Seewölfe Paket 18

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Immer noch brüllten und schrien die Piraten wild durcheinander, und das Gebrüll steigerte sich zum infernalischen Geheul, als Araua jetzt mit ein paar Schnitten ihrer Mutter die Fesseln durchtrennte. Aber das brachte die Piraten auch wieder zu sich, und sie stürmten vor, Schiffshauer, Entermesser und Belegnägel in den Fäusten.
Araua und Arkana hatten keine Wahl – sie jagten über das Hauptdeck und hechteten über das Steuerbordschanzkleid ins Meer.
Als ob alle tausend Teufel der Hölle losgelassen worden seien, so brüllten die Piraten vor Wut auf; Sie stürzten ans Schanzkleid, einige von ihnen hielten Musketen in den Fäusten und knackend spannten sie die Hähne.
Aber Araua und Arkana tauchten nicht wieder auf, sie waren verschwunden, als habe das Meer sie verschluckt.
Die Black Queen erhob sich taumelnd. Sie war kaum imstande, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Dann sah sie Caligula an Deck wie tot liegen und begriff, daß Arkana und Araua verschwunden waren. Sie sah auch den anderen Mann, der ebenfalls bewußtlos auf den Planken lag.
Da erlitt die Black Queen einen Wutanfall, wie ihn noch kein Mann ihrer Besatzung erlebt hatte – und schon glaubten alle, sie werde jetzt jeden der Gefangenen eigenhändig umbringen. Aber in diesem Augenblick erblickte sie die Segel der „Le Vengeur III.“ und die der „Tortuga“. Und noch weiter hinten wuchsen erst gewaltige Masten über der Kimm empor, die pechschwarze Segel trugen, und ihnen folgte ein ebenso gewaltiger pechschwarzer Rumpf.
Die Black Queen hielt vor Schreck den Atem an. Denn wenn sie jetzt auch nur den geringsten Fehler beging, dann nahte dort hinten bereits der Tod, der ihr prophezeit worden war.
Caligula rappelte sich ebenfalls fluchend auf. Auch er erkannte die Segel und dann auch den Schwarzen Segler.
„Thorfin Njal, der Wikinger!“ stieß er betroffen hervor – und er hatte recht.
Es war alles zu spät für die Black Queen. Weder würde es ihnen gelingen, noch rechtzeitig Segel zu setzen, noch konnten sie es schaffen, diesen schnell segelnden Gegnern zu entkommen. Selbst dann nicht, wenn sie die Ankertrosse kappten.
„Die Geiseln – paßt auf die Geiseln auf, nur sie sind jetzt unsere Rettung!“ brüllte die Black Queen, und gleichzeitig flog ihr Blick zur Roten Korsarin hinüber, die jetzt ihr kostbarstes Faustpfand war. Aber die stand immer noch gefesselt am Besan. Doch jetzt blickte sie die Black Queen höhnisch an.
„Es ist aus mit dir, Black Queen. Früher oder später, denn wir alle werden dich jagen, wie wir einst Caligu jagten. Und am Ende der Jagd war Caligu tot.“
Siri-Tong wandte sich ab. Sie blickte den drei Schiffen entgegen, die jetzt dabei waren, die „Caribian Queen“ einzukreisen und ihr jeden Fluchtweg abzuschneiden.
Als Thorfin plötzlich Arkana und Araua vor sich triefend naß auf dem Achterdeck erscheinen sah, glaubte er an Halluzinationen. Er griff sich völlig verstört an den Helm, kratzte sich dann ausgiebig und schüttelte den Kopf. Aber als er dann erfuhr, was sich ereignet hatte, und wen alles die Black Queen immer noch als Geiseln an Bord hatte, da bekam er fast einen Tobsuchtsanfall, den Gotlinde dann aber energisch zu stoppen versuchte. Doch diesmal hatte sie keinen Erfolg, denn Thorfin Njal, der Wikinger, blitzte sie an.
„Das ist eine so verdammte Sache“, brüllte er, „daß sie beflucht werden muß, und da lasse ich mir nicht dreinreden. Zum Donner, bei Odin und Thor, dem Gott des Blitzes – bin ich noch Herr auf meinem Schiff oder nicht?“ brüllte er dickköpfig.
