Seewölfe Paket 30

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Don Pedros Lippen waren so dünn wie die Seite eines Messers, sein flüchtiges Lächeln kalt wie Gletschereis. Seine Augen lachten nicht mit, es war ein bloßes Verziehen seiner Mundwinkel.
„Es ist nichts geändert worden, Señor Batista. Natürlich wird der Verräter nach Cádiz überstellt. Ich lasse ihn absichtlich im unklaren, damit er nicht weiß, wo er sich befindet. Er soll ruhig annehmen, er sei auf dem Wege nach Madrid. Bei einem unvorhergesehenen Zwischenfall dürfte ihn das sehr verwirren.“
„Ah, ich verstehe“, sagte der Mann von der Casa. „Sie wollen ihm natürlich nicht die hauchdünne Chance einer Möglichkeit geben. Sehr vernünftig, Don Pedro.“
„Nicht einem Vaterlandsverräter wie ihm“, sagte Don Pedro. „Er gehört an den Galgen, zur öffentlichen Inaugenscheinnahme. Seine Leiche soll im Wind schaukeln, und alle sollen ihn verhöhnen. Die Garotte ist zu schade für den Kerl.“
„Aber sein Tod dauert länger.“
„Es gibt Henker, die das Hängen sehr in die Länge ziehen können.“
„Bei der Garotte auch“, sagte der Mann von der Casa genüßlich. „Ich bin sicher, daß er an den richtigen Mann gerät.“
„Ich werde dazu jedenfalls tun, was ich kann.“
Davon war der Beamte der Casa überzeugt. Er grüßte knapp und ging zu der Kutsche hinüber, vor der sich ein Dutzend bewaffnete Männer aufhielten.
„Laufen müßte der Kerl“, sagte einer der Soldaten erbost. „Aber nein, die adligen Herrschaften werden gefahren oder getragen, obwohl sie dem eigenen Land den Krieg erklärt haben.“
Don Juan ließ die Bemerkungen gleichgültig über sich ergehen. Was wußten die Kerle schon von ihm und seinem Handeln? Sie hatten nicht die geringste Ahnung, um was es eigentlich ging. Seine Motive waren für sie ein Buch mit sieben Siegeln, und sie hatten es auch nie im Leben begriffen.
Der Spanier blinzelte in das helle Sonnenlicht. Er lauschte aufmerksam den Gesprächen der Offiziere, um herauszuhören, was mit den Arwenacks geschehen war. Er vernahm jedoch kein Sterbenswörtchen darüber. Niemand erwähnte die Männer von der Schebecke. Das bedrückte ihn sehr, und er sann darüber nach, was wohl passiert sein mochte. Die Arwenacks waren jedenfalls losgesegelt, das stand fest. Oder hatten seine Landsleute die Schebecke in eine andere Bucht verholt? Auch das konnte er nicht herausfinden, denn jetzt forderte ihn eine barsche Stimme zum Einsteigen auf.
Bevor er einstieg, sah er noch, daß mehr als ein Dutzend Soldaten der Kutsche Geleit gaben. Vierzehn Bewacher waren es insgesamt, außer Don Pedro und den beiden Kutschern. Sie alle waren beritten. Sechs Soldaten setzten sich vor die zweispännige Kutsche, der Rest ritt hinterher.
Don Juan stieg ein und erhielt von Don Pedro einen Tritt.
Wuterfüllt fuhr er unglaublich schnell herum. Die Arme mit den Ketten hoben sich blitzschnell. Der Erste Offizier wich erschrocken einen Schritt zurück und richtete die Pistole auf ihn.
„Schließt den Kerl an den Querholm der Kutsche“, befahl er mit bleichem Gesicht. „Der ist ja gefährlicher als tausend Nattern.“
„Tun Sie das nicht noch einmal“, sagte Juan de Alcazar drohend.
Zwei Mann schlossen ihn mit einer zusätzlichen Kette im Innern der Kutsche an. Er konnte sich nur noch sehr knapp bewegen.
Don Pedro nahm in der geräumigen Kutsche ihm gegenüber Platz. Sein Gesicht war verkniffen, seine Augen blickten tückisch.
„Losfahren!“ befahl der Erste.
