Seewölfe Paket 19

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Die Black Queen ging zusammen mit Caligula, Jaime Cerrana, Willem Tomdijk und Emile Boussac an Land. Sie bemerkte sehr wohl die überstürzten Sicherheitsvorkehrungen, aber sie bedachte das Ganze nur mit einem zynischen Lächeln. Schließlich zeigte diese Verhaltensweise, daß man einen höllischen Respekt vor ihr hatte. Das konnte ihr bei all ihren Zukunftsplänen nur recht sein.
Vorsichtshalber hatte die schwarze Piratin nur einem Drittel aller Männer Landgang gewährt, damit die Gefechtsbereitschaft aller vier Schiffe gewährleistet blieb. Sie hatte auf Tortuga bereits ihre Erfahrungen gesammelt, und die Niederlagen, die ihr der Franzose Jean Ribault und der Wikinger mit seinem schwarzen Schiff bereitet hatten, wollte sie auf keinen Fall noch einmal erleben.
Ja, sie bot ein beeindruckendes Bild, die Black Queen, wie sie da im Gefolge übler Halunken und Halsabschneider auf die „Schildkröte“ zuhielt.
Normalerweise hätte das Gesindel, das sonst den Hafen bevölkerte, Stielaugen gekriegt und gierig mit der Zunge geschnalzt, wenn sich eine Frau wie die Black Queen gezeigt hätte – halbnackt, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, der von einem handbreiten Ledergürtel festgehalten wurde.
So aber hielt man sich zurück und ging dieser selbsternannten Königin mit dem geradezu athletischen Körperbau tunlichst aus dem Weg, denn sie war nicht nur mit weiblichen Reizen, goldenen Ohrringen und einer kostbaren, ineinander verschlungenen Halskette ausgestattet, sondern auch mit Waffen, die an ihren eigentlichen Charakter erinnerten. In ihrem Gürtel trug sie eine wertvolle doppelläufige Pistole und ein ungewöhnlich geformtes Entermesser.
Ihr Begleiter, Partner und Liebhaber namens Caligula, Sohn des berüchtigten Oberschnapphahns Caligu, der in der Windward-Passage sein Leben ausgehaucht hatte, war nicht weniger beeindruckend. Auch er war pechschwarz und von muskulöser Gestalt. Im Gürtel, der seine weiße Pumphose festhielt, trug er die gleichen Waffen wie die Black Queen, und was Skrupellosigkeit, Verschlagenheit, Brutalität und Intelligenz betraf, stand er ihr ebenfalls in nichts nach.
Caligula war es, der sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen verzog.
„Das Gelichter hier scheint uns aus dem Weg zu gehen“, bemerkte er. „Das sind gute Vorzeichen für die Zukunft, denn wir werden den Bewohnern von Tortuga künftig einigen Respekt abverlangen, nicht wahr?“
Die Queen lächelte.
„Laß die Köter nur kuschen, Caligula. Was sie bereits können, brauchen wir ihnen nicht beizubringen.“
Jaime Cerrana, der neue Anführer und Kapitän der Meuterer auf der „Aguila“, lachte dröhnend.
„Das ist ein wahres Wort, Queen“, sagte er. „Eines Tages wird die ganze Karibik vor uns kuschen, einschließlich der verdammten Kerle von der Schlangen-Insel.“
Das Gesicht der Queen wurde ernst und verbissen.
„Erinnere mich nicht an diese Bastarde, Jaime! Wenn ich nur an sie denke, könnte ich rasend werden. Das wird sich erst ändern, wenn mir diese Hunde winselnd aus der Hand fressen. Und das wird bald der Fall sein, das schwöre ich euch.“
Niemand sagte etwas darauf, selbst der geschwätzige Emile Boussac nicht. Sie wußten alle, was es für Folgen haben konnte, wenn die Black Queen innerlich kochte. Da genügte mitunter ein verkehrtes Wort oder ein schräger Blick, und sie riß ihr Entermesser aus dem Gürtel und stieß zu. Das aber wollte keiner riskieren, denn die Aussicht, halbtot oder tot über die berüchtigte Totenrutsche von Tortuga ins Wasser zu gleiten, wo eine Schar gefräßiger Haie ständig auf Nachschub lauerte, war alles andere als verlockend.
