Seewölfe Paket 18

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„Ich begrüße Sie mit großer Freude, Señor Capitán“, sagte Shawano in einem kehligen Spanisch, „ich, Shawano, Häuptling der Timucua.“ Aus seiner Stimme klang ungebrochene Selbstsicherheit. Er repräsentierte den Stolz seines Volkes, das sich auch durch schlimmste Schicksalsschläge nicht zu winselnden Kreaturen erniedrigen ließ.
„Mein Name ist Philip Hasard Killigrew“, entgegnete der Seewolf mit einer angedeuteten Verneigung. „Ich bin hier, um mit Ihnen über die Zukunft zu reden, Shawano.“
Der weißhaarige Mann nickte, schwieg einen Moment und dachte offenbar nach. Dann wandte er sich dem Spanier an seiner Seite zu und redete in der Sprache der Timucua auf ihn ein. Der Spanier, ein muskulös gebauter mittelgroßer Mann, glich in seinem Äußeren schon mehr den Indianern als seinen weißen Landsleuten. Ein Stirnband hielt seine halblangen schwarzen Haare zusammen, um den linken Oberarm trug er einen Metallreif, eine leichte offene Weste war alles, womit er seinen kräftigen Oberkörper bedeckte. Das schwere Entermesser steckte ohne Scheide unter seinem Hosengurt, die Füße des Spaniers waren nackt.
Shawanos Redefluß endete nach einem bekräftigenden Knurrlaut.
Der Spanier blickte den Seewolf an.
„Erlauben Sie, daß ich mich vorstelle, Señor Killigrew. Mein Name ist Marcos. Ich habe zwei Jahre in der Siedlung an der Waccasassa-Bucht gelebt und kenne mich in der Sprache der Timucua sehr gut aus. Häuptling Shawano sagt, daß seine Spanischkenntnisse nicht ausreichen, um sich so zu bedanken, wie er es gern möchte. Ich soll Ihnen sagen, daß er und sein Volk sich zutiefst in Ihrer Schuld fühlen. Ohne Sie und Ihre Männer läge diese Galeone jetzt auf dem Grund der See, und keiner von uns wäre noch am Leben. Im Namen meiner vier Freunde schließe ich mich diesem Dank an, Señor Killigrew.“ In Marcos’ Augen stand ein fast ehrfürchtiges Leuchten.
„Wir haben das getan, was für uns selbstverständlich ist“, sagte Hasard.
Marcos übersetzte, und Shawano antwortete mit wenigen abgehackt klingenden Worten.
„Der Häuptling meint, daß Sie zu bescheiden sind“, sagte der Spanier, „er fragt, wo Sie das Palaver führen möchten, in der Kapitänskammer oder auf dem Achterdeck. Er ist mit den Gepflogenheiten der Europäer nicht vertraut und möchte Sie nicht beleidigen.“
„Auf dem Achterdeck ist es luftiger“, entgegnete Hasard lächelnd, „eine Frage vorweg, Marcos: Sie und Ihre Freunde sehen nicht aus wie Gefangene, die von den Timucua geknechtet werden. Täusche ich mich?“
„Nein, ganz und gar nicht, Señor Killigrew. Es ist so: Wir hatten schon lange die Nase voll von unserem Kommandanten. Don Angelo Baquillo ist ein Menschenschinder, anders kann man es nicht nennen. Daß die Indianer rebelliert haben, war zu erwarten. Es geschah Baquillo und seinen Gefolgsleuten recht. Man muß sich schämen, wenn man daran denkt, wie niederträchtig sie die Timucua behandelt haben. Meine Freunde und ich sind da einer Meinung.“
„Aber Sie wurden doch von den Timucua gefangengenommen“, sagte der Seewolf zweifelnd, „Sie sind doch nicht freiwillig an Bord dieses Schiffes gegangen.“
„Das ist richtig, Señor Killigrew. Nur wurde uns nach und nach klar, auf welcher Seite wir wirklich stehen. Was glauben Sie, wie wir uns bei dem Gefecht mit der ‚Galicia‘ gefühlt haben! Weder Don Angelo Baquillo noch Don Bruno Spadaro, der Kapitän, haben Rücksicht darauf genommen, daß sich Landsleute an Bord der ‚San Donato‘ befinden.“ Marcos preßte für einen Moment grimmig die Lippen aufeinander, ehe er fortfuhr. „Das sagt alles, denke ich. Wir sind jetzt richtige Überläufer, wenn Sie so wollen. Wir haben keine Lust mehr, unseren Kopf für die spanische Krone und das sogenannte Vaterland hinzuhalten. Treue Soldaten sind wir die längste Zeit gewesen. Lieber bieten wir Ihnen unsere Dienste an. Sie haben uns schließlich auch vor dem bitteren Ende bewahrt.“
Hasard konnte in den Gesichtszügen des Mannes lesen, daß er die Wahrheit sagte. Man konnte ihm glauben. Ob es sich mit den anderen vier Spaniern genauso verhielt, mußte sich noch herausstellen.
