Seewölfe Paket 28

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Die anderen lachten roh und betrachteten ihn weiter. Nur der Kerl mit dem tonnenförmigen Brustkasten und dem dicken Bauch lachte nicht.
„Schmeißt den Wurm wieder über Bord“, sagte er grollend. „Möchte wissen, warum ihr den überhaupt aufgefischt habt. Was sollen wir mit Kindern an Bord, he?“
Die anderen schienen auch nicht so recht zu wissen, was sie mit Kindern an Bord sollten und sahen sich verunsichert an.
„Ach was“, sagte einer, „jetzt haben wir ihn schon mal. Der Kapitän wird ihn sicher behalten wollen.“ Er packte Ahmed am Ohrläppchen und zog kräftig. Der Junge fuhr in die Höhe, als hätte ihn ein Skorpion gestochen.
„Du hast uns dein lausiges Leben zu verdanken, also benimm dich anständig und sei unterwürfig, sonst fliegst du wieder zurück über Bord und kannst dich mit den Fischen unterhalten. Wie heißt du überhaupt?“
„Ich heiße Ahmed.“
„Und wie bist du da ins Wasser gelangt?“
Ahmed entschloß sich, die Wahrheit zu sagen. Wenn ihn die Kerle beim Lügen erwischten, dann brachten sie ihn vielleicht um.
„Ich war zum Fischen draußen, und da gerieten wir in einen Sturm. Ich fiel über Bord, und dann weiß ich nichts mehr.“
Der Tonnenmann lachte verächtlich. Er sah so aus, als wollte er den Jungen gleich persönlich über Bord werfen. Ahmed sah, daß er zwei große Pistolen im Hosenbund trug.
„Wo bin ich hier?“ fragte Ahmed zaghaft. Dann entsann er sich gerade noch rechtzeitig, daß sie Unterwürfigkeit von ihm verlangten, und er bedankte sich überschwenglich bei seinen Rettern.
„Du bist bei …“
Der Kerl in der geflickten Kleidung wollte weitersprechen, doch von achtern erklang eine barsche und laute Stimme.
„Was ist das für ein Krach da vorn, verdammt noch mal?“
Die Kerle flitzten nur so zur Seite, als die Stimme erklang.
Ahmed sträubten sich die Nackenhaare, als er den Mann sah. Gleichzeitig überlief ihn eine Gänsehaut, und er spürte, wie es in allen seinen Gliedern zu kribbeln begann.
Der Mann, der sich da aus einem Schott zwängte, war kein anderer als Ali Ben Chufru, der Küstenpirat vom Stamme der Beni Yas, der Mörder, der so feige und hinterhältig seinen Vater umgebracht hatte.
Ahmed zitterte jetzt am ganzen Körper. Er hatte sich immer geschworen, diesen Mann eines Tages zu töten, um seinen Vater zu rächen. In allen Einzelheiten hatte er sich das ausgemalt.
Jetzt aber war alles ganz anders und sah auch ganz anders aus. Ahmed wurde das fürchterliche Gefühl nicht los, daß man diesen Halunken gar nicht umbringen konnte. Der würde sogar mit einem Messer zwischen den Rippen noch verächtlich lachen, und selbst die Kugel aus einer Pistole würde ihm nichts anhaben. Und er hatte weder ein Messer noch eine Pistole. Sein Tauchermesser zum Lösen der Muscheln hatte er im Wasser irgendwo verloren.
„Wir haben einen Wassermann gefangen“, sagte einer lachend und deutete auf Ahmed, dessen Gesicht völlig blutleer war.
„Bringt ihn zu mir!“ befahl Ali Ben Chufru herrisch.
Zwei Kerle schnappten Ahmed bei den Achseln und schleiften ihn mehr, als daß sie ihn schoben, nach achtern, wo Ali breitbeinig auf den Planken stand. Der Pirat musterte ihn verächtlich von oben bis unten. Aber als er den Blick abwenden wollte, ruckte er mit dem Kopf herum, runzelte die Stirn und sah Ahmed genauer an.
„Habe ich dich nicht schon einmal gesehen, Bürschlein?“ fragte er.
Ahmed schüttelte angstvoll den Kopf.
