Seewölfe Paket 19

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Nazario grinste dem Mädchen zu.
„Na, wie ist es, trinken wir zusammen einen Becher Wein?“ fragte er.
„Ich mag keinen Wein, und ich muß gleich wieder weg“, sagte sie.
„Hast du gesehen, wie diese Black Queen mit den Kerlen aufgeräumt hat?“
„Ja“, erwiderte sie. „Toll war das. Ich bewundere sie.“
„Möchtest du lieber einen Rum?“
„Keinen Rum. Ich gehe.“ Sie wandte sich ab und schritt lautlos davon. Nazario blickte auf ihre Hüften und auf ihre Beine, wollte sich erheben, um ihr zu folgen, wurde aber von dem Bretonen zurückgehalten.
„Laß das, Joao“, zischte er. „Willst du Ärger?“
„Sie ist genau mein Fall“, sagte der Portugiese. „Irgendwann kriege ich sie, und es ist mir egal, ob Amintore und die alte Vettel es erfahren oder nicht.“
„Das solltest du dir reiflich überlegen“, sagte Sarraux. „Aber hör gut zu, ich habe eine Idee.“
„Heraus damit“, sagte sein Freund. „Willst du das Schiff der Black Queen entern und ausmisten? Laß die Finger davon, die Sache ist zu heiß. Sie hat trotz allem zu viele Leute an Bord.“
Sarraux hatte sich über den Tisch zu ihm vorgebeugt. „Ich meine etwas ganz anderes. Wir gehen dabei nicht das geringste Risiko ein. Es ist immer wichtig, die Ohren offenzuhalten und eine Situation gewinnbringend auszunutzen, das weißt du.“
„Ja. Aber auf was willst du hinaus?“
„Diese Queen haßt den Seewolf.“
„Sie will ihn töten“, sagte Nazario. „Aber ich spiele nicht den Handlanger für sie. Schlag dir das aus dem Kopf.“
„Laß mich doch erst mal ausreden“, raunte der Bretone. „Daß der Seewolf ein höllisch gefährlicher Gegner ist, weiß ich selbst. Ich habe auch nicht im Sinn, ihn meuchlings zu ermorden oder so. Ich zähle nur zwei und zwei zusammen. Die Queen hat gesagt, daß der Seewolf noch auf Tortuga sei, und sie ist für jeden Hinweis über seine nächsten Züge dankbar. Außerdem hat sie Silbermünzen.“
Nazario grinste jetzt. „Aber sie kann keinen ihrer Kerle nach Tortuga schicken, denn deren Visagen sind dort bekannt. Ist es das, was du meinst?“
„Richtig, genau das. Wir aber sind noch nie auf Tortuga gewesen. Man kennt uns dort nicht.“
„Und wir könnten die Lage ein bißchen auskundschaften“, sagte Nazario. „Es dürfte uns nicht schwerfallen, Wissenswertes für die Queen zu erfahren. Darauf trinken wir noch einen, Gilbert. Und anschließend sprechen wir mit der Queen.“
„Aber erst, wenn sich die anderen verzogen haben“, sagte der Bretone. Keiner sollte auf eine ähnliche Idee verfallen, denn außer dem Portugiesen duldete er keine Partner, mit denen es zu teilen galt.
So warteten sie ab, bis es Larsky und dessen Gefolgschaft einfiel, im trunkenen Zustand mit den wenigen Mädchen anzubändeln, die vor der Kneipe im Sonnenlicht auf und ab spazierten und die Wärme genossen. Bei der Queen konnte keiner von ihnen landen, weder auf die rauhe noch auf die freundliche Art, das hatten sie inzwischen eingesehen. Folglich verschafften sie sich ihr Vergnügen auf die übliche, problemlose Weise.
Gilbert Sarraux und Joao Nazario traten an den Tisch der Black Queen.
