Seewölfe Paket 30

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Piraten! schoß es Felipe durch den Kopf. Das sind Piraten, die sich als Mönche getarnt haben. Warum wohl waren sie nicht direkt in die kleine Bucht gesegelt, wenn sie das Dorf überfallen wollten?
Darauf fand der junge Fischer zunächst keine Antwort. Die Schnapphähne trieben ihre beiden Gefangenen über den Strand und stoppten ihre Schritte dicht am Wasser. Dann hantierte einer von ihnen mit Flint und Feuerstein, während ihn ein anderer mit seiner weiten Kutte gegen den Wind abschirmte. Bald brannte eine winzige Fackel, mit der er kreisende Bewegungen vollführte. Die Lichtzeichen wurden auf dem Schiff rasch beantwortet. Der Mönch warf daraufhin seine Fackel ins Wasser.
Kurze Zeit danach knirschte der Kiel eines Bootes im Sand. Es war mit einigen Gestalten besetzt, die nicht in Mönchskutten steckten. Sie gaben ihren Kumpanen am Strand durch Winkzeichen zu verstehen, daß sie an Bord kommen sollten.
„Was ist los?“ fragte ein bulliger Mann, nachdem man die Gefangenen ins Boot gebracht hatte. „Wo habt ihr denn die aufgegabelt?“
Der Kerl, der die Fackel entzündet hatte, winkte ab.
„Ein Liebespärchen, das wir beim Stelldichein am Strand überrascht haben“, erwiderte er. „Ist die Kleine nicht ein süßes Täubchen?“
Der Bullige, der auf der achteren Ducht hockte, nickte und warf der zitternden Margarida einen abschätzenden Blick zu.
„Sieht ganz danach aus“, meinte er. „Hoffentlich stellt sich bei Tageslicht nicht heraus, daß sie einen Buckel und Warzen hat.“
Die Kerle zeigten ein höhnisches Grinsen.
Niemand redete mehr, während das Boot zum Schiff zurückgepullt wurde. Es war mühsam, das Rauschen der Brandung mit der Stimme zu übertönen.
Felipes Gedanken wirbelten durcheinander. Er suchte immer noch fieberhaft nach einem Ausweg, der es ihm ermöglichte, mit Margarida zu fliehen. Doch das war reines Wunschdenken. Niemand konnte gefesselt und unter strenger Bewachung über Bord springen und davonschwimmen. Das wurde ihm um so klarer, je näher und bedrohlicher die Silhouette des Schiffes auf ihn zurückte.
Es handelte sich um eine Karavelle, die genauso schwarz war wie die Mönchskutten der Kerle.
Felipe und Margarida wurden an Bord gebracht und ohne Umschweife in die Vorpiek, den untersten und dunkelsten Raum des Schiffes, gesperrt. Quietschende Eisenriegel stellten klar, daß es aus diesem Gefängnis, in dem es nach Feuchtigkeit und Moder roch, kein Entrinnen gab.
Beim Betreten des Schiffes war Felipe aufgefallen, daß die Stückpforten geöffnet und auf jeder Seite vier Kanonen ausgerannt waren. Die Karavelle befand sich demnach im Zustand der Gefechtsbereitschaft. Zudem schienen es die Kapuzenmänner eilig zu haben. Kaum waren die Kerle mit ihren beiden Gefangenen an Bord, da wurde auch schon der Anker gehievt, und man setzte die Segel.
Das Schiff nahm bald Fahrt auf, das entging Felipe auch in der Vorpiek nicht. Und da der junge Fischer zwei und zwei zusammenzählen konnte, wurde ihm rasch klar, daß das nächtliche Treiben nur seinem Heimatdorf gelten konnte.
Die Kapuzenmänner gingen nach einer ganz bestimmten Taktik vor. Während sich ein Teil von ihnen auf dem Landweg an die kleine Fischersiedlung pirschte, würde die Karavelle in die Bucht segeln und das Feuer eröffnen.
Die Bewohner mußten sich in ihrem schwachen Widerstand logischerweise auf das fremde Schiff konzentrieren, und genau zu diesem Zeitpunkt würden ihnen die unheimlichen Mönche völlig überraschend von der Landseite her in den Rücken fallen.
