Seewölfe Paket 30

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„Sind nur ein paar lausige Buchstaben“, wehrte der Profos ab. „Da kann der Unterschied nicht allzu groß sein. Aber trotzdem behaupte ich noch immer, daß du das alles auch in einem Satz hättest sagen können.“
Die beiden stritten weiter miteinander herum.
Hasard gab inzwischen Dan O’Flynn ein Zeichen und lauschte weiter dem Disput Kutscher-Carberry, denn der wurde immer logischer, besonders von seiten des Profos, der wieder mal mit Argumenten glänzte, daß es einem die Stiefel auszog.
Dan O’Flynn hatte verstanden und winkte das Bumboot heran, sonst wäre es wirklich noch unter der Kimm verschwunden.
Sie luvten ein wenig an und gingen in den Wind, damit das kleine Versorgungsschiff mithalten konnte.
„In einem Satz läßt sich so etwas nicht sagen“, nahm der Kutscher den Faden wieder auf. „Das würde sonst kein Mensch kapieren.“
„Jedenfalls hättest du das mit den Lebensmitteln klarer ausdrücken können, dann hätte es keinen Streit mit den Proviantbrüdern gegeben.“
„Mit den Brüdern hat es ja auch keinen Streit gegeben, weil die schon lange nicht mehr leben. Störtebeker, der Freiherr von Alkun also, wurde bekanntlich vor rund zweihundert Jahren enthauptet. Und mit jemandem, der so lange tot ist, kann man wohl kaum streiten“, sagte der Kutscher spöttisch. „Das beweist mir nur wieder einmal, daß du nicht weiter denkst als bis ans nächste Schott.“
„Aber du denkst weiter, was?“ ereiferte sich der Profos. „Du feuerst mit Fremdwörtern rum, bläst deinen Wanst auf und spielst den Gelehrten, nur wen du den großen Macker raushängen willst. Wenn du einen Schluck Wasser trinkst, sagst du ja auch nicht: ‚Ich gestatte mir, meine Kehle mit einer Dosis Aqua anzufeuchten‘, oder?“
Die Kerle auf dem Achterdeck begannen zu grinsen.
Doch dann wurde der Disput unterbrochen, noch bevor der Kutscher etwas erwidern konnte.
Mac Pellew tänzelte heran. Er ging nicht, er tänzelte wahrhaftig, und das sah neckisch genug aus, wie er stehenblieb und ein essigsaures Grinsen auf sein Gesicht zauberte.
Er trug Kürbishosen, dazu ein rotes Wams, und auf den Kopf hatte er sich einen Hut mit einer langen wippenden Feder gesetzt. An seinen dürren Beinen trug er Schnallenschuhe.
„Spielst du hier den königlichen Hofnarren?“ fragte der Profos anzüglich. „Oder was soll dein dämliches Grinsen? Du siehst übrigens mit den Kürbishosen zum Schreien aus – wie ein Kürbis auf zwei Stelzen.“
„Da solltest du dich erst mal sehen“, schnappte Mac zurück. „In deinen Kürbishosen scheint ein Elefantenarsch zu stecken, der mit zwei dorischen Säulen herumtrampelt.“
Carberry grinste den Zweitkoch an.
„Deine Strümpfe schlagen auch Falten“, stellte er fest. „Du solltest deine Gräten vielleicht mal mit ein bißchen Werg auspolstern.“
„Heute sagen sich alle nur Artigkeiten“, erklärte der Kutscher. „Was ist los, Mac? Laß dich nur nicht vom Profos verbiestern, der hat heute offenbar seinen schlechten Tag.“
„Was los ist? Ha, der Profos kann mich mal, ich habe nämlich soeben etwas entdeckt. In dem Proviantboot befindet sich ein Frauenzimmer! Und was für eins!“ Mac drehte sich und deutete mit den Händen Kurven an, die beschreiben sollten, wie gut ausgestattet das Frauenzimmer mit allem war.
Augenblicklich war der Streit vergessen und die Köpfe aller fuhren herum. Augen stierten auf das Bumboot.
