Seewölfe Paket 19

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„Dort müßte man mal eine Zeitlang anheuern“, meinte Paddy Rogers, „notfalls als Kombüsenhengst.“
„Bloß das nicht“, sagte Ed. „Du würdest deinen eigenen Hintern braten, in der Meinung, es sei ein dicker Schinken.“
Bill spukte immer noch die Herzflagge im Kopf herum.
„Das ist doch niemals die französische Flagge“, sagte er. „Ich möchte nur zu gern wissen, was das zu bedeuten hat.“
Der Profos warf ihm einen schrägen Blick zu.
„Was gibt’s denn da zu überlegen?“ röhrte er. „Die Mädchen wollen damit eine besondere Art von Herzlichkeit zum Ausdruck bringen.“ Grinsend fügte er hinzu: „Vielleicht soll das Herz ein Symbol für Liebe sein, nicht?“
Bill, der vor vielen Jahren als Schiffsjunge an Bord gekommen war, kriegte einen puterroten Kopf.
„Ach so“, sagte er nur.
Der Profos ließ jedoch nicht locker.
„Vielleicht ist damit auch käufliche Liebe gemeint. Aber wie dem auch sei – du brauchst deshalb nicht gleich rot zu werden wie die Unschuld vom Lande.“
„Aber – aber …“, stotterte Bill, „ich bin doch gar nicht rot.“
„Natürlich bist du das“, fuhr Ed ungerührt fort, „feuerrot sogar.“
Bill wurde die Sache zu brenzlig, zumal schon einige zu grinsen anfingen. Er verholte sich rasch in Richtung Back, damit der Profos den Faden nicht weiterspinnen konnte.
Doch die Aufmerksamkeit der Arwenacks konzentrierte sich gleich wieder auf andere Ereignisse. Der Kapitän der „Coq d’Or“ ließ zwei Beiboote aussetzen. Hasard, Jean Ribault und der Wikinger folgten seinem Beispiel. Man wollte sich der Einfachheit halber am nahen Strand treffen, um die Fronten abzustecken.
Schon bald war an Land ein großes Palaver im Gange, bei dem man sich gegenseitig beschnupperte.
Hasard hatte sich in seinen Vermutungen nicht getäuscht. Wie sich rasch herausstellte, waren die fünfzig Mädchen, die nach und nach an Land gepullt wurden, allesamt lebenslustige, sehr temperamentvolle Französinnen, die sich keinen allzu großen Gedanken darüber hingaben, daß man sie „verschachert“ hatte.
Die Reise in die Karibik war für sie nichts anderes als ein großes Abenteuer, und einige hegten die Hoffnung, hier ein neues Leben beginnen zu können. In Paris waren sie schließlich wie der letzte Dreck behandelt worden, hier aber sollte alles ganz anders sein. So jedenfalls hatte man es ihnen versprochen.
Das Stimmengewirr am Nordstrand von Gran Cayman wurde immer lebhafter. Die Mademoiselles aus Paris verhehlten nicht, daß ihnen die harten Kerle von der „Isabella“, von der „Le Vengeur“ und dem „Schwarzen Segler“ gefielen.
Edwin Carberry hatte endlich wieder einmal die Gelegenheit, seine fürchterlichen Französischkenntnisse zu verwerten, und Thorfin Njal, der sich immer wieder verlegen an seinem Helm kratzte, hatte plötzlich nichts mehr dagegen, daß seine Gotlinde diesmal nicht dabei war.
Einige Seewölfe unterhielten sich mit Crewmitgliedern der „Coq d’Or“, die die wildesten Geschichten darüber auftischten, wie abwechslungsreich die Überfahrt mit den Mädchen an Bord gewesen wäre. Natürlich stimmte nicht einmal die Hälfte davon, denn auch die Mädchen hatten ihre Ehre, wie sich später noch herausstellen sollte.
Edwin Carberry fühlte sich ganz als Gentleman. Er nickte in die eine Richtung und sagte betont vornehm „Bong schur, Missjöh“, und dann in die andere und flötete „Bong schur, Madmosell. Common tale wuh?“ Dazu schnitt er fürchterliche Grimassen, die jedoch ein freundliches Lächeln darstellen sollten.
