Seewölfe Paket 18

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Dann starrte sie auf den am Boden Liegenden.
„So ergeht es jedem“, sagte sie drohend, „der sich ohne meine Erlaubnis in einen Kampf einmischt, den ich mit einem Gegner austrage. Glaubt ihr vielleicht, sie hätte mich besiegen können? Aber jetzt wird sie das glauben! Niemand besiegt die Black Queen, niemand!“ brüllte sie die Männer an, die nun allesamt vor ihr zurückwichen. „Und wenn auch nur einer von euch der Meinung ist, stärker zu sein als ich, die Black Queen, die künftige Beherrscherin der Karibik, dann soll er vortreten, und ich schicke ihn augenblicklich zur Hölle!“
Caligula, der einzige, der nicht vor ihr zurückgewichen war, sah die Black Queen aus schmalen Augen an. Er wußte genau, was in ihr vorging, denn er kannte sie besser als jeder andere der Männer. Zum erstenmal war die Black Queen an eine Gegnerin geraten, die ihr nicht nur gewachsen, sondern die ihr möglicherweise sogar überlegen war. Das irritierte sie und machte sie wütend. Sie fürchtete jetzt, den Respekt bei den Männern zu verlieren. Die Black Queen war klug genug, um zu wissen, daß die erste Schwäche, die sie zeigte, ihr leicht zum Verhängnis werden konnte. Nein, sie konnte sich weder eine Niederlage noch eine Schwäche leisten, darauf lauerten einige dieser Halsabschneider schon lange. Aber er, Caligula, würde auf diese Kerle ein Auge haben, denn die Black Queen war seine Geliebte, auch wenn er sich ihr bedingungslos unterordnete. Und mehr noch – sie war eine Frau nach seinem Herzen, und sie war die einzige, die er kannte, mit der er die Herrschaft über die Karibik erringen konnte. Das aber wollte er, Caligula, unbedingt. So, wie Caligu, sein Vater, sie dereinst besessen hatte …
Er wandte sich der bewußtlosen Arkana zu, dann sah er die Black Queen an.
„Das da, Queen, ist ihre Unterführerin“, sagte er und deutete auf Tatona, die ebenfalls bewußtlos im Sand der Bucht lag. An Händen und Füßen gebunden wie die anderen auch. „Du solltest diese Kriegerinnen dort hinten an die Palmen binden, aber laß diese beiden nebeneinander binden. Ich habe da einen Plan …“
Die Black Queen sah ihn aufmerksam an, während sie sich wieder und wieder das Blut aus dem Gesicht wischte, das aus ihrer Stirnwunde lief.
„Was soll das, was führst du im Schilde, Caligula?“ fragte sie dumpf. „Ich will wissen, wer diese Araukaner sind, ich bin solchen Kriegerinnen noch nie zuvor begegnet. Da – sieh dich um: Neun Tote bei uns, aber nur Verletzte bei ihnen – wie erklärst du dir das? Sind unsere Männer denn plötzlich Memmen geworden? Haben sie verlernt, zu kämpfen?“
Caligula schüttelte den Kopf.
„Nein, Queen, das nicht. Aber die Sache verhält sich, wie ich fürchte, völlig anders. Erinnerst du dich an diesen geschwätzigen Kreolen, der in der Schildkröte und vor allem unten am Hafen so idiotische Geschichten von braunhäutigen riesengroßen Kriegern erzählte, die es auf einer Insel irgendwo in der Karibik gäbe? Sie würden jene Insel auf schreckliche Weise bewachen, und ihre Augen würden Feuer sprühen. Er selbst sei auf jener Insel gewesen, an deren Klippen sein Schiff gestrandet sei, vom Satan persönlich in die Felsen geschleudert. Und dann – nach seiner wunderbaren Errettung – habe er gesehen, wie unheimliche Schiffe durch einen Felsendom gesegelt seien. Durch ein wahres Höllentor, das kein normaler Mensch lebend zu passieren vermöchte. Nur er, er sei später von dieser Hölleninsel, auf der in graue Felle gehüllte Männer, die merkwürdige Helme trügen, nächtelang wilde Feste feierten und auf der nackte, braunhäutige Mädchen mit Schlangen an den Armen tanzten und den schrecklichen Kriegern zu Willen seien, mit einem Boot geflohen. Der Teufel selber habe ihn durch diesen Felsendom gezogen …“
Caligula unterbrach sich, dann bückte er sich und streifte einer der Schlangenkriegerinnen, die sich selbst in ihren Fesseln noch aufbäumte und sich wütend gegen ihn wehrte, einen der Schlangenreifen ab und hielt ihn der Black Queen hin. Sie nahm ihn und sah ihn sich an, und dann begriff sie.