Felipe wurde siedendheiß bei diesem Gedanken. Es gab niemanden, der die armen Fischer von Santa Maria warnen konnte. Sie waren dem heimtückischen Angriff dieser teuflischen Kerle wehrlos ausgeliefert. Reflexartig zerrte der junge Mann an seinen Fesseln, doch dann wurde ihm abermals die Aussichtslosigkeit seiner Lage bewußt.
Zunächst brauchte ihn Margarida. Sie hatte sich sofort, nachdem der Riegel vorgeschoben worden war, schutzsuchend an ihn gedrängt. Sie konnten sich in der Dunkelheit nicht sehen und wegen der Fesseln, die ihre Handgelenke umspannten, auch nicht ertasten. Dennoch vermittelte ihnen die körperliche Nähe zumindest ein bißchen das Gefühl der Geborgenheit.
„Was haben diese Männer mit uns vor, Felipe?“ fragte Margarida. Die erste Panik war verflogen, ihre Stimme klang zwar noch ängstlich, aber gefaßt.
Der junge Mann zuckte in der Dunkelheit mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht, Margarida“, sagte er dann offen. „Wir beide haben für den Augenblick wohl nichts zu befürchten, aber ich sorge mich um unser Dorf …“
„Um das Dorf?“ unterbrach sie ihn entsetzt. „Bei Gott – das darf nicht wahr sein! Hoffentlich täuschst du dich.“ In der Aufregung hatte sie völlig vergessen, daß die düstere Schar der Kuttenträger ihren lautlosen Marsch zur Bucht fortgesetzt hatte.
Das Gesicht des Mannes verzog sich in der Dunkelheit zu einem bitteren Lächeln, als er seine linke Wange an Margaridas Haar schmiegte. Er wußte, daß er sich nicht täuschte, aber er wollte das Mädchen nicht weiter beunruhigen, deshalb schwieg er.
Die Zeit verrann, Felipe verlor in der muffigen Finsternis der Vorpiek jegliches Gefühl dafür. Er wußte nicht, ob eine oder zwei Stunden vergangen waren, als plötzlich Stimmen laut wurden und die Kanonen der Karavelle zu wummern begannen.
Das Gebälk ächzte bedrohlich, und das Schiff wurde bis in die letzten Verbände erschüttert. Das Rumpeln der Geschütze, die auf den Holzlafetten zurückrollten, war in ihrem feuchten Gefängnis deutlich wahrzunehmen.
Felipe krampfte sich das Herz zusammen. Der heimtückische Überfall auf Santa Maria, sein Heimatdorf, hatte begonnen – davon war er fest überzeugt.
Margarida begann zu schluchzen. Sie dachte an ihren Vater, ihre Mutter und an ihre Brüder. Sie alle lebten in Santa Maria. Was sollte aus ihnen werden?
„Gott im Himmel – hilf ihnen in dieser schweren Stunde“, murmelte sie.
4.
Die Nebelschwaden, die Old Donegal als „Leichentücher“ bezeichnet hatte, hingen immer noch dicht über der Wasserfläche. Der Wind aus Südost war schwächer geworden, dennoch hielt die Schebecke ihren Kurs. Philip Hasard Killigrew und seine Mannen dachten nicht daran, die Luvposition aufzugeben, die für ein Gefecht immer von Vorteil war.
Und gerade damit mußten die Seewölfe rechnen, seit sie trotz des Nebels eine dickbauchige Galeone gesichtet hatten. Wie es schien, handelte es sich um ein spanisches Kriegsschiff.
Die Galeone segelte schon eine Weile auf Parallelkurs, ohne daß besondere Absichten zu erkennen waren. Kaum war sie hinter einer Nebelwand verschwunden, tauchte sie wieder auf, als hätte sie die Schebecke gar nicht zur Kenntnis genommen.
Edwin Carberry verfolgte das Spiel mit völligem Unverständnis und ballte unternehmungslustig die Hände.
„Wollen wir unter spanischem Geleit nach England segeln?“ fragte er.