Diesmal kroch sogar Gotlinde in sich zusammen und schwieg, denn das war im Moment der bessere Teil der Klugheit. So gut kannte sie ihren Thorfin inzwischen doch.
Aber Thorfin Njal hielt sich mit alledem nicht auf. Der Schwarze Segler drehte in den Wind, und der Wikinger sprang ans Schanzkleid. Er sah die Black Queen, und sie sah ihn.
„Black Queen“, brüllte er, daß es bis zur Schlangeninsel hinüberdröhnte. „Gib die Geiseln frei. Du hast keine Wahl, ich verhandle nicht. Ich zähle bis zwanzig, dann sind alle frei, oder wir schießen dich zusammen. Eins, zwei, drei …“
Die Black Queen spürte, wie ihr eiskalte Schauer über den Körper jagten.
„Du hast freien Abzug, Black Queen“, brüllte der Wikinger, „mehr biete ich dir nicht an, und das ist mein letztes Wort!“ Eiskalt zählte er weiter. Bei sieben flogen die Geschützpforten hoch. Bei zehn stieg zischend ein Brandsatz in die Höhe, und unweit der „Caribian Queen“ regnete Feuer in roter, grüner und blauer Farbe vom Himmel, das auf dem Wasser weiterbrannte, ohne je zu verlöschen.
Da begriff die Queen.
„Ich gebe auf, Wikinger“, brüllte sie zurück und bebte vor Wut. „Die Geiseln gegen freien Abzug!“
Der Wikinger atmete insgeheim auf, und er hörte auf zu zählen. Es dauerte nicht lange, bis sich alle einstigen Geiseln unversehrt bei ihm an Bord befanden.
Die Black Queen lichtete den Anker, die dunkelbraunen Segel bauschten sich im Wind. Sie passierte den schwarzen Segler in einer Kabellänge Abstand.
Die Black Queen starrte ihn an, und Thorfin Njal packte abermals die Wut.
„Wir werden um Tortuga miteinander kämpfen, Black Queen!“ brüllte er, und sogar sein Helm dröhnte dabei. „Dann werden wir sehen, wer der Herr der Karibik ist!“
„Ja, Wikinger“, schallte es zurück. „Wir werden miteinander kämpfen, du Ausgeburt der Hölle. Aber nicht um Tortuga, sondern um die Schlangeninsel. Und um alles, was sich auf ihr an Schätzen befindet. Ihr werdet sterben, alle. Heute war der Satan mit euch im Bunde, aber nächstesmal wird auch er nicht helfen können. Mir wird die Schlangeninsel gehören, Wikinger, ganz allein mir, der Black Queen, das schwöre ich!“
Der Schwarze Segler verlor keine Zeit. Nachdem die „Tortuga“ eine Reihe von Verletzten übernommen hatte, segelte der Wikinger sofort zu jener Bucht auf der Caicos-Insel, wo Siri-Tongs „Roter Drache“ sein Grab gefunden hatte. Thorfin Njal nahm die Überlebenden, die sich noch auf der Insel befanden, an Bord und segelte anschließend sofort zur Schlangeninsel zurück.
Aber an Bord des Schwarzen Seglers herrschte gedrückte Stimmung, der sich niemand zu entziehen vermochte, vor allem die Rote Korsarin nicht. Denn es hatte Tote gegeben. Fünf Männer ihrer Besatzung hatte „Roter Drache“ mit sich in die Tiefe genommen.
Der Wikinger legte der Roten Korsarin den Arm um die Schulter, und nicht einmal seine Frau Gotlinde erhob Einspruch.
„Uns steht ein schwerer Kampf bevor, Siri-Tong“, sagte er. „Diese Black Queen und dieser Caligula sind gefährlicher als alle, mit denen wir vorher gekämpft haben. Ich wünschte, der Seewolf käme bald zurück.“
Damit hatte er ausgesprochen, was in diesem Moment alle dachten.
