Seewölfe Paket 19

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Die Black Queen hieb mit der Faust auf den Tisch, daß es krachte. Wieder sprang sie auf. Ihre Augen funkelten den Holländer an.
„Du verdammter fetter Hurensohn!“ schrie sie. „Das hast du doch alles angezettelt! Du hast die Kerle gegen mich aufgebracht, damit sie …“
Ein Raunen, das plötzlich einsetzte, ließ sie verstummen. Es klang nicht einmal drohend, eher bestürzt. Aber es lag eine unterschwellige Mahnung darin, die sie daran erinnerte, sich die Situation vor Augen zu halten.
Allein in der Hauptgrotte hielten sich mehr als hundert Männer auf, allesamt aus El Triunfo und allesamt auf der Seite von Willem Tomdijk. Schlagartig wurde sich die Black Queen darüber klar, daß sie keine allzu großen Töne spucken durfte.
Natürlich wußten die Kerle, was sie riskierten, wenn sie sie wirklich angriffen. Keiner von ihnen würde dann mit dem Leben davonkommen, denn die Mitglieder der Crews befanden sich ohnehin in Alarmbereitschaft, und sie würden nicht lange fackeln. Andererseits konnte die Stimmung in einer Menschenansammlung explodieren wie ein Pulverfaß, dem man sich zu unvorsichtig mit einer Lunte genähert hatte.
Also schluckte die Black Queen den Rest ihrer Worte hinunter. Die Hundesöhne steckten doch sowieso mit dem Fettsack unter einer Decke. Natürlich hatte er sie angestiftet, sich gegen sie, die Herrscherin der Karibik, zu wenden, damit sie ihn in seiner lächerlichen und kleingeistigen Revanche für den Vorfall auf dem Zweidecker unterstützten.
„Aber, aber, wir wollen uns doch nicht beschimpfen“, sagte Willem mit gespieltem väterlichem Wohlwollen. Diesem Eindruck widersprach jedoch der spöttische Blick, mit dem er die Schwarze musterte. „Setz dich wieder, Madam, und laß uns alles in Ruhe besprechen. Es nutzt nichts, wenn wir uns die Köpfe heiß reden.“
„Du wirst mich noch kennenlernen!“ zischte sie, so daß nur er und bestenfalls Boussac es hören konnten. Aber sie gehorchte und ließ sich auf ihren Platz sinken.
Willem Tomdijk bemerkte, daß Caligula ihn haßerfüllt anstarrte. Doch auch der hünenhafte Neger wagte nicht, den Holländer anzugreifen, und sei es auch nur mit Worten. Caligula wußte, daß die Männer ihn auseinandernehmen würden, wenn er nur einen Finger gegen ihren Ex-Bürgermeister rührte.
Abermals hob Willem die Hand, und wieder kehrte Stille in der Grotte ein.
„Freunde!“ fuhr er dröhnend fort. „Männer von El Triunfo! Wir wollen uns nicht aufregen. Alles muß ruhig und sachlich abgewogen werden. Unsere verehrte Madam, die Black Queen, hat ganz recht, mich zu verbessern. Natürlich schulden wir ihr unseren Dank, ihr und niemandem sonst. Ich habe mich da ein bißchen falsch ausgedrückt.“
„Jetzt fängt er wieder an, uns Honig um den Bart zu schmieren“, flüsterte Caligula in das Ohr seiner Gefährtin.
Die Queen stieß ein Knurren aus. Mit grimmigem Interesse hörte sie Willem Tomdijks weiterer Rede zu.
„Dankbarkeit ist eine feine Sache, Freunde. Aber wenn es um Leben oder Tod geht, muß man ein bißchen genauer darüber nachdenken. Ich sehe das so: Wir wollen nicht vom Regen in die Traufe geraten. Wir wollen nicht schon wieder unser Leben riskieren. Bei der Rettung in El Triunfo hat uns die Black Queen eine neue, friedliche Heimat versprochen. Wenn das nicht so gewesen wäre, hätten wir uns auch in die Wälder von Honduras zurückziehen können. Oder?“
Die Pause, die Willem voller Absicht einlegte, nutzten die Zuhörer prompt und wie erwartet. Donnernder Beifall hallte durch die Grotte. Nach Minuten schnitt Willem den Lärm ab. Die Geste, die er dazu benutzte, war wie die eines Zauberkünstlers.