„Ihr braucht gar nicht so die Klüsen aufzureißen“, tönte Mac. „Ich habe die Lady zuerst entdeckt und lasse sie mir auch nicht so einfach wegnehmen. Außerdem hat sie ohnehin schon längst ein Auge auf mich geworfen.“
„Dann hat sie ja nur noch eins“, sagte der Profos grinsend. „Aber was heißt hier, du läßt dir nichts wegnehmen? Ist das vielleicht deine Lady, du verkorkster Spanier?“
„Sie wird meine“, verkündete Mac. „Ein feuriger Blick, und schon ist sie dahingeschmolzen wie Fett in der Pfanne. Ha, bei dem Anblick könnte ich glatt zur Harfe greifen und Verse schmieden.“
„Du kannst nicht mal Nägel schmieden, du lausiger Schürzenjäger“, brummte der Profos. „Kaum sieht diese angesengte Miesmuschel ein Weib, schon gehen ihr sämtliche Gäule durch.“
Der Profos mußte sich allerdings eingestehen, daß das Frauenzimmer wirklich Rasse hatte. Sie stand an Deck und blickte mit halboffenen Lippen auf die Schebecke. Sie hatte lange schwarze, bis auf die Schultern herabfallende Haare, eine schmale gerade Nase und einen verlockenden Kirschenmund. Ihre Augen waren dunkel, fast schwarz. Die Lady trug eine recht offenherzige rote Bluse, die an der Taille zusammengeknotet war. Ihr blaues Röckchen bedeckte gerade noch die Knie, und sie hatte schlanke, wohlgeformte Beine.
Alles in allem wirkte sie sehr „verkaufsfördernd“, denn Kerle, die auf dem Bumboot einkauften, starrten mehr die Señorita an, als daß sie auf die Preise achteten.
Fünf Männer befanden sich noch auf dem Boot. Einer stand am Ruder, zwei andere bargen gerade die kleinen Segel, als sie anlegten.
Mac Pellew pumpte seinen Brustkasten auf. Viel gab es da nicht zu pumpen, und damit er etwas breiter wurde, zog er auch den Hals noch etwas zwischen die Schultern.
Dann bombardierte er die Lady mit feurigen Blicken und stierte lüstern auf die Hügel, die sich unter der roten Bluse abzeichneten. Die war zwei Knöpfe weit geöffnet, was Mac Pellew veranlaßte, sich so weit übers Schanzkleid zu beugen, daß er fast frei in der Luft hing und beim nächsten Überholen über Stag gegangen wäre. Zu seinem Glück war die See aber ruhig.
Die Frau grüßte artig mit einem anmutigen Kopfnicken. Die Männer grüßten ebenfalls sehr höflich.
„Sie hat mir zugenickt“, erklärte Mac. „Sie hat sich sofort in mich verliebt.“
„Ausgerechnet dir“, grollte der Profos. „Sie hat allen zugenickt, und das hat weiter überhaupt nichts zu bedeuten. Das ist reine Höflichkeit.“
„Ich kenne die Frauen besser als du“, widersprach Mac. „Sieh nur, wie sie mich anschaut.“
Die Lady warf Mac tatsächlich einen Blick zu und musterte ihn. Dann verzogen sich ihre roten Lippen zu einem Lächeln.
Mac Pellew blies sich noch mehr auf und stolzierte wie ein Pfau auf dem Deck hin und her. Er hatte seinen schwärmerischen Blick drauf und lächelte zurück.
Der Profos mußte dieses Lächeln natürlich wieder anders deuten.
„Du grinst wie ein ausgestopfter Bilgenfrosch, der ’ne Zitrone im Maul hat“, lästerte er.
Damit konnte er Mac Pellew aber nicht treffen, denn der war beim Anblick der Lady über alles erhaben und sah hoheitsvoll über das Lästermaul hinweg.
Hasard beobachtete die Männer aus schmalen Augen. Auch das Schiff hatte er bereits einer gründlichen Musterung unterzogen. Es gab keine einzige Kanone an Deck, auch keine Drehbassen. Nicht einmal die Halterungen dafür waren zu erkennen.
Aus seiner erhöhten Position konnte er auch in den Stauraum blicken, wo sich alle möglichen Waren stapelten.