„Nein, Sidi, ich glaube nicht. Ich habe dich jedenfalls noch nie gesehen, Herr.“
„Irgendwo habe ich dich kleinen Bastard schon mal gesehen“, sagte Ali. Dann lachte er roh. „Ist ja auch egal. Es interessiert mich einen Dreck, wo du her bist. Wer von euch Halunken hat den Bengel aus dem Wasser gefischt?“
„Das war ich, Sidi“, sagte einer, der einen Schritt vortrat.
Ali packte den Kerl mit spitzen Fingern an seinem Bart, zwirbelte ihn ein bißchen, bis dem Kerl das Wasser in die Augen stieg, und schlug ihm dann die Faust hart an den Schädel.
Der Kerl raste zurück, als hätte ihn eine besonders harte Bö getroffen, knallte mit dem Kreuz an den Mast und fiel auf die Planken.
„Ohne meine Erlaubnis wird niemand aufgefischt“, sagte Ali. „Hast du das verstanden, du Sohn einer räudigen Hündin?“
„Du warst aber nicht an Deck, Sidi, und es ging alles sehr schnell“, jammerte der Kerl.
„Ich bin immer an Deck“, sagte Ali. „Und wenn du das jemals bezweifelst, dann brauchst du auch deine Augen nicht mehr, weil sie dann nichts mehr taugen. Ich werde sie dir herausschießen.“
Der Kerl blieb auf den Planken knien und beugte demütig den Kopf, bis seine Stirn das Holz berührte. Ali gab ihm mit verächtlichem Grinsen einen Fußtritt. Dann wandte er sich an Ahmed, dessen Herz immer lauter klopfte. Fast drei Jahre war es jetzt her, daß Chufru seinen Vater umgebracht hatte. Der Haß fraß noch immer in dem Jungen.
„Du kannst an Bord bleiben, du kleiner mickriger Bastard. Und du wirst jedem gehorchen, der dir etwas befiehlt. Wenn du etwas klaust, schneide ich dir persönlich den Hals durch und verfüttere deinen Kadaver an die Haie, verstanden?“
„Ja, Herr, ich habe verstanden“, hauchte Ahmed. Ihm war speiübel zumute, als der Pirat ihn erneut musterte. Ständig hatte er das Gefühl, Ali Ben Chufru würde ihn durchschauen.
„Zeige ihm, was er zu tun hat, Tarsa“, sagte Ali zu dem tonnenförmigen Mann, der reglos hinter ihm stand.
„Ja, Herr.“
Der Tonnenmann, wie Ahmed ihn insgeheim nannte, packte ihn wie ein Karnickel am Genick und schob ihn mit einer Hand vor sich her nach vorn. Der Griff war so hart, daß Ahmed schmerzhaft das Gesicht verzog.
Vor einem Schott blieb der Tonnenmann stehen. Es roch verheißungsvoll. Verschiedene Gewürze erfüllten die Luft dicht vor dem Schott.
Ahmed riskierte noch einen schnellen Blick in die Runde. Viel Zeit dazu blieb ihm nicht, aber er sah noch genug.
Piraten, wohin er blickte. Zerlumpte Gestalten, abenteuerlich gekleidete Figuren, Narbenmänner, bärtige Visagen, unrasierte, gemeine und hinterhältige. Kein einziger Kerl war dabei, der einigermaßen redlich aussah. Er befand sich wahrhaftig auf der gefürchteten schwarzen und düsteren Sambuke, vor der die Fischer so erbärmliche Angst hatten.
Aber er sah in diesem kurzen Augenblick noch mehr. Die See ging längst nicht mehr so hoch wie vorhin. Das Land war an Backbord ein ganz feiner dunstiger und kaum erkennbarer Strich. Nur die Tartane war nirgends zu sehen, so sehr er auch suchte. Er konnte sie nicht mehr entdecken und nahm an, daß sie doch untergegangen war. Die Sorgen überfielen ihn wieder, doch zum Nachdenken blieb keine Zeit.
Der Tonnenmann ließ ihn los und stieß ihm die mächtige Faust ins Kreuz. Er flog ein paar Stufen hinunter ins Halbdämmer und hörte noch die Stimme des fürchterlichen Kerls.
