Seewölfe Paket 18

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„Barba, gib ‚Roter Drache‘ das verabredete Zeichen. Wir werden hier auf dich warten …“ Sie packte Tatona wieder energisch am Arm, als diese aufbegehren wollte, und wieder fügte sich die Unterführerin der Roten Korsarin.
Barba verschwand. Er nahm die präparierte Schiffslaterne mit sich. Auf einer Felsenkuppe, von der aus er die See übersehen konnte, entzündete er die Laterne, dann gab er das vereinbarte Signal. Er wiederholte es zur Vorsicht dreimal.
Er konnte nicht ahnen, daß Caligula und seine Männer ihn von ihrer Felsenkuppe dabei beobachten konnten.
„Wie ich es mir gedacht habe. Es wird nicht lange dauern, dann wird dieser dreimal verdammte Viermaster der Roten Korsarin in die Bucht einlaufen. Dann ist unsere Stunde gekommen. Wir warten, bis dieser Kerl dort verschwunden ist, dann rasch zur Bucht hinunter!“
Caligula flüsterte nur, und seine Männer verhielten sich so still, als gäbe es sie gar nicht.
Barba kehrte zu Siri-Tong zurück und nickte ihr zu.
„Zum Strand hinab!“ befahl die Rote Korsarin gleich darauf, und der kleine Trupp von Männern und Frauen setzte sich in Bewegung.
Auf „Roter Drache“ hatte man das Signal gesehen. Araua war in den Großtopp geentert. Sie erblickte die hin und her schwingende Lampe, die außerdem noch in kurzen Intervallen mit der Hand immer wieder abgedeckt wurde, zuerst.
Wie der Blitz sauste sie wieder aufs Hauptdeck hinab, und gleich darauf waren die Männer dabei, die Segel zu setzen.
„Roter Drache“ nahm Kurs auf die Insel. Der immer noch kräftig wehende Wind trieb ihn rasch auf die Insel zu.
Unterdessen ereigneten sich mehrere Dinge zugleich.
Siri-Tong erreichte den Strand mit ihrem Trupp. Aus der Nähe sahen die an den Stämmen hängenden Schlangenkriegerinnen noch fürchterlicher aus als von den Felsen. Die fünf Schlangenkriegerinnen ließen alle Vorsicht außer acht – sie rannten auf ihre Gefährtinnen zu, so schnell sie ihre Füße trugen.
Siri-Tong und die anderen folgten ihnen.
„Barba, mehr Holz in das Feuer, wir brauchen mehr Licht!“ rief sie dem Hünen zu, der nicht von ihrer Seite gewichen war. Barba nickte nur, dann bog er zum Strand hinunter ab. Er fand genügend Holz, und er warf soviel davon hinein, daß die Flammen hoch aufloderten. Dabei sah er aus den Augenwinkeln, wie Tatona plötzlich mitten in ihrer Bewegung erstarrte – und den anderen Schlangenkriegerinnen erging es ebenso.
Irgend etwas stimmte dort nicht – das spürte er sofort.
Unterdessen hatte Caligula den Strand ebenfalls erreicht.
„Los, Chico“, sagte er. „Zum Wrack. Nimm dir zwei Männer mit, zieht sie hoch. Und dann runter vom Wrack, oder euch holt der Teufel. Alle anderen zum Boot, aber laßt euch nicht sehen. Wer mir jetzt den Spaß noch vermasselt, den bringe ich um!“
Der mit Chico Angeredete, ein braunhäutiger, kleiner und wieselflinker Bursche, schnappte sich zwei seiner Spießgesellen, dann flitzte er los. Caligula hockte sich unterdessen hinter einen der Felsen, von dem aus er das Wrack der „Mocha II.“ gut im Auge hatte, und legte einen großen Bogen mit einem Köcher voller Pfeile neben sich. Ein Bogen, wie ihn Batuti oder Big Old Shane von der „Isabella IX.“ benutzten. Dann wartete er.
Als die Flammen des Feuers hoch aufloderten, grinste er nur. Alles lief genau nach Plan. Jetzt fehlte nur noch dieser verdammte Viermaster der Roten Korsarin.
