Seewölfe Paket 18

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Der Schlangengott schwieg einen Moment lang, und das Glühen seiner Augen schwächte sich ab. Aber dann wurde es wieder stärker.
„Siri-Tong, die diese Insel schon lange vor euch allen kannte, und du, ihr werdet mit der Roten Korsarin von hier aus genau nach Südwesten segeln. Wenn es an der Zeit ist, werde ich euch ein Zeichen senden, und ihr werdet wissen, was anschließend zu tun ist. Ich werde dich schützen, kleine Araua, denn ich habe mit dir noch viel vor. Aber du wirst dennoch vorsichtig sein müssen, sehr vorsichtig. Laß mich jetzt allein, denn ich muß alles noch genau überdenken. Und tu, wie ich dir gesagt habe. Laß das heilige Feuer brennen, bis es von selbst verlöscht.“
Araua verließ das Gewölbe. Sie war verwirrt. Was der Schlangengott ihr soeben gesagt hatte, begriff sie noch nicht so recht. Was bedeutete es – daß sie mit Siri-Tong eine lange Reise machen würde, an der dann auch Arkana teilnehmen würde? Und was meinte der Schlangengott damit, daß ihnen allen schwere Prüfungen bevorstehen würden, die sie aber zu seiner Zufriedenheit bestehen müßten? Und warum wollte er mit Siri-Tong sprechen? Das geschah zum erstenmal, seit sie denken konnte.
Wahrlich, es geschahen merkwürdige Dinge auf der Schlangeninsel, und alles war in Fluß geraten …
Als Araua aus dem Schlangentempel trat, traf sie auf Karl von Hutten.
Er blieb vor ihr stehen.
„Wir hatten Sorge um dich, Araua. Sieh dir die Insel an, das Unwetter hat viele Verwüstungen angerichtet. Auch oben im Dorf der Araukaner. Wir werden eine Weile zu tun haben, bis alles wieder seine alte Ordnung haben wird. Was ist geschehen, Araua, du siehst so verändert aus? Sag es mir …“
Araua lächelte ihn an. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Siri-Tong wird mit ‚Roter Drache‘ bald nach dem Sturm in die Schlangenbucht einlaufen. Ich werde sie erwarten, denn der Schlangengott hat mir aufgetragen, Siri-Tong sofort zu ihm zu führen, sobald sie wieder hier ist.“
Karl von Hutten blickte das Mädchen, das da fast nackt und in voll erblühter Schönheit vor ihm stand, an, zweifelnd und ungläubig.
„Der Schlangengott will Siri-Tong sprechen, Araua?“
Araua nickte.
„Ja, ich soll mit ihr zusammen genau nach Südwesten segeln. Er wird uns dann, sobald es an der Zeit ist, ein Zeichen schicken, das uns helfen wird, Arkana und die Schlangenkriegerinnen zu finden. Aber der Schlangengott sagte auch, daß uns schwere Prüfungen bevorstehen, die wir zu seiner Zufriedenheit lösen müßten, bevor …“
„Bevor … bevor was, Araua?“ fragte Karl von Hutten und warf gleichzeitig einen scheuen Blick zum Eingang des Schlangentempels hinüber.
Doch Araua schüttelte den Kopf. Sie berührte ihn leicht mit den Fingerspitzen ihrer rechten Hand und begann dann den beschwerlichen Aufstieg zur Beobachtungsplattform auf dem Felsendom. Trotz der heftigen Böen, die immer noch durch die Schlangenbucht pfiffen.
Stunden später tauchte der „Rote Drache“ von Siri-Tong an der Kimm auf und nahm sofort Kurs auf die Schlangeninsel. Dann warf die Rote Korsarin Anker, denn sie mußte auf das Einsetzen des Mahlstroms warten, bevor sie durch den Felsendom in die Schlangenbucht einsegeln konnte.
Araua aber wartete nicht solange Sie ließ sich von ihren Schlangenkriegerinnen mit einem der noch intakten Boote zum Viermaster Siri-Tongs hinauspaddeln.
Auch „Roter Drache“ wies einige Schäden auf, auch der große Viermaster war noch in die Ausläufer des Unwetters geraten.
