ hätten, stimmte ihrer Meinung nach auch nicht, denn die Zinnplatten waren noch längst nicht leer. Und mit den Schlampen hatten sie auch noch nicht ihren Spaß gehabt, denn die Weiber irgendwohin zu kneifen oder zu betatschen, das zählte nicht.
Jedoch – sie alle kannten den Burgherrn zur Genüge. Sie wußten, daß er zum Jähzorn neigte und es glatt fertigbringen würde, die Jagdhunde auf sie zu hetzen. Und unter denen waren ganz schöne Biester mit blutunterlaufenen Augen und scharfen Reißzähnen.
Nur fanden sie es ziemlich läppisch, wegen dieses abgehalfterten Friedensrichters aus Plymouth und des hageren Kerls, der undurchsichtige Geschäfte betreiben sollte, das Feld zu räumen. So zögerten sie noch.
Aber da brüllte Sir John auch schon los, hochrot im Vollmondgesicht: „Sitzt ihr auf den Ohren, ihr verdammtes Gesindel? Raus, hatte ich befohlen! Trollt euch …“
In wenigen Minuten hatten sie die Halle geräumt.
2.
Die beiden Ferkelbrüder wären liebend gern mit ihren Schlampen im Heu der Stallungen verschwunden, zumal diese hartgesottenen Weiber von ihnen bereits vorab kassiert hatten, aber da waren sie bei ihrem Alten schlecht gelandet. Er hatte sie zurückgepfiffen und angedonnert, daß sie gefälligst zu bleiben hätten, zumal es sich offenbar um eine Sache handele, die ihren verdammten Stiefbruder betreffe.
Da Simon Llewellyn enttäuscht, dafür aber um so ordinärer geflucht hatte, war ihm ein Zinnhumpen, gefüllt mit Rotwein, an den Schädel geflogen, abgefeuert von seinem Alten, der stets was zur Hand hatte, um jemanden zu züchtigen – einen Knüppel, eine Peitsche, ein Stuhlbein oder eben etwas zum Werfen. Ansonsten setzte es Stiefeltritte oder hagelte Maulschellen.
Ob das, was jetzt über das Ferkelgesicht floß, Rotwein oder Blut war, ließ den Alten völlig kalt. Der Idiot hätte ja seinen dämlichen Kopf einziehen können, nicht wahr? Aber nicht mal dazu langte es.
„Und wer sind Sie?“ blaffte er den hageren Mark Bromley an.
Der feiste Burton beeilte sich, seinen Kumpan vorzustellen und dabei auch zu betonen, daß es der tapfere Hauptmann Bromley einem gewissen Philip Hasard Killigrew zu verdanken habe, nicht mehr die Tower-Garde zu befehligen und degradiert worden zu sein, ganz abgesehen von den zehn Jahren Kerker, die dieser hochverdiente Offizier habe erdulden müssen.
Und das nur wegen der unhaltbaren Behauptung dieses Philip Hasard Killigrew, der ehrenwerte Hauptmann habe sich an dessen Beuteschatz bereichern wollen.
Prompt kriegte der hagere Bromley das Zittern, und wutentbrannt stieß er hervor: „Ich werde diese Laus zerquetschen! In ein Rattenloch werde ich ihn sperren. In der Schlangengrube soll er verenden! Gepfählt soll er werden und auf dem Scheiterhaufen Qualen erleiden …“ Und er erstickte fast an seinem Haß.
Der Alte blickte irritiert und rieb sich die Knollennase. Das war ja eine ganz seltene Nummer, dieser Bromley, und jeder einzelne Vorschlag war erwägenswert, besonders der mit der Schlangengrube. Es wäre zu schön, dabei zusehen zu können.
„Hm“, sagte er. Und noch einmal: „Hm.“
Sie saßen jetzt alle vor dem riesigen Kamin. Simon Llewellyn betastete seine Stirn, die nicht sehr hoch war, dafür aber nunmehr von einer Schwellung verziert wurde, die sich zum Horn auswuchs. Er verzog leidend das Ferkelgesicht und wurde von dem Alten angefahren, ob er es nicht für nötig hielte, den beiden ehrenwerten Besuchern einen Wein zu kredenzen.
Aber er maulte herum und war der Ansicht, sein jüngerer Bruder könne den Mundschenk spielen. Er empfing von Sir John einen Tritt vors Schienbein, und als sein Erzeuger auch noch nach der Feuerzange griff, bequemte er sich, dessen Anordnungen Folge zu leisten.
