Seewölfe Paket 18

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„Sondern?“ fragte Hasard kurz.
„Nun – äh – ich dachte, die Ladys könnten ihrem alten – äh – Beruf nachgehen“, sagte Little Ross etwas gequält und fügte hastig hinzu: „Aber das müssen sie natürlich nicht, ich meine, sie können mir sicherlich auch am Tresen helfen oder die Küche übernehmen, wenn sie wollen …“ Er verstummte unter Hasards unerbittlichem Blick.
„Ah ja“, sagte Hasard, „und du bist der große Macker, wie? Mit anderen Worten: die Ladys sollen für dich arbeiten – so oder so –, und du legst dich auf die faule Haut und kassierst. Ach so, fast hätte ich das vergessen: du willst sie beschützen. Ein Mann will sechs Frauen beschützen! Vor was denn? Meinst du, die legen Wert auf deinen Schutz? Oder hattest du vor, eine Festung zu bauen, die Ladys darin unterzubringen und die Festung dann allein gegen mögliche Indianerangriffe oder gegen solche Kerle wie Mardengos Schnapphähne zu verteidigen? Du nimmst das Maul ziemlich voll, Mister Ross! Aber bitte sehr, ich bin nicht der Wortführer der sechs Ladys, die selbst darüber zu entscheiden haben, ob ihnen deine Pläne passen, vor allem, ob sie sich dir unterordnen wollen.“
„Das sollen sie doch gar nicht“, sagte Little Ross wütend.
„Sondern?“ fragte Hasard scharf.
„Wir sind alle gleichberechtigt.“
„Natürlich!“ höhnte Hasard. „So gleichberechtigt, wie ein paar Hühner unter einem Hahn sind, nicht wahr? Erzähl mir doch nichts, Kerl! Du willst dir einen Harem zulegen, bist aber bereit, deine Weiber an andere Liebhaber zu vermieten!“
Auf der Kuhl setzte ein drohendes Gemurmel ein. Natürlich hatten sie alle die Ohren gespitzt und den erstaunlichen Dialog genau mitgehört, der im übrigen in der englischen Sprache geführt worden war.
Carberry stemmte die Fäuste in die Hüften – wie stets, wenn er loslegen wollte – und rief zur Back hoch: „Sir, soll ich diesen Wüstling mal ein bißchen durchklopfen und anschließend ins Wasser tunken, damit er geläutert wird?“
„Mit dem werde ich auch allein fertig, Ed!“ rief Hasard zur Kuhl hinunter, ohne Little Ross aus den Augen zu lassen. Der Bulle sah tatsächlich so aus, als habe er die Absicht, auf Hasard loszugehen.
Hasard reizte ihn ganz bewußt weiter. Er wollte erfahren, wie weit diesem Kerl zu trauen war, der erklärt hatte, mit sechs Frauen an Land gehen zu wollen.
„Nur zu, du Beschützer!“ sagte er spöttisch. „Zeig mal, was du kannst! Stell dir vor, daß ich die Absicht hätte, dir deine dickbusige Dolores wegzuschnappen und mit ihr abzuhauen!“
Dieser Klotz von Kerl war gerissener, als Hasard gedacht hatte. Er ließ nämlich die Fäuste sinken, die er bereits zum Zuschlagen gehoben hatte, grinste und sagte: „Sir, du treibst das ein bißchen auf die Spitze, nicht wahr? Aber ich bin ein guter, ehrlicher englischer Hundesohn. Ich will mich mit dir nicht schlagen, und wahrscheinlich haust du mir auch die Hucke voll. Laß uns das also friedlich regeln, unter Gentlemen, versteht sich. Richtig, ich habe ein Auge auf Dolores geworfen, die mir sehr recht ist – ich ihr, glaube ich, auch. Ich will keinen Harem haben und auch nicht den Hahn spielen. Ich mag so was nicht. Einem Mann muß eine Frau genügen – wenn es die richtige ist. Das wäre das eine, was ich dazu zu sagen habe, und ich meine es ehrlich. Das andere: wenn ich eine Kneipe haben sollte, dann ist es den Ladys freigestellt, auf welche Art sie dort tätig werden wollen. Das ist ihre eigene Sache. Wenn sie am Tresen oder in der Küche arbeiten, werden sie dafür bezahlt. Klarer Fall. Über jede andere Tätigkeit – zum Beispiel den Verkauf von Liebe – habe ich nicht zu befinden. Das geht mich nichts an. Darüber müssen sie selbst frei entscheiden. Zu kassieren habe ich in einem solchen Fall überhaupt nichts. Damit will ich nichts zu tun haben. Sollten sie jedoch meine Hilfe brauchen, werde ich mich für sie einsetzen, soweit das in meiner Macht liegt. So, das wär’s wohl. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“
„Das klingt schon anders“, sagte Hasard und verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann erzähl den Ladys mal, wie du dir ihre Zukunft in Sarasota vorstellst.“
„Willst du das nicht tun, Sir?“ fragte Little Ross etwas unglücklich.