Lediglich Sir John gelang es, den Profos, auf dessen linker Schulter er hockte, aus der Fassung zu bringen. Der Papagei stieß eine Menge englischer und spanischer Flüche hervor, die ganz und gar nicht dazu angetan waren, das Ansehen Edwin Carberrys zu heben.
Schließlich setzte die „Nebelkrähe“ allem die Krone auf, indem sie die Mademoiselles, die den Profos umringten, um das bunte Federkleid des exotischen Vogels auf seiner Schulter zu bewundern, als „verlauste Ziegenböcke“ bezeichnete. Ed wurde regelrecht verlegen, murmelte ein zerknirschtes „Pardon“ und verscheuchte Sir John von seinem Platz, denn wie verlauste Ziegenböcke sahen die Ladys nun wirklich nicht aus.
Die wabernde Hitze trieb den Männern den Schweiß aus allen Poren. Die Mädchen schienen die hohen Temperaturen nicht zu empfinden. Sie trugen zu ihren langen Röcken offenherzige Blusen und freuten sich wie kleine Kinder über den heißen Sand des Strandes, in den ihre nackten Füße einsanken.
Alle, die an Land gepullt waren, zogen sich in den Schatten der Palmenhaine zurück.
Der Seewolf war in ein Gespräch mit dem Kapitän der „Coq d’Or“ vertieft. Wie sich rasch herausstellte, war Lucien Amadou ein sympathischer und offener Mann. Er war von untersetzter Gestalt, hatte rötlichblonde Haare und einen entsprechenden Vollbart. Der Seewolf schätzte das Alter des mittelgroßen Mannes, in dessen blauen Augen der Schalk blitzte, auf etwa dreißig Jahre.
Hasard, Ben Brighton sowie Lucien Amadou und die vier Wortführerinnen der Mädchen hatten sich in unkonventioneller Art auf dem weichen Boden unter den Palmen niedergelassen.
Amadou hatte zunächst die vier Ladys vorgestellt, die im Interesse aller sprachen. Zu ihnen gehörte eine sogenannte Vertrauensperson namens Manon. Sie war dunkelhaarig, schlank, etwa fünfundzwanzig Jahre alt und so hübsch, daß sich jeder im stillen fragte, wie sie nur an diesen „Beruf“ geraten war.
Doch Manon hatte eine ziemlich düstere Vergangenheit hinter sich, und das Leben hatte es bisher alles andere als gut mit ihr gemeint. Als Findelkind war sie in falsche Hände geraten und schließlich aus dem ungastlichen „Zuhause“ geflohen. So war es geschehen, daß sie auf der Straße landete.
Auch die etwa fünf Jahre jüngere und etwas zur Fülle neigende Julie gehörte zu den Wortführerinnen – ebenso wie die brünette und gertenschlanke Cécile, die mit ihren achtzehn Jahren die Jüngste im Führungsgremium der Mädchen war.
Außerdem war da noch Esther. Sie hatte jettschwarzes Haar, dunkle und rätselhafte Augen und sah aus wie eine Südländerin.
„Ich gestehe, daß wir zunächst etwas überrascht waren über das Äußere Ihres Schiffes“, sagte Hasard lächelnd. Gleichzeitig wich er einem bewundernden Blick aus Esthers dunklen Augen aus. „Wir hatten eigentlich ein anderes Schiff erwartet, daraus erklärt sich auch unsere Gefechtsbereitschaft.“
Amadou lachte. „Nun, Monsieur Killigrew“, sagte er, „ein Schiff mit rauhem Bordleben und feuerspeienden Kanonen – all diese Dinge gehören nicht unbedingt zu einer Umgebung, in der sich Frauen und Mädchen wohlfühlen. Darauf beruht es wohl, daß die ‚Coq d’Or‘ von ihren weiblichen Passagieren ein bißchen umfunktioniert wurde. Ich habe das geduldet, um den Mädchen nicht die gute Laune zu verderben. Ich nehme an, daß sie sich so etwas wohler an Bord gefühlt haben. Ist es nicht so, ihr Hübschen?“
Die Mädchen nickten eifrig.
