Seewölfe Paket 30

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„Na ja“, sagte Smoky abschwächend, „es riecht ein bißchen nach abgestandener Jauche. Oder habe ich was Falsches gesagt? Was ist denn hier überhaupt los?“
„Mac hat dem Profos Parfum geschenkt“, sagte der Kutscher grinsend. „Damit er besser duftet. Jasminblütenparfüm ist das.“
„Ja, wenn das so ist“, meinte Smoky trocken, „dann muß ich mich wohl verrochen haben.“
„Das will ich auch schwer hoffen“, knurrte der Profos. „Ich lasse Mac doch nicht beleidigen, wo der soviel Geld für mich ausgegeben hat. Stimmt’s, Mackileinchen?“
Mac bestätigte lebhaft, daß es stimme. Das Wässerchen sei nicht gerade billig gewesen.
Smoky sagte nichts mehr. Mit dem Profos kam er heute sowieso nicht klar, der war einfach undurchschaubar geworden. Aber er fand, daß es doch entsetzlich stank, und dieser Gestank, den Ed als „lieblichen Duft“ bezeichnete, durchdrang das gesamte Schiff. Aber das behielt er lieber für sich.
Er stellte aber mit einem feinen Grinsen fest, daß auch etliche andere sehr bedenkliche Gesichter zögen, sobald sie am Profos vorbeigingen. Der Geruch behagte ihnen offenbar ebenfalls nicht.
José, der ältere Mann auf dem Bumboot, erschien nach einer Weile wieder an Deck. Er wirkte immer noch sehr verstört und ließ sich erst dann blicken, als die Schebecke nur noch als Strich zu erkennen war.
„Was soll dein seltsames Benehmen?“ fragte die schwarzhaarige Señorita. „Willst du uns nicht sagen, was passiert ist? Das mit deinem Herzanfall war doch nur ein Vorwand.“
„Ja, es war nur ein Vorwand“, sagte José erleichtert. „Aber jetzt sind wir reich und können ein paar lange Jahre ohne das Bumboot auskommen.“
Die vier anderen Männer und die Frau sahen ihn verständnislos an.
„Kannst du das etwas klarer ausdrücken?“
„Ich war vor Jahren Kundschafter Seiner Majestät des Königs, das ist euch ja bekannt.“
Als die anderen nickten, fuhr er fort: „Auf der Schebecke achteraus befindet sich ein Mann, den ich kenne, der mich aber offenbar nicht erkannt hat, obwohl er sich persönlich um mich bemühte. Vielleicht hat er mich auch nicht erkannt, weil ich inzwischen älter geworden bin und er sich kaum verändert hat. Es ist Don Juan de Alcazar im Range eines Generalkapitäns, ausgestattet mit Sondervollmachten der Casa Contratación. Er war Sonderbeauftragter der spanischen Krone und hatte den Auftrag, El Lobo del Mar zu fangen und nach Spanien zu bringen, wo man ihn aburteilen würde.“
„Schön und gut“, sagte die Señorita, „aber was hat das mit unserem plötzlichen Reichtum zu tun? Wenn wir Lobo del Mar gefangen hätten, könnte ich das ja noch verstehen, aber dieser Mann …“
Sie ließ den Rest offen und sah José fragend an.
Dem war von der Aufregung jetzt nichts mehr anzusehen. Er hatte sich wieder ganz in der Gewalt.
