Seewölfe Paket 30

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Ganz besonders die Schnecken belauerte der Profos sehr mißtrauisch. Er drehte sie hin und her und peilte in das Innere.
„Was sind das für Dinger?“ fragte er den Kutscher. „Hast du die auch auf dem Bumboot gekauft?“
„Ja, natürlich. Es sind Schnecken.“
„Ich bin doch kein spanischer Schneckenfresser“, empörte sich Carberry. „Die mampfen Kastanien und Schnecken, ich aber nicht.“
„Es zwingt dich niemand dazu, sie zu essen“, erwiderte der Kutscher spitz. „An Bord ist ja ohnehin hinlänglich bekannt, daß du in solchen Dingen ein mäkeliger Kerl bist, ein Freßbanause, wenn man das mal so ausdrücken will. Beim Saufen bist du nicht so mäkelig, da darf’s auch ruhig mal ein übler Fusel sein.“
„Schnecken sind jedenfalls nichts für mich“, erklärte der Profos. „Da weiß man nie, was in den Gehäusen drin ist.“
„Du brauchst ja nur nachzusehen.“
Paddy Roger, anerkannter Vielfraß an Bord, erbot sich, dem Profos die Schnecken abzunehmen. Er hatte noch nie welche gegessen.
Der Profos schob ihm mit dem Löffel die Schnecken aus seiner Kumme hinüber.
Paddy schaufelte sich genußvoll einen Löffel voll und schob ihn in den Mund. Als er draufbiß, krachte es zum Entsetzen des Kutschers erschreckend laut.
„Mein Gott“, sagte der Kutscher leise. „Das darf doch nicht wahr sein. Schmeckt es denn?“ fragte er anzüglich.
Paddy nickte mampfend.
„Sehr gut, Mister Kutscher“, sagte er treuherzig. „Sie sind offenbar noch nicht ganz gar, aber wenn man sie länger im Wasser läßt, denn werden sie … Habe ich was Falsches gesagt?“ fragte er irritiert.
„Nein, nein“, sagte der Kutscher ergeben. „Manche essen die Schnecken nur ohne Gehäuse. Das gleiche gilt für Krebse.“
„Dann ist aber nicht mehr viel dran“, meinte Paddy.
„Sag ich doch die ganze Zeit“, knurrte der Profos. „Mit dem Gehäuse knirschen sie so unangenehm, aber ohne Gehäuse sieht man von den Dingern kaum etwas in der Kumme. Gibt’s das noch öfter?“
„Nein, zum Glück sind sie alle. Ich habe auch nicht viel eingekauft, und ich werde auch nie mehr welche kaufen. Euch Brüdern sollte man Seegurken in Algenbrei servieren – oder Seeigelpudding, aber auch da freßt ihr sicher noch die Stacheln mit.“
„War trotzdem ganz gut“, sagte Carberry, um den Kutscher nicht zu verärgern. „Du hast dir jedenfalls eine Menge Mühe gegeben.“
Nach dem Essen wurde der restliche Wein in den Kisten inspiziert, die „Don Alonso“ großzügig zur Verfügung stellte. Diesmal war Carberry am eifrigsten bei der Sache.
„So ein Fläschchen Wein ersetzt ein ganzes Essen“, sagte er grinsend. „Und dann hat man noch immer nichts getrunken.“
Seine Logik war wieder mal durchschlagend.
Es waren alles ausgesuchte und ganz spezielle Weine, wie sie nie einer vorm Mast zu sehen, geschweige denn zu trinken kriegte.
Ein paar Flaschen Jeréz waren dabei, dann ein würziger Manzanilla, süßer dunkelroter Malaga, und ein paar Rotweine aus dem Tal des Rio Oja. In einer weiteren Kiste lagerten Valdepeñas-Weine aus der La Mancha, und die letzte Kiste enthielt ein Sortiment roter und weißer Weine aus der katalonischen Provinz Tarragona.