Er hielt nach einem eingezogenen Zwischendeck Ausschau, ähnlich jenem, wie die Piraten im Adriatischen Meer eins gehabt hatten.
Ferris sah den Blick des Seewolfs und schüttelte den Kopf.
„Keine doppelten Böden, Sir“, sagte er. „Ich habe schon überall hineingesehen. Es gibt nur noch drei kleine Kammern ganz achtern, und ich glaube nicht, daß sich da jemand versteckt hält.“
„Angeborenes Mißtrauen“, sagte Hasard. „Weiter nichts. Aber es ist ganz gut, wenn man auf Kleinigkeiten achtet. Sie haben uns schon mehr als einmal das Leben gerettet.“
„Das ist richtig.“
Inzwischen waren der Kutscher und ein paar Arwenacks übergestiegen, um einzukaufen. Der Anblick der Lady verführte buchstäblich zum Einkaufen. Fast alle hielten sich sehr unauffällig in ihrer Nähe auf und stierten Waren an, die sie ohnehin nicht kaufen wollten.
Mac Pellew, der immer noch mit durchgedrücktem Hohlkreuz an Deck stand und die Lady anpeilte, hatte jetzt auch nichts Eiligeres zu tun, als auf das Bumboot umzusteigen.
Er zog schon an Deck sein neckisches Hütchen mit der wippenden Feder und verneigte sich mit Grandezza. Den Hut hielt er mit einer weitausladenden Bewegung von sich. Das hatte er einmal bei Hofe gesehen, und es hatte ihm sehr imponiert.
Der Lady imponierte das offenbar ebenfalls, und sie erwiderte den verwegenen Gruß mit einem leichten Hofknicks, den Mac Pellew sofort mit einem Kratzfuß beantwortete. Er sah nicht die grinsenden Gesichter, und er sah auch nicht das wie zufällig hingestreckte Bein Edwin Carberrys, dem heute nichts besseres einfiel, als sein „Mackileinchen“ zu ärgern.
Mac hatte nur Augen für die Schöne, und so stolperte er prompt und fiel der Lady vor die hübschen Beine.
Das war ihm furchtbar peinlich, als er sich aufrappelte. Sein Kopf war knallrot angelaufen, doch die Lady ergriff seinen Arm und half ihm beim Aufstehen.
Mac schoß einen feurigen und zugleich dankbaren Blick ab und verneigte sich erneut.
„Was darf es denn sein?“ erkundigte sie sich mit lieblicher Stimme. „Welchen Wunsch haben Sie, Don …?“
„Don Mac … äh – Don Rafael“, murmelte Mac verlegen. „Ich – äh – ich dachte da an einen – einen …“
Er blickte sich hilfesuchend um und entdeckte zu seiner größten Freude ein paar herrliche Degen, die an einem Balken hingen.
„Einen Degen!“ rief er strahlend.
„Ah, Sie verstehen etwas davon, Don Rafael“, sagte die Schöne mit der lieblichen Stimme, „Sie sind ein wahrer Caballero. Ich werde Ihnen etwas zeigen, die besten Degen aus Toledo.“
Als sie sich umdrehte, zischte der Profos Mac zu: „Was willst du Spinner mit einem Degen – Käse schneiden oder die Kakerlaken damit pieksen?“
„Dir damit die Haut in Streifen von deinem Affenarsch schneiden“, gab Mac ruppig zurück, aber so, daß es die Lady nicht verstand.
„Haha! Paß lieber auf, daß du dir nicht selber was abschneidest!“
„Verpiß dich endlich“, fauchte Mac. „Du zerstörst mir nur das zarte Gespinst der Liebe, das soeben aufzublühen beginnt.“
„Dann bleibe bloß nicht mit dem Degen darin stecken“, spottete der Profos.
Die Schöne zeigte ihm den Degen, der wahrhaftig ein Meisterstück war.
Mac mußte ihn natürlich sofort ausprobieren. Er tänzelte ein paar Schritte auf den Planken herum, wie sich das für einen Caballero gehörte, und hieb dann aus dem Handgelenk zu.
Den Kürbis, den der Kutscher gerade zur Seite rollte, sah er zu spät.
