Seewölfe Paket 30

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„Was ist da los?“ stieß er hervor. „Wir haben Schüsse gehört!“
„Die Fischer, diese Hurensöhne!“ stammelte der Pirat. „Sie – sie haben sich befreit!“
„Wie konnte das geschehen?“ brüllte. Olivaro.
„Es – es ist nicht meine Schuld!“
Olivaro verpaßte dem Kerl einen Fausthieb. Der Kerl stürzte in den Sand. Olivaro gab seiner Horde das Zeichen zum Angriff. Mit den Musketen und Pistolen im Anschlag rückten die Schnapphähne auf das Dorf zu. Sie waren angetrunken, aber so benebelt, daß sie nicht mehr kämpfen konnten, waren sie nicht.
Plötzlich tauchten die Fischer aus dem Dunkel der Nacht auf.
„Da sind sie!“ schrie Olivaro. „Drauf! Schießt sie zusammen, diese Drecksäcke!“
Die Musketen krachten. Domingo Calafuria, Zorba und die anderen Männer aus dem Dorf feuerten zurück, aber sie waren klar unterlegen. Sie hatten nur die paar Waffen, die sie den toten Wächtern abgenommen hatten, mehr nicht.
Im Kugelhagel der Piraten brachen fünf Männer getroffen zusammen, darunter auch einer von Zorbas Söhnen. Vier waren tot. Zorbas Sohn lebte noch. Sein Vater hob ihn vom Boden auf und nahm den Verletzten auf den Rücken.
„Zurück!“ schrie Domingo. „Ins Dorf!“
Die Fischer hetzten zu den Hütten zurück. Olivaro und seine Kerle folgten ihnen. Wieder krachten Schüsse. Ein Fischer strauchelte und blieb am Hang liegen. Die Piraten grölten und fluchten.
Diejenigen Kerle, die die Fässer mit Whisky und Bier trugen, warfen jetzt ihre Lasten ab, um beweglicher und schneller zu sein. Die Fässer rollten den Hügel hinunter.
Kapitän Burl Ives witterte seine Chance. Die Piraten hatten einen bemerkenswerten Fehler begangen: Sie hatten Farah Acton und ihm nicht die Hände gebunden. Ives griff in der allgemeinen Verwirrung nach der Hand des Mädchens und zog Farah mit sich fort.
„Wir fliehen!“ rief er ihr zu. „Vielleicht können wir uns diesen Leuten dort anschließen!“
Aber Olivaro war auf der Hut. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie die zwei versuchten, sich von der Meute anzusondern.
„Aufgepaßt!“ brüllte er. „Die hauen ab! Guzman!“
Guzman wandte den Kopf und sah den Kapitän und das Mädchen, die nach links davonhasteten. Guzman nahm sofort die Verfolgung auf. Die Kerle folgten ihm. Fluchend rannten sie hinter ihren Geiseln her.
Fast hatten Ives und Farah ein kleines Gehölz erreicht, in dem sie sich hätten verstecken können, da waren die Piraten bei ihnen. Guzman packte das Mädchen und warf es zu Boden. Farah schrie und zappelte. Sie kratzte und biß. Aber es nützte alles nichts, Guzman hielt sie lachend fest.
Ives wurde von drei Kerlen gegen den Stamm eines Baumes gepreßt. Einer der Schnapphähne zückte sein Messer.
„So, jetzt bringen wir dir Flötentöne bei!“ zischte er.
Aber Olivaro war zur Stelle.
„Das reicht“, sagte er. „Ich will die beiden lebend. Fesselt sie!“ Er trat dicht vor Ives hin und rammte ihm die Faust brutal in den Bauch. „Versuch das nie wieder, du Schweinehund!“ stieß er aus.
Ives krümmte sich. Die Kerle rissen ihm die Hände auf den Rücken und fesselten ihn. Auch die Fußknöchel des Mannes wurden mit einem Stück Tau verbunden, so daß er nur kurze Schritte machen konnte. Ebenso verfuhren die Galgenstricke mit Farah Acton.