„Wirklich nur das Allerfeinste“, sagte der Kutscher begeistert. „Die Señores wissen schon, was gut ist.“
„Bißchen labbrig, das Zeug“, meinte Carberry nach einem Probeschluck. „Wie wär’s denn, wenn wir die ganze Brühe zusammenkippen und sie mit etwas Rum vermischen?“
Der Kutscher und ein paar andere Mannen sahen ihn an, als sei er soeben vom Mond gefallen.
„War natürlich nur ein Scherz vom lieben Ed“, sagte der Seewolf.
„Aber natürlich“, versicherte der Profos scheinheilig. „Wer würde denn so was Gutes zusammenpanschen?“
Zu diesem Zeitpunkt ließen sie das Mittelmeer hinter sich und segelten in den Atlantik. Damit änderte sich auch gleich einiges.
Der Wind wehte aus westlicher Richtung auflandig auf die spanische Westküste zu. Sie mußten jetzt, auf Steuerbordbug liegend, mit Backbordhalsen segeln. Die Dünung wurde beträchtlich höher, und schon bald tauchte die Schebecke tief ein und nahm Wasser über.
Auf und ab ging es in einem ständig stärker werdenden Rhythmus. Der Wind war frisch, kühl und von salzigem Geruch. Aber ein Hauch voller wilder Freiheit wehte herüber, wie die Arwenacks meinten. Hier konnte man wieder tief Luft holen. Hier gab es keine Enge, keine Bedrückung. Hier war die unendliche Weite der See.
Der Segelmacher Will Thorne ließ sich auf dem Achterdeck melden. Er betrat es nie ohne Aufforderung, obwohl es bei den Arwenacks durchaus üblich war, sich dort aufzuhalten, wo es jedem paßte. Aber der Segelmacher war einer von der ganz alten Garde, ein Mann, der für die Crew einfach unersetzlich war. Er hielt sich immer an bestimmte Traditionen, und davon wich er auch diesmal nicht ab.
„Mir ist da etwas eingefallen, Sir“, begann er verlegen, wie er meist war, wenn er etwas vorzubringen hatte. „Es wurde doch kürzlich der Vorschlag unterbreitet und erörtert, wie man Don Juan in Cádiz befreien könne. Dabei war auch von einem Kloster die Rede, das in der Nähe der Hafenfestung liegt, nicht wahr?“
„Das ist richtig, Will“, sagte Hasard. „Wir sprachen allerdings nicht sehr ausführlich darüber.“
„Ich habe mir erlaubt, den Gedanken ein wenig weiter auszuspinnen“, sagte Will leise, „hauptsächlich, was die Mönche betrifft. Ich nehme an, Sir, daß du zusammen mit dem Kutscher als Mönch auftreten willst, um unerkannt und sicher in die Festung zu gelangen. Deshalb habe ich mir erlaubt – auf Freiwache natürlich – zwei passende Kutten zu schneidern. Auch die dazugehörigen Sandalen habe ich angefertigt. Ich wollte das einmal zu deiner Inaugenscheinnahme vorlegen, Sir.“
Er packte alles das, was er unter dem Arm trug, vor Hasard aus.
Der Seewolf war verblüfft und gerührt. Da hatte dieser selbstlose alte Mann wieder einmal nachgedacht und gearbeitet, und erschien nun mit einem Vorschlag, den Hasard zwar angeschnitten, aber noch nicht restlos durchgedacht hatte.
Das alles hatte er still und ohne weiteren Aufwand in der Segellast getan, die sein Revier war, wo er Segel zuschnitt, nähte, einliekte oder Plünnen für die Arwenacks schneiderte.
Hasard legte ihm dankbar die Hand auf die Schulter, was den Segelmacher sichtlich in Verlegenheit brachte. Er vermied es nach Möglichkeit, öffentlich gelobt zu werden und blieb lieber still und bescheiden im Hintergrund.
„Als Mönch“, sagte er nachdenklich, „ja, das Thema habe ich kurz angeschnitten, aber du hast es bereits als selbstverständlich vorausgesetzt, denn es ist eine gute Idee, und mit Gewalt können wir nichts ausrichten.“
„Das dachte ich mir, Sir. Die Kutten dürften genau passen, ich habe ja die Vorlagen von jedem von euch.“
Hasard sah sich die Kutten an, auch der Kutscher war sofort begeistert, als er sie musterte.
