Seewölfe Paket 28

- -
- 100%
- +
Fragen über Fragen, auf die es keine Antwort gab. Ebel Schachnams Guffa drängte sich zwischen die Schilf- und Bambushalme, aber die Ursache des Wimmerns war immer noch nicht zu erkennen, obwohl sie inzwischen in unmittelbarer Nähe des Rundbootes erklang.
Der bärtige Anführer der Meute hatte einen glorreichen Einfall. Er ließ ein Talglicht entfachen. Die Flamme züngelte auf und flackerte im Wind, der über den Tigris strich. Doch das rötliche Licht erwies sich als ausreichend. Es tanzte wie ein Irrwisch über Wasser und Schilf – und plötzlich sahen die wüsten Kerle, was sie vor sich hatten.
Ein Mensch war es, der da zwischen dicken und widerspenstigen Rohren festsaß und sich offenbar nicht mehr zu bewegen vermochte, weder vor noch zurück. Ebels Gesicht war eine Maske des Staunens. Sein Mund stand ziemlich weit offen.
„Das gibt’s doch nicht“, murmelte er.
„Das ist ja ein Weib“, sagte Haschira kichernd, obwohl er riskierte, wieder von seinem Häuptling geschlagen zu werden.
„Du merkst aber auch alles“, zischte Güner.
„Also ist es doch kein Hund“, brummte ein Kerl in dem nächsten Boot, das sich näherte.
„Ein Weib“, sagte ein anderer Flußpirat gierig, „wäre ’ne ganz gute Beute für uns.“
„Vorsicht“, warnte einer der älteren Kerle. „Das ist kein richtiges Weib. Das ist ein Dämon.“
„Wie denn?“ begehrte Haschira auf. „In Fleisch und Blut?“
„Eine Hexe“, sagte nun selbst Güner. Sonst gehörte der Kurde zu den sachlichen Kerlen, die von Mummenschanz, Spuk und Zauber nicht viel hielten. In dieser Nacht aber war auch ihm einiges nicht geheuer.
Hatte man jemals ein Frauenzimmer im Röhricht angetroffen? Nein, es war das erstemal. Warum ausgerechnet heute nacht? Ging das mit rechten Dingen zu?
„Wie kommt die da rein, ins Dickicht?“ wollte einer der Galgenstricke, wissen.
„Sie steckt in einem Wasserloch fest“, erwiderte Ebel Schachnam.
In der Tat war es die Erklärung. Überall im Ufergestrüpp und in den angrenzenden Sümpfen des Schwemmlandes gab es diese Wasserlöcher. Es handelte sich um Vertiefungen in dem sonst flachen, manchmal nur knöcheltiefen Wasser.
Wer durch die Sümpfe irrte und sich nicht auskannte, der konnte sehr leicht in ein solches Loch tappen und darin steckenbleiben. Der Grund bestand aus tückischem Morast, der einen langsam, aber beständig nach unten zog.
Also doch – hier schienen die Dämonen am Werk zu sein.
Die sonst so kaltblütigen, brutalen Kerle stöhnten unwillkürlich auf. Entweder war das fremde Weib selbst ein Geist oder ein Dämon, oder aber die Gespenster der Nacht hatten sie gepackt. Man durfte sie nicht anfassen, sonst war man selbst verloren.
„Weiter!“ befahl jedoch Ebel Schachnam, den die Schrecken und Mächte der Finsternis einen Dreck kümmerten.
Es blieb den Kerlen nichts anderes übrig – sie mußten das Guffa weiter vorantreiben. Die Halme und Rohre knackten und krachten. Das Rundboot schob sich auf die fremde Frau zu. Wild zuckte der Lichtfleck durch die Nacht. Es war eine beängstigende, bizarre Szene.
Die Frau, so stellte sich beim näheren Hinsehen heraus, war sehr jung und nur dürftig bekleidet. Sie war höchstens zwanzig Jahre alt, vielleicht noch jünger, ein halbes Kind noch. Die blonden Haare hingen ihr naß auf die Schultern.
Die letzten Fetzen ihres Kleides – wenn man die Überreste überhaupt als Kleid bezeichnen wollte – klebten ihr am Körper fest. Sie war über und über mit Morast beschmutzt. Dennoch konnte Ebel, der Bärtige, ganz klar erkennen, daß sie ein hübsches und obendrein noch gutgebautes Weib war.