„Das könnte diese plumpe Seekuh gar nicht durchhalten“, meinte Old Donegal. „Wenn wir noch ein bißchen in die Segel pusten, laufen wir ihr glatt davon.“
Die Arwenacks waren durchaus nicht scharf darauf, sich schon wieder mit den Spaniern anzulegen. Aber wenn es erforderlich werden sollte, würden sie den Dons abermals zeigen, was die wendige Schebecke hergab.
Das Schiff war klar zum Gefecht.
Das narbige Gesicht Carberrys war voller Grimm.
„Wenn die Dons nur einen einzigen kleinen Mucks von sich geben“, sagte er, „werden wir ihren Kahn in einen Trümmerhaufen verwandeln.“
Der Seewolf ließ die fremde Galeone nicht aus den Augen. So entgingen ihm auch nicht die leichten Kursänderungen, die das Schiff plötzlich vorgenommen hatte, als es wieder hinter dichten Nebelschwaden auftauchte. Es war unverkennbar nach Backbord abgefallen und schien den Kurs der Schebecke kreuzen zu wollen.
Hasard lächelte über dieses Vorhaben der Spanier.
„Dazu sind sie nicht schnell genug“, sagte er zu Ben Brighton, der neben ihm stand. „Wir werden ihnen davonsegeln, und wenn der Nebel noch länger anhält, können wir sie vielleicht ganz abschütteln. Sollten sie aber dreist werden, verpassen wir ihnen noch ein kleines Abschiedsgeschenk.“
Der ruhige und stets bedächtige Ben Brighton nickte zustimmend.
„Wir sollten sie so rasch wie möglich loswerden“, sagte er, „denn wir müssen damit rechnen, daß sie Verstärkung erhalten. Wenn das der Fall ist, haben wir gleich wieder eine ganze Meute am Hals.“
Die Arwenacks behielten stur ihren Kurs bei, um die Fahrt nicht zu verlangsamen. Der Seewolf wechselte einige kurze Worte mit Al Conroy und gab dann Pete Ballie, dem Rudergänger, die letzten Anweisungen. Die Mannen an den Geschützen bliesen in die Glut der Holzkohlenbecken, um die Ergiebigkeit ihrer Feuerquellen zu bewahren.
Hasard hob immer wieder das Spektiv ans Auge und blickte zu der Galeone hinüber.
„Es handelt sich unverkennbar um eine Kriegsgaleone“, sagte er, „da bin ich mir völlig sicher. Die Kanonen sind ausgerannt, es kann nicht schaden, wenn wir ihnen zuvorkommen.“
„Von mir aus kann das Tänzchen beginnen, Sir“, ließ sich Carberry vernehmen. „Ein Strauß Feuerblumen ist für diese Rübenschweine immer ein angemessenes Geschenk.“
Auch Old Donegal wurde kribbelig.
„Ed hat völlig recht“, erklärte er. „In meiner Drehbasse blühen lauter Vergißmeinicht, und er hat die dazugehörigen Sumpfdotterblumen im Rohr.“
Die Schebecke lief voller Fahrt, in Kürze würde sie an der schwerfälligen Galeone vorbeisegeln.
Das schienen die Spanier um jeden Preis verhindern zu wollen. Kaum waren sie auf Schußweite heran, und die Nebelfetzen gewährten wieder etwas Sicht – da stachen an der Backbordseite der Kriegsgaleone grelle Feuerzungen in die Nacht. Ein dumpfes Brüllen folgte, dann war nur noch das Aufschäumen von Wasserfontänen zu hören, und zwar noch ein ganzes Stück vor dem Bug der Schebecke.
„Sie waren etwas zu voreilig“, sagte Hasard. „Wahrscheinlich ist ihnen bewußt geworden, daß wir in der Lage sind, ihnen einfach davonzusegeln, und das wollten sie verhindern.“
„So ist es“, bestätigte Ben Brighton. „Aber mit dieser Art Hektik können sie keinen Kampf gewinnen.“
Der Seewolf warf einen letzten Blick durch das Spektiv.
„Und jetzt, Gentlemen, sind wir an der Reihe.“ Er wandte sich an den Stückmeister. „Al – Steuerbordgeschütz Feuer frei!“
Die brennenden Lunten senkten sich auf die Zündkanäle der Culverinen, und Sekunden später entluden sich die schweren Geschütze mit ungeheurem Donner. Sechs riesige Feuerblumen blühten an den Mündungen auf und stießen der spanischen Galeone die siebzehn Pfund schweren Eisenkugeln mit höllischer Wucht entgegen.
