Seewölfe Paket 19

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Außerdem wußte man nie, was die Kerle von der Schlangen-Insel ausheckten. Der Verband der Queen war zwar gefechtsklar, aber sie wollte dennoch dabei sein, falls einer dieser Kerle, vielleicht sogar der Seewolf selber, die Nase zu weit vorstreckte.
Zunächst aber zerbrachen sich die Black Queen und ihre Begleiter die Köpfe über die Unterbringung der zahlreichen Siedler aus El Triunfo. Niemand hatte einen Blick für das üppig wuchernde Grün, das die Insellandschaft überzog – für die wilden Orchideen und die zahlreichen anderen exotischen Blütenpflanzen, Kakteen und Farnbäume.
Die Hitze war um diese Zeit noch erträglich, aber schon bald würde die Sonne die Luft in eine flirrende Masse verwandeln.
„Wir werden die Engländer und Franzosen möglichst in Hafennähe ansiedeln“, sagte die Queen. „Unterkünfte werden wir nur errichten, soweit das erforderlich und unumgänglich ist. Sonst weichen wir am besten auf die Fischerdörfer in Küstennähe aus, weil wir so die Leute bei Bedarf am schnellsten zur Verfügung haben.“
„Dreihundert Männer sind eine ganze Menge“, bemerkte Willem Tomdijk und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. „So problemlos werden sie sich nicht in den winzigen Fischersiedlungen unterbringen lassen.“
Die schwarze Piratin winkte ab.
„Nur keine großen Umstände“, sagte sie. „Es soll ja nicht für ewig sein. Ich bin nach wie vor dafür, daß wir Tortuga nur als Zwischenstation benutzen und später nach Hispaniola ausweichen. Deshalb bauen wir nur so viel, wie unbedingt nötig ist. Im übrigen werden sich die Bewohner von Tortuga einmal von ihrer gastfreundlichen Seite zeigen müssen.“
Caligula lachte rauh, denn die Leute, die sie bisher angetroffen hatten, schienen die Gastfreundschaft nicht gerade erfunden zu haben. Man hatte ihnen deutlich angemerkt, daß sie die Black Queen und ihre Begleiter als unwillkommene Besatzungsmacht ansahen. Aber das störte die Schnapphähne nicht, denn sie verstanden es hervorragend, wo immer es nötig war, der Gastfreundschaft ein bißchen nachzuhelfen.
Jaime Cerrana sagte: „Laß doch die Tagediebe, die hier überall herumlungern, antreten und die Unterkünfte bauen. Da hat das Pack wenigstens etwas zu tun.“
Willem Tomdijk winkte ab.
„Gar nicht nötig“, erklärte er. „Meine Leute können selber kräftig zupacken. Dreihundert harte Männer brauchen schließlich nicht wie Wickelkinder behandelt zu werden. Sie werden schon selber in die Hand nehmen, eine Behausung für sich auf die Beine zu stellen, man muß ihnen nur sagen, wo. Und außerdem …“
Der Bierbrauer aus den fernen Niederlanden und ehemaligen Bürgermeister von El Triunfo wurde durch den Ruf eines Maultieres unterbrochen.
Die Laute stammten jedoch nicht von einem ihrer Reittiere, sondern schienen etwas weiter entfernt ausgestoßen worden zu sein. Durch die weit ausladenden Farnbäume war jedoch nichts zu sehen.
Sofort hob die Black Queen die rechte Hand und stoppte ihren Trupp.
Ohne daß es eines besonderen Befehles bedurfte, rissen die Piraten ihre Musketen hoch. Die Queen selbst zog ihre doppelläufige Pistole aus dem Gürtel. Ihre wohlproportionierte Gestalt straffte sich, während ihre Augen flink die Umgebung abtasteten. Ihre Nasenflügel blähten sich auf wie bei einem witternden Raubtier.
Doch die Vorsicht erwies sich als unnötig. Das Maultier, das in das Blickfeld der Piraten geriet, wurde von einem nahezu unbewaffneten Mulatten geführt und war mit drei kleinen Holzfässern beladen.
