Seewölfe Paket 30

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„Kisten an Bord bringen!“ befahl der Corporal wichtigtuerisch. „Auf den Planken absetzen.“
„Wo denn sonst“, raunte der Profos Smoky zu. „Auf dem Flaggenstock ist ja zuwenig Platz.“
„Vorsichtig, verdammt!“ brüllte der Corporal, obwohl die Kerle die Kisten ohnehin schon wie rohe Eier behandelten.
Die Kisten wurden abgesetzt. Die Seesoldaten salutierten und verschwanden. Der Corporal marschierte mit aufgeblähtem Brustkorb voraus.
„Einer der besten und süffigsten Weine, die es in Spanien gibt“, erklärte Hasard. „Das Beste vom Besten, aber für meinen persönlichen Geschmack zu süß und zu schwer.“
„Das läßt sich sehr einfach feststellen“, meinte der Profos. „Wir brauchen nur mal eine Buddel zu entkorken.“
„Untersteh dich, Ed, dich am Wein des Don Alonso zu vergreifen! Das käme einem Frevel gleich.“
„Er muß später sowieso ein paar Buddeln rausrücken“, sagte der Profos grinsend. „Dafür werde ich schon sorgen.“
Inzwischen wurde alles zum Auslaufen vorbereitet. Hasard ließ die Weinkisten unter Deck bringen und in Old Donegals Kammer verfrachten, was der Profos lebhaft bedauerte.
Dann warteten sie und warteten.
Eine volle Stunde verging, eine weitere halbe, und von Old Donegal war immer noch nichts zu sehen.
Der Seewolf wurde langsam ungeduldig. Bens Gesicht hatte sich umschattet. Er sah ernst aus.
„Das gefällt mir ganz und gar nicht“, murmelte er. „Fast könnte ich jetzt das Mißtrauen von Ed teilen, Sir. Donegal kann sich doch nicht stundenlang mit dem Kerl unterhalten. Die werden doch wohl nicht einen zwitschern? Das kann sich der Befehlshaber einer Kriegsgaleone doch gar nicht leisten. Da steckt etwas anderes dahinter.“
„Da steckt gar nichts dahinter“, sagte Hasard gelassen. „Eben war ich auch noch beunruhigt, aber Donegal kriegt es fertig und tischt dem ehrenwerten Señor faustdicke Lügen auf. Außerdem habe ich schon mehr als einen besoffenen Generalkapitän gesehen. Donegal wird ihm Schauermärchen erzählen, vermutlich von den Heldentaten seines angeblichen Vaters.“
Inzwischen war es längst Nachmittag geworden. Sie hätten schon ein paar Meilen zwischen sich und die Kriegsflotte bringen können, aber Old O’Flynn mußte natürlich wieder mal aus der Reihe tanzen.
Dann erschien er doch noch.
„Der alte Zausel hat sich einen angekümmelt“, stellte der Profos neidvoll fest, „aber unsereins muß ja nüchtern bleiben.“
Old O’Flynn wurde von einen Teniente, einem Corporal und zwei Seesoldaten eskortiert, obwohl eskortieren nicht der richtige Ausdruck war.
Die vier Spanier stützten ihn unauffällig, damit Old O’Flynn nicht über die Stelling kippte. Auf der Stelling blieb er stehen und hob den linken Arm zum Gruß. Dieser Gruß galt Don Miguel, der sich jetzt auf dem Achterdeck seines Schiffes befand und am Schanzkleid lehnte. Auch er hatte wohl etwas zu tief ins Glas gesehen, aber er verbarg das sehr geschickt.
Die beiden winkten sich zu und grinsten verschwörerisch.
Dann wurde Old O’Flynn in die vor der Stelling stehende Sänfte geleitet und nahm Platz, indem er einfach hineinplumpste.
„Auch das noch“, sagte Hasard ergeben. „Aber es sei ihm diesmal verziehen. Er hat schließlich viel für uns getan.“
Die Sänfte wurde angehoben. Unter dem heimlichen Grinsen der Arwenacks ging es über die Pier. Dicht vor der Schebecke setzten die vier Spanier die Sänfte ab. Sie taten es sehr behutsam.