Guzman fragte sich insgeheim, warum die beiden Gefangenen unbedingt am Leben bleiben sollten. Er wußte sich darauf keinen rechten Reim zu bilden. Sonst wurden die Besatzungen von Schiffen, die man aufbrachte, stets gnadenlos niedergemetzelt. Keiner durfte am Leben bleiben. Das war Olivaros Prinzip. Warum verhielt er sich dieses Mal anders? Steckte etwas dahinter?
Guzman hatte vorerst keine Gelegenheit, weitere Überlegungen in dieser Richtung anzustellen. Die Jagd ging weiter. Olivaro gab erneut den Befehl zum Angriff. Die Piraten stürmten ins Dorf und zerrten die Gefangenen mit sich.
Wegen des Zwischenfalles, für den Ives gesorgt hatte, hatten die Fischer unterdessen einen ziemlich großen Vorsprung gewonnen. Domingo Calafuria und Hernán Zorba, als Führer der Gruppe, waren sich einig. Sie konnten eine neue Auseinandersetzung mit den Piraten nicht riskieren. Olivaros Bande war zu stark.
Es hatte auch keinen Sinn, sich in den Häusern zu verschanzen. Zweifellos würde es den Kerlen keine große Mühe bereiten, die Hütten zu stürmen, die Männer niederzuschießen und die Frauen zu vergewaltigen.
Es gab nur noch eine Möglichkeit: Flucht. Männer, Frauen und Kinder verließen das Dorf auf der entgegengesetzten Seite. Sie liefen in die Hügel hinauf. Hier kannten sie sich bestens aus. In den Wäldern der Insel würde es den Piraten nicht so rasch gelingen, die Familien wiederzufinden.
Und es gab auch einen Platz, an dem man sich vor Sturm und Regen schützen konnte. Vier Meilen vom Strand entfernt zog sich ein Höhlensystem durch die Felsen. Hier hatten die Fischer schon öfter Zuflucht gesucht, wenn Piraten die Küsten bedroht hatten.
So fanden Olivaro und dessen Spießgesellen nur noch die leeren Hütten vor, als sie das Dorf erreichten.
„Alle weg“, sagte Guzman. „Die sind getürmt, Olivaro.“
„Das sehe ich auch!“ stieß der Anführer gereizt aus. Er trat einem der toten Wächter voll Wut in die Seite und spuckte aus. „So ein verdammter Mist! Los, ausschwärmen! Holt mir dieses Gesindel zurück!“
Aber so sehr die Piraten auch suchten – sie fanden die Fischer nicht mehr. Zu groß war der Vorsprung. Und in der Dunkelheit konnten die Kerle nicht die Wälder abforschen. Sie mußten bis zum Morgen warten.
Olivaro betrat sein Hauptquartier und entdeckte im Keller den toten Juanito.
„Verfluchte Ratte!“ sagte er wütend. „Ich wette, daß sie dich als ersten abgemurkst haben! Geschieht dir recht!“
Olivaro veranlaßte, daß die Toten weggeschleppt und in die Bucht geworfen wurden. Danach ließ er die beiden Gefangenen in den Keller seiner. Hütte sperren. Er knallte selbst die Luke zu und setzte sich an den Tisch. Was er jetzt brauchte, war ein tüchtiger Schluck Whisky. Er schenkte sich einen ganzen Humpen voll und trank unbeherrscht.
Während draußen noch seine Kerle herumstreunten und nach den Fischern suchten, beruhigte sich Olivaro allmählich wieder. Na gut, es war ein Verlust, daß das verdammte Fischerpack ausgerissen war. Jetzt mußten die Piraten alle Arbeiten selbst erledigen. Sie hatten keine Sklaven mehr. Aber was kümmerte das ihn, Olivaro! Er würde bald auf dem Weg nach England sein, wo es eine Menge Geld zu holen gab. Das war wichtiger.
Grinsend holte er die Schatulle hervor, stellte sie auf den Tisch und öffnete sie. Gierig wühlte er in den Münzen. Was für ein Gefühl! Bald würde er steinreich sein. Dann konnten ihm die Kerle diese Taugenichtse, allesamt den Buckel runterrutschen.
Auch im Schlaf waren die Sinne des Seewolfes geschärft. Durch das Heulen und Fauchen der Naturgewalten vernahm er das Peitschen von Schüssen. Mit einem Ruck erhob er sich und kauerte auf dem Rand der schwankenden Koje. Wieder knallte und krachte es irgendwo auf der Insel. Hasard stand ganz auf und griff nach seiner Jacke. Im Dunkeln und auf den wippenden Planken war das nicht ganz leicht.