Nur wenig später befand sich auch die Rote Korsarin auf der Schlangeninsel, denn Araua hatte nicht lockergelassen. Der Schlangengott hatte ihr aufgetragen, Siri-Tong sofort nach ihrer Ankunft zu ihm zu bringen, und die Rote Korsarin widersetzte sich dem nicht. Ihren Viermaster würde der Boston-Mann durch den Felsendom segeln. Der Wikinger hatte ihn Siri-Tong mitgegeben, weil er mit dem alten Ramsgate die Überholung des Schwarzen Seglers vorbereiten sollte, nachdem alle notwendigen Materialien nunmehr vorhanden waren.
Karl von Hutten empfing die beiden in der Schlangenbucht. Er trat auf die Rote Korsarin zu.
„Wieso bist du allein zurückgesegelt, Siri-Tong“, fragte er. „War es nicht ausgemacht, daß ihr alle im Konvoi zurückkehren würdet?“
Die Rote Korsarin nickte.
„Das schon, aber Diego hatte einige Schwierigkeiten, alles das, was wir benötigen, rasch genug zu besorgen. Deshalb sind der Wikinger, Jean Ribault und Jerry Reves mit ihren Schiffen noch im Hafen von Tortuga geblieben. Sie werden zurückkehren, sobald Diego alles das aufgetrieben hat, was wir hier brauchen. Tauwerk, Segeltuch und andere Dinge habe ich an Bord von ‚Roter Drache‘. Der Boston-Mann hat Anweisung, das Schiff bis zur Werft von Ramsgate zu verholen und dort zu löschen.“
Die Rote Korsarin schwieg, während Araua bereits ungeduldig die Hand Siri-Tongs nahm, um sie zum Eingang des Schlangentempels hinüberzuziehen. Araua wußte nur zu gut, wie schnell man sich den Zorn des Schlangengottes zuziehen konnte, wenn man seine Anweisungen nicht so befolgte, wie er das wollte.
Siri-Tong griff jedoch nach Arauas Hand und hielt sie fest.
„Araua hat mir berichtet, was inzwischen geschehen ist und was ihr der Schlangengott für einen Auftrag erteilt hat, Araua und mir. Ich werde mit ‚Roter Drache‘ segeln, sobald das Schiff entladen ist. Aber da ist noch etwas, was du und was alle hier auf der, Schlangeninsel wissen sollten: Auf Tortuga hat sich eine Piratin eingenistet. Sie scheint schon seit einiger Zeit ihr Unwesen in der Karibik zu treiben, und man nennt sie die ‚Black Queen‘. Sie ist eine Schwarze, und sie scheint verdammt gefährlich zu sein, wenn das stimmt, was wir bei Diego gehört haben. Zu Gesicht bekommen haben wir sie nicht, aber sie beansprucht die Herrschaft über Tortuga.“
Ein hartes Lächeln kerbte die Züge der Roten Korsarin.
„Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie Thorfin darauf reagiert hat. Ich denke, wir werden mit dieser ‚Black Queen‘ noch einen harten Strauß auszufechten haben, sobald sie sich auf Tortuga wieder blicken läßt.“
Wieder schwieg Siri-Tong, während Araua an ihrer Seite immer ungeduldiger wurde. Aber das störte die Rote Korsarin im Moment überhaupt nicht.
„Was mich beunruhigt, ist, Karl, daß diese ‚Black Queen‘ irgendwo noch einen geheimen Stützpunkt haben soll und daß sie versucht, alle anderen Schnapphähne der Karibik, sofern sie Farbige sind, unter ihr Kommando zu bringen. Weiße scheint sie nicht bei sich zu dulden. Das ist auch der Grund, warum ich schon früher zurückgesegelt bin. Ich wollte die Schlangeninsel nicht so lange alleine und ohne Schutz auch zur See wissen. Aber jetzt ist wieder alles anders geworden. Es wird gut sein, Karl, wenn sich sofort eine Schaluppe auf den Weg nach Tortuga begibt, um Thorfin und Jean zu informieren. Ich habe so eine dunkle Ahnung, als ob ihre Anwesenheit hier schon sehr bald dringend notwendig sein wird.“
Siri-Tong ahnte in diesem Moment gar nicht, wie recht sie mit dieser Voraussage behalten sollte.