Thomas Lionel indessen grinste dümmlich in der Annahme, an diesem Abend von seinem Alten verschont zu werden. Aber er irrte sich. Sir John drosch ihm den Blasebalg ins Kreuz mit der Aufforderung, ihm den irischen. Whisky zu bringen und außerdem mit dem dämlichen Grinsen aufzuhören.
So war wieder einmal mehr klargestellt, wer auf Arwenack das Zepter schwang. Und Sir John würde es auch bis an sein Lebensende nicht aus der Hand geben, und wenn er neunzig wurde. So waren die Aussichten, dermaleinst Burgherr zu werden, für Simon Llewellyn äußerst gering und für Thomas Lionel eine Utopie, es sei denn, der Alte schied vorzeitig aus dem Leben, oder man half selbst etwas nach, zum Beispiel mit Gift. Nur hatte der Alte dieser Möglichkeit einen Riegel vorgeschoben, indem er nie als erster einen Bissen zu sich nahm oder den ersten Schluck trank.
Wozu hat man denn Söhne, nicht wahr?
Pflichtgemäß trank auch jetzt Thomas Lionel den ersten Schluck des irischen Whiskys, und da er zufrieden schmatzte und nicht umfiel, blieb der weitere Inhalt der Flasche dem Alten vorbehalten.
Nach der Trinkprozedur konnte man zur Sache kommen, und Sir John verlangte nun nähere Auskünfte über seinen Bastardsohn.
Samuel Taylor Burton berichtete: „Er und seine Bande von Halsabschneidern sind plötzlich wieder in Plymouth aufgetaucht, merkwürdigerweise trafen sie nacheinander in drei Gruppen ein, alle tiefbraun gebrannt und so gewalttätig wie eh und je. Die erste Gruppe, offenbar unter der Führung des ungehobelten Schiffszimmermanns und des narbengesichtigen Klotzes von Profos, brach denn auch gleich im Hafen einen Streit vom Zaun und demolierte die Schenke eines gewissen Mister Plymson.“
„Ah, die ‚Bloody Mary‘, nicht wahr?“ fragte der Alte.
„So ist es, Sir“, bestätigte der dicke Burton. „Es war ein Akt von roher Gewalt, und niemand scheint in Plymouth in der Lage zu sein, diese Strolche dem Richter zuzuführen und hinter Schloß und Riegel zu bringen.“
„An den Galgen gehören sie!“ ereiferte sich Mark Bromley mit zuckendem Gesicht. „Gevierteilt …“
„Ja, ja, schon gut, mein lieber Mark“, sagte der dicke Burton hastig, denn er wußte, was der liebe Mark nun wieder alles aufzählen würde an Möglichkeiten, um die Seewölfe zu Tode zu befördern. „Ich möchte bitte alles der Reihe nach vortragen, um Sir John genau ins Bild zu setzen. Also weiter. Die zweite Gruppe unter Führung des Bootsmanns Brighton lief mit einem höchst merkwürdigen Schiff in Plymouth ein. Meine Gewährsleute sagten mir, solche Fahrzeuge solle es im südlichen Osten des Mittelmeers geben, zum Beispiel in der Umgebung des großen Stroms, den man Nil nennt.“ Der Dicke räusperte sich, weil sein Blick auf Thomas Lionel gefallen war, der ihn dümmlich anstierte, was ihn irritierte. Wahrscheinlich hatte dieser Killigrew-Sohn noch nie etwas über den Nil gehört.
So war es auch, denn dieser Sproß des Alten sagte: „Nil, hä? Was is’n das?“
„Halt’s Maul, du Idiot“, erklärte der Alte unwillig. „Fahren Sie fort, Burton.“
Der Dicke räusperte sich ein zweites Mal. „Nun, ich möchte zunächst auf zweierlei hinweisen. Die erste Gruppe lief mit einer kleinen Karavelle in Plymouth ein, die so morsch war, daß sie an der Pier versank. Die zweite Gruppe hingegen erschien mit einem fremdartigen Fahrzeug. Aber sofort begaben sich die Führer der beiden Gruppen, der Schiffszimmermann und der Bootsmann, zu der Werft eines gewissen Ramsgate, um ein neues Schiff bauen zu lassen – eine Galeone vermutlich. Die Frage, die sich Mister Bromley und ich stellten, lautete: Woher haben diese Kerle das Geld, um ein solches Schiff in Auftrag geben zu können?“
In den hellblauen Augen des Burgherrn begann es zu glitzern, und er fragte: „Na, und woher?“
Burton log einfach drauflos. „Sie haben wieder irgendwo geplündert, Sir. Und natürlich denken sie gar nicht daran, den Anteil, den die Krone erhalten müßte, herauszurücken. Es war ein Fehler unserer erlauchten Majestät, einem Gauner und Betrüger wie diesem Killigrew einen Kaperbrief auszustellen. Daß Ihre Majestät einen solchen Mann auch noch zum Ritter schlug, war ein weiterer Fehler. Das muß einmal sehr deutlich gesagt werden.“ Und der dicke Burton blickte mit salbungsvoller Miene zur Decke hoch, als gelte es, den Herrn im Himmel zum Zeugen seiner Worte aufzurufen.
