Seewölfe Paket 19

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Als die schwere Axt des rothaarigen Riesen abermals auf einen Holzkeil krachte, nickte Old Donegal anerkennend.
„Das Ding möchte ich nicht auf den Daumen kriegen“, sagte er.
Jung Philip pfiff leise durch die Zähne.
„Mister Tucker kann ganz schön ranklotzen“, meinte er. „Wo der hinhaut, da wächst kein Gras mehr.“
Old Donegal trank einen Schluck Wasser, dann schweifte sein Blick in die Ferne.
„Ja, damals auf der ‚Empress of Sea‘, da waren wir alle solche Kerle. Da hättet ihr mich mal erleben sollen. Selbst Ferris würde vor Neid erblassen. So ein richtiger Simson war ich da. Ja, ja, das waren noch Zeiten.“
„Was ist ein Simson, Mister O’Flynn, Sir?“ fragte Hasard junior.
Doch Old Donegal überhörte die Frage. Er hatte jetzt so einen richtig träumerischen Blick drauf.
„Damals“, so schwärmte er, „da brauchte ich in einer Kalme nur mal tief Luft zu holen, und die ‚Empress‘ jagte mit vollem Zeug durch die spiegelglatte See. Und wollte irgend so ein Kerl stänkern, da hat es genügt, wenn ich ihm die Faust zeigte. Die roch nämlich schon zehn Meilen gegen den Wind nach Friedhof.“ Der Alte grinste entrückt, dann schien er jedoch in die Wirklichkeit zurückzukehren. „Das alles heißt aber nicht, daß ich heute keinen Mumm mehr in den Knochen hätte“, fuhr er eilig fort. „Verfallt mir bloß nicht auf diesen Gedanken, ihr Hüpfer!“
Die Bengels stießen sich an und feixten. Natürlich übertrieb Old O’Flynn, der mütterlicherseits ihr Großvater war, wieder einmal gewaltig. Aber sie wußten nur zu gut, daß er noch immer ein rechter Haudegen war. Obwohl er nicht mehr zu den Jüngsten gehörte, war er noch voller Tatendrang und trug sich sogar mit dem Gedanken, auf der Schlangen-Insel eine eigene Kneipe zu eröffnen.
Hesekiel Ramsgate hatte außerdem bereits eine kleinere Ausgabe seiner heißgeliebten „Empress of Sea“ auf Kiel gelegt, damit er stets Nachschub für seine Kneipe heranschaffen konnte. Im übrigen war der Alte trotz seines Holzbeins erstaunlich beweglich, das zeigte sich bei jedem Gefecht und jedem Enterkampf.
Nein, ein beschaulicher Großvatertyp war er nicht. Er konnte vielmehr dreinschlagen, daß die Fetzen flogen. Zuweilen kriegten die Zwillinge das selber zu spüren, wenn sie ihm wieder einmal einen Streich gespielt hatten. Wenn man ihm da in die Hände fiel, konnte er einem kräftig den Hosenboden strammziehen.
„Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Mister O’Flynn, Sir“, sagte Jung Hasard, dem das Thema offensichtlich gefiel.
„Welche Frage?“
„Was ein Simson ist.“
„Ach so.“ Jetzt nickte der Alte. „Simson nennt man einen außergewöhnlich starken Mann.“
„So einen wie Mister Tucker?“
Old Donegal winkte ab. „Da ist schon ein Stärkerer damit gemeint. Gemäß den uralten Überlieferungen der Bibel war Simson ein Israelit, der sich besonders gut mit dem Großlord da oben im Himmel verstanden hat. Deshalb hat der ihn auch zum stärksten Mann geschaffen, der je gelebt hat. Dieser Simson hat einmal mit einem Eselskinnbacken tausend üble Burschen erschlagen. Philister hießen diese Schnapphähne, und der Großlord hat verdammt viel Ärger mit ihnen gehabt.“
Die „Rübenschweinchen“ staunten nicht wenig.
„Tausend Mann – mit einem Eselskinnbacken?“ Philip junior versuchte, sich dieses Massaker bildhaft vorzustellen.