„Caligula, du glaubst, daß diese Kriegerinnen dort, daß sie …“
„Sie sind jene, die dieser Narr gesehen hat. Schade, daß ich ihm schließlich eins aufs Maul geschlagen habe, als mir sein Gefasel zu dumm wurde. Ich hätte den Kerl reden lassen sollen, denn weißt du, wovon er geredet hat? Von der geheimnisvollen Schlangeninsel, von jener Insel, auf der der Seewolf und auf der diese Rote Korsarin und der Wikinger hausen.“
Der Black Queen verschlug es für einen Moment den Atem. Das war ja geradezu ungeheuerlich, was Caligula da behauptete. Das war …
Sie dachte diesen Gedanken gar nicht zu Ende, sondern starrte ihren Unterführer und Geliebten an.
„Caligula“, sagte sie leise. „Wenn es uns gelänge, diese Insel in unsere Gewalt zu bringen! Ich habe gehört, daß dort unvorstellbare Schätze gehortet werden und daß sie so gut wie uneinnehmbar ist …“
Caligula nickte.
„Das stimmt, viele haben es bereits versucht, aber alle sind an dieser Insel und jenen, die auf ihr hausen, gescheitert. Aber wir, wir werden das anders anfangen. Wir haben durch diesen Fang dort, den wir rein zufällig gemacht haben, bessere Chancen als jemals einer vor uns …“
Die Black Queen unterbrach Caligula.
„Halt, nicht so rasch. Ich bin nicht so närrisch und so dumm wie die anderen, diesen Teufeln in die Falle zu gehen. Das alles will gut überdacht und noch besser eingefädelt sein. Aber diese Mädchen und vor allem jene dort, diese Hohepriesterin der Araukaner, wie sie sich nannte, wer sind sie, und was haben sie mit jener Schlangeninsel zu tun?“
Caligula hob die Schultern.
„Noch weiß ich es nicht, aber wir werden es erfahren. Wir werden sie befragen, ich kenne da einige Methoden, sage ich dir. Du wirst sehen. Und wenn das nicht hilft, dann habe ich noch einen Plan. Hör zu, ich denke mir das so …“ und er sandte verstohlene Blicke zu Arkana und Tatona hinüber, die man nebeneinander an zwei Palmen gefesselt hatte.
Die Black Queen hörte ihm aufmerksam zu. Dann sah sie ihn an.
„Vor dir sollte man sich hüten, Caligula“, sagte sie leise, aber nicht ohne Zärtlichkeit, und sie fuhr ihm durch das krause, schwarze Haar. „Aber du hast recht, wenn wir durch unsere Befragungen nichts erfahren, dann werden wir tun, wie du vorgeschlagen hast. Und das wird klappen, ich spüre es. Danach werden wir wissen, was dran ist an diesen Legenden um die Schätze jener Insel …“
4.
Siri-Tong und Araua befanden sich im Gewölbe des Schlangengottes. In der Roten Korsarin kämpften immer noch die Zweifel mit dem Wissen, daß diese Statue mehr war als tote Materie.
Die Rote Korsarin sah den Schlangengott an. Wieder fiel ihr auf, wie sehr die überlebensgroße Frauenstatue, um die sich die goldene Schlange ringelte, Arkana glich. Zufall – oder handelte es sich bei den Schlangenpriesterinnen der Araukaner um eine Art Dynastie, deren Abkömmlinge immer wieder aus den gleichen Familien hervorgingen? Aber Siri-Tong verwarf diese Überlegung sofort wieder, denn wie hätte dann die Vaterschaft des Seewolfs über Araua in dieses Bild gepaßt? Nein, wahrscheinlicher war, der Schlangengott suchte die Erzeuger der künftigen Hohepriesterinnen immer wieder selber aus …
Die Rote Korsarin schüttelte unwillig den Kopf, denn sie begriff, daß sich ihre Überlegungen an diesem Punkt im Kreise drehten. Aber dann blieb ihr zu weiteren Überlegungen auch keine Zeit mehr.
