Seewölfe Paket 30

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In der Ferne standen noch eine Menge Neugierige herum, aber sie verliefen sich nach und nach, denn es gab nichts mehr zu sehen. Vermutlich ging der Krach jetzt im Haus weiter.
Die Leute wandten sich schulterzuckend ab. Eine Neuigkeit war das für sie nicht. Bei Don Martin flogen immer dann die Fetzen, wenn er einen über den Durst getrunken hatte, und der Alcalde war dann meist ebenfalls der Dumme und kriegte etwas ab.
„Leinen los und ein“, sagte Hasard mit einem amüsierten Unterton.
Ein paar Einwohner sahen ihnen noch nach und winkten, als die Leinen gelöst und die Segel gesetzt wurden.
Langsam bewegte sich die Schebecke aus dem Hafen. Unter den Kattbalken hingen an Backbord und Steuerbord die beiden neuen Anker.
Als der Wind in die Segel griff, erschien ein schlaksiger Kerl mit einer langen Tröte und blies aus voller Kraft hinein.
Über den Hafen schallte ein so schauriger Ton, daß einige Arwenacks irritiert zusammenzuckten.
Der Posten blies die Neuigkeit in die Welt, daß die Schebecke jetzt aus dem Hafen laufe und in See gehe.
Er blies dreimal in sein fürchterliches Horn, damit es auch jeder mitkriegte. Er kam sich dabei sehr wichtig vor und hatte schließlich einen dunkelroten Kopf von der Anstrengung.
Aber jetzt wußten es alle, und selbst jene, die es nicht sahen: Das prächtige Schiff ging in See.
Der Posten war damit seine Verantwortung vorübergehend los und ließ sich erschöpft auf einem Stein nieder, um dem Schiff nachzublicken.
„Das war ein seltsames Völkchen“, meinte Hasard belustigt, als der Hafen von Denia achteraus kleiner wurde und nur noch der große Berg mit seinen Weinhängen und dem maurischen Schloß zu sehen waren. „Solche Leute erlebt man nicht alle Tage.“
„Aber es hat dich niemand erkannt“, sagte Don Juan. „Obwohl du direkt auf Lobo del Mar angespielt hast.“
„Ich weiß nicht, ob das ein Maßstab war, Juan. Die Leute, damit meine ich hauptsächlich den Bürgermeister und den Hafenmenschen, scheinen recht einfältig und trottelig zu sein. Als Bewährungsprobe möchte ich das eigentlich nicht ansehen.“
Old O’Flynn zupfte grinsend seine Halskrause zurecht und wischte sich verstohlen die letzten Tränen aus den Augenwinkeln.
„Ein feiner Spaß war das, Sir, ich habe mich über alle amüsiert.“
„Wir alle wohl. Mir erging es nicht anders.“
„Eigentlich“, sagte Old Donegal nachdenklich, „wäre es doch nicht verkehrt, wenn wir in diesen Gewässern weiterhin als Spanier verkleidet segeln. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die ersten Dons aufkreuzen. Vermutlich behelligen sie uns dann nicht weiter.“
„Spanier auf einer Schebecke sind immerhin recht ungewöhnlich. Das fiel sogar dem Hafenmenschen auf. Was meint ihr?“
„Warum eigentlich nicht“, sagte Ben. „Wir können die Schebecke ja für die Krone erbeutet haben, nachdem man unser eigenes Schiff versenkt hat. Das klingt doch einigermaßen glaubwürdig.“
Hasard nickte. Das würde schon glaubwürdig klingen.