„Wir sind mit Kapitän Amadou sehr zufrieden“, bestätigte Manon. „Er hat sich nicht in unsere Angelegenheiten eingemischt und alles getan, um uns das Leben an Bord zu erleichtern. Sogar die gräßlichen Kanonen durften wir einhüllen, um sie nicht ständig vor Augen zu haben. Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet.“
„Die Mädchen sind also aus Paris?“ fragte Hasard.
„So ist es“, erwiderte Amadou. „Ich habe sie dort von einem Händler übernommen, mit dem Auftrag, sie nach Honduras zu bringen und in El Triunfo einem gewissen Emile Boussac zu übergeben. Er sollte der Besitzer einer Schenke namens ‚La Mouche Espagnole‘ sein. Aber in El Triunfo haben wir nur noch Rauch und Asche vorgefunden. Ich habe deshalb im Einvernehmen mit den Mädchen beschlossen, ein Stück weiter nach Osten zu segeln, etwas herumzuhorchen und die Mademoiselles notfalls an einem Ort ihrer Wahl an Land zu setzen. Zurück nach Frankreich wollten sie nicht.“
Manon lächelte.
„Eine Rückkehr nach Paris konnten wir Monsieur Amadou zum Glück ausreden“, sagte sie. „Wir wollen auf jeden Fall in der Neuen Welt oder in der Karibik bleiben. Irgendwo werden wir schon ein passendes Etablissement finden oder aber selber eins einrichten. Wir sind unternehmungslustig genug, um nicht aufzugeben. Wenn sich dieser Monsieur Boussac nicht mehr um uns kümmern kann, denn werden wir es eben selber tun.“ Aus ihrer hellen Stimme klangen Festigkeit und Entschlossenheit.
Amadou, der mit seinen überkreuzten Beinen wie ein orientalischer Pascha am Boden hockte, nickte zustimmend.
„Eigentlich haben wir Kurs auf diese Insel genommen, weil wir dachten, etwas über den Verbleib Emile Boussacs zu erfahren. Aber wie es aussieht, handelt es sich bei Ihnen und Ihren Männern um die einzigen menschlichen Wesen auf Gran Cayman.“
„Stimmt“, sagte der Seewolf. „Und auch wir werden nicht mehr lange hier sein. Ich denke jedoch, daß ich Ihnen zumindest einige Tips geben kann, die Ihnen weiterhelfen.“
Amadou und die vier Mädchen wurden hellhörig.
„Sie kennen Monsieur Boussac?“ fragte die dunkeläugige Ester.
„Kennen wäre zuviel gesagt“, fuhr Hasard fort. „Doch ich weiß von Monsieur Ribault, dem Kapitän der ‚Le Vengeur‘, was sich in El Triunfo abgespielt hat. Die Vermutung liegt nahe, daß Emile Boussac nach dem vernichtenden Überfall der Spanier zusammen mit der Black Queen nach Tortuga gesegelt ist. Das gleiche gilt für jene Siedler, die das Massaker überlebt haben.“
„Oh, das ist sehr interessant!“ rief die achtzehnjährige Cécile. „Wo findet man dieses Tortuga?“
„Die Insel liegt ziemlich dicht vor der Nordküste Hispaniolas“, erwiderte der Seewolf. „Wie es scheint, will die Black Queen die Siedler zunächst auf Tortuga unterbringen, um mit ihrer Unterstützung den eigenen Machtbereich zu sichern und auszudehnen.“
„Aber dann wissen wir ja, wo wir Monsieur Boussac zu suchen haben“, sagte Julie. Ihre Stimme klang begeistert. „Dann laßt uns nach Tortuga segeln, es wird uns dort bestimmt gefallen.“
Lucien Amadou vollführte eine beschwichtigende Geste.