„Genau“, fuhr Old Donegal fort. „Aber das war noch lange nicht alles. Ein anderes Mal hat Simson einen Löwen mit bloßen Händen mitten entzweigerissen, und zum Schluß hat er mal so eben die beiden Mittelsäulen eines riesigen Tempels umgestürzt, so daß das ganze Gebäude zusammenfiel und dreitausend von diesen Philistern erschlug. Er selber ist dabei auch ums Leben gekommen.“
Die Zwillinge waren hingerissen. Ihr Großvater konnte aber auch die wundersamsten Geschichten erzählen. Man mußte ihm nur immer erst die Zunge lösen, damit er loslegte.
„Ob Mister Tucker das auch könnte?“ fragte Jung Hasard. „Ich meine, mit einem Eselskinnbacken tausend Schnapphähnen was auf die Köpfe geben?“
Old Donegal kicherte. „Das schafft unser Holzwurm schon, wenn die tausend Kerle nicht alle gleichzeitig an Bord unserer Lady entern wollen. Da wir aber keine Eselskinnbacken in der Waffenkammer haben, müßte er dazu wohl seine Zimmermannsaxt benutzen.“
Die Jungen waren sichtlich beeindruckt.
Old O’Flynn aber war noch nicht am Ende.
„Dieser Simson“, so fuhr er fort, „war jedoch nicht nur außergewöhnlich stark, sondern auch sehr schlau. So fing er zum Beispiel in der Zeit, in der die Philister ihren Weizen ernten wollten, dreihundert Füchse und band ihnen brennende Fackeln an die Schwänze. Dann jagte er sie in die Felder und setzte alles in Brand.“
„Das ist stark!“ entfuhr es Philip junior. „Solche Füchse müßte man mal hinter der Black Queen herjagen, nicht wahr?“
„Geht nicht“, meinte der Alte. „Wo willst du hier dreihundert Füchse hernehmen? Außerdem läuft die Black Queen nicht in Weizenfeldern herum, sondern segelt mit ihrem finsteren Torfkahn nach Tortuga. Diesem Schnapphahn müssen wir schon weiterhin mit Pulverpfeilen, Höllenflaschen und Eisenkugeln einheizen. Irgendwann kriegen wir das Weibsstück auch am Rock zu packen, den es gar nicht anhat, darauf könnte ihr euch verlassen. Notfalls gehe ich selber an Land und besorge mir einen solchen Eselskinnbacken.“
Die Zwillinge fanden das zum Totlachen. Ferris Tucker, der den größten Teil des Gespräches mitgekriegt hatte, drehte sich um und grinste hinterhältig.
„Wenn du unbedingt einen Eselskinnbacken brauchst, Mister Simson“, sagte er zu Old O’Flynn, „dann brauchst du gar nicht erst von Bord zu gehen. Schau dich doch mal selber an. Mit einem Kinnbacken weniger verändert sich dein Aussehen nicht wesentlich.“
Doch so leicht kriegte man Old Donegal nicht unter. Er verzog das verwitterte Gesicht, lächelte das Lächeln der Wissenden und sagte bedauernd: „Was verstehst du schon vom guten Aussehen, du rotborstiger Beilschwinger. Zum Glück kannst du dich selbst nicht sehen, sonst würdest du laut schreiend davonlaufen. Dort nämlich, wo anständige Christenmenschen ihre Kinnbacken haben, hast du nur Sägemehl. Und immer, wenn du deine Futterluke so weit aufreißt, rieselt das Zeug aus deinen angesengten Bartstoppeln!“
Ferris Tucker fuhr sich reflexartig mit der Hand über das Gesicht. Tatsächlich, da hatte sich im Lauf der letzten Stunden, beim Sägen, Klopfen und Hämmern, so einiges an Sägemehl festgesetzt.
„Na schön“, meinte er. „Mir hängen die Holzbrösel eben im Gesicht, bei dir aber rieseln sie hinter der Kimm hervor, sobald du dich bückst. Und übrigens – wenn du hier schon keine Füchse hast, die du auf die Black Queen hetzen kannst, wie wär’s dann mit dir selber, he? Wenn du dich zur Geisterstunde auf den Rand ihrer Koje setzt, trifft sie vor Schreck der Schlag, und Caligula hüpft laut heulend über Bord. Ein Gespenst mit Holzbein haben die noch nie gesehen, schon gar nicht eins, dessen Fäuste nach Friedhof riechen.“
Old Donegal holte tief Luft und bedachte den Schiffszimmermann mit einem wilden Blick. Doch bevor er ihn über das Aussehen und die Eigenschaften eines „echten“ Gespenstes aufklären konnte, setzte die Stimme seines Sohnes Dan einen vorläufigen Schlußpunkt hinter das Wortgefecht.