„Wieso ich?“ sagte Hasard ungerührt. „Es ist weder mein Plan, noch habe ich die Absicht, in Sarasota zu siedeln. Ich würde auch lieber einen Sack voller Flöhe hüten, als mir diese sechs Ladys aufzuhalsen. Aber ich heiße ja nicht Little Ross. Jetzt sieh zu, wie du das geregelt kriegst. Vielleicht erntest du ein Hohngelächter – was ich verstehen könnte.“
„Du wirst schon wieder sarkastisch, Sir“, sagte Little Ross vorwurfsvoll.
„Verdammt, ja“, brummte Hasard. „Vielleicht fehlt mir die Phantasie für so was Verrücktes. Da werde ich dann leicht bissig. Ein Mann und sechs Frauen – mein Gott! Und dann noch solche! Hast du dir wirklich genau überlegt, auf was du dich da einläßt, Mann?“
„Ja. Ich schaff das schon. Zuhause war ich das einzige Büblein unter sechs Schwestern!“
„Ach du meine Güte“, sagte Hasard erschüttert, „auch das noch!“
„Gar nicht ‚auch das noch‘“, sagte Little Ross etwas beleidigt. „Wir hatten ein sehr harmonisches Familienleben.“
„Waren die Schwestern alle älter als du?“ fragte Hasard.
„Ja.“
„Die haben dich bemuttert, wie?“
„Sicher“, erwiderte Little Ross stolz, „jede hatte eine Aufgabe: die eine fütterte mich, die zweite wickelte mich, die dritte badete mich, die vierte zog mich an, die fünfte schaukelte mich und die sechste spielte mit mir. Später verdrosch ich die Kerle, die ihnen zu nahe treten wollten.“ Bescheiden fügte dieser Klotz von Kerl noch hinzu: „Seitdem wurde ich ‚Little Ross‘ genannt.“
Hasard beugte sich weit vor und hatte zuckende Schultern.
Auf der Kuhl setzte Carberry als erster mit einem dröhnenden „Hö-hö-hö!“ ein. Und dann brauste ein Lachsturm über die „Isabella“, daß die Toppstengen zitterten. Sir John war wieder am Flattern und flüchtete kreischend unter Deck. Little Ross stand sehr beschämt da und wußte nicht, wo er hinschauen sollte. Daß die aber auch so über ihn lachen mußten! Und das nur, weil er ein bißchen von sich erzählt hatte. Was daran so witzig sein sollte, begriff er nicht. Wahrscheinlich hatten diese Kerle von der „Isabella“ eine eigene Art von Humor. Daß einer sechs Schwestern hatte, darüber brauchte man ja nicht derart schallend zu lachen – dachte er.
Dabei beruhte die Heiterkeit der Arwenacks ganz schlicht auf der Komik der Situation, nämlich darauf, wie dieses ausgewachsene Exemplar von Mannsbild seine Zeit als Büblein unter sechs Schwestern beschrieben hatte, von denen es bemuttert worden war. Logisch, daß sich jetzt der gedankliche Vergleich zu den sechs Ladys aufdrängte. Die Seewölfe stellten sich vor, die sechs Ladys würden sich des „Bübleins“ in ähnlicher Weise annehmen wie die sechs Schwestern: ihn füttern, wickeln, baden, anziehen, schaukeln und mit ihm spielen. Genau diese Vorstellung ließ sie in ihr schmetterndes Gelächter ausbrechen.
Little Ross war ein Komiker – nur wußte er’s nicht.