„Goldrichtig, Will“, sagte Hasard erfreut. „Du denkst immer an alles und bist sofort bei der Sache. Ohne dich wären wir nur eine halbe Mannschaft.“
Will Thorne wurde noch verlegener und lächelte schüchtern.
„Wenn ihr die Kutten habt, braucht ihr auch keine echten Mönche in Schwierigkeiten zu bringen“, meinte er. „Außerdem könnte das auffallen, wenn irgendwo zwei Mönche fehlen.“
„Auch das hast du sehr richtig überlegt, Will.“
Die Kutten paßten wie angegossen, wie es bei Will Thorne auch nicht anders zu erwarten war. Der Segelmacher leistete immer hervorragende Arbeit.
Hasard lächelte, drehte sich und wollte sich bei ihm bedanken.
Aber der Platz war leer. Still und bescheiden war Will Thorne wieder an seine Arbeit gegangen.
Der Seewolf blickte kopfschüttelnd zur Segellast, wohin Will Thorne wieder gegangen war.
Eines Tages wird er nicht mehr sein, überlegte Hasard, und dann wird uns eine Menge fehlen. Aber es war müßig, sich jetzt darüber Gedanken zu bereiten. Noch war es nicht soweit.
Mac Pellew wusch zu diesem Zeitpunkt das Geschirr an Deck und nahm die Backschaft wahr. Der Kutscher rumorte in der Kombüse herum. Jung Hasard und Philip halfen als Backschafter mit. Es war gut, daß sie noch rechtzeitig im Mittelmeer gegessen hatten, fand Hasard. Die See wurde immer dicker und lief hoch auf. Jetzt wäre das mit einigen Schwierigkeiten verbunden gewesen.
„Wir lassen die Küste achteraus liegen und gehen auf Westnordwest-Kurs, um Kontakte mit den Dons zu vermeiden. Später liegen wir Cádiz dann auf östlichem Kurs an“, sagte Hasard zu Gary Andrews, der Ruderwache ging.
Der sagte gerade noch: „Aye, aye, Sir“, dann wurde er vom Ausguck unterbrochen.
Stenmark meldete sich.
„Zwei Galeonen und ein weiteres Schiff voraus!“
Hasard sah sie Augenblicke später.
Weit südlich von Cabo Trafalgar hielten sich Schiffe auf. Es gab keinen Zweifel daran, daß es Spanier waren. Eine der Galeonen nahm Kurs auf den Atlantik und drehte später ein wenig nach Süden ab. Die andere hielt fast genau auf sie zu, während das dritte Schiff dicht unter der Küste lief.
„Sieht so aus, als wollten sie uns beschnüffeln“, meinte Dan O’Flynn. „Ihre Kanonen sind auch ausgerannt.“
„Ist ja auch ihr gutes Recht“, brummte Hasard. „Aber es gefällt mir trotzdem nicht.“
6.
„Vielleicht sind sie von Cádiz hergesegelt“, meinte Ben Brighton. „Die haben wir dann später schon nicht mehr auf dem Pelz, wenn wir uns dort aufhalten.“
„Sollen wir auskneifen?“ erkundigte sich Dan. „Sie ein bißchen foppen, dichter aufschließen lassen und dann weiter in den Atlantik segeln. Das ärgert sie sehr, wenn man ihnen in ihren eigenen Gewässern auf der Nase herumtanzt.“
„Und ihnen später die englische Flagge zeigen“, murmelte Ben. „Das ärgert sie noch mehr.“
Es war klar, daß die Dons unbedingt erkunden wollten, was es mit der fremden Schebecke auf sich hatte, die in diesen Gewässern nun einmal gar nicht üblich war. Die Arwenacks hatten zwar ein gutes und prachtvolles schnelles Schiff, aber es erregte auch überall Aufsehen und Neugier, und das war dem Seewolf gar nicht recht.
„Natürlich kneifen wir aus“, sagte Hasard. „Es wäre totaler Unsinn, sich mit den Brocken anzulegen, zumal es um absolut gar nichts geht. Warum sollen wir Kopf und Kragen riskieren, nur weil ein paar Dons neugierig geworden sind?“
„Dann zeigen wir ihnen das Heck, und damit hat es sich“, meinte Dan.