Caligula blickte lauernd auf und fragte: „Was ist? Habt ihr auch Schiffszwieback und Hartwurst zu verkaufen? Oder wollt ihr eure Pulvervorräte loswerden?“
„Weder das eine noch das andere“, erwiderte Sarraux. „Aber was wir anbieten, ist gegen gute, harte Silbermünzen zu haben. Am liebsten nehmen wir Piaster an.“
Die Queen sah sie eher mitleidig an. „Kannst du dich nicht deutlicher ausdrücken? Wer bist du überhaupt? Ein Franzose? Bei Franzosen weiß man nie, ob sie die Wahrheit sprechen.“
„Das stimmt“, entgegnete Sarraux zu ihrer Überraschung. „Aber ich bin Bretone, und das ist ein Unterschied. Mein Wort gilt, und ich löse meine Versprechen stets ein.“
„Bei mir ist es nicht anders“, fügte Joao Nazario hinzu. „Vielleicht hast du Verwendung für zwei harte Burschen wie Gilbert und mich. Wir könnten gewisse Kohlen für dich aus dem Feuer holen – gegen gute Bezahlung, wie schon gesagt.“
Die Queen wies auf zwei Stühle. „Nehmt Platz. Mir ist da etwas eingefallen.“
„Wir könnten nach Tortuga segeln“, sagte Sarraux.
„Du hast es genau erfaßt. Aber wichtig dabei ist, ob ihr zwei schon einmal dort gewesen seid. Kennt man euch dort?“
„Nein“, entgegnete der Bretone mit listigem Grinsen. „Und das ist auch der Grund, warum wir uns entschlossen haben, dich anzusprechen. Wir haben gehört, wie du über Tortuga und den Seewolf geredet hast – und wir fragen uns, ob es nicht doch einen Weg gibt, diesem Oberhurensohn das Handwerk zu legen.“
„Es gibt ihn“, sagte sie, und ihre Miene verhärtete sich. „Aber man muß einen Feind in allen Einzelheiten kennen, wenn man ihn besiegen will.“ Ihr Blick fixierte zuerst den Bretonen, dann den Portugiesen. „Nur eins ist mir noch nicht klar. Warum seid ihr so scharf darauf, die Machenschaften des Seewolfs auszuspionieren?“
„Weil wir dafür von dir bezahlt werden“, erwiderte Nazario prompt. Er ließ sich langsam auf einem der Stühle nieder, sein Freund folgte seinem Beispiel. „Wir handeln aus reinem Eigennutz“, fuhr Nazario fort. „Wir sind knapp bei Kasse und brauchen Geld. Vielleicht können wir uns von dem, was du uns gibst, ein Boot kaufen.“
„Eine eigene Pinasse“, sagte Sarraux. „Das war schon immer unser Traum. Bislang sind wir immer nur bei anderen mitgefahren, wenn es auf Beutezug ging. Das haben wir langsam satt.“
„Ich verstehe“, sagte die Queen. „Und ihr kriegt die Piaster von mir, aber nur, wenn ihr meinen Auftrag erfolgreich ausführt.“
„Wie lautet er denn?“ fragte Nazario. „Wir heften uns dem Seewolf an die Fersen. Das ist es doch, was du willst, oder?“
„Wir werden dich nicht enttäuschen“, versprach Sarraux. Die Augen der Black Queen wurden schmal. „Es gab auf Tortuga einen Mann namens Emile Boussac, den ich dummerweise aus El Triunfo gerettet hatte. Er betrieb Erkundungsarbeit hinter den feindlichen Linien, Spionage sozusagen. Aber er trieb ein doppeltes Spiel – und dafür mußte er mit dem Leben bezahlen.“
Sarraux und Nazario tauschten einen Blick. Sie brauchten nicht danach zu fragen, wer diesen Boussac getötet hatte. Es gehörte kein Scharfsinn dazu, es zu erraten. Außerdem verriet die Miene, mit der Caligula die Queen ansah, auch einiges.
„Wir suchen uns unsere Partner gut aus“, sagte Sarraux, der jetzt ebenfalls ernst geworden war. „Und wir arbeiten immer nur mit einem Verbündeten zusammen. Eine Kriegslist ist richtig – aber kein Verrat. Wir kapieren, wovor du uns warnen willst, aber du brauchst keine Sorge zu haben. Wir eifern diesem Boussac nicht nach.“
Wieder taxierte die Queen die beiden Männer, dann sagte sie: „Ihr werdet lachen – ich glaube euch. Also schön, dann hört jetzt zu, welchen Auftrag ich für euch habe. Ihr braucht dazu einen Einmaster, aber den können wir hier in Punta Gorda leicht auftreiben, denke ich.“
„Wir könnten die Pinasse von Dodger ausleihen“, sagte Sarraux. „Er benutzt sie sowieso nie und hockt nur immer in seinem Baumhaus.“
„Ist die Pinasse seetüchtig?“ fragte die Queen.