„Gut, dann segeln wir als Spanier weiter. Außerdem können wir den behäbigen Kriegsgaleonen immer noch in einem weiten Bogen ausweichen, wenn wir sie sichten sollten. Dann bleibt es dabei. Wir besprechen nachher noch die Namen, mit denen sich jeder ausgibt, falls wir den Dons begegnen sollten.“
„Über etwas anderes sollten wir auch noch sprechen“, sagte Dan O’Flynn. „Wir wollten noch darüber abstimmen, welchen Kurs wir einschlagen, ob wir vom Atlantik aus gleich in die Karibik zurücksegeln oder den Abstecher nach England unternehmen. Einmal haben wir kurz darüber gesprochen, ein Ergebnis kam jedoch nicht zustande.“
„Ja, die Abstimmung steht noch aus. Ich schlage vor, jeder überlegt sich das gründlich vierundzwanzig Stunden lang, und danach entscheiden wir uns. Für England gibt es natürlich gute Gründe. Immerhin haben wir wertvolle Kontakte in Venedig und anderswo anknüpfen können und haben etwas vorzuweisen. Das ist nur einer von etlichen Gründen.“
„Ein bißchen Heimweh ist natürlich auch dabei“, ließ sich Big Old Shane vernehmen. „Wir waren schon lange nicht mehr dort. Aber wenn wir diesmal nach England segeln, stehen wir mit ziemlich leeren Händen da. Die gute Lissy erwartet von uns zumindest Gold und Silber, und damit sind wir nicht gerade gesegnet. Sie wird sich über unseren Besuch zwar freuen, aber noch mehr würde sie sich freuen, wenn wir ihr etwas Schönes mitbringen.“
„Da hast du recht, Shane“, sagte Hasard nachdenklich. „Wir haben zwar Gold und Silber an Bord, aber im Gegensatz zu unseren früheren Raids ist das keineswegs üppig.“
Die Kerle grinsten ein bißchen verlegen. Es war nur allzu bekannt, daß Ihre Majestät, die Königin von England, eine offene Hand hatte, die gerne nahm. Kurz gesagt: Sie war reichlich geldgierig, das wußte an Bord jeder.
„In dem Fall sollten wir natürlich etwas tun“, meinte Hasard. „Da hast du wahrhaftig recht, Shane. Das muß jedoch die Gelegenheit ergeben. Möglicherweise gelingt es uns, im Atlantik einen dicken Brocken zu schnappen, vielleicht stoßen wir sogar auf einen Geleitzug, der von Kuba nach Spanien segelt.“
„Das wäre eine feine Sache. Wir haben schon lange keinen Don mehr gerupft.“
„Bisher gab es dazu auch keine Gelegenheit, sie segeln ja auf einer anderen Route.“
Denia lag jetzt schon sehr weit achteraus und war nur noch ein feiner dunstiger Strich an der Kimm.
Sie segelten fast Ostkurs, um die Küste möglichst schnell hinter sich zu lassen.
Als sie in einem Abstand von etwa vier Meilen von der Küste Cabo de la Nao rundeten, ließ Hasard auf Südkurs gehen. Eine Stunde später wurde der Kurs auf Südsüdwest gesetzt. Damit entschwand die spanische Südostküste ihren Blicken. Von der algerischen Küste war weiter im Süden nichts zu sehen.
Sie waren wieder scheinbar allein auf dem Meer, doch das änderte sich am späten Nachmittag.
Batuti gab aus dem Ausguck ein Handzeichen an Deck und rief: „Zwei feine Striche voraus an der Kimm!“
„Mit Sicherheit meine lieben Landsleute“, vermutete Don Juan.
Er behielt mit seiner Vermutung recht. Durch das Spektiv erkannte Hasard etwas später zwei Karavellen, die genau Kurs auf sie hielten.
„Spanier“, sagte Dan O’Flynn, der Mann mit den Adleraugen. „Dreimastig, lateinergetakelt, ziemlich schnelle Schiffe. Sie scheinen auch nur zu einem Drittel abgeladen zu sein. Und bewaffnet sind sie auch nicht schlecht“, fügte er nach einem weiteren Blick hinzu.
Die beiden Schiffe segelten auf Parallelkurs nebeneinander her. Ihr Abstand von Schiff zu Schiff betrug etwa zwei Kabellängen.
Auch das änderte sich nach kurzer Zeit.
„Sieh an“, sagte der Seewolf, „deine Landsleute werden neugierig und wollen uns beschnuppern, Juan.“
„Dann empfehle ich dir, den Kurs zu ändern, mein Freund. Es sind immerhin Kriegskaravellen, und sie sind verdammt schnell. Es empfiehlt sich nicht unbedingt, sich beschnuppern zu lassen. Zu leicht könnte daraus ein gefährlicher Biß werden.“
„Hm, sehr richtig. Wir wollen ja auch nichts provozieren. Wir werden zur algerischen Küste hin abfallen.“
Nils Larsen stand am Ruder. Er wurde gerade von Pete Ballie abgelöst, dem besten Gefechtsrudergänger, den die Arwenacks hatten.
