Seewölfe Paket 7

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„Wenn dir das Schiff unter dem Achtersteven absäuft, brauchst du sowieso nichts mehr!“ schrie Tucker ihn an.
Es sah nach einem handfesten Streit aus, bis Hasard die beiden Kampfhähne freundlich anblickte und seine Stimme noch sanfter wurde als das unmerkliche Säuseln des Windes.
Da zog der Kutscher den Kopf zwischen die Schultern, Ferris kratzte sich seine stoppelbärtige Wange und setzte ein friedliches Gesicht auf, und die anderen, die herumstanden und palaverten, wurden plötzlich klein und häßlich.
Hasards knappe Gestik wirkte wie ein Taifun, der im nächsten Augenblick das Schiff einschließlich der Crew erbarmungslos zerschmettern konnte.
„Wenn ich dazu freundlicherweise auch etwas bemerken darf“, sagte er sarkastisch, „dann schlage ich vor, ich übernehme das Kommando wieder, falls keiner der ehrenwerten Gentlemen Einwände dagegen hat. Oder hat jemand welche?“ erkundigte er sich scharf.
„Sie vielleicht, Mister Tucker, oder Sie, Mister Kutscher?“
„Tut mir leid, Sir“, brummte der Kutscher.
„Keine Einwände, Sir“, beeilte sich Tucker zu sagen.
„Früher hätte man euch wegen dieser Respektlosigkeit an den Rahen aufgehängt!“ schrie der alte O’Flynn dazwischen und pochte mit seinem Holzbein hart auf die Planken.
„Holt den Anker ein“, sagte Hasard. „Sobald er oben ist, steigen acht Mann in das Boot und ziehen das Schiff zu der von Ferris bezeichneten Stelle. Dort wird der Anker erneut gesetzt. Wenn das geschehen ist, teile ich die Gruppen ein. Los, hoch mit euren müden Knochen, Ferris übernimmt das Kommando zusammen mit Shane. Und wenn ich in euren Triefaugen auch nur ein ungläubiges Blinzeln entdecke, dann fährt der Teufel unter euch Halunken, und dieser Teufel heißt immer noch Killigrew. Merkt euch das!“
An Deck schien irgend etwas zu liegen, denn jeder starrte nach diesen Worten angestrengt auf die Planken.
Dann waren sie am Ankerspill, und weil immer noch alle schwiegen, rief der Profos: „Wollt ihr lausigen Schimpansenärsche wohl fröhlich singen, wenn das Spill knarrt, was, wie? Auf, ihr Rübenschweine, ein Lied. Was sollen die Affen im Urwald von uns denken? Wir fuhren im Sturm durch die Südsee, die Nacht war schwärzer als Teer.“
Gleich darauf fiel der ganze Chor ein, und schlagartig war die Stimmung so gut wie lange nicht mehr, als sie das Lied von der Südsee sangen, wo der Teufel, die Ratten und der Rum eine große Rolle spielten.
Sogar der Kutscher hatte sich an eine Spillspake geklammert und trabte im Kreis herum, aus vollem Hals singend.
Im Urwald erlosch das Gezeter, das Geschrei verstummte, und die Affen hatten sich verstört ins Buschwerk zurückgezogen. Selbst die Zikaden hörten auf zu sägen.
Mit langsamen Ruderschlägen wurde die „Isabella“ vorangetrieben.
Tucker ließ noch einmal loten und war zufrieden.
„Fiert den Anker ins Boot ab und bringt ihn weiter nach Backbord aus“, sagte er. „Wieviel Wasser haben wir jetzt unter dem Kiel, Donegal?“
„Nicht mehr als einen halben Faden“, meldete der Alte.
Das Ankerausbringen vom Boot aus war immer eine lausige Knochenarbeit, und oft war dabei schon ein Beiboot gekentert, wenn es von dem Gewicht des Ankers befreit war.
Aber diesmal sprangen zwölf Mann ins Wasser und hievten das unförmige Monstrum auf den Grund. Anschließend kehrten sie an Bord zurück.