Schritte näherten sich auf dem Mittelgang. Jemand verharrte vor dem Schott der Kapitänskammer und klopfte an. Dreimal.
„Wer da?“ fragte Hasard.
„Bill, Sir“, ertönte die Stimme von der anderen Seite des Schotts.
„Gibt es Neuigkeiten?“ Der Seewolf ließ Bill herein.
Bill hielt sich am Pfosten fest. „Es wird wieder geschossen. Ich halte es für meine Pflicht, das zu melden.“
„In Ordnung“, erwiderte Hasard. „Ich habe es auch schon gehört. Wie spät ist es?“
„Vier Glasen morgens, Sir.“
„Dann können wir immer noch nichts unternehmen“, sagte der Seewolf. „Seid weiterhin auf der Hut. Sobald der Morgen graut, gehe ich selbst mit einem Trupp an Land. Ich will wissen, was hier gespielt wird.“
„Solange keine unmittelbare Bedrohung für die Schebecke besteht, brauchen wir uns wohl keine Sorgen zu bereiten“, meinte Bill.
„Das ist richtig, aber die Schüsse klangen dieses Mal näher.“
„Den Eindruck hatte ich auch.“
„Es könnte noch Verdruß für uns geben“, sagte der Seewolf. „Wir müssen aufpassen wie die Luchse.“
„Das tun wir, Sir“, versicherte ihm Bill.
„Das glaube ich dir.“ Hasard lauschte dem Heulen des Windes und dem Rauschen der See. „Ist kein Ende des Sturmes in Aussicht?“
Bill antwortete: „Mir scheint, der Wind hat ein wenig nachgelassen. Das Gewitter hat sich weiter zur See hin verlagert.“
„Möglich, daß am Vormittag doch Ruhe eintritt“, sagte der Seewolf. „Wäre es nicht besser, wenn ich mit bei euch an Deck bin?“
„Das halte ich nicht für erforderlich“, erwiderte Bill. „Das schaffen wir allein, Sir, ganz bestimmt. Sollten wir Verstärkung brauchen, melde ich mich rechtzeitig.“
Hasard lauschte. Wieder knallten – wie aus weiter Ferne – auf der Insel Schüsse. Er meinte auch Schreie zu hören. Ein Kampf fand dort statt, kein Zweifel. Ob aber wirklich ein Eingreifen der Arwenacks erforderlich war? Das blieb dahingestellt. Immerhin war auch denkbar, daß sich zwei einander feindliche Gruppen von Schnapphähnen in die Haare geraten waren.
„Einverstanden, Bill“, sagte Hasard. „Wenn es weitere Vorkommnisse gibt, wecke mich bitte wieder.“
„Aye, Sir!“ Bill zeigte klar und arbeitete sich durch den Mittelgang des Achterkastells zurück an Oberdeck.
Hasard ließ sich auf seine Koje sinken und faltete die Hände unter dem Kopf. Noch ein paar Schüsse waren durch das Tosen des Wetters zu vernehmen, dann war es – zumindest was das Krachen und Knallen betraf – still.
Bald war der Seewolf wieder eingeschlafen. Doch es war ein unruhiger Schlummer. Vor seinem geistigen Auge liefen alle die Vorfälle ab, die sich zugetragen hatten, seit sie den Stützpunkt in der Karibik verlassen hatten.
Wieder einmal hatten die Arwenacks eine Weltreise hinter sich – die dritte in knapp zwanzig Jahren. Ein Abenteuer reihte sich an das andere. Es gab keinen Platz, an dem nicht unangenehme Überraschungen auf sie lauerten. Es existierte kein Frieden auf der Welt. Überall gab es Streit und Auseinandersetzungen.
Gegen halb fünf Uhr morgens wurde der Seewolf wieder wach und kletterte aus seiner Koje. Er wusch sich, so gut es ging, dann begab er sich zu seinen Mannen an Oberdeck. Inzwischen hatte der Wachwechsel stattgefunden. Dan war der Führer des sechsköpfigen Kommandos.