Old O’Flynn rülpste leicht und schlug sich vor die Brust, als er etwas steifbeinig herauskletterte. Sein Schädel wackelte ein bißchen, als er die Träger mit einer gnädigen Handbewegung entließ.
Ein paar Augenblicke stand er so da, sich ganz der Würde eines spanischen Granden bewußt. Er fummelte an seiner Halskrause herum, zupfte an seinem Wams und gab sich einen Ruck.
„Bringt ihn an Bord“, sagte Hasard. „Schließlich verdient ein spanischer Edelmann ein Geleit.“
Carberry und Smoky übernahmen das. Sie flankierten ihn von links und rechts und benahmen sich so, als sei er tatsächlich ein vornehmer Adliger.
Old Donegal rülpste ein zweites Mal laut und ungeniert.
„Mußt du hier unbedingt rumquaken wie ein alter Ochsenfrosch?“ begann der Profos zu motzen. „Vollsaufen und rumtönen, was, wie? Reiß dich zusammen, Herzöglein.“
„Wenn du meine Rolle gespielt hättest, wären wir jetzt schon alle in der Hölle. Aber ich, Don Alonso, habe euch vor einem grausigen Schicksal bewahrt. Ich bin ein Held.“
„Klar, das streitet ja auch keiner ab. Aber nun bewege dich mal an Bord, du Held.“
Auf der Laufplanke blieb Old Donegal wieder stehen. Er spitzte die Lippen, führte zwei Finger an den Mund und warf Don Miguel Kußhändchen zu, die auch prompt erwidert wurden.
„Mein Freund“, verkündete Old Donegal stolz. „Er hat mir Wein geschickt und ein Medaillon verehrt. Hier ist es.“
Er holte das Medaillon hervor. Es war aus einem ovalen Goldrahmen und zeigte das Miniaturporträt des Generalkapitäns. Der Maler hatte sich redliche Mühe gegeben und aus dem roten groben Gesicht des Don Miguel alles das herausgelassen, was ihn wie einen Eisenfresser aussehen ließ. Selbst das Boshafte in seinen Augen hatte er durch einen freundlichen Blick kaschiert. Daher hatte das Bild nur noch sehr geringe Ähnlichkeit mit dem ehrenwerten Don Miguel de Salamanca.
„Sehr schön“, sagte Carberry, „ich nehme an, du wirst es dir über die Koje nageln, damit dir der freundliche Señor morgens beim Erwachen immer zulächelt.“
„Er ist wirklich sehr freundlich“, murmelte der Alte.
„Gebt Ihr auch einen aus, Edler von Toledo?“ erkundigte sich Carberry. „Du hast doch jede Menge zu saufen abgesahnt.“
„Aber sicher doch. Doch erst müssen wir hier einmal verschwinden. Das alles ist mir selbst sogar unheimlich geworden. Ich werde euch später von Don Miguel erzählen.“
Als Old O’Flynn an Bord war, ließ Hasard noch ein paar Minuten verstreichen, damit die Abreise nicht so überhastet wirkte.
Dann wurden die Leinen gelöst und die Segel gesetzt.
Niemand behelligte sie. Nur ein paar behelmte Seesoldaten sahen neugierig herüber – und Don Miguel, der auf dem Achterkastell seines Schiffes wie festgenagelt an der Balustrade lehnte.
Als die Segel gesetzt waren, grüßte er ein letztes Mal.
Die Schebecke glitt langsam aus dem Hafen.
Die Arwenacks atmeten erleichtert auf, als sich das Gluckern des Wassers an den Bordwänden verstärkte, als der Wind die Segel immer praller füllte und die Schebecke rasch an Fahrt gewann.
Die Dons sahen ihnen nach. Keiner ahnte, daß Spaniens größter Feind grinsend aus dem Hafen von Gibraltar segelte.
Sie hatten ihre Chance verpaßt, eine einmalige Chance vielleicht, denn es wäre den Dons wahrhaftig nicht schwergefallen, den Seewolf und seine Mannschaft zu fangen.
Als sie den Hafen verlassen hatten, begann bei den Arwenacks erst einmal das große Grinsen.
3.