Er streckte die Hand nach ihr aus.
„Komm, ich helfe dir“, sagte er.
Wenn schon keine Beute, dann doch wenigstens ein Weib. Das war schon mal etwas, und den Rest würde man am nächsten Tag erledigen, wenn es wieder hell war und man Schiffe von weitem erspähen konnte. Vielleicht brachte dieses seltsame Weib ja sogar Glück.
Plötzlich aber stieß die Frau einen spitzen Schrei aus.
Ebel Schachnam kippte fast aus seinem Guffa. Das hatte er nicht erwartet. Statt sich über die Rettung zu freuen, kreischte sie wie von Sinnen! Ihre Augen drohten aus den Höhlen zu quellen, ihr Gesicht war zu einer Fratze verzerrt. Sie steckte die Zunge heraus, gurgelte und schrie Worte in einer Sprache, die die Kerle nicht verstanden.
„Weg hier!“ stieß Haschira hervor. Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden. „Weg! Sie ist eine Wasserhexe!“
Viele Meilen weiter südöstlich vom Schauplatz dieses Geschehens lag eine Dreimastgaleone vor Anker – die „Santa Barbara“. Zu weit für Ebel Schachnam und dessen Schnapphähne. Sie ahnten nicht, daß Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, im Begriff war, sich dem Schlupfwinkel der Bande zu nähern.
Aber auch Hasard und seine Crew hatten nicht im geringsten eine Vorstellung davon, was sich in den nächsten Tagen abspielen würde. Die Männer hatten keine sonderlich gute Laune. Im Schein der Ankerlaterne hockten sie an Deck herum und spielten mit Würfeln oder tranken einen Schluck Wein. Die Freiwache lag in den Kojen.
Bei Nacht konnte man nicht segeln. Die Schwemmlandebene von Mesopotamien war viel zu gefährlich. Überall konnte man mit dem Schiff steckenbleiben. Und ein gebranntes Kind scheut bekanntlich das Feuer. Vor kurzem waren die Mannen mit ihrer Lady Barbara schon einmal aufgebrummt – bei Abu Dhabi, an der Küste der Piraten.
Inzwischen hatten sie den Persischen Golf ganz durchquert und waren bei Abadan den Shatt-al-Arab hinaufgesegelt – jenen Strom, der Euphrat und Tigris in sich vereinte. Der Seewolf wollte die Stelle erreichen, wo beide Flüsse zusammentrafen.
„Und wie heißt das Nest?“ fragte Old O’Flynn gerade noch einmal.
„Welches?“ wollte Ferris Tucker wissen.
„Na, das Nest, wo Euphrat und Tigris zusammenfließen.“
„Korna“, sagte Hasard lächelnd.
„Al-Qurnah auf arabisch“, fügte Philip junior hinzu.
Der Alte schnitt eine Grimasse. „Ja, ihr Klugscheißer habt mal wieder eine dicke Lippe. Aber das sage ich euch: wir verirren uns noch ganz gehörig in dieser Ecke Welt.“
„Donegal“, sagte Carberry mit grollendem Organ. „Wenn du damit auf den Nil anspielen willst, gibt es Ärger.“
„Ah, du willst mir drohen?“
„Gar nichts will ich. Nur vom Nil will ich kein Sterbenswort mehr hören, verdammt noch mal. Und wir haben da eine Vereinbarung, vergiß das nicht.“
„Klar, denke ich dran.“
Richtig – sie hatten sich seinerzeit, nachdem die „Isabella VIII.“ im Treibsand von Ägypten steckengeblieben war, darauf geeinigt, über diese wohl blamabelste Episode ihres Lebens nie wieder zu reden. Außerdem hatten sie sich geschworen, daß so etwas nie wieder passieren würde.
Aber jetzt hockten sie auf ihrem Schiff mitten im Schwemmland, und den Seewolf schien wieder mal der Hafer zu stechen. Was tun? Mitgegangen, mitgehangen – sie konnten sich nur fügen, denn sie waren alle mit dieser Fahrt einverstanden gewesen.
