Seewölfe Paket 19

- -
- 100%
- +
Die Queen wurde wütend.
„Ich möchte nicht, daß diese Weiber Unruhe auf die Insel bringen“, sagte sie zu Lucien Amadou. „Wir haben ohnehin schon Ärger genug mit dem Gesindel, das sich hier festgesetzt hat. Mir wäre es lieber, wenn Sie mit dem ganzen Weiberpack weitersegeln würden.“
Der rothaarige Amadou setzte sein verbindlichstes Lächeln auf.
„Aber Madam, wo denken Sie hin?“ sagte er. „Ich muß schließlich meine Vertragspflicht erfüllen. Ich habe diese fünfzig Mädchen einem gewissen Monsieur Emile Boussac auszuliefern, und da ich ihn in El Triunfo vergeblich gesucht habe, bin ich hier vor Anker gegangen, um mich etwas umzuhören. Vielleicht kann ich hier etwas über seinen Verbleib in Erfahrung bringen.“ Der Franzose setzte eine scheinheilige Miene auf.
Die Black Queen räusperte sich. Am liebsten hätte sie Amadou geantwortet, daß sie keinen Boussac kenne, denn der ganze Zirkus war ihr zutiefst zuwider. Doch dann mußte sie daran denken, daß ihr Boussac, der ja sehnsüchtig auf seine „Süßen“ wartete, noch länger auf die Nerven gehen würde. Es war deshalb am besten, wenn sie an dem Spiel wohl oder übel teilnahm. Auf ihre „persönliche“ Art konnte sie das Problem im Moment leider nicht lösen, wenn sie es nicht mit den dreihundert Siedlern, zu denen Boussac ja gehörte, verderben wollte.
Außerdem wäre es ohnehin schon zu spät dazu gewesen, Boussac zu verleugnen, dafür sorgten die Umstehenden, die grölend auf ihn hinwiesen.
„Er ist in der Felsenkneipe!“ rief ein Decksmann von der „Caribian Queen“, der Landgang hatte. „Er ist schon fast gestorben vor Sehnsucht nach den Weibern!“
Am liebsten hätte die Queen dem Kerl in den Hintern getreten, aber das hätte auch nichts mehr geändert, denn Emile Boussac war bereits unterwegs. Irgend jemand mußte ihn benachrichtigt haben, denn er eilte freudestrahlend herbei und fiel Lucien Amadou um den Hals.
„Ich habe es gewußt!“ rief er. „Ja, ich habe die Hoffnung nie aufgegeben, daß Sie den Weg nach Tortuga finden würden, Monsieur!“ Zu den Mädchen gewandt, fuhr er fort: „Seid willkommen, meine Täubchen! Ihr seid geradezu ins Paradies gesegelt und werdet es nicht bereuen, dem Ruf Emile Boussacs gefolgt zu sein.“
Völlig aus dem Häuschen umarmte er auch die vier Wortführerinnen, und zum Schluß gab er der drallen Julie noch einen Klaps auf den Hintern, den diese mit einem Kichern quittierte.
Ja, Emile war selig. Endlich konnten seine Geschäfte anlaufen. Daß die sich trotz der düsteren Schilderungen Diegos gar nicht so schlecht anlassen würden, konnte er bereits an den regen Verhandlungen erkennen, die von Bord zu Bord geführt wurden. Gewissermaßen wurden da schon die ersten Vormerkungen und Reservierungen getätigt!
Die Blicke der Queen verfinsterten sich mehr und mehr. Der ganze Rummel, den die Französinnen verursachten, paßte ihr nicht. Sie gewann langsam den Eindruck, daß nicht mehr sie es war, die auf Tortuga regierte, sondern daß die fremden Weiber jetzt das Sagen hatten.
„Ruhe!“ brüllte sie. „Monsieur Boussac, kümmerte dich darum, daß sich die Mädchen ordentlich benehmen und sofort mit ihrem albernen Gekichere und Gekreische aufhören! Man meint ja, man wäre unter eine Schar wilder Gänse geraten! Ich dulde das nicht auf Tortuga, hast du verstanden?“
Emile Boussac schüttelte verwundert den Kopf. „Was ist denn in dich gefahren, Black Queen? Gefallen dir die hübschen Mädchen nicht?“
Bevor die Piratin darauf antworten konnte, schalteten sich Manon und ihre Freundinnen ein.