„Vorerst geht es nur darum, daß wir den Indianern aus der Klemme helfen“, sagte der Seewolf, „dann sehen wir weiter.“
Mit einer Handbewegung deutete er auf das Achterdeck. Shawano nickte und ging mit würdevollen Schritten voraus. Hasard und Marcos folgten ihm.
Aus der erhöhten Position vor der Heckbalustrade war die beklemmende Situation an Bord der „San Donato“ noch deutlicher zu überblicken. Die alten Leute, die Frauen und Kinder wirkten verängstigt wie in die Enge getriebene Tiere. Die Furcht machte sie stumm und hilflos, und diese Furcht wurde ständig geschürt vom Stöhnen und Schreien der Kranken aus den unteren Decksräumen.
Selbst wenn Shawano sofort zustimmte, gab es keine Möglichkeit, die ursprünglichen Pläne sofort in die Tat umzusetzen, soviel stand für Hasard schon jetzt fest. Es war undenkbar, daß die Indianer in ihrer jetzigen Verfassung bis zu den Caicos-Inseln segelten.
Insgesamt befanden sich etwa 130 Menschen an Bord der „San Donato“, und mindestens dreißig von ihnen lagen fieberkrank unter Deck. Jeden Tag konnte die Zahl der Kranken zunehmen. Damit bestand auch die Gefahr, daß sich die Zahl der einsatzbereiten Timucua-Männer an Bord weiter verringerte. Marcos und seine vier Freunde waren ohnehin überfordert, und eine Notcrew von der „Isabella“ hätte nur dazu geführt, daß die Galeone des Seewolfs hoffnungslos unterbemannt gewesen wäre.
Hasard wandte sich dem Häuptling zu und begann damit, seine Pläne zu schildern. Immer mehr zeigte sich ein Leuchten in den Augen des alten Mannes, während Marcos Satz für Satz übersetzte.
Anschaulich berichtete der Seewolf über das freie Leben, das er und seine Männer mit ihren vielen treuen Freunden auf einer eigenen Insel in der Karibik führen wollten. Er sprach von der schwierigen Versorgungslage, die sie noch nicht geklärt hatten. Und er erzählte von der Insel, die sie „Coral Island“ getauft hatten, die Koralleninsel.
Dort; so sagte Hasard, sollten große Versorgungsplantagen angelegt werden, und eben dort gäbe es genügend fruchtbaren Boden und auch Trinkwasser, so daß der gesamte Stamm der Timucua ein Leben in Frieden und Freiheit führen könnte.
„Es muß das Paradies sein“, sagte der weißhaarige alte Mann, und in seinen Augen standen Tränen. „Für mein Volk wird ein Traum wahr werden, Señor Killigrew. Es ist die Verheißung, an die wir schon nicht mehr geglaubt haben. Zu groß war das Leid, das meine Brüder und Schwestern ertragen mußten, und zu viele sind ins Jenseits gegangen.“
„Tamao hat ähnliche Worte gebraucht“, erwiderte der Seewolf gerührt, „wenn wir ihn und Asiaga nicht zufällig gefunden hätten, wären wir jetzt nicht hier.“
„Und das Volk der Timucua wäre dem Untergang geweiht“, sagte Shawano dumpf, „wie steht es mit Tamao und Asiaga? Wir alle waren in großer Sorge um sie.“
„Die beiden sind wohlauf“, antwortete Hasard, „Asiaga konnte vom Fieber geheilt werden. Jetzt betreut sie gemeinsam mit Tamao die zehn Kranken, die wir in der Waccasassa-Bucht noch an Bord genommen haben. Deshalb konnten Tamao und Asiaga mich auch nicht zu dieser Unterredung begleiten, sie werden bei der Betreuung der Kranken dringend gebraucht.“
Shawano schüttelte mit einem milden Lächeln den Kopf.