„Du wirst dem Koch helfen, du Laus!“
Ahmed landete an einem heißen Herd, vor dem ein in Dunstschwaden gehüllter Kerl stand. Der Kerl war hager und hatte lange spitze Mausezähne in einem unrasierten Gesicht. Auf dem Herd stand in Schlingerleisten ein großer Kessel, in dem es dampfte und brodelte wie in einer Giftküche.
Der Koch starrte ihn mit offenem Maul an. Er sah aus wie eine große Maus, die in die Falle gegangen war.
„Ich soll hier helfen, Herr“, sagte Ahmed kläglich.
„Du sollst helfen? Meinetwegen, Arbeit gibt es genug. Dann brauche ich jedenfalls nicht mehr so viel zu tun. Die Kocherei hängt mir sowieso zum Hals heraus. Immer ich! Dabei kann ich gar nicht kochen.“
Er rührte in der Suppe herum und spie auf den Boden. Dabei hustete er zum Gotterbarmen.
Die Kombüse war klein, stickig, dreckig und von Schwaden durchzogen. Was der Kerl kochte, war für Ahmed unerfindlich. Aber er würzte kräftig, denn es roch immer intensiver. Vielleicht glich er seine schlechte Kocherei durch die Zugabe von reichlich Gewürzen aus.
Der Mausezahn befahl ihm sogleich, die Suppe umzurühren. Dabei spie er alle Augenblicke auf die schmutzstarrenden Dielen. Er selbst lümmelte sich faul ans Schott und kommandierte nur noch herum.
Ahmed mußte Asche an Deck tragen, einen Abfallkübel nach oben bringen und ausleeren und andere Kleinigkeiten tun.
Er wollte freiwillig die Dielen schrubben, weil es so entsetzlich dreckig war, aber der Kerl sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
„Hat Tarsa das befohlen?“ fragte er entsetzt. Offensichtlich hatte er heillose Angst vor geschrubbten Planken.
Ahmed wußte mittlerweile, daß Tarsa der Tonnenmann war und überall an Bord gefürchtet wurde.
„Nein, ich wollte es von selbst tun, Herr.“
„Du bist ja verrückt. Man tut nie etwas von selbst. Man wartet immer, bis es einer befiehlt. Dann muß man es allerdings tun, wenn man keinen Ärger haben will.“
Etwas später war das Essen fertig. Der Koch nannte es Ab Guscht, und es sollte ein Ragout aus Fleisch und Gemüse sein. Aber als es fertig war, bestand es aus einer dicken Pampe von Hirse, Reis, kleingeschnittenem Hammeltalg und grünlich-braunen Blättern. Das Zeug quoll im Hals auf und verhinderte das Reden. Zudem war es so scharf gewürzt, daß einige fast daran erstickten.
Dem Tonnenmann war das gleichgültig. Er schaufelte das Zeug in endlosen Mengen in sich hinein, ohne auch nur einmal aufzublicken. Viele andere stießen üble Verwünschungen aus.
Auch Ali Ben Chufru aß an Deck. Er tunkte den Holzlöffel in die Pampe und probierte. Dann winkte er mit gekrümmtem Zeigefinger den vor Angst schlotternden Koch herbei. Der Mausezahn mußte am Mast Aufstellung nehmen.
„Du bist erst seit vier Tagen an Bord“, sagte Ali freundlich. „Und du hast dich als Koch ausgegeben, als ich dich nahm. Das ist doch richtig, oder?“
„So ist es, Herr.“
„Deine Künste übertreffen wirklich alles.“ Ali blieb immer noch ausgesprochen freundlich. „Ich hoffe, du hast noch nicht gegessen, denn es gehört sich nicht für einen Koch, früher als der Sidi Reis zu essen. Das ist hier so üblich.“
„Ich habe noch keinen Bissen zu mir genommen, Herr“, versicherte der Koch voller Eifer. Seine Angst war jetzt einer gewissen Überlegenheit gewichen.
„Dann wollen wir beide gemeinsam essen“, sagte Ali. „Bring den ganzen Topf gleich an Deck.“
Ahmed mußte helfen, den Topf an Deck zu schleppen. Er war noch fast halbvoll. Der spitzzahnige Koch benahm sich, als sei er bei Hofe eingeladen und stand mit stolzgeschwellter Brust herum.