Er hatte das kaum zu Ende gedacht, da schob sich auch schon die Silhouette der großen Galeone durch die Einfahrt der Bucht.
Caligula hielt den Atem an. Er warf einen Blick zum Wrack der Araukaner-Galeone hinüber, und wieder grinste er. Denn dort hingen jetzt fein säuberlich nebeneinander an der Gaffelrute des Besans die leicht im nächtlichen Wind hin und her pendelnden Körper von vier Schlangenkriegerinnen. Im Schein des riesigen Feuers, das Barba am Strand entfacht hatte und dessen Flammen er durch immer neues Holz noch höher schürte, erkannte man sie auf Anhieb. Es war ein makabrer, ein geradezu unheimlicher Anblick, der seine Wirkung ganz gewiß nicht verfehlen würde. Daß es sich bei den Gehenkten um Puppen handelte, die Caligula täuschend echt angefertigt hatte, das konnte man bei dem herrschenden Licht nicht erkennen. Weder das Feuer noch der Mond reichten dazu aus.
Caligula mußte ein dröhnendes Gelächter gewaltsam unterdrücken, als er jetzt die Reaktion Siri-Tongs und ihrer Gefährten weiter unten am Strand bemerkte. Die Verwirrung, die dort herrschte, war offenbar gar nicht mehr zu überbieten.
Der Viermaster glitt heran. Caligula hörte das schwache Rauschen seiner Bugwelle – und dann änderte das große Schiff plötzlich seinen Kurs und lief auf das Wrack der „Mocha“ zu.
Noch immer wartete Caligula. Er war jetzt eiskalt. Dann, als er den schweren Anker ins Wasser klatschen hörte, war es soweit. Caligula griff in den Köcher und entnahm ihm einige der Pfeile. Rasch und geübt schlug er mit seinem Flintstein Funken und setzte den schon bereitliegenden Zunder in Brand. Dann hielt er einen der Pfeile über die Flammen, und die mit Pech präparierte Spitze, die zudem noch in Schießpulver gewälzt worden war, entzündete sich mit leisem Puffen. Gleich darauf beschrieb der Pfeil seine feurige Bahn durch die Nacht. Ihm folgte ein zweiter und ein dritter – und dann tauchte Caligula schleunigst in die Deckung der dicken Felsen, zwischen denen er hockte …
Mr. Boyd und Araua befanden sich auf dem Achterdeck von „Roter Drache“, als der Viermaster in die Bucht einlief. Araua war unruhig. Sie spürte, daß von irgendwoher Gefahr drohte. Doch so sehr sie ihre Sinne auch anspannte, sie vermochte nicht zu erfassen, wo die Gefahr auf sie lauerte. Sie dachte an die Warnung des Schlangengottes – aber Siri-Tong hatte signalisieren lassen, also mußten sie in die Bucht einlaufen.
„Roter Drache“ umrundete die Felsnase, die in die Einfahrt der Bucht hineinragte, und dann erblickten sie das Feuer am Strand. Sie sahen auch Siri-Tong und Barba, der Holz in das Feuer warf, so daß die Flammen hoch in die Nacht aufstiegen und ein dichter Regen von Funken emporstieg, wenn eines der dicken Holzstücke krachend in der Hitze der Flammen platzte.
„Mister Boyd – da sehen Sie …“, Araua deutete außer sich auf die Schlangenkriegerinnen, die an den Stämmen der Palmen hingen. Sie beobachtete, wie Tatona, Siri-Tong und auch die anderen vier Schlangenkriegerinnen von einer zur anderen rannten, ratlos, betroffen, wie sie ihre Ohren an die Körper der Kriegerinnen legten und dann hastig begannen, sie loszuschneiden.
Araua spürte die Schauer, die ihr über den jungen Körper rannen – denn ob sich auch ihre Mutter unter jenen dort an den Palmenstränden befand, das vermochte sie von Bord des Viermasters aus nicht zu erkennen.
Das Wrack der „Mocha“ kam in Sicht. Es schien in den Reflexen, die die Flammen des riesigen Feuers auf dem Wasser der Bucht hervorriefen, auf den Klippen einen gespenstischen Tanz aufzuführen.