Der dunkelhäutige Mann erschrak heftig, als er sich plötzlich der schwerbewaffneten Schar gegenübersah. Er hielt sein Tier an und starrte abwartend auf die Frau an der Spitze des Trupps.
„Tritt näher!“ befahl die Queen herrisch. „Oder erwartest du, daß wir zu dir kommen?“
Der Mulatte gehorchte zögernd. Zehn Schritte vor dem Maultier der Black Queen verhielt er jedoch und warf der halbnackten Frau einen mißtrauischen Blick zu.
„Wie heißt du, und wohin willst du?“ fragte die Queen.
„Ich heiße Paolo, Señora, und ich war im Hafen. Ich – ich habe diese drei Fässer eingekauft.“ Er deutete auf die Behälter, die auf dem Rücken des Maultieres festgebunden waren.
„Was ist da drin?“
Der Mann zögerte, denn er ahnte, wen er vor sich hatte. Im Hafen von Tortuga gab es kein anderes Gesprächsthema als die Black Queen. Schließlich sagte er: „Getränke, Señora.“
„Verdammt, ich weiß, daß du keinen Sand in diese Fässer gefüllt hast“, fauchte die schwarze Piratin. „Laß dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen!“
Der Mulatte zuckte zusammen. „In zwei Fässern ist Wein, Señora. In dem anderen – ist Rum.“
Caligula begann dröhnend zu lachen und hieb sich mit der rechten Hand auf den Oberschenkel.
„Das trifft sich ja bestens“, brüllte er. „Sicher hast du gewußt, daß man eine trockene Kehle kriegt, wenn man diese verdammte Insel durchstreift. Nett von dir, daß du uns die drei Fässer als Erfrischung anbieten willst.“
„Aber Señor!“ Der Mulatte geriet ins Stammeln. „Das – das kann ich nicht …“ Seine Blicke huschten nervös von einem zum anderen.
„Was kannst du nicht?“ fragte Caligula lauernd. „Soll das vielleicht heißen, daß du der Black Queen und ihren Begleitern diese drei lächerlichen Fäßchen verweigern willst? Wir sind neun Männer und eine Frau – wie du siehst, und wir sind seit vielen Stunden unterwegs. Und du sagst einfach nein! Ist das die vielgepriesene Gastfreundschaft auf dieser Insel?“
Der Mann wand sich. „Señor, lassen Sie mich doch erklären! Der Inhalt dieser Fässer gehört mir nicht. Ich wurde lediglich von anderen Fischern beauftragt, den Wein und den Rum bei Diego abzuholen. Ich – ich kann doch nicht einfach …“
Willem Tomdijk mischte sich ein. „Lassen wir ihn weiterziehen, es mag sich durchaus so verhalten, wie er sagt.“
„Halte dich da raus, Tomdijk!“ herrschte ihn die Queen an. „Das ist eine Sache, die dich nichts angeht!“
Der Niederländer schwieg betreten.
Caligula glitt behende von seinem Maultier und zog seine Peitsche aus dem Gürtel. Bevor der Mulatte noch etwas sagen konnte, stand der muskulöse Neger vor ihm.
„So, du kannst also nicht“, sagte Caligula. „Hauptsache, das faule Fischerpack kriegt seihen Wein und kann sich die Hucke vollsaufen, alles andere ist dir egal.“
Caligula redete meist nicht viel, doch jetzt betrachtete er das Ganze als eine Art Spiel. Er liebte es, seine Opfer zu quälen.
Der Mulatte durchschaute dieses Spiel jedoch nicht. Er zog ein weinerliches Gesicht und verlegte sich aufs Jammern.
„Aber Señor, ich schwöre Ihnen bei der heiligen Madonna und bei …“
Caligula hatte keine Geduld mehr. Und Skrupel kannte er ohnehin nicht. Die Lederriemen seiner Peitsche zischten jäh durch die Luft.
Einmal, zweimal, dreimal.
Der Mulatte brach laut schreiend zusammen und hob abwehrend die Hände vors Gesicht.
Doch Caligula ließ sich dadurch nicht abhalten. Mit brutaler Gewalt verabreichte er dem Mann drei weitere Hiebe, bis sich dieser stöhnend und wimmernd am Boden wand.