„Aber jetzt, Rote Korsarin“, fuhr er fort, „spendiere ich ein Faß Rum, das wird uns allen guttun. Und ich will, bei Odin, von niemandem auch nur ein einziges Wort dagegen hören!“
Ihm entging, daß sich in Gotlindes Gesicht ein Lächeln stahl. So war er, ihr dickschädeliger Thorfin, dieser Bär von Mann. Aber genauso wollte sie ihn auch …
ENDE
Dieser Roman findet seine Fortsetzung in Seewölfe Band 361 von Fred McMason
DER KAMPF UM TORTUGA

Davis J. Harbord
1.
12. September 1593, morgens.
Die „Isabella IX.“ stand querab der Westküste von Florida. Zwei Nächte waren vergangen, seit die Seewölfe unter ihrem Kapitän Philip Hasard Killigrew mit mehr Glück als Verstand den Spaniern entwischt waren und die Insel des Schnapphahns Mardengo, Pirates’ Cove, verlassen hatten.
Ein feines Windchen wehte aus Südsüdost und trieb die „Isabella“ in Sichtweite der Küste nordwärts. Die Galeone segelte raumschots über Steuerbordbug, der Sektor voraus, an Backbord und achteraus war leer, nichts zeichnete sich an der Kimm ab. Die Sonne im Osten warf silbrige Reflexe über die See im Golf von Mexiko.
Von Edwin Carberry stammte der Ausdruck „Schmalzsegeln“. Er besagt, daß das Schiffchen wie auf Schmalz läuft, gewissermaßen wie geschmiert. Der Wind hat keine Mucken, er springt nicht um, er legt nicht zu, er schläft nicht ein. Nein, er weht dauerhaft, gleichmäßig und ständig aus ein und derselben Richtung.
Beim „Schmalzsegeln“ brauchen die Mannen die Segelstellung nicht zu korrigieren und zu trimmen, sondern können Däumchen drehen, faul sein, sich die Sonne auf den Pelz brennen lassen, der Ruhe pflegen und dem Müßiggang frönen. Man könnte sogar das Ruder festlaschen und den Rudergänger in die Koje schicken.
Gegenüber der Schinderei bei ruppigem Wind mit hackigen Böen ist „Schmalzsegeln“ also eine feine Sache.
Philip Hasard Killigrew war an diesem Morgen anderer Ansicht, das heißt, unter anderen Umständen hätte er die zur Zeit vorherrschende Schmalzsegelei auch als durchaus angenehm empfunden. Aber dieses Mal fühlte er sich lebhaft an ein Ereignis erinnert, das an die siebzehn Jahre zurücklag. Da war das ähnlich gewesen. Und wie hatte er damals geflucht! Genauso war ihm auch heute nach Fluchen zumute, obwohl die Kerle – wie damals – allesamt dämlich grinsten und sich wie Gockel spreizten.
Da waren also sechs Mädchen an Bord – von der Zahl her kein Vergleich zu den siebzehn Töchtern Afrikas, der „schwarzen Fracht“ einer spanischen Galeone, die sie damals, 1576, geentert hatten. Diese siebzehn schwarzen Ladys sowie über dreißig Neger – Batuti war darunter gewesen – hatten in Spanien auf dem Sklavenmarkt verkauft werden sollen, was durch den Zugriff Hasards und seiner Stammcrew verhindert worden war.
Diese siebzehn schwarzen Gazellen waren damals ein Problem für ihn gewesen, ein Alptraum.
Jetzt waren es nur sechs Ladys – nur! Aber das waren, mit Verlaub, andere Kaliber als die siebzehn schwarzen Ladys, mit denen er und seine Crew seinerzeit konfrontiert worden waren.
In diesem Falle handelte es sich um sechs Spanierinnen, die gemeint hatten, in der Neuen Welt sehr schnell reich werden zu können, nun ja, in einem Gewerbe, das zwar sehr alt ist, aber dennoch als zweifelhaft bezeichnet werden muß. Durch widrige Umstände waren diese sechs Ladys dem Schnapphahn Mardengo in die Hände gefallen, der sie auf die Pirateninsel verschleppt hätte – als Zeitvertreib für seine Spießgesellen.