Die Galeonen segelten schwerfällig und behäbig ihren Kurs, der ein paarmal geändert wurde. Auch sie hatten unter dem auflandigen Wind zu kämpfen, der die Schiffe unmerklich nach Osten versetzte, wo sich die spanische Küste befand.
Langsam drehte die Schebecke ab. Hasard beobachtete die Dons durch das Spektiv.
Al Conroy erschien und meldete: „Für alle Fälle sind die Geschütze geladen und kontrolliert, Sir. Kann sein, daß die Dons doch noch aufrücken.“
„Gut“, sagte Hasard, „aber die Befürchtung habe ich eigentlich nicht. Wir können unsere Schnelligkeit wieder mal ausspielen.“
Die schweren Brocken näherten sich nur langsam. Auch sie änderten gleich darauf den Kurs, als die Schebecke nach Westen segelte.
Eine der Kriegsgaleonen drehte scharf ab. Man wollte ihnen ganz offensichtlich den Weg verlegen.
„Ein zweites Mal passiert mir das nicht“, murmelte Hasard. „Die Falle vor Gibraltar war mir eine Lehre.“
Sie gingen auf einen langen Kreuzschlag.
„Hier ist das Brassen kein Kunststück“, sagte Carberry grinsend. „Aber die Kerle auf der Galeone müssen sich ganz schön plagen. Sie sollten auch lieber Gaffelruten mit Lateinersegeln fahren.“
„Dann wären es keine Galeonen mehr“, wandte Smoky ein.
Die Dons merkten sehr schnell, daß ihnen die Schebecke mühelos davonlief. Auch die Karavelle, die noch weiter östlich stand, konnte nicht mithalten. Sie ging hart an den Wind und segelte ebenfalls einen langen Kreuzschlag.
Auf der ersten Galeone befand sich offenbar ein sehr grantiger oder erboster Kapitän, dem es nicht paßte, daß die Schebecke ihnen lässig das Heck zeigte.
Er ließ feuern, um zumindest seine Macht zu demonstrieren.
Viermal hintereinander zuckten lange Feuerlanzen auf der Backbordseite auf. Pilzartige Rauchwolken stiegen aus den Geschützpforten.
Der Wind verblies sie innerhalb weniger Augenblicke zu Nichts. Dumpfer Donner war zu hören, der sich grollend über das Wasser legte.
„Bum-bum“, sagte Batuti höhnisch, als sich aus dem Meer wie hingezaubert ein paar riesige Fontänen erhoben. Vier Säulen wuchsen aus dem Wasser, prachtvoll anzusehen in der hochgehobenen Dünung. Doch dann sanken sie mit einem lauten Rauschen in sich zusammen.
„Schade, daß sie so schnell vergehen“, fügte er hinzu. „Sie sehen wirklich prächtig aus.“
Den Dons genügte diese eine Demonstration noch nicht. Sie feuerten noch einmal.
Diesmal spien sechs Geschütze gleichzeitig Feuer. Die Galeone hüllte sich in Rauch und Feuer. Aus den Stückpforten waberten lange Flammenzungen hervor. Schwarzer Qualm trieb zur Seite.
Sie konnten die Kugeln sehen, die auf flacher Bahn durch die Luft zogen, bevor sie sich senkten und ins Wasser schlugen.
Sechs Säulen stiegen aus dem Meer. Ein dichter Vorhang von Gischt stäubte über die See. Die Arwenacks freuten sich über die schönen, mitunter bunt schimmernden Säulen. Aber leider war die Pracht sehr schnell vorbei. Die Fontänen vergingen weit achteraus im Kielwasser und lösten sich auf.
„Die scheinen über unbegrenzte Mengen an Kugeln zu verfügen“, meinte Nils Larsen trocken. „Die Steinmetze müssen sehr beschäftigte Männer sein.“
Die Dons jagten ihnen weiter nach, doch es war vergebliche Mühe. Mit der Schebecke konnten sie auch auf Kreuzschlägen nicht mithalten. Sie war wendiger und schneller.
