Seewölfe Paket 28

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Der „Bastard“ dachte überhaupt nicht daran, jetzt zu winken oder zu schreien. Er schwamm auch seltsamerweise nicht zum Land hin. Er nahm Kurs auf die drei Masten, die kaum an der Kimm zu sehen waren.
„Was soll das?“ flüsterte Ali kaum hörbar.
„Vielleicht läßt er sich von den Giaurs aufnehmen“, sagte Tarsa, „und zeigt den ungläubigen Christenhunden, wo es was zu holen gibt. Denn das sind ganz sicher die Kerle, mit denen wir zusammengetroffen sind.“
Ali dachte noch mit wilder Wut daran, wie die Christenhunde ihnen ganz unerwartet eine Breitseite gezeigt hatten.
Wenn das aber wirklich der Fall war, was Tarsa vermutete, dann wollte er auch diese Giaurs überlisten. Die ließen sich leichter übertölpeln als Moshu, denn sie kannten sich hier nicht aus. Davon war jetzt im Moment aber noch nicht die Rede. Ali wollte erst Moshu von seiner Fährte locken, dann war der Junge dran, den er zum Schweigen bringen würde.
„Na schön“, knurrte er bösartig. „Den Bengel kriegen wir schon noch, und wenn wir uns später an der Schatzstelle auf die Lauer legen. Dann haben wir auch gleich die anderen.“
Der Punkt in der See war nicht mehr zu erkennen. Er war immer kleiner geworden.
Ali segelte wieder in das Labyrinth der vielen kleinen Inseln hinein und versuchte, die Sambuke über die Untiefen zu locken.
Kurz bevor die Dunkelheit hereinbrach, zeigte sich ein Erfolg. Sie hatten die Sambuke abgeschüttelt, sie war nicht mehr zu sehen.
Erst viel später, als Ali ein paar Posten an Land geschickt hatte, wurde ihm gemeldet, daß Moshu auf Ostkurs gegangen wäre. Anscheinend hatte er aufgegeben und wollte sich nicht länger an der Nase herumführen lassen, damit sein Ansehen nicht litt.
Noch am späten Abend lief Ali den Ort Umm Said an und besorgte sich bei einem alten durchtriebenen Schlitzohr neue Drehbassen. Die versenkten Waffen konnte er später immer noch holen, die liefen ihm nicht davon. Jetzt war er vollauf zufrieden – bis auf den Jungen, von dem er nicht wußte, wo er sich befand.
Blieben noch die Giaurs, falls die ihn an Bord genommen hatten. Ali traute sich zu, auch mit denen fertig zu werden. Er hatte sich nur von ihnen überraschen lassen.
Ein zweites Mal würde ihm das nicht mehr passieren.
9.
Zunächst einmal wurde Ahmed verköstigt und kriegte zu essen und zu trinken. Dann versorgte ihn der Kutscher und war erstaunt, daß das Kerlchen sich so schnell erholte. Geradezu verblüfft waren sie über die Kondition des Jungen.
Danach stellte sich heraus, daß die Zwillinge wieder einmal unentbehrlich waren, was die Verständigung betraf. Sie konnten sich mit Ahmed zwar nicht fließend unterhalten, aber die Verständigung klappte nach einem kleinen Mißverständnis einwandfrei.
Ahmed erzählte den staunenden Zwillingen seine Geschichte, und die wiederum übersetzten und verklarten es den anderen, die ebenfalls am Staunen waren.
Das Schicksal des kleinen Ahmed bewegte sie jedoch alle.
„Hier spielen sich kleine Tragödien ab, an denen wir unbemerkt vorbeisegeln“, sagte Vater Hasard. „Aber jetzt haben wir einen Überblick und wissen, woran wir sind. Wir werden den Jungen zu seinem Onkel zurückbringen, falls dieser Selim noch lebt.“
Die Zwillinge grinsten bis an die Ohren, als sie sich weiter mit Ahmed unterhielten.
Die anderen standen daneben und kapierten kein Wort. Sie mußten immer auf die Übersetzung warten, auf die „Verklarung“, wie der Profos mißmutig sagte. Er lauschte und rieb sich das mächtige Amboßkinn.