„Sie braucht nur ein bißchen kalfatert und gepönt zu werden“, entgegnete Nazario. „In einem halben Tag schaffen wir das.“
„In Ordnung.“ Die Queen beugte sich vor und begann, ihnen ihr Vorhaben auseinanderzusetzen. Bald waren Sarraux und Nazario sich einig: Was sie auf Tortuga zu erledigen hatten, waren „kleine Fische“, sie würden kaum Schwierigkeiten dabei haben. Der Lohn war hoch: zwanzig Achterstücke, echte Goldmünzen aus Spanien, wenn alles klappte. Sie durften aber mit niemandem darüber sprechen, der Auftrag war geheim. Sarraux und Nazario legten einen Eid darauf ab. Sie setzten Verschwörermienen auf und sprachen die letzten Einzelheiten mit der Black Queen durch.
4.
Tage später lief die einmastige Pinasse mit Gilbert Sarraux und Joao Nazario an Bord in die Hafenbucht von Tortuga ein. Dodger, der merkwürdige Kauz, hatte das „Prachtschiff“, wie er es nannte, allerdings nicht ganz unentgeltlich herausgerückt. Zwei Silberlinge hatte er dafür von dem Bretonen und dem Portugiesen verlangt, und sie hatten sie zahlen müssen.
Auf seine neugierigen Fragen hin hatten sie ihm vorgeschwindelt, daß sie „mal ein wenig in der Mona-Passage herumschnuppern“ wollten, um eventuell einen kleineren Handelsfahrer aufzubringen. Er hatte es ihnen abgenommen. Sonst ahnte in Punta Gorda niemand außer der Queen, was sie wirklich vorhatten. Zur Täuschung waren sie sogar zunächst auf östlichen Kurs gegangen und hatten erst später auf offener See und in ausreichender Entfernung vor dem frisch aus Osten einfallenden Wind Kurs auf Tortuga genommen.
Frech und gottesfürchtig, mit unbekümmerten Mienen, legten die beiden also an einer freien Pier an. Hein Ropers, der an Bord der „Wappen von Kolberg“ gerade die Aufsicht über die Ankerwache führte, beobachtete die Pinasse und ihre Insassen, schöpfte aber keinen Verdacht und sah keinen Grund, Arne von Manteuffel und Oliver O’Brien zu verständigen.
Sie befanden sich an Land und knüpften neue Kontakte – mit allen Leuten auf Tortuga, die sie noch nicht kannten. Diego unterstützte sie als Kontaktmann, und auch Willem Tomdijk und Carlos Rivero trugen ihren Teil zur Aufnahme neuer Verbindungen bei. Tortuga war für den Seewolf gewissermaßen ein Brückenkopf, und Arne wallte über alles unterrichtet sein, was hier geschah. Sicherlich hatte aber auch er die Landung der Pinasse verfolgt.
Jeden Tag trafen kleinere Einmaster auf Tortuga ein. Die Besatzungen gingen an Land, boten Waren feil oder kauften Schiffsausrüstung ein, besorgten Proviant, Waffen oder Trinkwasser. Die meisten blieben nur ein oder zwei Tage, dann liefen sie – nach einem Umtrunk der Crew in der „Schildkröte“ – wieder aus.
Diese Pinassen und Schaluppen boten keinen Anlaß zur Besorgnis. Das Leben verlief in den üblichen, gewohnten Bahnen. Solange keine Galeone, Karacke oder Karavelle auftauchte oder gar ein Verband von Schiffen, schien keine Gefahr zu drohen, weder von der Black Queen noch von irgendwelchen anderen Schnapphähnen oder von seiten der Spanier.