Selbst die Karavelle blieb immer weiter zurück. Aber die Meute gab trotzdem noch nicht auf. Zumindest wollten sie das fremde Schiff aus ihren Gewässern vertreiben, wenn sie schon nichts ausrichten konnten. Sie schienen auch sehr verärgert zu sein.
Die Wasser des Atlantiks wurden wilder. Wind pfiff durch das stehende und laufende Gut und erzeugte heulende Töne. Immer wieder donnerte Gischt über das Deck.
Zwei Stunden lang segelten sie in den Atlantik. Kurs Nordwest lag jetzt an. Auch die Dons segelten den Kurs nach, doch ihre Schiffe wurden in der hochgehenden See immer kleiner.
„Nichts mehr von ihnen zu sehen“, stellte Dan knapp zwei Stunden später fest. „Entweder haben sie aufgegeben, oder sie sind so weit achteraus, daß nichts mehr zu sehen ist.“
„Sie werden aufgegeben haben“, meinte Hasard. „Zähneknirschend, versteht sich, und sehr erbost. Vermutlich lauern sie jetzt irgendwo dicht unter der Küste. Uns kann es egal sein, wir laufen jetzt Cádiz an und bleiben so weit von der Küste entfernt, daß wir sie nur als schmalen Strich sehen.“
Weit und breit war kein Schiff mehr zu sehen.
Hasard ließ noch eine knappe Stunde auf dem Kurs weitersegeln. Danach wurde Nordkurs gesegelt. Die Schebecke lag hart über Steuerbordbug.
Don Juan hatte mit beträchtlichem Aufsehen gerechnet. Aber es kam alles ganz anders, als er gedacht hatte.
Die Kutsche fuhr in Cádiz direkt vor der Hafenfestung vor.
Don Pedro und sein Begleiter verschwanden, um mit dem Festungskommandanten zu sprechen. Juan blieb solange angekettet in der Kutsche hocken.
Jetzt hatte er noch Zeit, um sich einmal umzuschauen. Wahrscheinlich sah er das Tageslicht so schnell nicht mehr wieder.
Sein Blick wanderte über den Hafen. Etliche stark armierte Galeonen lagen dort, aber auch Karavellen und Schaluppen. Im Hafen selbst herrschte ein beängstigendes Gewimmel. Eine dickbauchige und tief abgeladene Galeone wurde gerade gelöscht. Über die Stelling hasteten Männer mit Kisten, Ballen und schweren Säcken. Ein breitschultriger Kerl trieb sie fluchend zur Eile an.
Aus Juans Blickwinkel befand sich weiter rechts der Fischereihafen, wo das Gewimmel fast noch größer war. Unzählige Fischerboote lagen da. Auf manchen flickten die Fischer ihre Netze, andere Netze hingen zum Trocknen an den Masten.
Versonnen blickte Don Juan auf das bunte Treiben. Eine schlankgebaute Karavelle lief gerade aus. Sie segelte noch sehr langsam und behäbig, weil der Wind noch nicht richtig pfiff.
Cádiz – schon lange um tausend vor Christi von den Phöniziern gegründet – hatte größte Bedeutung als Ausgangspunkt der Westindienfahrten erlangt. Der Betrieb war direkt atemberaubend.
Er beugte sich etwas vor und warf einen weiteren Blick auf die große Kathedrale. Dumpfes Glockengeläut war von dort zu hören.
Mehr als eine Stunde verging. Er spürte, wie Hunger und Durst übermächtig wurden. Die Reiter waren abgesessen und starrten lustlos und müde auf das Treiben am Hafen. Trotzdem ließen sie ihn nie aus den Augen. Sie hätten ihn ruhig unbeaufsichtigt lassen können. Er war so fest angekettet, daß an eine Flucht nicht zu denken war.
Nach einer weiteren halben Stunde kehrte Don Pedro zurück. In seinem Gesicht stand blanke Schadenfreude. Mit ihm erschienen acht behelmte Männer von der Festungsgarde. Das Tor zur Festung war weit geöffnet worden. Drei Kuttenträger marschierten mit über dem Bauch gefalteten Händen heraus. Die acht Kerle blickten grimmig in die Kutsche. Unter ihnen befand sich ein Comandante.