„Was sagst du da?“ rief Manon zornig. „Wir sollen uns ordentlich benehmen? Was tun wir denn? Ist hier jemand, der sich unordentlich aufführt? Alle Mädchen sind schicklich gekleidet! Ich sehe nur eine Frau, die halbnackt auf der Insel herumläuft, und das bist du, Madam!“
„Manon hat recht!“ rief Julie. „Wir sind anständige Mädchen, jawohl!“
Das vierköpfige „Führungsgremium“ rückte bedrohlich auf die Black Queen zu, um ihr – wie Cécile ankündigte – die Haare auszureißen. Doch bevor sie über die Queen herfallen konnten, wurden sie von Caligula und dem übrigen Mannsvolk festgehalten und besänftigt.
Die Piratin war in der Tat einen Schritt vor den kreischenden Mädchen zurückgewichen. Ihre rechte Hand umklammerte jetzt den Griff ihres Entermessers.
„Ich werde dieses verrückte Weibervolk einkerkern lassen!“ brüllte sie wutentbrannt.
Doch als Antwort erntete sie nur einen vielstimmigen Protestschrei der anwesenden Männer.
Aye, Sir, es ging plötzlich alles drunter und drüber im Hafen von Tortuga. Die Black Queen mußte zum ersten Male erfahren, daß ihre Gefolgschaft nicht kuschte. Die Kerle waren wie toll wegen der Mädchen.
Sie begriff instinktiv, daß es jetzt falsch wäre, in einen Tobsuchtsanfall auszubrechen, denn in der gegenwärtigen Situation würde sie damit nur lächerlich wirken. Also beherrschte sie sich zähneknirschend und machte gute Miene zum bösen Spiel.
Dennoch gab ihr der ganze Rummel zu denken, denn andererseits konnte sie auch nicht zulassen, daß ihre Autorität von einer Schar Huren untergraben wurde.
6.
Der Kapitän der „Coq d’Or“ gab sich völlig unbekümmert. Er zeigte sich hocherfreut darüber, daß die Suche ein Ende hatte und die Mädchen doch noch auf ihren Betreuer gestoßen waren. Sein Auftrag war damit erledigt.
Eilig ließ er auch noch den Rest der Mademoiselles an Land bringen, während ein Teil seiner Männer Trinkwasser an Bord mannte.
Emile Boussac legte ihm leutselig die Hand auf die Schulter.
„Ich darf Sie doch zu einem Umtrunk in die ‚Schildkröte‘ einladen, Monsieur le capitaine?“ fragte er. „Ich meine, Sie haben das verdient nach all den Mühen, die Sie mit meinen Täubchen gehabt haben.“
„Oh, vielen Dank, Monsieur Boussac“, erwiderte Amadou, „aber ich kann Ihre freundliche Einladung leider nicht annehmen, denn ich habe durch das Anlaufen verschiedener Inseln sehr viel Zeit verloren. In Frankreich warten neue Aufträge auf mich, und ich möchte als Geschäftsmann natürlich nicht in Verzug geraten. Sie werden verstehen, wenn ich es ein bißchen eilig habe. Im übrigen war es mir ein Vergnügen, mit den Mademoiselles in die Karibik zu segeln. Sie waren liebenswürdige und eigentlich auch völlig problemlose Passagiere.“
„Das freut mich“, sagte Boussac, „und ich kann Sie auch gut verstehen, denn ich bin selber Geschäftsmann.“ Er lächelte schlitzohrig. Jetzt, da sein Wunschtraum in Erfüllung gegangen war, war er wieder ganz der alte. Da war keine Spur mehr von Griesgrämigkeit oder schlechter Laune. Seine flinken Augen huschten hin und her und versprühten Charme und Unternehmungslust.
Lucien Amadou aber, der offensichtlich froh war, seinen Auftrag hinter sich gebracht zu haben, ließ sofort den Anker hieven.