Die Kutsche ruckte an. Don Pedro stand auf und zog die Vorhänge vor die Scheiben, bis im Innern Dämmerlicht herrschte. Aus seiner Position konnte Don Juan draußen nichts sehen. Don Pedro hingegen hatte einen begrenzten Ausblick.
Pferdegewieher war zu hören, ein paar Stimmen, das Klirren von Waffen. Etliche Spanier trugen Hellebarden und waren zusätzlich mit Musketen und Pistolen bewaffnet.
Die beiden Männer in der Kutsche musterten sich feindlich. Don Juan dachte an Flucht, er dachte aber auch über die Aussichtslosigkeit eines solchen Versuches nach. Er war gefesselt und unbewaffnet, und er hatte mehr als ein Dutzend berittener Kerle gegen sich, die vor Waffen nur so starrten.
Vorerst war jeder weitere Gedanke an eine Flucht zwecklos. Er lehnte sich in die Ecke zurück und war nach kurzer Zeit eingeschlafen, was Don Pedro maßlos ärgerte. Dieser Verräter schlief in aller Seelenruhe, und er selbst mußte bei der langweiligen Fahrt wach bleiben. Außerdem tat der Kerl so, als ginge ihn das alles nichts an. Der schien überhaupt keine Nerven zu haben, obwohl er genau wußte, was ihm in Kürze bevorstand.
Während er die Pistole auf Don Juan richtete, stieß er ihn mit dem Stiefel an.
Don Juan war sofort hellwach.
„Hier wird nicht gepennt“, knurrte Don Pedro. „Sie befinden sich nicht auf einer Spazierfahrt.“
„Das dachte ich mir fast“, sagte Don Juan, „deshalb brauche ich vermutlich keine Passage zu bezahlen.“
Er lehnte sich wieder zurück und schloß die Augen, bis das Spiel sich wiederholte und Don Pedro ihn erneut ärgerlich anstieß.
„Ich habe nur die Augen geschlossen, um Ihren Anblick nicht länger ertragen zu müssen“, sagte er ruhig.
„Das können wir recht bald ändern“, erwiderte Don Pedro tückisch. „Ich werde Sie von dem Anblick befreien.“ Er lachte kurz und stoßartig auf.
Etwas später gab er den Befehl zum Halten an den Kutscher. Der ganze Troß stoppte.
Don Pedro stieg aus.
„Nehmt ihm die Fußfesseln ab und verbindet ihm die Augen!“ befahl er einem Soldaten. „Dann schließt ihn mit einer weiteren Kette hinten an die Kutsche an. Der Kerl wird renitent und aufsässig. Das Laufen wird ihm guttun.“
Don Juan sah gerade noch, bevor sie ihn aus der Kutsche zerrten, daß sie sich auf einem staubigen ausgefahrenen Weg in einem größeren Olivenhain befanden. Dann wurde es auch schon dunkel, als sie ihm die Augen verbanden.
Don Pedro ließ seine Boshaftigkeit an dem Hilfslosen aus.
„Jetzt können Sie weiterpennen, Sie Bastard. Und vergessen Sie nicht das Laufen. Es geht jetzt lustig über Stock und Stein.“
Er hörte die Soldaten lachen. Sie freuten sich offenbar darüber, daß er ein bißchen gequält wurde.
Gleich darauf wurde die Fahrt fortgesetzt. Don Juan fühlte plötzlich einen brennenden Schmerz am Kopf. Den Knall hörte er gleichzeitig. Im ersten Augenblick glaubte er, einer der sadistischen Kerle hätte auf ihn geschossen, dann erkannte er seinen Irrtum.
Es war einer der beiden Kutscher, der anscheinend ebenfalls seine sadistische Ader entdeckt hatte oder auf Befehl Don Pedros so handelte.
Er spielte „Glückstreffer“, wie die Kerle das höhnisch nannten. Hin und wieder schlug er mit der langen Peitsche vom Kutschbock aus nach hinten. Manchmal traf er, mitunter aber knallte die Lederschnur an die Wand der Kutsche. Wenn er traf, stieß er ein meckerndes Gelächter aus, in das der andere Kerl mit einfiel.