Die Schebecke fiel langsam ab, bis sie fast wieder auf Südkurs lag. Sie hielt jetzt auf die algerische Küste zu.
Das Manöver war auf den Karavellen nicht unbeobachtet geblieben. Offenbar wurden die Dons neugierig und wollten wissen, wer da vor ihnen so betont harmlos ablief.
Die nach Süden versetzte Karavelle fiel nach Steuerbord ab. Die andere schloß sich dem Kurs etwas später an, ließ aber den Abstand von Schiff zu Schiff noch weiter offen, der jetzt etwa vier Kabellängen betragen mochte. Es sah so aus, als wollten die Dons die Schebecke wie in eine geöffnete Schere laufen lassen, zumal die – von den Arwenacks aus gesehen – an Backbord segelnde Karavelle noch weiter abfiel.
„Wir machen gefechtsklar“, sagte der Seewolf nach einem schnellen Blick, „aber wir werden uns nicht unbedingt mit den Kerlen anlegen, und wir segeln auch nicht in die Schere hinein. Wir laufen direkt auf die algerische Küste zu und halten den Kurs.“
Gefechtsklar war die Schebecke in ganz kurzer Zeit. Dafür sorgte schon Al Conroy, der erfahrene Waffen- und Stückmeister.
Die sechs Culverinen auf jeder Seite mit ihrem Geschoßgewicht von 17,3 Pfund waren geladen, ebenso die beiden achtern und vorn montierten Drehbassen. Der Kutscher füllte bereits glühende Holzkohle in die Messing- und Kupferbecken für die Lunten.
„In einem haben sich die Dons verrechnet“, sagte der Seewolf lächelnd. „Die eine Karavelle, die an der nördlichen Seite segelt, können wir vergessen. Ihr Kapitän hat etwas zu großzügig gedacht oder angenommen, wir würden zwischen ihnen hindurchsegeln. Dadurch hat er viel Zeit verloren, und bis er die wieder aufgeholt hat, sind ihm graue Bartstoppeln gewachsen.“
„Die Gefahr ist trotzdem noch nicht vorüber“, sagte Ben gelassen. „Der andere Kapitän scheint dafür um so eifriger zu sein. Sollen wir ihm die spanische Flagge zeigen?“
„Nein“, sagte Hasard sarkastisch, „die kennt er ja. Außerdem haben wir der Karavelle gegenüber notfalls noch den Vorteil, daß wir einen Schlag zulegen können. Wir verfügen zusätzlich über Ruder, und wir haben noch einen weiteren Vorteil: Wir können mit unserer Rohrlänge von fast vier Yards etwas weiter feuern als die Kerle da drüben. Das ist eben das Gute an einem ehemaligen Piratenschiff. Die Schnapphähne haben schon gewußt, warum sie längere Rohre nahmen. Das ist immer ein Vorteil. Sollte uns der Kerl zu dicht auf den Pelz rücken, schicken wir ihm eine Breitseite hinüber.“
Vorerst sah es aber nicht danach aus. Die Schebecke erwies sich als das schnellere Schiff, auch wenn sie von der Lateinerkaravelle hart bedrängt wurde.
Fast eine Stunde lang segelten sie auf Südkurs, dann reckte sich Hasard und stemmte die Fäuste in die Hüften.
„Es langt jetzt“, sagte er hart. „Ich habe nicht die geringste Lust, möglicherweise nach Oran zu segeln, wo wieder die Schnapphähne der anderen Couleur auf uns warten und ebenfalls nachsehen wollen, wer wir wohl sein mögen. Zeigt den Kerlen unsere Flagge, und wenn sie das nicht kapieren, dann empfangen sie eine Breitseite.“
„Endlich mal ein bißchen Abwechslung“, sagte der Profos händereibend. „Das war ja schon zum Einschlafen, war das. Jeder lausige Köter will an uns schnüffeln, als seien wir ein Dreckhaufen.“
Er sah zu, wie sich die Flagge entfaltete und im Wind wehte.