Immerhin sprach es für die sechs spanischen Ladys, daß sie auf dieser verdammten Insel nicht völlig verludert waren. Das Erscheinen der Seewölfe hatte ihnen die Möglichkeit geboten, die Pirateninsel zu verlassen. Diese Möglichkeit hatten sie mit Freuden wahrgenommen, zum einen, weil ihnen die Seewölfe gefielen, zum anderen, weil sie tatsächlich ein entwürdigendes Leben unter Mardengos Galgenvögeln hatten führen müssen.
Ja, Ilaria, dieses hübsche Weib mit den schwarzen Glutaugen und dem südländischen Temperament, hatte Hasard sogar mutig und tatkräftig zur Seite gestanden, als seine Männer von ihm befreit worden waren.
Daß dieses rassige Weib nunmehr erpicht darauf war, eine andere Festung im Sturm zu nehmen, konnte nicht verheimlicht werden.
Diese Festung hieß Philip Hasard Killigrew.
Damals, vor siebzehn Jahren, hatte eine der siebzehn schwarzhäutigen Gazellen ebenfalls ein liebendes Auge auf Philip Hasard Killigrew geworfen. Nuva war ihr Name gewesen.
Frauen an Bord, nicht wahr! Der Teufel sollte alle Weiber holen!
Und alle Nuvas und Ilarias.
Den neuen sonnigen Morgen auf einem soliden englischen Schiff namens „Isabella“ (auch so ein Weibername, verflucht!) begrüßten die sechs Ladys vorn auf der Back, wo sie schnatternd und kichernd und blickewerfend bereits Stellung bezogen hatten und – um bei Carberrys Vergleich dieser Art von Segelei zu bleiben – von den Arwenacks mit entsprechenden Schmalzblicken bedacht und in Augenschein genommen wurden.
Was Hasard – auf dem Achterdeck – erboste, war die an sich erfreuliche Tatsache, daß alle seine Mannen wie aus dem Ei gepellt aussahen: Verfilzte Haare waren gekämmt, schmutzige Hemden waren nicht zu erkennen, keiner trug gammelige Klamotten, nichts Vermieftes war zu entdecken. Nicht, daß die Arwenacks sonst im letzten Hemd herumliefen und der Auffassung huldigten, Dreck hielte warm. Nein – so durfte man das nicht sehen. Nur fiel dem Kapitän eben auf, daß sie allesamt an diesem schönen Morgen viel, viel knackiger und appetitlicher wirkten als sonst.
Sogar der essigsaure Mac Pellew erweckte den Eindruck, als sei aller Schmerz dieser Welt von ihm abgefallen und die Frische der Jugend habe ihn geküßt.
Er tänzelte aus der Kombüse, wandte sich zur Back um und verkündete den Ladys dort oben, mit Schmalz in der Stimme und in den Augen, daß es nicht mehr lange bis zum Frühstück dauern werde, das er in Anbetracht der holden weiblichen Gäste auf ganz besondere Art zubereitet habe. Er raspelte nicht Süßholz, nein, er hobelte es in dicken Spänen. Dabei zelebrierte er Kratzfüße, dieser ausgemergelte Kerl, und führte sich auf wie einer dieser verdammten italienischen Tanzmeister, die neuerdings in England auftraten, um den Leuten beizubringen, wie man nach Musik herumhüpfen könne.
Hasard knirschte mit den Zähnen, packte wütend die Hände auf den Rücken, drehte sich abrupt um, um nach achtern zu marschieren, aber da tauchte Ben Brighton auf dem Achterdeck auf und wünschte ihm einen guten Morgen.
„Ein schöner Morgen“, knurrte ihn Hasard an und winkte mit dem Kopf ruckartig nach hinten. „Schau’s dir an! Diese Balzhähne! Diese gurrenden Täuberiche! Und alle geschniegelt wie Lackaffen …“ Er unterbrach sich und blickte an Ben vorbei zum Rudergänger. Das war für die Morgenwache Nils Larsen, der breitschultrige, blonde Däne, den die Seewölfe in Rönne auf Bornholm davor bewahrt hatten, mit Gewalt vor den Traualtar geführt zu werden.