Bald war die Felsenkneipe „Zur Schildkröte“ erreicht. In der Grotte herrschte buchstäblich dicke Luft, es roch nach Bier, Wein, Rum und Schweiß. An den Tischen im Schankraum und in den zahlreichen Felsnischen verstummten sofort alle Gespräche, als die Black Queen mit ihrem Gefolge eintrat und sich mit prüfenden Blicken umsah. Es fiel den Zechern sehr wohl auf, daß sie dabei stets die Hand am Griff ihrer silberbeschlagenen Pistole hatte.
Lediglich Diego glaubte es dem Ruf seiner Kneipe schuldig zu sein – und wohl auch ein bißchen dem eigenen Hals –, die neuen „Gäste“ überschwenglich zu begrüßen. Er ahnte zwar instinktiv, daß es irgendwann Ärger geben würde, aber Geschäft war eben Geschäft.
„Welch eine Überraschung, dich in meiner bescheidenen Schenke zu sehen, Black Queen“, sagte er dienernd. „Wo möchtest du dich mit deinen Leuten niederlassen? Wenn euch der Trubel stört, lasse ich natürlich einige Trunkenbolde rauswerfen.“
Diego deutete eine leichte Verbeugung an, nicht ohne einen flüchtigen Blick auf die festen, nackten Brüste der Piratin zu werfen.
„Nicht nötig“, erwiderte die Queen. „Wenn mir eine Visage nicht paßt, werfe ich den dazugehörigen Kerl schon selber raus. Doch vielleicht hast du eine ruhige Ecke für uns, von der aus man die Grotte überblicken kann.“
„Natürlich!“
Diego eilte dienstbeflissen zu einer Felsennische, um einen hageren Kerl, der dort mit glasigem Blick hockte und wie hypnotisiert auf die halbnackte Black Queen starrte, zu verscheuchen.
„Verschwinde, Pedro!“ sagte er mit gedämpfter Stimme. „Dieser Platz wird gebraucht.“
Doch der hagere Mann, dem man den Schnapphahn auf den ersten Blick ansah, zeigte keine Anstalten, sich zu erheben. Seine gierigen Blicke hatten sich an der Negerin, die mit ihren Begleitern langsam auf die Nische zuging, festgesaugt.
„Du sollst verschwinden, Pedro!“ drängte Diego und packte den Hageren an der Schulter.
Doch der schüttelte die Hand des dicken Wirts ab.
„Ich – ich denke nicht daran!“ stieß er mit schwerer Zunge hervor. „We-wegen einer hergelaufenen Hafenhure stehe ich nicht auf. Bring mir noch einen Humpen Bier, Diego!“ Auf dem zernarbten Gesicht des Mannes erschien ein anzügliches Grinsen. Er schien nicht zu begreifen, mit wem er es zu tun hatte. Lallend fuhr er fort: „Die geht aber ran, he? Ist schon fast nackt. Teufel, was für ein Weib! We-wenn sie Platz braucht, soll sie sich doch zu mir setzen! Meine Knie sind noch frei.“
Diego erbleichte, und plötzlich war es in der Grotte so still, als befände man sich auf einem Friedhof.
Die Black Queen verhielt ihre Schritte, ihre pechschwarzen Augen funkelten böse.
„Du scheinst mich mit jemandem zu verwechseln, du Mistkerl“, sagte sie mit gefährlich leiser Stimme. „Deshalb wird es Zeit, daß du mich kennenlernst. Ich mag es nämlich nicht, wenn mich ein stinkender Ziegenbock als Hafenhure bezeichnet.“
Wie durch Zauberei lag plötzlich die doppelläufige Pistole in ihrer Hand. Ein Schuß krachte, und aus einem der beiden Läufe stach eine grelle Mündungsflamme hervor. Ohne noch einen Laut von sich zu geben, kippte der hagere Kerl von der Holzbank. Auf seiner Stirn klaffte ein Loch.
Die Queen drehte sich mit steinernem Gesicht um, immer noch die Pistole in der Hand haltend.