Da war sie, die Flagge des Bundes der Korsaren, die Flagge der Freiheit, wie sie auch von ihnen genannt wurde. Diese Flagge, einst von dem Segelmacher Will Thorne genäht, wehte jetzt in ihrer ganzen Länge aus. Es war ein schwarzes Tuch mit dem Symbol zweier gekreuzter goldener Säbel, das jetzt so im Wand flatterte, als seien die Säbel in ständiger Bewegung.
Durch den Kieker sah Hasard auf der Karavelle erstaunte und verblüffte Gesichter. Auf der anderen Karavelle waren die Gestalten durch das Spektiv nur undeutlich und verschwommen zu sehen.
Die Dons reagierten allerdings anders, als der Seewolf erwartet hatte. Vielleicht waren sie wütend darüber, daß sie diese Flagge noch nicht gesehen hatten oder fühlten sich von irgendwelchen Schnapphähnen auf den Arm genommen.
Eine kleine dunkle Rauchwolke war drüben zugleich mit einem lanzenartig hervorstechenden Blitz zu sehen. Die Rauchwolke zerrieb der Wind innerhalb weniger Sekunden.
Eine gute Kabellänge achteraus stieg eine kleine Säule aus Her See. Ein leichter Schlag war zu hören wie ein Klaps. Dann fiel das Wasser müde in sich zusammen.
„Aha, sie haben gehustet“, sagte Carberry. „Sollen wir uns unsere Lungen auch mal freihusten, Sir?“
„Anluven und Feuer frei nach eigenem Ermessen!“ rief Hasard.
Pete Ballie ging an den Wind, bis die Schebecke der Karavelle die Steuerbordseite zeigte.
Auf diesen Augenblick hatte Al Conroy gewartet. Er visierte und gab den anderen Männern ein Zeichen, die mit den Lunten in der Hand darauf warteten, sie auf die Zündlöcher zu pressen.
Das geschah nach dem Handzeichen.
Winzige, schlangengleiche Flammen fraßen sich durch die Zündkanäle.
Sechs Culverinen brüllten gleichzeitig auf und spien Feuerblitze und dunklen Rauch aus ihren zurückfahrenden Schlünden, die den Mäulern gefährlicher Drachen glichen.
Der Eisenhagel ging auf die Reise. Eine der Kugeln glühte deutlich sichtbar in der Luft. Wahrscheinlich hingen glimmende oder nachglutende Pulverreste an ihr.
Zwei Kugeln strichen dicht über das Deck der Karavelle, eine durchschlug ein Segel, zwei weitere donnerten dicht vor der Bordwand ins Wasser und warfen Fontänen auf, die das Deck näßten.
Die sechste Eisenkugel fraß sich mit einem hallenden Geräusch in den Rumpf der Karavelle und ließ in der Beplankung dicht an der Wasseroberfläche ein großes gezacktes Loch entstehen. Berstend flogen ein paar Holztrümmer ins Innere des Schiffes.
„Hat gerade so gereicht“, sagte Al Conroy. „Ein paar Yards dichter dran, und die Dons hätten von allen Seiten durch ihr Schiff linsen können. Sofort nachladen.“
Hasard sah sich wieder die Gesichter auf der Karavelle an. Die meisten Kerle standen verängstigt an Deck. Ein paar hatten sich hinter das Schanzkleid verkrochen und hielten die Köpfe unten.
Das Erschrecken war aber deutlich zu erkennen, und die Reaktion des Kapitäns der weiter entfernten Karavelle war eindeutig genug. Er drehte sofort ab und ging auf Westkurs.
„Jetzt zeigen wir ihm die andere Breitseite“, sagte der Seewolf hart. „Aber diesmal segeln wir weiter auf, damit er auch etwas davon hat.“
Als Pete Ballie Ruder legte, hatten die Dons da drüben kapiert, daß auf der Schebecke ein paar Kerle waren, die etwas gegen das Beschnüffeln hatten und entsprechend hart reagierten.