Die Mademoiselles standen noch eine Zeitlang am Ufer und winkten der „Coq d’Or“ mit bunten Tüchern nach. Einige von ihnen wischten sich sogar verstohlen über die Augen, denn schließlich hatte ihnen dieses Schiff für viele Wochen die Heimat ersetzt.
Auch Boussac winkte, bis ihm die Arme wehtaten, dann erst wandte er sich seinen „Täubchen“ zu.
„Kommt, Mädchen!“ rief er. „Schaut euch erst mal um auf Tortuga. Ihr werdet begeistert sein. So hübsche und wohlhabende Männer wie hier habt ihr noch nirgends gesehen. Da sind die Herren in Paris die reinsten Geizhälse dagegen, ihr werdet schon sehen!“
Er erntete lauten Beifall.
Niemand achtete in diesen Minuten auf die Black Queen, die einsam und verlassen am Ufer stand und der französischen Galeone, die aus der Hafenbucht hinaussegelte, nachblickte.
Die schwarze Piratin war wohl der einzige Mensch auf Tortuga, dem die Eile Lucien Amadous auffiel. Warum war der Franzose nicht mit seiner Crew bei Diego eingekehrt? So dringend konnten seine Geschäfte in Frankreich gar nicht sein, daß er sogar einen wohlverdienten Umtrunk abschlug. Oder gab es andere Ursachen für die plötzliche Eile?
Die Black Queen war von Natur aus mißtrauisch. Sie sah sich nach Caligula um und warf ihm einen giftigen Blick zu, als er Julie zulächelte.
Der schwarze Hüne wurde sofort wieder ernst. Schließlich war er der Liebhaber der Black Queen und wußte, daß sie sehr eifersüchtig werden konnte. Aber das wollte er vermeiden.
„Was gibt es?“ fragte er. „Ist etwas nicht in Ordnung?“
Die Queen antwortete mit einer Gegenfrage. „Ist dir nichts aufgefallen, Caligula? Oder hattest du nur noch Augen für die kleine Hure dort drüben?“
Den zweiten Teil der Frage überging Caligula geflissentlich. Zum ersten Teil sagte er: „Ich weiß nicht, was du meinst. Der französische Kapitän hat die Mädchen bei Boussac abgeliefert und segelt wieder zurück. Daß es jetzt erst einmal etwas turbulent auf Tortuga zugeht, liegt wohl in der Natur der Dinge. Das wird sich schon wieder legen, wenn alles in geordneten Bahnen verläuft.“
„Das meine ich nicht“, sagte die Queen. „Aber ist dir nicht aufgefallen, welche Eile dieser Amadou plötzlich hatte? Er hat Boussac sogar einen Umtrunk verwehrt und dringende Geschäfte als Grund angeführt.“
„Nun ja, vielleicht hat er es tatsächlich eilig“, sagte Caligula. „Oder was meinst du?“
Die Queen zuckte mit den Schultern. „Ich werde das verdammte Gefühl nicht los, daß da irgend etwas nicht stimmt. Vielleicht täusche ich mich, das mag sein. Trotzdem geht mir dieses seltsame Gebaren nicht aus dem Kopf. Wir sollten auf unser Schiff zurückkehren und uns davon überzeugen, daß dort alles seine Ordnung hat.“
„Du solltest nichts übertreiben“, sagte Caligula. „Aber bitte, wenn du meinst – schauen wir auf der ‚Caribian Queen‘ nach dem Rechten. Wir können uns dann immer noch darum kümmern, daß Boussac mit seinen Huren nicht zuviel Wirbel verursacht.“
Die beiden ließen sich zu ihrem Zweidecker übersetzen, wo sie sich als erstes davon überzeugten, daß eine ausreichende Besatzung an Bord war. Auch die übrigen Schiffe ihres Verbandes ließen sie überprüfen. Schließlich stellten sie zufrieden fest, daß man ihren Anordnungen Folge geleistet hatte. Auch wenn die Kerle nur noch Augen für die Mädchen hatten, würde es dennoch keiner wagen, ohne Erlaubnis sein Schiff zu verlassen.
Die Black Queen begab sich auf das Achterdeck und richtete ihr Spektiv auf die auslaufende „Coq d’Or“.