Der Hieb mit der Toledoklinge spaltete den Kürbis in zwei Teile. Die eine Hälfte blieb liegen, die andere rollte zur Seite, ausgerechnet in dem Augenblick, als der Profos Kurs auf ein Regal nahm.
Edwin Carberry latschte mitten in die Kürbishälfte hinein. Er war so überrascht, in etwas Weiches zu treten, daß er einen leisen Schrei ausstieß.
Dann ging die Reise auch schon los.
Das Ding setzte sich in Bewegung, der Profos brüllte und ruderte verzweifelt mit den Armen, um Halt zu finden. Mit beiden Stiefeln stand er in dem Kürbis und schlitterte auf ein großes Regal zu. In dem Regal hingen Würste und Speckseiten, und die Schmalseite war mit frischen Hühnereiern aufgefüllt.
Mac Pellew schloß entsetzt die Augen, um das Bild verschwinden zu lassen. Aber seine Ohren konnte er nicht verschließen, als auch schon der entsetzliche Lärm zu hören war.
Carberry krachte mit seinem ganzen Gewicht in das Regal. Er streckte abwehrend die Hände aus, doch das half auch nichts mehr.
In einem Trümmerregen aus Würsten, Knoblauchkränzen und Speckseiten ging der Profos unter.
Das alles wäre gar nicht so schlimm gewesen, aber da waren noch die frischen Hühnereier, und die hielten der Belastung erst recht nicht stand. Die Schmalseite des Regals zerbrach unter dem Anprall, und nun prasselten die Eier auf den Profos nieder, der schützend die Hände über den Kopf hielt.
Auf dem Bumboot war alles starr vor Staunen, als sich der Profos aus der glitschigen Masse erhob. Er war gelb von oben bis unten.
Mac Pellew hätte ihn am liebsten mit einem chinesischen Riesenlümmel verglichen, aber das traute er sich nicht, und so sagte er nur jammernd: „Ohgottchen, ohgottchen.“
Auf dem Bumboot waren ein paar gotteslästerliche Flüche zu hören, als Carberry endlich auf den Beinen stand. Auf dem Kopf klebten ihm Eierschalen, auf dem Hemd, an der Kürbishose und den Stiefeln. Der halbe Kürbis war nur noch ein erbärmlicher Matschhaufen.
Mac Pellew sah nicht mehr hin. Er verneigte sich galant vor der staunenden Lady.
„Keine Sorge, verehrte Señorita. Für den Schaden kommen wir natürlich selbstverständlich auf. Es wäre mir eine Ehre, das kleine Erdbeben persönlich zu bezahlen.“
Die Kerle auf dem Bumboot grinsten bis an die Ohren, als der Profos wütend davonstapfte, sich den Glibber aus den Haaren strich und ihn mit einer schlenkernden Handbewegung Mac ins Gesicht feuerte.
„Du Blödmann!“ brüllte er den zusammenzuckenden Mac an. „Kaum hast du Idiot einen Degen in der Hand, da bringst du auch schon die halbe Mannschaft um. Aber darüber reden wir noch“, fügte er drohend hinzu, „dann nämlich, wenn ich mit dir Schlitten fahre. Du kannst dich auf etwas vorbereiten, was du noch nicht erlebt hast.“
„Du kannst deine Klüsen ja aufsperren“, fauchte Mac zurück. „Ein Kürbis ist schließlich groß genug, daß man nicht hineinlatscht. Nur aus diesem Grund sind die Kürbisse so groß.“
„Knallkopf!“ zischte der Profos ärgerlich. „Du hast ja nur Seegras in deinem verdammten Schädel. Dich nehme ich nachher zur Brust, bis du die Kürbishosen bis oben hin voll hast.“
Nach dieser fürchterlichen Drohung kehrte der Profos vergrätzt an Bord zurück. Er hatte sich bis auf die Knochen blamiert, fand er.
6.
Von diesem Zeitpunkt an nahm das Unheil fast unmerklich seinen Lauf.
Der Ire Mac O’Higgins, genannt Higgy, verließ ohne ein Wort ganz plötzlich den Ausguck und ging zum Achterdeck.
Hasard sah ihn erstaunt an, denn es war mehr als ungewöhnlich, daß der Ausguck einfach seinen Posten verließ.