Karl von Huttens Gesicht hatte sich verdüstert.
„Ich wollte mit dir segeln, mit dir und Araua, Siri-Tong. Aber daraus wird jetzt nichts. Ich selbst werde mit einer Schaluppe nach Tortuga hinübersegeln, denn ich glaube, daß du recht hast. Außerdem hat mich das, was ich von Araua erfahren habe, auch nicht ruhiger werden lassen. Über unserer Schlangeninsel braut sich etwas zusammen, das spüre ich. Ich werde sofort die notwendigen Vorbereitungen treffen. Aber wer kümmert sich um die Schlangeninsel, solange auch ich noch fort bin?“
Siri-Tong sah Araua an.
„Ich werde den Boston-Mann auf unserer Insel zurücklassen. Araua wird mit Tomota, dem Häuptling der Schlangenkrieger sprechen. Außerdem ist auch noch Arne von Manteuffel da mit seinem Kapitän O’Brien und der alte Ramsgate mit seinen Männern. Das reicht, um die Insel gegen jeden Angreifer eine Weile zu verteidigen. Der Boston-Mann kennt alle Befestigungen dieser Insel so gut wie ich, außerdem kommt er mit allen Araukanern sehr gut aus.“
Sie wandte sich ab.
„Araua hat recht – wir sollten den Schlangengott jetzt nicht mehr länger warten lassen. Wir sehen uns nachher noch.“
Araua und die Rote Korsarin gingen über das Plateau des Ratsfelsens in Richtung Schlangentempel davon. Dann verschwanden sie in dem dunkel gähnenden Eingang, der von Araua nicht wieder verschlossen worden war. Die Rote Korsarin war gespannt darauf, was der Schlangengott ihr zu sagen haben würde. Denn es war das erstemal, daß er sich mit ihr direkt in Verbindung setzte.
3.
Das Unwetter hatte sich gelegt. Zwar fuhren immer noch vereinzelt heftige Böen durch die Bucht jener Caicos-Insel, an deren Klippen die „Mocha II.“ ihr Ende gefunden hatte, aber als es hell wurde, als ein neuer Tag über der Karibik emporstieg, rissen die schweren Wolken auf. Erste Sonnenstrahlen tasteten sich über das Bild der Verwüstungen, die das Unwetter hinterlassen hatte.
Arkana hatte sich zwischen den Felsen erhoben, und auch ihre Kriegerinnen blickten auf die Bucht hinab. Sie erkannten das Wrack ihres Schiffes, das zwischen den Klippen steckte und einen traurigen Anblick bot.
Bis auf den Besan, an dem noch die Fetzen des Gaffelsegels flatterten, war die Galeone entmastet. Der Haupt- und der Fockmast hingen über Bord. Tauwerk, laufendes und stehendes Gut, Rahen wie Spieren und auch zerfetztes Segeltuch verwandelten das Hauptdeck der „Mocha II.“ in ein einziges Chaos.
Als Arkanas scharfe Augen die Galeone weiter abtasteten, und als die Erinnerungen an jene Riesenwoge wieder lebendig wurden, die sie auf die Klippen geworfen hatte, wußte sie, daß sie mit diesem Schiff niemals mehr von dieser Insel fortsegeln konnten. Denn auch der Rumpf der „Mocha II.“ war geborsten, wie die Rippen eines Skeletts standen zum Teil die Spanten heraus.
Tatona berührte Arkana am Arm.
„Man wird nach uns suchen. Karl von Hutten weiß, daß wir in Richtung Caicos-Inseln gesegelt sind, und auch Araua weiß es. Wir werden warten müssen, Arkana. Überleben können wir auf dieser Insel …“
Tatona unterbrach sich in diesem Augenblick. Und auch durch Arkanas hochgewachsenen, schlanken Körper ging ein Ruck. Gleichzeitig fuhren die Köpfe der Schlangenkriegerinnen in die Richtung, in die Tatona jetzt voller Erregung deutete.