Tucker besah sich das Werk noch einmal. Die „Isabella“ lag nun goldrichtig, fand er. Der Anker lag nach Backbord aus. Schon allein mit seiner Hilfe konnten sie das Schiff leicht zur Seite krängen, wenn sich die Flunken richtig in den Sand wühlten. Gab man aber dem Anker genügend Lose und setzte die Gold- und Silberbarren um und schaufelte auch noch den Reis hinüber, dann konnte man auch auf der anderen Seite am Rumpf arbeiten und den größten Teil des Rumpfes erreichen.
Hasard stellte das Landkommando zusammen, dessen Führung diesmal der Kutscher übernahm, weil er sich am besten mit fremdländischen Gewächsen auskannte, und der außerdem noch hoffte, seinen Vorrat an übelriechenden und stinkenden Heilkräutern zu ergänzen, denn auch seine Salben und Wundermittel waren fast aufgebraucht.
Er teilte dem Kutscher Gary Andrews, Batuti, Blacky, Sam Roskill und Luke Morgan zu.
Sämtliche Leute ließ er bewaffnen, mit Pistolen, Schiffshauern und ihren Messern. Jeder schleppte Holzkisten, kleine Fässer und Leinensäcke mit sich. Sie sollten Ausschau halten nach Kokosnüssen, Früchten, Beeren, Kräutern, Wurzeln und Schildkröten.
Der nächste Trupp, den Carberry anführte, und der aus dem jungen Dan O’Flynn, Stenmark und Conroy bestand, hatte die Aufgabe, nach Wasser zu suchen und, falls es hier welche gab, auch jagdbare Tiere zu erlegen.
Zum Fischen im Beiboot teilte der Seewolf den alten O’Flynn, Will Thorne, den Segelmacher, und den Rudergänger Pete Ballie ein. Pete sollte sich dabei gleichzeitig ausruhen, denn er hatte länger als acht Stunden am Ruder gestanden.
Für die Arbeiten am Schiff blieben außer Hasard Brighton, Tucker, Big Old Shane, Bob Grey, Jeff Bowie und der Moses Bill an Bord.
Der Kutscher wurde mit seinen Leuten an Land gepullt. Sie begannen augenblicklich damit, Kokosnüsse einzusammeln, wobei der Gambianeger Batuti die Hauptarbeit leistete. Mühelos erklomm er die höchsten Stämme und warf die Nüsse in den Sand, wo die anderen sie zu einem großen Haufen trugen.
Als die ersten Palmen abgeräumt waren, drangen die Männer in das Dikkicht ein und verschwanden.
Der nächste Trupp pullte an Land. Tucker brachte sie hin und führte das Boot wieder zurück, dabei umfuhr er gleich noch einmal die „Isabella“ von vorn bis achtern und lauerte darauf, daß sich die Lady auf den Grund legte.
Old O’Flynn, Thorne und Pete Ballie hockten sich anschließend in das Beiboot und ruderten dorthin, wo das Wasser tiefer war.
Kleine Fische bissen schnell an, und von den ersten benutzten sie Stücke, um damit größere zu ködern.
Hasard blickte über die Bucht. Seine kampferprobten Seewölfe boten ein ungewohntes Bild, wie sie friedlich dahockten, angelten, Beeren sammelten oder Kokosnüsse holten.
Jetzt verschwand auch der Profos mit seinen Leuten, die jeder ein kleineres Faß trugen. Falls man eine Quelle entdeckte, würden sie eine Kette bilden, die Fässer füllen und weiterreichen. Es war ein mühsames Unterfangen, aber es ging nicht anders, denn nicht überall legte die Natur ihnen alles in den Schoß. Vor den Erfolg hatten selbst die Meergötter den Schweiß gesetzt.
Unmerklich begann das Wasser abzulaufen, und da Ferris Tucker immer noch nicht die Erlaubnis hatte, die Barren umzusetzen, begann er damit, alles nach oben zu mannen, was später bei den Arbeiten benötigt wurde.
Solange sie die „Isabella“ hatten, war der Holzbohrwurm noch nie ausgeräuchert worden, und einige hatten nicht die geringste Ahnung, wie das vor sich ging.