Die Schebecke bäumte sich wie von einer unsichtbaren Faust geschüttelt auf, dann fingen die Brooktaue die zurückgleitenden Kanonen auf.
Bei den Dons war im Handumdrehen der Teufel los. Das Splittern und Bersten von Holz war deutlich zu hören, und ebenso das nachfolgende Gebrüll.
Der Seewolf riß den Kieker ans Auge.
„Etwas Genaues ist nicht zu erkennen“, sagte er. „Aber der Wuhling nach haben wir ihnen einige prächtige Schrammen verpaßt.“
Sein nächster Befehl galt den Männern an den Drehbassen.
„Und jetzt die Vergißmeinicht und Sumpfdotterblumen!“ rief er.
Smoky, Jack Finnegan, Carberry und Old O’Flynn reagierten sofort.
Noch bevor sich weitere Nebelschwaden vor die Kriegsgaleone schoben, begannen die schwenkbaren Geschütze vorn und achtern zu dröhnen. Und mitten in das Wummern hinein ertönte der Kampfruf der Seewölfe.
Mehr war nicht nötig.
Die leichte und wendige Schebecke war jetzt platt vor dem Wind an der Galeone vorbeigesegelt, und wie es schien, hatten die Dons zur Zeit anderes zu tun, als an die Verfolgung fremder Schiffe zu denken.
„Sie suchen jetzt nach den passenden Vasen für unsere Blumensträuße“, spottete Al Conroy.
Kurze Zeit später verschwand die Schebecke hinter dem grauen Dunst der „Leichentücher“. Die Gefahr war gebannt, von seiten der Kriegsgaleone hatten die Arwenacks nichts mehr zu befürchten. Dennoch vergaßen sie keinen Augenblick, daß der Golf von Cádiz „ein heißes Pflaster“ für sie war.
Der Nebel begann sich bei Tagesanbruch aufzulösen. Die aufsteigende Sonne zerriß auch noch den letzten Rest des grauen Dunstes. Der Wind hatte gedreht und wehte aus südlicher Richtung.
Die Schebecke behielt ihren Kurs bei und segelte über Steuerbordbug liegend am Cabo de São Vicente, der weit in den Atlantik hineinragenden Südspitze Portugals, vorbei.
Die kabbelige Wasserfläche bot in der Morgensonne einen friedlichen Anblick. Philip und Hasard junior, die Zwillingssöhne des Seewolfs, waren in den Ausguck aufgeentert und behielten die Umgebung im Auge. Aber es gab nichts zu melden, weit und breit war kein fremdes Schiff zu sehen.
Die Arwenacks hatten nichts gegen einen ruhigen Morgen einzuwenden, zumal die Kojen während der vergangenen Nacht ohnehin meist leer geblieben waren.
Während der Kutscher und Mac Pellew noch in der Kombüse arbeiteten, um das Frühstück zuzubereiten, schlich sich Paddy Rogers nach achtern. Er fand den Seewolf bei Gary Andrews, der Pete Ballie als Rudergänger abgelöst hatte.
„Was ist, Paddy?“ fragte Hasard.
Der bullige Kerl starrte verlegen auf die Planken.
„Es – es ist jetzt hell genug, Sir“, sagte er. „Wenn ich vielleicht mal einen Blick in den Spiegel werfen könnte …“
„Dem steht nichts im Wege, Paddy“, erwiderte Hasard und bemühte sich, ein Lachen zu unterdrücken. „Das Glas liegt bei den Seekarten. Aber wenn du mich fragst – jetzt, bei Tageslicht, ist von Schlitzaugen nichts zu sehen. Der gute Ed hat bestimmt gewaltig übertrieben.“
Wenig später hielt Paddy den kleinen Spiegel in der Hand und starrte mit zusammengekniffenen Augen hinein.
„Ich – ich weiß nicht“, stotterte er, „wie ein Chinese sehe ich zwar nicht aus, aber meine Klüsen sind doch ganz schön langgezogen.“
Jetzt lachte Hasard.