„Das ist der Verräter“, sagte Don Pedro. „Ein gefährlicher Mann. Aber mit solchen Halunken werdet ihr ja fertig.“
Der Comandante grinste nur abfällig.
„Löst seine Ketten!“ befahl er. „Und dann ab mit ihm.“ Er unterschrieb auf einem Pergament die Übergabe des Gefangenen und reichte es Don Pedro zurück, der es in den Aufschlag seiner Jacke schob.
Don Juan wurde für ein paar Augenblicke von seinen Fesseln erlöst. Dann wurden ihm die Hände erneut gefesselt und zwischen den Ellenbogen eine weitere Kette durchgeschoben, die weiter um seinen Hals gelegt wurde. Er konnte nur noch mit durchgedrückten Kreuz gehen.
„Na, dann viel Spaß“, wünschte Don Pedro höhnisch. „Ich habe mit einem der Richter gesprochen. Ihre Hinrichtung wird nicht lange auf sich warten lassen. Die Verurteilung ist nur eine reine Formsache, es wird ganz schnell gehen. Eigentlich bedauere ich, nicht dabeisein zu können.“
„Sie sind ja bei Ihrem eigenen Tod dabei, falls das ein Trost ist“, entgegnete Juan.
„Sterben Sie gut!“ empfahl der Erste Offizier.
Don Juan lächelte auf eine merkwürdige Art.
„Die Wege des Herrn sind unergründlich“, sagte er. „Mit Madrid hat es nicht geklappt. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.“
„Im Himmel ganz sicher nicht.“
„Ich weiß. Man wird Ihnen den Zutritt verbieten.“
Don Pedro schnaufte empört. Er drehte sich um und ging zu der Kutsche zurück.
Die Soldaten stießen Juan vorwärts. Ein breiter Innenhof nahm sie auf. Dann ging es durch eine eisenbeschlagene Bohlentür in einen langen Gang.
Don Juan fand sich in einem holzgetäfelten hohen Raum wieder. Es war fast dunkel darin. An einem riesigen Tisch hockte ein Männchen unbestimmbaren Alters mit einem kurzen Bart. Das Männchen blickte sehr bösartig und verkniffen drein.
„Der Gefangene, Señor de Almedo“, meldete der Comandante. Er stieß Don Juan zwei Schritte vorwärts.
„Juan de Alcazar?“ fragte das Männchen mit erstaunlich tief klingender Stimme.
„So lautet mein Name“, sagte Don Juan.
Der Mann, offenbar einer der Richter, musterte ihn ausgiebig und schweigend. Auffallend lange betrachtete er ihn, wobei sich seine ohnehin dünnen Lippen zu einem schmalen Strich verzogen.
Als die Musterung beendet war, nickte de Almedo.
„Einzelhaft. Bringen Sie ihn ins Verlies, Comandante. Scharf bewachen!“
Mehr sagte das Männchen nicht. Es faltete die Hände über dem Bauch und blickte auf die Tischplatte.
Es ging wieder hinaus, durch endlose Gänge, dann ein paar Treppen hinunter, bis es immer finsterer wurde. Links, rechts, oben und unten waren dicke Quader zu sehen. In eisernen Halterungen steckten blakende Fackeln, die geisterhaft die Gänge erleuchteten.
An einem Kreuzgang standen mit Hellebarden bewaffnete Soldaten, die sich nicht rührten.
Ein weiterer hoher Gang, kühl und trocken. Don Juan hörte leise Stimmen und ein tiefes Seufzen. Hinter dicken Bohlentüren befanden sich weitere Gefangene.
Vor einer dicken Bohlentür blieb der Trupp stehen. Ein Schüssel wurde ins Schloß geschoben, die Tür aufgesperrt.
Don Juan blickte in einen viereckigen Raum aus behauenen dicken Quadern. In drei Yards Höhe befand sich ein schmaler handbreiter Spalt, durch den diffuses Halbdämmerlicht fiel. In einer Ecke lag ein dünner Haufen verfaultes Stroh. Es roch unangenehm in der Zelle. Weitere Einrichtungsgegenstände gab es nicht, nur noch zwei starke Ringe in der Wand, von denen schmiedeeiserne Ketten hingen.
