Seewölfe Paket 19

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„Du lügst.“
„Natürlich lügt er“, fügte Caligula mit glucksendem Lachen hinzu. „Bestimmt sucht er Verbündete, mit denen er seine hübschen Püppchen befreien kann. Er denkt wohl, daß die Gelegenheit günstig ist, wenn wir was anderes zu tun haben.“
„Himmel, nein“, beteuerte Emile, „so ist es nicht, wirklich nicht.“
„Nein? Wie ist es denn?“ entgegnete die Black Queen, und der Spott lag jetzt unüberhörbar in ihrer Stimme.
Emile Boussac brachte seine Gedanken in rasender Schnelligkeit in geordnete Bahnen. Wenn er keine plausible Antwort fand, brachte sie es fertig, ihn zu foltern oder gar Schlimmeres mit ihm anzustellen. Jäh erwachte seine Händlerseele. Aber ja, schrie es in ihm, tu es!
Wenn er der einen Seite von Nutzen war, konnte er es der anderen ebenso sein. Aber es mußte sich natürlich lohnen. Umsonst würde er mit seinem Wissen nicht herausrücken, diesmal nicht.
„Du mußt ja lange darüber nachdenken“, knurrte Caligula in sein Ohr. „Soll ich dir mal auf die Füße treten?“
„Nein, nein“, sagte Emile hastig. „Ich weiß nur nicht, wie ich es erklären soll.“
„Spuck’s einfach aus“, forderte die Black Queen barsch, „dann ersparst du dir unnötige Schwierigkeiten.“
„Es handelt sich“, Emile ächzte, denn der hünenhafte Neger lockerte seinen schmerzhaften Griff um keinen Deut, „um Beobachtungen, die – hm, sagen wir – strategisch wichtig sein könnten. Was ist es dir wert, Madam, wenn ich ein bißchen darüber berichte?“
Die Black Queen wurde hellhörig. Es fiel nicht schwer, zwei und zwei zusammenzuzählen: Geschützdonner vor der Nordküste, Boussac schlich in der Gegend herum. Irgend etwas mußte sich abgespielt haben.
„Du weißt also etwas“, sagte sie gedehnt und tat, als dächte sie angestrengt nach. Dann gab sie sich einen gespielten Ruck. „Also gut: Ich werde deine Mädchen auf der Stelle freilassen, wenn du mit mir zusammenarbeitest. Vorausgesetzt, deine Neuigkeiten sind wirklich von Bedeutung.“
„Ich denke schon“, entgegnete Emile mit geschwellter Brust, „was würdest du sagen, wenn ich dir verrate, daß die Angreifer schon auf der Insel waren?“
Der Black Queen und auch Caligula verschlug es die Sprache.
„Rede“, sagte die Schwarze dann zähneknirschend, „und zwar schnell.“
Emile Boussac ließ die Worte sprudeln. Wenn seine Mädchen freikamen, war das bares Geld wert. Einen besseren Lohn konnte er nicht erwarten. Also schilderte er alle Einzelheiten über das Zusammentreffen mit Jean Ribaults Freunden und darüber, wie er sie zu der Nebenbucht geführt hatte, wo sie mit zwei Pinassen davongesegelt waren.
„Ist das alles?“
„Im Augenblick ja. Aber ich werde gern weiter Augen und Ohren offenhalten und …“
„Nicht nötig“, unterbrach ihn die Queen eisig. Mit einem jähen Ruck riß sie das handtellerbreite Messer aus dem Gurt.
Emile Boussac spürte, wie sein Herz aussetzte. Die Todesangst lähmte ihn. Viel zu spät schaffte er es, den Mund aufzureißen. Aber den Schrei brachte er nicht mehr hervor.
„Wenn du andere verrätst, verrätst du auch mich“, sagte die Schwarze und stach zu. Dreimal hintereinander, bis sie sicher war.
Caligula ließ den Toten fallen.