„Wir lassen uns nicht in eine Auseinandersetzung hineinziehen, die uns nichts angeht!“ rief er. „Warum, zum Teufel, können die Bewohner der Karibik nicht gemeinsam in Frieden leben? Es ist doch genug Platz für alle da. Wenn wir schon ans Kämpfen denken müssen, dann sollten wir uns lieber auf unsere gemeinsamen Feinde konzentrieren, auf die Spanier nämlich.“
Diesmal johlten und brüllten die Männer voller begeisterter Zustimmung.
Die wulstige Faltenlandschaft von Willem Tomdijks Gesicht war unbewegt, während er wartete, bis der Beifall verebbte. Aber seine kleinen nordsee-grauen Augen beobachteten die Black Queen und Caligula genau. Mit jeder Sekunde des Beifalls verzerrten sich ihre dunklen Gesichter in wachsendem Zorn.
„Ich habe gesagt, was zu sagen war!“ brüllte Willem schließlich. „Lassen wir jetzt die Madam sprechen!“ Auch das hatte er wohlweislich beabsichtigt. Sie erhielt erst dann Redeerlaubnis, wenn er seine Fäden ausgesponnen hatte. Die Männer aus El Triunfo mußten wissen, wer ihr wirkliches Oberhaupt war.
Caligula flüsterte erneut in das Ohr seiner Gefährtin.
„Beleidige ihn nicht noch einmal. Wir schneiden uns damit ins eigene Fleisch. Du siehst, wie er die Kerle unter seiner Fuchtel hat.“
Sie nickte nur. Dann stand sie auf und wandte sich der Menge zu. Es kümmerte sie nicht, daß sich die meisten Blicke auf ihre nackten Brüste konzentrierten. Mit dem, was sie hatte, konnte sie sich sehen lassen. Und fast immer hatte ihr das Bewunderung eingebracht. Warum, zum Teufel, sollte es hier nicht auch so sein?
Die Zuhörer verharrten jetzt in gespannter Stille.
„Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit!“ rief sie mit mühsam erzwungener Freundlichkeit. „In einem Punkt gebe ich eurem Bürgermeister recht. Es nutzt nichts, wenn wir uns gegenseitig mit Vorwürfen und Anschuldigungen überhäufen. Aber so einfach, wie euer verehrter Willem die Dinge hinstellt, sind sie nun wirklich nicht. Verdammt noch mal, begreift denn hier keiner, was uns bevorsteht?“ Sie begann, sich in Rage zu reden. „Ihr habt alle miterlebt, wie wir von diesen verfluchten englischen Bastarden angegriffen wurden. Zweimal …“
Schrille Pfiffe schnitten ihr das Wort ab, begleitet von wütenden Buh-Rufen.
Die Black Queen biß sich auf die Zunge. Sie hatte ihren Fehler begriffen, kaum daß sie ausgesprochen hatte. Ein bestimmter Teil der Männer aus El Triunfo waren Engländer – ein verdammter Fehler, den sie sich geleistet hatte. Selbst die schlimmsten Halunken zeigten meist noch Nationalstolz, wenn es hart auf hart ging.
„Versteht mich richtig!“ schrie sie. „Ich rede von diesen Kerlen, die uns immer wieder auf den Pelz rücken. Damit meine ich doch nicht alle Engländer. Das müßt ihr auseinanderhalten. Hakt euch jetzt nicht an Kleinigkeiten fest. Diese Brut hat sich wahrscheinlich längst auf ihrer verdammten Schlangen-Insel zusammengerottet und plant den nächsten Angriff gegen uns. Vielleicht sind sie sogar schon unterwegs. Ich sage euch, die haben nur eins im Sinn: uns zu vernichten und sich Tortuga einzuverleiben. Solange diese Meute von elenden Piraten existiert, können wir nicht in Frieden leben. Die werden nicht eher ruhen, bis sie Tortuga erobert haben.“
„Wenn das so wäre“, ertönte eine empörte Stimme aus dem Hintergrund, „dann hätten sie es längst tun können. Ohne große Mühe. Wenn der Seewolf wirklich vorhätte, Tortuga zu besetzen, dann wäre das passiert, bevor deine Schiffe hier eintrafen, Black Queen!“ Niemand bemerkte im allgemeinen Durcheinander, daß es Diego war, der sich diesen Zwischenruf nicht verkneifen konnte.