Er grinste seinem Kapitän zu und fragte: „Merkst du was?“
„Wind und Seegang haben nachgelassen“, erwiderte Hasard.
„Ja. Die Lage scheint sich zu bessern.“
„Und an Land?“
„Nichts mehr gehört“, sagte Dan O’Flynn. „Absolute Ruhe. Es hat sich auch niemand gezeigt. Keine Leute am Ufer, keine Piratensegler. Nichts.“
Der Seewolf hielt sich an einem der Manntaue fest und fuhr sich mit einer Hand übers Kinn. Er spähte zum Ufer, das in der Dunkelheit eher zu ahnen als zu erkennen war.
„Das braucht nicht unbedingt ein gutes Zeichen zu sein“, sagte er.
Dan nickte. „Natürlich nicht. Keine Sorge, wir erfahren bald, ob es Schnapphähne oder Geister sind, mit denen wir es zu tun haben.“
Hasard hangelte in den Tauen weiter zu den anderen. Es waren Blacky, Higgy, Stenmark, Batuti und Jeff Bowie. Er tauschte ein paar Worte mit ihnen. Danach verstummten sie alle. Sie standen auf dem taumelnden Schiff und hielten pausenlos Ausschau nach allen Seiten.
Endlich meldete sich der Morgen durch das Heraufziehen grauer Schleier im Osten an. Bald breitete sich ein schmutzigroter Streifen über der See aus. Der Himmel sah zum Fürchten aus. Trotzdem waren die Arwenacks zuversichtlich gestimmt.
Das Meer beruhigte sich zusehends. Der Sturm flaute immer mehr ab. So jäh, wie er über die Schebecke und ihre Besatzung hereingebrochen war, so plötzlich schien er auch wieder nachzulassen.
Zum Backen und Banken erschien die Crew vollzählig an Deck. Der Kutscher, Mac Pellew und die Zwillinge teilten ein heißes, dampfendes Getränk aus – Wasser mit Brandy. Dazu gab es Schiffszwieback und gebratenes Pökelfleisch. Eine deftige Mahlzeit, die allen mundete. Carberry verputzte gleich zwei Rationen, dann meldete er sich zum Einsatz bereit.
„Ich möchte als erster Freiwilliger an dem bevorstehenden Unternehmen teilnehmen, Sir“, sagte der Profos. Es klang richtig feierlich.
„Welches Unternehmen meinst du?“ fragte Hasard.
„Na, das Unternehmen Landgang natürlich.“
„Du bist sicher, daß wir landen – nach all dem, was wir heute nacht gehört haben?“
Carberry zerdrückte einen saftigen Fluch zwischen den Lippen. „Aber klar doch. Wir brauchen Holz für die Instandsetzung unseres Schiffchens, hast du das vergessen?“
„Das habe ich nicht“, erwiderte der Seewolf. „Aber es besteht die Gefahr, daß wir in eine Falle tappen.“
„Gefahren sind dazu da, beseitigt zu werden“, sagte der Profos mit unerschütterlicher Logik. „Warum fieren wir nicht die Jolle ab und pullen an Land, statt hier Zeit mit Sprüchen zu verlieren?“
„Wir könnten auch den Ankerplatz wechseln“, sagte der Seewolf. „Vielleicht gibt es auf Mallorca auch ruhigere Gegenden.“
Carberry grinste wild. „Das würde nicht unserem Stil entsprechen, wie du immer sagst, Sir. Wir kneifen doch nicht. Und noch was. Was ist, wenn irgendwelche arme Teufel möglicherweise unsere wertvolle Hilfe brauchen? Willst du sie im Stich lassen?“
„Hört, hört!“ sagte Old O’Flynn. „Der barmherzige Samariter hat gesprochen.“
„Mir kommen die Tränen“, sagte der Kutscher.
Carberry wollte aufbrausen, aber der Seewolf bremste ihn mit einer Geste.
„In Ordnung, Freunde“, sagte er. „Ich denke, wir sollten es riskieren. Sieben Mann begleiten mich. Wir kundschaften die Lage aus. Wenn es keine Fallen oder sonstige Gefahren gibt, suchen wir ein paar Bäume aus, die wir schlagen und zu Planken und Spieren verarbeiten können. Ben, du übernimmst das Kommando über die Schebecke. Klar zum Gefecht, verstanden?“
„Aye, Sir.“ Ben wußte Bescheid, was er zu tun hatte. Es bedurfte keiner längeren Absprachen. Längst waren die zwölf Culverinen und die vier Drehbassen der Schebecke feuerbereit.