Sarraux und Nazario betraten die „Schildkröte“, die ein gleichsam magischer Anziehungspunkt zu sein schien wie „El Escarabajo“ in Punta Gorda. Hafenkneipen waren Orte, in denen viele Fäden zusammenliefen, es wurde erzählt und gestritten, gemunkelt und gesponnen. Jeder Wirt wußte mehr über die Vergangenheit seiner Gäste als deren eigene Mütter. Wenn es etwas aufzuschnappen gab, dann waren der Bretone und der Portugiese hier am richtigen Platz.
Arne von Manteuffel, O’Brien, Willem und Carlos hockten in einer Nische und lauschten den Berichten eines in Ehren ergrauten Seemanns, der am Vortag mit einer Schaluppe eingetroffen war. Der Mann stammte aus Northumbria nahe der Grenze von Schottland und hatte auf verschiedenen Schiffen nahezu die ganze Welt bereist. Was er vortrug, war interessant, aber es hatte nichts mit den Ereignissen in der Karibik zu tun. Im Grunde war er nur froh, jemanden gefunden zu haben, der ihm zuhörte.
Arne hörte nur mit halben Ohr zu und musterte die beiden Männer, die zur Theke schritten und bei Diego Wein bestellten. Hatte er sie schon einmal irgendwo gesehen? Nein, er kannte sie nicht. Vorerst erregten sie nicht seinen Argwohn. Später würde sich herausstellen, wer sie waren und was sie hier suchten. Diego würde es ihm, Arne, schon sagen.
Diego war bereits dabei, mit den beiden Männern ein Gespräch anzuknüpfen, von dem Arne, O’Brien, Willem, Carlos und der Seemann allerdings nur ein undeutliches Gemurmel verstanden.
Diego unterzog die Thekenplatte einer symbolischen Reinigung und schielte dabei zu Sarraux und Nazario, die ihre Becher fast auf einen Zug leerten. Als er nachschenkte, fragte Diego mit scheinheiligem Grinsen: „Ihr seid wohl nicht von hier, was? Ich habe euch noch nie gesehen. Kommt ihr aus der Alten Welt?“
„Das ja“, entgegnete Joao Nazario. „Aber wir waren seit einer Ewigkeit nicht mehr dort. Ich glaube, es ist schon fünfzehn Jahre her, daß ich meine Heimat nicht mehr gesehen habe.“
„Du bist – Spanier?“ fragte Diego.
„Portugiese. Joao Nazario ist mein Name.“
„Nie gehört. Freut mich aber, dich kennenzulernen.“ Diego wischte sich mit der Hand über die Wange. „Also schön, ich gebe einen aus für euch beide. Ihr scheint ordentliche Kerle zu sein. Außerdem ist das bei Neulingen so üblich in der ‚Schildkröte‘.“ Er füllte wieder die Becher und trank selbst mit. „Zum Wohl. Wollt ihr vielleicht ein Fäßchen Wein kaufen?“
„Darüber ließe sich reden“, sagte der Bretone und lachte. „Aber du hast uns deinen Namen noch nicht verraten.“
„Diego.“
„Ich bin Gilbert Sarraux“, sagte der Bretone. „Wir sind mit der Pinasse eingetroffen, die draußen an der Pier liegt. Zu dir können wir wohl ehrlich sein. Wir sind hier, um was zu erleben.“
„Bei mir seid ihr an der richtigen Adresse“, sagte Diego. „Bei mir könnt ihr euer Herz ausschütten, ich bin darauf eingestellt, daß man bei mir Seelenkummer und jede Menge Schrott ablädt. Wo drückt denn der Schuh?“
„Wir kommen von Hispaniola“, erklärte Nazario. „Wir führen da ein ziemlich einsames Leben als Ackerbauern. Die letzte Zuckerrohrernte hat uns ganz hübsch was eingebracht, darum sind wir mal rübergesegelt nach Tortuga, weil wir gehört haben, hier könne man die Mäuse auf dem Tisch tanzen lassen.“
Diego kicherte und rieb sich die Hände. Er kehrte ganz den Geschäftsmann hervor, aber er verstand es auch, seine Gäste auszuhorchen. Nichts konnte seiner Aufmerksamkeit entgehen.
„Wer hat euch denn erzählt, daß auf Tortuga was los sei?“ fragte er wie beiläufig.
„Ein Kerl namens Larsky“, erwiderte Nazario aufs Geratewohl.