„Nur langsam, Julie“, sagte er. „Da gibt es zunächst noch einiges zu klären.“ Er wandte sich an Hasard. „Sie erwähnten eine Black Queen, Monsieur Killigrew. Darf man erfahren, um wen es sich da handelt?“
„Natürlich.“ Der Seewolf nickte. „Die Black Queen, die sich übrigens selber so nennt, ist eine Schwarze, die einen Zweidecker namens ‚Caribian Queen‘ befehligt. Sie ist ohne Zweifel die raffinierteste, brutalste und schlagkräftigste Piratin, die es je in der Karibik gegeben hat. Sie scheint von dem Gedanken besessen zu sein, ihren Machtbereich über die ganze Karibik auszudehnen. Wir haben schon seit längerer Zeit Ärger mit ihr. Erst während der Überfahrt nach Tortuga hat sie sich mit unseren Schiffen hier angelegt. Während sie schließlich weitergesegelt ist, haben wir in den letzten Tagen unsere Gefechtsschäden repariert.“
Amadou und die Mädchen staunten.
„Eine Frau?“ fragte Manon. „Wie schafft sie das?“
„Diese Frage ist schnell beantwortet“, erwiderte der Seewolf. „Die Devise der Black Queen heißt nackte Gewalt. Dazu befehligt sie inzwischen mehrere Schiffe, denen sich kaum jemand entgegenzustellen wagt. Unterstützt wird sie von einem Schwarzen, der Caligula heißt und ihr in nichts nachsteht.“
„Das ist ungeheuerlich!“ entfuhr es Lucien Amadou. „Wenn ich Sie recht verstanden habe, will sich diese Piratin auch Tortuga unter ihre Herrschaft bringen. Das wiederum würde für die Mädchen bedeuten, daß sie sich auf Tortuga dieser Piratenherrschaft unterstellen müßten.“
Die Gesichter der vier Ladys wurden plötzlich ernst.
„Das allerdings klingt nicht sehr verlockend“, meinte Manon, „denn sicherlich muß auch Monsieur Boussac vor dieser Black Queen kuschen.“
„Das sehen Sie ganz richtig“, sagte Hasard, „vorausgesetzt, es gelingt der Black Queen tatsächlich, sich auf Tortuga festzusetzen. Gerade das wollen wir jedoch verhindern. Wie uns diese Piratin bereits mitgespielt hat, werden wir alles daransetzen, ihre Pläne zu durchkreuzen.“
Lucien Amadou hob den Kopf.
„Soll das heißen, daß Sie ebenfalls nach Tortuga segeln werden?“
„Das ist geplant“, erwiderte Hasard.
„Oh, das trifft sich ja ausgezeichnet“, fuhr Amadou fort. „Wenn wir Sie begleiten dürften, könnten wir Ihnen vielleicht in irgendeiner Weise dabei helfen, dem Piratengesindel das Handwerk zu legen. Danach würde auch den Plänen Boussacs und der Mädchen nichts mehr im Wege stehen.“
Der Seewolf überlegte kurz.
„Ich nehme Ihr Angebot gern an“, sagte er dann. „Allerdings möchte ich auf keinen Fall, daß Ihre Passagiere in ein Gefecht verwickelt werden. Nach unseren bisherigen Erfahrungen geht es im Kampf mit den Schiffen der Black Queen nicht gerade gemütlich zu.“
Ben Brighton, der bis jetzt still und zurückhaltend zugehört hatte, lächelte den vier Ladys plötzlich zu.
„Es könnte sogar sein“, sagte er, „daß Sie die hübschen bunten Tücher von den Kanonen nehmen müßten.“
„Genau das wollen wir aber vermeiden“, warf Hasard ein. „Es wird sogar gut sein, wenn an der ‚Coq d’Or‘ vorläufig nichts verändert wird.“
„Sie haben bereits einen Plan?“ fragte Amadou.
Hasard nickte. Dann unterbreitete er dem Kapitän der französischen Galeone und den Ladys aus Paris seine Vorschläge. Sein Plan war einfach, aber gut durchdacht. Außerdem hatte er nahezu alle Eventualitäten berücksichtigt.
Lucien Amadou war Feuer und Flamme und steuerte im Einvernehmen mit den Mädchen sogar eigene Ideen bei. Nachdem auch der Wikinger, Jean Ribault und Siri-Tong zu dem Vorhaben gehört worden waren, wurde die Sache mit einem kräftigen Händedruck besiegelt.
Amadous Begeisterung war nicht zuletzt auf die Sympathie zurückzuführen, die er für den Kapitän der „Isabella IX.“ empfand. Er hatte sofort bemerkt, daß Philip Hasard Killigrew ein aufrechter und charakterfester Mann war, dem man vertrauen konnte.