Die Pferde liefen schneller. Don Juan wurden fast die Gelenke aus den Schultern gerissen. Er wurde von einer Seite zur anderen gezerrt, wenn die Kutsche über Unebenheiten rumpelte, und er mußte höllisch schnell laufen, um nicht hinzufallen.
Er biß die Zähne zusammen und rannte in absoluter Dunkelheit dahin. Er sah nichts, nicht einmal einen Streifen Dämmerlicht.
Nach einer Weile begann er schneller zu atmen und dann zu keuchen, weil er als Seemann das Laufen nicht gewohnt war. Schweiß perlte auf seiner Stirn und sickerte in die Augenbinde.
Dann zuckte er wieder zusammen, wenn ihn unerwartet die Peitschenschnur traf und einen Striemen auf seiner Haut hinterließ. Jedesmal war dann das Lachen zu hören.
„Seht mal unseren Laufburschen an“, hörte er die höhnischen Bemerkungen der Soldaten hinter sich. „Der rennt sogar schneller als die Gäule.“
Wieder ein Peitschenhieb, der einen roten Strich auf seiner linken Wange hinterließ.
Dann wurde die Kutsche hart nach rechts gerissen. Don Juan war darauf nicht vorbereitet, zudem sah er nichts. Der Ruck erfolgte so unerwartet und heftig, daß er strauchelte. Er fing sich noch einmal, dann hörte er die Räder wild über Steine rumpeln.
Über einen dieser Brocken stolperte er und stürzte. Genau das hatte er unbedingt vermeiden wollen, denn jetzt begann eine entsetzliche Tortur. Erbarmungslos wurde sein Körper an den Ketten mitgeschleift und geschunden. Kurzes Strauchwerk zerkratzte ihm das Gesicht, Steine und Dreck rissen seine Haut auf. Unzählige Schrammen trug er innerhalb kürzester Zeit davon.
Ein paar Minuten wurde er mitgeschleift und schrammte hart über den Boden. Dann hielt die Kutsche.
Don Juan konnte sich nur sehr mühsam aufrichten. Er hatte das Gefühl, als sei jeder einzelne Knochen in seinem Leib gebrochen.
Einer der Kerle nahm ihm die Augenbinde ab. Er blickte in Don Pedros kalte Fischaugen.
„Ein beschwerlicher Weg nach Madrid“, sagte er höhnisch. „Aber dort wird man Sie schon wieder aufpäppeln. Schließlich sollen nur gesunde Männer dem Henker überstellt werden.“
Don Juan hörte die Worte wie aus weiter Ferne. Sein Körper brannte und schmerzte höllisch. Von der Stirn sickerte ihm ein dünner Blutfaden in die Augen.
Aus halbzusammengekniffenen Augen blickte er in den Himmel. Dann mußte er wieder in die Kutsche steigen und wurde angekettet.
Don Juan lächelte sehr zum Ärger des Offiziers, denn er hatte etwas entdeckt, als man ihm für einen Augenblick die Augenbinde abgenommen hatte. Ganz sicher war das Don Pedro entgangen.
Don Juan hatte sich in diesem winzigen Augenblick sehr schnell orientiert. Einen derart scharfen Blick hatte er erst bei den Seewölfen entwickelt. Früher wäre ihm das nicht aufgefallen.
Die Sonne stand noch fast im Osten. Die Kutsche aber bewegte sich genau in westnordwestlicher Richtung. Hätte sie Kurs auf Madrid genommen, so folgerte Don Juan logisch weiter, dann müßte sie sich in nordnordwestlicher, fast nördlicher Richtung, bewegen. Das war aber nicht der Fall, wie er eindeutig erkannt hatte.
Er grinste noch mehr. In westnordwestlicher Richtung lag einwandfrei Cádiz, aber nicht die Hauptstadt des Landes.
Man hatte ihm also bewußt etwas Falsches mitgeteilt – und offenbar nur aus dem Grund, ihn zu verwirren.
„Ihr überhebliches Grinsen wird Ihnen noch vergehen!“ brüllte Don Pedro, den die Ruhe und Gelassenheit mächtig aufregte. Er hätte Don Juan lieber winselnd auf den Knien vor sich gesehen. Aber der Kerl war unbeugsam und unglaublich hart.