Die sechs Ladys wiederum waren, nachdem Hasard Little Ross auf die Back geholt hatte, dem Disput mit gemischten Gefühlen gefolgt. Zuerst hatte sich das Gespräch zwischen den beiden gut angelassen, aber dann war nicht zu verkennen gewesen, daß den großen, so gutaussehenden Kapitän der Zorn gepackt hatte. Und auch der Mann, der Little Ross genannt wurde, war zornig gewesen. Plötzlich jedoch hatten alle gelacht – und wie sie gelacht hatten! Nur Little Ross hatte an der allgemeinen Heiterkeit nicht teilgenommen, sondern ausgesehen, als sei ihm eine Laus über die Leber gekrochen. Besonders Dolores hatte das vermerkt und war schon drauf und dran, ihn zu trösten.
Aber da gebot der Kapitän Ruhe und winkte Little Ross zu. Offenbar sollte er ihnen, den Ladys, etwas mitteilen. Aber der Ärmste hatte rote Ohren und schien nicht zu wissen, was er sagen sollte.
Da sagte der Kapitän: „Nun, meine Lieben!“ Er räusperte sich und fuhr fort: „Dieser Caballero hier – er wird Little Ross genannt – unterbreitete mir einen Vorschlag, der eure Zukunft betrifft …“
Dolores unterbrach ihn.
„Und darüber habt ihr gelacht?“ fragte sie spitz.
Ei, verdammt! dachte Hasard. Dieses vollbusige Flaggschiff hat scharf aufgepaßt!
Er zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht und sagte: „Das muß dir Little Ross später mal erklären, Dolores, vorausgesetzt, ihr habt dazu Gelegenheit. Aber das hängt wiederum mit seinem Vorschlag zusammen.“
„Ich höre“, sagte Dolores, das vollbusige Flaggschiff, und warf einen schmelzenden Blick hinüber zu Little Ross.
Schau an, dachte Hasard, da bahnt sich tatsächlich zwischen den beiden etwas an. Manchmal sagt man dazu: Liebe auf den ersten Blick. Ja, bei Gwen O’Flynn und ihm war das ähnlich gewesen – damals, als sie sich vor dem Eingang des Haupthauses der Feste Arwenack zum ersten Male begegnet waren. Er schaute zur Kuhl hinunter, wo seine beiden Jungen standen. Der Schreck durchfuhr ihn. Natürlich, sie hatten die Lauscher aufgestellt und alles mitgehört, auch die teilweise heiklen Passagen des Gesprächs, die keineswegs für ihre Ohren bestimmt waren. Jetzt arbeitete es in ihren Köpfchen.
Beklommen dachte er, daß es Zeit wurde, mit ihnen über ein gewisses Thema zu sprechen. Wie er das aber anpacken sollte, war ihm absolut unklar. Vielleicht wußte Big Old Shane einen Rat.
Er verdrängte die Gedanken und wandte sich wieder den Ladys zu, die ihn erwartungsvoll anblickten.
„Also“, sagte er, „Little Ross hat die Absicht, hier an der Westküste Floridas in einem Ort namens Sarasota einen Ausschank zu eröffnen. Er kennt dort jemanden, der aus Zuckerrohr Schnaps zubereitet. Für die Zukunft scheint er sich gute Chancen zu versprechen, denn er meint, Florida sei ein aufblühendes Land. Ich selbst könnte mir ebenfalls vorstellen, daß sich Menschen aus der Alten Welt hier ansiedeln. Nun gut, mehr möchte ich dazu nicht sagen, um eure Entscheidung nicht zu beeinflussen. Little Ross ist der Ansicht, auch ihr könntet euch in Sarasota eine neue Existenz aufbauen, wobei er euch behilflich sein will. Wo ein Ausschank eröffnet wird, werden sich bald auch Gäste einstellen, die bewirtet werden möchten. Damit wäre ein Anfang gemacht. Was ihr im einzelnen für eine Tätigkeit ausüben wollt, müßt ihr selbst entscheiden – vorausgesetzt, ihr seid mit dem Vorschlag von Little Ross einverstanden. Wir würden euch dann mit ihm in Sarasota an Land setzen. Vielleicht begleiten euch die beiden Schwarzen, die Mardengo als Sklaven auf die Pirateninsel verschleppt hatte. Sicherlich wird unser Schiffszimmermann euch Werkzeug mitgeben können. Auch Waffen können wir euch überlassen. An ein paar Fässern guten spanischen Rotweins sollte es ebenfalls nicht mangeln. Die zweigen wir von unseren Bordvorräten ab. Aber ich rede schon zuviel. Überlegt euch den Vorschlag. Ich schätze, daß wir gegen Mittag Sarasota passieren. So, das wär’s.“ Hasard lächelte die Ladys an und wollte zur Kuhl abentern.