Und Vertraute – so sah es aus – konnte man in der „eisenhaltigen“ Luft der Karibik sehr gut brauchen.
4.
In einer der weißgetünchten Hütten, die nicht weit von Diegos Felsenkneipe entfernt waren, herrschte eine gespannte Atmosphäre.
Der mittelgroße, bullige Mann mit dem kahlrasierten Schädel, den sie alle nur El Toro – den Stier – nannten, kochte vor Wut und Haß. Während die Männer auf den Holzbänken hockten und ihn teils mit zustimmenden, teils mit skeptischen Blicken ansahen, stand er mitten im Raum und stützte die klobigen Fäuste in die Hüften.
Wie er so dastand, glich El Toro wirklich einem Stier, und zwar einem, den man mit einem roten Tuch gereizt hatte.
Das rote Tuch war in diesem Falle die Black Queen.
Es gab kaum noch jemanden in der näheren Umgebung der „Schildkröte“, der nicht bereits darüber informiert war, daß sich die schwarze Piratin zur Herrscherin über Tortuga aufgeschwungen hatte. Einige der Männer, die sich jetzt um El Toro geschart hatten, waren in Diegos Kneipe gewesen, als die Queen ihre Machtansprüche öffentlich kundgetan hatte.
„Du hast dir reichlich viel vorgenommen, El Toro“, sagte Juan, der meist als Tagedieb im Hafen herumlungerte. „Gegen dieses Teufelsweib kommst du nicht an. Du nicht und wir alle nicht.“
Der dürre Bursche blickte nach Zustimmung heischend in die Runde. Doch wie es schien, stand er inzwischen allein mit seiner Meinung. War es anfänglich noch die Mehrzahl der versammelten Männer gewesen, die versucht hatte, El Toro sein wahnwitziges Vorhaben auszureden, so war er jetzt der einzige. Die acht anderen Kerle hatten sich von El Toros Wutausbrüchen und haßvollen Reden überzeugen lassen.
Der Kahlköpfige warf Juan, einem ziemlich hellhäutigen Mulatten, einen kalten Blick zu.
„Du kannst noch aussteigen“, sagte er. „Wir sind freie Männer. Ich zwinge niemanden, selbst wenn ich die Sache allein erledigen müßte. Aber eins sage ich dir, Juan: Wenn du uns verpfeifst, ist dein lausiges Leben nicht einmal mehr den Dreck wert, den du unter deinen langen Fingernägeln hast. Ich hoffe, du hast mich verstanden!“
Juan tat entrüstet. „Willst du mich als Verräter hinstellen, El Toro? Mich, einen deiner engsten Freunde? Traust du mir tatsächlich zu, dich zu verraten? Hör zu: Ich will nicht, daß du so über mich denkst. Selbstverständlich stehe ich auf deiner Seite, auch wenn ich meine Bedenken gegen deinen Plan vorgebracht habe. Trotzdem wirst du zugeben müssen, daß es ein sehr gefährlicher Plan ist. Die Black Queen und ihre verfluchte Bande scheint mit dem Teufel im Bunde zu sein. Nicht einmal der Seewolf und seine Freunde haben ihr bisher eine vernichtende Schlappe zufügen können. Und wir – wir sind nur ein armseliges kleines Häuflein.“
Über El Toros Stirn legten sich tiefe Falten.
„Ich bin mir des Risikos durchaus bewußt“, sagte er. „Dennoch ist es die einzige Lösung für uns und für Tortuga. Und es wird uns gelingen, wir müssen es nur geschickt anpacken. Wir tun es nicht nur, weil dieses Weibsstück meinen Bruder kaltblütig ermordet hat, sondern weil es für jeden von uns um seine Existenz geht. Befindet sich die Insel erst einmal in den Klauen der Black Queen, hat keiner von uns mehr etwas zu lachen. Wir können uns dann jeden Tag, an dem wir uns von unserem Lager erheben, fragen, ob wir ihn durch die Gnade der Queen überleben werden, oder ob sie geruhen wird, uns ihr Entermesser in den Bauch zu jagen. Wenn sie am Leben bleibt, werden wir alle nur noch arme Tröpfe sein, die vor ihr und ihren Handlangern zu kuschen haben.“
Das leuchtete den mehr oder weniger wüsten Kerlen ein. Die meisten von ihnen hatten in der „Schildkröte“ miterlebt, wie dem betrunkenen Pedro von der Negerin ein Loch in die Stirn geschossen worden war, und das nur, weil er im Suff unüberlegt dahergeredet hatte.