„Möchte noch jemand ein anzügliches Kompliment loswerden?“ fragte sie, und ihre Stimme klang unsagbar kalt und böse. „Ich habe noch eine Kugel im zweiten Lauf, und die Haie, die unter der Totenrutsche warten, vertragen bestimmt noch einen zweiten Happen.“
Es herrschte noch immer Totenstille. Niemand rührte sich. Selbst diejenigen, die nach ihren Humpen gegriffen hatten, führten sie nicht zum Mund.
Die Black Queen selber löste die allgemeine Verkrampfung.
„Laß den Toten wegschaffen, Diego“, sagte sie und schob die Pistole in den Gürtel zurück.
Noch während der Wirt dafür sorgte, daß die Schankknechte die Leiche hinaustrugen, ließ sich die schwarze Piratin, als sei nicht das geringste vorgefallen, mit Caligula, Willem Tomdijk, Jaime Cerrana und Emile Boussac in der „frei gewordenen“ Nische nieder.
„Bring uns Wein, Diego“, sagte Caligula, „aber den besten Tropfen, den du im Keller hast.“
Diego, der heftig schwitzte, eilte zum Schanktisch und griff sich einige der bereitstehenden Kruken. Einen Helfer beauftragte er damit, die Humpen zu tragen.
Inzwischen wanderten die Blicke der Queen und ihrer Begleiter durch die Grotte. Eine ganze Reihe von Zechern hatte es plötzlich eilig mit dem Verlassen der „Schildkröte“, viele aber wagten nicht einmal, sich von ihren Plätzen zu erheben.
Den dicken Diego störte es nicht, wenn zahlreiche Holzbänke frei wurden, denn er erwartete noch jede Menge Gäste von den vier Schiffen.
Nachdem die Humpen mit funkelndem Rotwein gefüllt waren, trank die Black Queen einen Schluck und stellte den Humpen auf den Tisch.
„Setz dich, Dicker“, erklärte sie. „Ich habe dir einiges zu sagen.“
Diego verspürte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Was hatte diese Aufforderung zu bedeuten? Was wollte die Black Queen von ihm? Hatte sie gar etwas an seinem Wein auszusetzen? Du lieber Himmel, er hatte wirklich den besten Tropfen aus dem Keller holen lassen!
Der dicke Wirt setzte sich.
„Was – was gibt es?“ fragte er. Er konnte seine Erregung kaum verbergen. Sein Blick wirkte unruhig, und auf seiner Stirn glänzten dicke Schweißtropfen.
„Du kennst doch eine Menge Leute“, begann die Piratin. „Und du hast einige Bedienstete, nicht wahr?“
„Ja-ja, natürlich“, erwiderte Diego und nickte eifrig. „Ich habe einige. Schankknechte – faule Kerle übrigens, denen man öfter mal in den Hintern treten muß.“
„Das ist deine Sache“, fuhr die Queen lächelnd fort. „Jedenfalls könntest du einige davon losschicken, damit sie eine Nachricht über die Insel verbreiten.“ Die Frau lächelte immer noch. Nach einer kurzen Pause, in der sie in langen Zügen von dem guten spanischen Rotwein trank, von dem niemand so recht wußte, wie Diego ihn beschaffte, fuhr sie fort: „Ich werde nämlich ab sofort die Herrschaft über Tortuga antreten, damit dem regierungslosen Zustand auf der Insel ein Ende bereitet wird. Ab sofort bestimme ich, was hier geschieht, ich bin sozusagen das Gesetz. Hast du mich verstanden, Diego?“
Der Wirt war bestürzt, aber er verstand es, diesen Zustand weitgehend zu verbergen.
„Ich – ich habe dich verstanden“, sagte er Hastig. „Du – du wirst die Königin von Tortuga …“
„Irrtum“, sagte die Schwarze. „Ich werde es nicht, ich bin es schon, damit das klar ist!“
„Ganz klar“, bestätigte Diego. „Ich werde dafür sorgen, daß jeder auf Tortuga es erfährt.“
„Das hoffe ich“, sagte die Queen, „denn du bist ab sofort mein Vertrauensmann auf dieser Insel. Deshalb hast du auch als erster von meiner Machtübernahme erfahren.“
„Oh, das ist mir eine Ehre“, beteuerte Diego, obwohl ihm fast speiübel wurde. Nachdem er sich wieder etwas in der Gewalt hatte, fragte er listig: „Da wird sich auf Tortuga wohl einiges verändern, wie?“
Jetzt lachte Caligula dröhnend.