„Mastspitzen an der westlichen Kimm!“ brüllte Dan O’Flynn, der in Ufernähe auf einen hohen Felsen geklettert war, um die Umgebung im Auge zu behalten. Er deutete mit ausgestrecktem Arm in die angegebene Richtung.
Old O’Flynn stieß schnaubend die Luft aus den Lungen und wandte sich von Ferris Tucker ab.
„Du heiliger Bimbam“, murmelte er. „Will sich das nackte Luder schon wieder mit uns anlegen?“ Er hob eine Hand über die Augen und spähte angestrengt über die silbrig glänzende Wasserfläche der Todesbucht. Aber er konnte noch nichts erkennen.
Der Wikinger, Jean Ribault, Siri-Tong und der Seewolf hielten sich seit dem letzten Glasen der Schiffsglocke auf dem Achterdeck der „Isabella“ auf. Sie hatten gerade damit begonnen, ihr weiteres Vorgehen gegen die Black Queen zu besprechen, als die Meldung Dans sie unterbrach.
Mastspitzen an der westlichen Kimm – was hatte das zu bedeuten?
„Wenn es die Queen ist“, stieß Thorfin Njal brummend hervor, „dann soll sie mir herzlich willkommen sein.“ Er rieb sich die mächtigen Pranken, denn jetzt, da die Reparaturarbeiten am Schwarzen Segler so gut wie beendet waren, hatte das Schiff seine frühere Manövrierbarkeit zurückerlangt. Zudem gab es nichts, was der Wikinger lieber getan hätte, als der Black Queen die schweren Treffer bis auf die kleinste Münze heimzuzahlen.
Auch Jean Ribault, der schlanke, drahtige Franzose, kniff die Augen zusammen. Er hatte die Queen und Caligula ganz besonders ins Herz geschlossen, seit ihn die beiden vor der Küste Tortugas ausgepeitscht und zutiefst gedemütigt hatten. Alles in ihm schrie nach Rache, und er würde nicht eher ruhen, bis die „Le Vengeur III.“, deren Namen „Der Rächer“ bedeutete, der Piratin ihre vernichtende Schlagkraft demonstriert hatte.
Siri-Tong konnte Jean Ribault am besten verstehen, denn sie verdankte der schwarzen Piratin den Verlust des „Roten Drachen“.
Der Seewolf hob den Messing-Kieker ans Auge, aber außer den Mastspitzen konnte auch er noch nichts erkennen.
„Wir wollen auf Nummer Sicher gehen und jedes überhöhte Risiko ausschließen“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Ich schlage deshalb vor, daß wir sofort unsere Schiffe gefechtsklar machen. Sollte es sich wirklich um die Black Queen oder eins ihrer Schiffe handeln, dann werden wir die Galgenvögel gebührend empfangen.“
Damit war jeder einverstanden. Noch während Jean und Siri-Tong auf die „Le Vengeur III.“ und Thorfin Njal auf den Schwarzen Segler zurückkehrten, liefen auf der „Isabella IX.“ die Gefechtsvorbereitungen auf Hochtouren.
Die Seewölfe waren eine eingeschworene Crew, jeder Handgriff, den sie taten, saß. Sie verwandelten die Galeone, die Hesekiel Ramsgate noch in Plymouth erbaut hatte, im Handumdrehen in eine schwimmende Festung.
Kaum hatte Philip Hasard Killigrew den Befehl dazu gegeben, flogen auch schon die Stückpforten hoch. Die sechsundzwanzig schweren Kanonen bewegten sich beim Ausrennen rumpelnd auf ihren Holzrädern. Auch die Drehbassen, von denen es je zwei vorn und am Heck gab, waren in kurzer Zeit einsatzbereit. Daneben wurden kleine Becken mit glühenden Holzkohlen auf die Geschütze verteilt. Auf den Decksplanken wurde Sand ausgestreut.
Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, überwachte die Vorbereitungen und sorgte dafür, daß auch eine Anzahl Pistolen, Musketen und Tromblons aus der Waffenkammer geholt wurden.
Ferris Tucker hatte seine Zimmermannsarbeit längst unterbrochen und eilte mit einigen Höllenflaschen an die von ihm konstruierte Abschußvorrichtung. Big Old Shane und Batuti, die ihre Langbogen samt den dazugehörigen Brand- und Pulverpfeilen bereits an Deck geholt hatten, halfen zunächst noch beim Ausrennen der Quarterdecksgeschütze mit.
Jeder dieser hartgesottenen Männer wußte, was er zu tun hatte. Schließlich hatten sie dem Teufel auf allen Meeren der Welt bereits beide Ohren abgesegelt und verfügten somit über einen reichen Erfahrungsschatz. Da bedurfte es von seiten des Kapitäns keiner besonderen Anweisungen.
Sie alle waren grimmig entschlossen, der Black Queen mächtig an die Gurgel zu fahren, wenn sie tatsächlich noch einmal hier aufkreuzen sollte.
Auf der „Le Vengeur“ und dem Schwarzen Segler war man ebenfalls reichlich beschäftigt. Die dröhnende Stimme Thorfin Njals war auch auf der „Isabella“ deutlich zu hören, und Edwin Carberry mußte sich gehörig anstrengen, wenn er den Wikinger übertönen wollte.
Doch der Profos der „Isabella“ schaffte es, daß seine kernigen Sprüche, mit denen er die Mannschaft anzufeuern pflegte, nicht im allgemeinen Trubel untergingen.
„Hurtig, hurtig, ihr lahmen Böckchen!“ brüllte er. „Gebt der Queen was auf das Röckchen!“
Carberrys poetische Aufforderung löste lautes Gelächter aus. Die Aussicht, den Schnapphähnen von der „Caribian Queen“ kräftig einzuheizen, hob die Laune der Männer beträchtlich.
Die drei Segler von der Schlangen-Insel waren voll gefechtsklar, als sich das fremde Schiff endlich hinter der Kimm hervorschob. Doch die Erwartungen wurden bald enttäuscht, denn bei der Galeone, die da auf die Todesbucht von Gran Cayman zuhielt, handelte es sich nicht um die „Caribian Queen“, jenen düsteren Zweidecker der schwarzen Piratin, soviel war bereits zu erkennen.
Der Seewolf wartete noch damit, die Anker hieven zu lassen, denn das fremde Schiff war noch weit entfernt. Man brauchte wirklich nichts zu überstürzen.
Bald wurden erste Vermutungen laut, dennoch ahnten die Arwenacks nicht, daß eine faustdicke Überraschung auf sie wartete – eine Überraschung, die sie alle zunächst an ihrem Verstand zweifeln ließ, und ihnen in bezug auf die so eilig herbeigeführte Gefechtsbereitschaft ein Grinsen entlockte.
Wieder war es Dan O’Flynn, dessen scharfe Augen das Unglaubliche enthüllten. Er hatte längst seinen Ausguckposten an Land verlassen und war in den Großmars der „Isabella“ aufgeentert.
„Weiber!“ brüllte Dan plötzlich mit sich überschlagender Stimme. „Zum Teufel, das sind ja Weiber!“
Die Arwenacks starrten sich betroffen an.
„Ich muß dir wohl die Klüsen etwas nachpolieren, Mister O’Flynn, was, wie?“ rief der Profos zu Dan hinauf. „Seit du die Black Queen mit ihren riesigen – äh – den riesigen Dingsda betrachtest hast, siehst du wohl überall nur nackte Weiber, wie!“
„So ist es!“ ereiferte sich der knollennasige Paddy Rogers. „Wir erwarten nur ein einziges Frauenzimmer, und zwar ein kohlrabenschwarzes. Und dem möchte ich gerne mal einen kräftigen Klaps auf den Hintern geben.“
Dan wurde fuchtig.