„Ich wüßte nicht, daß das Grinsen in unserem Land auch noch verboten ist“, sagte er. „Oder wird man deshalb vor das Inquisitionsgericht gestellt?“
Am Nachmittag stoppte die Kutsche erneut. Sie hielt vor einer armselig aussehenden Herberge. Den Soldaten und Bewachern wurde Verpflegung, Wasser und Wein gebracht.
Für Don Juan gab es auch Wasser – eine kleine Muck voll. Einer der Soldaten brachte es ihm. Als Don Juan danach greifen wollte, zog der Soldat die Hand zurück und goß ihm das Wasser ins Gesicht.
„Kühlt doch schön, was?“ fragte er grinsend.
„Du erbärmliche Ratte“, sagte Don Juan. „Du fühlst dich offenbar als ganz großer Held.“
Sie brachten ihm nichts zu essen. Erst am späten Abend erhielt er einen Kanten Brot und einen Schluck Wasser.
Er mußte die Nacht in der Kutsche verbringen, während die meisten Bewacher und Don Pedro in einer Finca übernachteten. Posten umstellten die Kutsche, ein Feuer wurde entzündet. An Flucht war überhaupt nicht zu denken.
5.
Am nächsten Tag wurde die Kutsche überfallen.
„Übermorgen dürften wir wohl in Cádiz sein“, sagte Don Juan zu dem Ersten Offizier und amüsierte sich insgeheim, als der ihn irritiert anstarrte.
„Wir fahren nach Madrid“, knurrte Don Pedro böse.
„Dann sollten Sie den Kurs ändern lassen, mein Bester“, schlug der Spanier spöttisch vor. „Wir haben soeben einen Fluß überquert. Täusche ich mich, oder liegt auf der rechten Seite etwa nicht die Laguna de la Janda? Ein tückisches Sumpfgebiet übrigens.“
„Das können Sie nicht wissen!“ schrie Don Pedro. „Außerdem entspricht es nicht den Tatsachen. Woher haben Sie diese Weisheit?“
„Von den Soldaten“, log Juan ungerührt. „Die quatschen doch dauernd darüber.“
Don Pedro war so erbost, daß er die Kutsche anhalten ließ. Mit hochrotem Kopf stieg er aus und stauchte die verdatterten Bewacher lautstark zusammen, die sich energisch gegen den Vorwurf wehrten, etwas Derartiges gesagt zu haben. Sie wüßten selbst nicht, wo sie sich überhaupt befänden. Nur die beiden Kutscher kannten den Weg, und die hätten absolut nichts gesagt.
„Sie erbärmlicher Bastard“, fauchte Don Pedro. „Sie wollen mich wohl veralbern oder die Stimmung gegen mich aufheizen? Wir fahren nach Madrid – und damit basta!“
„Dann sind offenbar während meiner Abwesenheit die Berge verschwunden. Oder hat man die auch vor die Inquisition gebracht? Nein, mein Bester, für Ihr Märchen müssen Sie sich einen Dümmeren aussuchen. Wir bewegen uns sozusagen auf ebenem Kiel. Hier ist überall flaches Land.“
Don Pedro schluckte. Immer wenn dieser Kerl das Maul aufriß, lief ihm die Galle über. Er fragte sich verzweifelt, woher der Mann das alles wissen konnte. Er war gar nicht in der Lage, auch nur einen kleinen Blick aus der Kutsche zu werfen, und doch wußte er haargenau, wo er sich befand.
„Ich kann Sie wieder laufen lassen“, drohte er.
„Ist das Ihre ganze Argumentation?“
Die beiden warfen sich einen feindlichen Blick zu. Dann schwiegen sie sich gründlich aus.
Nach dem nun schon obligatorischen Halt am Mittag vor einer Finca, fuhr die Kutsche durch waldiges Gebiet.
Juan döste vor sich hin. Insgeheim war er sehr erleichtert darüber, daß es nach Cádiz ging und nicht nach Madrid, wie Don Pedro das immer wieder befeuerte.
Er hörte noch überdeutlich Hasards Worte.