Sir John gurgelte den Whisky gleich aus der Flasche. Dann sagte er: „Weiter, Burton. Sie haben den Bastard noch nicht erwähnt.“
Burton nickte. „Aus gutem Grund, Sir. Er traf nämlich als letzter mit der dritten Gruppe in Plymouth ein, und das paßt nun überhaupt nicht mehr ins Bild. Vor Jahren kaufte er bei dem bereits genannten Ramsgate eine sehr neuzeitlich konzipierte, äußerst ranke Galeone, die er auf den Namen ‚Isabella VIII.‘ taufte. Nur kehrte er nicht mit diesem Schiff nach Plymouth zurück, sondern mit einer Galeone namens ‚Pride of Galway‘, die von meinen Gewährsleuten zweifelsfrei und eindeutig als Besitz des George Darren Burke aus Galway identifiziert wurde.“
Sir John hatte schon bei der Nennung der „Pride of Galway.“ aufgehorcht. Jetzt fuhr er hoch, als Burton den Namen des Besitzers nannte.
„Burke?“ stieß er hervor. „Dieser verdammte irische Hurensohn?“ Sein Blick wurde lauernd. „Was hat der denn mit dem Bastard zu tun, he? Hat Burke ihm etwa die ‚Pride of Galway‘ geschenkt?“
Der dicke Burton hüstelte. „Leider konnten das meine Gewährsleute noch nicht in Erfahrung bringen, Sir. Aber es dürften schwere Verdachtsmomente bestehen, daß Killigrew mit den Iren paktiert. Bekannt wiederum ist, daß Burke als Galway mit den Spaniern Handel treibt.“
Sir John grinste dreckig. Jawohl, darüber wußte er selbst bestens Bescheid – fing er doch die spanischen Handelsfahrer ab, die zum Beispiel auch Galway anlaufen sollten. Und mit der „Pride of Galway“ war er bei einem seiner Raubzüge schon einmal aneinandergeraten, wobei er allerdings Fersengeld hatte geben müssen, weil ihm diese irischen Lümmel von der „Pride of Galway“ mächtig zugesetzt hatten.
„Sir“, fuhr Burton fort. „es ist schon sehr merkwürdig, daß Killigrew plötzlich im Besitz eines irischen Schiffes ist. Höchst verdächtig ist das, denn man gelangt zu dem logischen Schluß, daß dieser Mann auch mit den Spaniern paktiert …“
„Ein Verräter!“ zischte Mark Bromley. „Er bereitet eine spanische Invasion vor. Das ist es! Seine ‚Isabella‘ hat er den Spaniern überlassen, damit sie dieses Schiff nachbauen können. Darum sind sie auch in drei Gruppen nach Plymouth zurückgekehrt, damit es nämlich nicht so auffällt.“
Er war ganz schön am Spinnen, dieser ehemalige Hauptmann, denn er unterstellte in seinem verrückten Kopf seinem Feind Philip Hasard Killigrew etwas, was er selbst tun würde, wenn es ihm Vorteile einbrächte. Allerdings muß hier hinzugefügt werden, daß Burton und er vorher untereinander abgesprochen hatten, wie sie Sir John einseifen wollten, um ihn als Bundesgenossen für eine Sache zu benutzen, an der sie selbst bereits gescheitert waren.
Mit dem Hinweis, der Bastard paktiere mit den Iren und demzufolge auch mit den Spaniern, wollten sie sich gewissermaßen einen legalen, patriotischen Anstrich geben. Sich dieses Mäntelchen umzuhängen, war immer gut. Wenn etwas schiefging, konnten sie sofort behaupten, im Interesse Englands und zu dessen Wohl gehandelt zu haben.