„Da steht man rum wie ein Quallenkacker und kapiert kein einziges Wort“, motzte er. „Ich komme mir richtig bescheuert vor. Warum kann ich diese Sprache nicht auch sprechen?“
„Alles kann man eben nicht“, sagte der Kutscher. „Man muß ja auch nicht immer alles können, sonst wäre man ein großer Klugscheißer.“
„Bist du sowieso“, murrte Carberry. „Erzählen die sich jetzt Witze, weil sie dauernd so grinsen?“
„Vielleicht können die Herren Söhne mal wieder Laut geben“, sagte Vater Hasard. „Eine kleine Übersetzung hin und wieder würde erheblich mehr zur allgemeinen Erheiterung beitragen.“
„Gleich, Dad, Sir“, sagte Philip feixend. „Gleich erfahrt ihr einen ganz dicken Hund.“
Sie alle warteten auf den „ganz dicken Hund“, aber zwischen den dreien gab es noch ein endloses Palaver, bis es soweit war. Dann übersetzten die Zwillinge grinsend.
„Dieser Schnapphahn Ali hat einen Handelsfahrer überfallen, der nach Basra unterwegs war, und ihn ausgeraubt. Ali wiederum wurde von einem anderen Halunken gejagt, weil der in seinem Revier wildert. Und jetzt kommt der dicke Hund. Der Schnapphahn hat ein paar Truhen mit Silber, Gold und Perlen über Bord geworfen und seine Drehbassen gleich dazu, um dem anderen zu entkommen. Offenbar ist ihm das auch gelungen, denn die Sambuke mit den roten Segeln hat abgedreht und ging auf Ostkurs. Das haben wir ja noch so ungefähr gesehen.“
„Und das soll der dicke Hund sein?“ fragte der Profos enttäuscht. „Bei dem kann man aber die Rippen zählen.“
Jung Hasard zeigte auf Ahmed.
„Er kennt die Stelle genau, wo die Truhen und Drehbassen versenkt wurden. Er würde sie sogar bei Dunkelheit finden. Es scheint sich um eine ungeheure Beute zu handeln, einen richtigen Schatz.“
„Und in welcher Tiefe soll der liegen?“ fragte der Seewolf.
„An einer ziemlich seichten Stelle, ungefähr vier Yards tief. Dort liegt alles auf dem Grund.“
„Eine Menge Leute haben dafür ihr Leben hergeben müssen“, sagte Hasard nachdenklich.
„Stimmt, aber für den Tod dieser Leute ist der Pirat verantwortlich“, wandte der Kutscher ein. „Und er wird sich diese Beute früher oder später ganz sicher holen. Es geht mir gegen den Strich, das so einfach zuzulassen, Sir.“
„Mir auch“, sagte Hasard seufzend. „Aber ich habe da eine Idee. Wir werden morgen bei Tagesanbruch nachsehen, was es damit auf sich hat, und wenn wir das Zeug wirklich finden, dann, so meine ich jedenfalls, sollten wir es dem Jungen und seinem Onkel überlassen, damit sie ein sorgenfreies Leben führen können. Wir selbst sind schließlich keine armen Leute, und ich möchte auch nicht, daß sich die Blutsäufer und Schnapphähne daran schadlos halten. Was meint ihr dazu?“
Die Arwenacks waren wieder mal einhelliger Meinung und stimmten begeistert zu.
„Klar, das ist eine feine Sache“, ereiferte sich der Profos. „Sag dem Jungen, daß wir diesem Ali die Haut in Streifen von seinem Piratenarsch abziehen werden, wenn er unseren Kurs kreuzt oder uns in die Quere gerät.“
„Das läßt sich schwer übersetzen“, wandte Jung Hasard ein. „Es hört sich auch nicht besonders gut an.“
„Wie wär’s dann mit Affenarsch?“ schlug der Profos vor.