Ali tunkte wieder den Holzlöffel in die Pampe und probierte.
„Etwa Salz scheint noch zu fehlen“, meinte er.
Der Tonnenmann hatte schon eine gefüllte Pütz mit Seewasser auf den Planken stehen. Er hob sie hoch und kippte den Inhalt mit ausdruckslosem Gesicht in den Kessel. Dann rührte er mit einer Handspake das ganze Zeug um.
„So sieht das schon besser aus“, lobte Ali freundlich. „Und nun laßt erst einmal den Koch ausgiebig essen.
Zwei Kerle rissen dem Koch blitzschnell die Arme auf den Rücken und drückten ihn auf die Planken, bis er auf dem Kreuz lag und sich nicht mehr rühren konnte. Ein dritter Kerl brachte einen hölzernen Trichter, den sie dem Koch in den Hals steckten. Der konnte nicht einmal mehr schreien, so überrascht war er.
Ahmed stand schaudernd daneben und mußte mitansehen, wie sie mit dem Koch verfuhren. Offenbar war das nicht die erste Prozedur, die etliche Köche schon über sich ergehen lassen mußten, denn die Kerle verständigten sich nur mit Blicken und sprachen nicht viel.
Das Trichterende drückte dem Koch die Zunge nach unten. Er sah aus, als wollte er brüllen, aber er konnte nicht.
Dann hob der Tonnenmann den Kübel hoch, kippte ihn um und ließ den Inhalt in den Trichter rinnen.
Der Koch zuckte und zappelte, und dabei rann das Zeug unaufhörlich in seinen Hals. Ahmed sah, wie sein Bauch langsam zu einem Faß anschwoll und immer dicker wurde.
Wehren konnte sich der Koch auch nicht, denn zwei Mann hockten auf seinen ausgebreiteten Armen, der dritte hielt den Trichter, und der Tonnenmann schenkte fleißig nach, bis der Koch knallrot anlief und fast erstickte.
Ein Handzeichen von Ali Ben Chufru unterbrach die grausame Prozedur. Der eine nahm ihm den Trichter aus dem Hals, die beiden anderen aber hielten ihn weiter auf den Planken fest.
„War es gut?“ erkundigte sich Ali zuvorkommend. „Es hat doch Salz gefehlt, oder nicht?“
Der Koch konnte nicht antworten. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen, und so ächzte er nur.
„Du brauchst nur zu nicken“, sagte Ali.
Daraufhin nickte der Koch fast unmerklich.
„Er will noch mehr“, sagte Ali. „Ich hätte gar nicht gedacht, daß dieser dürre Kerl so verfressen ist. Also gib ihm auch noch den Rest, wenn er nicht genug kriegen kann.“
Die Prozedur nahm erneut ihren Anfang, bis der Kessel leer war.
Aber da hatte der Koch schon einen Bauch wie eine riesige Trommel. Er konnte sich nicht mehr erheben, und er rührte sich auch nicht mehr.
„Was ist mit ihm?“ fragte Ali.
„Er hat sich überfressen“, antwortete der Tonnenmann. „Die Suppe hat ihm wohl das Herz abgedrückt.“
„Ist er tot?“
Zwei Männer nickten nur.
„Dann werft ihn über Bord. Was soll ich mit einem toten Koch an Bord? Der Lebende hat ja schon nichts getaugt.“
Für Ahmed war das alles neu, schrecklich und grausam. Solche Dinge hatte er noch nie erlebt, und so fürchtete er sich noch mehr, daß es eines Tages auch ihm so ergehen könne.
Und diesen Ali Ben Chufru wollte er, Ahmed, umbringen? Er wollte es, aber er wußte nicht, wie er das bewerkstelligen sollte, denn der Pirat war einfach übermächtig und unangreifbar, jedenfalls für einen vierzehnjährigen schmächtigen Jungen.
Schaudernd mußte er mit ansehen, wie sie den Koch einfach über Bord kippten, als sei er ein toter Hund. Seine Abscheu und Ekel vor diesen Halunken wuchs. Sie sprangen mit einem Menschen um wie mit einer Kakerlake, und sie brachen auch noch in rohes Gelächter aus, als der Koch mit seinem gewaltigen Leib in der See trieb.