„Den kenne ich auch nicht, aber das spielt keine Rolle. Ihr wollt euch hier also den Wind des aufregenden Nachtlebens um die Ohren wehen lassen?“
„Richtig“, erwiderte Sarraux. „Du hast es genau erfaßt. Wo wir hausen, gibt es leider keinen einzigen Weiberrock.“
Nazario hatte bereits die Mädchen entdeckt, die in den Nischen hockten.
„Hier scheint das anders zu sein“, sagte er und deutete mit einer Kopfbewegung zu den Mädchen. „Sind das deine Frauen?“
„Sie gehören mir nicht, aber sie fressen mir aus der Hand“, erwiderte Diego. „Das sind ganz allerliebste Täubchen, meine Freunde, sie stammen aus Paris und lassen jedes Männerherz höher schlagen. Ich meine, wenn ihr solche Absichten habt, läßt sich bestimmt etwas arrangieren.“ Ein gerissener Kuppler war er schon immer gewesen und fühlte sich ganz in seinem Element.
„Das hängt ganz von der Bezahlung ab“, sagte Nazario.
„Ihr werdet mit den Ladys bestimmt einig“, sagte Diego. „Wartet nur ab, der Tag ist noch lang – und die Nacht noch länger.“
„Stimmt“, sagte Sarraux. „Ich fühle mich hier durchaus wohl.“
Wenig später ließ er sich mit seinem Kumpan an einem freien Tisch nieder. Noch wagten sie nicht, offen nach dem Seewolf zu fragen, es erschien ihnen zu gefährlich. Aber schon bald erkannten sie, daß sich der Todfeind der Black Queen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr auf Tortuga aufhielt. Die Galeone, die in der Bucht ankerte, entsprach nicht den Beschreibungen, die die Queen von der „Isabella IX.“ gegeben hatte.
Es konnte sich um die „Wappen von Kolberg“ handeln, deren Aussehen die Piratin ebenfalls in allen Einzelheiten beschrieben hatte. Und wo waren die „Tortuga“, der Schwarze Segler und die „Le Vengeur III.“, von denen sie berichtet hatte? Der Großteil des Verbandes von Philip Hasard Killigrew schien bereits ausgelaufen zu sein.
Somit war die Fahrt von Hispaniola nach Tortuga für Sarraux und Nazario eine Enttäuschung. Doch sie hatten ihre klare Anweisungen. Sie sollten nicht wieder aufbrechen und unverrichteter Dinge abziehen. Sie blieben und versuchten, beispielsweise etwas über die Männer herauszufinden, die an einem Tisch bei dem grauhaarigen Seemann saßen und sich offenbar angeregt mit ihm unterhielten. Der Mann, der dem Seewolf so auffallend ähnlich sah – war das nicht Arne von Manteuffel?
„Er ist der Vetter des Seewolfs“, murmelte Nazario. „Die Queen hat ihn doch auch beschrieben.“
„Dann werden wir ihm und seinen Leuten von jetzt an im Nacken sitzen wie die Zecke am Hintern einer Seekuh“, sagte Sarraux gedämpft. „Mal sehen, was dabei für uns herausspringt.“
„Zwanzig Piaster, vergiß es nicht.“
„Ich denke die ganze Zeit daran“, brummte der Bretone. „Und wir verholen uns erst dann wieder, wenn wir uns den Zaster redlich verdient haben, darauf kannst du Gift nehmen.“
Asiaga stand wie verloren am weißen Sandstrand, ihr Blick war in die Ferne gerichtet. Der Wind umfächelte ihr hübsches Gesicht, ihre Gestalt und spielte mit dem Saum ihres Kleides. Lächelnd trat Tamao zu ihr und griff nach ihrer Hand.