„Das versteht er vielleicht auch nicht.“
„Schade“, bedauerte Carberry. „Dabei hört sich das immer so eindrucksvoll an. Davon hat schon mancher das kalte Grausen gekriegt.“
„Stellt euch das nicht als einen Spaziergang vor“, warnte der bedächtige Ben Brighton. „Wir haben die Bekanntschaft mit der schwarzen Sambuke bereits geschlossen. Der Kerl, der sie befehligt, ist hinterhältig, bösartig und gemein. Er geht über Leichen, und er wird sich die Beute nicht entgehen lassen. Er wird alles dransetzen, um sie zu erwischen.“
Der Profos tat das mit einer Handbewegung ab.
„So schlimm kann das nicht werden. Hast du schon vergessen, daß es auf diesem Schlickrutscher keine Drehbassen mehr gibt? Der Halunke hat sie doch ebenfalls versenkt, um leichter und schneller zu sein. Der wird bereits die Flucht ergreifen, wenn er uns nur sieht.“
„Vielleicht ist er längst da“, sagte Hasard, „hat zuerst die Drehbassen geholt und kümmert sich dann um die Beute, damit ihm keine Überraschung bevorsteht. Seid ihr auch ganz sicher“, fragte er dann seine beiden Söhne, „daß es wirklich Schatztruhen sind? Wer weiß, was er in seiner Aufregung gesehen hat.“
Ahmed wurde noch einmal eindringlich befragt. Er war ein ernster und nachdenklicher Junge, der nichts übertrieb und der sich immer hart hatte durchs Leben schlagen müssen.
„Ich war dabei, und ich habe alles mit meinen eigenen Augen gesehen“, sagte er feierlich. „Das schwöre ich bei Allah.“
„Und aus welchem Grund gibt er uns das Geheimnis preis?“ erkundigte sich Vater Hasard. „Er kennt uns doch gar nicht. Wir könnten uns diese Truhen ja ebenfalls aneignen.“
Darauf hatte Jung Hasard auch schon eine Antwort.
„Er will seinen ermordeten Vater rächen, sagt er. Aber er selbst ist zu klein und unbedeutend, als daß er Ali etwas anhaben kann. Er will nicht, daß ihm diese Beute in die Hände fällt, weil Ali immer die Perlenfischer ausraubt.“
„Das ist natürlich ein Grund“, meinte Hasard. „Ich kann den Jungen in seiner Hilflosigkeit, aber auch in seinem Haß auf diese Bande durchaus verstehen. Ja, er ist völlig hilflos der Willkür dieser Halunken ausgesetzt. Gut, wir segeln zu der Stelle hin, aber nicht mehr heute nacht. Der Küstenverlauf ist mir zu tückisch. Wir werden uns das bei Tageslicht betrachten. Dann sieht auch alles ganz anders aus.“
Carberry rieb sich in der Vorfreude auf eine kräftige Holzerei schon wieder die Hände.
„Mit dem Rübenschwein, dem hinterhältigen, ist sowieso noch eine Rechnung offen“, erklärte er. „Und ich sitze nicht gern auf Rechnungen herum, die begleiche ich lieber bei der nächst besten Gelegenheit.“
Die anderen waren einverstanden, daß sie diesen Ali das Fürchten lehren wollten.
Die „Santa Barbara“ ging vor Anker, um bei Tagesanbruch loszusegeln.
Aber der Araberjunge Ahmed mußte an diesem Abend noch viel erzählen, und so vernahmen die staunenden Mannen zum ersten Male von den Schwarzen Tränen Allahs, die Ahmed einmal in seinem Leben gefunden und gleich wieder verloren hatte. Und sie erfuhren noch mehr über die Perlenfischer, Piraten und Schnapphähne, die es in dieser Gegend gab. Ahmed warnte sie auch vor Moshu el Kekir, der hier an der Küste und weiter oben sein Unwesen trieb.
Als sich die Sonne langsam über der östlichen Kimm in die Höhe tastete, wurde der Anker gehievt. Sie setzten die Segel und nahmen Kurs auf die „Schatzstelle“.
Es war nicht allzu weit bis dorthin, aber leider war das Gewirr der Inseln unübersichtlich, und eine schlanke Sambuke konnte sich dort hervorragend verbergen.