„Was auch immer geschieht“, hatte der Seewolf geflüstert, „wir lassen dich nicht im Stich, auch wenn wir augenblicklich hilflos sind. Denke immer daran, wir werden da sein.“
Er schrak aus seinen innerlichen Betrachtungen, als Stimmen laut wurden. Die Kutsche fuhr langsamer. Er hörte die Soldaten brüllen, Pferdeschnauben, Waffengeklirr. Dann einen lauten Schrei, der in höchster Tonlage abrupt verstummte.
Don Pedro griff nach seiner Pistole und riß die Vorhänge mit einem wilden Ruck zur Seite.
„Was ist los?“ schrie er den Kutscher an.
„Ein Überfall, Don Pedro. Im Wald haben sich ein paar Banditen versteckt. Sie sind …“
Seine Stimme brach ab. Er seufzte schwer und kippte dann vom Bock. Mit einem dumpfen Geräusch schlug sein Körper dicht neben der Kutsche auf.
Don Juan war sofort hellhörig geworden. Ein Überfall? Das konnte doch kein Zufall sein. Er sah, wie Don Pedro hart schluckte, aber keinerlei Anstalten traf, die Kutsche zu verlassen.
Die Arwenacks, dachte Juan. Sie haben der Kutsche den Weg verlegt. Er wunderte sich lediglich darüber, daß alles so schnell ging.
Dann hörte er Musketen krachen und wieder die Schreie eines Getroffenen. Auch Pistolen entluden sich. Das Stimmengewirr wurde lauter.
Don Pedro war völlig verunsichert. Der Lauf seiner Pistole zeigte mal auf seinen Körper, dann wieder entschlußlos nach draußen.
Ein Schuß aus einer Muskete traf die Kutsche. Die Kugel schlug in das Holz, zerfetzte es zu einem Viereck und drang auf der anderen Seite wieder hinaus. Nur eine Handbreite pfiff der Bleibrocken an Don Juans Kopf vorbei.
Die Männer draußen kämpften und brüllten laut. Die Pferde rissen die Kutsche ein Stück zur Seite. Mit dem rechten Hinterrad krachte sie gegen einen Baum und blieb stehen.
Der zweite Kutscher hatte ebenfalls den Bock verlassen. Der andere war vermutlich tot, und die Kutsche hatte ihn noch einmal überrollt, ehe sie stehenblieb.
Don Pedro wollte jetzt ebenfalls die Kutsche verlassen.
„Sie bleiben hier“, sagte er nervös. „Rühren Sie sich nicht!“
Als wieder ein Schuß die Kutsche traf, zog der Offizier das Genick ein und feuerte wahllos zurück.
Don Juan reagierte wie ein Urmensch mit zuckenden Reflexen. Seine kettenbewehrten Arme fuhren blitzschnell hoch und legten sich um den Hals Don Pedros.
Der Anprall erfolgte für den Offizier so unerwartet, daß er den Halt verlor, strauchelte und Juan vor die Knie rutschte. Seine Pistole fiel zu Boden, er streckte abwehrend die Hände aus.
Juan zog ihn zu sich heran, erbarmungslos und hart, und ließ ihm keine Chance. Don Pedro röchelte, er brachte nicht einmal einen Schrei zustande. Sein Gesicht lief rot an, die Augen quollen ihm aus den Höhlen.
„Den Schlüssel, aber schnell“, sagte der Spanier. „Wo ist er?“
Er lockerte den mörderischen Griff ein wenig.
Don Pedro deutete mit dem Kinn angstvoll auf seine rechte Jackentasche. Die Ketten zogen sich wieder um seinen Hals zusammen.
Im Wald wurde immer noch geschossen. Irgendwo schrie jemand laut und gellend. Die Gäule wieherten angstvoll.
Es war das Werk weniger Augenblicke, dann hielt Juan den Schlüssel zu seinem Kettenschloß dicht an den Körper gepreßt.
„Aufschließen“, sagte er heiser. „Wenn Sie den Schlüssel fallen lassen, ist es aus mit Ihnen.“
„Verfluchter Bastard“, röchelte der Spanier. Auf seiner Stirn standen dicke Schweißperlen.