„Für den Mann mit den schiefergrauen Augen und der sehnigen Statur hat die spanische Krone eine Belohnung von zehntausend Reales ausgesetzt. Das Geld gehört dem, der die Behörden auf ihn hinweist und wird nach seiner Ergreifung ausgezahlt.“
„Zehntausend Reales?“ fragte ein anderer entgeistert. „Und dafür brauchen wir nichts weiter zu tun, als den Kerl den Behörden zu melden?“
„So ist es.“
„Was hat er denn verbrochen?“ fragte die Señorita neugierig. „Er sah gar nicht wie ein Gewaltverbrecher aus.“
„Er segelte vor fast genau vier Jahren mit der ‚Santissima Maria‘ nach Havanna und sorgte dort für einigen Wirbel. Dann verschwand er ganz plötzlich. Später wurde mir zugetragen, daß er mit Lobo del Mar zusammen gesehen wurde, ein paar Male. Er soll auch auf einem seiner Schiffe gefahren sein. Man sprach davon, daß die beiden sich verbrüdert hätten und gemeinsam gegen Spanien kämpften. Ich weiß das alles so genau, weil ich selbst einmal Mitglied der Hohen Casa war.“
„Das ist ja ein Ding“, sagte einer andächtig. „Dann ist er also ein Staatsfeind.“
„Ja, natürlich. Deshalb auch die hohe Belohnung. Man hat jahrelang nach ihm geforscht, aber die Spuren verliefen immer wieder im Sande. Jetzt ist er zurückgekehrt, aber gewiß nicht, um in Spanien zu bleiben. Er will sich auf einer Mauren-Schebecke durch die Straße von Gibraltar mogeln. Der Teufel mag wissen, wie er aus der Karibik ins Mittelmeer gelangt ist.“
„Was tun wir denn jetzt – ihn denunzieren?“
„Was heißt hier denunzieren?“ empörte sich José. „Ich tue nichts weiter als meine vaterländische Pflicht, wenn ich das melde. Das hat mit Denunzieren absolut nichts zu tun.“
Die Señorita sah José durchdringend an. Sie bewies gleich darauf, daß sie ein helles Köpfchen hatte.
„Du sagtest, dieser Don Juan habe sich mit Lobo del Mar verbrüdert oder verbündet.“
„Das ist eine feststehende Tatsache.“
„Könnte es nicht sein, daß sich El Lobo del Mar ebenfalls an Bord der Schebecke befindet? Mir läuft regelrecht ein Schauer über den Rücken, wenn ich daran denke.“
José schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Nachdem ich de Alcazar erkannt habe, hielt ich gleich Ausschau, aber Lobo del Mar war nicht auf dem Schiff.“
Die Señorita blieb hartnäckig. „Vielleicht hatte er sich unter Deck verborgen.“
„Ein Lobo del Mar versteckt sich nicht, meine Liebe, der nicht.“
„Es gibt noch eine andere Möglichkeit“, sagte einer der Decksleute. „Daß auf der Schebecke Spanier waren, steht außer Zweifel. Es könnte ja sein, daß sie de Alcazar gefangen haben und in den nächsten Hafen bringen.“
Bei José löste diese Vorstellung leises Gelächter aus.
„Was würdest du denn tun, wenn du ihn an Bord deines Schiffes hättest?“
„Ich würde ihn in Eisen schließen und einsperren.“
„Na, siehst du! Dann erübrigt sich jede weitere Diskussion. Kein Kapitän wäre so dumm, ihn an Deck herumspazieren zu lassen. Dazu ist dieser Mann viel zu gefährlich.“
„Was tun wir jetzt?“
„Wir segeln auf schnellstem Weg zu den Kriegsschiffen, die vor Gibraltar liegen, und melden das. Der Generalkapitän wird dann schon entscheiden, was er zu tun hat.“
„Etwas ist an der ganzen Sache ebenfalls noch merkwürdig“, sagte die Señorita leise. „Das Schiff segelt nicht weiter, es liegt beigedreht und ist in den Wind gegangen. Kann mir vielleicht einer erklären, warum sie das tun?“
„Weil sie etwas zu verbergen haben. Sie haben natürlich die Masten der Schiffe gesehen und warten nun ab, bis die Galeonen die Küste angelaufen haben. Das wird gleich der Fall sein, aber bis dahin müssen wir den Generalkapitän alarmiert haben, sonst können wir dem Kopfgeld nachtrauern.“
„Kopfgeld – wie sich das anhört“, meinte die Frau. „Um so einen Mann ist es eigentlich schade. Er könnte ein Grande sein. Was erwartet ihn im Fall seiner Ergreifung?“
„Man wirft ihm Hochverrat, Renegatentum, Kollaboration und Verrat an der Krone vor. Wenn sie ihn schnappen, werden sie ihn aburteilen – und danach erwartet ihn die Garotte.“
„Wie furchtbar. Das ist doch das Würgeeisen.“
„Ich sah mal bei einer Hinrichtung zu“, sagte José. „Da wurde dem Delinquenten ein Eisenband um den Hals gelegt, an dem sich eine Schraube befand. Der Henker drehte die Schraube zusammen, bis dem Delinquenten der Dorn in das Genick drang und ihn tötete. Manche Henker drehen die Schraube absichtlich sehr langsam zu. Es ist ein qualvoller und langsamer Tod.“
„Hör auf, José“, bat die Frau sichtlich blaß. „Ich kann das nicht mehr hören.“
Das kleine Bumboot wurde in eine Bucht gesteuert, wo hinter hohen Felsen die Kriegsgaleonen der Spanier vor Anker lagen. Drei mächtige Feuerspucker waren es, unterstützt von Karavellen, Schaluppen und weiteren kleineren Galeonen.