Nils Larsen grinste nämlich breit, aber dieses Grinsen verging ihm, weil er bemerkte, daß bei seinem Kapitän die Zeichen auf Sturm standen. Und Hasard fauchte ihn auch sogleich an: „Diese Flittchen sind dir wohl lieber als deine spitznasige Greta Elvström, die dich unter ihre Bettdecke zerren wollte, he?“
Nils Larsen peilte zum Großsegel hoch, das unverändert gut stand, und sagte: „Sir, ich werde dir ewig dankbar sein, daß du mich davor bewahrt hast. Aber bei diesen Ladys von der Pirateninsel bin ich mir nicht ganz so sicher, ob du das noch einmal schaffen würdest, sollte eine von ihnen die gleichen Absichten wie Greta Elvström haben.“
Hasard starrte ihn an. Dann feuerte er die rechte Faust in die linke Handfläche, daß es wie ein Pistolenschuß krachte, fuhr zu Ben herum und blaffte: „Da hast du es! Hast du’s gehört, was dieser Ochse sagte?“
Ben Brighton verbiß sich ein Grinsen und sagte: „Klar hab ich’s gehört – und versteh’s sogar, wenn ich an Greta Elvström denke. An der war doch nun wirklich nichts dran. Sei mal ehrlich. Da würde ich auch jedes dieser sechs Mädchen der hageren Bohnenstange Greta vorziehen.“ Er spähte voraus zur Back. „Sind doch hübsch anzusehen, diese sechs Ladys – vor allem Ilaria!“
Hasard zuckte zusammen und bedachte seinen Ersten Offizier mit einem vernichtenden Blick. „Fängst du auch schon an, Mister Brighton?“
Ben Brighton schaute betont harmlos drein. „Mit was soll ich anfangen, Sir?“ Er zog dabei ein bißchen die linke Augenbraue hoch.
„Tu bloß nicht so, du alter Schurke!“ knurrte Hasard. „Du weißt genau, was ich meine. Wenn wir hier vom Achterdeck anfangen, wegen dieser sechs Grazien herumzuturteln, dann können wir uns einsargen lassen und vergessen, daß es mal eine ‚Isabella‘-Crew gab.“
„Ah ja“, sagte Ben Brighton und kratzte sich am rechten Ohr.
„Ah ja!“ höhnte Hasard. „Und was noch?“
Ben Brighton verschluckte eine Antwort, weil Old O’Flynn aufs Achterdeck stiefelte, sich an der Querbalustrade aufbaute, nach vorn zur Back spähte, die Augen zusammenkniff, sich räusperte und sagte: „Ein erfreulicher Anblick heute morgen, das läßt einen gleich zehn Jahre jünger werden!“ Und er atmete tief durch und reckte den Brustkorb.
„Zehn Jahre!“ sagte Hasard erbittert. „Bei dir doch mindestens vierzig Jahre!“
„Wie?“ Old O’Flynn drehte sich zu ihm um. „Was meintest du?“ Er schob den Kopf etwas vor und beäugte Hasard. „Wohl mit dem verkehrten Bein aufgestanden, wie? Oder hat dir Ilaria einen Korb gegeben?“
Hasard schaffte es, nicht zu platzen, auch wenn’s ihm schwerfiel. Er schnaufte nur ein bißchen und erwiderte: „Weder – noch, Mister O’Flynn. Ich bin mit beiden Beinen aufgestanden, wie ich das immer tue. Und deine Bemerkung mit dem Korb war geschmacklos, wenn ich bedenke, daß du der Vater meiner Frau Gwendolyn bist. Du solltest mir einen besseren Geschmack zutrauen, verehrter Schwiegervater, jedenfalls an Gwen gemessen!“
Da kriegte es der Alte mal wieder Vierkant zwischen die Hörner. Dementsprechend lief er auch rot an und schnappte nach Luft. Als er sie hatte, donnerte er: „Da hört sich doch alles auf!“
„Ja“, sagte Hasard, „da hast du recht. Der Spaß hat genau dort ein Ende, wo ein alter Kerl wie du anfängt, dummes Zeug zu reden und taktlos zu werden. Nimm bitte zur Kenntnis, daß dein Schwiegersohn Philip Hasard Killigrew noch nie hinter Huren hergestiegen ist. Infolgedessen kann ihm eine gewisse Ilaria auch keinen Korb gegeben haben.“ Erst jetzt wurde Hasards Stimme scharf. „Noch so eine Bemerkung, Mister O’Flynn, und du darfst dir dort drüben an Land die Füße vertreten und bis ans Ende deines Lebens darüber nachdenken, ob es nicht besser gewesen wäre, das Maul zu halten. Auch als Vater von Gwendolyn Bernice O’Flynn hast du nicht das Recht, mich zu beleidigen!“
Hasard reagierte selten so scharf, und dieses Mal zog Old Donegal den Kopf ein. Er begriff, daß er zu weit gegangen war.