„Ein Segen“, sagte er, „wenn wir nicht zufällig noch mit dem Munitionshändler gefeilscht hätten, wäre diese französische Ratte ungestraft davongekommen.“
„Und wir wüßten nicht, was wir jetzt wissen“, sagte die Black Queen nachdenklich. „Ich frage mich nur, was die Kerle mit zwei Pinassen wollen.“
„Keine Ahnung. Vielleicht wollen sie ihre ganze Horde an der Nordseite landen lassen. Mit den Pinassen schaffen sie das dreimal so schnell wie mit ihren Jollen. Vielleicht sollten wir bei den Geschützstellungen erhöhte Alarmbereitschaft anordnen.“
„Möglich, daß du recht hast. Wir schicken auf jeden Fall einen Boten. Aber jetzt schleunigst an Bord. Ich will aus der verdammten Bucht heraus, bevor es zu spät ist. Die ‚Buena Estrella‘ müßte auch jeden Moment aufkreuzen.“
Caligula widersprach nicht. Er wartete, bis seine Gefährtin auf der mittleren Ducht Platz genommen hatte. Dann wriggte er das Boot hinaus, auf den Zweidecker zu.
Die fünf Schiffe des Verbandes von der Schlangen-Insel hatten die vereinbarte Position beibehalten.
Zweieinhalb Seemeilen nördlich von Tortuga stießen Jerry Reeves und seine Gefährten zu den Verbündeten. Nachdem die beiden Pinassen längsseits der „Isabella“ vertäut worden waren, begab sich Jerry sofort in die Kapitänskammer.
Stoker, Mulligan und die anderen blieben an Deck, um bei der Arbeit mitzuhelfen, die jetzt in aller Eile zu erledigen war. Unter der Anleitung von Ferris Tucker wurden die beiden Einmaster auf ihren Einsatz vorbereitet.
Mit Jerry Reeves war die Versammlungsrunde in der Kammer des Seewolfs komplett. Alle wandten sich ihm in gespannter Erwartung zu: Hasard, Arne von Manteuffel, Thorfin Njal, Jean Ribault und Siri-Tong.
Jerry setzte sich und bedankte sich mit einem Nicken für das Glas Rotwein, das Hasard ihm zuschob. Dann berichtete er über die erfolgreiche Mission. In knappen Worten beschränkte er sich auf das Wesentliche.
„Die ‚Buena Estrella‘ ist uns auf dem Rückweg begegnet“, schloß er, „allerdings waren wir weit genug entfernt, und sie hatten auch genug mit sich selbst zu tun.“
„Haben sie das Feuer an Bord gelöscht?“ fragte der Seewolf.
„Ja“, erwiderte Jerry. „Wenn wir richtig gehört haben, waren sie schon dabei, die Schäden auszubessern.“
„Habt ihr noch mehr Geschützstellungen an der Küste gesehen?“ erkundigte sich der Wikinger mit dröhnendem Organ.
„Nur die Lichter. Auf alle Fälle gibt es jede Menge von diesen behelfsmäßigen Stellungen. Uns haben sie entweder nicht bemerkt, oder sie konnten nicht rechtzeitig reagieren. Diese Pinassen sind nämlich verteufelt schnell.“
„Genau das, was wir brauchen“, sagte Jean Ribault und nickte zufrieden. Er warf einen Blick zu Siri-Tong hinüber.
Ein kaum merkliches Lächeln entstand in den Mundwinkeln der Roten Korsarin. Aber in ihren Augen zeigte sich ein harter Glanz, der ihre eisige Entschlossenheit spiegelte.
„Wenn alles vorüber ist, werden wir den Schaden ersetzen“, sagte Hasard. „Diego wird die Eigentümer der Pinassen ermitteln und ihnen das Geld in unserem Auftrag auszahlen.“
„Noch ist nicht alles vorüber“, entgegnete Siri-Tong pessimistisch, „ich glaube nicht daran, bevor ich den Zweidecker mit eigenen Augen sinken sehe. Diese Schwarze ist einfach zu gerissen.“
„Welch ein Kampfmoral!“ rief Arne von Manteuffel mit gespieltem Vorwurf. „Laß das auf unsere Männer abfärben, und wir nehmen am besten gleich wieder Kurs auf die Schlangen-Insel.“
„Siri-Tong meint es nicht so, wie du denkst“, sagte Jean Ribault, „wir haben nur schon zuviel mit dieser sogenannten Queen erlebt. Uns wundert nichts mehr.“
Der Seewolf beendete die beginnende Debatte mit einer energischen Handbewegung.