„Freunde, ihr braucht euch keine Sorgen zu bereiten“, sagte Hasard. „Auf die Karten können wir uns verlassen. Bisher haben sie uns den richtigen Weg gewiesen. Und die ‚Santa Barbara‘ ist nur ein Leihschiff. Wir können sie verkaufen, wann wir wollen. Wir können sie auch verschenken, denn sie hat uns keinen Silberling gekostet.“
„Das ist alles richtig“, entgegnete Don Juan de Alcazar. „Aber wo willst du eigentlich hin?“
„Dorthin, wo wir noch nicht waren.“
„In die Wüste der Türkei?“ fragte Old O’Flynn aufsässig.
„Unsinn“, sagte der Seewolf. „Es gibt ein paar Plätze, die wir noch nicht erkundet haben. Zum Beispiel den Süden von Rußland.“
„Ich werd’ verrückt“, sagte Big Old Shane ächzend. „Das ist selbst für mich zuviel.“
„Ich möchte dich daran erinnern, daß wir mit unserem Schiff nicht fliegen können“, gab selbst der sonst so besonnene Ben Brighton zu bedenken.
„Das brauchen wir auch nicht“, erwiderte Hasard vergnügt. „Wir kommen überall hin, keine Angst.“
„Aber zur Zeit stecken wir in einer beschissenen Gegend“, meinte der Profos. „Der Arsch der Welt, meine ich. Und Abadan – na, das kann man ja wohl auch vergessen.“
„Weil es dort keinen Rum zu kaufen gab?“ fragte Higgy grinsend.
„Ach, du kannst mich mal.“
„Rum gibt es nirgends in Arabien“, erklärte der Kutscher. „Wer welchen feilbietet, dem wird der Kopf abgehackt. Das gilt für alle alkoholischen Getränke. Der Koran verbietet sie.“
„Das hast du uns schon hundertmal erzählt“, sagte Blacky.
„Ist ja gut“, meinte Matt Davies. „Die Muselmanen dürfen keinen Wein und keinen Schnaps trinken. Aber ich habe allmählich die Nase voll von diesen scheinheiligen Alis. Heimlich sind sie nämlich doch alle Sünder, oder täusche ich mich?“
„Wir alle sind Sünder in Gottes Augen“, sagte der Kutscher.
Mac Pellew warf ihm einen schiefen Seitenblick zu. „Spinnst du? Du hast wohl deinen Beruf verfehlt. Hättest Bordkaplan werden sollen.“
„Alles Quatsch“, erklärte Old O’Flynn. „Was Ed eben sagen wollte, ist die Tatsache, daß Nester wie Abadan reichlich langweilig sind.“
„Danke“, sagte der Profos. „So habe ich das gemeint.“
„Vielleicht ist in Bagdad mehr los“, sagte Hasard. Er lächelte immer noch.
„Ein bekannter Name“, brummte Shane. „Aber wo liegt das eigentlich genau?“
„Hinter Korna“, erwiderte Hasard junior.
Shane stieß einen Fluch aus. „Das sagt mir auch nichts.“
„Nördlich von Korna“, ergriff der Seewolf wieder das Wort. „Und in Bagdad gibt es einen großen Bazar, wo man alles mögliche kaufen kann. Nur keinen Schnaps.“
„Das haben wir doch alles schon gehabt“, sagte Blacky. „In Masquat beispielsweise. Der Sultan war so großzügig.“
„Sogar Frauen hätten wir haben können“, sagte Carberry mit einem Seufzer.
„Aber wir benehmen uns wie die frommen Klosterbrüder“, meinte Roger Brighton. „Ist ja unsere eigene Schuld.“
„Jedenfalls kann Bagdad uns nichts Neues bieten“, sagte Ferris zusammenfassend.
„Laßt euch vom Zauber des Orients einfangen“, erklärte der Seewolf. „Wir sind nicht nur Korsaren, wir sind auch Entdecker. Will euch das nicht in den Kopf?“
„Sie werden’s nie begreifen.“ Der Kutscher seufzte.