Pedro war El Toros Bruder gewesen und in gewissem Sinne auch sein Partner. El Toro betrieb seine dunklen Geschäfte seit einigen Jahren von Tortuga aus. Offiziell war er Händler, doch in Wirklichkeit lebte er von der Hehlerei. Er kaufte zahlreichen Schnapphähnen in der gesamten Karibik Teile ihrer Beute zu Spottpreisen ab und verhökerte das Zeug dann weiter. Bisweilen griff er mit seiner Karavelle auch mal selber zu, weil das den Gewinn beträchtlich erhöhte. Kein Wunder, daß er durch die Machtgier der Black Queen seine Felle davonschwimmen sah.
„Mit uns kannst du rechnen, El Toro“, sagte Miguel, ein kleiner, kräftiger Bursche mit einem runden Vollmondgesicht. Die anderen murmelten zustimmend.
„Ich danke euch“, sagte El Toro. „Ich habe also richtig gehandelt, daß ich mich auf euch verlassen habe. Wir werden der Queen samt ihrer Brut den Garaus bereiten, das verspreche ich euch.“
„Es wird verdammt hart werden“, bemerkte Fernando, dem die Hütte gehörte, „aber wir werden es schaffen.“
El Toros Züge glätteten sich. „Natürlich hätten wir im offenen Kampf keine Chance gegen dieses Miststück. Doch diesmal handelt es sich nicht um ein Seegefecht gegen ihren ganzen Verband. Unser Angriff wird sie an Land überraschen und richtet sich ausschließlich gegen sie und die Handvoll Männer, die sie begleiten. Das müßte doch, verdammt noch mal, zu schaffen sein!“
„Wo willst du zuschlagen?“ Miguel sah den bulligen Händler erwartungsvoll an. „Am besten ist es wohl, wenn wir die Bande in einen Hinterhalt locken.“
El Toro grinste und zeigte dabei eine Reihe kräftiger Zähne, die vom Aussehen her an ein Pferdegebiß erinnerten.
„Wir brauchen sie gar nicht erst wohin zu locken“, versprach er. „Sie werden uns ganz von selber ins Netz gehen. Die Queen ist vor einer Stunde in östlicher Richtung aufgebrochen. Demnach wird sie, nachdem sie die Insel gerundet hat, von Westen her zum Hafen zurückkehren. Dabei muß sie jedoch das Felsengelände in der Nähe des Westufers durchqueren. Genau dort werden wir ihr auflauern. Während uns die Felsen die beste Deckung geben, die wir uns wünschen können, werden uns die Teufel auf ihren Maultieren direkt vor die Musketenläufe reiten. Das Überraschungsmoment wird auf jeden Fall auf unserer Seite sein.“
„Der Plan ist ausgezeichnet“, sagte Juan. Offensichtlich traute er sich nicht mehr, weitere Bedenken vorzubringen. „Wir brauchen uns nicht einmal zu beeilen, denn wenn man davon ausgeht, daß die Queen ihren Erkundungsritt während der Nacht unterbricht, kann sie frühestens morgen zum Hafen zurückkehren.“
„So ist es“, bestätigte El Toro. „Es bleibt uns also Zeit genug, unseren Angriff gründlich vorzubereiten. Die Black Queen wird ahnungslos in unsere Falle gehen. Auch wenn sie auf See einen legendären Ruf genießt – hier, in der unwirtlichen Wildnis von Tortuga, sind wir es, die sich besser auskennen. Wir sind genau zehn Mann, damit sind wir den Piraten zahlenmäßig gewachsen. Die Queen ist zusammen mit Caligula, dem Spanier und dem dicken Bierbrauer losgeritten und hat sechs Kerle von ihrem Schiff als Begleitschutz mitgenommen. Daß sie bis an die Zähne bewaffnet sind, wird ihnen nichts nutzen. Wir werden sie einfach abschießen, wenn ich das Zeichen dazu gebe. Hinterher lassen wir die Leichen verschwinden. Sie werden niemals gefunden werden, selbst wenn die Schnapphähne die ganze Insel Schritt für Schritt absuchen …“
„Du – du willst sie verschwinden lassen?“ Fernando zog ein verblüfftes Gesicht.