„Fassen wir zusammen: Selbst wenn man Abstriche an Boussacs Glaubwürdigkeit vornimmt, sind die Informationen doch wertvoll genug, um die Lage einigermaßen richtig einzuschätzen. Die Black Queen hat auf ihrer Seite nur die Schiffsbesatzungen. Und die sind auch vermindert um die Leute, die die Geschützstellungen in den Felsen besetzt haben.“
„Minus sechs“, warf Jerry Reeves ein.
Hasard nickte.
„Das habe ich nicht vergessen. Zur Sache also: Das einzige, was wir jetzt noch zu klären haben, ist die Frage der beiden Brander.“
„Was gibt es da noch zu klären?“ rief die Rote Korsarin aufbrausend. „Es stand von vornherein fest, daß Jean und ich die Pinassen ins Ziel steuern.“
„Allerdings“, fügte Ribault bekräftigend hinzu, „wenn wir diese Aufgabe übernehmen, dann wissen wir, warum. Gibt es jemanden, der einen besseren Grund hat als wir? Siri-Tong und ich haben eine verdammt persönliche Rechnung mit dem schwarzen Satansweib zu begleichen.“
„Es war euer Vorschlag, die Brander zu übernehmen“, stellte Hasard richtig, „unumstößlich war das meines Erachtens noch nicht. Ich meine, daß jeder bei seinen Entscheidungen einen klaren Kopf haben sollte. Wollt ihr das nicht noch einmal überdenken?“
„Nein“, entgegnete die Rote Korsarin prompt.
„Nein“, sagte auch Jean Ribault spontan.
„Also gut.“ Hasard zuckte mit den Schultern und lächelte. „Gegen eure Dickschädel kann man in diesem Fall wohl nichts tun. Ist jemand dagegen?“ Er blickte in die Runde.
„Laß ihnen ihren Willen“, brummte Thorfin Njal, „wer so verbissen ist, der wird seine Sache auch prächtig bewältigen.“
Auch Arne von Manteuffel und Jerry Reeves hatten nichts einzuwenden. Jeder wußte schließlich, wie sehr Jean Ribault danach fieberte, seine Rache zu vollenden. Und die Rote Korsarin stand dem in nichts nach.
Der Seewolf hob die Runde auf. Gemeinsam begaben sie sich an Deck.
Der hünenhafte Schiffszimmermann löste sich aus der Schar der Männer und trat ihnen entgegen.
„Brander klar, Sir“, meldete er knapp.
Hasard und die anderen traten an das Backbord-Schanzkleid.
Auf den Pinassen waren Scheiterhaufen aus trockenem Abfallholz aufgeschichtet worden, und zwar jeweils auf dem Vorschiff und mittschiffs hinter dem Mast, so daß sich das Lateinersegel noch unbeeinträchtigt bewegen ließ.
Ferris Tucker und seine Helfer hatten die Holzstapel mit Tauen gesichert, so daß sie selbst bei jähen Segelmanövern nicht auseinanderfielen oder über Bord gingen. Al Conroy hatte überdies eine besondere Zündvorrichtung aus seiner Trickkiste gezaubert.
Es gab keine Zeit mehr zu verlieren.
Jerry Reeves und seine Einsatztruppe wurden mit dem kleinen Beiboot der „Isabella“ an Bord der „Tortuga“ gebracht. Zur Unterstützung von Jean Ribault und Siri-Tong stellte Hasard sechs Mann ab, so daß sie auf den Pinassen jeweils zu viert waren.
Das Kommando an Bord der „Le Vengeur III.“ übernahm Nils Larsen, der keine Mühe haben würde, sich mit seiner alten Crew im Gefechtseinsatz zu verständigen.
Nachdem das Beiboot zurückgekehrt war, gab der Seewolf Befehl, Segel zu setzen.
9.
Immer wenn sie Tortuga aus der Ferne erblickten, drängte sich den Männern der Gedanke an Columbus auf, den legendären Entdecker. Wie treffend war doch sein Einfall gewesen, diese bucklige Insel als „Schildkröte“ zu bezeichnen! Denn nichts anderes bedeutete das spanische Wort „Tortuga“.