Arauas Blicke irrten umher – dann erfaßten sie die vermeintlichen gehenkten Schlangenkriegerinnen, deren entseelte Körper im Wind an der Besanrute hoch über dem Achterdeck schaukelten.
In diesem Moment hielt Araua nichts mehr. Keine Befehle Siri-Tongs, kein Zureden Tatonas – sie stieß einen schrillen Schrei aus und hechtete über Bord.
Der Ruf Mister Boyds verhallte ungehört hinter ihr, denn Araua verschwand im Wasser der Bucht und begann sofort aus Leibeskräften zu schwimmen. Sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin – und das war ihr Glück. Sie hielt auch nicht auf das zwischen den dunklen Felsen auf den Klippen liegende Wrack der „Mocha“ zu – sondern sie kraulte dem Strand entgegen, so rasch sie konnte. Dorthin, wo sich Siri-Tong, Tatona und die anderen befanden.
Als sie sich einmal umwandte, hörte sie das Klatschen, mit dem der große Anker von „Roter Drache“ ins Wasser der Bucht tauchte. Sie sah, daß Mr. Boyd den Anker in der Nähe des Wracks der „Mocha“ geworfen hatte, und sie ahnte, daß er sofort ein Kommando hinüberschicken würde.
Doch dann gewahrte sie noch etwas anderes – und für einen Augenblick hielt sie mit ihren Schwimmbewegungen inne. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, denn Araua begriff innerhalb eines Sekundenbruchteils, was jetzt geschehen würde. Es war, als ob ein sechster Sinn ihr das signalisierte.
Ein glühender Pfeil schoß aus den dunklen Felsen zur Mocha hinüber. Er brannte sprühend und zog eine helle Spur durch die Nacht. Ihm folgten gedankenschnell ein zweiter und dann noch ein dritter, und alle schlugen auf dem Wrack der „Mocha“ ein.
Einen Moment lang, während Araua den Atem anhielt und ihr Herz vor Schreck fast stehenbleiben wollte, geschah nichts. Es war, als hätte es diese drei Pfeile nie gegeben. Aber dann puffte auf der „Mocha“ plötzlich eine Flamme empor. Sie tauchte das Wrack in ein unheimliches Licht, und sie fraß sich blitzschnell über das Hauptdeck.
„Die Falle, das ist die Falle, vor der der Schlangengott uns gewarnt hat!“ Araua schrie diese Worte in die Nacht hinaus, aber sie wußte gar nicht, daß sie das tat. Denn im nächsten Augenblick ging die Welt um sie herum in einem grellen, alles verschlingendem Blitz unter, der sich zu einem riesigen Glutball ausweitete. Dem Blitz und dem Glutball folgte ein ohrenbetäubender Donnerschlag.
Araua sah, wie das Wrack der „Mocha“ auseinanderflog. Die volle Wucht dieser Explosion aber traf den Viermaster Siri-Tongs.
Araua schrie abermals auf, und in diesem Schrei mischten sich Zorn, Schreck und alles, was sie bisher an Angst und Sorge um ihre Mutter und um die ihr seit ihrer Kindheit vertrauten Schlangenkriegerinnen ausgestanden hatte.
Araua starrte halb geblendet durch den grellen Detonationsblitz zur Galeone Siri-Tongs hinüber, und sie sah die Masten fallen, sie hörte die Schreie der Männer an Deck, sie erlebte das Chaos, das jetzt über die Bucht hereinbrach, aus allernächster Nähe.
Dann regnete es Trümmer vom Himmel. Glühende, brennende Trümmer in allen Größen.
Araua war geistesgegenwärtig genug, sofort zu tauchen, so tief sie konnte. Und dort, in der schwarzen Tiefe verharrte sie, bis ihr die Lungen zu platzen drohten, erst dann wagte sie sich an die Oberfläche der Bucht zurück.
Das Wrack der „Mocha“ war verschwunden, aber auf „Roter Drache“ loderten überall Brände. Der stolze Viermaster sah entsetzlich aus. Alle Masten waren zersplittert, nicht ein einziger hatte die Explosion der „Mocha“ überstanden. Der Rumpf wies schwere Beschädigungen auf – „Roter Drache“, der stolze Viermaster der Roten Korsarin, war innerhalb weniger Augenblicke jetzt selber zum Wrack geworden.