El Toro nickte. „Wir werden sie zu einer versteckten Höhle bringen, die in der Nähe des Felsengeländes liegt. Darin gibt es eine sehr tiefe Spalte, die man auch mit lodernden Fackeln nicht ausleuchten kann. Niemand wird sie dort jemals finden.“
„Aber die Schüsse wird man hören“, gab Miguel zu bedenken.
„Das wird sich nicht vermeiden lassen“, sagte El Toro, „aber man wird keine Erklärung dafür haben. Wenn man nicht feststellen kann, wo die Queen mit ihren Begleitern abgeblieben ist, kann man nichts gegen die Bewohner der Insel unternehmen. Vielleicht läßt sich sogar das Gerücht in die Welt setzen, die Schnapphähne seien mit einer Pinasse entführt worden. Wohin – darüber sollen sich die Piraten ruhig die Köpfe zerbrechen. Ohne die Queen und diesen Caligula sind die Kerle ziemlich hilflos, und niemand auf Tortuga wird viel zu befürchten haben.“
Alles, was El Toro vorbrachte, klang einfach und logisch. Ja, er hatte seine Männer tatsächlich davon überzeugt, daß man auch so gefährliche Gegner wie die Black Queen und Caligula loswerden konnte, wenn man es nur geschickt anstellte.
Fernando ging zu einem Wandregal und holte die beiden einzigen Humpen, die er besaß. Er füllte sie mit schwerem Rotwein.
„Wenn wir uns schon nicht zu beeilen brauchen“, sagte er, „dann können wir wenigstens einen Schluck auf das Gelingen unseren Planes trinken.“ Einen Humpen reichte er El Toro, den anderen behielt er, um ihn nach dem ersten Zug kreisen zu lassen.
„Auf die Vernichtung der Black Queen!“ sagte El Toro mit harter Stimme. „Und auf die Rache für Pedro!“
Mit verschwörerischen Mienen hoben die Männer die Humpen an die Lippen.
Erst einige Stunden später, im Schutz der Dunkelheit, brachen El Toro und seine Mannen einzeln auf. Sie achteten peinlichst darauf, daß sie nicht auffielen und trafen erst zusammen, als die blakenden Lichter des Hafens weit hinter ihnen lagen.
Fernando hatte drei Maultiere mitgebracht, mit denen die Leichen der Piraten vom Schauplatz abtransportiert werden sollten. Zunächst aber trugen die Tiere – wohlverpackt – die Waffen der zehn Männer auf dem Rücken.
Auch El Toro und seine Kumpane sparten nicht an der Bewaffnung, denn sie waren nach wie vor davon überzeugt, daß das Wild, das sie jagen wollten, mit der Hölle im Bunde stand.
Die Schatten der Nacht waren längst verflogen, und die morgendlichen Dunstschwaden wurden von der Sonne aufgelöst.
Die Black Queen, Caligula, Jaime Cerrana sowie Willem Tomdijk und die sechs Galgenvögel von der „Caribian Queen“ saßen längst wieder auf ihren Maultieren und ritten auf das Westufer von Tortuga zu.
Die Nacht hatten sie in einer Fischerhütte verbracht, nachdem sie den Besitzer samt seiner vielköpfigen Familie einfach ausquartiert hatten. Schließlich wäre es – wie Jaime Cerrana mit einem höhnischen Lachen festgestellt hatte – eine Ehre, die Herrscherin von Tortuga zu beherbergen.
Jetzt, am frühen Morgen, trieb die Queen ihr Reittier an. Sie hatte es eilig, wieder zum Hafen zurückzukehren. Wirklich sicher fühlte sie sich nur auf ihrem Schiff, jenem düsteren Zweidecker, der gestern in der Hafenbucht vor Anker gegangen war.