Hasard kehrte in Gedanken noch einmal zu den Ereignissen der zurückliegenden Tage zurück.
Alles hatte so harmlos mit dem Proviantboot begonnen. Dort hatte jemand Don Juan de Alcazar erkannt und diese Neuigkeit sofort dem Generalkapitän überbracht, um sich die zehntausend Reales Kopfgeld zu verdienen.
Die Spanier hatten unglaublich schnell reagiert. Für sie war die Gelegenheit äußerst günstig gewesen, weil sie über viele Schiffe in diesem Seegebiet verfügten.
Eine Falle war aufgebaut worden – und in die waren die Arwenacks auch prompt und ahnungslos hineingelaufen.
Die Spanier hatten Don Juan erkannt und verhaftet. Sie würden ihn aburteilen und durch die Garotte hinrichten – wie es der ehrenwerte Don Miguel gehässig angekündigt hatte.
Ein Witz ist das, überlegte Hasard. Ausgerechnet Don Juan mußten sie schnappen. Dabei hatte er selbst fest damit gerechnet, daß sie es nur auf ihn abgesehen hatten. Mitten in der Höhle des Löwen waren sie unerkannt geblieben.
Für Don Miguel wäre der Fang des Seewolfes die Krönung seiner Laufbahn gewesen. Aber als Entschädigung hat er ja Don Alonso kennengelernt, dachte Hasard belustigt.
Er dachte an Don Juan und daran, wie es weitergehen sollte. Ein Plan zur Befreiung stand noch nicht fest, der mußte erst noch geboren werden.
Old Donegal stand neben ihm und verbreitete eine Weinfahne um sich, die man glatt als Fahnenflucht bezeichnen konnte. Der Alte blickte immer noch kichernd und händereibend zum Hafen zurück, wo die Kriegsgaleonen der Spanier langsam kleiner wurden.
„Vielleicht könntest du mir jetzt mal einen kleinen Überblick geben“, sagte Hasard. „Habt ihr etwas Wichtiges besprochen, du und dieser Don Miguel, oder nur herumsalbadert?“
In den Augen Old O’Flynns stand der Schalk.
„Ein bißchen gelabert haben wir auch“, gab er zu, „aber mitunter ging es doch sehr ernst zu. Es drehte sich natürlich alles um Juan.“
„Das kann ich mir denken. Du hast Don Miguel ja ganz schön belatschert, wie man so sagt.“
„Ja, er hat mir fast aus der Hand gefressen. Er kam gar nicht darüber hinweg, mit dem Sohn des Herzogs von Alba einen kleinen Plausch abhalten zu dürfen. Das hat ihn mächtig in seiner Ehre aufgemöbelt. Don Miguel ist ein Kerl, der zwar einen hohen Posten bekleidet, aber in die adligen Kreise leider nicht so recht vordringen kann, obwohl er ebenfalls zu diesen Stieseln gehört. Er möchte Eindruck schinden, mit aller Gewalt.“
„Den Eindruck erweckte er auch. Erzähle weiter.“
„Er bat mich ganz ernsthaft um Rat, Juan betreffend. Ich konnte ihm ja Madrid und Sevilla zum Glück ausreden.“
„Ja, das hast du hervorragend bewerkstelligt“, sagte der Seewolf anerkennend. „Er ist darauf hereingefallen.“
„Der Zweck war damit erfüllt. Wenn sie Juan nach Madrid bringen, haben wir nicht die geringste Aussicht, helfend eingreifen zu können.“
„Sehr richtig, Donegal.“
„Bringen Sie ihn nach Sevilla, dürfte es ebenfalls sehr schwierig für uns werden.“
„Auch goldrichtig“, sagte Hasard.
Mittlerweile hatten sich etliche Arwenacks um den Alten geschart und hörten interessiert zu. Es herrschte zwar immer noch Betroffenheit unter ihnen, weil das Schicksal Don Juans völlig ungewiß war. Aber so langsam begann sich ein spürbarer Optimismus auszubreiten. Andererseits waren die Arwenacks darüber belustigt, daß sie den Spaniern eins ausgewischt hatten.
