Seewölfe - Piraten der Weltmeere 71

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Der greise Großmeister stand auf und hob die rechte Hand.
„Bitte, Philip Hasard Killigrew“, sagte er in akzentfreiem Englisch. „Treten Sie zu mir, ich möchte Ihnen die Hand schütteln.“
Hasard nahm die Stufen des Podestes. Ohne Zögern und irgendwelche Beklemmungen schritt er auf diesen großen alten Mann mit dem schlohweißen Haar zu, streckte die Rechte aus, ergriff die ihm dargebotene Hand und drückte sie. Es war erstaunlich, über welche Kraft und Energie de la Vallette auch im hohen Alter noch verfügte – sein Händedruck vermittelte etwas davon. Und in diesem Augenblick fühlte Hasard sich wieder an seinen Vater Godefroy von Manteuffel, den Malteserritter, erinnert. Ja, es bestand eine unverkennbare Ähnlichkeit zwischen beiden, weniger in der Physiognomie als vielmehr in den Charakterzügen.
De la Vallette hatte graue Augen, keine eisblauen wie Hasards Vater. Es gab da viele Unterschiede – und doch erschien es Hasard so, als habe er den Großmeister schon früher gekannt, als sei dies mehr als ein Wiedertreffen zweier guter, alter Freunde.
Das lag an der humanen Ausstrahlung, die von diesem Mann ausging. Hasard empfand tief in seinem Herzen äußerste Verbundenheit mit ihm. Hier hatte er einen gefunden, der seine Ziele teilte und seine Ideale verstand. Er wußte es, ohne daß sie darüber gesprochen hatten.
Aber da war noch mehr. Hasard hielt nichts von großen Floskeln und ausschweifenden Dankesreden. Dennoch erfüllte ihn dieser Empfang mit Genugtuung, denn auf Malta erhielt er endlich die Anerkennung, die ihm in England versagt gewesen war. Dort hatte er der Königin seine immensen Schätze überbracht und nur Neid, Haß und Verachtung geerntet. Hier bekundete ihm der Großmeister der überall geachteten Ritter des „Ordens der Kavaliere“, daß auch ein Bastard Respekt und Ehre verdiente.
„Ich danke Ihnen, Hasard“, sagte Jean de la Vallette-Parisot schlicht. „Ich habe von Giuliano Salce vernommen, daß Sie der Sohn von Godefroy von Manteuffel sind.“
„Ja, das habe ich ihm gesagt.“
„Ritter Godefroy ist bei Algier gefallen?“
„Auf der Galeere des Uluch Ali. Als ich ihn gerade von dem Joch des Rudersklaven befreit hatte. Sein Mörder war ein gewisser Salvador de Coria. Er hat mit dem Tod für seine Tat bezahlt.“
De la Vallette nickte. „Ich habe davon vernommen. Es werden die tollsten Geschichten über den Kampf verbreitet, aber Uluch Alis Vernichtung beweist, daß er endlich seinen Bezwinger gefunden hat. Ihnen, Hasard, steht der Ruhm zu, das Mittelmeer von einem seiner gefährlichsten, blutrünstigsten, grausamsten Piraten befreit zu haben.“
„Ein zweifelhafter Ruhm. Meiner Familie hat er nichts eingebracht“, entgegnete Hasard bitter. „Ich habe nicht nur meinen Vater, sondern auch meine Frau Gwendolyn und meine beiden erst ein Jahr alten Kinder Philip und Hasard verloren. Aber, verzeihen Sie bitte, Sir, das gehört nicht hierher.“
„O doch“, sagte der Großmeister. „Ich will die Ereignisse nicht in Ihre Erinnerung zurückrufen und Ihre seelische Qual vergrößern. Ich will Ihnen nur meine Hochachtung aussprechen, daß Sie trotzdem nicht verzagt haben und Ihren Weg weitergegangen sind. Giuliano Salce hat mir soeben, kurz vor Ihrer Ankunft, eine Menge über Sie berichtet. Ihr Verhalten, nachdem Sie den Schatz des Ordens an Bord Ihres Schiffes gebracht hatten, war beispielhaft. Ich will keine großen Kommentare dazu abgeben. Sie scheinen mir nicht der Mann zu sein, der Wert darauf legt. Aber ich möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten.“ Ein Lächeln glitt über die faltigen Züge des Alten, als Hasard ihn überrascht anblickte.