Eine Stunde später deutete Ahmed, der als Lotse fungierte, aufgeregt auf eine kleine Insel, die dicht bewachsen war.
„Gleich dahinter ist es!“ rief er. „Das Wasser wird da flacher, aber man kann hindurchsegeln!“
Die „Santa Barbara“ steuerte die Insel vorsichtig an. Die Ausgucks waren doppelt besetzt und suchten mit Spektiven alles ab.
Als die bezeichnete Stelle vor ihnen lag, war von einer schwarzen Sambuke weit und breit nichts zu sehen.
„Vielleicht haben sie heute nacht schon alles abgeräumt“, meinte Don Juan. „Oder sie lauern weiter hinten auf uns. Aber sie haben keine Drehbassen mehr, wie der Junge sagte.“
Hasard nickte flüchtig. Alles an ihm war gespannte Aufmerksamkeit. Er rechnete mit einem blitzartigen Überfall, trotz der fehlenden Drehbassen. Möglicherweise hatte Ali wieder welche.
Dann hatten sie die Stelle erreicht, und immer noch blieb alles verdächtig ruhig. Nur ein paar Vögel flogen kreischend auf.
Auf der „Santa Barbara“ war Gefechtsbereitschaft angeordnet. Alle Stücke waren geladen, die Rohre ausgerannt und feuerbereit. Etliche Arwenacks standen sprungbereit da.
Ahmed zeigte genau die Stelle, wo die Truhen versenkt worden waren. Smoky entdeckte auf dem kristallklaren Grund gleich darauf eine Drehbasse, die zwischen Korallen lag.
Als er seinen Fund meldete, rief der Ausguck: „Die Sambuke taucht auf!“
Sie kam fast aus dem Dickicht, und sie erschien von einem Augenblick zum anderen, obwohl vorher nichts zu sehen gewesen war. An Deck sah man sie immer noch nicht.
„Also doch“, sagte Hasard. „Dann ist der Schnapphahn auch wieder bewaffnet. Weiß der Teufel, wie er das geschafft hat. Feuer frei, sobald sie in Schußweite ist.“
Ali Ben Chufru tauchte auf, doch er schickte seine heißen Grüße schon los, als er immer noch nicht zu sehen war.
Drei Drehbassen wurden abgefeuert. Durch das Gestrüpp zuckten Blitze, ein Blei- und Eisenhagel fegte zwischen den Verhau, zerfetzte ihn und siebte durch das Wasser.
Der Bug der schwarzen Sambuke rundete die Spitze. Das wendige Schiff mußte ein wenig abfallen.
Hasard sah mit einem Blick, daß es den Schnapphähnen gelungen war, eine der Truhen bereits zu bergen. Jedenfalls stand eine große eisenbeschlagene Truhe wie zum Hohn an Deck. Vielleicht hatten sie die schon in aller Frühe nach oben geholt.
Ein Siebzehnpfünder donnerte mit Getöse und wildem Donner los. Al Conroy hatte gefeuert, und er traf grundsätzlich das, was er wollte, wenn die See so ruhig war wie jetzt.
Der Blitz hatte noch nicht richtig das Rohr verlassen, als der Bug der Sambuke splitterte. Eine ganze Ladung Holz flog in hohem Bogen davon und schien noch einmal in der Luft zu explodieren.
Die Sambuke krängte hart über und lief aus dem Kurs.
Wütendes Geheul und lautes Gebrüll waren zu hören. Zwei Drehbassen wurden abgefeuert. Zwei kleinere Brocken trafen das Schanzkleid der Galeone und hinterließen faustgroße Löcher.
Drüben versuchte Ali verzweifelt, seine Sambuke wieder auf Kurs zu bringen, doch das brauchte Zeit, und bis er die gefunden hatte, handelten die Arwenacks.
Drei Culverinen brüllten gleichzeitig auf. Die „Santa Barbara“ bebte in allen Verbänden. Zwei schwenkbare Drehbassen fielen in das Gebrüll mit ein und schickten einen tödlichen Hagel hinüber. Drüben fielen die Kerle wie umgemäht auf die Planken.