„Ich habe dich schon überall gesucht“, sagte er sanft. „Auch die anderen fragen nach dir. Hältst du wieder nach Schiffen Ausschau?“
„Ja“, erwiderte sie und wandte ihm ihr Gesicht zu. „Sie werden kommen. Shawano hat es vorausgesagt, und er täuscht sich selten.“
„Aber auch er kann nicht hinter die Kimm blicken. Das kann nur ein Jonas, sagt Marcos, aber keiner weiß wirklich, was ein Jonas ist.“
Sie mußte lachen. „Dieser Marcos mit seinen Geschichten! Glaubst du denn alles, was er erzählt?“
„Nicht alles. Aber es ist auch nicht immer reines Seemannsgarn, was er so von sich gibt. Er glaubt nicht, daß wir Besuch kriegen. Von wem denn auch?“
„Von Hasard“, entgegnete sie etwas störrisch. „Wir werden ja sehen, wer recht behält. Wenn du willst, kannst du darüber eine Wette mit mir abschließen.“
„Ein Timucua wettet nicht“, sagte Tamao. Seine Miene war jetzt beinah entsetzt. „Das weißt du doch. Ich lasse von unserer Tradition nicht ab und werde nie wie ein weißer Mann denken, sprechen und handeln.“
Sie war darauf aus, ihn zu necken. „So? Den Eindruck habe ich aber nicht. Dauernd hockst du mit unseren vier Spaniern zusammen. Mich hast du schon vergessen.“
„Das stimmt nicht!“ rief er. „Sag so was nie wieder!“
Sie ließ seine Hand los und lief vor ihm weg. Er hörte ihr silberhelles Lachen, begriff und eilte ihr nach. Kurz vor den mächtigen Stämmen der Palmen holte er sie ein, griff nach ihren Hüften und warf sie zu Boden. Sie überrollten sich auf dem weißen Sand, blieben nebeneinander liegen und küßten sich innig.
„Ich liebe dich“, sagte er. „Ich werde nie aufhören, dich zu lieben, und eines Tages werden wir eine Familie sein.“
„Das hoffe auch ich“, sagte sie. „Coral Island ist ein treibendes Floß in einem Meer, das keine Feindschaft, keinen Krieg und keine Krankheit kennt. Ich bin glücklich mit dir, Tamao, und es gibt keinen besseren Vater für meine Kinder als dich.“
Nun begannen sie, Zukunftspläne zu schmieden – wie viele Kinder sie haben wollten, wie viele davon Söhne und Töchter. Asiaga zeichnete mit einem Zweig Linien in den Sand, und es entstand die Hütte ihrer Träume, das Haus, das Tamao für sie bauen würde.
Sie erhoben sich, küßten sich wieder und strebten eng umschlungen dem grünen Vorhang des Inseldschungels entgegen. Fast hatten sie das Buschwerk erreicht, da ertönte ein heller, scharfer Pfiff, der über ganz Coral Island schallte. Tamao und Asiaga blieben stehen und fuhren herum.
Rafael, der als Ausguckposten den höchsten Felsen der Insel erstiegen hatte, hatte den Pfiff ausgestoßen.
„Schiffe!“ schrie er. „Im Südwesten!“
Die beiden jungen Indianer konnten den Spanier nicht sehen, aber sie verstanden seine Worte deutlich genug. Rasch kehrten sie zum Strand zurück, und Tamao kletterte den Stamm der höchsten Palme hinauf. Er richtete seinen Blick in die von Rafael genannte Richtung und schirmte die Augen mit der einen Hand gegen die Sonnenstrahlen ab.
Am frühen Morgen war es sehr dunstig gewesen, doch inzwischen war das Wetter so sichtig, daß Tamao mit dem bloßen Auge die Schiffe erkennen konnte, die sich Coral Island näherten. Galeonen – sie segelten in Dwarslinie! Von den drei letzten waren vorerst nur die Masten zu sehen, das Führungsschiff aber hob sich klar mit den Aufbauten über die Kimm hinaus.
„Es ist die ‚Isabella‘!“ rief Tamao. „Shawano hatte recht! Unsere weißen Freunde besuchen uns!“
„Arwenack!“ brüllte nun auch Rafael. „Es sind die Seewölfe! Hurra!“
Die Kunde verbreitete sich unter den Bewohnern der Insel wie ein Lauffeuer. Shawano verließ seine Hütte, die Männer und Frauen seines Stammes umringten ihn, Kinder stießen helle, jauchzende Laute aus. Die Timucuas, die Spanier und alle anderen, die zu der kleinen, verschworenen Gemeinschaft auf Coral Island gehörten, begaben sich zum Südstrand, um die vier Schiffe in Augenschein zu nehmen.