Hasard stellte seinen Landtrupp zusammen. Außer Carberry sollten Ferris Tucker, Big Old Shane, Don Juan de Alcazar, Batuti, Gary Andrews und Matt Davies mit dabei sein. Die Mannen bewaffneten sich und fierten die Jolle ab.
„Warum nehmt ihr nicht auch Plymmie mit?“ fragte Philip junior seinen Vater.
Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Wir können sie diesmal entbehren. Und ich will wegen Plymmie kein Risiko eingehen, das weißt du.“
Ja – er wollte das Leben der Wolfshündin nicht unnötig aufs Spiel setzen. Plymmie verfügte über eine ausgezeichnete Nase. Aber schon mehrfach war sie in Lebensgefahr geraten wie zum Beispiel auf einer Insel südlich von Griechenland, wo Piraten sie in einen Sack gesteckt hatten. Nur wie durch ein Wunder war es den Kerlen nicht gelungen, die Hündin zu ertränken.
Plymmie blieb also an Bord. Hasard und seine sieben Begleiter enterten in die Jolle ab. Sie pullten zum Ufer, getragen von den immer noch ziemlich hohen Wellen.
Eine rauschende Brandung beförderte sie auf den Sand. Sie sprangen heraus und zogen das Boot ans Ufer. Dann rückten sie in Richtung Westen ab. Von dort waren in der Nacht die Schüsse erklungen.
Ben und die anderen beobachteten von der Schebecke aus mit ihren Kiekern das Ufer und die Hügel, die mit Olivenbäumen bestanden waren. In der Morgendämmerung wirkte die Landschaft lieblich und einladend.
Doch sie alle wußten, wie sehr sie sich täuschen konnten. Das Paradies auf Erden konnte sich sehr rasch in ein mörderisches Inferno verwandeln.
Hasard und sein Trupp stiegen einen Hang hoch. Ferris Tucker klopfte ein paar alte, knorrige Olivenbäume mit dem Fingerknöchel ab. Er nickte und gab einen Laut der Genugtuung von sich.
„Taugen die was?“ fragte Carberry.
„Und ob“, erwiderte der rothaarige Schiffszimmermann. „Du hast ja keine Ahnung, wie hart Olivenholz ist.“
„Muß ich das wissen?“
„Nein“, sagte Ferris einlenkend. „Natürlich nicht. Die Spanier würden ihre Schiffe aus diesem Holz bauen, wenn es nicht so schwer zu bearbeiten wäre.“
„Aber ein paar Planken oder Spieren lassen sich daraus anfertigen“, sagte Don Juan.
„Genau das meine ich“, sagte Ferris.
Während sie leise sprachen, schauten sich die Männer ununterbrochen nach allen Seiten um. Nirgends war auch nur eine Menschenseele zu entdecken. Nichts regte sich.
Nur der Wind strich über die Insel und bewegte die Wipfel der Bäume. Vom Strand ertönte das Rauschen und Gurgeln der Brandung. Auf Mallorca schien Frieden zu herrschen. Und doch täuschte dieser Eindruck.
5.
Guzman stieß die gemeinsten und übelsten Verwünschungen aus, die ihm einfielen. Nie zuvor war seine Laune derart schlecht gewesen. Seinen fünf Begleitern erging es nicht anders. Sie fluchten und murrten. Denn sie waren schon die ganze Nacht über unterwegs und suchten erfolglos nach dem „Fischerpack“. Die Piraten hatten kein Auge zugetan. Sie waren müde, hungrig, durstig und verbiestert.
Olivaro aber kannte keine Gnade. Pausenlos scheuchte er seine Kerle über die Insel. Sie mußten jetzt ausbaden, was Juanito, dieser Narr, und die anderen Wächter des Schlupfwinkels durch ihre Unachtsamkeit angerichtet hatten. Aber das war nicht gerecht. Die Schnapphähne hatten eine Stinkwut auf ihren Anführer.