José wußte, daß sie in ein paar Tagen nach Havanna segeln würden, um dort Geleitschutz für die Silberschiffe zu fahren.
Er steuerte direkt die „El Lucifero“ an, einen mächtigen Dreidecker, der gerade vor Anker gegangen war. Zwei weitere Schiffe befanden sich noch draußen. Sie waren in Tanger gewesen, wo sie einen maurischen Aufstand „befriedet“ hatten.
José, als ehemaliges Mitglied der Casa Contratación, kannte den Generalkapitän Don Miguel de Salamanca persönlich und ließ sich bei ihm melden. Es sei überaus dringend, versicherte er.
Es dauerte auch nur ein paar Minuten, bis er vorgelassen wurde.
Dann berichtete er, was sich zugetragen hatte.
Etwas später herrschte auf allen Schiffen Wuhling. Alles wurde in höchste Alarmbereitschaft versetzt.
7.
Das Bumboot war längst verschwunden und nicht mehr zu sehen.
Keiner an Bord der Schebecke hatte die geringste Ahnung davon, daß man Don Juan erkannt hatte und bei den Dons jetzt eine außergewöhnlich hektische Betriebsamkeit herrschte.
Don Juan selbst hatte den Mann nicht erkannt und dachte auch gar nicht mehr an den kleinen Vorfall.
„Die Pötte sind offenbar in den Hafen eingelaufen“, sagte Dan O’Flynn. „Es ist nichts mehr von ihnen zu sehen.“
Hasard warf selbst noch einen Blick durch den Kieker.
„Dann segeln wir weiter“, entschied er. „Wir werden uns nachher noch schwer genug mit dem Segeln tun, denn die West-Ost-Strömung ist sehr stark, außerdem haben wir ausgerechnet jetzt nicht den günstigsten Wind.“
„Der einzige, der sich freuen wird, ist Arwenack“, sagte Ben. „Der sieht nachher ein paar seiner Artgenossen auf den Kalkfelsen, die sich da in Massen tummeln.“
„So dicht werden wir den Felsen sicher nicht passieren“, entgegnete der Seewolf. „Wir halten einen geziemenden Abstand zur spanischen Küste.“
Er wollte gerade den Befehl geben, weiterzusegeln, als Dan O’Flynn nach seinem Arm griff.
„Da, die Segel“, sagte er. „Da gehen ein oder zwei Dons in See.“
„Verdammt!“ entfuhr es Hasard. „Gerade jetzt. Wir segeln einen kleinen Schlag in westliche Richtung.“
Ein paar Minuten später war eine große Kriegsgaleone zu sehen, die Kurs Süd nahm und zur afrikanischen Küste segelte. Ihr folgte eine kleinere Galeone, die ebenfalls stark armiert war. Auch die marschierte stur Südkurs und klüste hinter der anderen her.
„Keine Gefahr“, meldete Dan nach einer Weile. „Die ehrenwerten Dons geruhen, uns nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen. Die haben etwas anderes vor.“
Hasard blieb trotzdem noch eine Weile abwartend auf dem Westkurs. Die Galeonen bewegten sich äußerst langsam und schwerfällig über die See.