Tamao saß nach wie vor in der Krone der Palme, und als die Gruppe eintraf, rief er gerade: „Hinter der ‚Isabella‘ segelt das schwarze Schiff! Und das dort, das ist die ‚Le Vengeur‘!“
Shawano blieb unter den Palmen stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und nickte Asiaga zu, die ihn voll Verehrung anlächelte.
Für sie war Shawano der größte aller Häuptlinge. Alle Vorzüge, die ein Stammesführer haben konnte, vereinten sich in seiner Person. Er war mutig, ehrlich und gerecht. Seine Aufopferung für die Timucuas kannte keine Grenzen, für jeden von ihnen tat er, was in seinen Kräften stand. Sein Handeln war stets uneigennützig, und nie ließ er es an der erforderlichen Umsicht mangeln. Er war der ideale Häuptling für die Siedler auf Coral Island, sie hätten sich keinen besseren Mann an ihrer Spitze wünschen können.
Das vierte Schiff, so stellte sich jetzt heraus, war die „Tortuga“. Unwillkürlich drängte sich den Beobachtern die Frage auf, wo denn die „Wappen von Kolberg“ sein mochte, aber natürlich sagten sie sich, daß sie mit größter Wahrscheinlichkeit auf der Schlangen-Insel zurückgeblieben war. Den Sachverhalt und derzeitigen Stand der Dinge sollten sie erst erfahren, als der Seewolf und seine Verbündeten landeten.
Tamao stieg von der Palme und schloß sich der Gruppe an, die winkend und lachend zur Bucht lief. Hoch am Wind segelten die vier Schiffe, ihr Vollzeug bauschte sich an den Rahen. Steile Bugwellen, von weißen Bärten gekrönt, schoben sie vor sich her, ihre Parade hatte etwas Majestätisches, Würdevolles.
Ein Begrüßungsböller ertönte von Bord der „Isabella IX.“ Der Seewolf hatte eine der achteren Drehbassen abfeuern lassen. Jetzt kannte der Jubel der sonst reservierten Timucuas keine Grenzen mehr. Sie lachten und schrien, tanzten und sangen und bereiteten den Besatzungen der Schiffe einen Empfang, der an Herzlichkeit nicht zu überbieten war.
Die „Isabella IX.“, die „Le Vengeur III.“, die „Tortuga“ und der Schwarze Segler liefen hintereinander durch die schmale Einfahrt in die Ankerbucht und gingen neben der „San Donato“ vor Anker. Dann wurden die Beiboote abgefiert, und die Crews pullten an Land.
5.
Nachdem der erste Begrüßungssturm abgeklungen war, fand der Seewolf ausreichend Gelegenheit, sich mit Shawano zu unterhalten und ihn über die Geschehnisse in El Triunfo, auf Gran Cayman und auf Tortuga zu unterrichten.
Schweigend lauschte der Häuptling dem Bericht. Als Hasard geendet hatte, sagte er: „Die Götter werden jeden strafen, der sich gegen euch wendet. Die Black Queen ist verflucht, ihre Schergen werden eines schrecklichen Todes sterben. Du, Hasard, kämpfst für eine gerechte Sache – Frieden in der Karibik. Eines Tages wird kein Kanonenschuß mehr fallen und kein Blut mehr fließen.“
„Ich hoffe, daß sich deine Vorausschau erfüllt“, sagte der Seewolf, obwohl er in diesem Punkt eher skeptisch war. „Aber laß uns jetzt über den Grund meines Hierseins sprechen. Ich will zurück zur Schlangen-Insel, hielt es aber für richtig, bei dir einen kurzen Zwischenaufenthalt einzulegen.“
Shawano lächelte. „Du willst wissen, wie es vorangeht, welche Arbeiten inzwischen durchgeführt worden sind. Überzeuge dich selbst davon, ob wir Fortschritte erzielt haben oder nicht.“
„Verstehe mich bitte nicht falsch“, sagte der Seewolf. „Ich bin weder euer Oberaufseher noch euer Ratgeber. Die Verwaltung von Coral Island obliegt dir und deinem Ältestenrat, Shawano. Ich will nur nachsehen, ob es euch an etwas mangelt. Wenn ihr Geräte braucht, besorge ich sie euch.“