Das Segelmanöver war noch nicht zur Hälfte ausgeführt, da kniff der spanische Kapitän aus und ging ebenfalls auf Westkurs, ohne einen Schuß abzugeben. Er hatte es plötzlich sehr eilig.
Ferris Tucker sah der Karavelle sinnend nach.
„Da werden die Kerle wohl bald tüchtig Hand anlegen müssen“, meinte er, „das Loch in der Bordwand ist recht beachtlich. Sobald die See kabbelig wird, haben sie eine große Badewanne in den Stauräumen zur Verfügung.“
Hasard sagte nichts. Auch er sah den Schiffen nach. Der Hauptzweck war jedenfalls erreicht, die Verfolger hatten sich zurückgezogen. Aber es würde sich erst später zeigen, ob sie die Verfolgung tatsächlich aufgegeben hatten oder ihre Neugier so weit geweckt war, daß sie als Fühlungshalter an der Schebecke blieben.
Das war tatsächlich der Fall, als die Arwenacks auf den alten Kurs zurückgingen.
Die Karavellen lagen weit zurück, aber auch sie hatten den Kurs geändert. Offenbar dichteten sie gerade provisorisch das Leck ab, denn die eine hinkte ein wenig hinterher.
„Das gefällt mir überhaupt nicht“, sagte Hasard. „Ausgerechnet vor der spanischen Küste. Das Risiko ist mir zu groß. Wir werden jetzt den Spieß umdrehen und sie solange attackieren, bis ihnen die Lust auf uns endgültig vergeht.“
Die Verfolgung hielt nicht lange an. Anfangs mochten sich die Spanier etwas davon versprochen haben, doch dann lag die Schebecke ganz plötzlich auf Gegenkurs und segelte hoch am Winde nach Osten. Ihre zwölf Rohre waren ausgerannt, und sie segelte diesmal genau in die immer noch bestehende Schere hinein, die allerdings etwas auseinandergezogen war.
Das behagte den beiden spanischen Kapitänen absolut nicht, denn sie hatten erlebt, wie weit die Rohre trugen. Bei einem blitzschnell ausgeführten Passiergefecht, wenn die Schebecke genügend Abstand hielt, würden sie Feuer von beiden Seiten kriegen.
So wichtig war ihnen die Schebecke nun auch wieder nicht, daß sie zuviel riskieren wollten.
Offenbar verärgert drehten sie ab. Diesmal gingen sie auf Nordkurs, immer noch verfolgt von der Schebecke, die ihnen nachsetzte.
Hasard ging bis auf ein paar hundert Yards heran und jagte sie weiter zur spanischen Küste.
„Das dürfte reichen“, sagte er. „Jetzt schicken wir ihnen noch ein paar Grüße nach, damit sie uns besser in Erinnerung behalten.“
Im Abdrehen sprachen noch einmal die Culverinen.
Lange Flammenzungen jagten aus den Rohren, brüllender Donner fegte über die See, und die Schebecke hüllte sich in eine dunkle Rauchwolke. Sie krängte bei ihrer leichten Bauweise ein wenig über, als die Eisenkugeln die Rohre verließen.
Achteraus von den Karavellen blühten riesige Blumen auf, die im Sonnenlicht in allen Farben schillerten. Farbige Wassersäulen stiegen aus dem Wasser und vergingen in einem Regen aus Gischt und Schaumtropfen.
Es rauschte, als würde eine große Sense durch reifes Korn gezogen.
Den Dons stand das Grauen in den Gesichtern, als die Kugeln in unmittelbarer Nähe einschlugen. Sie richteten auf die Entfernung keinen Schaden an, aber dieses verdammte Schiff mit der schwarzen Flagge und den gekreuzten Säbeln auf dem Tuch hätte nur noch etwas dichter aufzusegeln brauchen, dann hätte es sie erwischt.
Von einer Verfolgung wollten sie nichts mehr wissen. Sie waren restlos bedient von den Kerlen, die so unerschrocken angriffen.
Sie klüsten unter vollem Preß nordwärts auf die rettende spanische Küste zu.