Araua zögerte nicht. Sie durfte nicht zum Strand hinüberschwimmen. Wenn es dort überhaupt noch etwas zu helfen gab, dann waren Siri-Tong und die anderen da. Sie wurde jetzt auf „Roter Drache“ gebraucht.
So schnell sie konnte, schwamm sie zurück und enterte an Bord. Sie traf auf Verletzte, aus vielen Wunden blutende Männer, deren rauchgeschwärzte Gesichter sie nicht zu erkennen vermochte. Aber diese Männer bargen andere aus den Trümmern der Rahen und Spieren, zogen sie unter dem an vielen Stellen brennenden Segeltuch hervor, zerrten sie aus dem Gewirr des einstigen stehenden und laufenden Guts. Einer, dessen Kleidung Feuer gefangen hatte, rannte halb irrsinnig vor Panik und Schmerz über das Deck. Araua stellte ihm ein Bein, dann packte sie ihn und warf ihn über Bord.
Zischend erloschen die Flammen im Wasser der Bucht, und Araua sprang hinterher. Sie packte den Mann, und mit aller Kraft, über die sie durch das harte Training bei den Schlangenkriegerinnen der Tempelwache verfügte, rettete sie den wild um sich schlagenden Mann vor dem sicheren Tod. Es war Mister Scrutton, der Stückmeister der Roten Korsarin, und er vergaß Araua seine Rettung sein Leben lang nicht mehr. Auch wenn die Brandwunden, die später nur nach und unter der guten Pflege der Schlangenkriegerinnen verheilten, ihm zum Teil entstellten. Aber er blieb am Leben.
Danach begann der zähe Kampf um das, was von „Roter Drache“ noch übrig war. Araua bewies Umsicht, und zusammen mit Mister Boyd schaffte sie es, die zum Teil arg mitgenommenen Männer so einzusetzen, daß es gelang, die Brände einzudämmen.
Doch dann – Ewigkeiten schienen inzwischen vergangen – drang plötzlich vom Ufer wüstes Geschrei zu den Männern und Araua an Bord von „Roter Drache“ hinüber.
Araua stürzte ans Steuerbordschanzkleid – und sie mußte mit ansehen, wie die Piraten über Siri-Tong und ihre Gefährten herfielen. Ein erbitterter Kampf tobte dort, aber die Übermacht war einfach zu groß, einer nach dem anderen fiel oder mußte, in die Enge getrieben, aufgeben. Zum Schluß kämpften nur noch die Rote Korsarin und Barba wie die Berserker.
Als Siri-Tong sah, was mit „Roter Drache“ geschah, war sie für einen Moment wie gelähmt. Doch dann begriff auch sie, in welch eine teuflische Falle die Black Queen sie gelockt hatte. Dazu paßte auch, daß keine der Schlangenkriegerinnen tot war, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte, sondern daß man sie lediglich bewußtlos geschlagen hatte, um so zumindest aus der Entfernung ihre Ermordung vorzutäuschen und den Gegner dazu zu verleiten, jede Vorsicht außer acht zu lassen. Das aber war dieser schwarzen Teufelin gelungen.
Siri-Tong, noch wie betäubt durch den Donnerschlag und den grellen Blitz der Explosion, die die „Mocha“ zerriß, sah die Masten ihres Seglers fallen, sie hörte die wilden Schreie, die von Bord zu ihr herüberdrangen – und sie wußte, daß sie gefangen waren. Alle, ohne jede Ausnahme. Zu spät erkannte sie, daß der Schlangengott sie aus guten Grund gewarnt hatte, aber sie hatte das nicht ernst genug genommen, sieggewohnt, wie sie seit vielen Jahren war.
Siri-Tong sah die Brände auf „Roter Drache“, die an vielen Stellen zugleich aufloderten – und schon wollte sie Barba Anweisungen geben, da fielen Caligula und seine Männer über sie her. Das geschah so überraschend, daß selbst die Rote Korsarin kaum noch Zeit fand, ihren Degen zu ziehen.
Ein wilder Hieb Caligulas traf sie gleich zu Anfang des Kampfes, der jetzt zwischen Siri-Tong und ihren Männern und den Piraten zu toben begann.