So begann Ahmeds erster Tag auf der Schwarzen Piratensambuke. In der ersten Nacht fand er keinen Schlaf. Die fürchterliche Angst ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
7.
Ali Ben Chufru scheute sich nicht, auch größere Schiffe anzugreifen, aber hauptsächlich überfiel er die Perlenfischer, jene armen Leute, die von der Hand in den Mund lebten. Meist verkauften sie ihre spärlichen Funde an Händler, von denen sie kräftig übers Ohr gehauen wurden und die vom Verkauf der Perlen nach Bagdad reich wurden.
Die Fischer erhielten nur ein paar Münzen.
Am zweiten Tag – die See hatte sich längst wieder beruhigt – erlebte Ahmed den Überfall auf einen Perlenfischer mit. Der Ausguck hatte das kleine Boot gesichtet, und die Sambuke nahm Kurs darauf.
Auf dem Boot waren zwei Männer. Einer hockte darin, der andere hatte gerade einen Korb voller Muscheln nach oben gebracht.
Als die schwarze Sambuke den Kurs änderte, blickten die beiden Perlentaucher erschreckt hoch. Ahmed konnte sie noch nicht genau erkennen, aber er wußte trotzdem um ihre wilde und panische Angst. Die schwarze Sambuke war ein Begriff an der Küste, ein tödlicher Begriff.
Die beiden Perlenfischer kappten ihre Ankertrosse und ließen sie sausen. Sie nahmen sich nicht mehr die Zeit, den Steinanker aufzuhieven, weil das nur Zeit kostete. Dann setzten sie das kleine Segel und pullten zusätzlich in Richtung Küste.
Ali Ben Chufru grinste hinterhältig.
„Aha, sie haben anscheinend ein paar Perlen gefunden, sonst würden sie nicht so schnell verschwinden. Sind die Drehbassen klar?“
Der Tonnenmann mit den fürchterlichen Elefantenbeinen und dem quadratischen Schädel nickte ausdruckslos. Der Rudergänger steuerte inzwischen dem kleinen Boot der Perlenfischer hinterher.
Die schwarze Sambuke war unheimlich wendig, schnell und hatte nur einen geringen Tiefgang, der sie befähigte, bis dicht an den Strand zu segeln.
Aber da pullten und segelten zwei Perlenfischer um ihr Leben, denen die Angst zusätzliche Kräfte verlieh. Daher flog das Boot auch nur so über das Wasser.
Ahmed sah im Geist wieder sich und seinen Vater. Auch sie hatten fürchterliche Angst vor den Kerlen gehabt und waren ihnen doch hilflos ausgeliefert, genau wie jene beiden, die jetzt flüchteten.
Der Junge sah sich hilflos nach allen Seiten um. Er wußte nicht, was er unternehmen sollte. Er konnte nicht helfen und mußte tatenlos mit ansehen, wie die grinsenden Piraten an den schnell in die Halterungen geschobenen Drehbassen hantierten.
Ein paar Tränen liefen ihm über das Gesicht, er schniefte leise.
Ali Ben Chufru brüllte den Fischern mit seiner Donnerstimme zu, daß sie sofort das Segel streichen sollten, dann würde ihnen auch nichts geschehen.
Die beiden dachten nicht daran. Sie verdoppelten ihre Anstrengungen und pullten wie besessen. Entweder kannten sie den alten Schnapphahn persönlich, oder sie hatten von anderen gehört, daß ein Ali Ben Chufru grundsätzlich nicht sein Wort hielt.
Als der Pirat sah, daß er das Boot mit der Sambuke nicht einholen konnte und die Fischer seine gebrüllte Aufforderung ignorierten, lief er im Gesicht blaurot an. Um seine Lippen zuckte es. Die Augen erinnerten Ahmed an glühende Kohlen.
Ali regte sich mächtig auf, daß man seinen Befehlen nicht gehorchte. Diesen Zustand an dem Piraten bemerkte Ahmed auch später. Immer wenn der Kerl sich aufregte, stand er fast vor einem Zusammenbruch, lief blaurot an und begann am ganzen Körper zu zittern.