Araua hatte das heilige Feuer entzündet, und das Gewölbe, in dessen Felsen überall kostbare Edelsteine eingelassen waren, die nun wie tausend Augen im Schein der tanzenden Flammen zu glitzern begannen, wurde von einem betäubenden Duft erfüllt. Siri-Tong spürte, wie ihre Sinne von irgend etwas Unbekanntem umfangen wurden, wie die Umgebung vor ihren Augen verschwamm. Bilder aus längst vergangenen Zeiten stiegen vor ihrem geistigen Auge auf, und nur im Unterbewußtsein gewahrte sie Araua, die inmitten des Flammenkreises kniete, die Arme dem Schlangengott entgegengestreckt.
Wie unter einem hypnotischen Zwang wandte auch die Rote Korsarin dem Schlangengott ihre Blicke zu – und wieder geschah das, was sie auch schon mit dem Seewolf zusammen erlebt hatte: Die Augen des Schlangengottes glühten sie an. Siri-Tong spürte, wie sie von dieser grünlichen Helligkeit, von diesem gespenstischen Leuchten umfangen wurde. Und dann befand sie sich plötzlich wieder auf der Insel Mocha, jener Insel vor der Westküste Südamerikas, auf der der Seewolf und Arkana sich dereinst vor siebzehn Jahren begegnet waren. Sie sah sich zusammen mit Arkana und Araua durch die Felsen der Insel steigen. Immer höher ins Gebirge hinauf, bis schließlich tief unter ihr das heilige Tal der Araukaner lag.
Aber die Insel schien ohne menschliches Leben zu sein. Keine Araukaner lebten mehr dort, statt dessen segelte ein Geschwader spanischer Galeonen von der Seeseite auf die Insel zu. Merkwürdigerweise erschien in diesem Moment auch der Schwarze Segler des Wikingers – aber wo befand sich der Seewolf?
Verschwommen erschien Siri-Tong auch sein Bild, aber seine „Isabella IX.“ wirkte wie ein Geisterschiff, das irgendwo zwischen den Wogen und am Himmel entlangjagenden Wolken dahinglitt …
Dann begann der Abstieg ins Tal – und schließlich stand die Rote Korsarin mit Arkana und Araua vor einer riesigen Statue. Unzweifelhaft stellte sie wiederum den Schlangengott dar, aber weitaus prächtiger, kostbarer und noch viel beeindruckender als die, die sich im Tempel der Schlangeninsel befand.
Die Rote Korsarin spürte, wie sie erschauerte. Sie versuchte, sich aus dem Netz jener unsichtbaren Fäden zu befreien, die sie schon wie ein Kokon umgaben und die sich auf geheimnisvolle Weise immer dichter und dichter zu weben schienen.
Aber es war vergeblich – ihre Kräfte reichten nicht aus. Weiter und weiter versank sie in diese gespenstische Welt jenes riesigen Tempels auf der Mocha-Insel. Sie erblickte Arkana und den Seewolf, sie sah, wie Araua aus den Flammen des heiligen Feuers, das auch diese Statue wie ein lodernder Kranz umgab, gleich einem Lichtwesen emporzusteigen schien.