„Wir segeln weiter“, sagte Hasard zu Pete Ballie. „Geh auf den alten Kurs zurück, Pete.“
„Aye, aye, Sir.“
Weitere spanische Schiffe waren nicht zu sehen. Falls man auf sie aufmerksam werden würde, konnte ihnen nichts mehr passieren, denn die Galeonen hatten ebenso gegen die starke Strömung anzukämpfen wie sie selbst und waren noch schwerfälliger.
Eine halbe Stunde später war der „Felsen des Tarik“ bereits verschwommen zu erkennen. Da änderte sich alles abrupt und ganz überraschend.
Sie hatten eine Landzunge passiert, hinter der zwei spanische Galeonen lagen. Die Dons schenkten ihnen keine Aufmerksamkeit, als sie vorbeisegelten.
Hasard grinste ein wenig. Die Dons hatten ihre Segel so schlampig ins Gei gehängt, daß sie wie lange Fahnen flatterten. Bei dem anderen Schiff waren nur die Schoten und Brassen gefiert worden. Die Segel hingen wie lange Leichentücher nieder, die der Wind bewegte.
„Keine Lust zum Auftauchen, diese Rübenschweine, was, wie?“ lästerte der Profos. „Die pennen lieber, die Säcke.“
„Weiß der Teufel“, murmelte Old O’Flynn vor sich hin. „Ich habe so ein lausiges Gefühl im Magen, als seien da Ameisen eingewandert.“
„Dann besorg’ dir noch ’nen Ameisenbär“, schlug Carberry vor. „Der räumt da prächtig auf.“
Hasard sah den Alten an, der verkniffen auf die Felsen voraus starrte. Er wollte es nicht zugeben, aber ihn hatte ebenfalls ein eigenartiges Gefühl befallen, das er sich nicht erklären konnte. Es war wie ein dumpfer Druck, der über allem lastete.
Er wandte den Blick ab, sah nach Backbord – und schluckte unbewußt.
Die beiden auf Südkurs laufenden Galeonen hatten ihren Kurs geändert.
Der Feuerspucker klüste jetzt achteraus nach Nordwest, und die kleinere Galeone törnte auch nicht mehr hinterher. Sie lag auf Westkurs.
„Eigenartig“, sagte Ben Brighton in die Stille hinein, die auf dem Achterdeck herrschte.
„Ja, wirklich“, murmelte Hasard. „Ihr Abstand vergrößert sich ständig. Was mag das Manöver zu bedeuten haben?“
Die Stille auf der Schebecke war fast greifbar. Alles schien den Atem anzuhalten. Die Blicke fast aller waren auf die beiden Dons gerichtet, und jeder rätselte über das seltsame Manöver.
„Wenn ich es nicht besser wüßte, dann schätze ich, sie wollen uns von achtern in die Zange nehmen“, sagte Dan und grinste verkniffen. „Aber das ist natürlich Unsinn, wir sind immer noch schneller.“
Die Falle der Spanier schnappte langsam zu, und an Bord hatte immer noch keiner die geringste Ahnung.
„Schiffe voraus!“ brüllte Stenmark aus dem Ausguck.
Da rauschten sie auch schon hinter den Felsen hervor. Zwei große Dreidecker mit gewaltigen Kanonen, ein paar Schaluppen, zwei Karavellen.
Achteraus tat sich auch einiges.
Die beiden Galeonen mit den schlampig aufgepackten Segeln glitten aus der Bucht und schoben sich schnell weiter hervor.
„Leck mich am Arsch“, sagte der Profos grimmig. „Die haben es auf uns abgesehen.“
„Ja, kein Zweifel“, sagte der Seewolf hart und knapp.
Die sonst so behäbig wirkenden Dons waren wie ein Unwetter aus dem Nichts erschienen.
Zwei schnelle Karavellen liefen auf Südkurs ab, um ein Ausbrechen der Schebecke zu verhindern. Ein paar Schaluppen folgten. Sie alle hatten nichts anderes vor, als den Arwenacks den Weg zu verlegen.
„Hart Backbord, Pete!“ rief der Seewolf. „Wir versuchen, nach Süden durchzubrechen.“
Hasard sah jedoch, daß es fast unmöglich geworden war, denn die achteraus segelnden Schiffe verlegten den Weg und törnten südwärts.