„Kein Wunder, wenn du sie so zusammenkneifst, als würdest du in die Sonne sehen. Du mußt deine Gesichtszüge entspannen und ganz locker in den Spiegel schauen.“
Paddy gab sich große Mühe, schnitt zur Lockerung einige Grimassen, rümpfte die prächtige Knollennase und machte dann erneut die Probe aufs Exempel.
„Tatsächlich!“ rief er verblüfft. „Die Schlitzaugen sind verschwunden. Richtig schöne, runde Klüsen habe ich jetzt. Du hattest recht, Sir, man darf die Dinger nicht so eng zusammenkneifen.“ Paddy fühlte sich von drückenden Lasten befreit, als er Hasard den Spiegel zurückgab. „Und wenn Mister Carberry jetzt noch mal behauptet, ich hätte Schlitzaugen, dann flechte ich ihm einen Chinesenzopf.“
Als Paddy zum Vorschiff zurückkehrte, fühlte er sich wie neugeboren. Er rollte kräftig die Augen und versuchte immer wieder, durch Mund- und Nasenbewegungen die Gesichtszüge zu entspannen.
Das allein war Grund genug für den Profos, der auf einer Taurolle hockte und Sir John, dem Bordpapagei, den Kopf kraulte, seinerseits die Klüsen zusammenzukneifen.
„Was hast du denn für einen Blick drauf, he?“ fragte er Paddy.
„Auf jeden Fall keinen chinesischen“, erwiderte Paddy spitz. „Schau doch mal meine Klüsen an, Mister Carberry. Was du das siehst, sind prächtige runde Kulleraugen – so rund wie Kanonenkugeln. Und wenn du jetzt mal einen Blick in den Spiegel werfen würdest, könntest du leicht feststellen, wer von uns beiden Schlitzaugen hat.“
Paddy hob den Kopf und setzte seinen Weg fort. Dabei schien es ihn ungeheuer zu beflügeln, daß er sich bei den Gelbmännern im fernen Osten weder mit Schlitzaugen noch mit irgendwelchen Zöpfen angesteckt hatte.
Der Profos knurrte etwas von „Rundklüsen“ und „wilden Gesichtszuckungen“ und wandte sich erneut Sir John zu, der abwartend auf seinem rechten Knie saß.
„Soweit kommt’s noch“, sagte er zu dem karmesinroten Aracanga, „daß wir wie die feinen Ladys in den Spiegel schauen. Wir beide wissen auch so, daß wir schön sind, was, wie?“
Der Papagei hielt den Kopf schräg und äugte zu Carberry hoch.
„Pfeifen und Lunten aus!“ tönte es aus seinem imposanten Krummschnabel. „Hopp, hopp, du Affenarsch!“
Der Profos drohte dem Vogel mit erhobenem Zeigefinger.
„Was sind das für lockere Reden, Sir John? Mußt du alte Sumpfeule denn alles nachplappern?“
„Lur an, Gevatter!“ Sir John schlug mit den Flügeln und hielt dem Profos abermals den Kopf zum Kraulen hin.
Wenige Augenblicke später war die Stimme des Kutschers zu vernehmen: „Auf geht’s zum Backen und Banken!“
Der blonde, hagere Mann, der ein ebenso guter Koch wie Feldscher war, blinzelte in den Himmel. Die Sonne war bereits voll hinter der Kimm aufgetaucht, es schien trotz der nebligen Nacht ein schöner Tag bevorzustehen. Die Zeit war gerade richtig für das Frühstück.
„Was habt ihr denn in den Pfannen?“ wollte Stenmark, der blonde Schwede, wissen.
„Nur, was zufällig reingefallen ist“, erwiderte der Kutscher. „In der Vorratslast herrscht nämlich gähnende Leere. Wenn ihr nicht wißt, was ihr treiben sollt, könntet ihr ja mal ein paar Fische fangen.“
„Sind wir vielleicht Heringsjäger?“ schaltete sich Carberry ein. Er hob schnuppernd die Nase und fuhr sich mit der Zungenspitze genießerisch über die Lippen. „Hm – nicht schlecht, der Duft aus deiner Kombüse. Sag schon, was du da zusammengebraut hast, du alte Steckrübe.“
Der Kutscher grinste. „Für jeden eine gebratene Ente. Und für dich, mein lieber Ed, einen ganzen Pfingstochsen.“
Der Koch drehte sich um und kehrte in die Kombüse zurück.