„Sie brauchen sich für nichts zu rechtfertigen, Señor Killigrew. Jedes Wort aus Ihrem Mund ist ehrlich und wahr. Sie reden nicht mit gespaltener Zunge, wie es die Spanier tun, die uns unterdrückten. Nehmen Sie meinen feierlichen Schwur an, daß mein Volk treu auf Ihrer Seite steht, wie auch immer Ihre Entscheidungen sein mögen.“
„Das gilt auch für meine Freunde und mich“, sagte Marcos bekräftigend.
Hasard atmete tief durch. So viel offenherziger Dank brachte ihn in Verlegenheit, weder er noch seine Männer erwarteten dies. Was sie getan hatten und noch tun würden, entsprach der Menschlichkeit, die ihr Denken bestimmte.
„Vorläufig können wir nicht daran denken, in die Karibik aufzubrechen“, sagte der Seewolf, „wir würden höllischen Schiffbruch erleiden. Egal, wie wir es drehen und wenden, die Timucua müssen erst einmal gesund werden.“
„Das ist auch meine Meinung“, pflichtete ihm Marcos bei, „die Gesunden an Bord sind zwar willig, und sie lernen auch schnell. Aber man kann diese Männer nicht in zwei, drei Tagen zu voll tauglichen Decksleuten ausbilden. Im übrigen“, er deutete nach achtern, „werden wir uns wohl nach dem Wetter richten müssen. Es wird uns den Kurs aufzwingen.“
Hasard wandte sich um, und auch Shawano blickte sorgenvoll in die angegebene Richtung. In der kurzen Zeitspanne an Bord der „San Donato“ hatte der weißhaarige alte Mann begriffen, wie lebensentscheidend jeglicher Wettereinfluß für einen Seefahrer war.
Über der südlichen Kimm hatte sich der Himmel verdüstert. Hier, im nordwestlichen Teil des Golfes von Mexiko, schien die Witterung unberechenbar. Gab es manchmal tage- und wochenlange Beständigkeit, so erfolgten Wetterumschwünge oft innerhalb von Stunden oder noch kürzeren Zeitabständen.
Wie zur Bestätigung von Marcos’ Worten frischte der Wind unvermittelt auf. Eine erste Bö fauchte über die Decks, dann wurde es wieder ruhiger.
Hasard sah den Spanier an.
„Es gibt nur eins, Marcos: Wir müssen so schnell wie möglich die Küste anlaufen. Dann gilt es, für die ‚San Donato‘ eine geschützte Bucht zu finden. Dort werden wir sie in ein Lazarettschiff umwandeln und alle Kranken gründlich auskurieren.“
Marcos nickte.
„Wir müssen damit rechnen, daß wir bald an die fünfzig Fieberkranke haben. Neben den ernsthaft Erkrankten unter Deck haben wir bei fast zwanzig weiteren die ersten Anzeichen der Krankheit festgestellt.“
„Die zehn Kranken an Bord der ‚Isabella‘ müssen wir hinzurechnen“, entgegnete der Seewolf, „die Lage wird also von Tag zu Tag schwieriger, bevor unser Feldscher mit der Versorgung der Kranken beginnen kann. Kennen Sie sich an der Küste aus, Marcos?“
Der Spanier nickte.
„Si, Señor. Ich kenne sogar einen Platz, der für unser gemeinsames Vorhaben besonders gut geeignet ist. Dort werden wir so sicher sein wie in Abrahams Schoß. Es gibt dort keine Spanier, keine Piraten und auch keine feindlichen Indianerstämme, die uns etwas anhaben können.“
„Na, na“, antwortete Hasard lächelnd, „übertreiben Sie da nicht? Wirklich sicher kann man nirgendwo auf der Welt sein.“ Er ahnte nicht, wie sehr sich diese Bemerkung noch bestätigen sollte.