Da hob Ilaria die Hand und erklärte resolut: „Hier wird gar nicht erst lange drum herum geredet und debattiert. Hand hoch, wer für den Vorschlag von Little Ross ist!“
Dolores’ Hand war noch schneller oben als Ilarias Hand, ebenso spontan stimmten die vier anderen Ladys zu, mit blitzenden Augen und energischen Mienen.
Donnerwetter, dachte Hasard überrascht. Er hatte angenommen, es würde zwischen den Ladys ein langes Palaver und Hin und Her geben, statt dessen hatten sie sich blitzschnell entschieden, und zwar einstimmig. Keine hatte irgendwelche Einwendungen gehabt.
„Ihr geht ja mächtig scharf ran“, sagte Hasard.
„Das ist so unsere Art“, sagte Ilaria keck.
„Werd mir’s merken, wenn wir euch mal wieder einen Besuch abstatten sollten“, brummte Hasard.
Little Ross grinste von einem Ohr zum anderen.
4.
Hasard starrte skeptisch auf die Seekarte, die ihm für die Westküste Floridas zur Verfügung stand. Ein Ort namens Sarasota war dort nicht eingezeichnet. Seine Schätzung, sie würden Sarasota gegen Mittag passieren, beruhte lediglich auf der Aussage von Little Ross, der Ort liege südlich der Tampa Bay. Diese Bucht mit dem gleichnamigen Hafen war auf der Karte eingetragen. Nach seinen Berechnungen, die er am Morgen angestellt hatte, würden sie die Bucht von Tampa am frühen Nachmittag erreichen – insofern hatte er schlicht über den Daumen gepeilt und behauptet, gegen Mittag am Ziel zu sein.
„Möchte wissen, wo dieses verdammte Kaff liegt“, sagte er verärgert zu Dan O’Flynn, der sich mit ihm im Ruderhaus der „Isabella“ über die ausgebreitete Karte beugte. „Oder der Kerl hat uns mal wieder einen Bären aufgebunden.“
„Die Ponce-de-León-Bucht mit der Quelle hatte er aber lagemäßig exakt angegeben“, sagte Dan O’Flynn.
„Erinnere mich bloß nicht an diese elende Quelle“, murmelte Hasard.
Dan O’Flynn grinste. „Daß Mardengo ein Versteck auf einer der Inseln unten an der Südspitze Floridas hatte, stimmte auch. Insofern kannst du also Little Ross nichts vorwerfen. Ich schlage vor, wir zeigen ihm die Karte. Dann kann er uns ja sagen, wo der Ort liegt.“
Hasard nickte. „Gut, ruf ihn. Und sag ihm gleich, daß ich ihm den Hals umdrehe, wenn er uns was vorgesponnen hat. Was hältst du von ihm?“
„Ein komischer Kauz“, erwiderte Dan.
„Komischer Kauz ist noch gelinde ausgedrückt“, sagte Hasard grimmig. „Der hat es faustdick hinter den Ohren – dieser Bruder von sechs Schwestern!“
Dan O’Flynn lachte und verließ das Ruderhaus, um Little Ross zu holen. Minuten später erschien er mit ihm. Little Ross war auf der Kuhl bereits dabei gewesen, das Werkzeug, das ihm Ferris Tucker zugeteilt hatte, in der Jolle zu verstauen. Drei Weinfässer waren ebenfalls schon an Deck gehievt worden.