Jener Schildkröten-Buckel schälte sich im beginnenden Morgengrauen aus dem Dunst, als der Verband des Seewolfs heransegelte. Einen besseren Verbündeten als den handigen Nord-Nord-Ost konnte sich niemand an Bord wünschen. Die fünf Schiffe hatten die vorgesehene Formation eingenommen. Bei raumem Wind über Backbordbug segelnd, bildeten sie eine große, nach Süden gerichtete Pfeilspitze. Im Zentrum, also den anderen um eine Schiffslänge voraus, segelte die „Isabella“. An Steuerbord bildeten der Schwarze Segler und die „Tortuga“ den westlichen Schenkel der Pfeilspitze. Auf der anderen Seite waren es die „Wappen von Kolberg“ und die „Le Vengeur III.“.
Die beiden wesentlich schnelleren Pinassen kreuzten abwartend im Kielwasser der großen Schiffe.
Bis auf zwei Seemeilen hatte sich der Verband dem nordwestlichen Zipfel von Tortuga genähert, als Unerwartetes geschah.
„Deck!“ brüllte der Ausguck der „Isabella“. „Mastspitzen Backbord voraus!“
Heisere Rufe waren auch von den übrigen Schiffen zu hören. Überall auf den Achterdecks blinkte die Messingummantelung der Spektive im schwachen Mondlicht, das die Dunkelheit noch nicht vollends verdrängt hatte.
Die Umrisse traten aus dem grauen Zwielicht hervor, unverkennbar und höchstens eine Seemeile entfernt.
„Der Zweidecker!“ stieß Ben Brighton entgeistert hervor.
Hasard war nicht minder überrascht. Woher kannte die Black Queen den Zeitpunkt des Angriffs? Denn zweifellos befand sie sich nicht auf einer Erkundungsfahrt. Das ließ sich daraus schließen, daß sie von zwei Galeonen begleitet wurde, der „Aguila“ und der „Buena Estrella“. Letztere segelte ohne Besan, hatte die Gefechtsschäden also noch nicht vollständig behoben.
Die „Caribian Queen“ und die beiden Galeonen lagen auf einem Kreuzschlag nach Nordost. Allein nach den Windverhältnissen war die Position der „Herrscherin der Karibik“ ungünstig. Aber Hasard kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, daß sie es meistens verstand, die Dinge zu ihren Gunsten zu wenden.
Noch war nicht festzustellen, wie die Black Queen reagieren würde. Aber innerhalb von Minuten konnte sich die Lage entscheidend ändern. Hasard zögerte deshalb nicht. Er ließ Jean Ribault und Siri-Tong signalisieren, daß sie von nun an auf sich allein gestellt sein würden.
Die beiden Pinassen segelten nacheinander von Backbord auf die „Isabella“ zu, gingen bei voller Fahrt längsseits und hakten sich am Schanzkleid fest, bis die Männer aus der Crew des Seewolfs aufgeentert waren.
Dann lösten sich die Einmaster und jagten mit jener Eleganz davon, die ihnen ihre schlanke Bauweise ermöglichte. Mit Kurs Süd-Ost steuerten Siri-Tong und Jean Ribault geradewegs auf die Küste von Tortuga zu, um vor der Nase der Black Queen durchzuschlüpfen und den sicheren Küstenbereich zu erreichen.
Für den Moment glich die Situation einem gegenseitigen Belauern. Während sich die Distanz zwischen den gegnerischen Verbänden zusehends verringerte, schienen sich beide Parteien darin verbissen zu haben, ihren Kurs stur beizubehalten.
Doch unverhofft reagierte die Black Queen auf eine Weise, wie sie weder Hasard noch einer seiner Gefährten erwartet hatten.
Statt wie vermutet nach Osten abzufallen, um der Übermacht zunächst auszuweichen, legte sich der Zweidecker in eine todesmutige Wende nach Nord-West. Viel zu schnell verringerte sich jetzt die Entfernung und schmolz auf fünf, sechs Kabellängen zusammen.