„Ich spreche die Wahrheit“, beteuerte Marcos mit ernster Miene, „ich, kenne die Küste nördlich unserer jetzigen Position sehr genau, und zwar von mehreren früheren Reisen an Bord spanischer Schiffe. Was ich meine, ist ein großer See, der eine schiffbare Verbindung zum Meer hat. Französische Freibeuter haben ihm vor Jahren den Namen ‚Lake Pontchartrain‘ gegeben.“
Die zweite Bö fauchte über die Decks der „San Donato“, und unwillkürlich zogen die gepeinigten Menschen an Bord die Köpfe ein. Sie spürten, daß Unheil in der Luft lag. Hasard brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, daß die düstere Wand über der südlichen Kimm mittlerweile größer geworden war.
„Marcos hat recht, Señor Killigrew“, sagte Shawano, „wir brauchen einen sicheren Ort, und wir müssen ihn so schnell wie möglich erreichen.“
Der Seewolf nickte gedankenverloren. Man konnte das Für und Wider abwägen, wie man wollte, es blieb doch nur die eine mögliche Entscheidung: Sie mußten diesen Lake Pontchartrain anlaufen. Denn an erster Stelle stand für Hasard die Aufgabe, die Timucua in Sicherheit zu bringen und die Kranken unter ihnen vom tückischen Sumpffieber zu heilen.
Immerhin: Asiaga war wieder völlig genesen. Es bestand also auch für ihre Stammesbrüder und -schwestern berechtigte Hoffnung. Aber es war keine Zeit mehr zu verlieren, das Notlazarett mußte so schnell wie möglich eingerichtet werden.
Denn nach allem, was der Seewolf an Bord der „San Donato“ gesehen hatte, gab es für ihn in einem Punkt nicht mehr den geringsten Zweifel: Eine lange Überfahrt zu den Caicos-Inseln würde noch mehr Tod und Verderben bringen. Vielleicht würde eine solche Überfahrt sogar den völligen Untergang dieser bedauernswerten Menschen bedeuten.
Das Fieber konnte sie alle hinwegraffen, wenn nicht schleunigst etwas getan wurde.
2.
An Bord der „Isabella“ wurde gesägt und gehämmert, daß es eine wahre Freude war. Die Männer waren eins in ihren Gefühlen für das Schiff. Jeder von ihnen trachtete danach, die stolze Lady wieder so herzurichten, wie es ihr zustand.
Wie besessen schufteten sie, um die Gefechtsschäden zu beseitigen. Denn jede Wunde im ranken Leib der Galeone fügte ihnen fast körperlich spürbare Schmerzen zu. Hasard war stolz auf seine Arwenacks, diesen wildverwegenen Haufen. Wahrhaftig, wie Pech und Schwefel hielten sie zusammen und waren mit keiner anderen Crew auf den Weltmeeren zu vergleichen.
Der Anteil, den jeder einzelne Mann an der „Isabella“ hatte, bestand nicht nur in materiellem Wert. Nein, jeder von ihnen war auch mit einem Stück seiner Seele beteiligt.
Während er zurückpullte, ertappte sich der Seewolf bei diesen Gedanken, und er führte es auf das zurück, was er an Bord der „San Donato“ gesehen hatte. Das Schicksal des Indianervolkes hatte ihn bis in die Tiefe seines Herzens getroffen. Es zeigte ihm und sicherlich auch seinen Gefährten, wie glücklich sie sich schätzen konnten.
Sie besaßen ihr eigenes Schiff. Um es bauen zu können, hatten sie mehr als einmal ihr Leben einsetzen müssen. Ja, so manches Mal waren sie mit Todesverachtung mitten in die Hölle gesegelt, um dem Gehörnten am Schwanz zu ziehen. Gern benutzten sie diesen Vergleich, um sich auch selbst vor Augen zu führen, daß ihnen das, was sie an Gold und Geld zusammengetragen hatten, beileibe nicht in den Schoß gefallen war.