Hasard musterte den klotzigen Kerl mit einem vernichtenden Blick, deutete auf die Karte und sagte: „Wo liegt die Schnapsdestille, Freundchen? Zeig’s mir mal. Und wenn du uns was vorgeflunkert hast …“
„… drehst du mir den Hals um, Sir“, sagte Little Ross. „Mister O’Flynn hat mir’s verkündet, und es betrübt mich zutiefst, Sir, daß du so mißtrauisch bist und mir nicht glaubst. Dabei bin ich ein durch und durch ehrlicher Mensch …“
„Red nicht so viel!“ knurrte Hasard. „Wo ist der Ort?“
Little Ross beugte sich über die Karte, nahm den Zirkel, der darauf lag, fuhr mit der Spitze von Tampa aus südwärts und tippte mit ihr auf eine kleinere Bucht, die etwa fünfzehn Meilen unter der Tampa Bay lag.
„Hier, Sir“, sagte er, schränkte das aber gleich ein und fügte hinzu: „Das weiß ich von Kapitän Fogg, der von der Bucht geschwärmt hat. Darum hab ich mir das so genau gemerkt. Dort würde er seinen Lebensabend beschließen, hat er gesagt. Nur dort. Und er hat mir auch von Joseph Jelly und seinem Schnaps erzählt – das schwöre ich beim Leben meiner sechs Schwestern!“
Hasard stieß einen Zischlaut aus. Jetzt kam der wieder mit seinen sechs Schwestern daher, dieser Hundesohn!
„Wenn wir nicht auf diesen Schnapskerl stoßen“, sagte Hasard grollend, „bist du dran, Mister Ross!“
„Und wenn er nicht mehr unter den Lebenden weilt, Sir?“ fragte Little Ross vorsichtig.
„Dann bist du auch dran“, sagte Hasard. „Es sei denn, wir finden noch Schnaps oder die Gerätschaften, die er zum Brennen braucht – oder seine Leiche. Mal sehen. War der Ort namentlich auf Kapitän Foggs Karte verzeichnet?“
„Aye, Sir. Seine Karte war besser als deine. Vor der Sarasota Bay waren, dem Küstenverlauf folgend, lange Sandbänke eingezeichnet …“
Hasard fuhr hoch. „Sandbänke? Und das sagst du erst jetzt, Himmel, Arsch und sonst was! Wie sollen wir uns da in diese verdammte Bucht mogeln? Etwa stundenlang loten, oder was?“
Little Ross grinste. „Sir, du bist unnötig erregt!“
„Aha! Und weiter?“ blaffte Hasard. Er sah die „Isabella“ bereits wieder auf Dreck sitzen – wie vor Pirates’ Cove. Und das reichte ihm allmählich.
„Sir“, sagte Little Ross und feixte weiter. „Kapitän Fogg erzählte mir, Joseph Jelly habe die Einfahrt zwischen zwei Sandbänken markiert, damit auch jeder zu ihm fände, der bei ihm ein Schnäpschen trinken wolle. So einfach ist das.“
„Mit was markiert?“ fauchte Hasard.
„Mit zwei leeren Schnapsfässern, Sir“, sagte Little Ross. „Von See kommend steht auf der nördlichen Sandbank eine rote Tonne, die man an Backbord lassen muß. Und auf der südlichen Sandbank steht eine grüne Tonne, die dementsprechend an Steuerbord bleibt, wenn man in die Bucht segelt. Kannst du mir folgen, Sir?“ Und wieder war der Kerl impertinent am Grinsen. „Ich finde die Idee mit den Schnapsfässern genial, Sir. Du auch?“
„Äußerst genial“, ächzte Hasard. „Und so sinnig. Wenn ihr euch dort angesiedelt habt, können sich für die vorbeisegelnden Schiffe ja immer zwei Ladys als Toppzeichen auf die beiden Tonnen setzen, damit jeder gleich weiß, was in Sarasota anliegt!“
Dan O’Flynn prustete los.
Little Ross sagte gemessen: „Sir, du bist sehr frivol. Ich möchte diesen Vorschlag auch überhört haben, obwohl er sehr bedenkenswert ist. Auf keinen Fall aber werde ich zulassen, daß sich Dolores als Toppzeichen anbietet. Das geht nun wirklich zu weit.“
„Sie würde sich dazu gut eignen“, sagte Hasard.
„Brauchst du mich noch, Sir?“ fragte Little Ross sehr kühl.