„Sie beginnen damit, das bunte Geflatter zu entfernen“, sagte sie. „Und sie befreien die Kanonen von ihren Umhüllungen.“
„Das ist wohl verständlich“, sagte Caligula grinsend. „Jetzt, da sie keine Weiber mehr an Bord haben, wird sich bei ihnen alles wieder normalisieren. Schließlich machen sie sich nur lächerlich mit dem bunten Firlefanz. Das Schiff gleicht einem Zirkus.“
„Vielleicht hast du recht“, meinte die Black Queen und drehte an der Optik ihres Kiekers herum.
An Land ging es weiterhin turbulent zu. In der Felsenkneipe „Zur Schildkröte“ herrschte Hochbetrieb.
Der dicke Diego und seine Schankknechte eilten dienstbeflissen hin und her. Auch wenn Diego das ganze Theater mit der Black Queen und den Mädchen nicht paßte, hatte er doch nichts gegen das glänzende Geschäft einzuwenden, daß sich jetzt anbahnte.
„Darf ich Ihnen meine Mädchen vorstellen, Monsieur?“ fragte Emile Boussac überflüssigerweise und zeigte mit Besitzerstolz auf die lebhafte Schar.
Diego wischte sich die feisten Hände an der Schürze ab und grinste breit.
„Eine wohlgelungene Zusammenstellung, Monsieur Boussac“, sagte er. „Eine schöner als die andere.“ Und mit gekonnt sorgenvoller Miene setzte er hinzu: „Da kann ich Ihnen nur wünschen, daß Ihre Geschäfte besser laufen als meine.“ Er hatte das Lamento noch nicht vergessen, daß er Boussac gegenüber angestimmt hatte. Jetzt mußte er bei seinen Aussagen bleiben.
Emile Boussac jedoch lächelte großmütig. „Das wird sich bald ändern, Monsieur Diego, Sie werden sehen. Von jetzt an rollen auf Tortuga die Goldstücke, dafür werde ich schon sorgen. Sehen Sie sich nur um, wie ausgehungert die Kerle auf die Mädchen starren. Sie können es gar nicht erwarten, ihr Geld loszuwerden.“ Er lachte, als habe er soeben einen guten Witz erzählt.
Willem Tomdijk, der hinzutrat, klopfte ihm auf die Schulter.
„Na siehst du, mein lieber Emile, ich habe dir von Anfang an Mut zugesprochen. Es braucht eben alles seine Zeit. Du hast dir wieder einmal ganz umsonst Sorgen bereitet. Dieser Kapitän Amadou ist ein cleverer Mann, er hat ein gutes Gespür und wußte, wo er dich auftreiben kann.“
Boussac fühlte sich wie im siebenten Himmel.
„Du hast recht, Willem“, sagte er. „Und wenn du erst deine neue Brauerei aufgebaut hast, so daß wir den Männern nicht nur erstklassige Mädchen, sondern auch erstklassiges Bier bieten können, dann sind wir alle wohlhabende Leute. Sie natürlich auch, Monsieur Diego“, fügte er noch hinzu.
Doch Diego winkte bescheiden ab, als erwarte er von der Zukunft nicht allzuviel.
Boussac fuhr fort: „Schauen Sie sich um, die ersten geschäftlichen Transaktionen bahnen sich bereits an. Der Ansturm der Männerwelt ist kolossal. Alles, was jetzt noch dringend gebraucht wird, sind einige Séparées – Sie verstehen? Ich brauche sie zumindest solange, bis ich ein eigenes Etablissement zur Verfügung habe. Selbstverständlich werden Sie bis dahin am Gewinn beteiligt.“
Diego schaffte es, einen gramgebeugten Eindruck zu erwecken, obwohl ihm innerlich das Herz hüpfte, wenn er an die prallen Lederbeutel dachte, in denen er sein Geld aufbewahrte. An die Black Queen verschwendete er in diesem seligen Augenblick nicht einen einzigen Gedanken.
Gerade wollte er sich – etwas von „ewiger Dankbarkeit“ murmelnd – zu seinem Schanktisch begeben, da gellte ein lauter Schrei durch die Kneipe. Diego fuhr verwundert herum und stellte fest, daß sich da ganz schön etwas zusammenbraute.