Barba packte einen der Piraten und wirbelte ihn brüllend in die Felsen, den nächsten erwischte er an den Beinen, riß ihn um und schleuderte ihn dann ebenfalls nach ein paar wilden Drehungen um die eigene Achse auf die in diesem Moment aus dem Dunkel der Felsen hervorbrechenden Piraten.
Der Mann, der sich unter den gewaltigen Kräften Barbas in ein fast zwei Zentner schweres Wurfgeschoß verwandelt hatte, riß eine breite Lücke in die anrückenden Piraten, aber dann beendete Caligula den ungleichen Kampf auf seine Weise.
Er sprang Siri-Tong in einem Moment, in dem sie sich ohnehin gegen zwei sie hart bedrängende Gegner zu erwehren hatte, von hinten an und riß sie zu Boden. Im nächsten Moment preßte er ihr den Lauf seiner schußbereiten Pistole gegen den Kopf.
„Ergebt euch – oder sie stirbt!“ brüllte er. Barba fuhr herum – er sah die Rote Korsarin am Boden liegen und Caligula, der ihr die Mündung seiner Waffe ins lange, blauschwarze Haar preßte.
Mit einem Wutschrei warf er sich herum, aber in diesem Augenblick erwischte ihn der Hieb mit einem Musketenkolben. Er warf den Hünen Barba auf der Stelle in den Sand, und ein anderer Schädel, als der von Barba, hätte diesem Hieb nicht standgehalten.
Das entschied den ungleichen Kampf.
Caligula lachte dröhnend, während seine Männer die Rote Korsarin banden und dann über Tatona und die anderen Schlangenkriegerinnen herfielen, um auch ihnen Fesseln anzulegen.
„Die Black Queen wird sich freuen dich zu sehen, Rote Korsarin“, sagte Caligula, „sieh mich genau an – erinnere ich dich nicht an jemand, den du gut gekannt hast? So gut, daß du vor aller Augen an Bord von deinem Roten Segler mit ihm geschlafen hast, bevor er dich auspeitschen ließ im Hafen von Tortuga? He, rede, oder ich löse dir die Zunge!“
Siri-Tong schloß die Augen. Blitzartig überfiel sie die entsetzliche Erinnerung an die größte Erniedrigung, die ihr je ein Mann in ihrem Leben angetan hatte. Die Erinnerung daran, daß der Pirat Caligu sie heimtückisch auf ihrem Schiff überfallen, sie vor aller Augen vergewaltigt und sie dann nackt und geschändet, wie sie war, auch noch hatte auspeitschen zu lassen. Sie war einfach nicht imstande, diesen Kerl anzusehen, der sie so schlimm an Caligu erinnerte.
Aber sie zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Ein Blick voller Haß traf Caligula, und unwillkürlich wich er einen Schritt zurück.
„Caligu!“ stieß Siri-Tong hervor und bäumte sich in ihren Fesseln auf. „Du hast es gewagt, mich an diesen Hundesohn zu erinnern. Damit hast du dein Todesurteil gesprochen. Du wirst sterben von meiner Hand, genauso wie Caligu gestorben ist!“
Die Rote Korsarin spuckte vor ihm aus.
„Caligu, Caligula – du könntest ein Sohn sein von ihm. Schon das bedeutet den Tod, denn wer seinen Namen trägt, der hat sein Leben bei mir verwirkt.“
Die Rote Korsarin wandte sich ab – sie wollte es tun, aber in diesem Moment brach abermals die Hölle in der Bucht los.
Ein großer Dreimaster segelte in die Bucht ein. Düster wie der Tod, und seine Geschützpforten waren geöffnet. Ohne jede Warnung feuerte er eine Breitseite auf den vor Anker liegenden Viermaster der Roten Korsarin ab. Die Breitseite lag aus der kurzen Entfernung voll im Ziel, und sie hatte eine verheerende Wirkung. Der Rumpf zersplitterte unter den Einschlägen der schweren Kaliber, gurgelnd schoß das Wasser in die Laderäume.
Nur wenige Augenblicke später löste sich donnernd die zweite Breitseite aus dem unteren Geschützdeck des Dreimasters, und auch sie lag nahezu voll im Ziel.