Dann erst steckte der Liebhaber der Queen die Peitsche weg und gab einem der Kerle von der „Caribian Queen“ einen Wink. Dieser ritt an das Maultier des Mulatten heran und nahm die Zügel auf. Mit der „Beute“ im Schlepp setzte sich der Trupp wieder in Bewegung. Niemand würdigte den zusammengeschlagenen Mann noch eines Blickes.
„Bei der nächsten Rast werden wir uns einen Schluck genehmigen!“ rief Caligula mit einem höhnischen Grinsen. „Ich spendiere euch das Zeug!“
Jaime Cerrana brachte einen Hochruf auf Caligula aus, in den die sechs Kerle vom Begleitschutz begeistert mit einstimmten.
„Sie kommen!“ El Toros Gesicht verzog sich voller Haß. Er schob den Kieker in den Gürtel zurück und kletterte rasch von dem Felsblock hinunter, der ihm trotz der sengenden Hitze viele Stunden lang als Ausguck gedient hatte.
Die Männer, die schon seit der vergangenen Nacht auf der Lauer lagen, hatten ihrem Anführer immer wieder ungeduldige Blicke zugeworfen. Jetzt endlich war die erwartete Meldung erfolgt.
Es erfüllte El Toro mit Genugtuung, daß seine Kalkulation aufgegangen war. Er hatte von Anfang an damit gerechnet, daß die Piraten das von unzähligen Felsblöcken übersäte Geröllfeld dem mühsamen und schwer zugänglichen Weg durch die zerklüfteten Berge vorziehen würden.
El Toro und seine Männer waren längst kampfbereit. Die drei Maultiere, die sie vorsichtshalber mitgebracht hatten, waren weit genug vom Schauplatz entfernt am Stamm einer Palme festgebunden worden, damit sie von niemandem gehört werden konnten.
Die versteckte Höhle, in der die Leichen der Piraten für ewige Zeiten verschwinden sollten, lag nur eine knappe Meile von dem Geröllfeld entfernt am Fuße eines Bergmassivs.
Die Männer waren hinter mächtigen Felsbrocken in Deckung gegangen, die aussahen, als habe sie die Natur in einem gewaltigen Wutausbruch wahllos in die Gegend geschleudert.
Die Strategie war genau abgesprochen worden. Als erstes sollten die Musketen abgefeuert werden, dann die Pistolen. Die „Feinarbeit“, sollte, wie El Toro grinsend erklärt hatte, mit den Messern erledigt werden.
Die Maultiere der Black Queen würde man – sofern sie den Kampf überlebten – einfach laufen lassen. Vielleicht würde das eine oder andere zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurückfinden.
Es herrschte Totenstille. Nur das Geschrei der Vögel drang gedämpft aus dem Dickicht herüber. Die Fäuste der Männer umklammerten hart das Holz der Musketen. Als das Hufgetrappel bereits zu hören war, hielten einige den Atem an.
Bald waren Stimmen zu hören. Ein Mann lachte rauh.
Endlich tauchte der Trupp hinter den Felsen auf. Die Black Queen saß kerzengerade im Sattel. Den Kopf mit dem dichten Kraushaar hatte sie hoch erhoben. Ihre nackten Brüste wippten im Rhythmus der Körperbewegungen ihres Reittieres.
Noch verhielt sich El Toro still. Er wollte auf keinen Fall voreilig handeln. Ungeduld konnte jetzt alles verderben, ja, sogar über Leben und Tod entscheiden. Je näher der Feind heranrückte, desto besser würden die Musketenkugeln treffen.
Doch dann geschah es, urplötzlich und völlig unvermittelt.
Juan, der hinter einem Felsblock kauerte, versuchte, sein Körpergewicht mehr nach rechts zu verlagern. Dabei stieß er mit dem nackten linken Fuß einen kopfgroßen Stein zur Seite. Im selben Augenblick schrie er gellend auf. Aber das nutzte nichts mehr. Die kleine, grünliche Schlange, die unter dem Stein wohl Schutz vor der sengenden Sonne gesucht hatte, löste ihre Zähne bereits wieder von seinem Fuß. Juan begriff instinktiv, daß der Biß dieser Viper tödlich war.