Wortlos wurde er in den Raum gestoßen. Die Tür wurde zugedonnert, ein Schlüssel drehte sich kreischend im Schloß.
Don Juan war allein. Auf dem Gang verklangen die Schritte seiner Bewacher.
Ein paar Augenblicke blieb er stehen, den Blick auf die schmale Öffnung im Mauerwerk gerichtet. Dann trat er mit den Stiefeln das Stroh auseinander. Es schien schon wochenlang hier zu liegen und faulte langsam vor sich hin.
Eine Stunde verging. Geräusche drangen nur sehr leise und gedämpft in das modrige Verlies. Erst nach einer Ewigkeit vernahm er wieder Schritte, die vor seiner Tür hielten.
Zwei Soldaten öffneten vorsichtig. Einer hielt eine schußbereite Pistole in der Hand.
„An die Wand treten“, schnarrte der Mann. Don Juan gehorchte und trat an die kühle Quaderwand.
Eine Kumme mit einer undefinierbaren Brühe wurde auf den Boden gestellt. Ein steinharter Kanten Brot schwamm darin. Der Mann stellte noch einen Krug mit Wasser auf den Boden. Die beiden verschwanden, so wortlos, wie sie erschienen waren.
Der schlanke große Spanier zuckte zusammen, als er nach dem Krug mit Wasser griff.
Er hörte klatschende Schläge und dann eine Stimme, die in höchster Angst laut und gellend schrie: „Neiiin! Ich will nicht sterben, laßt mich leben!“
Die Stimme brach ab, ein Winseln war zu hören, weitere klatschende Schläge. Anscheinend schleiften sie den Mann, der geschrien hatte, jetzt aus seiner Zelle. Don Juan glaubte zu wissen, daß seine Hinrichtung unmittelbar bevorstand. Denn so schrie nur jemand, der genau wußte, daß er jetzt sterben würde.
Als es wieder ruhig war, trank er einen Schluck Wasser. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Das Brot in der Wassersuppe war mittlerweile aufgeweicht. Er aß sehr langsam und mit Bedacht.
Danach begann er in der Zelle umherzuwandern, und etwas später legte er sich auf den kalten Boden.
So verging der erste Tag in der Festung.
7.
Zwei Tage später wurde sein Urteil verlesen. Der Prozeß fand in einem düsteren hohen Raum statt. Männer in dunklen Talaren saßen halbkreisförmig um eine Empore herum. Zwei Priester standen etwas abseits und hörten schweigend zu. Acht Gardisten befanden sich ebenfalls in dem Raum.
Den Vorsitz führte das unscheinbare Männchen mit dem Namen de Almedo, das noch erhöhter als die anderen saß.
„Im Namen Seiner Allerkatholischsten Majestät“, sagte de Almedo mit seiner tiefen Stimme, „ergeht das Urteil gegen Juan de Alcazar, ehemals Bevollmächtigter der spanischen Krone im Range eines Generalkapitäns, Sonderbeauftragter der Casa de la Contratación. Sie sind des Hochverrates, der Kollaboration, Verrates an der spanischen Krone, Renegatentum und Insubordination für schuldig befunden worden. Das Urteil ist beglaubigt und besiegelt. Es lautet: Tod durch die Garotte. Der Gefangene wird dem Henker überantwortet.“
Einer der Priester sprach ein heuchlerisches Gebet.
Don Juan stand hochaufgerichtet da. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel. Die schiefergrauen Augen waren auf de Almedo gerichtet, der ein gesiegeltes Schreiben neben sich auf den Tisch legte.
„Darf ich etwas zu meiner Verteidigung sagen?“ fragte er kühl.
„Abgelehnt“, entschied de Almedo. „Ein Hochverräter, der mit englischen Piraten paktiert, hat nicht das Recht, sich zu verteidigen. Die Sitzung ist geschlossen. Das Inquisitionsgericht tritt in einer halben Stunde zusammen.“