„Und ob, Dickerchen! Hier wird sich eine ganze Menge verändern. Wem das nicht paßt, der kann die Insel ja über die Totenrutsche verlassen.“
Über Diegos Rücken kroch eine Gänsehaut. Er wußte nur zu gut, daß Caligula keine leeren Versprechungen von sich gab. Die Piraten hatten ja gerade erst gezeigt, daß sie nicht lange fackelten, wenn jemand nicht nach ihrer Pfeife tanzte. Der Wirt konnte nicht verhindern, daß er reichlich blaß um die Nase wurde, und er war froh darüber, daß im Schein der blakenden Öllampen, die über den Nischen und Gängen baumelten, sein Gesicht nicht allzu deutlich zu sehen war.
„Außerdem“, fuhr die Black Queen fort, „habe ich an Bord der drei Galeonen etwa dreihundert französische und englische Siedler. Sie werden sich jedoch nur vorübergehend auf Tortuga aufhalten. Die Insel soll nur eine Zwischenstation für sie sein.“
Das klang nicht schlecht für Diegos Geschäft, dennoch wünschte er die mordgierige Piratin samt ihrem Anhang zum Teufel. Er war sich darüber klar, daß während der bevorstehenden Schreckensherrschaft viel Blut fließen würde, denn Caligula hatte ganz bestimmt nicht gescherzt, als er auf die Totenrutsche verwiesen hatte – auf jene westlich des Hafens gelegene Steilklippe, in der sich eine glattgeschliffene, körperbreite Rille befand, die fast senkrecht zum Meer abfiel. Über diese Rille oder Rutsche trat man auf Tortuga seine letzte Reise an.
Diego wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wo, zum Teufel, steckte eigentlich der Seewolf? Und wo waren Ribault, der Wikinger und die Rote Korsarin? Wenn es überhaupt jemand schaffte, dem Treiben der Black Queen einen Riegel vorzuschieben, dann war das der Seewolf mit seinen Freunden. Doch sie alle schienen weit von Tortuga entfernt zu sein.
Der dicke Diego fühlte sich trotz der blühenden Geschäfte nicht mehr wohl in seiner Haut. Daß die Queen ihn zu ihrem Vertrauensmann ernannt hatte, paßte ihm überhaupt nicht, denn es bedeutete nichts anderes, als daß er Spitzeldienste leisten und der Piratin als „Mädchen für alles“ dienen sollte.
Aber was konnte er tun? Sich gegen die Black Queen und Caligula auflehnen? Nein, das wagte auch ein Schlitzohr wie Diego nicht.
Der funkelnde Rotwein schien der Black Queen und ihren Begleitern zu munden, wie Diego mit Erleichterung feststellte. Er mußte die Kruken und Humpen immer wieder neu auffüllen.
Bei Willem Tomdijk und Emile Boussac löste der edle Tropfen schon die Zungen. Die beiden Männer aus El Triunfo, die bisher schweigend und offensichtlich sehr interessiert die Kneipe gemustert hatten, tauten plötzlich auf.
„Der Wein ist wirklich sehr gut“, lobte Willem Tomdijk, der frühere Bürgermeister von El Triunfo. „Wird hier eigentlich auch Bier ausgeschenkt?“
„Natürlich, Señor“, erwiderte Diego, „aber nur in ganz geringem Umfang, denn es ist sehr schwierig, Bier einzukaufen. Deshalb nehmen die Leute eben das, was es gibt, nämlich Wein und Rum.“
Der füllige Niederländer mit dem rosigen Jungengesicht und dem blonden, widerborstigen Haar war über diese Auskunft begeistert.
„Also wird hier doch eine Brauerei gebraucht!“ rief er und strahlte die schwarze Piratin an. „Du hast mir nicht zuviel versprochen. Mit den bierlosen Zeiten auf Tortuga wird es bald vorbei sein. Einige Teile meiner Brauereiausrüstung habe ich ja – Gott sei’s gedankt – noch retten können. Wenn es mir gelingt, auch die noch fehlenden Teile zu beschaffen, dann wird Tortuga in kürzester Zeit zum Zentrum des karibischen Brauwesens ausgebaut. Ist das nichts?“
Die Queen lächelte gönnerhaft.