„Was du dort siehst, Siri-Tong, ist Vergangenheit für dich, aber es ist Gegenwart für mich, denn Vergangenheit und Gegenwart sind für mich eins. Dieser Tempel, in dem du dich jetzt befindest, ist in Gefahr. Die Spanier haben von seiner Existenz erfahren, und sie beabsichtigen ihn zu schänden und zu berauben. Darum habe ich dich, Arkana, meine Hohepriesterin, und Araua dazu bestimmt, jenes Bildnis von mir, das aber zugleich mich, den Schlangengott, beherbergt wie das Bildnis in diesem Tempel auch, von der Mocha-Insel zu holen und hierher zu schaffen. Es wird in einem Gewölbe Platz finden, das bisher keiner von euch kennt, das tief im Innern dieser Insel verborgen liegt und zu dem ihr den Zugang nur durch mich finden werdet, wenn es an der Zeit ist. Dieses Gewölbe, in dem ihr mein Bildnis von der Mocha-Insel aufstellen werdet, wird euch allen dereinst das Leben retten.“
Der Schlangengott schwieg, aber Siri-Tong spürte, daß er noch nicht zu Ende gesprochen hatte. So wartete sie, und es war der unwirklichste, der unheimlichste Moment, den sie je in ihrem Leben erlebt hatte. Tausend Bilder stürzten durch ihr Bewußtsein, und sie zeigten offenbar Ereignisse, die noch weit in der Zukunft lagen. Düstere wie helle.
Dann vernahm sie die Stimme des Schlangengottes aufs neue.
„Ich werde euch ein Zeichen senden, wenn es an der Zeit sein wird, zur Mocha-Insel zu reisen. Wirst du meiner Bitte entsprechen, Siri-Tong, denn ich habe keine Gewalt über dich, auch wenn ich dich und alle deine Freunde zu schützen vermag?“
Die Rote Korsarin wandte sich langsam um, und sie blickte in die großen, dunklen Augen Arauas. Da nickte sie dem Schlangengott zu.
„Ich werde zur Mocha-Insel segeln, wenn du es mir aufträgst“, antwortete sie, und sie wußte nicht, ob sie diese Worte gesprochen oder lediglich gedacht hatte. Aber der Schlangengott hatte verstanden, das spürte sie sofort.
„Aber ich habe noch eine Frage an dich“, fuhr sie fort, und sofort begannen die Augen in dem Schlangenkopf, die sie aber von überall im Gewölbe des Tempels anzublicken schienen, wieder zu glühen.
„Frage!“ vernahm sie seine Aufforderung.
„Warum beauftragst du nicht den Seewolf an meiner Stelle? Er hat Araua gezeugt …“
„Er wird ebenfalls mit euch zur Mocha-Insel segeln, aber er wird sich in großer Gefahr befinden. Und nur wenn es euch gelingt, mein Bildnis vor den Spaniern zu retten, wird auch er zu retten sein. Dies alles ist unabänderlich, aber ich werde euch helfen. Und jetzt segelt, wie ich Araua angewiesen habe, denn Arkana und meine Schlangenkriegerinnen befinden sich in großer Gefahr. Und auch ihr müßt auf der Hut sein. Alles, was du unternimmst, um sie zu befreien, mußt du sehr genau überdenken. Man wird euch eine Falle stellen, die tödlich sein kann …“
Die Augen des Schlangengottes erloschen, so wie der Kranz des heiligen Feuers plötzlich in sich zusammensackte.
Nach und nach erwachte Siri-Tong aus ihrem tranceähnlichen Zustand. Die grünliche Helligkeit, die ihr Inneres erfüllte und der feingesponnene Kokon, der sie umgab, lösten sich auf. Die Rote Korsarin kehrte in die Wirklichkeit zurück – aber alles, was sie erlebt und gesehen hatte, blieb in ihrer Erinnerung bestehen.
Langsam wandte sie sich Araua zu, die auch aus ihrer Trance erwacht war.
„Araua – was war das? Wieso hat der Schlangengott gerade zu mir gesprochen, wieso …“
Die Rote Korsarin schüttelte den Kopf. Was war das alles? Traum – Wirklichkeit? Aus dem Reich des Großen Chan, wo sie geboren worden war, wußte Siri-Tong, daß es mächtige Götter gab, auch wenn die unwissenden Menschen jenseits der Meere das nicht wahrhaben wollten. Dennoch war dieses Erlebnis unheimlich, und sie wußte, daß sie noch eine ganze Weile brauchen würde, um damit innerlich fertig zu werden.
Araua hatte sich an sie geschmiegt, so, wie sie es oft als kleines Mädchen getan hatte.