Sie hatten ihr eigenes Schiff, und bald würden sie ihr eigenes, freies Leben führen. Was ihnen gelungen war, den Zwängen und der Düsternis des Lebens im alten Europa für immer den Rücken zu kehren, blieb für Tausende von Menschen dort ein unerfüllbarer Wunschtraum.
Philip Hasard Killigrew war sich all dieser Tatsachen in vollem Umfang bewußt, und es erwuchs für ihn die Pflicht daraus, den Timucua auf der Suche nach einem neuen, glückbringenden Lebensraum zur Seite zu stehen.
Gewiß, man konnte ihm und seinen Freunden auf der Schlangeninsel eine Spur von Eigennutz dabei vorhalten. Die Menschen, die sie auf Coral Island anzusiedeln gedachten, sollten schließlich einen vorbestimmten Zweck erfüllen.
Aber diese Menschen würden auch ein freies Leben führen, und den Anbau von Feldfrüchten würden sie nicht als Sklaven betreiben. Wenn man so wollte, wurden sie Lieferanten, die einen Teil ihrer Produktion an die Bewohner der Schlangeninsel weitergaben.
Es war schon so, wie Shawano gesagt hatte: Für die Timucua würde Coral Island in der Tat ein Paradies werden.
Hasard erreichte die Bordwand der „Isabella“. Luke Morgan, Bob Grey und einige andere waren bereits zur Stelle, um die Jolle an Bord zu hieven. Hasard enterte die Jakobsleiter auf. Als er die Pforte im Schanzkleid erreichte, empfing ihn der Profos mit unübersehbaren Sorgenfalten im Narbengesicht.
„Hol’s der Teufel, Sir“, sagte Ed Carberry dröhnend, „aber wenn wir uns nicht schleunigst verdrücken, sehe ich schwarz für unsere Freunde drüben auf dem spanischen Eimer.“ Er deutete erst nach Süden und dann zur „San Donato“, wo bereits der Treibanker auf gehievt wurde.
„Ich weiß“, sagte Hasard und nickte. „Wenn wir Pech haben, holt uns der Sturm trotzdem ein.“ Die schwarze Wolkenwand im Süden hatte sich noch drohender zusammengeballt.
Der Wind hatte indessen weiter aufgefrischt, was zunächst als günstiger Umstand anzusehen war.
Hasard verständigte sich mit Ben Brighton durch ein Handzeichen. Der Erste Offizier der „Isabella“ gab seine Kommandos, während der Seewolf über das Quarterdeck zum Achterdeck aufenterte. Der Treibanker wurde eingeholt, und behende enterten die Männer in den Wanten auf, um Großsegel, Fock, Besan und auch die Marssegel zu setzen. Die Ausbesserungsarbeiten mußten vorerst unterbrochen werden, doch sämtliche Mitglieder der Crew hatten begriffen, daß es wichtiger war, vor dem Sturm abzulaufen – insbesondere mit Rücksicht auf die Indianer an Bord der „San Donato“.
Unter der Anleitung von Marcos und seinen vier Gefährten taten die Timucua-Männer ihr Bestes. Die spanische Galeone ging auf Kurs Nordnordwest und legte sich mit Vollzeug vor den Wind.
Die „Isabella“ folgte im Kielwasser der „San Donato“, und die Arwenacks waren sich ihrer Aufgabe bewußt, die voraussegelnde Galeone nach Süden, Westen und Osten abzuschirmen.
„Dieser Marcos ist ein brauchbarer Bursche“, sagte Hasard, „er übernimmt drüben an Bord die Rolle des Lotsen und wird uns zum Lake Pontchartrain führen.“ In knappen Worten berichtete er, welche Bewandtnis es mit dem See hatte.
„Klingt nicht schlecht“, erwiderte Ben Brighton einsilbig. Ein leiser Zweifel schwang in seiner Stimme mit, und auf seiner Stirn standen deutliche Furchen.
Hasard sah ihn forschend an.
„Dir liegt etwas auf der Zunge, Ben. Das merke ich doch. Warum rückst du nicht damit heraus?“
Der Erste Offizier der „Isabella“ grinste matt.