„Moment!“ Hasard tippte auf die Bucht auf der Karte. „Wie sieht’s dort mit der Wassertiefe aus? Wie ist der Ankergrund? Hat Kapitän Fogg darüber etwas verlauten lassen?“
„Für Galeonen von der Größe der ‚Isabella‘ völlig ausreichend“, erwiderte Little Ross. „Der Ankergrund ist ideal, nämlich Sand. Das sind ebenfalls Angaben von Kapitän Fogg, und ich habe keinen Grund, sie zu bezweifeln, da er ein äußerst gewissenhafter Mann war.“
„In Ordnung“, sagte Hasard versöhnlich. „Das mit den Toppzeichen ist mir so rausgerutscht. Ich glaube, ich bin ziemlich kribbelig heute. Offen gestanden bin ich froh, daß wir diese Lösung mit den sechs Ladys so schnell gefunden haben. Habt ihr die beiden Schwarzen schon gefragt, ob sie bei euch bleiben wollen?“
„Aye, Sir. Sie waren sofort einverstanden.“
„Gut, dann seid ihr mit Jelly vier Männer am Ort. Al Conroy soll euch entsprechend mit Waffen und Munition ausrüsten. Was werdet ihr noch brauchen?“
Little Ross wurde verlegen und scharrte unschlüssig mit den Füßen über die Planken.
„Heraus damit“, sagte Hasard.
„Äh – Sir, Dolores fragte mich, ob ich ihr nicht ein paar Nadeln besorgen könnte.“
„Nadeln?“ Hasard schaute ihn etwas perplex an. „Wozu das denn?“
„Nadeln und Garn oder so, Sir“, sagte Little Ross. „Sie meint, das brauche man, um sich was nähen zu können.“
„Natürlich braucht man das – logisch! Mann, war das eine dämliche Frage von mir. Klar, sollt ihr haben. Will Thorne wird von seinem Bestand was abzweigen. Folgt weiterhin, daß ihr auch Stoffe braucht. Ich glaube, damit könnte er auch aushelfen. Will Dolores für euch die Kleider nähen?“
„Ja.“ Little Ross wurde etwas rot. „Ah – sie hat das gelernt, bevor sie – na, du weißt schon.“ Little Ross starrte auf seine Stiefelspitzen.
„Ah – ja.“ Hasard ermahnte mit einem Blick Dan O’Flynn, nicht so unverschämt zu grinsen. Sich selbst mußte er auch ermahnen. Hier entwickelten sich ständig neue Perspektiven – kein Wunder bei diesem verrückten Unternehmen. Allein diese Fahrwassermarkierung mit zwei verschieden farbigen Schnapsfässern war total irre, aber nichtsdestoweniger von schlichter Einfachheit. Und jetzt wollte das vollbusige Flaggschiff also den Beruf der Näherin ergreifen, den sie erlernt hatte, bevor sie – na, du weißt schon!
„Kinder – Kinder“, murmelte Hasard, „da macht man was mit.“
„Stimmt was nicht, Sir?“ fragte Little Ross besorgt.
„Nein, nein, alles klar“, sagte Hasard. „Ich hab nur so vor mich hin gedacht. Braucht ihr sonst noch irgend etwas?“
„Leder, wenn ihr habt“, sagte Little Ross.
„Leder“, sagte Hasard, „Leder, hm, müßten wir haben, weil wir die Riemen an den Rudergabelstellen damit bekleiden.“ Und vorsichtig fragte er: „Was hat’s damit auf sich, Mister Ross?“
„Ilaria will sich um unser Schuhzeug kümmern, Sir“, sagte Little Ross. „Ihr Vater in Spanien war Schuhmacher. Und als sie noch jung war, hat sie ihm dabei geholfen, bevor sie – na, du weißt schon, Sir.“
Na, du weißt schon, Sir!
Hasard holte tief Luft und atmete sanft aus. Du meine Güte! Nein so was! Da sollte mal einer sagen, er kenne die Frauen!
Hasard starrte Dan O’Flynn in die Augen, und der starrte zurück, genauso verdattert wie sein Kapitän.