El Toro und die übrigen Männer wurden einen Lidschlag lang von lähmendem Entsetzen gepackt. Der laute Schrei Juans war – daran gab es keinen Zweifel – von der Queen und ihren Leuten gehört worden. Und das viel zu früh.
El Toro erlangte als erster die Fassung zurück.
„Feuer!“ brüllte er mit sich überschlagender Stimme. Im selben Augenblick begannen die Musketen zu krachen.
Aber auch die Black Queen und ihre Begleiter hatten schnell reagiert. Schon bei dem Aufschrei Juans waren sie vom Rücken ihrer Maultiere gerutscht und hatten sich flach auf das Geröll geworfen – gerade noch rechtzeitig genug, um dem ersten Kugelhagel zu entgehen.
Die Geschosse peitschten dicht über den Rücken der Maultiere hinweg und verloren sich irgendwo in der Landschaft. Niemand war getroffen worden, wie El Toro mit einem wilden Fluch feststellte.
Juan hatte seine Waffe nicht mehr abgefeuert. Er hockte wimmernd hinter dem Felsblock und starrte auf seinen rasch anschwellenden Fuß. Dann versuchte er, die Wunde mit einer jähen Verrenkung an den Mund zu kriegen, um sie auszusaugen.
Aber da fehlte es bereits an der nötigen Elastizität. Panische Angst packte ihn, und er schrie jetzt laut um Hilfe. Doch niemand achtete darauf. Seine Kumpane hatten im Moment ganz andere Sorgen.
„Nehmt die Pistolen!“ schrie El Toro. „Nieder mit der Black Queen!“
Doch die Piratin und ihre Kerle hatten die Schrecksekunden genutzt. Teils robbten sie flink hinter umherliegende Felsen, teils rannten sie in geduckter Haltung darauf zu.
Dabei ließ sich nicht vermeiden, daß einige von ihnen ausgerechnet Deckung hinter Felsbrocken suchten, die El Toros Leute bereits in Beschlag genommen hatten.
Im Handumdrehen entbrannte ein wilder Kampf.
Schreie und Flüche wurden ausgestoßen, Musketen und Pistolen krachten, und das Metall von Blankwaffen klirrte gegeneinander.
Auf beiden Seiten wurde zäh und verbissen gekämpft. Schon nach wenigen Augenblicken lagen die ersten Toten auf dem Geröll. Zu ihnen gehörte Juan, der kleine Tagedieb, der die meisten Bedenken gegen den Überfall geäußert hatte. Eine Kugel aus der Pistole Jaime Cerranas hatte ihn von der Angst erlöst, am Biß der Giftschlange sterben zu müssen.
Aber auch auf seiten der Piraten gab es bereits Opfer. Zwei Decksleute von der „Caribian Queen“ lagen verkrümmt am Boden, ihre Augen starrten ins Leere.
Am stärksten wütete der Sensenmann allerdings in den Reihen von El Toros Leuten. Schon nach kurzem Kampf sank der fünfte Mann tot in sich zusammen. Die letzte Kugel aus der doppelläufigen Pistole der Black Queen hatte ihn in die Brust getroffen.
Caligula lieferte Fernando, in dessen Hütte der Überfall geplant worden war, ein hitziges Messerduell. Der Fischer und Gelegenheitsschnapphahn aus Tortuga war zwar ein sehr geschickter Messerkämpfer, aber auf Dauer hatte er gegen den hünenhaften Schwarzen keine Chance. Der Kampf währte höchstens zwei Minuten, dann fuhr ihm Caligulas Entermesser in den Leib.
Auch Cerrana und Tomdijk kämpften wild und entschlossen. Jeder hatte begriffen, daß es hier unabdingbar um Leben und Tod ging.
Die Black Queen hatte ihre leergefeuerte Pistole in den Gürtel geschoben und ließ jetzt ihr Entermesser kreisen. Als ein weiterer Mann aus ihrer Begleitmannschaft von El Toros’ Dolch erwischt wurde und mit einem Röcheln auf die Steine sank, verwandelte sie sich in eine reißende Bestie.