Die voraussegelnden Schiffe hatten den günstigeren Wind und näherten sich schnell. Auch die Strömung schob noch kräftig mit.
Die Seewölfe dagegen mußten gegen den Wind anklüsen und hatten die West-Ost-Strömung noch gegen sich.
Die Spanier waren eindeutig im Vorteil und überlegen.
Noch mehr Schiffe drängten aus der Bucht. Überall an Bord waren mit Helmen und Brustpanzern ausgerüstete Soldaten zu sehen. Die gewaltigen Rohre auf den Feuerspuckern waren ausgerannt und drohten herüber.
„Das war mein mulmiges Gefühl“, sagte Old Donegal trocken. „Jetzt bin ich es endlich los.“
„Was, zum Teufel, können die von uns wollen?“ fragte Hasard.
Er erhielt keine Antwort auf die Frage, weil keiner eine wußte.
Ein Durchbruch war sinnlos. Hasard hätte eine der schnellen Karavellen rammen müssen, und dabei hätte es auf beiden Seiten nur Bruch und Trümmer gegeben.
Eine weitere Entscheidung wurde ihm aus der Hand genommen.
Auf dem Feuerspucker blitzte es im Zwischendeck grell auf. Sechs Stücke feuerten gleichzeitig.
Ein gewaltiger Donner erklang. Noch bevor die Kugeln in die See schlugen, blitzte es bei der einen Karavelle ebenfalls auf.
Rings um die Schebecke stiegen riesige Fontänen aus der See. Das Wasser kochte und schäumte.
Eine Schaluppe mit behelmten Dons näherte sich rasch und luvte hart an, als sie mit der Schebecke auf gleicher Höhe war.
Ein vierschrötiger Kerl mit einem glänzenden Helm auf dem Kopf legte die Hände vor den Mund und preite sie an. Es war ein Teniente.
„Luven Sie an, und streichen Sie die Segel!“ brüllte er. „Wenn Sie es nicht sofort tun, werden Sie zusammengeschossen!“
„Wir sind freie Handelsfahrer!“ brüllte Hasard zurück. „Was fällt Ihnen ein, auf uns zu feuern? Mit welchem Recht tun Sie das?“
„Streichen Sie sofort die Segel!“ brüllte der Teniente wild. „Und stellen Sie keine anmaßenden Fragen. Das ist mein letztes Wort.“
Hasard blickte noch einmal nach allen Seiten und fluchte leise.
Da war nichts mehr zu tun. Die Kriegsschiffe hatten sich so weit genähert, daß sie die Schebecke zu Staub zerblasen würden, wenn sie ihre Rohre abfeuerten. Das andere waren nur Warnschüsse gewesen.
Zähneknirschend mußte Hasard sich eingestehen, daß sie hoffnungslos in einer geschickt aufgebauten Falle saßen, aus der es kein Entrinnen mehr gab.
Widerstand leisten, ebenfalls das Feuer eröffnen? No, Sir, dann sind meine Arwenacks erledigt, und keiner wird es überleben. Diesmal war der Gegner zu mächtig, das sah Hasard ein.
Die Stimme des Teniente riß ihn wieder hoch.
„Wird’s bald? Runter mit dem Zeug! Wir wollen nur Ihr Schiff durchsuchen, weiter nichts!“
Hasard fragte nicht, nach was sie suchen wollten. Er hätte ohnehin keine Antwort erhalten.
Dann fiel es ihm blitzartig wie ein Schleier von den Augen.
„Die suchen mich“, sagte er leise. „Das Bumboot – einer der Kerle muß mich trotz des Bartes erkannt haben. Ja, nur so kann es gewesen sein.“
Der Profos schrumpfte sichtlich zusammen, als er das hörte.
„Vielleicht finden sie nur unser Schiff ungewöhnlich“, meinte er beklommen. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß dich einer erkannt hat, Sir. Wollen wir es nicht trotzdem versuchen? Sind zwar nur etwa zweitausend Mann, aber irgendwie wird’s schon klappen.“
„Nein“, sagte Hasard heiser. „Ich lasse euch nicht umbringen, kommt gar nicht in Frage. Keiner würde es überleben. Ein Mann muß immer wissen, wo ihm Grenzen gesetzt sind. Anluven und runter mit den Segeln!“ befahl er dann.