Darum sagte er: „Entschuldigung, ich hatte es nicht so gemeint und auch nicht die Absicht, dich zu beleidigen. Es ist mir eben so rausgerutscht. Aber daß du schlechte Laune hast, wirst du ja wohl nicht ableugnen.“
„Schon gut“, brummte Hasard, „vergessen wir’s. Was mich interessieren würde: hattet ihr auf eurer ‚Empress of Sea‘ mal Frauen an Bord?“
„So was gab’s bei uns nicht!“ erwiderte der Alte fast empört. „Weiber an Bord bringen Unglück …“ Er verstummte abrupt, schielte zur Back und murmelte: „Ach so.“
„Genau“, sagte Hasard und hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden. „Das ist nämlich mein Problem – eures allerdings auch. Nur begnügt ihr euch damit, herumzubalzen oder den Anblick dieser Ladys erfreulich zu finden, während ich darüber nachdenke, wie ich diese sechs Pulverfässer wieder loswerden kann. Denn das sind Pulverfässer, hol’s der Teufel!“
„Hm, da hast du recht“, sagte Old O’Flynn und legte die Stirn in Falten, so daß sein Gesicht mit den vielen Runzeln noch zerknitterter wirkte. Wie ein zu groß geratener Wurzelzwerg sah er aus. „Ich hab’s!“ rief er dann und verkündete: „Wir nehmen sie mit zur Schlangen-Insel. Ganz einfach.“
„Und die ganze Zeit bleiben sie hier an Bord, wie?“ fragte Hasard. „Dabei wissen wir noch gar nicht, wann wir wieder zur Schlangen-Insel zurücksegeln werden. Jedenfalls wird das erst dann sein, wenn wir Tamaos und Asiagas Stamm gefunden haben. Da steht uns sowieso noch allerlei bevor. Aber ganz davon abgesehen: ich persönlich bin nicht dafür, diesen sechs Frauenzimmern auf der Schlangen-Insel ein neues – äh – Tätigkeitsfeld zu bieten. Soll da vielleicht ein Bordell eröffnet werden?“
Old O’Flynn kratzte sich am Hinterkopf und sagte ein zweites Mal: „Ach so!“ Und dann grinste der alte Knochen und meinte: „Warum eigentlich nicht?“
Hasard schickte einen gottergebenen Blick in den blauen Himmel.
Dafür sagte Ben Brighton zu Old O’Flynn: „Und du übernimmst die Oberaufsicht in dem Etablissement, wie?“
„Ich bin zu allen Opfern bereit“, erklärte Old O’Flynn mit Würde. Dieser Heuchler!
Inzwischen waren auch Hasards Söhne auf dem Achterdeck erschienen und lauschten mit großen Ohren.
Hasard bemerkte sie erst jetzt und sagte prompt: „Ab in die Kombüse, ihr beiden!“
Sie trollten sich und waren dabei am Maulen, weil sie zu gerne noch mehr gehört hätten. Offenbar wurde über Ladys ganz allgemein, aber auch im besonderen gesprochen, wobei von einem Etablissement die Rede gewesen war.
Mac Pellew, inzwischen wieder beim Kutscher in der Kombüse, wurde das Opfer ihrer Fragerei.
„Was ist ein Etablissement, Mister Pellew?“ erkundigte sich Hasard junior.
„Äh …“, sagte Mac Pellew und verstummte wieder, weil sich der Kutscher laut räusperte. „Ist was?“ fragte er.
„Nein“, sagte der Kutscher etwas barsch. „Sieh zu, daß die fertigen Omelettes warm gehalten werden. Ich bin noch nicht ganz durch mit den Dingern.“ Er klatschte einen Teig in eine Pfanne, in der bereits Speckwürfel gebraten wurden. Es zischte und dampfte. Und es duftete angenehm.