El Toro und seine wenigen Kumpane, die noch am Leben waren, standen auf verlorenem Posten. Der schicksalhafte Schlangenbiß, der Juan unabsichtlich aufschreien ließ, sollte ihnen zum Verhängnis werden. Da half auch kein Fluchen und Hadern mehr, der Kampf war nach wenigen Minuten entschieden.
El Toro brüllte vor ohnmächtiger Wut wie ein Stier, als Miguel, der letzte seiner Männer, tot zusammenbrach – niedergemäht von dem seltsam geformten Entermesser der Black Queen. El Toro achtete nicht auf die tiefe Fleischwunde, die ihm einer der Piraten an der linken Schulter beigebracht hatte. Er war nur noch von dem Wunsch besessen, die Queen mit seinem Dolch zu töten, bevor es auch ihn erwischte.
Doch dazu sollte El Toro keine Gelegenheit mehr haben.
Die Piraten kreisten ihn ein wie ein gejagtes Wild. Schließlich gelang es Caligula, ihn von hinten zu packen und in einen harten Würgegriff zu nehmen. Er setzte ihm dabei das Messer an den Hals.
„Laß deine Waffe fallen!“ fauchte der Schwarze böse. In seinen Augen funkelte blanke Mordgier.
El Toro mußte keuchend gehorchen. Seine Brust hob und senkte sich in einem wilden Rhythmus, dann klirrte sein Dolch auf das Gestein.
Die Black Queen baute sich mit einem triumphierenden Lächeln vor ihm auf.
„So hast du dir das wohl nicht vorgestellt, wie? In wessen Auftrag habt ihr uns überfallen?“ Ihre Stimme klang hart und unerbittlich.
El Toro spuckte vor ihr aus.
Doch das brachte ihm nur eine fürchterliche Ohrfeige der Queen ein. Hätte ihn Caligula nicht fest im Griff gehabt, wäre er von dem Schlag unweigerlich zu Boden gegangen.
„Willst du jetzt antworten, du Bastard? Wer steckt dahinter? Heraus damit!“
„Ich“, sagte er mit haßerfüllter Stimme. „Ich, El Toro!“
„Du?“ Die Queen lachte spöttisch. „Ich kenne dich nicht einmal.“
„Dafür kenne ich dich um so besser!“ stieß El Toro hervor. Auf seinem kahlen Schädel perlte der Schweiß. „Erst gestern hast du in Diegos Kneipe meinen Bruder Pedro kaltblütig ermordet. Dafür wirst du sterben, Black Queen! Eines Tages wirst du bezahlen, du – du Hure!“
Für einen Augenblick verwandelten sich die Lippen der Frau in schmale Striche.
„Dein Bruder Pedro hat mich auch so genannt“, sagte sie mit scheinbar ruhiger Stimme. „Doch er hat es nicht überlebt, wie du weißt. Auch du wirst es mit dem Leben büßen, El Toro!“
Blitzschnell ruckte ihr Entermesser hoch. Eine Sekunde später hing El Toro tot im Arm Caligulas. Auf seinen Zügen spiegelte sich blankes Entsetzen.
Der Schwarze löste seinen eisernen Griff, und die Leiche El Toros prallte dumpf auf den Boden. Weder er noch seine Kumpane hatten das Massaker überlebt. Sie hatten hoch gespielt – und verloren.
Für die Black Queen und ihre Leute war mit dem Tod El Toros die Angelegenheit erledigt. Keiner von ihnen dachte auch nur im geringsten daran, die Leichen der Angreifer und der drei Männer aus den eigenen Reihen zu beseitigen.
Die selbsternannte Herrscherin über Tortuga wollte die Hafenbucht, die ungefähr fünf Meilen vom Schauplatz entfernt war, noch vor Anbruch der Abenddämmerung erreichen.
5.
Als die Black Queen in den späten Vormittagsstunden des nächsten Tages zusammen mit ihrem Anhang die Felsenkneipe „Zur Schildkröte“ betrat, hockte Emile Boussac bereits mit kummervoller Miene an einem Tisch und starrte in einen halbleeren Rotweinhumpen.
Jaime Cerrana lachte spöttisch.