Was dereinst der „Le Vengeur II.“ Ribaults geschehen war, geschah nun Siri-Tongs „Roter Drache“. Das Schiff nahm durch die vielen zum Teil halbyard großen Lecks soviel Wasser, daß es wie in Zeitlupe weiter und weiter nach Steuerbord krängte.
Mister Boyd, Araua und den übrigen Männern der Besatzung blieb keine andere Möglichkeit, als über Bord zu springen. Mister Boyds Stimme schallte über die Decks, und die Männer sprangen. Araua mit ihnen.
Verzweifelt versuchten sie aus der Nähe des sinkenden Viermasters zu gelangen, und den meisten von ihnen gelang es auch. Dann kenterte „Roter Drache“ mit einem Ruck. Für einen Moment lag er still im Wasser der Bucht, während die Piraten an Bord der Galeone der Black Queen in wildes Triumphgeschrei ausbrachen. Doch dann wälzte der Viermaster sich herum, als sei er seines langen Lebens auf allen Meeren der Welt überdrüssig geworden. Über das Heck kippte „Roter Drache“ ab und verschwand im nachtschwarzen Wasser der Bucht. Die Reflexe des am Strand immer noch lodernden Feuers tanzten Dämonen gleich über die Stelle seines Untergangs.
Wrackteile schossen empor, eine gewaltige Luftblase zerplatzte an der Oberfläche der Bucht mit lautem Schmatzen, und dann begann ein wilder Strudel über der Stelle zu kreisen, an der eben noch der einstige stolze Viermaster der Roten Korsarin geankert hatte.
Die Piraten ließen ihre Boote zu Wasser. Unter Führung der Black Queen begannen sie ihre Treibjagd auf die Schiffbrüchigen. Sie kriegten nicht alle, aber sie erwischten Araua, als sie unglücklicherweise halb erstickt und halb ohnmächtig vor Atemnot vor einem der Piratenboote auftauchte, denn der Strudel hatte sie mit sich in die Tiefe gerissen.
Ein derber Hieb mit einem der Riemen raubte ihr auf der Stelle das Bewußtsein. Dann wurde sie von derben Fäusten gepackt und unter Hohngelächter an Bord gezogen. Lüsterne Blicke tasteten ihren jungen Körper ab – aber dennoch wagte es keiner, sie zu berühren. Der Schlangenreif in ihrem dunklen Haar warnte sie.
„Wir werden sie der Black Queen bringen“, sagte einer der Männer. „Sie hat uns alle Strafen der Hölle angedroht, wenn wir eines dieser verdammten Indianermädchen anfassen. Der Geier mag wissen, warum, aber ihr alle wißt, daß die Black Queen keinen Spaß versteht, wenn man ihre Befehle mißachtet.“
Unwilliges Gemurmel war die Antwort – aber dann fügten sich die Männer und kehrten zur Galeone der Queen zurück.
Die Black Queen stand auf dem Achterdeck. Ihre Augen glitzerten. Dann blickte sie zum Ufer hinüber, dort, wo Caligula stand und ihr zuwinkte und gleichzeitig die gefesselte Siri-Tong mit beiden Armen emporhob, so sehr sie sich auch sträubte.
Dann ließ er sie in den weißen Sand fallen und lachte dröhnend.
„Wir haben sie, Black Queen, ich werde dir die Rote Korsarin in Fesseln auf dem Achterdeck vor die Füße legen! Und dann, dann wirst du dein Wort einlösen, das du Caligula, dem Sohn Caligus, gegeben hast!“ Er lachte dröhnend, und sein Lachen hallte von den Wassern der Bucht wider und kam als schauriges Echo aus den Felsen der Berge zurück.
Die Rote Korsarin spürte den wilden Schmerz, der ihre Seele durchschnitt, und nur mühsam unterdrückte sie ein Stöhnen. Es war eine der schwärzesten Nächte, die sie je erlebt hatte, mit Ausnahme einer einzigen, die wohl nie verging und sie bis an ihr Lebensende zu verfolgen schien.
Irgendwann schaffte man sie an Bord des Dreimasters der Black Queen. Und wahrhaftig, Caligula, dieser Hund, wagte es, sie, die Rote Korsarin, dieser pechschwarzen Piratin in Fesseln, blutüberströmt auf dem Achterdeck vor die Füße zu werfen.