„Feuer!“ brüllte er schließlich unter großer Anstrengung.
Die Kerle gehorchten sofort. Der Tonnenmann hob zusätzlich noch den fürchterlich dicken Daumen.
Drei Drehbassen krachten gleichzeitig und spien einen Hagel aus grobgehacktem Blei über das Wasser. Lange Blitze rasten aus den Schlünden, drei dicke Rauchwolken quollen auf, und eine übelriechende Wolke nahm Ahmed vorübergehend den Atem.
Zwei der Schüsse lagen zu kurz. Das Wasser erhob sich in unzähligen kleinen Fontänen wie ein schaumiger Vorhang, der anschließend rauschend zusammenfiel.
Der dritte Schuß traf das Boot vorn am Bug, als es sich zur Seite drehte.
Voller Entsetzen sah Ahmed, wie der Bug auseinandergerissen wurde und zersplitterte und einer der Perlenfischer aufschreiend die Arme hochwarf und ins Meer geschleudert wurde. Der andere Mann fiel auf die Ducht zurück und verkrampfte beide Arme um seinen Brustkorb.
Das Segel existierte ebenfalls nicht mehr. Es hingen nur noch ein paar traurige Fetzen von dem kleinen Mast herunter.
Die Sambuke näherte sich jetzt rascher, ging hoch an den Wind und hielt sich so, daß sie das angeschossene Boot leicht rammte. Mit langen Haken wurde es festgehalten.
Eine ähnliche Situation hatte Ahmed damals erlebt, und diesmal wurde ihm noch schlechter, als er den schwerverletzten Mann auf der Ducht sah, der mit Blut beschmiert war.
„Warum habt ihr Hurensöhne nicht gestoppt, als ich euch dazu aufforderte?“ schrie Ali wild.
Der Fischer gab keine Antwort. Von dem anderen war nichts mehr zu sehen. Das Meer hatte ihn verschlungen.
Ali ließ einen seiner Kerle das Boot durchsuchen, und der fand tatsächlich zwei zartrosa schimmernde kleine Perlen, die er unterwürfig an Ali weitergab. Er nahm auch noch den Korb mit den Muscheln und schleuderte ihn auf die Sambuke.
Für Ali Ben Chufru war damit alles erledigt.
Die Kerle stießen hohnlachend das Boot ab und sahen ungerührt zu, wie es immer mehr wegsackte. Der Mann auf der Ducht neigte sich langsam nach vorn. Auch er würde mit untergehen, daran gab es keinen Zweifel, er war zu schwer verletzt.
„Ihr müßt ihm helfen, Herr“, wimmerte Ahmed. „Er wird ertrinken, er kann sich nicht mehr selbst helfen. Bitte, Herr, helft ihm, tut vor Allahs Augen ein gutes Werk.“
Während Ali nach achtern ging, drehte er sich plötzlich um. In seiner rechten Hand hielt er ein Messer. Er holte aus und warf es mit aller Kraft.
Ahmed sah einen Blitz in der Luft, dann spürte er, wie er mit unwiderstehlicher Gewalt an den Mast gedrückt wurde. Das Messer hatte sein linkes Hosenbein durchbohrt und ihn an den Mast genagelt.
„Du solltest mit Allahs Namen vorsichtiger umgehen, du kleiner Bastard“, sagte Ali drohend. „Das nächste Mal wird dich das Messer da treffen, wo es ganz gräßlich weh tut.“
Der Tonnenmann kam mit völlig ausdruckslosem Gesicht auf ihn zu und zog das Messer aus dem Holz. Dabei schlitzte er sein Hosenbein noch weiter auf.
„Ich habe gleich gesagt, daß man dich Wurm wieder über Bord werfen soll“, knurrte er heiser. Dann holte er aus und gab dem Jungen eine kräftige Ohrfeige, die ihn auf die Planken warf.
Ahmed war von dem harten Schlag so benommen, daß er eine Weile auf den Planken liegenblieb. In seinem Schädel dröhnte es, und auf dem rechten Ohr konnte er kaum noch etwas hören, so hart hatte der Kerl zugeschlagen.