„Jetzt weißt du, Siri-Tong, daß es unseren Schlangengott gibt! Vergiß es nie, wir werden nur solange auf der Schlangeninsel unseren Frieden und unser Glück finden, wie er bei uns wohnt. Und eines Tages, Siri-Tong, werde ich seine Hohepriesterin sein – aber ich fürchte mich vor diesem Tag …“
Siri-Tong fuhr Araua durchs schwarze Haar.
„Komm jetzt“, sagte sie dann leise. „Wir wollen jetzt tun, was der Schlangengott uns aufgetragen hat. Deine Mutter befindet sich mit allen ihren Kriegerinnen in Gefahr, beeilen wir uns!“
Sie zog Araua mit sich empor, und dann verließen die beiden Frauen das Gewölbe des Schlangentempels. Die Statue des Schlangengottes aber stand dort, scheinbar ohne jedes Leben. Doch Siri-Tong wußte es besser.
Am späten Nachmittag dieses Tages verließen zwei Schiffe die Schlangeninsel. Der Viermaster „Roter Drache“ und eine große, seetüchtige Schaluppe. An Bord der Schaluppe befanden sich Karl von Hutten und ein paar Männer aus der Crew Arne von Manteuffels. Sie würden so rasch wie möglich nach Tortuga segeln, um dem Wikinger, Jean Ribault und Jerry Reves zu berichten, was sich zugetragen hatte und um sie zur schnellstmöglichen Rückkehr zur Schlangeninsel anzuhalten.
„Roter Drache“ hingegen nahm Südwestkurs. Noch eine ganze Weile leuchteten seine roten Segel zur Schlangeninsel im Licht der tiefer und tiefer sinkenden Sonne hinüber. Der Boston-Mann, der das Kommando über die Schlangeninsel zusammen mit dem Häuptling des Araukanerdorfes, Tomota, übernommen hatte, blickten den beiden Seglern vom Felsendom aus nach.
Erst als die beiden Schiffe in der Ferne und in der einsetzenden Dämmerung verschwunden waren, kehrten sie zur Schlangenbucht zurück. Ohne viele Worte begannen sie mit ihrer Arbeit – und im Verlauf der nächsten Stunden verwandelte sich die Schlangeninsel in eine nahezu uneinnehmbare Festung.
Als Arkana wieder zu sich kam, begriff sie sofort, daß sie sich mit ihren Schlangenkriegerinnen in einer Lage befand, die nichts Gutes ahnen ließ. Sie stand gefesselt am Stamm einer Palme. Deutlich erkannte sie weiter unten das Wrack der „Mocha II.“. Weiter hinten in der Bucht ankerte jene fremde Galeone, deren Namen sie nicht kannte, die aber jener „Black Queen“ gehörte, mit der sie gekämpft hatte.
Arkana sah sich um, und neben ihr, zur Linken, stand Tatona, gefesselt wie sie.
Arkana tauschte mit ihrer Unterführerin einen Blick, und die beiden Frauen verstanden einander sofort.
„Gib das geheime Zeichen an alle auf deiner Seite weiter, für den Fall, daß sie uns foltern und verhören. Nichts über die Schlangeninsel darf über unsere Lippen, kein Wort, verstanden, Tatona?“
Tatona nickte, dann warf sie einen Blick auf den kleinen Ring an ihrer Hand, den man ihr vorläufig noch nicht abgenommen hatte. Ihr nicht und auch keiner der anderen Schlangenkriegerinnen.
„Wer von uns verhört wird, muß losgebunden werden. Dieser Augenblick genügt. Dann mögen sie fragen, Tatona. Sie werden uns wach finden, aber wir werden keine Schmerzen leiden und auch keine Erinnerung mehr an irgend etwas haben, was wichtig für sie ist. Sie werden nicht wissen, was das zu bedeuten hat, und sie wissen auch nicht, wie lange das Gift benötigt, um unsere Körper wieder zu verlassen. Wer starb von uns in dem Kampf?“ fragte Arkana, denn sie wußte, daß sie länger bewußtlos gewesen war als Tatona. Die wilden Schmerzen in ihrem Kopf ignorierte sie.