Und hinter ihnen, am Ruder, sagte Nils Larsen: „Ja, ja!“ Als hätte er Augen im Hinterkopf, sagte er das. Mitgehört hatte er sowieso. „Fehlt nur noch, daß wir jetzt so eine Art Mamsell bestücken müssen, die Töpfe, Kannen, Geschirr und solchen Kram braucht. Und natürlich ist sie die Tochter eines Schankwirts, die bei ihrem Alten in die Lehre ging, bevor sie – na, ihr wißt schon!“
„Genau!“ sagte Little Ross geradezu glücklich. „Um diese Dinge hatte mich Juanita gebeten …“ Plötzlich fuhr er zu Nils Larsen herum. „Woher wußtest du das?“
„War nicht schwer zu erraten, Junge“, sagte Nils Larsen trocken. „Wir haben die Näherin, die Flickschusterin – da fehlte eigentlich die Mamsell. Wie wär’s denn noch mit der Tochter eines Bäckers? Habt ihr die auch?“
„Haben wir“, sagte Little Ross und war jetzt selbst etwas verwirrt. „Aber sie bat mich nur um einige Pfunde Mehl und ein großes Brett, um Teig auswalzen zu können.“
„Wie heißt denn das Schätzchen?“ fragte Nils Larsen über die Schulter.
„Isabella“, sagte Little Ross verschämt.
Hasard, Dan O’Flynn und Nils Larsen brüllten auf, als sei unter ihnen was explodiert.
Little Ross zog den Kopf zwischen die massigen Schultern und verdammte sich, das ausgeplaudert zu haben. Jetzt war wahrscheinlich alles aus. Diese Kerle mit ihrem Kapitän, die als die „Seewölfe“ bekannt waren, mußten ja allergisch reagieren, wenn die Tochter eines spanischen Bäckers, die es dann vorgezogen hatte, einem anderen Gewerbe zu frönen, genauso hieß wie das herrliche Schiff dieser Kerle. Herr hilf! betete Little Ross. Die schmeißen mich gleich außenbords! Und verzeih mir, daß ich von diesen wirklich feinen Burschen schon so viel erbeten habe! Dabei wollte ich doch nur um die Nadeln für Dolores bitten – das andere ergab sich so, o Herr! Ich bin doch kein Geier …
An diesem Punkt seiner zutiefst betrüblichen Gedankenkette empfing er einen krachenden Schlag auf die rechte Schulter, und der Kapitän brüllte ihm ins Ohr: „Isabella, sagtest du? Los, zeig sie mir! Ich will wissen, wer sie ist!“
Und schon hievte ihn eine eiserne Faust hoch, zerrte ihn aus dem Ruderhaus, schleifte ihn zur Querbalustrade des Achterdecks.
„Welche ist es?“ brüllte Hasard.
„D-d d-da“, stotterte Little Ross und deutete mit einem zittrigen Finger auf ein schlankes, rankes Frauenzimmer mit blauschwarzen langen Haaren, die ein nahezu madonnenhaftes Gesicht umrahmten, das keineswegs so aussah, als sei es sehr viel und sehr häufig mit den Sünden dieser Welt konfrontiert worden. Diese Madonna namens Isabella hievte gerade vier gebündelte Musketen in die Jolle.
Hasard setzte mit einer Flanke über die Querbalustrade, landete geschmeidig, fegte an seinen verdutzten Mannen vorbei, umfing die Lady Isabella und walzte mit ihr tanzend über das Kuhldeck.
Verrückter ging’s nicht.
„Juchhu!“ brüllte er. „Das ist der Isabella-Tanz! Und links herum und rechts herum! Die Isabella tanzt auf der ‚Isabella‘! Vorwärts, Männer der ‚Isabella‘! Es wird getanzt! Juchhu – und hoch das Bein! Es lebe die ‚Isabella‘!“
Jawohl, sie gerieten alle in Bewegung. Und wer gerade eine der restlichen fünf Ladys zu fassen kriegte, walzte los. Wer leer ausging – die Überzahl – packte sich bei den Schultern, bei den Händen und schob mit dem anderen los.
„Isabella – Isabella – Isabella!“ tönte der Chor der Arwenacks.
Und die Planken dröhnten unter den stampfenden Schritten der Männer. Arwenack raste zeternd zum Großmars hoch, Plymmie, die Bordhündin drängte sich zwischen die beiden Jungen, die mit offenen Mündern dastanden, und Sir John kreischte unter der Back, aus der er sich noch nicht wieder hervorgewagt hatte. Die herumgeschwenkten Ladys kreischten auch, aber nicht, weil sie Angst hatten. Nein, sie fanden das einfach toll. Wirklich, auf diesem Schiff war was los. Eitel Freude und Jubilieren war das.