„Ich will nicht dauernd als Schwarzseher dastehen.“
„Unsinn.“ Hasard schüttelte energisch den Kopf. „Du weißt, daß ich auf deine Meinung immer großen Wert gelegt habe. Und du brauchst dich nicht in eine Ecke zu stellen, in die du nicht gehörst.“
In der Tat war Ben Brighton in manchen Dingen eher übervorsichtig, solange genügend Zeit blieb, über ein Problem nachzudenken. Das hatte sich oftmals ausgezahlt und die Männer an Bord der „Isabella“ vor unbedachten Entscheidungen bewahrt. Galt es allerdings, eine kritische Situation zu meistern, konnte Ben genauso blitzschnell und hart zuschlagen wie alle anderen aus der Crew des Seewolfs.
„Ich habe nichts gegen den Lake Pontchartrain“, sagte Ben, „unter den gegebenen Umständen ist es sicher die beste Position, die wir anlaufen können. Vor allem, wenn wir mit einkalkulieren, daß uns dieser Sturm auf den Pelz rücken wird.“ Er deutete mit dem Daumen über die Schulter.
„Aber?“ Hasard zog die Brauen hoch.
„Nun, vielleicht ist unser Freund Marcos etwas zu optimistisch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein so großer Binnensee nicht auch bei anderen bekannt ist. Zumal er ja selbst sagt, daß es Erkundungsfahrten von spanischen Galeonen gegeben hat. Und schließlich haben französische Freibeuter diesem See seinen Namen gegeben. Von indianischen Ureinwohnern will ich erst gar nicht reden. Ich meine also, wir sollten uns davor hüten, uns zu sicher zu fühlen. Böse Überraschungen kann es immer und überall geben.“
Hasard legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Glaubst du, ich würde daran nicht denken? Marcos ist begeistert von seinem Vorschlag, und seinem südländischen Naturell entsprechend übertreibt er natürlich ein wenig, wenn er von Abrahams Schoß spricht. Du kannst dich darauf verlassen, daß wir höllisch aufpassen werden. Und das gilt schon jetzt. Ich habe Marcos und auch Shawano entsprechend instruiert. Was sich im Süden, im Westen und im Osten abspielen könnte, haben wir im Auge. Falls aber Gefahr von Norden aufzieht, wird die ‚San Donato‘ sofort zurückfallen. Wir schließen dann auf und übernehmen die Spitze.“
Ben Brighton nickte.
„Ich weiß, daß wir auf alle Überraschungen vorbereitet sind. Versteh mich nicht falsch, ich will nicht dauernd schwarzsehen. Aber da wäre noch der Sturm, mit dem wir zu rechnen haben.“
Der Seewolf wandte sich um. Die schwarze Wetterfront im Süden zog langsamer herauf, seit die beiden Schiffe Fahrt aufgenommen hatten. Gewiß, es war eine ständige Faust im Nacken. Aber Hasard rechnete fest damit, daß sie einen sicheren Ankerplatz erreichen würden, bevor der Sturm losbrach.
Nicht einmal Ben Brighton selbst konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, daß seine leisen Befürchtungen nichts waren, gemessen an dem, was sie auf dem Lake Pontchartrain erwartete.
Was die drohende Wetterfront betraf, erwiesen sich indessen Hasards Berechnungen während der nächsten Stunden als richtig. Sie blieben verschont und liefen vielmehr stetig rauschende Fahrt dank des anhaltenden handigen Windes.
So hatten sie bereits in der Abenddämmerung den 29. Breitengrad fast erreicht. Der Seewolf gab Befehl zum Kurswechsel nach Nordwesten.
Wenige Minuten später ertönte Bills durchdringende Stimme aus dem Großmars.
„Deck! Land in Sicht – an Steuerbord!“
Hasard und Ben hoben die Spektive. Auch die meisten übrigen Männer spähten in die angegebene Richtung, doch mit bloßem Auge war im Dämmerlicht nicht mehr als ein flacher blasser Streifen zu erkennen. Auch die Optik der Spektive vermochte kaum Wesentliches heranzuholen. Ein wenig erinnerte es an die Sumpflandschaft von Florida, die sich ebenfalls nur knapp über die Meeresoberfläche erhob.