„Dann gibt es in der Karibik bald mehr Bier als Wasser, nicht wahr?“
„So ist es“, sagte Tomdijk. „Und es wird ein erstklassiges Bier sein, mindestens so gut und kräftig wie das, was ich in El Triunfo gebraut habe.“
Das Gesicht des Niederländers rötete sich vor Eifer. Er erweckte ganz den Eindruck, als wolle er sofort mit dem Bierbrauen beginnen. Die Braukunst hatte er daheim, in Leeuwarden, von der Pike auf gelernt. Als ihn die Abenteuerlust nach El Triunfo, eine französisch-englische Ansiedlung an der Golfküste von Honduras, verschlug, setzte er seine Kenntnisse in klingende Münze um.
Damals war für Willem Tomdijk von Vorteil, daß El Triunfo nur von Männern bewohnt wurde. Und so ein halbes Tausend durstiger Kehlen, die hatten ganz schön was weggeschluckt. Das Geschäft lief jedenfalls bestens – bis zu jenem schwarzen Tag, an dem die Spanier, denen die Siedlung längst ein Dorn im Auge gewesen war, mit einem Flottenverband von zwanzig Galeonen heransegelten und El Triunfo samt seiner beliebten Brauerei in Schutt und Asche legten. Dabei verloren rund zweihundert Siedler ihr Leben.
Die Black Queen, die schon vor dem Überfall angeboten hatte, die Engländer und Franzosen nach Tortuga und später nach Hispaniola umzusiedeln, um sie unter ihre Herrschaft zu bringen, hatte Willem Tomdijk den Aufbau einer neuen Brauerei versprochen. Schließlich mußte sie ihn wegen seines Einflusses auf die Siedler bei Laune halten, wenn ihre Zukunftspläne gelingen sollten.
Der dicke Diego allerdings konnte sich für die Pläne der Queen und ihrer Freunde absolut nicht begeistern. Er hörte den enthusiastischen Reden Tomdijks mit gemischten Gefühlen zu, denn das, was der Niederländer vorbrachte, roch gewaltig nach Konkurrenz. Darauf aber war Diego gar nicht scharf.
Trotzdem – wer garantierte ihm, daß diese Kerle nicht auch noch einige Kneipen eröffneten? In einer eigenen Kneipe konnten sie ihr Bier mit größerem Gewinn verkaufen als in der „Schildkröte“, wo der Wirt auch noch daran verdienen wollte. Diego zog beinahe ein essigsaures Gesicht bei diesem Gedanken.
Doch Tomdijks Pläne waren noch lange nicht alles, was an Veränderungen Tortuga zugedacht war. Da würde unter der Schirmherrschaft der Black Queen noch viel mehr „für das Wohl der Insel und ihrer Bewohner“ getan werden. Denn da war noch einer, der für sich einen geschäftlichen Aufschwung erwartete: Emile Boussac, ein kleiner, wieselflinker Franzose aus Rouen. Die Knopfaugen in seinem schmalen und spitzen Gesicht waren ständig in Bewegung und ließen ein hohes Maß an innerer Unruhe erkennen. Auch ihm spukten bereits eigene Pläne im Kopf herum.
Im früheren El Triunfo war Emile Boussac der Besitzer der Kneipe „La Mouche Espagnole“ gewesen. Aber die lag ebenso in Trümmer wie Tomdijks Bierbrauerei. Dabei hatte er sie um ein gewinnträchtiges Etablissement erweitern wollen. Der spanische Überfall jedoch hatte auch ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gezogen.
Während der Niederländer Zukunftspläne spann, huschten Boussacs Blicke flink hin und her.
„Die Brauerei wird ein Riesengeschäft, Willem“, sagte er. „Du kannst von hier aus alle Kneipen der Karibik mit erstklassigem Bier beliefern. Außerdem lernen auch die Bewohner Tortugas endlich dieses herrliche Gesöff kennen. Wo es aber was zu schlucken gibt, da lassen sich die Leute nieder und geben ihr Geld aus. Das ist genau die richtige Atmosphäre für meine Mädchen aus Paris.“
Jaime Cerrana, ein ziemlich ungehobelter Klotz, der Unmengen von Wein in sich hineinsoff, stieß einen leisen Pfiff aus und begann anzüglich zu grinsen.