Fünf der „alteingesessenen“ Hafenhuren von Tortuga hatten sich Mut angetrunken, denn sie waren mit der übermächtigen Konkurrenz der fünfzig Mädchen aus Paris ganz und gar nicht einverstanden. Es war jetzt schon deutlich zu erkennen, daß die Kerle nur Augen für diese aufgeputzten Mademoiselles hatten. Und so etwas mußte böses Blut geben.
„Verschwindet, ihr verdammten Flittchen!“ schrie eine der Alteingesessenen – eine kleine, rundliche Lady, die nicht mehr zu den Jüngsten gehörte. „Geht dahin, wo der Pfeffer wächst, ihr verdammten Schlampen, oder wir kratzen euch die Augen aus!“
Boussac versuchte, die Lady zu beruhigen.
„Aber, aber, meine Liebe“, flötete er unter Aufbietung seines ganzen Charmes. „Warum diese Feindseligkeit? Hier auf Tortuga gibt es doch Arbeit und Brot für alle. Ich habe ein großmütiges Herz. Gerne nehme ich euch ebenfalls unter meine Fittiche.“
„Hör auf, große Töne zu spucken, du miese Ratte!“ kreischte die Dralle und stürzte sich im selben Moment auf Boussac. Noch bevor er sich von der Schrecksekunde erholen konnte, zog sie ihm die Fingernägel durch das Gesicht.
Ihre Kolleginnen fielen wie Furien über die verhaßte Konkurrenz her. Selbst Diego konnte nicht verhindern, daß in der „Schildkröte“ eine wüste Keilerei ihren Anfang nahm.
Während die Ladys schimpfend und kreischend aufeinander eindroschen und Manon von der Höhe eines Tisches aus ihre Einsatzbefehle brüllte, hockten die Männer an den Tischen und lachten, daß ihnen die Tränen über die Gesichter rollten. Ja, so etwas war ganz nach dem Herzen dieser Schnapphähne. Endlich war mal was los auf Tortuga.
7.
Die Black Queen kümmerte sich nicht um den schrillen Lärm, der aus der Felsenkneipe drang und bis zu den Ankerplätzen der Schiffe zu hören war. Ihre Aufmerksamkeit galt nach wie vor der „Coq d’Or“, die sich noch in Sichtweite befand.
Da geschah es plötzlich.
Die Black Queen hatte es zwar nicht wissen können, aber doch irgendwie instinktmäßig befürchtet: Wie aus heiterem Himmel rauschten drei Schiffe auf die Hafenbucht zu.
Es handelte sich um drei Segler, die der Black Queen nur allzugut bekannt waren: um die „Isabella IX.“, um die „Le Vengeur III.“ und den Schwarzen Segler, den der respekteinflößende Wikinger befehligte. Die Schiffe waren voll gefechtsklar und mußten bisher unter Land gesegelt sein, so daß sie niemand bemerkt hatte. Außerdem hatte die Aufmerksamkeit aller auf Tortuga der Ankunft der Mädchen aus Paris gegolten.
Da fiel es der Black Queen wie Schuppen von den Augen. Und jetzt wußte sie auch, daß ihr Mißtrauen begründet gewesen war. Es war ihr gleich verdächtig erschienen; daß der Franzose so eilig aufgebrochen war.
Die Queen setzte das Spektiv ab und ließ einen wenig damenhaften Fluch vom Stapel.
„Hab ich es doch geahnt!“ stieß sie hervor. „Der Seewolf ist es also, der dahintersteckt. Fein hat er sich das ausgedacht. Und hätte ich mich auch noch von den verdammten Huren täuschen lassen, dann wäre seine Rechnung sogar aufgegangen.“
Caligula starrte verblüfft auf das Bild, das sich seinen Augen bot. Er bewunderte in diesem Augenblick den Scharfsinn und das Gespür der Queen, die der Eile des französischen Kapitäns sofort mehr Bedeutung zugemessen hatte als alle anderen.
„Wir müssen schleunigst ankerauf gehen“, sagte er, und seine Stimme klang erregt. „Jetzt geht es um Minuten. Wenn es uns nicht gelingt, aus der Bucht auszubrechen, kriegen wir verdammt viele Schwierigkeiten.“
Darüber war sich auch die Queen im klaren. Sie brüllte augenblicklich ihre Befehle über die Decks und versetzte damit ihre eigene Mannschaft sowie die Besatzungen der drei anderen Galeonen in Alarmzustand.