Hasard junior blieb hartnäckig, eine Eigenschaft, die auch Philip junior auszeichnete.
„Mister Pellew“, sagte also Hasard junior, „was ist ein Etablissement?“
Der Kutscher zog beide Augenbrauen hoch und schob die Pfanne über dem Holzkohlenfeuer hin und her.
Mac Pellew registrierte das und sagte etwas tückisch: „Was das sein soll, weiß ich nicht. Fragt doch mal den Kutscher!“
„Ich brate jetzt Omeletten“, sagte der Kutscher – in der Hoffnung, die Fragerei damit beenden zu können.
Nichts da! Philip junior fragte: „Weißt du, was ein Etablissement ist, Mister Kutscher, Sir?“
Der Kutscher schwuppte die Pfanne hoch, das Omelette überschlug sich in der Luft und klatschte in die Pfanne zurück. Dann verlegte er sich auf die alte Taktik, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.
„Könnt ihr mir mal verraten, warum ihr das wissen wollt, he?“
Hasard junior nickte. „Weil unser Großvater dort die Oberaufsicht übernehmen soll. Und er hat gesagt, er sei zu allen Opfern bereit.“ Er runzelte die Stirn und fügte hinzu: „Muß ja furchtbar sein, so’n Etablissement.“
Mac Pellew reckte den Hals und begann loszukichern. Es klang wie das Gackern eines Huhns und wurde in der Tonlage auch immer höher.
Der Kutscher hätte gern mitgegackert, bezwang sich aber, weil ihm klar wurde, daß diese beiden Killigrew-Schelme dann noch neugieriger werden würden.
Statt dessen fragte er streng: „Von wem habt ihr denn diesen Quatsch aufgeschnappt?“
„Das ist kein Quatsch“, sagte Philip junior zornig. „Darüber haben Dad, Mister Brighton und Mister O’Flynn eben gesprochen.“
„Jawohl, haben sie“, bestätigte auch Hasard junior. „Wir wissen genau, was wir gehört haben.“
„Jawohl“, sagte Philip junior trotzig. „Wir wissen genau, was wir gehört haben.“
Mac Pellew war jetzt am Schnaufen und wischte sich über die Augen. Er hatte gegackert, bis ihm die Tränen kamen. Für einen Miesgram wie ihn war das eine unerhörte Leistung.
Der Kutscher deponierte das Omelette mit einem eleganten Schwung auf dem Stapel der bereits gebratenen Speckeierkuchen und hantierte mit der zweiten Pfanne auf der anderen Feuerstelle im Holzkohleherd, wo auch bereits Speckwürfel brutzelten. Er war ziemlich wütend über Mac, über die verdammte Fragerei und über die Ausweglosigkeit, diesen hellen Bürschchen Rede und Antwort zu stehen über ein Thema, bei dem man garantiert auf Glatteis geriet. Außerdem war das reichlich wirre. Wieso sollte Old O’Flynn die „Oberaufsicht über ein Etablissement übernehmen“, Himmel, Arsch und Eierkuchen?
Verzeihung, verbesserte sich der Kutscher im stillen, ich denke schon so ordinär, wie sich der Profos auszudrücken pflegt.
Und er fuhr die beiden Bürschchen an: „Wollt ihr jetzt schon euren Anteil verspeisen oder die fertigen Omeletten erst an die Männer und die Flitt… äh – die Ladys verteilen?“
Hasard junior hakte sofort nach und benutzte auch den Trick mit der Gegenfrage. „Wolltest du Flitzer sagen, Mister Kutscher? Meinst du damit die Ladys?“
„Flitzer! Huhu-hi-hi!“ Mac Pellew gackerte schon wieder los. Der war heute morgen reineweg aus dem Häuschen.
„Mister Pellew!“ fauchte der Kutscher und geriet jetzt so richtig in Rage. „Ich habe keine Lust mehr, mir dein dämliches Kichern anzuhören. Nimm bitte die beiden Knaben und die fertigen Omeletten, die Crew und die Ladys wollen frühstücken. Soll ich vielleicht die Dinger austeilen?“