„Was ist denn mit dir los, Monsieur Boussac? Du schneidest ja ein Gesicht, als hätten dir die Hühner das letzte Stück Brot weggefressen.“
Boussac hob den Kopf.
„Ihr habt gut reden“, jammerte er. „Mit euren Plänen geht es wenigstens vorwärts. Ihr könnt Tag für Tag neue Fortschritte verbuchen. Aber was ist mit mir, dem einst so stolzen Besitzer von ‚La Mouche Espagnole‘? Es ist zum Heulen! Ich sitze hier und warte auf meine Süßen aus Paris. Dabei weiß ich noch nicht einmal, ob sie jemals auf Tortuga eintreffen werden. Schließlich waren sie ja nach El Triunfo beordert und …“
Jetzt riß der Black Queen der Faden. „Hör endlich auf mit deinem ewigen Gejammer, Boussac! Das alles wissen wir längst, und ich kann dein Gejaule nicht mehr hören. Es gibt wahrhaftig wichtigere Dinge zu tun, als ständig hinter deinen lausigen Freudenmädchen her zu heulen. Huren gibt es überall auf der Welt, die kann man immer noch importieren, wenn die Siedler erst einmal Fuß gefaßt haben.“
Emile Boussac hob abwehrend die Hände.
„Ganz so einfach ist das nicht“, sagte er. „Schließlich stehen die Mädchen in Paris nicht in langen Schlangen, um auf ihren Abtransport zu warten. Außerdem dauert es verdammt lange, bis ein neuer Transport zusammengestellt ist. Dabei geht viel kostbare Zeit verloren, in der man keine Geschäfte tätigen kann. Es ist schon ein rechtes Kreuz, wenn man bedenkt, daß es auf Tortuga ganz hervorragende Möglichkeiten gibt …“
„Schluß jetzt, Boussac!“ Die Queen hieb mit der Faust auf den Tisch. „Ich kann’s nicht mehr hören. Plötzlich dreht sich auf Tortuga alles nur noch um Huren!“
Emile Boussac war beleidigt. Er murmelte etwas von Unverständnis und Mißgunst vor sich hin und zog sich schmollend zurück. Er spürte plötzlich, daß sein Kopf schwer geworden war, denn er hockte bereits seit dem frühen Morgen in der „Schildkröte“, schluckte einen Humpen Wein nach dem anderen und hoffte inbrünstig, daß seine „Püppchen“ doch noch den Weg nach Tortuga finden würden.
Jetzt aber war er müde, und irgendwo in den Felsengewölben würde er schon noch eine freie Nische finden, in der er sein müdes Haupt ein Stündchen auf die Tischplatte legen konnte.
Emile Boussac war davon überzeugt, daß sich langsam alles gegen ihn verschwor. Kein Wunder, daß er mit seinem Schicksal haderte. Das Gespräch, das er noch spät in der vergangenen Nacht mit Diego geführt hatte, war auch nicht gerade dazu angetan, seine Laune zu heben.
Wie der dicke Wirt beteuert hatte, waren die Geschäftsmöglichkeiten auf Tortuga gar nicht so rosig. Daß der schlitzohrige Diego absichtlich den Gang seiner Geschäfte in den düstersten Farben ausgemalt hatte, weil er nicht gern einen zweiten Schankwirt als Konkurrenten in der Nähe haben wollte, ahnte Boussac nicht.
Laut Diego konnte man als Schankwirt auf Tortuga nur ein sehr armseliges Dasein fristen, weil ja kaum etwas los war auf dieser einsamen Insel.
Mon Dieu, das Leben war manchmal hart und grausam. Emile Boussac seufzte tief und gottergeben, als er seinen bleischweren Kopf auf die verschränkten Arme sinken ließ.
Daß ein Mann von der „Caribian Queen“ im Laufschritt in die Kneipe stürmte, um der Black Queen die Ankunft eines gar seltsamen Schiffes zu melden, kriegte der sonst so quicklebendige Franzose nicht mehr mit.