Obwohl die Schiffe seit der Ankunft im Hafen von Tortuga gefechtsklar waren, entstand augenblicklich Wuhling auf sämtlichen Decks.
Niemand hatte damit gerechnet, daß der Seewolf den Trubel, den die eintreffenden Mädchen verursachten, für einen Überraschungsangriff nutzen würde. Sie alle fühlten sich regelrecht überrumpelt und fluchten im stillen darüber, daß sie ihre Augen nicht besser offengehalten hatten. Jetzt aber entschied die Schnelligkeit. Und daß keine Zeit verschwendet wurde, dafür sorgten die Black Queen und Caligula – wenn es sein mußte, mit Fußtritten und Fausthieben. Für Trödelei kündigten sie Strafen an, die selbst den abgebrühtesten Piraten an Bord des Zweideckers noch kalte Schauer über den Rücken jagten.
Aber der Druck, den sie ausübten, zeigte Erfolg.
Die „Caribian Queen“ setzte sich rasch in Bewegung und segelte mit vollem Zeug auf die Ausfahrt der Bucht zu.
„Wir müssen es schaffen!“ sagte die Queen zu ihrem Geliebten. „Wenn es uns gelingt, die offene See zu erreichen, bevor sie uns in die Zange nehmen, haben wir zusammen mit den drei anderen Galeonen eine gute Chance, ihnen von zwei Seiten her einzuheizen.“
Caligula lächelte grimmig. In seinen Augen loderten Wut und Haß.
„Wir werden ihnen ihren Plan versalzen, darauf kannst du dich verlassen“, sagte er.
Die Schnapphähne an Bord packten zu Sie hatten schnell begriffen, daß es jetzt um die eigene Haut ging. Daß mit dem Seewolf und seinen Gefährten nicht zu spaßen war, das hatten sie in den vergangenen Wochen zur Genüge erfahren.
Noch jetzt steckte einigen von ihnen das Schaudern in den Knochen, das ihnen die Schiffe von der Schlangen-Insel in der Todesbucht von Gran Cayman eingejagt hatten. Diesmal war die Situation sehr ähnlich, vielleicht sogar noch bedrohlicher, denn sie alle hatten nur lüstern den Mädchen nachgestarrt, die mit wiegenden Hüften im Hafen herumstolziert waren und einen Riesenzirkus veranstaltet hatten.
Die Queen kochte vor Wut, denn sie fühlte sich hereingelegt.
„Der verdammte Franzose hat uns hinters Licht geführt“, fauchte sie. „Er hat das mit dem Seewolf gemeinsam ausgeheckt. Der ganze Rummel war von Anfang an ein abgekartetes Spiel. Am liebsten würde ich Amadou folgen und ihm eine volle Breitseite auf den Pelz brennen.“
Caligula nickte verstehend. „Der Kerl hätte es wahrhaftig verdient, aber wir müssen dennoch einen klaren Kopf behalten. Wenn wir dem Franzosen folgen, sind die drei Schiffe in der Bucht dem Seewolf ziemlich hilflos ausgeliefert. So aber kriegt er es nicht nur mit ihnen, sondern auch noch mit uns zu tun – vorausgesetzt, wir schaffen den Durchbruch.“
„Wir müssen und werden ihn schaffen“, bekräftigte die Black Queen, und in ihren Zügen spiegelte sich wilde Entschlossenheit.
8.
Auch die Seewölfe zogen grimmige Gesichter.
Die „Isabella IX.“ hatte die Insel gerundet und rauschte jetzt von der Ostseite her mit vollem Preß auf die Hafenbucht zu. „Le Vengeur III.“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ nahten aus westlicher Richtung. Das gemeinsame Ziel der drei Segler war, die Bucht abzuriegeln und die Schiffe der Black Queen von der Seeseite her in Fetzen zu schießen.
Zunächst hatte es so ausgesehen, als würde sich dieser Teil des Planes in die Tat umsetzen lassen, denn die „Coq d’Or“ hatte die Hafenausfahrt verlassen und segelte auf die offene See hinaus.