Don Juan nahm ihm die zweite Pistole ab, die im Gürtel steckte, während Don Pedro sich abmühte, das Schloß zu öffnen. Für ihn war es eine Schande, überrumpelt worden zu sein. Er hatte sich zu sicher gefühlt und nicht damit gerechnet.
Mit wild zitternden Fingern schloß er auf.
Juan streifte die Ketten ab. Als Don Pedros rechter Arm hochfuhr, schlug er ihm den Knauf der Pistole an die Schläfe.
Ein klassischer Jagdhieb war das. Don Pedro wurde schlaff. Seine Knie gaben nach und er fiel mit dem Gesicht voran lautlos auf den Boden der Kutsche.
Mit einem Satz war der schlanke Spanier draußen. Ein kurzer Blick zur Orientierung genügte ihm.
Sie befanden sich in einem größeren Wald, der teilweise von einem mächtigen Verhau durchwuchert war. Nur ein schmaler Pfad führte hindurch. Links befand sich eine kleine Lichtung, rechts dichtes Buschwerk und etwas weiter voraus war der Baumbestand nicht mehr so dicht.
Die Soldaten kämpften mit wild aussehenden Gestalten. Ein paar lagen reglos am Boden, niedergestreckt von den Schüssen aus Musketen oder Pistolen. Ein paar andere flohen gerade in langen Sprüngen.
Die Soldaten behielten eindeutig die Oberhand. Sie waren besser und stärker bewaffnet.
Don Juan sah sich zwei Männer an, die hingestreckt auf dem Boden lagen. Es waren bärtige Gestalten, wilde, verwegen aussehende Buschräuber – aber keine Arwenacks, wie er anfangs geglaubt hatte.
Dieser Überfall hatte mit den Seewölfen nichts zu tun, absolut nichts. Die Kerle waren einfache Wegelagerer und Banditen, Strolche, die alles überfielen, was auch nur geringe Beute versprach.
Er grinste hart, als er losrannte.
Frei, endlich war er frei. Er würde sich nach Cádiz durchschlagen, das war kein Problem für ihn.
Stimmen brüllten erneut, ein paar Reiter galoppierten hinter ihm her. Noch im Reiten feuerten sie Pistolen und die schweren unhandlichen Musketen ab.
Der Verhau wurde so dicht, daß er kaum vorwärts gelangte. Die Reiter hingegen sprengten mitten dazwischen und walzten alles nieder, was ihnen im Wege stand.
Sie waren auch schneller mit ihren Pferden als er. Als einer dicht hinter ihm war, drehte er sich im Laufen und Vorwärtsstolpern um und feuerte.
Die Kugel prallte seitlich auf den blinkenden Brustpanzer des Dons und erzeugte einen hell klingenden Ton. Dann sirrte sie als Querschläger irgendwo ins Unterholz.
Jetzt waren es schon vier Männer, die hinter ihm herritten. Don Juan schlug einen Haken, um in den dichter werdenden Wald zu gelangen. Dort standen die Bäume so eng beieinander, daß die Pferde nur schwer hindurchgelangten.
Zwei weitere Soldaten ritten von der Lichtung aus auf ihn zu.
Dann war er urplötzlich eingekeilt. Er sah es aufblitzen, zweimal hintereinander, aber den Knall hörte er nur noch wie ein leises fernes Echo.
Der Wald schien kopfzustehen. Er hatte für einen kurzen Augenblick das Gefühl, als würde er herunterfallen. Danach wurde es übergangslos Nacht für ihn. Alles versank in schwarzer Finsternis.
Sein Erwachen war ein schmerzhafter Prozeß. Er fühlte sich wie ein riesiges Pendel, das in unglaublich langen Bewegungen hin und her schwang. War er an einem Punkt angelangt, durchzuckte ihn heftiger Schmerz. Dann schwang das riesige Pendel zurück zum anderen Punkt, und erneut setzte der Schmerz ein. Der Weg dazwischen war jedesmal wie ein Sturz in einen Abgrund.
Vorsichtig öffnete er die Augen und sah sich um.
Nichts hatte sich verändert. Sein Schädel schmerzte wie wahnsinnig, aber seinem Gegenüber, das ihn aus tückischen Augen musterte, schien es nicht anders zu ergehen. An Don Pedros Schläfe prangte eine sehr sehr große Beule.