Die Black Queen nutzte den kurzen Moment, in dem der Verband des Seewolfs im Begriff war, sich auf die neue Lage einzustellen und sich aufzulösen. Denn auch die „Aguila“ und die „Buena Estrella“ folgten mit ihrem Kurswechsel jetzt dem Beispiel der „Caribian Queen“.
Ein glühender Feuerteppich von Mündungsflammen zuckte plötzlich aus der Steuerbordseite des Zweideckers. Der Geschützdonner zerfetzte die morgendliche Stille.
Nils Larsen hatte seine Halse nach Südosten eben erst eingeleitet. Zu spät jedoch. Die Eisenkugeln rauschten im Schwarm heran. Zwei, drei Treffer schmetterten in das Vorschiff der „Le Vengeur III.“. Der Rest der Kugeln riß einen Fontänenwald aus dem Wasser.
Der Bugspriet von Jean Ribaults Galeone knickte weg wie ein zu dünner Kienspan, das Blindsegel klatschte als heller Fleck ins Wasser.
Triumphgebrüll ertönte auf dem Zweidecker, der sich jetzt anschickte, auch die „Wappen von Kolberg“ in den Visierbereich seiner Geschütze zu holen.
Aber eine zweite Überraschung ließen sich weder Arne von Manteuffel noch der Seewolf und die anderen bieten. Während Arne backbrassen ließ und im nächsten Moment fast auf der Stelle nach Osten halste, stürzte sich die „Isabella“ wie ein Löwe auf die „Caribian Queen.“
Der Schwarze Segler und die „Tortuga“ jagten unterdessen nach Südwesten, um die „Aguila“ abzufangen. Die Galeone der Meuterer segelte unter Vollzeug nach Westen, hart nach Backbord krängend und offenbar versucht, dem Gegner in den Rücken zu fallen, während die Black Queen Unheil und Verwirrung stiftete.
Dem Seewolf war klar, daß er sich allein auf die Black Queen konzentrieren mußte. Arnes Absicht war deutlich zu ahnen. Sobald er den Zweidecker nicht mehr im Genick hatte, würde er sich die „Buena Estrella“ vorknöpfen.
Auch Nils Larsen würde mit der „Le Vengeur III.“ in den Kampf eingreifen, wenn sie erst einmal alle Taue gekappt hatten und der Bugspriet nicht mehr längsseits hing.
Hasard hatte lediglich um zwei Strich nach Steuerbord abdrehen lassen. An den Backbordgeschützen standen die Männer auf dem Sprung. Big Old Shane und Batuti waren in die Marse aufgeentert, und auf der Back hatte Ferris Tucker seine Höllenflaschenabschußapparatur aufgebaut.
Einen Atemzug zu spät begriff die Black Queen ihren Fehler. Wenn sie geglaubt hatte, der „Wappen von Kolberg“ praktisch im Vorbeigehen eine Breitseite zu verpassen, so hatte sie die Arwenacks sträflich unterschätzt.
Das mußte sie jetzt erkennen, als sie die „Isabella“ plötzlich über den Bugspriet ihres düsteren Schiffes hinweg in voller Länge und in voller Gefährlichkeit erblickte.
„Feuer!“ brüllte der Seewolf.
Die Arwenacks zogen alle Register und ließen ihren wilden Kampfruf dröhnen, der im nächsten Moment im urgewaltigen Krachen der Fünfundzwanzigpfünder und Siebzehnpfünder unterging. Aus den Marsen feuerten Batuti und Shane mit ihren englischen Langbogen die ersten Brandpfeile ab. Ferris Tucker fieberte auf den Moment, in dem er die Queen in Reichweite hatte, um ihr den ersten höllischen Gruß hinüberzuschicken.
Während die „Isabella“ unter dem Rückstoß nach Steuerbord krängte und der dichte Pulverrauch aufstieg, folgte ein Geräusch, das den Arwenacks wie Musik in den Ohren klang.
Krachen, Bersten und Splittern von Holz!