„Himmel, Arsch und Suppenkraut!“ rief er aus dem Ausguck. „Wer hat denn was von nackten Weibern gesagt? Außerdem sind meine Klüsen noch völlig in Ordnung! Wenn ich sage, daß es Weiber sind, dann sind es auch welche!“
„Hähä!“ stieß Old Donegal belustigt hervor. „Vielleicht hat die Queen noch ein Dutzend hübscher Schwestern. Bestimmt sollen uns die Schnapphühner die Köpfe verdrehen.“
„Bleib auf den Planken, Donegal“, sagte der Seewolf. „Es handelt sich offenbar nicht um ein Schiff der Black Queen, sondern um eine fremde Galeone, die zudem recht merkwürdig aussieht. Es sind tatsächlich Frauen an Bord, soviel kann ich ebenfalls schon erkennen, und es scheinen weiße Frauen zu sein.“
„Das ist nur ein billiger Trick“, meinte Old Donegal. „Die Queen bildet sich ein, daß wir die ausgerannten Kanonen nicht sehen, sondern nur auf die Weiber starren.“
Hasard schüttelte verwundert den Kopf.
„Zum einen sind auf der fremden Galeone überhaupt keine ausgerannten Kanonen zu sehen“, entgegnete er, „und zum anderen könntest du – sobald das Schiff näher heran ist –, statt nach Weiberröcken zu sehen, darauf achten, ob die Stückpforten geöffnet werden.“
Old O’Flynn brummelte etwas vor sich hin und fuhr sich dann durch die Bartstoppeln; als müsse er noch vor der Ankunft der Frauen sein Aussehen überprüfen.
In der Tat blieben den Arwenacks die Einzelheiten des fremden Schiffes nicht mehr lange verborgen. Auch ohne Kieker konnten sie bald erkennen, daß Dan sich mit seiner Ankündigung nicht geirrt hatte. Einige von ihnen vergaßen vor lauter Verblüffung den Mund zu schließen.
Die Dreimastgaleone, die unter vollem Preß heransegelte, bot einen reichlich merkwürdigen Anblick. Das begann schon mit den unzähligen bunten Stoffbändern, die außenbords wie überdimensionale Fransen an den Verschanzungen flatterten.
Ergänzt wurde diese „Beflaggung“ von einer beigefarbenen Flagge mit einem großen roten Herzen darauf, die munter am Fockmasttopp wehte. Bei der Galionsfigur handelte es sich um einen goldenen Hahn, und der Name des Schiffes lautete „Le Coq d’Or“. Das ließ darauf schließen, daß der Dreimaster aus Frankreich stammte.
Aber das war noch nicht alles, was die Arwenacks in grenzenloses Erstaunen versetzte. Daß das Glas der Achterdeckslaterne rot angestrichen war, mochte ja noch angehen, aber daß man die Geschütze, die alles andere als gefechtsklar waren, mit bunten Tüchern umhüllt hatte – das ließ die Seewölfe an ihrem Verstand zweifeln.
Als Blickfang besonderer Art erwiesen sich die Wäschestücke, die an den Innenseiten der Wanten im Wind flatterten. Ganz offensichtlich hatte man sie dort zum Trocknen aufgehängt. Schließlich waren da noch die Frauen und Mädchen, die sich auf der Back und der Kuhl aufhielten und mit lachenden Gesichtern zu winken begannen.
Al Conroy, der sich als Stückmeister gerade noch um die Feuerbereitschaft der schweren Culverinen gekümmert hatte, faßte sich mit beiden Händen an den Kopf.
„Es muß ein Sonnenstich sein“, sagte er ächzend. „Oder seht ihr etwa dasselbe? Wir erwarten ein Schiff mit üblen Schnapphähnen – und was segelt da mit einem goldenen Hahn unter dem Bugspriet auf uns zu? Eine Weiber-Galeone!“
„So ist es – und sogar mit eingewickelten Kanonen“, murmelte Old O’Flynn entgeistert. „Vielleicht sind es – ich meine, es könnten sogar bunte Nachthemden sein, mit denen man die Geschützrohre abgedeckt hat.“
„Ha!“ entfuhr es Edwin Carberry. „Was da an den Wanten flattert, ist viel interessanter. Das sind Unterröcke, Hemdchen und noch eine ganze Menge andere De-delikatessen.“
„Du meinst delikate Kleidungsstücke“, berichtigte ihn der Kutscher. „Delikatessen sind feine Sachen, die man essen kann.“
„Egal!“ entschied der Profos, ohne den Blick von der Galeone abzuwenden. „Daß ihr Kombüsenhengste auch immer nur ans Essen denken müßt!“
Er hatte sein klotziges Rammkinn vorgeschoben, so daß Jung Philip seinem Bruder gegen die Rippen boxte und ihm etwas von einem Eselskinnbacken zuflüsterte.