Im hinteren Teil der Bucht, dort, wo eben noch dichte Nebelschleier die Küste verdeckt hatten, wuchs aus den Nebeln plötzlich wie von Geisterhand gezeichnet ein großer Dreimaster hervor. Ein düster wirkendes, unheimliches Schiff. Weit größer als ihre „Mocha II.“, größer auch als die „Isabella IX.“ des Seewolfs, zumindest wirkte sie so. Ihr Rumpf ragte hoch aus dem Wasser, und irgendwie wirkte er fast so mächtig wie „Eiliger Drache über den Wassern“, wie der Schwarze Segler Thorfin Njals, des Wikingers.
Arkana stand wie erstarrt. Wo kam dieses Schiff her? Wahrscheinlich hatte es diese Insel schon vor ihnen angelaufen, um vor dem Unwetter Schutz zu suchen. Und natürlich war es völlig unmöglich gewesen, es während der zuckenden Blitze, des sintflutartigen Regens und ihrem verbissenen Kampf ums nackte Überleben zu entdecken.
„Wir sind nicht allein auf dieser Insel“, sagte Tatona. „Dort ist ein Schiff, das Schiffbrüchigen seine Hilfe gewiß nicht versagen wird, Arkana …“
Arkana bedeutete Tatona durch eine Handbewegung zu schweigen.
„So einfach ist das nicht, Tatona“, erwiderte sie schließlich. „Auch wenn jene bereit wären, uns zur Schlangeninsel zu segeln, so dürften wir das Geheimnis unserer Insel dennoch nicht preisgeben. Nein, wir müssen zuvor erkunden, wer sich auf jeher Galeone dort befindet. Es werden eher Feinde sein als Freunde, fürchte ich!“
Arkana hatte das auf Araukanisch gesagt, und das war ihr Glück, nur wußte sie es nicht. Denn in diesem Augenblick wurden sie und ihre Schlangenkriegerinnen von vielen Augenpaaren beobachtet. Ganz besonders aber von zwei kohlschwarzen Augen, die zu einer großen, athletisch gebauten Negerin mit pechschwarzer Haut gehörten. Ihr Oberkörper war nackt, genau wie der Arkanas und ihrer Schlangenkriegerinnen. Um die Hüfte trug sie einen breiten Ledergürtel, der zugleich ein lendenschurzähnliches Kleidungsstück hielt, das ihre Scham bedeckte. Im Gürtel steckte eine doppelläufige Pistole, deren feine Ziselierungen sie als eine äußerst wertvolle und sorgfältig gefertigte Waffe aus Meisterhand auswiesen.
In der Rechten hielt sie eine Art Entermesser, dessen Klinge jedoch länger und breiter war, als bei diesen Waffen normalerweise üblich.
Wenn sie sich bewegte, dann spielten unter ihrer pechschwarzen Haut Muskeln, die auch dem stärksten Mann zur Ehre gereicht hätten.
Neben ihr, ebenfalls sorgfältig in Deckung hinter den Felsen, stand ein riesiger Schwarzer, dem jeder auf den ersten Blick ansah, wie stark und gefährlich er war. Sein Gesicht stellte eine merkwürdige Mischung aus Brutalität und Intelligenz, aus Unerschrockenheit und Verschlagenheit dar. Ein krauser, aber dennoch wild wirkender Bart umrahmte sein Kinn. Gekleidet war er ähnlich wie die Negerin an seiner Rechten, und auch seine Bewaffnung entsprach der ihren.
Die Negerin beugte sich jetzt zu dem Schwarzen hinüber.
„Zum Teufel, was sind das für Weiber, Caligula?“ fragte sie leise, ohne Arkana und ihre Kriegerinnen aus den Augen zu lassen. „Hast du jemals von Indianern etwas gehört, die mit einer verdammten Galeone durch die Karibik segeln?“
Caligula – so hieß der riesige Schwarze neben der Negerin, die offenbar auch die Anführerin des Trupps von Negern, Kreolen, Mestizen und anderen, undefinierbaren Farbigen war, kam nicht mehr dazu, zu antworten, denn in diesem Moment entdeckte Arkana einen der Schwarzen, der sich zu weit aus seiner Deckung hervorgewagt hatte. Er hatte die fast nackten Schlangenkriegerinnen, von denen eine so bildschön war wie die andere, genauer betrachten wollen. Arkana entging der lüsterne, gemeine Gesichtsausdruck, mit dem dieser Kerl sie und Tatona anstarrte, nicht. Sie wußte sofort, daß diese Kerle ihr und ihren Kriegerinnen alles andere als freundlich gesonnen waren.