Erneut hatten sie ihren Kampfruf auf den Lippen, als sie in fieberhafter Eile die Geschützrohre nachluden. Mit Todesverachtung gab der Seewolf Pete Ballie den Befehl, die „Isabella“ nach Süd-Ost zu schwenken, auf Parallelkurs zur „Caribian Queen“. Die schlanke Galeone reagierte prächtig, und die Segel klatschten und schlugen im Nord-Nord-Ost.
Im selben Moment gab der verfliegende Pulverrauch den Blick frei. Das Vorschiff des Zweideckers war ein Gewirr aus Splittern und zerborstenen Planken. Auf den Decks der „Caribian Queen“ herrschte Chaos.
In unablässiger Folge schlugen die Brandpfeile ein. Flammen fraßen sich bereits züngelnd im Focksegel hoch, überall an Deck hasteten die Kerle hin und her, um die immer neuen Brandherde zu löschen. Aber es waren auch genügend von ihnen zur Stelle, um die Backbordgeschütze einzusetzen.
Hasard wartete nicht, bis sich die „Isabella“ auf gleicher Höhe mit dem Zweidecker befand. Er gab Befehl, die drei vorderen Siebzehn-Pfünder zu zünden. Im selben Moment, in dem die Geschütze donnerten, schickte Ferris Tucker in rascher Folge seine ersten beiden Höllenflaschen hinüber.
Die Einschläge sorgten für einen wahren Hexenkessel an Bord der „Caribian Queen“. Einer der Siebzehnpfünder riß ein faßgroßes Loch in die Bugbeplankung, haargenau in der Wasserlinie. Und die Detonationen der Höllenflaschen sorgten an Deck für heilloses Durcheinander. Verwundete brüllten ihren Schmerz hinaus.
Das Befehlsgebrüll Caligulas und der Queen verebbte wirkungslos. Immer noch zischten die Brandpfeile hinüber. Das Focksegel brannte lichterloh, die Flammen näherten sich dem Marssegel, und auf der Kuhl leckten Flammen am Großmast.
Im Moment, in dem die „Isabella“ nach Süden abfiel, ließ Hasard die restlichen Geschütze an Backbord abfeuern. Sekunden später stießen Feuerzungen aus den Stückpforten des Zweideckers. Im selben Moment krachten die Einschläge in die Beplankung der „Caribian Queen“. Zwei Fünfundzwanzig-Pfünder rasten in die Wasserlinie, als der Zweidecker unter dem Rückstoß seiner eigenen Geschütze nach Steuerbord krängte.
Die „Isabella“ war schon fast aus dem Gefahrenbereich heraus. Doch die Geschwindigkeit der Queen-Geschütze war ohnehin nicht mehr gegeben. Wirkungslos orgelte der Geschoßschwarm an Backbord vorbei und klatschte weiter voraus ins Wasser.
Geschützdonner wurde jetzt aus südwestlicher Richtung laut. Dort hatten der Schwarze Segler und die „Tortuga“ die Galeone der Meuterer in die Zange genommen. Und vor der Nordwestküste der Insel stürzten sich die „Wappen von Kolberg“ und die „Le Vengeur III.“ auf die schon lädierte „Buena Estrella“.
Diesmal kannten die Gefährten des Seewolfs keine Gnade mehr. Der Kampf mußte endgültig entschieden werden. Jetzt und auf der Stelle.
10.
Noch waren die beiden heranjagenden Pinassen von der Hafenbucht aus nicht zu sehen. Eine Landzunge verwehrte die Sicht. Siri-Tong und Jean Ribault konnten es sich leisten, einen letzten Blick zurückzuwerfen.
Es gab Grund zur Hoffnung, wenn auch ein Aufatmen vielleicht noch verfrüht war.
Unter Rauchschwaden und bereits mit erkennbarer Schlagseite nach Backbord drehte die „Caribian Queen“ ihren Bug durch den Wind und versuchte, nach Nordosten Distanz zu gewinnen.
Für die „Aguila“ sah es ebenso schlecht aus wie für die zweite Galeone spanischer Bauart. Jerry Reeves und der Wikinger hatten die Galeone der Meuterer in die Zange genommen. Die Geschütze brüllten ihr ehernes Lied, und Treffer um Treffer krachte in die Beplankung der „Aguila“.
Für Carlos Rivero mußte es ein schmerzlicher Anblick sein. Aber es durfte keine Nachsicht geben.