Alle drei Siebzehnpfünder saßen voll im Ziel. Der Rumpf der Sambuke riß an drei Stellen auf, Holz flog nach innen, ein Wasserschwall folgte.
Als die Sambuke sich noch weiter zur Seite neigte, feuerte Al Conroy die nächste Culverine ab.
Die Kugel durchbrach das Schanzkleid, krachte in die Truhe und sprengte sie auseinander.
Fassungslos sahen die Seewölfe, wie sich ein schimmernder Regen aus Gold und Silber ins Meer ergoß. Ein Teil des Decks zerplatzte wie eine angestochene Seifenblase. Planken wirbelten durch die Luft.
Pete Ballie zeigte den Schnapphähnen die andere Seite des Schiffes. Dort blitzte es jetzt wieder brüllend auf. Feuerlanzen schienen direkt in die Sambuke zu rasen und sich hineinzufressen.
Ein Feuer flackerte drüben auf. Schreiende Galgenvögel brachten sich in Sicherheit, doch es gab keine mehr.
Batuti und Ferris Tucker räumten mit zwei Flaschenbomben das Achterdeck ab, wo die Piraten in die Knie gingen.
„Das ist er!“ schrie Ahmed. „Das ist er!“ Aufgeregt deutete er auf einen bärtigen Kerl, der den Kopf in den Nacken warf, die Brust rausdrückte und dann aufschreiend über Bord ging.
Bei den anderen herrschte totale Wuhling. Zwei Kerle versuchten noch einmal, die Drehbassen abzufeuern. Zwei Musketenschüsse holten sie von den Beinen.
Die Sambuke trieb vorbei. Sie brannte an mehreren Stellen, und ihre Schlagseite wurde immer stärker.
Goldstücke rutschten über das Deck, ein paar Silberbarren folgten zusammen mit Splittern der Truhe. Es schimmerte und gleißte sekundenlang grell auf, dann verschwand ein Teil der Beute im Meer.
Von Alis Schnapphähnen trieben die meisten tot im Wasser. Er selbst war untergegangen und verschwand unter seinem brennenden Schiff, das langsam in die Tiefe sackte. Drei oder vier weitere Kerle versuchten, sich auf eine der zahlreichen Inseln zu retten. Bevor sie Land erreicht hatten, flog die Sambuke mit einem brüllenden Donnerschlag auseinander. Ein greller Blitz wirbelte Reste von Planken hoch in die Luft. Die restlichen drei oder vier Kerle würden von dem gewaltigen Druck ins Wasser geschleudert.
An jener Stelle gurgelte und blubberte noch einmal das Wasser, dann kehrt langsam Ruhe ein.
Hasard sah sich ernüchtert um. Sie hatten zwei Treffer erhalten, die nicht der Rede wert waren.
Stunden später bargen sie zwei kleinere Truhen. Den Rest hatte das Meer verschlungen. Aber es lag nicht sehr tief im Wasser. Es war ihnen nur zu mühselig, den „Krempel pfundweise zu holen“, wie der Seewolf das ausdrückte. Vielleicht konnte Ahmed hier später einmal fündig werden.
Einen Tag später nahmen sie Kurs auf Quatar, und ein paar Stunden später entdeckten sie Selim, den Perlenfischer. Er hatte keine Tartane mehr, der Sturm hatte sie verschlungen, aber er hatte sich an Land retten können.
Mit Tränen in den Augen schloß er seinen Neffen in die Arme, den er längst totgeglaubt hatte.
Als Hasard ihm durch seine Söhne übersetzen ließ, daß sie von nun an keine Sorgen mehr zu haben brauchten, erlitt der Onkel einen Anfall, und der Kutscher mußte sich einen ganzen Tag lang um ihn kümmern. Dann war Selim wieder auf der Höhe.
Die Arwenacks segelten nach einem werteren Tag Aufenthalt weiter. Die beiden winkten ihnen nach, solange sie die Mannen sehen konnten.
Carberry grinste zum fernen Land hin und sagte: „Wenn ich bei jeder Silbertruhe einen Anfall kriegte, dann wäre ich längst tot.“
„Bist du auch längst“, sagte Old O’Flynn mit Grabesstimme. „Du bist nur zu faul zum Umfallen – genau wie ich.“
Die Arwenacks segelten weiter, sie wollten nach Norden …
ENDE

1.