Noch wußte niemand an Bord der „Isabella“ so recht, was er von diesem verrückten Schiff halten sollte.
„Eine Flagge mit rotem Herz“, murmelte Bill mit romantisch verklärtem Blick, und Luke Morgan stöhnte: „Weiber, Weiber – wohin man auch blickt.“
Auch auf dem Achterdeck wurden Rätsel gelöst.
„Weiß der Teufel, was das zu bedeuten hat“, sagte Ben Brighton, nachdem der Seewolf den Niedergang, der zum Quarterdeck führte, auf geentert war.
Philip Hasard Killigrew, ein mehr als sechs Fuß großer Mann mit schwarzen Haaren, zuckte mit den Schultern, ohne das Messingspektiv von den Augen zu nehmen.
„Dem Namen nach kann es nur ein französisches Schiff sein“, erwiderte er. „Es gibt eine Crew, die aus Männern besteht. Bei den Frauen scheint es sich um Passagiere zu handeln. Vielleicht sind es Siedler, oder aber …“ Der Seewolf überlegte kurz, und plötzlich ging ihm ein Licht auf. „Mann, Ben!“
„Was ist?“
„Das sind möglicherweise leichte Mädchen aus Frankreich!“
Ben Brighton, der alles im Leben etwas ruhig und besonnen anging, zog ein Gesicht, als sei ihm soeben ein leibhaftiges Gespenst erschienen.
„Wie kommst du denn auf so was?“ fragte er irritiert.
„Ich habe verschiedentlich davon gehört, daß man Mädchentransporte für die Neue Welt zusammengestellt hat, und zwar vorwiegend in Frankreich. Zwielichtige Händler sollen damit gute Geschäfte tätigen. Man verfrachtet Straßendirnen auf Schiffe und verschleppt sie. Manche sollen sogar freiwillig an Bord gehen, weil sie den wundersamen Versprechungen der Händler glauben.“ Ben runzelte die Stirn. „Und was sollen die hier auf Gran Cayman? Hier gibt es doch nichts für sie – ich wollte sagen, hier gibt es doch niemanden, den sie beglücken könnten.“
Jetzt grinste der Seewolf. „Du scheinst vergessen zu haben, daß hier drei Schiffe vor Anker liegen, deren Besatzungen sich bereits die Augen ausstarren.“
Der Erste Offizier der „Isabella IX.“ schnappte nach Luft. „Aber …“
„Ich weiß schon, was du sagen willst“, unterbrach ihn Hasard, „und du hast auch recht damit. Woher sollen die Frauen gewußt haben, daß hier drei Schiffe vor Anker liegen, nicht wahr? Wahrscheinlich laufen die Franzosen die Insel nur deshalb an, weil ihnen das Trinkwasser knapp geworden ist.“
„Nun ja“, meinte Ben Brighton, „wir werden ja sehen, was es mit diesen Ladys auf sich hat.“
3.
Die Gefechtsbereitschaft der „Isabella“, der „Le Vengeur III.“ und des Schwarzen Seglers erwies sich als völlig überflüssig.
„Wir können doch den Weibern nicht die Röcke wegschießen“, stellte Edwin Carberry fest. Er bedachte die überraschten Rufe, die von den beiden anderen Schiffen herübertönten, mit einem Grinsen, zumal er deutlich sehen konnte, wie sich der Wikinger irritiert am Helm kratzte.
Der alte O’Flynn meldete erneute Bedenken an.