„Recht so!“ brüllte der Teniente, als die Schebecke hoch an den Wind ging.
Hasard wog ein letztes Mal seine Chancen ab. Aber da gab es keine mehr. Die achteraus segelnden Galeonen waren nicht zu überrumpeln.
„So ein Scheiß“, sagte der Profos sauer. „Jetzt müssen wir jeder unsere Rolle einwandfrei spielen, sonst ziehen uns die verdammten Dons die Hälse lang. Und lange Hälse wollt ihr doch nicht, was, wie?“
„Nicht unbedingt“, sagte Matt Davies. „Dann sehen wir ja wie Giraffen aus.“
Sie grinsten alle ein bißchen, aber die reine Freude war es nicht. Nur bei Mac Pellew fiel das nicht auf, denn der trug wieder sein berühmtes Essiggurkengesicht zur Schau.
„Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie dich erkannt haben“, sagte Don Juan. „Das wäre wahrhaftig ein dummer Zufall.“
„So was gibt es leider.“
Sie dümpelten jetzt in der Strömung ohne Segel. Sanft bewegte sich die Schebecke von einer Seite zur anderen, eingekreist von den Kriegsschiffen Seiner Allerkatholischsten Majestät. Der ganze Verband trieb mit der Strömung langsam in östliche Richtung.
Dicht vor ihnen waren die gewaltigen Schlünde der Kanonen zu erkennen. Etliche Vierzigpfünder waren auf die Schebecke gerichtet. Überall auf den Decks standen Soldaten.
Die Dons ließen sich Zeit. Eine der Schaluppen törnte zu dem Riesenschiff „El Lucifero“ und legte dort an. Ein Teniente erklomm kurze Zeit später das Achterdeck und meldete etwas.
„Ein Generalkapitän“, sagte Don Juan.
„Dann habt ihr ja den gleichen Rang“, spottete Hasard.
Don Juan grinste trotz der verfahrenen Situation.
„Mir wird man meinen Rang längst abgenommen haben. Ich fürchte nur, daß jener Generalkapitän ein gewisser Don Miguel de Salamanca ist.“
„Was bedeutet das?“
„Wir kennen uns von früher.“
„Verdammt!“ zischte Hasard. „Und dann bist du noch nicht unter Deck? Verschwinde augenblicklich!“
„Ich verstecke mich nicht vor meinen Gegnern.“
„Das solltest du aber, denn wenn er dich erkennt, wirst du dir eine Menge Ärger einhandeln.“
„Du gehst das gleiche Risiko ein, auch mit Bart“, erwiderte der Spanier. „Du versteckst dich ja auch nicht, obwohl die Gefahr durchaus besteht, daß man dich ebenfalls erkennt.“
„Ich bin der Kapitän.“
„Und ich der Generalkapitän“, sagte Don Juan und grinste wieder.
„Man kann ein Spielchen auch auf die Spitze treiben.“
„Ich weiß.“
„Du bist ein sturer Bock, Mister Juan.“
Der Kerl auf dem oberen Achterdeck palaverte noch immer mit dem Generalkapitän.
Don Juan hätte zu gern einen Blick durch den Kieker geworfen, aber da waren mehr als tausend Augen auf sie gerichtet, und es wäre sehr aufgefallen, wenn er den Generalkapitän gemustert hätte.
Er war sich jedoch ziemlich sicher, daß es Salamanca war. Die Bewegungen waren typisch für ihn, wie er den Kopf schief hielt, wenn ihm jemand was sagte.
„Möchte wissen, was die bequatschen“, sagte Hasard. Er stellte sich ganz dicht vor Don Juan hin und stemmte die Fäuste in die Hüften.
„Du nimmst mir die Sicht, Sir Hasard“, sagte der Spanier.