Es war wie ein Schweben im Nichts.
Philip Hasard Killigrew öffnete eins der Bleiglasfenster in der Kapitänskammer. Nichts änderte sich. Die Luft stand draußen wie eine unbewegte graue Masse, zum Schneiden dick. Während der ganzen Nacht hatte es keine Abkühlung gegeben, und auch jetzt, am frühen Morgen des 20. April Anno 1597, ließ die Nebelwand nicht einmal einen frischen Lufthauch in die Unterdecksräume der „Santa Barbara“ dringen. Die Feuchtigkeit hatte sich nur noch erhöht.
Der Seewolf schloß das Fenster wieder.
Es war still an Bord. Der Sonnenaufgang stand noch bevor, wenn er auch kaum wahrzunehmen sein würde. Bis auf die Deckswachen, deren ruhige Schritte vom Hauptdeck zu vernehmen waren, genoß die Crew ihre wohlverdiente Nachtruhe.
Die Stille, die das Schiff umgab, war absolut.
Kein Geräusch sickerte durch den Nebel. Kein Schrei eines Seevogels war zu hören, der etwa den Tag begrüßt hätte. Kein Wellenschlag, der mit sanftem Schmatzen gegen den Rumpf der Galeone geklatscht wäre.
Seit den späten Nachmittagsstunden des 19. April, als auch der Nebel heraufgezogen war, herrschte bereits völlige Windstille. Der Seewolf hatte Treibanker ausbringen lassen, obwohl nach den Feststellungen Dan O’Flynns keine Abdrift durch etwaige Strömungen zu befürchten war. Stunden darauf, schon in der Nacht, als aber die Gestirne noch erkennbar gewesen waren, hatte Dan neue Berechnungen angestellt und seine anfänglichen Erklärungen bestätigt gesehen. Die Position der „Santa Barbara“ hatte sich kaum verändert.
Dan O’Flynn brauchte seine Zuverlässigkeit als Navigator nicht mehr unter Beweis zu stellen.
Sie lagen etwa zwanzig Seemeilen nördlich der küstennahen Insel Abu Ali, und sie würden weiter Kurs auf Kuweit nehmen, sobald Nebel und Flaute vorüber waren. In der Hafenstadt im nordwestlichen Zipfel des Persischen Golfs hofften Hasard und seine Gefährten neue Informationen zu erhalten. Informationen über jene geheimnisvolle Route, die vom Golf über den Irak und Persien ins Mittelmeer führen sollte.
Der Seewolf wandte sich vom Fenster ab und kehrte auf seinen Platz am Tisch zurück. Er schlug das Logbuch auf und zog Tintenfaß und Federkiel zu sich heran. Mit präzise schräggeneigten Federstrichen trug er das Datum des neuen Tages ein. Dann ließ er den Kiel sinken.
Ich bin besessen, lautete der Gedanke, der ihm durch den Kopf flog.
Er erschrak fast. Aber es verhielt sich so, wie dieser Unbeabsichtigte Gedanke es ausdrückte. Er war in der Tat besessen von der Vorstellung, diesen unbekannten Schiffahrtsweg zu entdecken. Widersprach es nicht seinen alten Prinzipien, stets einen klaren Kopf zu bewahren und die Dinge mit nüchternem Überlegen anzugehen?
Aber nicht einmal Ben Brighton, der gründliche Denker, hatte diesmal etwas auszusetzen gehabt. In der Tat schien die gesamte Crew von der Entdeckerbegeisterung der Zwillinge angesteckt worden zu sein.
Der Seewolf beruhigte sich mit der Folgerung, daß es nicht der Stolz auf seine Söhne gewesen war, von dem er sich hatte leiten lassen. Und er hatte auch keine einsame Entscheidung getroffen. Bei allen Beschlüssen, die einschneidende Auswirkungen auf die ganze Mannschaft haben konnten, wurden stets auch sämtliche Crewmitglieder beteiligt.