„Bleibt also Cádiz“, meinte Old Donegal trocken. „Da kennen wir uns einigermaßen aus und können uns umhören. In Cádiz befindet sich auch die alte Hafenfestung, die gleich neben einem uralten Kloster liegt.“
„Du glaubst, man wird Juan dorthin bringen?“ fragte Hasard gespannt.
„Ich glaube es nicht, ich weiß es mit Sicherheit. Jedenfalls wird der ehrenwerte Don Miguel genau das veranlassen. Das hat er mir versprochen, weil ich mächtig auf die Pauke gehauen habe. Natürlich werde ich auch bei Hofe vorstellig und eine Audienz bei Seiner Allerkatholischsten Majestät haben.“
Ein paar Kerle begannen wieder breit zu grinsen, als sie sich Old Donegal bei Hofe vorstellten.
„Du bist ja direkt ein Genie“, sagte Hasard lachend. „Sicher hast du den armen Juan in allen Tonlagen verflucht.“
„Mußte ich doch, um glaubwürdig zu wirken, sonst hätte der Kerl mir das nie abgenommen. Ich habe den ganz großen Patrioten rausgehängt und allen Verrätern den Tod angedroht.“
„Wie bringen sie ihn denn nach Cádiz?“ fragte Hasard. „Auf einem ihrer Schiffe?“
„Oder segelt etwa die ganze Armada nach Cádiz?“ fragte Ben dazwischen.
„Die Schiffe bleiben in Gibraltar, bis auf die ‚Virginidad‘. Die läuft aber erst in einer Woche aus. Juan wird in einer bewachten Kutsche und großer Bedeckung nach Cádiz gebracht. Der Erste Offizier von Don Miguel reist mit, um das Hohe Gericht aufzuklären. Er ist mit etlichen Vollmachten ausgestattet.“
„Interessant.“ Hasard hatte eine steile Falte auf der Nasenwurzel.
„Hast du auch erfahren können, wann die Kutsche abgeht? Dann könnten wir vielleicht sogar auf dem Landweg noch etwas unternehmen.“
Old Donegal hustete unterdrückt. Die Arwenacks wurden von einer lieblichen Duftwolke eingenebelt. Der Wein lag spürbar in der Luft.
„Nein, das wußte der Señor selbst noch nicht. Erst soll Juan an Bord noch einmal verhört werden.“
„Ist denn ganz sicher, daß er mit der Kutsche nach Cádiz gebracht wird?“
„Das ist absolut sicher.“
„Auf dem Landweg läßt sich nichts unternehmen“, sagte Dan O’Flynn entschieden. „Wir werden alles tun, um Juan zu befreien, aber dabei müssen wir umsichtig vorgehen und nichts übereilen. Der Landweg ist zu unsicher, zumal wir nicht wissen, von wo aus und wann die Kutsche losfährt. Das Schiff irgendwo zu verstecken, ist ebenfalls ein Problem, denn die Schebecke fällt meilenweit auf.“
„Da gebe ich dir völlig recht, Dan“, sagte Hasard. „Wir werden einmal ausrechnen, wie weit es von Gibraltar nach Cádiz ist.“
„Auf dem Landweg werden es etwa sechzig oder siebzig Meilen sein“, erwiderte Dan, „mehr ganz sicher nicht. Der Seeweg ist dagegen beträchtlich länger und zeitraubender. Wir müssen die Südspitze Spaniens runden und haben die Strömung gegen uns. Haben wir im Atlantik später keinen günstigen Wind, dann ist die Kutsche wesentlich früher da als wir.“
„Sagen wir mal, siebzig Meilen über Land“, überschlug Hasard. „Das ist in drei Tagen ohne weiteres zu schaffen. Aber rechnen wir großzügigerweise ruhig vier Tage. Wir selbst schaffen es in vier Tagen nicht, wir brauchen vielleicht eine Woche, wenn der Wind ungünstig steht. Hoffentlich ist es dann nicht schon zu spät.“
Old O’Flynn schüttelte den Kopf.