Diego aber horchte auf.
„Mädchen aus Paris?“ fragte er verständnislos.
Emile Boussac lachte meckernd.
„O ja, Monsieur“, sagte er. „Ich erwarte ein Schiff mit fünfzig erstklassigen Straßenmädchen aus Paris.“
„Mit Huren also?“ fragte Diego verblüfft.
„Ganz recht, mein Lieber“, erwiderte Boussac. „Wie ich bereits beobachtet habe, gibt es auf Tortuga nur sehr wenige käufliche Mädchen. Die Voraussetzungen sind also günstig, zumal die Zuckerpüppchen in El Triunfo nicht gebraucht werden.“
Der Franzose zog noch jetzt ein wehleidiges Gesicht, wenn er an seine zertrümmerte Kneipe und das geplante Etablissement dachte. Außerdem fürchtete er ständig, das nach El Triunfo beorderte Schiff mit den Mädchen könne nicht eintreffen. Woher sollte der Kapitän wissen, daß er sich jetzt auf Tortuga befand?
Jaime Cerrana schien seine Gedanken zu erraten. „Hoffentlich findet der Transport aus Paris den Weg nach Tortuga. Die Trümmer in El Triunfo werden dem Kapitän zunächst einige Rätsel aufgeben.“
Boussac nickte bekümmert. „Ich nehme doch an, daß er sich etwas umsieht und die Süßen nicht gleich wieder mit nach Frankreich nimmt. Das wäre jammerschade.“
Caligula grinste. „Wie ich dich kenne, wirst du auch woanders ein paar Weiber für deine Geschäfte auftreiben.“
Dem dicken Diego summte der Kopf. Bierbrauerei, Etablissements, Weiber und vielleicht sogar neue Kneipen – was hatten diese Kerle denn noch mit Tortuga vor?
Viel Zeit zum Überlegen hatte er nicht. Die Kruken und Humpen mußten nachgefüllt werden, außerdem wurden einige Kerle losgeschickt, um die Nachricht von der Machtübernahme der Black Queen unter die Leute zu bringen. Dann galt es, einige Maultiere aufzutreiben, weil die neue „Herrscherin“ mit einem Trupp ihrer Leute eine erste Erkundung der Insel vornehmen wollte.
Als die Schnapphähne die Felsenkneipe endlich verlassen hatten, schlug Diego abermals das Kreuzzeichen. Dann schlurfte er mit schweren Schritten zu seinem Schanktisch und kippte erst einmal einen Becher Rum herunter.
2.
Brütende Hitze überlagerte auch die drei zwischen Kuba und Jamaica liegenden Cayman-Inseln. Die Sonne verwandelte die Atemluft in eine flirrende und wabernde Masse, die alles Leben auf den Eilanden nach Wasser und Abkühlung lechzen ließ.
Auf Gran Cayman, der größten der drei Inseln, wurde die unwirtliche Atmosphäre noch durch das zeitweilige Brodeln und Rumoren, das aus dem „Auge der Götter“ drang, verstärkt. Der Vulkan, der den Dschungel, die sanften Hügel und grasbewachsenen Ebenen weit überragte, gab der Insel ein besonderes Gepräge.
In der halbkreisförmigen Todesbucht von Gran Cayman schwojten drei Schiffe an ihren Ankertrossen. Den Männern, die sich mit nackten und braungebrannten Oberkörpern über die Decks bewegten, drang der Schweiß durch alle Poren.
Bei den Schiffen handelte es sich um „Eiliger Drache über den Wassern“ – den Schwarzen Segler des Wikingers –, um die „Le Vengeur“ Jean Ribaults und um die „Isabella IX.“, die unter dem Kommando Philip Hasard Killigrews, des Seewolfs, fuhr.
Die Besatzungen aller drei Segler hatten in den vergangenen Tagen hart geschuftet, um sämtliche Gefechtsschäden zu beheben. Und die waren zum Teil recht umfangreich gewesen.