„Einen Mann wie Sie, Philip Hasard Killigrew“, fuhr Jean de la Vallette fort, „nehme ich ohne die üblichen Prüfungen, ohne Wartezeit und ohne das allgemeine Zeremoniell in den Orden des Heiligen Johannes von Jerusalem auf. Als sein bedeutendster Ehrenritter.“ Er vollführte eine Gebärde zu der „Isabella“-Crew hin. „Und diese Männer würden wir als Adepten in unsere Reihen eingliedern, sie anlernen, prüfen und dann ebenfalls zu Rittern ernennen. Der Orden braucht Zuwachs. Und bessere Anlernlinge als euch Seewölfe gibt es nicht.“
Carberry hustete. Shane, immer noch als Pirat kostümiert, kratzte sich in seinem grauen Bartgestrüpp. Matt Davies und einige andere hätten sich gern irgendwo verkrochen, und Batuti wußte nicht, wohin er blicken sollte. Denn soviel Achtung und Freundlichkeit waren ihnen noch nirgendwo entgegengebracht worden. Außerdem fühlten sie sich in dem prunkvollen Saal irgendwie fehl am Platz. Die See war ihr Element, die „Isabella VIII.“ ihr Zuhause, Schlachten und Abenteuer ihre Welt. Aber hier, im Palast, fühlten sie sich etwa so wie ein Schwarm Raben in einer Pfauenkolonie.
Hasard brauchte nicht nachzugrübeln, er fällte seine Entscheidung sofort.
„Sir“, erwiderte er. „Sie dürfen mir auf keinen Fall übelnehmen, was ich jetzt sage. Ich spreche für meine Mannschaft wie für mich selbst, aber natürlich bitte ich jeden vorzutreten, der sich anders entschließen will.“ Er sandte einen Blick zur Mannschaft hinüber. Ernst nickten ihm die Männer zu.
„Ich bin sehr stolz auf Ihr Angebot“, sagte Hasard. „Ich weiß es zu würdigen, das dürfen Sie mir glauben. Ich würde Ihren Vorschlag auch gern annehmen, Sir. Viele Männer wünschen sich nichts sehnlicher als eine Chance wie diese. Und doch – ich muß leider ablehnen. Ich kann kein Malteserritter werden, nicht jetzt, nicht in meiner derzeitigen Lage. Es gibt einige zwingende Gründe, die dagegensprechen.“
Der Großmeister hob die weißen Augenbrauen etwas an. „Glaubensgründe?“
Ihre Blicke verfingen sich ineinander. Hasard mußte unwillkürlich lächeln, denn sie schienen wieder beide die gleichen Gedanken zu haben. Hasard entsann sich einiger Berichte über Heinrich VIII. von England, der von 1509 bis 1547 König gewesen war, ein typischer Herrscher der Renaissance – brutal, selbstherrlich und prachtliebend. Als ihm vom Papst die Trennung seiner kinderlosen Ehe von Katharina von Aragon verweigert worden war, hatte Heinrich sich kurzerhand durch Thomas Cranmer, den Erzbischof von Canterbury, scheiden lassen. 1533 war das gewesen. Heinrich hatte wieder nicht lange gefackelt und Anne Boleyn geheiratet. Diese Anne gebar ihm schließlich eine Tochter – Elisabeth, die königliche Lissy, die heute auf Englands Thron saß.
Nach dem Bruch mit Rom und der Errichtung der anglikanischen Kirche hatte Heinrich, dieser unverbesserliche Querkopf, dann das königliche Supremat über die Kirche und darauf die Einziehung der Klöster durchgesetzt. Die Stabilisierung des Anglikanismus’ auf dem Grund des protestantischen Glaubensbekenntnisses wurde unter seinem Nachfolger, Eduard VI., vollzogen.
Eduard VI. war jedoch nur ganze sechs Jahre lang Herrscher über die Insel. Heinrich VIII. war da aus anderem Holz geschnitzt gewesen, irgendwie erinnerte er Hasard an seinen Pflegevater, den Schnapphahn zur See Sir John Killigrew, diesen Erzhalunken.
Und was hatte Anne Boleyn das Ganze eingebracht? Heinrich hatte ihren Kopf rollen lassen, als er ihrer überdrüssig geworden war. Elisabeth I. endlich, seit 1558 Königin, hatte die Staatskirche unter Schonung der Katholiken wiederhergestellt. Anfangs hatte ihr dies die Freundschaft Philipps II. von Spanien eingetragen, der ihre Exkommunikation verhinderte und sie zunächst gegen Maria Stuart deckte. Inzwischen standen die Dinge zwischen England und Spanien jedoch anders, völlig anders. Francis Drakes Beutezüge in der Neuen Welt, die dauernde Kaperung spanischer Schiffe, Neutralitätsverletzungen – das alles hatte längst eine tiefe Kluft zwischen den beiden Ländern geschaffen.
Hasard ahnte, daß es Krieg geben würde. Es war nur noch eine Frage der Zeit.
Er schüttelte – immer noch zu Jean de la Vallette-Parisot gewandt – den Kopf. „Nein, Sir. Wir Seewölfe sind keine religiösen Fanatiker. Ich glaube, wir haben eine sehr gesunde Auffassung von Gott und der Welt. Nein, mich bewegen andere Dinge. Der Entschluß, dem Orden beizutreten, würde mich und auch meine Männer in einen großen Konflikt mit uns selbst bringen. Wir müßten Ihnen gegenüber doch ein Gelübde ablegen, nicht wahr?“
„Das ist richtig.“
„Eben, und das würde uns binden. Wir wären dann keine Korsaren mehr. Gewiß, wir würden gegen die Piraten im Mittelmeer kämpfen. Aber wir könnten nicht mehr gegen die Spanier vorgehen, wie wir uns das vorstellen.“
„Was haben Sie vor, Hasard?“ erkundigte de la Vallette sich ruhig.