Nichtsdestoweniger hatte der geheimnisvolle Kartenfund der Zwillinge auf den Seychellen mehr als nur Abenteuerlust und Forscherdrang geweckt. Tief in ihnen schlummerte das Bestreben, auch für England wieder einmal etwas zu tun.
Meist fluchten sie auf die alte Heimat, die man ihnen so gründlich verleidet hatte. Und nicht selten ließen sie kein gutes Haar an ihrem Land, wenn sie irgendwo in einer Hafenschenke in Stimmung gerieten. Doch hinter all den rauhen Worten verbarg sich doch eine gehörige Portion jenes Zugehörigkeitsgefühls, das sie immer noch mit dem Land ihrer Väter verband und das sie wohl niemals ganz abschütteln konnten.
Denn aus England waren sie nicht von ihresgleichen vertrieben worden, geschweige denn, daß sie bei Königin Elizabeth I. in Ungnade gefallen wären. Nein, es waren ausschließlich die finsteren Elemente bei Hofe gewesen, die die Seewölfe dazu gebracht hatten, in der Karibik den Bund der Korsaren zu gründen und sich eine neue Heimat zu schaffen.
Nach wie vor existierte der Stützpunkt an der Cherokee-Bucht.
Aber England war nahe.
Dieses Bewußtsein, daran zweifelte der Seewolf nicht, hatte bei jedem einzelnen Mann an Bord der „Santa Barbara“ dazu geführt, die Aussicht auf die Entdeckung eines neuen Weges vom Persischen Golf zum Mittelmeer mit wahrer Besessenheit zu verfolgen.
Hasard lächelte, da sich der Kreis seiner Gedanken geschlossen hatte. So waren sie denn alle besessen von jener Idee, die sie verfolgten. Keine Schande. Beileibe nicht.
Er nahm die Feder, tunkte die zugeschnittene Spitze ins Tintenfaß und schrieb. Er mußte zu Papier bringen, was ihn bewegte. Vielleicht gab es einmal Zeugnis von sinnloser Phantasterei. Vielleicht wurde es aber auch der geistige Grundstein einer Entdeckung, die für die Kultur des Abendlandes von unerhörter Bedeutung war.
Was nämlich eine Verkürzung des Seewegs von und nach Indien für Europa bringen konnte, konnte man in Europa nicht einmal im entferntesten abschätzen.
Wir sind zum Stillstand verurteilt, schrieb der Seewolf, und es scheint, als ob unsere Besessenheit zu einer aufgezwungenen Pause verurteilt ist …
Der Mann, der im Bugraum des flachen Bootes kauerte, hatte nur die eine Aufgabe: An ihm lag es, das Ziel rechtzeitig zu erspähen, damit sie bei dem dichten Nebel nicht in eine unliebsame Überraschung rauschten. Denn obwohl die sechs Männer auf den Duchten äußerst behutsam pullten, glitt das Boot doch mit hoher Fahrt über das Wasser. Es bewies, über welche Muskelkraft die Männer verfügten.
Unvermittelt stieß der Späher einen scharfen Zischlaut aus. Warnend hob er die rechte Hand, obwohl seine Kumpane es nicht sehen konnten, da sie ihm den Rücken zuwandten.
Augenblicklich hoben sie die Riemenblätter an und ließen das Boot auslaufen. Schon ein Streichen hätte nach ihrer Überzeugung zu geräuschvoll sein können. Denn bei dem augenblicklichen Nebel klang selbst der leiseste Laut so, als würde er auf geheimnisvolle Weise verstärkt.
Die graugekleideten Männer auf den Duchten hielten die Riemen über Wasser und wandten sich um. Aufmerksam spähten sie in die Richtung, in die der schlanke Bug des flachen Bootes wies.
Und plötzlich waren die hohen, dunkel aufragenden Konturen da. Das Schiff wirkte riesengroß und drohend in dem Nebel, der es umhüllte und Einzelheiten nicht erkennen ließ.
Der Späher beugte sich vor und ergriff die Ankertrosse, die aus der Wasseroberfläche lang durchhängend zum Heck der Galeone aufstieg.