„So schnell geht das bei den Dons nicht“, sagte er, „wenn auch Don Miguel einen erstaunlichen Eifer an den Tag legt. Zuerst muß Juan vor ein Untersuchungsgericht, und selbst das wird ein paar Tage dauern, die er vermutlich in der Hafenfestung verbringt. Dann wird er vor ein Tribunal oder Militärgericht gestellt, und auch das dauert wiederum ein paar Tage. Bis dahin sind wir längst da.“
Old O’Flynn stellte sich das wesentlich einfacher vor als Hasard, der noch eine Menge Schwierigkeiten sah.
„Mit der Schebecke können wir uns nicht einmal bis in die Nähe von Cádiz wagen“, sagte er sachlich. „Das hat Dan schon angeschnitten. Cádiz ist ein scharf bewachter Handels- und Kriegshafen, in den wir sofort unangenehm auffallen würden.“
Dan O’Flynn hatte bereits eine Seekarte ausgebreitet. Was die Navigation betraf, da war er ebenso unschlagbar wie mit seinen scharfen Adleraugen.
„Wir könnten nach Rota segeln“, schlug er vor. „Außerhalb des Ortes gibt es zwei kleinere Buchten, wo wir die Schebecke verstecken könnten.“
„Das ist zu dicht in der Nähe von Cádiz“, entgegnete der Seewolf. „Von dort aus kann man nach Cádiz hinüberblicken. Wenn dort spanische Patrouillenboote aufkreuzen, kriegen wir Ärger. Besser wäre, wir blieben mit dem Schiff auf See und steuern die Küste mit unserer Jolle an.“
„Hast du schon einen Plan, Sir?“
„Einen ganz vagen, er ist noch nicht ausgereift. Aber uns bleiben ja noch ein paar Tage Zeit.“
„An wie viele Männer hast du bei dem Unternehmen gedacht?“ wollte Ben Brighton wissen. „Wir können dort schlecht, mit der ganzen Mannschaft erscheinen.“
Hasard lächelte und zog die Schultern hoch.
„Zwanzig oder mehr Männer haben gegen die zahlreichen Dons nichts in der Hand, keine Chance. Mit nackter Gewalt ist das Problem nicht zu lösen, auch nicht mit Blankwaffen oder Geschützen. Ich habe an zwei Mann gedacht“, sagte er zur Verblüffung der anderen.
„Zwei Mann?“ fragte Old Donegal, „ist das nicht entsetzlich wenig?“
„Du sagtest vorhin etwas von einem uralten Kloster. Liegt das direkt an der Festung?“
„Gleich daneben.“
„Mönche haben oft Zutritt zu den Gefangenen oder zu jenen, die zum Tode verurteilt sind. Es ist bei den Dons Brauch, daß die Todeskandidaten vor ihrer Hinrichtung eine Beichte ablegen. Das verwehrt man aus Glaubensgründen selbst dem ärgsten Feind nicht.“
„Stimmt“, erwiderte Old Donegal verblüfft. Seine Fahne duftete immer noch meilenweit. „Aber, was willst du damit sagen?“
„Gibst du eine Runde von dem köstlichen Wein aus, Donegal?“ fragte der Seewolf.
„Sicher“, murmelte der Alte verblüfft. „Ich dachte nur, er sei euch zu süß.“
„Ach was“, meinte der Profos, „süß oder nicht. Wir haben jedenfalls etliche schwerwiegende Gründe, einen zu lenzen. Außerdem stinkt deine Fahne meilenweit bis in den Atlantik. Wenn wir aber auch einen schlucken, dann fällt das nicht so auf. Das ist wie bei Knoblauch – alle oder keiner.“
Das war natürlich ein guter Grund. Edwin Carberry war um solche Begründungen noch nie verlegen, und so ging er auch gleich mit Feuereifer daran, eine der Kisten aufzuhebeln. Wann kriegte man schon so ein edles, adliges Tröpfchen, was, wie?
„Am besten schluckt jeder gleich eine Buddel“, schlug der Profos vor. „Dann besteht auch keine Gefahr der Ansteckung, wenn jeder aus seiner eigenen Buddel, gluckert.“
„Von wegen!“ zeterte Old O’Flynn los. „Das Zeug wird nicht gesoffen, sondern genossen. Das trinken wir aus unseren besten Humpen, die wir an Bord haben. Und von wegen Ansteckung, mein Lieber! Das ist nur wieder eine faule Ausrede. Schließlich haben wir nicht die Pest an Bord.“
So wurden also die besten Humpen und Gläser geholt. Der dunkelrote Wein roch schwer und süßlich. Es war allerbeste Qualität, wie sie nur den ganz hohen Chargen vorbehalten war.