„Was soll das?“ fragte er scharf.
„Bitte um Entschuldigung, Sir“, sagte Higgy leise. „Ich wollte es wegen den anderen nicht über Deck brüllen. Das wäre vielleicht aufgefallen. Genau voraus an der Kimm sind vier Masten zu erkennen. Wahrscheinlich spanische Schiffe, Sir.“
„Sehr gut“, sagte Hasard. „Solange das Boot hier liegt, werden wir es auch weiter so halten. Du hast ganz richtig gehandelt, Higgy.“
Der Ire, jetzt hatte er schwarzgefärbte Haare, zog wieder ab auf seinen Posten.
Über Hasards Nasenwurzel bildete sich eine steile Falte, als er sich an Dan wandte.
„Sieh mal unauffällig durch den Kieker, Dan. Das paßt mir überhaupt nicht, daß jetzt spanische Schiffe auftauchen.“
„Kein Zweifel, es sind Kriegsgaleonen“, sagte Dan. „Aber sie segeln nicht auf uns zu. Sie verschwinden irgendwo hinter der Küste.“
„Unser Glück. Sobald das Bumboot abgelegt hat, werden wir uns hier in der Nähe herumtreiben oder Kurs Süd segeln, bis die afrikanische Küste in Sicht ist. Ich bin nicht unbedingt scharf darauf, ausgerechnet Kriegsschiffen zu begegnen.“
„Darauf bin ich auch nicht versessen. Wir brauchen die Begegnung ja nicht zu provozieren. Wenn die Luft wieder rein ist, segeln wir eben weiter.“
„Genau das habe ich vor.“
Der Kutscher hatte inzwischen eingekauft und alles auf seiner schnell zusammengestellten Liste abgehakt. Jetzt gab es auch wieder frisches Fleisch an Bord.
Mac Pellew kaufte zwei Flaschen Parfum. Er gab sehr viel Geld aus und war ständig um die Lady herum. Eine der Parfumflaschen überreichte er der Lady als Geschenk und erntete einen feurigen Blick aus den dunklen Augen, der sich in seine Seele brannte.
Dann zog er beglückt ab, nachdem er alles bezahlt hatte, auch den Schaden, den Carberry durch seine, Macs, Schuld angerichtet hatte. An der Seite trug er stolz den neuerworbenen Degen.
Don Juan nahm ihm hilfreich ein paar Sachen ab, damit Mac nicht mit dem Degen irgendwo hängenblieb, denn er stellte sich reichlich ungeschickt mit dem Piekser an.
Einer der Männer von dem Bumboot sah Don Juan an und lächelte ihm flüchtig zu. Doch das Lächeln erstarb im selben Augenblick. Der Mann wurde schlagartig auffallend blaß.
„Fehlt Ihnen etwas?“ erkundigte sich Don Juan freundlich. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“
Der Mann wechselte erneut die Gesichtsfarbe. Jetzt wurde er fast graugrün und begann heftig zu schlucken. Er starrte Don Juan wie ein Wesen aus einer anderen Welt an.
Dann krächzte er etwas, das Don Juan nicht verstand. Er wunderte sich nur über das seltsame Verhalten seines Landsmannes.
„Was ist denn?“ hakte er nach.
„Ich – mein Herz“, stöhnte der Mann und griff sich an die Brust. „Es ist nicht schlimm, nur ein kleiner Anfall.“
„Einen Augenblick, wir helfen Ihnen, wir haben einen vorzüglichen Feldscher an Bord.“
Der Kutscher war sofort zur Stelle, sah sich den Spanier an, fühlte seinen Puls und legte ihm dann die Hand aufs Herz, das wie rasend in der Brust schlug.
„Lassen Sie nur, es geht wieder vorüber“, sagte der Spanier. „Ich habe die Anfälle öfter, sie dauern nicht lange.“
Die gesunde Farbe kehrte nach und nach in sein Gesicht zurück. Der Spanier lächelte verkniffen, bedankte sich flüchtig und begab sich unverzüglich unter Deck.
Das Bumboot legte ab, setzte die Segel und ging danach auf Westkurs, während die Schebecke noch in den Wind gedreht dümpelte.