„Unsere Herzen schlagen nach wie vor für England, Sir, wenn wir dort auch niederträchtig behandelt worden sind. Aber alle Intrigen, so glaube ich, gingen nicht von der Königin, sondern von den Hofschranzen, Emporkömmlingen, Intriganten und Neidern aus. Wir kämpfen nach wie vor für Englands Sache. Man nennt mich den Bastard, und wahrhaftig, ich bin weder ein richtiger Engländer noch Spanier noch Deutscher. Aber drüben in Cornwall bin ich aufgewachsen – dort hat meine Wiege gestanden, wenn Sie so wollen. Es wird Krieg zwischen England und Spanien geben, Sir, und wir Männer der ‚Isabella‘ wollen zumindest zum massiven Widerstand gegen eine Invasion beitragen.“
Die Miene des Großmeisters war ernst, aber sie spiegelte keine abweisenden Empfindungen.
„Ich verstehe Sie, Hasard“, erwiderte er.
„Dafür bin ich Ihnen aufrichtig verbunden, Sir.“
„Sie werden in die Karibik zurückkehren, nicht wahr?“
„So bald wie möglich.“
„Es ist gut, diese Dinge zu klären, bevor Mißverständnisse entstehen – und daraus fatale Schritte.“
Hasard räusperte sich. „Ein Seewolf ist eine seltsame Kreatur. Nicht gerade vogelfrei, nein – ganz bestimmt nicht. Aber doch ungebunden und selbständig in seinen Entscheidungen.“ Er drehte sich seiner Crew zu, diesen zwanzig hartgesottenen, in hundert Schlachten erprobten Männern. „Ist jemand anderer Meinung als ich? Bitte, ihr habt die Wahl. Ihr wißt, daß ich keinen zwinge, bei mir zu bleiben.“
Keiner trat vor.
Wieder hatte sich Schweigen ausgebreitet, doch diesmal hatte es beinahe etwas Beklemmendes an sich.
Jean de la Vallette-Parisot löste die Spannung, indem er lächelte und sagte: „Großartig, wie diese Mannschaft hinter Ihnen steht, Philip Hasard Killigrew. Ich beglückwünsche Sie zu dieser Crew. Und ich spreche Ihnen meinen Segen aus. Möge Gott Sie auf all Ihren Fahrten begleiten. Ich bedaure, daß Sie nicht die Nachfolge Ihres Vaters Godefroy von Manteuffel antreten, sehe aber ein, daß Sie nichts, aber auch gar nichts halten kann und darf. Nur eins sollen Sie noch wissen: Was immer geschieht, hier auf Malta, beim Orden der Kavaliere, finden Sie stets Zuflucht und brüderliche Freundschaft. Wir werden nie vergessen, daß Sie und Ihre Männer die Insel vor einem vernichtenden Schlag der Gegner bewahrt haben.“
Hasard wollte etwas erwidern, aber in diesem Augenblick wurde von außen gegen die Doppeltür geklopft. Die Wache öffnete – Henrik Argout, der Hafenkapitän, betrat den Thronsaal.
„Verzeihung, Hoheit“, sagte er zu de la Vallette. „Ich will nur die Heimkehr der Schiffe melden, die heute von Sizilien zurückerwartet wurden. Sie haben sich unseren zwei Galeassen und vier Galeonen angeschlossen und suchen den Schauplatz des Gefechts nach Überlebenden ab.“ Er blickte zu Hasard. „Meine Güte, mit welchem Tempo Sie diese Piratenschiffe zum Sinken gebracht haben! Dabei hatten Sie nur drei Schiffe, Killigrew.“
„Das war keine Frage der zahlenmäßigen Stärke“, erwiderte Hasard. „Wir haben die Überrumpelungstaktik angewandt. Ich bin nur heilfroh, daß keiner meiner Männer und auch von den zwölf Maltesern niemand verwundet worden ist.“
Argout lachte. „Die Aradschys haben die Abreibung ihres Lebens erhalten. Barud hat sich nach Nordwesten verzogen, als säßen ihm sämtliche Teufel der Hölle im Nacken. Unsere Flotte hat von einer Verfolgung abgesehen.“
„Ja“, sagte Hasard. „Vorerst haben die Piraten die Nase voll. Und Humun Aradschy und Lorusso? Sind sie gefunden worden?“
„Soviel ich weiß, noch nicht. Aber sicherlich befinden sie sich unter den Schwerverletzten oder gar unter den Toten, die in der See treiben“, erwiderte Henrik Argout.
Hasard hätte ihm gern Glauben geschenkt.
Dennoch hatte er ein ungutes Gefühl.
Und seine Ahnungen trogen ihn selten.
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