Bald darauf wurden die Kummen der Arwenacks mit den bebebten Speckpfannkuchen gefüllt. Die Männer hieben rein, als handele es sich um die letzte Mahlzeit vor dem Eintreffen in England.
Auch Paddy hatte wieder einen prächtigen Appetit, aber trotz all der Speckpfannkuchen vergaß er nicht, was der Kapitän ihm gesagt hatte. Als ihm die Sonne ins Gesicht schien, vermied er es tunlichst, die Augen zusammenzukneifen. Lieber drehte er sich um und legte die Stirn in Falten, damit die Klüsen ja schön groß und rund blieben.
Soweit herrschte durchaus der Alltagszustand an Bord der Schebecke. Die nächsten Schwierigkeiten ließen jedoch nicht lange auf sich warten.
Diesmal war es der Kutscher, der sich an Hasard wandte. Nicht etwa, um in den Spiegel zu schauen – o nein, er hatte andere Sorgen.
„Gut, daß alle Bäuche gefüllt sind, Sir“, sagte er zum Kapitän. „Von jetzt an müssen wir kürzer treten, denn die Vorratslast gibt in der Tat nicht mehr viel her.“
Der Seewolf hatte mit einer solchen Meldung gerechnet, sie hatten in letzter Zeit durch die ständigen Querelen mit den Spaniern wenig Gelegenheit gehabt, sich ausreichend mit Proviant einzudecken.
„Wie lange reichen die Vorräte noch?“ fragte er.
Der Kutscher wiegte abschätzend den Kopf. „Höchstens noch bis morgen abend“, erwiderte er. „Nach England gelangen wir nicht damit, zumal wir außer Proviant auch dringend Frischwasser brauchen.“
Der Seewolf nickte. „Dann wird uns nichts anderes übrigbleiben, als den Hafen von Lissabon anzulaufen. Das ist zwar nicht ungefährlich, weil die Dons den Portugiesen ebenfalls auf der Nase herumtanzen, aber bei der Betriebsamkeit, die dort herrscht, werden wir wohl nicht allzusehr auffallen.“
Die Männer waren mit diesem Vorschlag einverstanden. Schließlich waren sie längst gewohnt, mit schwierigen Situationen fertig zu werden. Die Proviantbeschaffung in einem Hafen, der von den Spaniern kontrolliert wurde, gehörte da noch zu den „kleineren Fischen“.
„Wir sollten aber nicht nur an Frischwasser denken, wenn wir in Lissabon sind“, erklärte Carberry, „sondern auch den ausgezeichneten portugiesischen Wein nicht vergessen.“
Hasard lächelte. „Wie ich dich kenne, Ed, wirst du schon dafür sorgen, daß ihn niemand vergißt.“
„Aye, Sir, ich werde mich bemühen. Der alte Carberry ist ja berühmt für sein ausgezeichnetes Gedächtnis.“
Die Arwenacks lachten schallend. Gleich darauf gab’s Arbeit für sie. Das Cabo de São Vicente lag hinter ihnen, und die Schebecke mußte auf Nordkurs gebracht werden, wenn sie Lissabon anlaufen sollte. Alle packten kräftig mit zu. Der wendige Segler fiel bald darauf hart nach Steuerbord ab und reckte die Nase nach Norden.
5.
Der Himmel war blau und wolkenlos, und die Sonne hatte ihren höchsten Stand bereits überschritten. Die wohlige Wärme des frühen Nachmittags breitete sich über den flachen Dächern der kleinen Ansiedlungen aus, die sich nördlich von Lissabon an das Ufer des Rio Tejo schmiegten.
Die zweimastige Karavelle mit dem frommen Namen „São Pedro“ hatte, vom Atlantik heraussegelnd, die prächtige Stadt auf den hügeligen Ausläufern des Plateaus von Estremadura bereits hinter sich gelassen und glitt durch das Mar da Palha – die seeartige Erweiterung des Flusses, die sich fast bis nach Alverca hinzog.