„Was heißt hier seltsames Schiff?“ herrschte die Queen den Mann an. „Kommt es vielleicht durch die Luft geflogen?“
„Nein, Madam“, erwiderte der Kreole und glotzte die Queen dümmlich an. „Es – es schwimmt im Wasser.“
„Was du nicht sagst!“ Das Gesicht der schwarzen Piratin wurde böse. „Vielleicht klappst du jetzt dein verdammtes Maul auf und drückst dich klar und verständlich aus! Ist es ein Schiff des Seewolfs?“
„Nein, Madam, das ist es wohl nicht. Aber es sieht so – so komisch aus. Es flattern überall bunte Tücher herum. Die Kanonen sind auch in Tücher eingehüllt, und als Flagge führt die Galeone ein Stück Stoff mit einem roten Herzen darauf. Bei der Galionsfigur handelt es sich um einen goldenen Hahn …“
„Was soll das? Hast du schon am frühen Morgen Rum getrunken?“
„Gewiß nicht, Madam!“ Der Kreole deutete eine Verbeugung an. „Es ist so, wie ich gesagt habe. Das Schiff hält direkt auf die Hafenbucht zu. Und – und außerdem hat es eine Menge Frauen an Bord.“
„Frauen?“ Die Queen horchte auf und erhob sich spontan. „Zum Teufel, das können nur Boussacs Huren sein!“
Mit Tomdijk und Caligula im Gefolge begab sich die Black Queen schnurstracks zum Hafen, und schon bald konnte sie mit eigenen Augen erkennen, daß der Kreole nicht übertrieben hatte. Auf dem Schiff gab es tatsächlich eine ganze Menge Frauen, auch die merkwürdige Aufmachung stimmte mit der Meldung überein. „Coq d’Or“ hieß die Galeone und stammte eindeutig aus Frankreich.
„Das sind ohne Zweifel die Mädchen aus Paris“, sagte Caligula. „Da hätte sich Boussac das Gejammere sparen können. Der Kapitän war schon von selbst so schlau, sich etwas umzuhören, statt nach Frankreich zurückzukehren.“ Er grinste. „Und jetzt hockt der geschäftstüchtige Emile irgendwo in der ‚Schildkröte‘ und schnarcht die Wände an, statt seine Mädchen zu empfangen. Er wird dumm schauen, wenn er es erfährt.“
Willem Tomdijk lachte glucksend.
„Er wird vor Freude im Dreieck hüpfen, der gute Emile“, sagte er. „Wir sollten ihn benachrichtigen lassen.“
„Nein“, entschied die Queen. „Zunächst einmal müssen wir sicher sein, daß es auch tatsächlich seine Mädchen sind. Die Sache hat schließlich keine Eile.“
Als die seltsame Galeone in den Hafen einlief, erregte sie mächtiges Aufsehen. Die Kerle auf den Schiffen der Black Queen starrten sich fast die Augen aus, ebenso die Leute, die den Hafen bevölkerten.
Daß Emile Boussac einen Mädchentransport aus dem fernen Frankreich erwartete, hatte sich längst auf Tortuga herumgesprochen, so daß jedermann wußte, was es mit den winkenden und lachenden Mädchen auf sich hatte, die sich am Schanzkleid drängten.
Ja, das war für Tortuga schon etwas Besonderes. Und als Kapitän Lucien Amadou zusammen mit dem weiblichen „Führungsgremium“ bestehend aus Manon, Julie, Cécile und Esther, an Land ging und von der Black Queen, Caligula und Willem Tomdijk empfangen wurde, drängten sich eine Menge Schaulustiger am Ufer.
Dessen ungeachtet wurden an den Ankerplätzen bereits lautstarke „Vorverhandlungen“ von Schiff zu Schiff geführt. Die Mädchen, die sich noch an Bord der „Coq d’Or“ befanden, gingen bereitwillig auf die Zurufe der Schiffsmannschaften ein.
Der Black Queen gefiel das ganz und gar nicht. Sie hatte keine Lust, sich durch ein Schiff voller leichter Mädchen gewissermaßen die Schau stehlen zu lassen. War die Stimmung auf Tortuga seit ihrer Machtübernahme etwas gedrückt gewesen, so schienen die Bewohner jetzt plötzlich aufzutauen. Kaum jemand kümmerte sich noch um die Anwesenheit der Black Queen, alles drehte sich nur noch um die Mademoiselles aus Paris.