„Unsinn!“ schrie die Black Queen zurück. „Diese ganze Geschichte hat sich erst jetzt ergeben. Euer sogenannter Seewolf hat nämlich begriffen, daß ich es bin, die den Menschen in der Karibik ein friedliches Leben ermöglichen will. Und genau das paßt ihm nicht. Er will euch ausbeuten und unterdrücken. Deshalb setzt er alles daran, mich zu beseitigen. Wartet nur ab, was euch blüht, wenn ihr euch auf seine Seite stellt. Dann ist Schluß mit dem Leben in Freiheit!“
„Lüge!“ tönte eine Stimme von weit hinten.
„Der Seewolf ist kein Unterdrücker!“ ließ sich ein anderer vernehmen.
„Vor allem ist er kein englischer Bastard!“
Diesmal waren es Diegos Helfer, die die Zwischenrufe von sich gaben. Besonders die letztere Bemerkung brachte ihnen den Beifall der Siedler aus El Triunfo ein.
„Ihr seid auf dem falschen Weg!“ Die Black Queen schleuderte ihre Worte mit überkippender Stimme in die Menge.
Doch nichts als empörtes, heiseres Gebrüll schlug ihr als Antwort entgegen.
Wieder war es Willem Tomdijk, der mit einer einzigen Handbewegung für Ruhe sorgte, nachdem er die ganze Zeit geduldig zugehört hatte.
„Freunde, ich denke, es wurde genug geredet. Laßt uns jetzt abstimmen. Oder hat jemand etwas dagegen einzuwenden?“
Stille.
„Also gut“, fuhr Willem fort. Er nickte zufrieden, und die Hautfalten seines Gesichts wogten auf und ab. „Ich glaube, eure und meine Meinung ist ziemlich klar. Wir sollten uns aus allen Auseinandersetzungen heraushalten. Ist einer von euch dagegen?“
Keine Hand erhob sich. Keine Stimme wurde laut. Auch aus den Nebengelassen der Kneipe war kein Laut zu hören, obwohl Willem lange genug wartete, bis er sicher war, daß seine Frage auch dorthin durchgedrungen war.
„Wenn ihr es so haben wollt“, sagte die Black Queen in die Stille, „dann müßt ihr euch auch über die Folgen im klaren sein. Wer nicht auf meiner Seite steht, kann auch nicht mehr mit meinem Schutz rechnen.“
„Wir wollen auf keiner Seite stehen“, sagte Willem Tomdijk, „wir wollen nur unsere Ruhe und unseren Frieden.“
Von neuem brüllten die Männer Beifall.
Die Black Queen wechselte einen Blick mit Caligula, und er nickte ihr zu. Ohne Tomdijk noch eines Blickes zu würdigen, standen sie auf und bahnten sich einen Weg durch die Menge. Das Beifallsgebrüll für den Ex-Bürgermeister begleitete sie.
Draußen klang es noch in ihren Ohren, als sie die „Schildkröte“ längst hinter sich gelassen hatten.
Schweigend nahmen sie den Weg zur Hafenbucht. Das Ergebnis dieser feinen Bürgerversammlung war niederschmetternd für die künftige „Herrscherin der Karibik“. Nur noch ein harter Kern stand jetzt praktisch auf ihrer Seite, nämlich Jaime Cerrana und seine Meuterer auf der „Aguila“, die Besatzungen der beiden Beutegaleonen und natürlich die Crew der „Caribian Queen“.
Eine direkte Auseinandersetzung mit denen, die sich für Tomdijks Kurs entschieden hatten, konnte sie sich nicht leisten. Darüber gab sich die Black Queen keinen Illusionen hin. Denn jeden Moment konnte die neuerliche Gefahr durch einen Angriff der Flotte von der Schlangen-Insel über sie hereinbrechen. Dieser Gefahr mußte zunächst ihre ganze Aufmerksamkeit gelten.