Sie stieß einen schrillen Ruf aus, und sofort verschwanden ihre Kriegerinnen zwischen den Felsen.
Die Negerin stieß einen Fluch aus. Aber dann sprang sie aus ihrer Deckung hervor.
„Drauf!“ befahl sie. Und schon jagte sie in wilden Sätzen auf die Stelle zu, an der Arkana sich eben noch befunden hatte – aber sie fand die Schlangenpriesterin nicht mehr vor. Arkana war klug genug gewesen, sich sofort aus den Felsen zurückzuziehen und zum offenen Strand hinabzustürmen, gefolgt von ihren Kriegerinnen. Sie wollte nicht zwischen den Felsen, sondern im offenen Gelände den Kampf aufnehmen. Denn weder Arkana, noch Tatona oder eine andere der Schlangenkriegerinnen wußte, ob die Kerle sie in den Felsen nicht längst umzingelt hatten und ob sie sich dort nicht viel besser auskannten als sie und ihre Schlangenkriegerinnen.
Außerdem ließ sich der Feind im offenen Gelände viel leichter einschätzen, als zwischen den unübersichtlichen Klippen, wo hinter jeder Felsnase ein neuer Gegner lauern konnte.
Daß Arkana mit ihrem Ausweichen zum Strand genau das Richtige getan hatte, erkannte sie an dem unartikulierten Wutschrei, den die Negerin ausstieß und an dem wilden Gebrüll, in das ihre Kerle jetzt verfielen.
Arkana und ihre Kriegerinnen erreichten den Strand. Es gelang ihnen, als Deckung eine der Palmengruppen zu erreichen, mit denen der ganze Strand bestanden war.
Nur Augenblicke später erreichten auch die Negerin, ihr Unterführer und die anderen Kerle ihres Trupps den Strand. Verblüfft blieben sie stehen, als sie Arkana und ihre Schlangenkriegerinnen gewahrten, die sich bereits zum Kampf formiert hatten. Das Schlangendiadem in Arkanas schwarzem Haar funkelte in der Sonne, auch ihre goldenen Armreifen, ebenfalls Nachbildungen von sich um die Unterarme Arkanas ringelnden Schlangen, blitzten in den Strahlen der noch tief stehenden Sonne.
Die Schwarze starrte Arkana an. Dann aber schritt sie auf Arkana zu. Ihre Männer, die ihre Waffen bereits kampfbereit in den Fäusten hielten, stoppte sie mit einer einzigen knappen Handbewegung. Auch Caligula, ihr Unterführer, blieb zurück und beobachtete die Szene mit wachsamen Blicken, ließ aber die Schlangenkriegerinnen dabei nicht aus den Augen.
Arkana ging der Schwarzen mit der gleichen Furchtlosigkeit entgegen. Auch ihre Schlangenkriegerinnen, die Waffen in den Händen und jederzeit bereit, sich gegen diesen übermächtigen Gegner bis zum letzten Blutstropfen zur Wehr zu setzen, verhielten sich still. Sie beobachteten den so plötzlich und völlig unerwartet erschienenen Feind aus wachsamen Augen. Die Luft über der Bucht schien vor Spannung zu knistern. Jeder wußte, daß es ein erbarmungsloser, tödlicher Kampf werden würde, falls eine der beiden Seiten die Feindseligkeiten eröffnete.
Dicht voreinander blieben die beiden Frauen stehen. Braunhäutig, schlank, hochgewachsen und biegsam die eine – pechschwarz, muskulös und im ganzen herkulisch gewachsen die andere. Eine ganze Weile musterten sie sich schweigend – dann brach die Schwarze das Schweigen.
„Man nennt mich die ‚Black Queen‘ – was hast du in meinem Herrschaftsbereich zu suchen, und wer bist du?“
Arkana zuckte mit keiner Wimper.