So verlief der zweite Tag auf der Sambuke für Ahmed. Auch in dieser Nacht fand er nur wenig Schlaf und dachte darüber nach, wie er von der schwarzen Sambuke fliehen konnte. Er sah jedoch vorerst noch keinen Ausweg.
Am dritten Tag wagte Ali Ben Chufru einen Raid, der selbst für ihn ein paar Nummern zu groß war. Er übernahm sich einfach, denn an der langgestreckten Küste von Abu Dhabi gab es noch einen üblen Schnapphahn, und der hatte Ali längst im Visier, weil der in „seinem“ Revier wilderte.
Dieser Schnapphahn hieß Moshu El Kekir und war auf einem Auge blind. Das Auge hatte er durch einen Messerwurf verloren, und dieses Messer hatte kein anderer als Ali Ben Chufru geschleudert.
Seitdem herrschte zwischen beiden erbitterte Feindschaft. Moshu hatte geschworen – vor versammelter Mannschaft –, „diesen oberräudigen, triefäugigen Sohn einer Kameltreiberhure“ so lange zu hetzen, bis er ihn erwischte. Was dann mit Ali zu geschehen hatte, ließ selbst die abgebrühten Schnapphähne vor Scham erröten und erschauern.
Das mindeste, was Ali passieren würde, war der Verlust seiner Männlichkeit. Danach sollte er in Stücke geschnitten, geröstet und verbrannt werden. Diese Drohungen wechselten allerdings fast täglich, denn Moshu El Kekir war ein Mann mit Phantasie, und ihm fiel ständig etwas Neues für Ali ein.
Kekir hatte eine große Baggala gesichtet, ein unauffälliges Schiff, dessen Ladung es allerdings in sich hatte. Das dhauähnliche Schiff hatte Silber, Gold und Perlen an Bord und war auf dem Weg nach Basra.
Kekir hatte allerdings vor dem Entern einen Ruderschaden erlitten, und so war die Baggala entwischt. Als der Ruderschaden behoben war, wurde die Verfolgung wieder aufgenommen.
Ausgerechnet Ali Ben Chufru entdeckte an diesem Morgen die Baggala, Sie war nur ganz schwach bewaffnet und wirkte unauffällig. Gerade deshalb war sie zum Transport ausgewählt worden.
In der Nacht zuvor hatten die Schnapphähne an Bord noch einmal kräftig gefeiert. Einige sahen recht verkatert aus, gähnten laut und waren von übler Laune erfüllt.
Ahmed sah das alles mit Schrecken, als einige begannen, ihre Wut an ihm auszulassen.
Der Ausguck meldete das Schiff erst dann, als es schon von Deck aus deutlich zu erkennen war. Auch Ahmed hatte es gesehen, hütete sich jedoch, auch nur ein Wort darüber verlauten zu lassen.
„Eine Baggala“, sagte Ali, nachdem er einen Blick durch das Spektiv geworfen hatte. „Eine Baggala soll auch unterwegs nach Basra sein, wie ich erfahren habe. Sie hat eine prachtvolle Ladung an Bord.“ Er rieb sich die Hände und lachte dröhnend. „Mir ist da was von Gold, Silber und Perlen zu Ohren gekommen. Vielleicht haben wir Glück. Du Hundesohn hättest das Schiff viel früher melden sollen“, brüllte er den Ausguck an.
Die Baggala war noch weit entfernt. Die Besatzung schien auch keinen Verdacht zu schöpfen.
Ali überlegte einen Augenblick, dann entschied er sich für eine Landzunge, hinter der sie sich auf die Lauer legen wollten, und tat so, als wollte er Kurs auf die Küste nehmen.
Unauffällig ging die schwarze Sambuke auf einen anderen Kurs – ganz unmerklich nur, wie sie es schon erfolgreich geprobt hatten. Darauf waren schon etliche Kapitäne hereingefallen.
Als sie hinter der Landzunge verschwand, ließ Ali in aller Eile die Drehbassen montieren und laden. Für eine Viertelstunde herrschte großer Eifer auf der Sambuke. Die Kerle wurden alle bis an die Zähne bewaffnet. Die Sambuke glich jetzt einer kleinen schwimmenden Festung.