Dann wurde einer gelenzt, und gleich noch einer auf das Wohl des ehrenwerten Don Alonso Alvarez de Toledo, den durchlauchten Sohn des Herzogs von Alba, der sich sicherlich im Grab umgedreht hätte, würde er von Old O’Flynns Auftritt gewußt haben.
„Wir werden also List und Tücke anwenden und auf unseren reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen“, sagte Hasard zwischen zwei kleinen Schlucken. „Die Einzelheiten besprechen wir noch, und zwar ausführlich. Es muß alles gut vorbereitet werden. Wir können nicht die Festung in Cádiz stürmen, Don Juan heraushauen und davonsegeln. Das wäre zu einfach.“
„Dann wird dich also nur ein Mann begleiten“, sagte Dan nachdenklich. „Denn daß du dabeisein wirst, steht wohl außer Frage.“
Hasard setzte den Humpen vorsichtig ab. Er nickte flüchtig.
„Ja, zwei Mann, der Kutscher und ich“, erwiderte er zur Verblüffung der anderen.
Der Profos hatte schon einen leuchtenden Blick drauf, doch der erlosch recht schnell.
„Der Kutscher?“ fragte er langgezogen. „Ich dachte da an mich.“
„Nimm es mir nicht übel, Ed, aber der Kutscher ist nun mal der geeignetere Mann, ohne deine Leistungen zu schmälern. Du gibst keinen überzeugenden Padre oder Mönch ab. Der Kutscher hat noch einen weiteren Vorteil: Er spricht ein sehr gepflegtes Spanisch und beherrscht außerdem Latein, was uns sehr helfen wird.“
„Hm, das sehe ich ein“, murmelte der Profos, ohne beleidigt zu sein. Er zog auch keinen Flunsch, wie das sonst üblich war, denn hier ging es um ein Menschenleben, um einen guten Freund, der jetzt nicht mehr unter ihnen Weilte, und dem neben einer grausamen Folter auch noch der sichere Tod bevorstand.
„Und wie soll das vor sich gehen?“ fragte Dan begierig.
„Ich weiß es noch nicht genau. Zunächst werden der Kutscher und ich als Fischer getarnt nach Cádiz gehen, damit wir nicht auffallen. Fischer gibt es sehr viele, und das erforderliche Rüstzeug werden wir uns schon besorgen. Was weiter geschieht, muß zunächst einmal die Lage der Dinge ergeben, das hängt von den besonderen Umständen ab.“
An Steuerbord wurden die Kalkfelsen jetzt flacher.
Hasards Blick war nachdenklich auf das vorüberziehende Land gerichtet. Die Schebecke kämpfte gegen die Strömung des Atlantiks an, die kraftvoll ins Mittelmeer drückte.
Von den Magoten war keiner zu sehen, die sonst immer zwischen den Felsen turnten. Vielleicht hielten sie Siesta wie der Schimpanse Arwenack auch, der dösend unter dem Focksegel auf der Gräting des Stauraumes hockte.
Algeciras tauchte auf, ein verschlafen wirkender Ort. Die Bahia de Algeciras wurde noch vom abfallenden Gibraltarfelsen flankiert. Der Ort erweckte den Eindruck, als hielten sämtliche Einwohner ein Nickerchen. Außer ein paar kleinen Fischerbooten gab es in der Bucht nichts zu sehen.
Nur sehr langsam versank der Dschebel Al Tarik achteraus, und immer noch kämpften sie gegen die stärker werdende Oberflächenströmung an. Mitunter entstand der Eindruck, sie bewegten sich nicht vom Fleck.
Achteraus war alles „sauber“. Kein spanisches Schiff zeigte sich, niemand folgte ihnen.
Bald würde der Atlantik sie aufnehmen und der „Ententeich“, wie der Profos das Mittelmeer nannte, hinter ihnen liegen.
4.