Carberry musterte ihn drohend. „Nicht, wie? Aber du hast den großen Durchblick, was, wie? Nur du bist ein kluger Kopf, wenn man dich so quatschen hört.“
Hasard gab seinem Koch und Feldscher Schützenhilfe. „Der Kutscher meint das nicht so, Ed. Er wirbt nur um mehr Verständnis für Reisen dieser Art.“
„Na gut, na gut“, sagte Carberry einigermaßen beschwichtigt. „Wir können nicht immer nur die Dons überfallen und ihre Galeonen von den Masttoppen bis zum Kielschwein ausnehmen, das sehe ich ein. Wir können auch nicht immer nur andere Leute retten. Aber, zum Henker, wir können auch nicht monatelang nur öde Gegenden wie diese auskundschaften.“
„Willst du meckern, Ed?“ fragte der Seewolf freundlich.
Der Profos blickte seinen Kapitän entsetzt an. „Was? Ich doch nicht!“
„Dann laßt uns das Thema wechseln“, sagte Hasard. „Wir können ja sehen, was der morgige Tag bringt. Ich schätze, daß wir Korna noch am Vormittag erreichen. Dann entscheiden wir, was wir weiter tun. Wie wäre es jetzt mit einem kleinen Umtrunk?“
„Einverstanden, Sir“, antworteten die Männer.
„Mac“, sagte der Seewolf. „Hiermit verordne ich als Seelenmedizin eine Extraration Brandy. Doppelt, verstanden?“
„Aye, Sir.“ Mac war schon in der Kombüse verschwunden.
„Das gleiche empfängt nachher noch mal die Wachablösung“, sagte der Seewolf.
Er wußte, daß er seinen Mannen moralisch ein wenig auf die Beine helfen mußte. Die Schwemmlandebene wirkte sich in gewisser Weise deprimierend auf sie aus. Und nicht nur auf sie – ihm ging es, wenn er ganz ehrlich war, genauso.
Es war ein seltsames, bedrückendes Land, feucht und schwül. Der Nacht fehlten die typischen Laute wie das Zirpen von Zikaden, das Quaken von Fröschen, das Kreischen der Nachtvögel. Gespenstische Stille herrschte. Alles schien tot oder verlassen zu sein.
Es war nur gut, bald nach Korna zu gelangen. Vielleicht sah die Welt dort schon wieder etwas besser aus.
2.
Die Kerle wollten mit ihren Guffas umdrehen und den Schauplatz des Schreckens verlassen. Doch Ebel Schachnam, ihr couragierter Anführer, war damit absolut nicht einverstanden. Er griff nach dem Arm der Frau – richtiger, des Mädchens, denn sie erschien ihm immer jünger, trotz der scheußlichen Grimasse, die sie schnitt, als sie schrie.
Das Frauenzimmer dachte auch jetzt nicht daran, seine Hilfe anzunehmen. Vielleicht ahnte sie, was ihr blühte, wenn sie diesen Halunken in die Hände fiel? Daß es besser war, in dem Morastloch zu ersaufen, als von diesen Galgenstricken verschleppt zu werden? Sicherlich sagte ihr der Verstand, daß sie nur vom Regen in die Traufe geriet, wenn sie sich diesen Strolchen anvertraute.
Also riß das „Sumpfweib“, wie einige der Kerle sie schon insgeheim getauft hatten, ihren Arm mit einem gellenden Schrei zurück. Sie spuckte und zischte und bewegte sich heftig, schaffte es aber auch jetzt nicht, sich aus dem Loch zu befreien.
Eine Teufelin – und eine Giaur, eine Ungläubige noch obendrein, wie ihre fremde Sprache bewies. Unmöglich konnte sie zu Allahs gläubigen Kindern gehören. Dazu war ihre Haut zu weiß und ihr Haar zu blond.
Es war ein Rätsel, daß sie ausgerechnet hier, am Tigris, aufgetaucht war. Wer war sie, wie gelangte sie hierher? Nur die Mächte des Dunkeln, die in dieser wie in keiner anderen Nacht aktiv waren, konnten sie hierher befördert haben.
Ebel, der Bärtige, wurde jetzt richtig wütend. Mit einem heiseren Aufschrei beugte er sich weit vor und griff mit beiden Händen nach der Widerspenstigen.