„Niemand, Arkana. Niemand starb, der Schlangengott hat uns beschützt, und ich spüre, daß er uns auch weiterhin beschützen wird. Aber diese ‚Black Queen‘ ist gefährlich. Ich weiß, daß wir mit ihr noch einen erbitterten Kampf führen werden.“
Arkana sah Tatona erleichtert an.
„Du hast recht, der Schlangengott wird uns auch weiterhin beschützen. Und vergiß nicht – wir beherrschen nur die Sprache der Araukaner, wir …“
Arkana unterbrach sich. Sie entsann sich des schweren Fehlers, den sie der Black Queen gegenüber begangen hatte, denn sie hatte ihr auf Spanisch geantwortet, als die Black Queen gefragt hatte, wer sie sei.
„Nein, das geht nicht, jedenfalls nicht für mich, und alle anderen provozieren damit nur, gefoltert zu werden. Es ist mein Fehler, ich hätte nicht reden dürfen …“
Am Strand hatte sich die „Black Queen“ erhoben. Gefolgt von Caligula, ihrem Unterführer, stieg sie die wenigen Meter zu den Palmen, an die die Piraten die Schlangenkriegerinnen gefesselt hatten, empor.
„Rasch, Tatona, gib das Zeichen“, flüsterte Arkana und wandte gleichzeitig den Kopf nach rechts. Dann vollführten ihre Lippen ein paar Bewegungen, die aber sofort von allen anderen Araukanerinnen verstanden und denen, die Arkana nicht hatten sehen können, weitergegeben wurden.
Dann war die Black Queen heran. Sie blieb vor Arkana stehen. Ihre dunklen Augen hatten sich zu Spalten verengt.
„Was hast du eben den anderen für ein Zeichen gegeben?“ fragte sie. „Ich rate dir, zu antworten, denn ich habe es deutlich gesehen. Mich kannst du nicht täuschen!“
Arkana schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht, wer mir den Hieb heimtückisch und von hinten auf den Kopf verpaßt hat, aber der Schmerz wütet in meinem Hirn, und da waren es sicherlich unkontrollierte Zuckungen, von denen ich selbst nicht einmal etwas bemerkt habe. Aber was willst du? Wenn du uns töten willst, dann tu es. Man wird uns rächen, und du wirst nicht soweit segeln können, daß meine Krieger dich nicht finden.“
„Stolz ist sie, diese Araukanerin“, sagte die Queen. Ihre Stimme sollte höhnisch klingen, aber es schwang eine Menge Respekt in ihr mit. „Und zu kämpfen versteht sie auch. Aber jetzt will ich wissen, woher ihr kommt. Das Märchen mit dem Land weit im Süden nehme ich dir nämlich nicht ab. Ihr werdet reden, verlaßt euch darauf. Entscheide dich – also?“
Die Black Queen war gerissen genug, Arkana nicht wissen zu lassen, daß der Kreole, der sich offenbar wirklich auf der Schlangeninsel befunden und einige ihrer Geheimnisse belauscht hatte, in seinem Suff weit mehr ausgequatscht hatte, als der Schlangeninsel guttat. Das hätte den feinen Plan, den Caligula ihr entwickelt hatte, sofort gefährdet.
Arkana schwieg, doch dann schüttelte sie schließlich abermals den Kopf.
„Es war die Wahrheit. Wir sind Araukanerinnen und stammen aus einem Land, das so weit im Süden liegt, daß du es nicht kennst. Wir fürchten weder deine Verhöre, noch deine Folter, die du sicher anwenden wirst. Du kannst bei mir beginnen, und du wirst erfahren, daß ich dir nichts anderes sagen kann.“
Die Black Queen starrte ihre Widersacherin an, und für einen Moment wurde sie unsicher. Denn von Arkana strömte soviel Selbstsicherheit und Ruhe aus, wie das unter normalen Umständen gar nicht möglich gewesen wäre. Jeder fürchtete die Folter, und sogar sie selbst schloß sich davon nicht aus. Aber sie gab noch lange nicht auf. Zog das eine bei dieser unheimlichen Indianerin nicht, dann doch vielleicht die andere Methode.