Ein letztes, flüchtiges Winken, dann griff der Wind in die Segel des seltsamen Fahrzeugs und trieb es übers Wasser.
„Der hat nur simuliert“, sagte der Kutscher. „Der hat im Leben nichts am Herzen.“
„Warum sollte er simulieren?“ fragte Don Juan.
„Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Aber bei einer Herzattacke bildet sich Schweiß auf der Stirn, und die Symptome stellen sich völlig anders dar. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hat uns der Kerl was vorgetäuscht.“
„Er wurde erst ganz blaß und dann richtig grau.“
„Wirklich seltsam“, meinte der Kutscher nachdenklich. „Der muß sich über irgend etwas furchtbar aufgeregt haben. Den Eindruck hatte ich jedenfalls.“
Kopfschüttelnd sah Don Juan dem Bumboot nach. Der Mann war noch nicht wieder an Deck erschienen.
„Vielleicht hatte er doch etwas, und jetzt hat er sich hingelegt, um sich auszuruhen“, murmelte er.
„Für mich war er ein Simulant.“
Damit war das Thema vorerst erledigt. Das Bumboot wurde kleiner und kleiner und segelte schließlich dicht unter der Küste entlang, bis es ihren Blicken entschwand.
Die Seewölfe hielten nach den Kriegsschiffen Ausschau. Die vier Masten und die Segel waren immer noch zu sehen, etwas größer jetzt.
„Wir bleiben vorerst noch so liegen“, entschied Hasard. „Einer dieser spanischen Pötte scheint ein ausgesprochener Feuerspucker zu sein. Es ist ein Dreidecker mit der entsprechenden Anzahl von Stücken.“
„Und was für einer“, stimmte Dan zu. „Ich sehe den Kahn zwar nur verschwommen, aber auf einem Geschützdeck hat er etliche Drachen oder Doppelcolubrinen an Bord. Die haben ein Geschoßgewicht von vierzig Pfund, bei einer Rohrlänge von L einunddreißig.“
L stand für die Rohrlänge, und die nachgestellte Zahl gab das Verhältnis der Rohrlänge zum Kaliber an. In diesem Fall bedeutete L 31 eine Rohrlänge von 31 Rohrkalibern.
„Sehr treffend“, sagte Don Juan. „Bist du mal bei einem Rohrgießer in die Lehre gegangen, weil du das so genau weißt?“
„Beinahe wäre ich bei einem Sargtischler in die Lehre gegangen“, erwiderte Dan. „Ich konnte aber noch rechtzeitig auskneifen. Ich habe mich allerdings mit Geschützen etwas näher befaßt.“
„Das ist immer sehr viel wert“, sagte der Spanier. „Die Dinger haben auch eine erstaunliche Reichweite.“
Auf dem Achterdeck unterhielten sie sich weiter darüber, wie sie vorgehen wollten, um die Spanier zu leimen. Auf der Kuhl dagegen schien sich ein Drama anzubahnen, denn jetzt erschien der racheschnaubende Carberry, frisch gewaschen und neu gekleidet.
Er erblickte Mac Pellew und grinste hinterhältig. Mac prahlte gerade damit herum, wie die Señorita ihn angehimmelt habe. Ganz verliebt sei sie in ihn gewesen.
„Aha, da tönt das lausige Rübenschwein wieder herum“, sagte der Profos knurrig. „Das wird dir gleich vergehen, wenn ich dir die Gräten langziehe. Jetzt rechnen wir ab.“
„Du wirst dich doch nicht an Mac vergreifen wollen“, sagte der Kutscher biestig. „Dann kriegst du es nämlich mit mir ebenfalls zu tun.“
„Euch beide zerstampfe ich mit links.“
Der Kutscher trat einen Schritt vor und stellte sich dem Profos in den Weg. Er reckte den Kopf vor und funkelte den Profos an.