Inzwischen hatten die Schnapphähne in dem Häuptlingsguffa jedoch begonnen, rückwärts zu paddeln. Die Distanz zwischen Ebel und der „blonden Hexe“ vergrößerte sich also zwangsläufig, was zur Folge hatte, daß Ebel nun tatsächlich aus seinem Ruderboot kippte. Er landete im flachen Wasser. Das Guffa schaukelte. Die Kerle fluchten und grölten. Die „Sumpfhexe“ kreischte ohrenbetäubend.
Ebel Schachnam richtete sich wie ein zottiger Bär auf und war versucht, sich auf seine Besatzung zu stürzen, um einen nach dem anderen von den verdammten Idioten zu ersäufen. Doch die Verlockung, die von dem zappelnden Weib ausging, war zu groß. Mit zwei Schritten war er bei ihr und packte sie.
Das Mädchen kratzte und biß, doch Ebel verpaßte ihr eine klatschende Maulschelle. Sie heulte auf, kriegte aber doch Angst. Er zerrte sie aus dem Wasserloch und schleppte sie zum Guffa.
„Ich habe sie, ihr Drecksäcke!“ brüllte er. „Los, übernehmt sie, oder ich schneide euch die Zungen aus euren stinkenden Hälsen!“
Zwar zögerten einige von den Piraten noch. Aber die meisten – allen voran natürlich Güner – hatten inzwischen begriffen, daß das Mädchen doch ein richtiger Mensch war. Ebel hatte mit seiner Ohrfeige bewiesen, daß man auch eine Besessene zur Räson bringen konnte.
Güner packte zu und zog die Blondine ins Boot. Auch die anderen griffen jetzt mit zu. Und der Grinser konnte schon wieder kichern. Plötzlich bereitete es den Kerlen einen Riesenspaß, das nasse Mädchen bei sich im Guffa zu haben.
Ebel Schachnam stieg zurück an Bord und brüllte: „Los jetzt! Zurück zum Lager! Wird’s bald, ihr Kamele?“ Um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, bückte er sich und kramte eine zusammengerollte Peitsche unter dem Stroh hervor.
Die Peitsche bestand aus roh gegerbtem Büffelleder, das am dünneren, also vorderen Ende geflochten war. Dieser Zopf verursachte besonders große Schmerzen, wenn er auf nackte Haut traf. Ebel ließ die Peitsche einmal durch die Luft pfeifen und knallen, und schon duckten sich die Kerle. Auch die „Sumpfhexe“ kauerte sich auf dem Bootsboden zusammen und deckte ihren Kopf schützend mit den Händen ab.
Die Flußräuber paddelten, als säßen ihnen sämtliche Dämonen der Hölle im Nacken. Bald war das Lager erreicht. Das Mädchen richtete sich plötzlich auf und wollte fliehen. Aber Güner bemerkte es rechtzeitig. Er packte ihre Schultern und drückte sie auf den Boden zurück.
„Du bleibst hier“, sagte er rauh.
„Gut gemacht, Güner“, lobte Ebel seinen Unterführer.
Der Kurde äußerte nichts weiter. Er spürte den warmen, weichen Körper des Mädchens unter sich. Heißes Verlangen stieg in ihm auf. Wenn Ebel Schachnam dieses Weib besessen hatte, gehörte sie ihm – für den Rest der Nacht.
Die Flußräuber legten im Ufergestrüpp an, stiegen aus und zogen die Guffas zum Trocknen an Land. Diejenigen, die als Wachtposten im Versteck geblieben waren, eilten herbei. Sie staunten nicht schlecht, als sie sahen, wie Ebel und Güner das Mädchen herbeischleppten.
Sie zappelte wieder und stieß kleine, spitze Schreie aus. Die Pferde wieherten und stampften mit den Vorderhufen. Die Kerle lachten roh. Es herrschte Aufruhr im Schlupfwinkel. Die Schnapphähne rannten sich vor lauter Vorfreude beinah selbst über den Haufen.
Einer der Flußräuber stolperte und stürzte ins Feuer. Er überrollte sich und heulte vor Schmerz. Die anderen grölten vor Begeisterung. Ebel Schachnam selbst konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen.