„Den wird das Fühlungshalten vergangen sein“, sagte der Seewolf grimmig. „Beim Schnuppern kann man sich verdammt hart die Nase verbrennen. Ich denke, die sind wir jetzt endgültig los.“
„Ganz bestimmt“, sagte Don Juan. „So wichtig sind wir ihnen jetzt nicht mehr. Wenn man einen Wolf ärgert, sollte man damit rechnen, daß er gefährlich wird.“
„Und den Fang nicht nur zeigt, sondern auch zubeißt“, fügte Hasard hinzu.
Als sie längst wieder auf ihrem alten Kurs lagen, war von den beiden Karavellen nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie die spanische Küste angelaufen, um ihre Wunden zu lecken.
5.
Tagelang segelten sie unbehelligt nach Westen. Zweimal hatten sie aus der Ferne spanische Schiffe gesichtet und waren ihnen in einem weiten Bogen ausgewichen.
Cartagena lag hinter ihnen, Almeria und Malaga.
Jetzt bewegten sie sich auf Gibraltar zu, den Dschebel al Tarik, die Felsen des Tarik, wie die Araber die Meerenge genannt hatten.
Einen Hafen hatten sie nicht mehr angelaufen, weder im Süden noch im Norden.
„Jetzt wird es langsam eng“, sagte Dan O’Flynn, „und hier müssen wir ganz besonders auf der Hut sein, denn diese Ecke haben die Dons völlig unter ihrer Kontrolle. Wenn die hier nur die englische Flagge riechen, sind sie schon aus dem Häuschen.“
„Müssen wir ja nicht unbedingt“, sagte Hasard trocken. „Wir können es ja zur Abwechslung mit der spanischen versuchen.“
In der Frühe des nächsten Tages wurde eine winzige Galeone gedichtet, eine „Zwerg-Galeone“, wie Stenmark aus dem Ausguck meldete.
Das Ding entpuppte sich dann aber weder als Galeone noch Karavelle.
„Vielleicht ist es aus den Trümmern von Galeone, Galeasse und Karavelle zusammengebaut“, sagte Ferris Tucker. „Seltsam genug ist das Gebilde schon.“
Das Schiffchen wurde gebührend bestaunt. Der Schiffszimmermann interessierte sich am meisten dafür und blickte durch den Kieker. Als er ihn absetzte, grinste er.
„Der Bauart nach ist das eine portugiesische Karavelle“, teilte er den anderen mit und grinste noch stärker. „Allerdings scheint Columbus die schon gesegelt zu haben, die ist nämlich uralt oder einfach neu aufgelegt und nachgebaut worden.“
Das Ding hatte drei lächerlich kleine Pfahlmasten mit Lateinerbesegelung und ein gefährlich hoch aus der See ragendes Achterkastell mit starker Vorneigung. Auf dem Achterdeck fand man sicher nur mit Not und Mühe Halt.
„Alle Achtung vor diesem Columbus“, sagte Carberry. „Auf so einem Nachttopf um die halbe Welt zu schippern, das ist schon eine beachtliche Leistung.“
„Und dabei wußte er nicht einmal, wohin er segelte“, meinte Ferris. Er zeigte zu dem lächerlichen Gebilde und schüttelte den Kopf. Das Ding hatte den Kurs gewechselt und hielt auf die Schebecke zu.
„Scheint ein Versorgungsboot, ein Bumboot zu sein“, sagte er. „Die haben da was an Deck herumliegen, das wie Gemüse aussieht.“
„Hör mir bloß mit Bumbooten auf“, sagte Hasard. „Wir haben gerade erst kürzlich unliebsame Bekanntschaft mit einem derartigen Ding geschlossen. Ich bin jetzt noch bedient.“
Was der Seewolf da ansprach, lag noch nicht lange zurück. Da waren sie auf Piraten und Schnapphähne gestoßen, die ihr räuberisches Handwerk mit einem Bumboot getarnt hatten.
Das Ding hatte ganz unauffällig ausgesehen, aber in einem eingezogenen Unterdeck hatten sich versteckte Kanonen befunden. Ein paar ebenfalls versteckte Schnapphähne pflegten diese Kanonen abzufeuern, sobald sie bei einem Schiff längsseits lagen. Sie hatten es buchstäblich erst im allerletzten Augenblick bemerkt, und waren durch Ferris Aufmerksamkeit der Versenkung gerade noch entgangen.