Erst wenn der Sieg über den verfluchten Seewolf errungen war, konnte man sich wieder den eigenen Problemen zuwenden. Eines schwor sich die Queen in diesem Augenblick: Tortuga, das sie schon so fest in ihrer Hand geglaubt hatte, würde ihr gehören. Jetzt erst recht. Die elenden aufsässigen Kerle würden lernen müssen, was es bedeutete, gegen ihre Entscheidungen anzugehen.
Dieses idiotische Gefasel von Frieden und freiheitlichem Leben mußte aufhören, ein für allemal.
6.
Die Wetterbedingungen entwickelten sich günstiger als erwartet. Lange vor Einbruch der Dunkelheit war eine dünne Wolkendecke von Nordwesten heraufgezogen, und diese Entwicklung hielt auch in den darauffolgenden Abendstunden an. Nur noch vereinzelt gab es Risse in der Wolkendecke, doch das blasse Licht, das Mond und Sterne dann herunterschickten, erreichte die Wasseroberfläche nicht, weil es von neuen Wolken verdeckt wurde.
Eine knappe Stunde vor Mitternacht war der Punkt erreicht, den der Seewolf durch seine Navigation bestimmt hatte. Die fünf Schiffe seines Verbandes waren bis jetzt mit Vollzeug von Norden her auf Tortuga zugesegelt. Obwohl sie sich noch außer Sichtweite befanden, waren längst alle Lampen auf den Decks gelöscht worden.
Die Dunkelheit der Nacht verschluckte den Verband von der Schlangen-Insel. Es hätte keine bessere Tarnung geben können. Es war wie ein vorgehängtes schwarzes Tuch, hinter dem sich die fünf Galeonen verbargen.
Hasard gab das vereinbarte Zeichen.
Auf dem Schwarzen Segler, der „Wappen von Kolberg“ und der „Le Vengeur III.“ wurden die Segel aufgegeit und Treibanker ausgebracht.
Die „Isabella“ und die „Tortuga“ behielten den ursprünglichen Kurs bei, allerdings mit verringerter Segelfläche. Nicht mehr als düstere Schatten waren die beiden schlanken Galeonen, die jetzt auf die rauhe Nordseite der Insel zuglitten.
Noch war Tortuga nicht in Sicht. Doch nach Hasards Berechnungen betrug die Distanz bestenfalls noch zwei Seemeilen. Was für die Schiffe galt, traf auch auf die Insel zu. Die Dunkelheit der Nacht verschluckte alles.
Alle Einzelheiten des Planes waren besprochen worden. Für keinen der Männer von der Schlangen-Insel gab es Ungewißheiten über das, was sich abspielen würde. Jeder einzelne wußte, für was er zu kämpfen hatte. Alle zusammen waren sie eine verschworene Gemeinschaft, die nur das eine Ziel vor Augen hatte – die Gefahr abzuwenden, die ihrem freiheitlichen Leben auf der Schlangen-Insel drohte.
In diesem unabänderlichen Willen, der ihren Kampfgeist beseelte, unterschieden sie sich sehr deutlich von der Moral, wie sie etwa auf spanischen Kriegsgaleonen anzutreffen war. Dort wurde das Geschehen nur von Befehl und Gehorsam bestimmt. Entsprechend gering war oftmals die Motivation der Decksmannschaften und Seesoldaten, die von ihren Offizieren in einen Kampf geschickt wurden, dessen Sinn sie nicht verstanden.
Hasard und Ben Brighton beobachteten vom Achterdeck der „Isabella“ aus die „Tortuga“, die um eine Kabellänge versetzt Steuerbord achteraus segelte.
Zwar war in der Dunkelheit nichts zu erkennen, doch die beiden Männer wußten, daß an Bord der kleineren Galeone bereits die Vorbereitungen für den Sondereinsatz getroffen wurden. Kein Laut wehte herüber. Alle Gespräche wurden im Flüsterton geführt, bei jedem Handschlag achteten die Männer darauf, so wenig Geräusche wie nur möglich zu verursachen.
Das galt auch für die Crew der „Isabella“. Selbst Edwin Carberry hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, seine „Affenärsche“ nur noch mit gedämpfter Stimmgewalt über die Decks zu scheuchen.