Vier Gruppen Piraten durchstöberten bei Dunkelheit, Wind und Regen die Wälder. Immer wieder kehrten sie zu Olivaro in den Schlupfwinkel zurück und meldeten, daß sich die verschwundenen Fischer und deren Familien offenbar in Luft aufgelöst hätten. Anders konnte es nicht sein. Olivaro lachte nur rauh und schickte seine Kerle wieder hinaus in das Hundewetter.
Der hat gut lachen, dachte Guzman jetzt, als es hell wurde. Sitzt in seiner Hütte und läßt sich vollaufen. Zwischendurch pennt er ’ne Runde, damit ihm das Saufen nicht zu anstrengend wird.
Ja, Guzman und die anderen Kerle hatten einen höllischen Zorn auf Olivaro. Es gab keinen unter ihnen, der dem Bandenführer jetzt nicht gern die Gurgel durchgeschnitten hätte.
Im Heraufziehen des Morgens hockten sich Guzman und sein kleiner Trupp im Olivenhain auf ein paar Steine. Sie verschnauften und blickten zur östlichen Kimm, wo die Sonne aufzusteigen begann.
„Zum Teufel mit der Scheißinsel und ihren Fischern“, sagte ein Kerl, der Bernardo hieß. „Von mir aus kann die Drecksinsel untergehen.“
„Und das Lumpengesindel soll absaufen“, fügte ein anderer Pirat hinzu.
„Es ist alles verfahren“, sagte Guzman. „Wenn wir die verdammten Bastarde nicht wieder einfangen, springt uns Olivaro an die Gurgel. Ich glaube, er befürchtet auch, daß sie die Insel überqueren und irgendwo im Norden Verstärkung holen. Da gibt es schließlich noch andere Häfen. Die haben viel zuviel Vorsprung. Die kriegen wir nie im Leben.“
„Na gut“, erwiderte Bernardo. „Es ist dabei aber noch die Frage, ob wir uns wirklich von Olivaro attackieren lassen.“
„Von dem lasse ich mir nichts mehr bieten“, brummte ein dicker Kerl mit zottigem Haar. „Ich habe die Schnauze voll.“
„Gestrichen“, pflichtete ihm sein Nebenmann bei.
„Wollt ihr meutern?“ fragte Guzman.
„Willst du’s nicht auch?“ erkundigte sich Bernardo lauernd.
„Zu uns kannst du ruhig ehrlich sein“, sagte der Dicke. „Wir halten zu dir, das weißt du.“
„Klar.“ Guzman kratzte sich im Nacken. Ja, die Burschen hatten recht. Olivaro war viel zu überheblich geworden. Ein richtiger Tyrann. Es wurde Zeit, daß ihm jemand eine Lektion erteilte.
„Ich wundere mich auch, warum Olivaro die beiden Engländer nicht abgemurkst hat“, sagte Bernardo. „Mir ist das ein Rätsel. Die sind doch bloß ein Ballast für uns.“
„Das haben wir ja gesehen“, brummte der Dicke. „Fast hätten sie fliehen können.“
„Da stimmt was nicht“, sagte Guzman. „Mir ist das auch schon aufgefallen.“
Bernardo lachte häßlich. „Daß er das Mädchen am Leben läßt, kann ich ja noch verstehen. Im Vergleich zu den dummen Fischerweibern ist das ein schmackhafter Happen. Aber der Kapitän? Was will er mit dem?“
Guzman schnippte mit den Fingern. „Da steckt was dahinter. Ich spüre es. Olivaro hat mit dem Kapitän und dem Mädchen noch was vor.“
„Was?“ wollte einer der Kerle wissen.
„Bestimmt etwas, das ihm ’ne Menge Geld einbringt“, erwiderte Guzman. „Olivaro ist gerissen. Vielleicht hat ihm der Kapitän heimlich was anvertraut, um sich, freizukaufen.“
„Ob auf dem Schiff ein Schatz ist?“ fragte der Dicke.