Das alte Schlitzohr Sir John – selbst so wenig ein Patriot wie Burton oder Bromley – begriff sofort, wie der Hase lief und hieb in dieselbe Kerbe.
„Natürlich!“ röhrte er. „Dieser Bastard hat sich auf die Seite der Dons geschlagen! Konnte ich mir doch denken, ha! Wie ich hörte, soll seine Mutter eine Spanierin gewesen sein. Ein Fluch liegt über diesem Haus, seit ich ihn an Sohnes Statt annahm. Eine Natter nährte ich an meiner Brust!“ Er schielte zu dem mächtigen Hirschgeweih hoch, an dem er einst gezappelt hatte, mühelos von der „Natter“ da oben hineingehängt! Und die Wut begann in ihm zu brodeln und zu kochen.
Hastig soff er aus der Whiskyflasche, verschluckte sich prompt, erlitt einen Erstickungsanfall, riß die Arme hoch und war am Röcheln, wobei ihm die Augen aus dem Kopf quollen.
Seine Söhne rührten keinen Finger. Ein Diener sprang hinzu und klopfte ihm kräftig den Rücken ab. Das dauerte gute zehn Minuten. Anschließend empfingen Simon Llewellyn und Thomas Lionel die obligaten Maulschellen, weil es sie, wie der Alte brüllend verkündete, einen Dreck gekümmert hätte, wenn er verreckt wäre.
Da hatte er allerdings recht.
Jeder halbwegs normale Besucher hätte derartige Szenen, in denen erwachsene Söhne von ihrem Erzeuger mit Ohrfeigen gezüchtigt werden, als sehr peinlich empfunden. Vielleicht wäre er auch aufgestanden und hätte sich mit einer Entschuldigung verabschiedet. Aber ein solches Verhalten lag weder Burton noch Bromley. Sie sahen gleichgültig darüber hinweg, nur fixiert auf ihren Plan, den Alten als Bundesgenossen zu gewinnen, als Komplizen gegen die Seewölfe, insbesondere gegen Philip Hasard Killigrew.
Jedem halbwegs normalen Menschen wäre außerdem auch klar geworden, wie fragwürdig es war, sich mit einem so unberechenbaren und jähzornigen Mann wie Sir John zu verbünden. Aber auch das focht die beiden Komplicen Burton und Bromley nicht an, im Gegenteil, sie hielten das alte Schlitzohr für bestens geeignet, den Seewölfen und ihrem Kapitän die Hölle anzuheizen. Natürlich war ihnen auch bekannt, wie intensiv der Alte den sogenannten Bastard haßte – die „Natter“, die er angeblich an seiner Brust genährt hatte. Das war ein ziemlich dämlicher Vergleich zu jenem Verhalten, das der Alte tatsächlich gezeigt hatte. Denn er hatte Hasard kujoniert, gepiesackt und terrorisiert, wo er nur konnte.
Seine eigenen Mistkerle von Söhnen hatte er vorgezogen und gehätschelt bis zu jenem Zeitpunkt, an dem Hasard die Feste Arwenack ein für allemal verlassen hatte. Von da ab waren die drei eigenen Söhne das Ventil gewesen, das Sir John brauchte, um seinen überschüssigen Dampf abzulassen. Und weil sie kuschten, war der Alte noch unausstehlicher geworden.
Der dicke Burton blieb zäh beim Thema.
„Sir“, sagte er, „halten wir also noch einmal die Tatsachen fest. Diese Killigrew-Bande kehrte in drei Gruppen nach Plymouth zurück, jede Gruppe mit einem anderen Schiff. Nach dem Aussehen dieser Kerle müssen sie sich lange in Gebieten herumgetrieben haben, die weit südlich von uns liegen – wo es heiß ist und die Sonne scheint. Ich sprach bereits vom Nil. Ich habe Erkundigungen einziehen lassen und gehört, daß dieser Nil ein Strom ist, der in das östliche Mittelmeer mündet, aber man weiß nicht, wo sich seine Quelle befindet. Nach den spärlichen Berichten jedoch konnte ich in Erfahrung bringen, daß an den Ufern des Nils vor vielen Jahrhunderten oder Jahrtausenden sehr reiche Könige gelebt haben sollen. Sie wurden auch wiederum an den Ufern des Nils in merkwürdigen Bauten bestattet, und zwar mitsamt ihrer Schätze.“ Hier legte der gerissene Burton eine bedeutungsvolle Pause ein.