Das „Viehzeug“ war unter Deck eingesperrt worden. In diesem Punkt hatte sich der Profos diesmal ohne Widerspruch durchgesetzt. Plymmie, die Bordhündin, befand sich für die Dauer des Angriffs auf Tortuga ebenso auf Nummer Sicher wie Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der Papagei.
Auf dem Hauptdeck der „Isabella“ hasteten die Männer auf leisen Sohlen hin und her, doch das Durcheinander war nur scheinbar. Die von Hasard angeordnete Gefechtsbereitschaft wurde mit der gewohnten Schnelligkeit hergestellt.
Auch die beiden Söhne des Seewolfs halfen dabei in der üblichen Manier mit, indem sie Sand auf den Planken ausstreuten und die Kohlebecken zum Zünden der Lunten vorbereiteten. Jeder Handgriff war tausendfach geübt, selbst mit geschlossenen Augen hätten die Männer ihre Arbeit bewältigt.
„Ich glaube“, sagte Ben Brighton leise, „Jerry Reeves ist dankbar, endlich einmal einen besonderen Auftrag zu haben.“
Hasard blickte wieder zur „Tortuga“ hinüber und brummte zustimmend. Das Schwesterschiff der „Le Vengeur III.“ segelte mit einer zusammengewürfelten Crew, die sich aber bereits bestens aufeinander eingespielt hatte. Neben Jerry Reeves und seinen Männern befanden sich an Bord zahlreiche Mitglieder aus Siri-Tongs Crew.
„Jerry war auf der Schlangen-Insel zu lange untätig“, antwortete der Seewolf, „er ist nicht der Mann, der die Hände in den Schoß legen kann. Außerdem dürften er und seine Leute für den Einsatz genau die Richtigen sein.“
Daran gab es keinen Zweifel. Selbst Ben Brighton, der sonst in seiner vorsichtigen Nachdenklichkeit manchmal fast pessimistisch wirkte, stimmte diesmal der gemeinsam getroffenen Entscheidung ohne Einschränkung zu.
Jerry Reeves und seine Freunde hatten bei etlichen Gelegenheiten bewiesen, daß man sich absolut auf sie verlassen konnte. Das war damals gewesen, als sie sich im Teufelskreis der Geschehnisse in der Bretagne kennengelernt hatten.
Ein halblauter Ruf aus dem Großmars riß die Männer aus ihrer Gedankenstille.
„Deck! Lichter Steuerbord voraus!“
„Verstanden!“ antwortete der Erste Offizier der „Isabella“ mit unterdrückter Stimme. Dann griff Ben zum Kieker und folgte damit dem Beispiel Hasards, der das Spektiv bereits angesetzt hatte.
Es dauerte eine Weile, bis sie in der Dunkelheit die schwachen Lichtpunkte geortet hatten. Bill, der den Dienst des Ausgucks versah, bewies wieder einmal, daß die Schärfe seiner Augen ausgezeichnet war.
Sehr rasch erkannten der Seewolf und sein Erster Offizier, daß es sich um die Deckslaternen eines größeren Schiffes handelte. Minuten später gab es bereits endgültige Klarheit.
„Eine dreimastige Galeone“, sagte Hasard, „und sie segelt auf Kollisionskurs.“
„Wahrscheinlich, ohne es zu wissen“, entgegnete Ben, „sonst hätten sie ihre Lampen gelöscht.“
Ein hartes Lächeln kerbte sich in die Mundwinkel des Seewolfs.
„Dann lassen wir sie nicht länger im Ungewissen, Ben. Servieren wir ihnen eine handfeste nächtliche Überraschung.“
„Aye, aye, Sir“, erwiderte der Erste, und seine Augen blitzten im Dunkel.
Ohne Umschweife verstaute Ben Brighton sein Spektiv und griff nach der verhüllten Öllampe, die auf den Planken des Achterdecks bereitstand. Er hob die Lampe und löste die Segeltuchummantelung nur so weit, daß der Lichtschein nach achteraus fiel – dreimal kurz hintereinander.
Auch dieses Zeichen war vereinbart worden. Der Seewolf und seine Gefährten hatten von vornherein die Möglichkeit einkalkuliert, daß ihnen beim Kurs auf Tortuga ein fremdes Schiff in die Quere geraten könnte.