Nicht viel besser sah es für die „Buena Estrella“ aus. Die „Le Vengeur III.“ hatte sich von ihrer Anfangsschlappe erholt und Nils Larsen zeigte jetzt, daß er einiges auszugleichen gedachte. Während die „Wappen von Kolberg“ ihre Breitseiten auf den Gegner hämmern ließ, bewies Nils, daß die „Le Vengeur III.“ auch ohne Bugspriet und Blinde ein ungeheuer wendiges Schiff war. Jedenfalls kein erreichbares Ziel für die „Buena Estrella“, die dagegen eher plump wirkte und gegen die Feuerkraft der Übermacht hoffnungslos ins Hintertreffen geriet.
Batuti und Big Old Shane schossen noch immer ihre Brandpfeile ab. Die Black Queen, Caligula und ihre Galgenstricke mußten höllisch aufpassen, daß nicht ihr ganzes Schiff in Flammen aufging. Die „Isabella“ leitete unterdessen eine Halse ein.
Bei diesem Stand der Dinge näherten sich die beiden Pinassen der Einfahrt zur Bucht.
Noch war es nicht hell geworden. Der trübe Schleier der Morgendämmerung hing wie zähflüssig über der Küstenlandschaft.
Siri-Tong und Jean Ribault verständigten sich durch ein Handzeichen. Ohne zu zögern, warfen sie die glimmenden Lunten auf die von Al Conroy vorbereitete Zündeinrichtung. Zischend und prasselnd fraßen sich die Funken in einer Schwarzpulverspur voran, die durch Bretter vor überkommenden Seen geschützt war und beide Holzstapel miteinander verband.
Die Bucht öffnete sich vor ihnen.
Breit und behäbig lag die „Vascongadas“ etwa in der Mitte der Bucht. Die geöffneten Stückpforten waren zu sehen, über der Verschanzung zeigten sich die Gesichter der Crew als helle Flecken im Grau des beginnenden Tages.
Das Schwarzpulver sprühte höhere Funken.
Ein letztes Mal korrigierten Siri-Tong und Jean Ribault die Stellung des Segels und des Ruders. Beides wurde durch straffe Taue unverrückbar arretiert. Über Steuerbordbug rauschten die Pinassen mit einem Abstand von etwa zwanzig Yards zueinander auf die Backbordseite der „Vascongadas“ zu.
Die Gesichter über der Verschanzung gerieten in Bewegung. Aufgeregte Stimmen wurden laut, heiseres Gebrüll und warnende Schreie.
Stichflammen zuckten jäh aus den Holzstapeln der Brander. Rasend schnell griffen die Flammen um sich, genährt von den Schalen mit Lampenöl, in die Al Conroy die Schwarzpulverspuren hatte münden lassen. In dem trockenen Holz fanden die Flammen rasche Nahrung, loderten immer höher und ließen schwarze Rauchfahnen aufsteigen.
Noch erfüllten die Lateinersegel ihren Zweck. Bevor sie vom Feuer erfaßt wurden, würden die Brander ihr Ziel erreichen.
Zweihundert Yards von der „Vascongadas“ entfernt sprangen Siri-Tong und Jean Ribault über Bord. Die kühlen Fluten nahmen sie schützend auf, und als sie den Kopf über Wasser hoben, war das Geschrei auf der Galeone zu einem gellenden Durcheinander angeschwollen.
Verzweifelt versuchten ein paar Männer, mit Drehbassenschüssen noch etwas zu ändern. Aber es half nichts. Das Krachen der schwenkbaren Hinterlader klang dünn und erbärmlich. Die Ladungen aus gehacktem Blei vermochten die Brander nicht mehr aus dem Kurs zu bringen.
Die Rote Korsarin und ihr Gefährte strebten mit kraftvollen Schwimmzügen auf die nördliche Landzunge zu.
Den Männern auf der „Vascongadas“ gelang es noch, eins der Beiboote abzufieren. Weitere Besatzungsmitglieder sprangen bereits über Bord. Auch jene, die noch immer die Drehbassen abfeuerten, wurden jetzt von Verzweiflung gepackt.