„Wir stammen aus einem Land, das weit von hier im Süden liegt. Die Meere sind für jedermann frei“, sagte sie stolz. Sie vermied es zu lügen, aber sie verschwieg natürlich auch die Wahrheit. „Wenn du uns die Meere streitig machen willst, dann wirst du kämpfen müssen, Black Queen. Mein Volk ist daran gewöhnt, zu kämpfen.“
Die Black Queen musterte Arkana erneut.
„Deine Zunge ist stolz. Du sprichst von deinem Volk. Besteht dein Volk nur aus Weibern? Wo sind deine Krieger?“
Wieder rührte sich Arkana nicht.
„Mein Volk hat mehr Krieger als du zählen kannst“, erwiderte sie. „Sie werden kommen, wenn ich es will. Aber bei uns verstehen auch die Mädchen und Frauen zu kämpfen, so wie du es offenbar auch verstehst. Falls du uns angreifst, wirst du es bald erfahren. Aber üblich ist es bei meinem Volk, daß man Schiffbrüchigen Hilfe leistet, anstatt sie zu überfallen und zu bedrohen. Entscheide dich, Black Queen!“
Die Black Queen deutete mit einer Kopfbewegung auf die „Mocha II.“, die unweit von ihnen, aber halb im Wasser der Bucht, auf den scharfen Klippen hing.
„Das Schiff dort spricht nicht für dein Volk. Es ist alt, schwach bewaffnet und morsch. Und wenn dein Volk Hunderte solcher Schiffe hätte, damit könntest du mir keine Furcht einjagen. Aber wenn du so stolz bist, wie du tust, warum verschweigst du mir dann deinen Namen?“
Arkana blitzte die Schwarze an.
„Ich bin Arkana, die Hohepriesterin der Araukaner. Du wirst die Macht unseres Gottes zu spüren kriegen, denn er beschützt uns. Und jetzt entscheide dich. Wählst du den Frieden oder den Krieg?“
„Ich wähle den Kampf, denn für uns beide ist kein Platz in der Karibik. Noch nie hat jemand die Black Queen besiegt, und auch dir wird es nicht gelingen …“
Bei den letzten Worten stürzte sich die Schwarze auf Arkana. Ihr schweres Entermesser zuckte vor, aber es stieß ins Leere. Arkana war gedankenschnell zur Seite gewichen, und ihr Kriegsbeil, das sie blitzschnell aus dem Gürtel gerissen hatte, verfehlte die Black Queen nur knapp.
Neben und hinter ihnen wurde jetzt das Gebrüll der Piraten laut, die sich mit gierigen Blicken auf die Schlangenkriegerinnen stürzten.
Aber sie holten sich beim ersten Anlauf blutige Nasen. Wann immer sie eine der Schlangenkriegerinnen zu packen glaubten, griffen sie ins Leere. Die Streitäxte der Kriegerinnen rissen blutige Wunden, und dann lagen auch schon die ersten Toten im weichen Sand des Strandes.
Der Kampf wogte hin und her. Wieder und wieder versuchten die Piraten von ihren Pistolen Gebrauch zu machen, aber zu ihrer größten Wut versagte das feuchte Pulver ihnen den Dienst. So wurde es ein wilder Kampf Mann gegen Kriegerin, und auch Caligula, der riesige Unterführer der Black Queen, mußte verwirrt erkennen, wie hartnäckig diese kleine Gruppe von Schlangenkriegerinnen allen Versuchen der Piraten energischen Widerstand entgegensetzte, sie ins Wasser der Bucht oder aber zwischen die Felsen zu drängen.
Die Luft war erfüllt vom Gebrüll der Piraten, während Arkanas Kriegerinnen lautlos kämpften. Ihre Streitäxte wirbelten, ihre Messer blitzten, und manch einer der Angreifer sank blutüberströmt in den Sand der Bucht.
Zwischen Arkana und der Black Queen tobte der Kampf mit einer Heftigkeit, wie auch Arkana ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Sie spürte, eine wie gefährliche und unberechenbare Gegnerin diese Schwarze war, aber immer wieder gelang es ihr, die wilden Attacken der Queen zu unterlaufen, der sausenden Klinge ihres Entermessers auszuweichen.