Sie trat noch näher an Arkana heran.
„Du hast noch etwas nicht bedacht, Araukanerin“, sagte sie. „Was glaubst du, wie scharf meine Kerle auf euch sind? Die würden sich mit dir und den anderen Mädchen gerne einen Spaß machen. Bisher habe ich das verhindert, und sie haben sich knurrend gefügt. Ihr habt eben Glück, daß ich eine Frau und kein Kerl bin. Aber ich muß es nicht verhindern, klar?“
Sie sah, wie Arkana erbleichte. Doch dann blitzten Arkanas Augen wütend auf, denn die Schmach, mit der diese Piratin sie und ihre Schlangenkriegerinnen bedrohte, war für Arkana einfach unvorstellbar. Es hatte auch eine Weile gedauert, bis sie und ihre Kriegerinnen den wilden Kerlen auf der Schlangeninsel beigebracht hatte, daß eine Schlangenkriegerin sich zwar freiwillig verschenken konnte, daß aber jede Andeutung von Gewalt schlimme Folgen für die Männer hatte. Sie alle hatten ihre Lektion gelernt, und am schlimmsten waren die Burschen vom Schwarzen Segler gewesen. Aber jetzt herrschte wieder Friede und bestes Einvernehmen unter ihnen allen, auch und ganz besonders in diesem Punkt. Aber das hier, was ihr diese Queen androhte, das ließ sie zunächst erblassen, doch dann trieb es ihr das Blut ins Gesicht.
„Das wirst du nicht wagen, Black Queen. Wer von deinen Kerlen Hand an mich oder eine von uns legt, der wird tausend Tode sterben, das sollst du wissen, und es ist mein voller Ernst. Der Schlangengott wird euch verfluchen, und du wirst erfahren, was das bedeutet. Und jetzt tu, wie du willst, aber ich habe dich gewarnt. Du und alle, die zu dir gehören, ihr werdet ausgelöscht sein, so, als hätte es euch nie gegeben, unter tausend Qualen werdet ihr jenes dunkle Reich betreten, das auf uns alle eines Tages wartet.“
Was es war, wußte die Black Queen nicht zu sagen, aber unwillkürlich trat sie ein paar Schritte zurück. Sie spürte eine unheimliche Kraft, die nach ihr griff, die sich ihr um Brust und Schultern legte, die ihr das Herz wie mit einer eisernen Faust zusammenzudrücken schien. Aus hervorquellenden Augen starrte sie Arkana an, aber sie war unfähig, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen.
Dann ließ jener unheimliche Druck wieder nach, unter dem auch Caligula in sich zusammengekrochen war und jetzt mit wild rollenden Augen um sich starrte.
„Was, zum Teufel, was war das …“, ächzte er, aber Arkana schnitt ihm das Wort ab.
„… das war nur eine Warnung, mehr nicht. Foltert uns, tut was ihr wollt, aber wenn deine Kerle uns besudeln, dann werdet ihr bereuen, uns jemals begegnet zu sein.“
Die Black Queen blickte immer noch verstört um sich. Dann trat sie wieder auf Arkana zu.
„Also die Folter duldet euer seltsamer Gott?“ fragte sie lauernd, und die Wut blitzte tückisch aus ihren Augen.
„Versucht es, aber ihr werdet keinerlei Erfolg haben, denn der Schlangengott wird verhindern, daß auch nur ein einziges Wort über unsere Lippen kommt, von dem er nicht will, daß ihr es erfahrt.“
Wieder wich die Black Queen einen Schritt zurück.
„Du willst mich provozieren, Araukanerin. Ich soll dich foltern. Aber so dumm bin ich nicht – du bist zu wertvoll für mich. Nein, wir nehmen diese da!“ Sie wies auf Tatona. „Pack sie, Caligula, binde sie los und bringe sie zum Feuer. Dann werden wir sehen.“
Sie wandte sich an Arkana.
„Mal sehen, ob dir deine großen Sprüche nicht doch noch vergehen. Caligula versteht sich darauf, Menschen genau das zu entlocken, was er wissen will. Du wirst das gleich erfahren!“