Die Queen lachte, dann versetzte sie ihr einen Tritt – und da sah Siri-Tong plötzlich rot.
Sie warf sich in ihren Fesseln herum, krümmte sich zusammen und trat Caligula, der sich ihr am nächsten befand, die gefesselten Beine in den Leib. Sie legte soviel Kraft in diesen Tritt, daß er der Länge nach über das Achterdeck katapultiert wurde und schwer gegen die Schmuckbalustrade krachte. Dort blieb er einen Augenblick wie betäubt liegen, aber dann sprang er auf. Mit einem Wutschrei wollte er sich auf die Rote Korsarin stürzen, aber die Black Queen hielt ihn zurück.
„Laß sie, sie gehört mir. Aber das soll sie mir büßen!“
Sie fuhr herum.
„Legt sie in Eisen. Kettet sie an den Besanmast, ich will sie in meiner Nähe haben. Sie kriegt weder zu essen noch zu trinken, ich will sehen, wie sie zu winseln beginnt, aber auch das wir ihr nicht helfen. Vorwärts, holt den Schmied!“
Es geschah, wie die Black Queen befohlen hatte. Der Schmied kettete sie an den Besanmast – und damit war an eine Flucht für die Rote Korsarin nicht mehr zu denken.
Als der Morgen graute, setzte die „Caribian Queen“ Segel und verließ die Bucht des Unheils. Der Wind sang in der Takelage, und die tiefbraunen, düster wirkenden Segel standen prall im Wind. Der Dreimaster schob einen mächtigen weißen Bart als Bugwelle vor sich her.
Die Black Queen und Caligula standen auf dem Achterdeck. Ihre Blicke glitten über die Gefangenen, die man wie die Heringe auf dem Hauptdeck nebeneinander gelegt hatte, und ihre Gesichter leuchteten vor Triumph.
Arkana befand sich unter den Gefangenen ebenso wie Araua, ihre Schlangenkriegerinnen, Barba, Mister Boyd, der Erste Offizier der gesunkenen Viermastgaleone der Roten Korsarin. Es lagen außer Mister Boyd auch noch eine ganze Reihe anderer Besatzungsmitglieder von „Roter Drache“ auf dem Hauptdeck. Aber bei weitem nicht alle. Viele hatten es geschafft, der Treibjagd der Piraten zu entkommen – nur hatten sie nicht die geringste Chance gehabt, etwas zur Befreiung der Roten Korsarin zu unternehmen. Unter den Verletzten, die sich an Bord der „Caribian Queen“ befanden, war auch der einstige Stückmeister des Viermasters der Roten Korsarin, Mister Scrutton. Er benötigte wegen seiner Verletzungen dringend Hilfe, denn die Schmerzen, die er auszuhalten hatte, waren nahezu unmenschlich. Dennoch drang kein Laut der Klage über seine Lippen. Und in einer Anwandlung von Großmut hatte die Black Queen ausgerechnet Araua in Unkenntnis dessen, daß es sich um die Tochter Arkanas handelte, die Fesseln soweit lockern lassen, daß sie sich um den Verletzten zu kümmern vermochte. Araua verhielt sich still und unauffällig – aber sie lauerte und wartete auf ihre Chance. Doch schien die nicht zu kommen.
Die Black Queen trat an die Schmuckbalustrade, die das Achterdeck ihrer Galeone vom langen Hauptdeck trennte.
Noch einmal musterte sie voller Triumph die Gefangenen.
„Herhören, alle!“ befahl sie dann. „Ich, die Black Queen, die euch zu besiegen vermochte, habe euch folgendes zu verkünden: Ob ihr alle sterben müßt oder am Leben bleibt, hängt ganz allein von euch und euren Freunden auf der Schlangeninsel ab. Wenn ihr ihnen das Lösegeld wert seid, das ich festsetze, dann lebt ihr, wenn nicht, dann sterbt ihr. Das gilt auch für den Fall, daß jene da, die sich die Rote Korsarin nennt, sich weigern sollte, mein Schiff zur Schlangeninsel zu segeln.“