Während Ben Brighton die erforderlichen Kommandos gab, konzentrierte Hasard sich darauf, die unbekannte Galeone zu beobachten. Auf den Decks der „Isabella“ hasteten die Männer an die Brassen. Pete Ballie, der als Gefechtsrudergänger schon bei Beginn der Mission seinen angestammten Platz eingenommen hatte, bewegte das Steuerruder unter seinen ankerklüsengroßen Fäusten.
Mit Eleganz schwenkte das Heck der „Isabella“ durch den Wind. Innerhalb von Sekunden wechselte die ranke Galeone den Kurs und segelte nun über Backbordbug nach West-Süd-West, der fremden Galeone entgegen, um ihr den nötigen Willkommensgruß zu entbieten, wenn es sein mußte.
Daran, daß dieser Gruß aus Feuer und Eisen bestehen würde, zweifelte der Seewolf nicht. Er vermutete, daß es sich bei der Galeone um eins der Schiffe der Black Queen handelte. So nah vor der Küste von Tortuga konnte es sich nur um eine Patrouillenfahrt handeln.
Mit einem kurzen Blick nach achtern überzeugte sich Hasard, daß die „Tortuga“ ihren ursprünglichen Kurs beibehielt. Die Umrisse von Jerry Reeves’ Schiff verschmolzen bereits mit der Dunkelheit.
Die Besatzung der fremden Galeone indessen schien von ihrem „Glück“ noch immer nichts zu ahnen. Die Lichtpunkte der Deckslaternen glitten unverändert zügig heran. Hasard schätzte die Entfernung auf mittlerweile weniger als eine Seemeile.
Mit schneller Fahrt näherte sich die „Isabella“ den offenbar Ahnungslosen – unaufhaltsam, wie von einem unsichtbaren Tau gezogen.
Ben Brighton verständigte sich mit dem Seewolf und schickte Al Conroy und seine Männer an die Steuerbordgeschütze. Sämtliche Rohre der Fünfundzwanzig-Pfünder und der Siebzehn-Pfünder waren bereits geladen. Die Geschützcrews verharrten in gespannter Aufmerksamkeit hinter der Verschanzung, bereit, die Luntenstöcke in die Glut der Kohlebecken zu stoßen und einen feurigen Teufelstanz zu entfachen.
In der Zwischenzeit verringerte die „Tortuga“ ihre Distanz in Richtung der felsigen Nordküste der Insel.
Im Grunde war den Arwenacks das Auftauchen des Patrouillenschiffes nicht einmal unwillkommen. Denn dadurch ergab sich die Gelegenheit, von dem Vorhaben abzulenken, das Jerry Reeves und seine Männer in wenigen Minuten in die Tat umzusetzen hatten.
Noch sechs oder sieben Kabellängen trennten die „Isabella“ von dem Dreimaster. Unvermittelt sah Hasard durch das Spektiv, wie es drüben im Schein der Deckslaternen lebendig wurde. Wuhling entstand. Der Schreck mußte der Crew in alle Knochen gefahren sein. Aber für eine erfolgversprechende Reaktion war es jetzt fast zu spät.
Auch Ben Brighton hatte wieder zum Spektiv gegriffen. Alle Vorkehrungen an Bord der „Isabella“ waren abgeschlossen. Bei raumem Wind über Backbordbug segelnd, stieß die Galeone des Seewolfs auf den noch unbekannten Dreimaster zu – bereit, sich innerhalb von Sekunden in eine feuerspeiende schwimmende Festung zu verwandeln.
„Den Burschen kennen wir doch!“ stieß Ben Brighton hervor. „Der Gehörnte soll mich holen, wenn das nicht eine von den Beutegaleonen der Black Queen ist.“
„Ich glaube, du hast recht“, erwiderte Hasard, „aber ich denke, wir werden es gleich ganz genau wissen.“
Er sollte sich nicht täuschen. Die Entfernung war auf fünf Kabellängen zusammengeschmolzen, als die Galeone eine Wende vollführte und bei halbem Wind Abstand zu gewinnen suchte. Dabei präsentierte sie ihre reichverzierte Heckpartie, im Schein der Hecklaterne war der Namenszug „Buena Estrella“ deutlich zu entziffern.