Hasard stellte fest, daß seine Berechnungen anhand der Seekarte stimmten. Was Bill gesichtet hatte, war nichts anderes als das Mississippi-Delta, zu dem sie östlich querab standen. Mit dem neuen Kurs segelten sie nun auf die Chandeleur Islands zu, die noch etwa fünfunddreißig Meilen entfernt waren.
Daß sich in der Wetterküche Unangenehmes zusammenbraute, wurde immer deutlicher. Die düstere Front im Süden ging im Westen in das trübe Grau der Dämmerung über. Lediglich im Norden war die Kimm noch als einigermaßen klare Linie zu erkennen. Im Osten hingegen hing ein milchiger Schleier, wodurch die frühabendliche Szenerie etwas Unwirkliches gewann. Vor dem dunkler werdenden Himmel war eine Nebelbank aufgestiegen, deren Schwaden über die Wasserfläche krochen und wie große, gefräßige Tiere auf die beiden Schiffe zuwaberten.
„Dieser Nebel könnte uns mehr Schwierigkeiten bringen als der Sturm“, sagte Ben Brighton dumpf, „wenn die Suppe sich noch mehr verdichtet, sieht es verdammt schlecht aus für uns.“
Hasard wollte entgegnen, daß es sich offenbar nur um eine größere Nebelbank handele, der sie mühelos davonlaufen könnten. Aber er brachte die Antwort nicht mehr heraus.
Abermals ertönte Bills Stimme aus dem Mars, warnender diesmal, erschrocken fast.
„Deck! Galeone Backbord achteraus! Ein Spanier!“ Bill hielt einen Moment die Luft an, als müsse er seine eigene Überraschung verdauen. Dann schrie er es noch einmal, lauter: „Spanische Galeone Backbord achteraus!“
Der Seewolf und Ben Brighton waren herumgewirbelt und stürzten zur Heckbalustrade. Auch die übrigen Männer auf den verschiedenen Decks hasteten an die Verschanzungen und Balustraden.
Für Minuten lastete die Stille der Verblüffung an Bord der „Isabella“.
Hasard und Ben ließen die Spektive sinken, noch bevor sie sie richtig angehoben hatten. Das bloße Auge reichte aus, um die wichtigsten Einzelheiten zu erkennen. Und auch auf der „San Donato“ war es plötzlich still geworden.
Die spanische Galeone war aus der Nebelwand so unvermittelt aufgetaucht, als hätte sie einen Vorhang durchstoßen, hinter dem sie sich zuvor versteckt hatte.
„Hölle und Teufel“, knurrte der Seewolf, „entweder ist das ein verdammter Zufall, oder die Burschen haben mit Stielaugen durch den Nebel gelinst.“
Der Spanier war bestenfalls noch sechs Kabellängen entfernt, und es sah in der Tat so aus, als hätte er die „Isabella“ bereits seit Stunden im Visier gehabt. Aber das war unmöglich. Auf Bill als Ausguck war absolut Verlaß. Gegen die Nebelbank konnten selbst die schärfsten Augen nichts ausrichten.
Hasard setzte nun doch den Kieker an, und seine Vermutung erwies sich als richtig.
Auch die Dons waren verwirrt und vor Überraschung offenbar aus dem Häuschen geraten. Kein Zweifel, ihnen erging es nicht anders als den Arwenacks und den Indianern. Die Crew dort drüben auf der stattlich armierten Galeone hing ebenfalls über den Verschanzungen und stierte sich die Augen aus dem Kopf. Der Kapitän dieser Galeone hatte also keinesfalls damit gerechnet, so plötzlich auf die „Isabella“ und die „San Donato“ zu stoßen.
Schon auf den ersten Blick hatte Hasard festgestellt, daß es sich um ein ausgesprochen schnelles Kriegsschiff handelte, um einen sehr guten Am-Wind-Läufer. Die Armierung bestand aus insgesamt dreißig Culverinen und sechs Drehbassen, jeweils drei auf der Back und auf dem Achterdeck.