Die Queen wurde mit jedem Hieb, mit jedem Angriff, der an den blitzschnellen Kontern der Schlangenpriesterin scheiterte, zorniger. Noch nie hatte es einen Gegner gegeben, der ihr so hartnäckig zu widerstehen verstand. Egal, was sie tat – diese Araukanerin war schneller. Und dann traf die Black Queen der erste Hieb der Streitaxt Arkanas. Sie spürte den Schmerz, der ihre Schulter durchzuckte, und sie spürte die Lähmung, die sich von ihrer linken Schulter über ihren Körper ausbreitete.
Die schwarzen Augen Arkanas tauchten vor ihr auf, während sich ihr eigenes Gesicht vor Schmerz verzog. Sie sah das Blitzen des Diadems, die grünen Augen der Schlange, die sie bösartig anzufunkeln schienen, und in diesem Moment traf sie der zweite Hieb.
Er hätte jeden Gegner gefällt, und auch die Black Queen taumelte unter der Wucht dieses Schlages. Sie fuhr sich über die Augen, um das Blut fortzuwischen, das ihren Blick verdunkelte.
Sie sah Arkana in diesem Moment nur noch als dunklen Schemen vor sich, der zurückzuckte und dann wieder auf sie zusprang. Aber da packte die Black Queen jener Zorn, den ihre Gegner kannten und den sie fürchteten. Er setzte geradezu unmenschliche Kräfte in ihr frei.
Mit einem wilden Satz warf sie sich Arkana entgegen. Sie sprang mitten in den Hieb, der schon auf sie herniedersauste und der ihr den Tod gebracht hätte.
Die Streitaxt Arkanas glitt an der Klinge des Entermessers ab, dann war die Black Queen über ihr, und ihre Hände, gespreizt wie die Krallen eines Leoparden, packten Arkana. Ihr Entermesser hatte sie fallen lassen.
Arkana brachte einen wilden und mit aller Kraft geführten Kopfstoß an, und er traf die Black Queen in den Leib.
Unter der Wucht dieses Stoßes ging die Black Queen in die Knie, aber sie riß Arkana, die sie gepackt hielt und nicht losließ, mit sich zu Boden und begrub sie unter sich.
Doch wieder gelang es Arkana, sich herumzuwerfen, sich aus dem eisernen Griff der Black Queen zu befreien – aber da traf sie ein furchtbarer Schlag auf den Kopf. Die Streitaxt entfiel ihrer Hand, sie sank in den Sand zurück und ihre Glieder streckten sich.
So sah sie nicht mehr, daß ihre Schlangenkriegerinnen, einen Moment lang in dem Glauben, sie sei tot, erschlagen, wie erstarrt stehenblieben, sich dann aber mit wildem Geheul einen Weg durch die Piraten zu ihrer Anführerin und Hohepriesterin zu bahnen versuchten.
Das benutzten die Piraten. Erneut fielen sie über das zusammengeschrumpfte Häuflein der Schlangenkriegerinnen her, und diesmal hatten sie keine Chance mehr.
Tatona wurde von Caligula überwältigt, auf jede der anderen stürzten sich drei bis vier Piraten. Damit war der Kampf entschieden. Die Schlangenkriegerinnen wurden gebunden und dann in den Sand geworfen.
Die Black Queen hatte sich erhoben. Blut lief ihr aus drei Wunden über den Körper. Sie starrte ihre Gegnerin an, die Caligula in diesem Moment ebenfalls fesseln ließ. Dann bückte sie sich und untersuchte den Schädel Arkanas. Anschließend richtete sie sich wieder auf, und ihre Augen starrten die Piraten wütend an.
„Wer war das?“ fragte sie mit vor Zorn heiserer Stimme. „Wer hat diese Araukanerin heimtückisch und von hinten niedergeschlagen?“ fragte sie.
Einer der Männer wich zurück, angstvoll starrte er seine Anführerin an.
„Black Queen, ich … ich wollte doch nur … ich …“
Das war das letzte, was er in seinem Leben über die Lippen brachte.
Blitzschnell hatte sich die herkulische Schwarze gebückt, ihr Entermesser aus dem Sand emporgerissen und es ihm in die Brust gestoßen.