Don Juan de Alcazar hatte sich stur gezeigt und verweigerte bei dem Verhör durch den Generalkapitän jede Aussage. Das brachte den hohen Herrn sehr in Harnisch, und er drohte dem Spanier ein paar Male die Peitsche und hochnotpeinliche Folter an.
Doch auch das ließ Don Juan unbeeindruckt. Er habe ihm nichts zu sagen, ließ er Don Miguel kühl wissen.
„Dann bringen Sie diesen verräterischen Bastard augenblicklich nach Cádiz, Don Pedro, wie es besprochen wurde. Sie haften mir persönlich für die Auslieferung, und Sie erhalten von mir einige Sondervollmachten, damit es keine Verzögerungen gibt.“
Don Pedro stand stramm. Er war der Erste Offizier an Bord, ein Mann von schlanker Statur mit einem dreieckigen Bart am Kinn, buschigen schwarzen Augenbrauen und einem grimmig und kalt wirkenden Gesicht. Die dunklen Augen über einer etwas gekrümmten Nase blickten eiskalt und durchdringend.
Don Pedro war ein Mann, der mit großer Härte durchgriff. Er war auch ein fanatischer Anhänger seines Königs, und so wußte der Generalkapitän Don Juan de Alcazar bei ihm in besten Händen. Sein Erster würde sich eher vierteilen lassen, als daß einem Kerl wie de Alcazar die Flucht gelang.
In Gibraltar hatte es sich bei Behörden und Militär längst herumgesprochen, wer der Obrigkeit da in die Hände gefallen war. Entsprechend waren die Sicherheitsmaßnahmen vorbereitet worden.
Zwei Beamte der Casa de la Diputación, ernste Männer, die einen Sitz in der Provinzregierung hatten, erschienen persönlich bei Don Miguel, um mit den Augen des Gesetzes über allem zu wachen.
Don Pedro erhielt mehrere versiegelte Schreiben, die ihm überall Tür und Tor öffnen würden.
In der Frühe des nächsten Morgens wurde der Gefangene aus dem finsteren Verlies der Vorpiek geholt.
Schwarze Bartschatten standen in Don Juans Gesicht. Als er ins Helle trat, kniff er die Augen zusammen, um sie an das Sonnenlicht zu gewöhnen.
Don Pedro musterte ihn kalt und verächtlich.
„Sie werden unter scharfer Bewachung nach Madrid gebracht“, erklärte er knapp. „Alles Weitere wird dort entschieden. Sollten Sie sich zu einem Fluchtversuch entschließen, wird man lediglich Ihre Leiche oder Ihren Kopf an den spanischen Hof bringen. Das ist alles.“
Don Juan traf es wie ein Hammerschlag, als er die Worte hörte. Er hatte fest damit gerechnet, nach Cádiz überstellt zu werden, wie Don Miguel das mit Old O’Flynn besprochen hatte. Da muß etwas schiefgegangen sein, überlegte er. Hatte man den Alten und seine Rolle als spanischer Edelmann durchschaut?
Er ließ sich nichts anmerken. Ruhig und gefaßt stand er da und ließ sich weitere Ketten anlegen. Um ihn herum wimmelte es von Seesoldaten, Bewaffneten und Stadtpolizisten. Auch zwei Kerle der Casa de la Diputación waren dabei, wie er an den Uniformen sah.
Nach Madrid, überlegte er fieberhaft. Das bedeutete, daß er direkt dem Hof überstellt wurde, und das bedeutete gleichzeitig, daß die Arwenacks davon sicherlich nichts wußten. Sie würden ihn in Cádiz vermuten und warten – sehr lange warten und dabei doch nur ins Leere vorstoßen.
Was war da nur passiert?
Sie stießen ihn vorwärts, und er sah aus den Augenwinkeln noch, wie der Erste Offizier von einem der Beamten zur Seite genommen wurde. Was sie sprachen, konnte er leider nicht hören, aber es hätte ihn sehr erleichtert, wenn er es gewußt hätte.
„Es war doch vereinbart worden, daß der Mann nach Cádiz gebracht werden soll“, sagte der Beamte erstaunt. „Warum wurde das buchstäblich in letzter Minute geändert?“