Demnach hatte Lucien Amadou die Mädchen wie vereinbart auf Tortuga an Land gesetzt und ihrem zukünftigen „Beschützer“, Emile Boussac, übergeben. Für die Seewölfe war somit genau der richtige Zeitpunkt gegeben, die Falle zuschnappen zu lassen.
Doch jetzt traten die ersten Komplikationen auf, denn auf der „Caribian Queen“ wurden in größter Eile die Anker gelichtet und die Segel gesetzt. Die Seewölfe wußten auf Anhieb, was das zu bedeuten hatte.
„Himmel, Arsch und Hagelwetter!“ entfuhr es dem Seewolf. „Die Queen muß etwas gemerkt haben, und jetzt versucht sie, noch rechtzeitig die Bucht zu verlassen. Man könnte wirklich meinen, diese Frau hätte einen sechsten Sinn.“
Auch Ben Brighton legte die Stirn in Falten.
„Wir müssen ihren Ausbruch unbedingt verhindern“, sagte er, „sonst sind wir am Ende diejenigen, die in die Zange genommen werden.“
Hasard lächelte grimmig. „Wie willst du das verhindern, Ben? Wir haben eh schon den letzten Fetzen Tuch gesetzt. Schneller geht es nicht. Auch Jean und Thorfin werden die Ausfahrt nicht vor uns erreichen. Genaugenommen hängt jetzt alles von der Queen ab. Wenn sie schnell genug ist, wird sie es schaffen. Verlaß dich darauf, daß sie alles dransetzen wird. Auf ihrem Zweidecker ist jetzt schon der Teufel los. Der traue ich sogar zu, daß sie ihre Kerle höchstpersönlich an der Rah hochzieht, wenn sie sich nicht selber übertreffen.“
Auch Old O’Flynn und Edwin Carberry, die zum Achterdeck aufgeentert waren, blickten finster drein.
„Ob nicht am Ende dieser Franzose falsch gespielt hat?“ fragte Old Donegal. „Es wäre doch möglich, daß er nur zum Schein auf unseren Plan eingegangen ist, um uns dann an die Queen zu verraten.“
„Hör auf zu spinnen, Donegal“, sagte Hasard mit ernstem Gesicht. „Amadou ist in Ordnung, für ihn lege ich die Hände ins Feuer. Aus welchem Grund sollte er uns wohl an die Queen verraten? Er ist bestimmt heilfroh, daß er Tortuga hinter sich hat.“
„Ich glaube auch nicht, daß Amadou etwas damit zu tun hat“, erklärte Ben Brighton. „Er ist ein aufrichtiger Mann, und was, zum Teufel, hätte er davon gehabt?“
Doch Old Donegal gab sich noch nicht geschlagen.
„Ich weiß ja, daß ihr einen Narren an Amadou gefressen habt“, sagte er, „aber es könnte sein, daß ihn die Queen reich für seine Tips belohnt hat. Für einige Beutel Gold hat sich schon manch einer was anderes überlegt.“
„Natürlich ist so etwas im Prinzip möglich“, sagte der Seewolf. „Aber im Fall Amadous müßte ich meine ganze Menschenkenntnis über Bord werfen. Nein, Donegal, er hat uns nicht verraten. Außerdem finde ich es nicht gerade anständig, daß wir ihn als Verräter verdächtigen. Er kann sich nicht einmal dagegen wehren.“
„Amadou scheidet aus“, bestätigte jetzt auch Edwin Carberry. „Er ist ein absolut ehrlicher Bursche, und ich will mir selber die Haut in Streifen von – äh – von meiner Kehrseite ziehen, wenn der uns verpfiffen hat. In deinem Kopf summt es nicht mehr richtig, Donegal!“
„Das mußt du gerade sagen!“ giftete der Alte. „Außerdem habe ich ja niemanden beschuldigt, sondern nur einige Überlegungen und Vermutungen angestellt. Irgend jemand muß sich ja schließlich den Kopf darüber zerbrechen, auf was die plötzliche Reaktion der Black Queen zurückzuführen ist. Geht das in deinen Quadratschädel rein?“