Doch es gab kein Entrinnen mehr. Der Konfrontation mit der „Isabella“ konnte sich die wesentlich behäbigere Galeone spanischer Bauart nicht mehr entziehen. Geradezu kläglich wirkte ihr Versuch, aus der Reichweite des Angreifers zu gelangen.
Al Conroys Geschützbediener entfachten die Luntenstöcke. Kleine Funken wirbelten knisternd aus den Kohlebecken auf und verloschen im nächsten Moment in der feucht-kühlen nächtlichen Seeluft. Die Männer verharrten wieder neben den Geschützrohren, ihre Muskeln waren angespannt. Sie fieberten dem Moment entgegen, in dem sich mit dem Donner der Geschütze auch ihre eigene Spannung entladen würde.
Die Distanz verringerte sich zusehends. Sekunden später war es soweit. Mit einem Abstand von nur zwei Kabellängen rauschte die „Isabella“ gleichauf mit der „Buena Estrella“. Deren Kapitän hatte den Fehler begangen, seinen Fluchtkurs beizubehalten. Offenbar hatte er bis zum letzten Moment geglaubt, der schlanken englischen Galeone davonlaufen zu können.
Die Arwenacks sahen die reichverzierte Heckgalerie noch immer schräg von achtern. Zu spät begriffen die Kerle drüben auf dem Dreimaster, daß ihre einzige Chance darin bestanden hätte, sich rechtzeitig zum Kampf zu stellen.
„Feuer frei!“ brüllte Ben Brighton.
Al Conroy peilte über das Rohr des vordersten Fünfundzwanzig-Pfünders. Dann gab der schwarzhaarige Stückmeister seinen Geschützmannschaften das Kommando. Wie auf einen Schlag senkten sich die Stöcke mit den glimmenden Lunten auf die Zündlöcher. Zischend und prasselnd fraßen sich die Funken durch die Zündkanäle der tonnenschweren Bronzerohre.
Ein urwelthaftes Brüllen zerriß die Stille. Mit leckenden Feuerzungen, die mitten aus der Hölle zu rasen schienen, donnerte die volle Breitseite der „Isabella“.
Behende sprangen die Männer zurück, ehe der mächtige Rückstoß die Geschützlafetten rumpelnd von den Stückpforten wegstieß, bis sie von den Brooktauen aufgefangen wurden.
Hart krängte die schlanke Galeone nach Backbord, die Planken vibrierten unter dem Stoß. Pulverrauch wölkte auf und verdeckte den Blick auf die Lichter der „Buena Estrella“.
Für Bruchteile von Sekunden war nur das Orgelgeräusch der Geschosse zu hören, dann das Krachen mehrerer Einschläge, Bersten und Splittern von Holz und das Rauschen von säulenartig aufsteigenden Fontänen. Ein paar der schweren Eisenkugeln war beiderseits der gegnerischen Galeone in die Wasseroberfläche geklatscht.
„Zwei Strich Backbord!“ brüllte Ben Brighton.
Pete Ballie reagierte prompt.
Im selben Augenblick setzte auf der Kuhl das Triumphgebrüll der Männer ein. Ihre Stimmen vereinten sich zum alten Kampfruf aus Cornwall, der dem Brüllen der Geschütze wie ein zweites Donnergrollen folgte.
„Ar – we – nack! Ar – we – nack!“
Im verfliegenden Pulverrauch sahen Hasard und Ben Brighton, was Al Conroys vortrefflich gezielte Breitseite angerichtet hatte.
Die Optiken der Spektive zeichneten ein Bild, das von rötlichem Schein erhellt war. Denn Flammen züngelten auf dem Achterdeck der „Buena Estrella“. Eine der Kugeln hatte die Heckbalustrade wegrasiert und die große Laterne quer über die Achterdecksplanken geschleudert.
Der Rudergänger harrte an seinem Platz aus. Schattenhaft huschende Männer versuchten verzweifelt, das brennende, ausgelaufene Öl zu löschen. Doch das Feuer fand rasche Nahrung, und erste Flammen leckten bereits am Besanmast.