„Weiber hin und Weiber her“, sagte er zu Ed. „Ich traue der Sache immer noch nicht.“
„Hast du etwa Angst vor ihnen, was, wie?“
Old Donegal tat entrüstet. „Ich und Angst vor hübschen Frauen? Daß ich nicht lache! Aber es könnte ja sein, daß dieses verrückte Schiff etwas mit der Black Queen zu tun hat. Was ist, wenn sie die Frauenzimmer losgeschickt hat, um uns – nun ja – um uns abzulenken …“
„Und wenn wir mit ihnen drüben am Strand Reigen tanzen, pirscht sich die Queen an uns heran“, unterbrach ihn der Profos. „Das wolltest du doch sagen, wie?“
„Genau, Ed, du hast das schnell begriffen. Ob ich mal mit Hasard darüber reden soll?“
Ed winkte ab. „Laß das lieber sein, unser Kapitän ist selbst nicht auf den Kopf gefallen. Er wird schon wissen, wie er sich zu verhalten hat. Im Moment jedenfalls droht uns keine Gefahr. Sollten weitere Schiffe hier auf kreuzen, dann müßten wir sie allemal rechtzeitig bemerken, wenn wir keine Bretter vor den Klüsen haben.“
Die Männer verstummten, denn auf der verrückten Galeone tat sich etwas. Ein untersetzter vollbärtiger Mann, bei dem es sich wohl um den Kapitän handeln mußte, signalisierte um die Erlaubnis, in der Bucht ankern zu dürfen. Die gefechtsbereiten Schiffe schienen ihn nicht im geringsten zu stören.
Hasard, der diese Anfrage erwartet hatte, ließ dem fremden Kapitän sein Einverständnis übermitteln, und so dauerte es nicht lange, bis die Galeone neben der „Isabella“ und den beiden anderen Schiffen vor Anker ging.
Die vielen Mädchen an Bord ließen bereits helle Begrüßungsrufe hören, und zwar eindeutig in französischer Sprache.
„Verstehst du etwas davon?“ fragte Old Donegal den Profos.
„Klar“, erwiderte Ed ungerührt. „Mit Französisch habe ich noch nie Schwierigkeiten gehabt.“
Old O’Flynn, der nur zu gut wußte, welch ein gräßliches Französisch Ed sprach, warf ihm einen listigen Blick zu.
„Was rufen sie denn?“ fragte er.
„Alles mögliche“, antwortete Ed und deutete dabei auf eine füllige Blondine von etwa zwanzig Jahren. „Die, zum Beispiel, hat mich so merkwürdig angesehen, und jetzt ruft sie ständig ‚Wulle wuh‘ …“
„Aha! Und was heißt das?“
„Nun ja“, druckste Ed herum. „Sie fragt damit, ob ich – ob ich …“
Donegal winkte ab. „Hör schon auf, bei deiner Aussprache kriegt man ja Magenkrämpfe. Außerdem hat die Blonde die ganze Zeit über mich angesehen. An dich hat sie höchstens einen einzigen Blick verschwendet, und davon hat sie schon Augenschmerzen gekriegt.“
Will Thorne, der Segelmacher, räusperte sich laut und vernehmlich.
„Sollte man bei euren geistreichen Gesprächen nicht die Rübenschweinchen unter Deck schicken?“
Der Profos schüttelte den Kopf.
„Wenn das nötig ist, wird sich schon ihr Vater darum kümmern. Ansonsten bin immer noch ich der Zuchtmeister, der für Ordnung, Disziplin und Sittlichkeit an Bord verantwortlich ist, nur damit du das weißt. Außerdem bin ich der Meinung, daß die Rübenschweinchen alt genug sind, um langsam mit den Wahrheiten des Lebens konfrontiert zu werden. Französisch ist eine vornehme Sprache, es schadet ihnen nichts, wenn sie die erlernen.“
„Du meine Güte“, murmelte Will Thorne, „es geht doch nicht um die Sprache.“
„Um was denn sonst, was, wie?“ fragte Ed mit treuherzigem Blick.
Der grauhaarige Segelmacher gab’s auf.
„Schon gut, Ed“, erwiderte er. „Ich will ja nichts gesagt haben.“
Unter der Crew kursierten seit einiger Zeit die wildesten Vermutungen. Nahezu alle Seewölfe standen an den Verschanzungen und verrenkten sich die Hälse. Nicht etwa im Hinblick auf die Black Queen, o nein. An die Piratin dachte im Augenblick niemand. Jeder beschäftigte sich ausschließlich mit dem französischen Dreimaster und seinen hübschen Passagieren.