Er war wieder gefesselt und angekettet, wie er feststellte. Diesmal hatten sie ihn so verschnürt, daß er sich kaum bewegen konnte. Er verspürte trotz der Schmerzen Hunger und Durst.
„Dreckiger Bastard“, sagte Don Pedro mit einem vor Wut entstellten Gesicht. „Schade, daß dieser Kerl Sie nicht richtig getroffen hat. Es ging leider zu schnell.“
Don Juan merkte, daß sein linkes Auge stark angeschwollen war. Blut hatte es verkrustet. Die Haut an seiner Stirn spannte stark. Offenbar hatte ihn ein Streifschuß erwischt. Wenn er das rechte Auge schloß, ging jedesmal ein Zucken über sein Gesicht. Vermutlich hatte er eine riesige Schramme am Kopf.
„Sie hätten an meiner Stelle nicht anders gehandelt“, sagte Don Juan trocken. „Jeder wehrt sich seiner Haut, so gut er kann, auch ein dreckiger Bastard.“
„Ich überlege mir ernsthaft, ob ich Sie nicht einfach abknallen lassen soll“, zischte Don Pedro. „Auf der Flucht erschossen. Kein Hahn kräht dann mehr danach.“
„Dann überlegen Sie nur ernsthaft weiter, wenn Sie nicht in der Lage sind, das Problem anders zu lösen.“
Die Kutsche schaukelte weiter, anfangs behäbig, dann wieder etwas schneller. Don Juan schenkte seinem Bewacher keine Beachtung mehr. Er stellte nur fest, daß dieser Don Pedro offenbar wirklich mit dem Gedanken spielte, ihn abknallen zu lassen. Hinter seiner Stirn arbeitete es ständig, und seine Wangenmuskeln zuckten wild.
Wieder eine Finca, eine kurze Rast. Die Soldaten erfrischten sich und säuberten ihre Wunden. Don Juan schätzte, daß es jetzt nur noch zehn Männer waren. Die anderen hatten bei dem Überfall offenbar den Tod gefunden.
Das Blöken von Schafen war zu hören, ein paar Stimmen.
Juan döste weiter vor sich hin. Sie vergaßen ihn völlig. Er erhielt weder etwas zu essen noch etwas zu trinken. Kein Mensch kümmerte sich um ihn. Das war wohl die ganz persönliche Rache des Ersten Offiziers, der ihn quälen wollte.
Er meldete sich auch nicht, dazu war er zu stolz, als daß er bei Don Pedro um einen Schluck Wasser gebettelt hätte. Seine Kehle war ausgetrocknet, vor seinem geistigen Auge erschien ständig ein Krug, der mit frischem kühlem Wasser gefüllt war.
Die Nacht verbrachte er wiederum schwer angekettet in der Kutsche und bewacht von den Soldaten.
„Hunger, Durst?“ fragte Don Pedro höhnisch, bevor er die Kutsche verließ.
Don Juan würdigte ihn keiner Antwort.
„Wenn Sie höflich darum bitten, lasse ich Ihnen etwas bringen“, sagte Don Pedro. „Sie brauchen nur untertänigst zu bitten.“
„Bastard“, erwiderte Don Juan grinsend.
Der Offizier schlug ihm dafür zweimal ins Gesicht.
Am späten Abend des dritten Tages erreichten sie Cádiz.
An Bord der Schebecke wurde spanisch gegessen, nämlich alles das, was der Kutscher und Mac auf dem Versorgungsboot eingekauft hatten.
Das Mittagessen begann mit einer Sopa de ajo, einer deftig gewürzten Knoblauchsuppe, die zwar nach den Worten des Profos den ganzen Atlantik einschließlich Mittelmeer total verpestete, nichtsdestoweniger aber hervorragend schmeckte.
Danach gab es die landesübliche Paella mit Reis, Olivenöl, magerem Schweinefleisch, Schinken, Flußkrebsen, weißen und grünen Bohnen, Artischocken, Pfefferschoten, Knoblauch, Zwiebeln und Schnecken.