Die Hütten, in denen die Kerle hausten, duckten sich jenseits des Lagerfeuers, etwa dreißig Schritte vom Ufer entfernt, unter den Wipfeln von mächtigen Dattelpalmen. Ganze Wälder solcher Palmen gab es in dieser Gegend.
Die Hütten waren grob zusammengezimmert. Viel Sorgfalt hatten die Piraten nicht aufgebracht, die Behausungen wirkten alles andere als solide und wetterfest. Doch innen waren sie mit Stroh ausgelegt. Die Dächer bestanden aus Matten und getrocknetem Pferdemist.
Ebel und Güner schleiften das fremde Mädchen in die Häuptlingshütte und stießen sie auf den Boden. Das Mädchen versuchte, zwischen den Beinen des Anführers hindurchzukriechen und die Tür zu erreichen, aber Ebel Schachnam versetzte ihr einen Tritt, der sie gegen die Wand beförderte.
Wimmernd blieb das Mädchen liegen. Ebel wollte sich schon auf sie werfen, doch ihm fiel noch etwas ein.
„Hol Wein!“ fuhr er seinen Unterführer an. „Du weißt, wo ich ihn versteckt habe!“
„Sollen die anderen den Krug sehen?“
„Nein, natürlich nicht!“
Güner grinste hart. „Ich stelle zwei Bedingungen.“
„Das wagst du?“ Ebel Schachnam begann vor Zorn zu beben. Er wollte Güner anblicken, hielt es aber für besser, das Mädchen nicht aus den Augen zu lassen. Schon wieder unternahm sie den Versuch, zur Seite wegzukriechen. Er verbaute ihr den Weg.
„Ich will die Hälfte von dem Wein haben“, erklärte der Kurde. „Und wenn du das Frauenzimmer gehabt hast, kriege ich es.“
„Das könnte dir so passen!“
„Was willst du noch mit ihr, wenn du nachher schläfst?“ fragte Güner herausfordernd.
Ebel Schachnam bezwang seinen Zorn. „Meinetwegen, einverstanden. Aber beeil dich. Ich will dieser Hure den Teufel austreiben.“
Güner verschwand mit den Worten: „Einen guten Rat gebe ich dir. Feßle sie, sonst haut sie doch noch ab.“
Dann war er draußen und hastete durch den Dattelwald zu der Stelle, an der Ebel und er einen großen Krug Wein vergraben hatten. Die Horde durfte davon nichts wissen.
Erstens verbot der Koran den Genuß von Alkohol. Ebel Schachnam war das egal, aber es gab einige Kerle, die gläubige Moslems waren und in ihrem Anführer in jeder Hinsicht ein Vorbild haben wollten. Zweitens würden diejenigen, die nicht an Allah und den Propheten glaubten, Güner den Krug entreißen, sobald er sich damit zeigte. Und hätten sie etwas von dem Versteck gewußt, dann wäre der Krug längst von ihnen ausgegraben worden.
Ebel wandte sich dem Mädchen zu. Aber er dachte: dieser Güner, dieser dumme Hund, wird auch immer frecher. Bei nächster Gelegenheit werde ich ihm einen Denkzettel verpassen, den er so schnell nicht wieder vergißt.
Das Mädchen rückte von Ebel Schachnam weg, bis es mit dem Rücken gegen die Hüttenwand gepreßt dahockte. Wieder schrie sie und schleuderte ihm Worte in ihrer Sprache entgegen, die alles andere als Liebkosungen und Schmeicheleien zu sein schienen.
„Du Kröte“, sagte der Bärtige. „Dir werde ich beibringen, wie man sich vor Ebel Schachnam benimmt.“
Sie spuckte und kratzte, als er sich ihr näherte.
Ebel gab ihr noch eine Ohrfeige, dann brüllte er: „Auf die Knie! Verneige dich vor mir, du Giaurhure!“
Güner schlich mit dem Weinkrug in den Händen von hinten, im Schutz des Dattelwaldes, auf die Häuptlingshütte zu. Als er hörte, was Ebel schrie, mußte er leise lachen. Was für ein Narr der Kerl doch war. Das Mädchen verstand ihn nicht. Im übrigen hätte sie sich nie und nimmer vor ihm auf den Bauch geworfen.