Die „São Pedro“ bot nach außen hin einen friedlichen Anblick – so friedlich, als habe der heilige Petrus höchstpersönlich das Kommando an Bord übernommen.
Die Männer, die die Arbeit an Deck verrichteten, steckten in schwarzen Mönchskutten und hoben zuweilen segnend die Hände, wenn sie einem Fischerboot begegneten. Die Portugiesen schlugen stets in frommer Dankbarkeit das Kreuzzeichen, weil sie sich durch den Segen in ihren Hoffnungen auf einen guten Fang bestärkt fühlten.
Für sie waren die Mönche, deren Kloster sich irgendwo flußaufwärts befand, längst keine fremden Erscheinungen mehr. Doch niemand von ihnen ahnte, daß es sich bei den vermeintlichen Gottesmännern um Wölfe im Schafspelz handelte – um Schnapphähne, Piraten und Verbrecher der übelsten Sorte, denen die Kutte lediglich zur Tarnung diente.
Der „Frömmste“ von ihnen war „Bruder Antonio“. Richtig hieß er Antonio Gonzales und war Spanier. Er spielte die Rolle des Abtes und gab stets den Ton an, wenn man, mehr schlecht als recht, einen Choral anstimmte. Das beeindruckte und ließ zuweilen auch ganz beträchtlich die Kasse bei den vielen Nebengeschäften klingeln, die die Mönche betrieben.
Bruder Antonio hatte gerade einem vorbeisegelnden Boot seinen wohlwollenden Segen erteilt. Sein Gesicht verzog sich danach rasch wieder zu einem infamen Grinsen.
„Warum verschenken wir eigentlich unsere geistigen Gaben?“ fragte er den kleinen, stämmigen Miguel Fernandez, der neben ihm auf dem Achterdeck stand. „Wir hätten längst einen Preis für unseren Segen festsetzen sollen.“
Fernandez, dessen kantiges Gesicht auch unter einer Mönchskapuze noch brutal und verschlagen wirkte, warf dem Kapitän einen skeptischen Blick zu.
„Wie meinst du das?“
„So, wie ich es gesagt habe“, erwiderte Bruder Antonio. „Merkst du nicht, wie scharf der einfältige Pöbel auf unseren Segen ist? Und was tun wir? Wir erteilen ihn umsonst, nur weil der ganze Zauber für unsere Tarnung nützlich ist. Wenn wir aber das Gerücht in Umlauf setzen, daß wir für eine Spende, die aus gläubigem Herzen gegeben wird, ganz besonders wirksame Segnungen vermitteln können, die Glück in der Liebe, Gesundheit und vor allem einen reichen Fischfang versprechen, dann werden die Münzen und Goldstücke wie Musik in unseren Beuteln klingeln.“
„Ah, ich verstehe.“ Der kleine Fernandez, dem die Kutte ein Stück zu lang war, grinste so breit, daß seine gelben Zähne an das Gebiß eines Kamels erinnerten. „Du meinst, wir könnten unsere ‚geistigen Gaben‘ genauso verkaufen wie unser Lebenselixier.“
„Endlich hast du’s kapiert, Miguel“, sagte Antonio Gonzales. „Und du mußt zugeben, daß wir mit der scheußlichen Kräuterbrühe ganz gut abkassieren, auch wenn es nur ein Nebengeschäft ist.“
„Da hast du schon recht“, bestätigte Fernandez und lachte glucksend. „Die Leute saufen die Brühe, als wär’s feinster Rioja, und unsereiner würde nicht mal die Füße drin baden.“
Bruder Antonio nickte stolz. „So ist es, und warum sollten sie nicht ebenso scharf auf unseren besonderen Segen sein? Der hat im Vergleich zu unserem Elixier weder einen widerlichen Geschmack, noch stinkt er nach Knoblauch. Ich finde, wir sollten uns das ernsthaft überlegen.“
„Klar“, entgegnete Fernandez. „Ein gutes Geschäft ist allemal willkommen. Am besten, wir überlassen es Rodrigo, auf den Marktplätzen einige zündende Reden über die Wirksamkeit unserer ‚heiligen Dienste‘ vom Stapel zu lassen. Der Bursche hat was los, und die Leute lauschen wie gebannt, wenn er seine frommen Sprüche losläßt.“