„Ganz bewußt, mein Lieber. Der Señor Generalkapitän belieben nämlich gerade, durch ein Spektiv zu spähen. Deshalb nehme ich dir die Sicht und drehe den Kopf ein wenig zur Seite. Vom Profil her wird er auch mich sicher nicht kennen.“
„Der Kerl ist ein ehrgeiziger Bullenbeißer“, erklärte Don Juan. „Ein richtiges Rübenschwein, wie ihr immer sagt. Wenn er selbst auf dem Plan erscheint, muß ein ganz schwerwiegender Grund vorliegen.“
„Also suchen sie doch mich“, sagte Hasard ungerührt. „Sie wollen den Seewolf fangen, weiter nichts, und das ist ihnen ja vorerst auch gelungen. Ich werde Mühe haben, ihnen einzureden, daß ich ein ganz anderer bin.“
„Du nimmst das reichlich gelassen hin, Sir.“
„Soll ich deshalb in Tränen ausbrechen? Ich kann es leider nicht mehr ändern, und das Leben unserer Männer riskiere ich nicht, wenn es absolut unsinnig erscheint.“
Hasard trat zur Seite, denn der Generalkapitän hatte das Spektiv wieder weggelegt.
„Mich bedrückt noch ein Alptraum“, murmelte er Seewolf. „Wir haben leider nicht vereinbart, wie jeder von uns Spaniern heißt, die wir ja darstellen. Wenn die Kerle uns verhören, oder was immer sie vorhaben, wird es eine verdammte Menge Widersprüche geben. Aber dazu ist es nun ebenfalls zu spät. Im übrigen werde ich reden, wenn die Dons an Bord sind.“
Die Schaluppe legte ab, nachdem der Teniente abgeentert war. Jetzt nahm sie Kurs auf die Schebecke.
„Es geht los“, sagte Hasard.
8.
Der Teniente war ein blasierter Kerl mit einem dünnen Bart. In seiner Begleitung befand sich ein Corporal mit massiger Gestalt und finster blickenden Augen.
Der Teniente hatte einen schmalen, verkniffenen Mund und durchdringend blickende Augen wie die eines Habichts. Auf seiner linken Wange befand sich eine Narbe, die bis ans Kinn reichte.
Die beiden enterten auf. Natürlich fragte auch keiner, ob es gestattet sei, an Bord kommen zu dürfen. Das ließ ihre überhebliche Arroganz gar nicht zu.
„Wo ist der Kapitän?“ blaffte der Teniente den Profos an, der ihn mit mürrischem Gesicht musterte und ihm am liebsten gleich den Hals umgedreht hätte.
Carberry winkelte den Daumen ab und zeigte über die Schulter nach achtern.
„Sie kriegen wohl Ihr Maul nicht auf, was?“ brüllte der Don.
„Ich kann sogar mit dem Arsch wackeln“, knurrte der Profos zurück. Er war mächtig sauer.
„Sie melden sich nachher bei mir!“ rief der Teniente. „Das ist eine Frechheit, das lasse ich mir nicht bieten!“
„Einen Scheiß werde ich tun!“ brüllte der Profos und drehte sich um.
Der Teniente hatte sofort stinkige Laune, und seine Lippen verkniffen sich noch mehr. Der Corporal sah noch finsterer drein.
Die beiden marschierten mit dröhnenden Schritten nach achtern, wo Hasard, Don Juan, Ben Brighton und Dan O’Flynn standen. Es war wie Spießrutenlaufen, als sie durch die Gasse der schweigenden Arwenacks marschierten.
„Wer ist der Kapitän?“ fragte der Teniente ungnädig.
„Ich“, sagte Hasard, ohne sich zu rühren.
„Name?“ Da war ein deutliches Schnarren in der Stimme.
„Virgil Senona. Und Ihr Name?“
„Frechheit!“ schrie der blasierte Kerl empört. „Das geht Sie überhaupt nichts an. Sie haben mich mit Teniente anzureden, oder können Sie meinen Rang nicht sehen?“
„Ich sehe nur einen aufgeblasenen Kerl vor mir“, sagte Hasard ruhig. „Im übrigen verzichte ich darauf, Sie mit Ihrem Rang anzureden. Was wollen Sie also von einem friedlichen Handelsfahrer, indem Sie eine ganze Armada aufbieten und mit Mord und Totschlag drohen?“