„Möglich wär’s“, entgegnete Bernardo. „Auf was warten wir dann noch? Nehmen wir das Wrack auseinander, Planke für Planke.“
„Ich finde, wir sollten Olivaro zur Rede stellen“, sagte Guzman. „Ehe wir uns totsuchen, fühlen wir ihm lieber auf den Zahn. Wir brauchen ihn nur zu umzingeln, dann hat er keine Chance, etwas gegen uns zu unternehmen.“
„Einverstanden“, sagte Bernardo und erhob sich. „Dann sollten wir sofort zurückkehren.“ Routinemäßig blickte er zum Südstrand hinunter – und plötzlich straffte sich seine Gestalt. „He, was ist denn das? Träume ich oder bin ich wach?“
Die anderen fuhren hoch. Guzman war mit einem Satz neben Bernardo. Das Sonnenlicht war schon recht intensiv. Guzman schirmte mit einer Hand seine Augen gegen die Strahlen ab.
„Hol’s der Henker!“ stieß Guzman hervor. „Da liegt ja ein Schiff vor Anker!“
Der Dicke spähte den beiden über die Schulter und gab einen Pfiff von sich. „Sind das etwa die Fischer?“
Guzman zog seinen Kieker auseinander und schaute hindurch. „Unsinn! So schnell können die keine Verstärkung geholt haben.“
„Es ist ein Dreimaster“, sagte Bernardo.
„Richtig“, bestätigte Guzman, „eine Schebecke.“
„Dreck, verdammter!“ zischte ein anderer Kerl. „Das sind Piraten! Türkenschweine oder Algerier!“
„Warte mal“, sagte Guzman. „Nach Alis sehen die mir nicht aus. Es sind Weiße. Merkwürdig, merkwürdig. Hoppla, da setzt ein Kahn über, es tut sich was. Die Bootscrew pullt zum Ufer.“
„Die wollen an Land“, sagte der Dicke.
Bernardo wandte den Kopf und sah ihn an. „Wie hast du das so schnell mitgekriegt?“
„Ach, halt doch deine blöde Klappe!“ stieß der Dicke aus.
„Ruhe“, sagte Guzman. „Das Boot ist am Ufer. Die Kerle klettern heraus. Sie haben einen Schwarzen dabei.“
„Vielleicht sind das doch Piraten“, sagte Bernardo.
„Oder Korsaren“, meinte der Dicke.
„Lassen wir das mal dahingestellt“, sagte Guzman. „Tatsache ist, daß die Hundesöhne über den Strand marschieren – in Richtung auf unseren Schlupfwinkel.“
„Kundschafter“, murmelte Bernardo. „Möglich, daß sie heute nacht Schüsse gehört haben.“
„Wir müssen sofort Olivaro und die anderen benachrichtigen“, sagte einer der Kerle.
„Augenblick“, sagte Guzman. „Die Schebecke ist gut armiert. Was haltet ihr davon, wenn wir sie uns unter den Nagel reißen? Wir könnten sie gut gebrauchen.“
„Wir wollen Olivaro doch sowieso absetzen“, entgegnete der Dicke. „Ich verstehe das nicht ganz.“
„Wir müssen damit rechnen, daß einige von uns nach wie vor zu Olivaro halten“, erklärte Guzman. „Wenn wir aber ein Schiff haben, mit dem wir die Hafenausfahrt blockieren, hat Olivaro nicht mal die Möglichkeit, uns mit den Kanonen der Schiffe einzuheizen. Dann haben wir ihn in der Zange.“
„Genausogut könnten wir unsere Karavelle besetzen“, entgegnete Bernardo.
„Du vergißt die Ankerwachen“, sagte Guzman. „Sollen wir unsere eigenen Kameraden abmurksen?“
„Mir ist das ziemlich gleichgültig“, sagte Bernardo.
„Die Schebecke hat zwölf Kanonen und vier Drehbassen“, sagte Guzman nach einem neuerlichen Blick durch den Kieker.
Die Kerle stießen Pfiffe des Staunens und der Anerkennung aus. Dieses Schiff schien es wirklich in sich zu haben. Und wenn er gar eine wertvolle Ladung hatte? Dann gehörte diese Ladung ihnen ganz allein, sofern es ihnen gelang, die Besatzung in die Hölle zu schicken.
Die Gelegenheit bot sich: acht Männer hatten in dem Beiboot gesessen, und diese Männer bewegten sich jetzt nach Westen. Guzman und seine fünf Kerle brauchten sie nur zu überholen und ihnen einen Hinterhalt zu legen – dann saßen sie in der Falle.