„Jedes Bumboot muß ja nicht ein Piratenschiff sein“, sagte der Kutscher, der ebenfalls auf dem Achterdeck stand. „Außerdem sind wir ja gewissermaßen vorgewarnt.“
„Heißt das, wir brauchen Proviant?“ fragte Hasard.
Der Kutscher sah zu dem heransegelnden Bumboot und nickte.
„Wir würden auch ohne eine Proviantaufnahme noch weit genug gelangen, Sir. Aber egal, ob wir nun nach England oder in die Karibik segeln, beides ist ein langer Weg. Segeln wir in die Karibik, haben wir den Atlantik zu überqueren, wobei wir unterwegs auf keinerlei Inseln stoßen. Segeln wir nach England, dann sieht es nicht viel besser aus. Einen spanischen Hafen können wir nicht anlaufen, oder bestenfalls ein kleines Nest, was jedesmal mit einem Risiko verbunden ist. Mit den Portugiesen trinken wir auch nur selten Brüderschaft, wie es zur Zeit gerade die Spanier tun.“
„Wenn du hier noch länger große Reden schwingst, ist das Bumboot an der Kimm verschwunden“, motzte der Profos. „Kannst du das nicht in einem Satz ausdrücken?“
„Ich gebe nur eine Empfehlung“, sagte der Kutscher würdevoll. „Da ziemt es sich nicht, einen Satz herunterzuknurren, wie es deiner etwas groben Art entspricht.“
„Meiner groben Art, was, wie? Hast du quergeriggter Bilgenfloh etwas von grober Art gesagt, wo ich sanft bin wie ein Lamm?“
Der Kutscher zog indigniert die rechte Augenbraue hoch.
„Ich höre immer Lamm. Vom Werdegang eines Lammes bis zu einem ausgewachsenen Hammel ist es nur ein kurzer schneller Weg.“
„Ich werde später noch einmal in aller Bescheidenheit anfragen, ob wir Proviant brauchen“, sagte Hasard, „nämlich dann, wenn eure wissenschaftliche Abhandlung über die Evolution beendet ist. Darf ich in etwa einer Stunde damit rechnen? Vielleicht wimmelt es hier ja auch nur so von Bumbooten.“
„Verzeihung, Sir“, sagte der Kutscher. „Aber dieser Mensch, der sich als das Salz der Erde bezeichnet, obwohl er eher das Salz der Meere ist, muß mich ständig unterbrechen. Ich schlage vor, wir übernehmen ein paar Viktualien.“
„Ich denke, wir brauchen Proviant“, knurrte Carberry den Kutscher an. „Was sollen wir da mit Viktoriadingsbums?“
„Lebensmittel, Eßwaren“, sagte der Kutscher süffisant grinsend.
„Eben, das brauchen wir, aber keine Viadukte oder so’n Scheiß, wie du das nennst. Andenken haben wir genug.“
„Von Viadukten habe ich auch nichts gesagt. Wir passen ohnehin nur sehr schlecht auf eine Schebecke und wirken an Land viel gefälliger. Aber damit du nicht ganz so dämlich stirbst: Viktualien sind Lebensmittel.“
Der Profos stemmte die Pranken in die Hüften und sah den schmalbrüstigen Kutscher lauernd an.
„So?“ fragte er höhnisch. „Und die Viktualienbrüder, was, wie? Störtebeker, der Freiherr von Alkun, hat der vielleicht nur Lebensmittel geklaut?“
Der Kutscher rang verzweifelt die Hände und schickte einen flehentlichen Blick zum heiteren Himmel.
„Oh, mein Gott“, sagte er inbrünstig, „dieser gelabsalbte Affenarsch – mit Verlaub – ist noch einmal der letzte Nagel zu meinem Sarg. Oder der letzte Stich in einer Leinenhülle, in der ich dereinst zum Meeresgrund hinabsinken werde. Diese Brüder waren keine Viktualienbrüder, mein Lieber, sondern nannten sich Vitalienbrüder, was ein kleiner, aber feiner Unterschied ist.“