„Hör mal zu, Mister Carberry“, sagte er drohend. „Wer hat denn Mac vorhin ein Bein gestellt, daß er auf die Nase gefallen ist, he? Der flog nämlich nicht von allein auf die Planken, denn da war ein Stiefel im Weg, ein verdammt großer Stiefel, so groß wie ein Torfkahn. Ich habe das genau gesehen.“
„Ich?“ tat der Profos entrüstet. „Ich doch nicht! Wo werde ich denn Mac ein Bein stellen?“
„Auf dem Bumboot. Du brauchst es nicht zu leugnen, Mister Carberry. Das war hinterhältig von dir, aber Mac hat nicht hinterhältig gehandelt und dich absichtlich auf dem Kürbis ausrutschen lassen. Das war lediglich eine Verkettung unglückseliger Umstände. Er war eben ein bißchen übereifrig, um der Lady zu imponieren.“
Der Profos schob den Kutscher aus dem Weg und törnte auf Mac los, der erschrocken zurückwich. Dann aber blitzte es plötzlich in seinen Augen kampfeslustig auf. Mit einer schnellen Bewegung zog er den Degen und richtete die Spitze auf den verblüfften Profos.
„Noch einen Schritt, und ich durchlöchere dich“, keifte er mit schriller Stimme.
„Aber Mackileinchen“, sagte der Profos entsetzt, „du willst doch nicht deinen alten Freund mit dem Dings da pieksen.“
„Klar, will ich das“, sagte Mac entschlossen. „Wenn du mir auf den Pelz rückst, stech ich dir die Pelle an, bis die Bouillon rausläuft. Das ist mein voller Ernst.“
Carberry kratzte sich verblüfft das Rammkinn.
„Ich wollte mich doch nur bei dir entschuldigen“, murmelte er, „weil ich aus Versehen mein Bein so unglücklich gestellt hatte.“
„Du – du willst dich entschuldigen?“
„Na klar, was sonst? Aber lege bloß den Käseschneider weg, sonst können wir uns nicht umarmen.“
„Wenn das wieder so ein mieser Trick von dir ist – dann …“
„Kein Trick, ich werde dir schon nicht die Luft abdrücken. Nun sei wieder ein lieber Freund, Mackileinchen.“
Mac Pellew warf den Degen auf die Planken, wo er zitternd steckenblieb. Dann umarmten sich die beiden Kerle und hieben sich gegenseitig auf die Schultern.
„Mann“, sagte der Kutscher andächtig, „aus den zwei Klotzköpfen soll nun einer schlau werden. Erst wollen sie sich gegenseitig abmurksen, und jetzt fallen sie sich um den Hals.“
„Dann will ich mich auch entschuldigen“, schniefte Mac gerührt. Er griff in das rote Wams und brachte eine Flasche zum Vorschein. Sie enthielt Parfum, das er auf dem Bumboot gekauft hatte.
„Das ist für dich, Eddylein“, sagte er, „damit du immer gut riechst, wenn mal eine Lady in der Nähe ist. Das überdeckt auch den Geruch von den Eiern, die dir auf die Birne gefallen sind. Und wenn du dich rasierst, dann kannst du es auch benutzen, das erfrischt so angenehm.“
Diesmal war der Profos sehr gerührt. Er umarmte sein liebes Mackileinchen noch einmal herzhaft und bedankte sich überschwenglich.
„Jasminduft“, sagte Mac stolz, als der Profos neugierig das Fläschchen öffnete und daran schnupperte.
„Ah“, sagte der Profos, „das duftet, das Wässerchen. Jasmin, das ist meine Lieblingsfarbe, äh – mein Lieblingsduft, meine ich natürlich. Das riecht einfach himmlisch.“
Der Profos goß etwas von dem Duftwässerchen in seine riesige Pranke und fuhr sich damit durch das Gesicht. Dann schnupperte er begeistert.
Smoky verließ gerade nichtsahnend die Kombüse. Er trat an Deck, schnüffelte mißtrauisch und sah sich nach allen Seiten um.
„Heilige Seeschlange“, sagte er entgeistert. „Was stinkt denn hier so entsetzlich? Das riecht ja wie ein Misthaufen mit Veilchen.“
„Misthaufen mit Veilchen?“ fragte der Profos. „Wiederhole das noch einmal, du dillgetränkte Seegurke, dann wickel ich dich achtmal ums Bratspill und häng dich ins Gei.“