Am Feuer standen die Kerle mit erhobenen Köpfen zusammen und blickten zur Hütte ihres Anführers. Wie würde es weitergehen? Auf was wartete Ebel Schachnam noch? Warum ließ er das Weibsbild nicht einen Veitstanz aufführen, indem er sie mit seiner Peitsche züchtigte?
Kurzum, alle waren so beschäftigt und neugierig, daß sie das Nahen der beiden Männer nicht bemerkten, die schon eine Weile das Piratenlager beobachteten.
Diese Männer waren ein merkwürdiges Duo. Der eine saß auf einem klapprigen Gaul, der jeden Moment zusammenzubrechen drohte. Der Mann steckte in einer Ritterrüstung aus vergangenen Zeiten, und er führte Schild und Schwert als Waffen bei sich.
Der andere war ein Riese, so groß wie breit. Nur wenig weißes Haar wuchs auf seinem flachen Schädel, seine Augen verbargen sich unter dicken Wülsten. Seine Unterlippe war etwas vorgeschoben, seine Nase erinnerte an eine kurze, verformte Gurke. Seine Kleidung bestand aus einem zottigen Tierfell.
Die Schachnamkerle waren wie hypnotisiert. Sie starrten nur noch auf die Häuptlingshütte. Jeden Moment, so erwarteten sie, würde das Teufelsweib herausspringen, nackt und kreischend. Ebel würde sie mit seiner Peitsche vor sich hertreiben. Ein Bild, das man genießen würde!
Wieder schrie das Mädchen in der Hütte.
Dann geschah es. Der Reiter war plötzlich mitten unter den Kerlen und hieb mit seinem Schwert um sich. Der Riese lief geduckt auf die Anführerhütte zu.
„Hol sie heraus!“ schrie der Ritter. „Rette sie!“
Aber nur der Riese verstand seine Worte, denn er bediente sich der holländischen Sprache, die in diesen Breiten sonst niemand kannte.
Die Flußräuber sprangen fluchend auseinander. Nur allmählich griffen sie zu ihren Waffen. Sie waren benommen und wie aus einer tiefen Trance erwacht. Und nun noch dieser Schreck!
„Ein Dämon!“ schrie einer von ihnen.
„Das sind Höllenteufel!“ brüllte ein anderer.
Haschira versuchte immer noch zu grinsen, aber es gelang ihm nicht. Die Kerle rannten hin und her und versuchten, den wilden Schwerthieben des Ritters zu entgehen. Die Pferde der Piraten wieherten wie verrückt und stiegen mit den Vorderläufen auf.
Der Riese, der aus dem Dunkel aufgetaucht war, stürmte in die Häuptlingshütte. Ebel Schachnam heulte wie ein Wolf, aber es nutzte ihm nichts. Der Riese fegte ihn mit einer einzigen Bewegung um. Seine Faust traf Ebels Brust, Ebel landete in einer Ecke.
„Komm“, sagte der Riese. Er half dem Mädchen auf, und sie verließen die Hütte.
Ebel Schachnam hörte seine sämtlichen Knochen knacken. Er stöhnte. Dann verlieh ihm die Wut neue Kräfte. Er sprang auf und raste den Fliehenden nach.
Güner, der Kurde, ließ vor Schreck den Weinkrug fallen, als er das Trio flüchten sah. Tatsächlich wirkten die drei wie Wesen der Finsternis, des Jenseits, wie sie sich in die Büsche schlugen und im Dattelwald untertauchten. Einen solchen Spuk hatte auch der Kurde nie zuvor erlebt. Er begann, an seinem Verstand zu zweifeln.
Alles war blitzschnell gegangen. Die Flußräuber glaubten noch das Schwert pfeifen zu hören und duckten sich, damit sie nicht getroffen wurden. Aber schon waren die beiden Gespenster mit dem Mädchen auf und davon.
„Dämonen!“ krächzte ein Kerl. „Sie haben ihre Teufelin befreit!“
„Haltet eure Schnauzen!“ brüllte Ebel Schachnam. „Packt sie! Laßt sie nicht entwischen!“
Die Kerle griffen nach Pfeil und Bogen und schauten sich nach allen Seiten um. Aber es gab niemanden mehr, auf den sie schießen konnten. Sie waren weg – schienen sich in Luft aufgelöst zu haben.