Es hatte gewaltig gekracht in den korallen- und riffreichen Gewässern um Gran Cayman. Die Black Queen war mit ihrem gesamten Verband und den Siedlern aus Honduras, die den Überfall der Spanier überlebt hatten, vor der Todesbucht aufgetaucht, um vor der Fahrt nach Tortuga Frischwasser und Proviant an Bord zu nehmen.
Den Schiffen von der Schlangen-Insel war es zwar gelungen, diesen Plan zu vereiteln und die Black Queen zum Abzug zu veranlassen, aber eine vernichtende Niederlage hatte ihr niemand beibringen können. Im Gegenteil – der Seewolf, Jean Ribault und der Wikinger hatten einige harte Brocken einstecken müssen.
Noch jetzt klang allen das fürchterliche Fluchen Thorfin Njals in den Ohren, dessen Schwarzer Segler einen schweren Treffer am Ruder erhalten hatte und dadurch nahezu manövrierunfähig geworden war.
Der „Le Vengeur“ war es nicht viel besser ergangen. Ihr hatte man den Bugspriet und den Fockmast weggeschossen.
Im Vergleich dazu war die „Isabella“ noch relativ glimpflich davongekommen. Sie war trotz einer Reihe kleinerer Schäden immer noch voll einsatzbereit. Dennoch wäre eine Verfolgung der Piratenflotte für sie allein aussichtslos gewesen.
Der Seewolf hatte bereits erkannt, daß die Black Queen und Caligula sehr gefährliche Gegner waren. Wenn es dieser Piratin und ihrem Geliebten gelang, die Vorherrschaft über Tortuga und Hispaniola zu erlangen, würden sie bald die ganze Karibik kontrollieren. Das aber würde ungeahnte Folgen für die Schlangen-Insel und ihre Bewohner haben. Also blieb dem Bund der Korsaren, dem auch die Seewölfe angehörten, gar nichts anderes übrig, als dem ungeheuren Expansionsdrang der Black Queen Grenzen zu setzen. Bisher jedoch war es noch niemandem gelungen, diesem Teufelsweib das Handwerk zu legen.
Die Reparaturarbeiten waren zum größten Teil abgeschlossen. Jeder hatte in den vergangenen Tagen kräftig mit zugepackt. Ein Teil der Seewölfe hatte auf dem Schwarzen Segler und der „Le Vengeur“ mitgeholfen, so zum Beispiel Smoky, Luke Morgan, Sam Roskill, Bob Grey, Nils Larsen, Batuti und Gary Andrews.
Als man der „Le Vengeur“ einen neuen Bugspriet und einen neuen Fockmast verpaßte, war auch die Hilfe Will Thornes und Roger Brightons willkommen gewesen. Der eine war ein ausgezeichneter Segelmacher und der andere ein erstklassiger Takelmeister.
Am meisten hatte es ohne Zweifel für die Schiffszimmerleute zu tun gegeben. Noch jetzt dröhnten wuchtige Axthiebe und Hammerschläge durch die Todesbucht.
Ferris Tucker, der rothaarige Zimmermann der „Isabella“, war noch immer mit kleineren Arbeiten beschäftigt. Auf seinen Armen traten dicke Muskelpakete hervor, wenn er die Axt hob und mit dem stumpfen Teil zuschlug. Auf seinem nackten Oberkörper glänzte der Schweiß.
An Bewunderern fehlte es ihm dabei nicht.
Old Donegal Daniel O’Flynn, der alte Haudegen mit dem Holzbein und dem wettergegerbten Gesicht, hatte sich eine Muck Wasser geholt und schlürfte das kühle Naß genießerisch, als sei es bester Wein.
Schon eine Weile sah er dem Schiffszimmermann bei seiner Arbeit zu, und Philip und Hasard junior, die dreizehnjährigen Zwillingssöhne des Seewolfs, leisteten ihm dabei Gesellschaft. Nicht etwa, daß die beiden „Rübenschweinchen“, wie der Profos sie nannte, eine ruhige Kugel an Bord schieben würden, o nein, auch sie hatten bei den Reparaturarbeiten mit zugepackt, genauso wie der alte O’Flynn. Jetzt aber war die Hauptarbeit getan, und Ferris Tucker gab dem Ganzen gewissermaßen den letzten Schliff.