Insgeheim glaubte Pete Ballie tatsächlich an glühende Nadeln, die man in die Löcher steckte, um die Würmer damit zu piesacken, bis sie mit dem Bohren aufhörten. Oder war der ganze Holzbohrwurm vielleicht nur eine freundliche Erfindung von Ferris?
Der untersetzte, stämmige Ben Brighton schaute zum Horizont und stieß Tucker an, der gerade ein kleines Pulverfaß nach oben an Deck gebracht hatte.
„Sieh dir die Wolke an, Junge“, sagte er. „Wenn die keinen Regen bringt, fahre ich ab heute als Moses.“
„Das erleichtert bloß den anderen Kerlen die Arbeit.“
„Klar“, sagte Ben, „und du kannst das Schiff krängen, wenn es aufgehört hat, zu regnen.“
„Mann, na klar!“ rief Ferris erfreut und starrte die dunkle Wolke an, die schnell heranrückte.
Sofort wurden Segelleinen gespannt, wie sie es schon oft getan hatten, um das kostbare Naß aufzufangen.
„Daran habe ich auch nicht gedacht“, gab Hasard zu. „Aber diese Insel ist ein typischer Regenwald. Hier geht vermutlich jeden Tag ein gewaltiger Schauer nieder, ähnlich wie in Südamerika am Amazonas.“
Es ging wirklich sehr rasch. Ein Teil der heranjagenden Wolke regnete unter Blitz und Donner schon auf See ab, der Rest erreichte die Bucht und überschüttete sie und den Wald mit einem unwahrscheinlich schnellen und harten Schauer.
Die eilig herangeschleppten großen Fässer füllten sich unheimlich schnell. Das Segelleinen konnte die Massen kaum halten. Vier Fässer waren randvoll, große Fässer.
Die drei Fischer im Boot wurden von dem Schauer durchnäßt und freuten sich über die Abwechslung, obwohl es lauwarmer Regen war, der da wie eine Sintflut vom Himmel stürzte.
Dann war es vorbei, so schnell wie es erschienen war.
Kurze Zeit später hatte die „Isabella“ Grundberührung.
Behäbig setzte sich der Kiel auf den feinen Sand und neigte sich dann ganz sachte zur Seite.
Diesmal schufteten sie wie verrückt. In den Räumen setzten Hasard und die an Bord verbliebenen Männer die schweren Barren um, und schaufelten den Reis zur anderen Seite. Gehorsam legte sich das Schiff auf die Seite.
Der Schweiß lief ihnen in Strömen über die Gesichter, aber Ferris Tukker lächelte selig und wischte sich die nassen roten Haare erleichtert aus der Stirn.
„Jetzt geht dein Traum vom Holzbohrwurm endlich in Erfüllung“, sagte Ben grinsend, „und du kannst sie jagen wie das liebe Vieh.“
„Das werde ich auch“, versprach Ferris. Zusammen gingen sie an Deck und sahen sich um.
Der Rahsegler lag hart auf Backbord und Ferris deutete auf den Anker.
„Ein wenig können wir noch durchholen, bis das Tau steif steht. Das Schiff gibt noch nach.“
„Das bezweifele ich ganz entschieden“, widersprach Ben.
„Ich habe da ein besonderes Gefühl für solche Sachen“, entgegnete Ferris.
Er behielt recht. Der Krängungswinkel nahm noch etwas zu, nicht viel, aber dadurch wurde doch noch eine etwas größere Fläche des Rumpfes frei.
Auf Steuerbord verließen sie das Schiff und bewegten sich über den feinen Sand, auf dem nur noch fingerbreit das Wasser stand.
Ein gekrängtes Schiff sah auf dem Trocknen schlimmer aus als im Wasser, fand der Moses. Da hatte man immer das Gefühl, als würde es sich total zur Seite neigen und umfallen. Auch wirkte es jetzt viel größer, riesengroß fast.
Aber wie sah es unten aus!
Der Rumpf war eine schwarze Masse, aus der es grünlich und dunkelblau schillerte. Langsam trocknende Algenbärte hingen auf der Unterseite, durchwachsen von Tausenden von Muscheln. Und in den braunen und schwärzlichgrünen Algen wimmelte es. Da rannten winzige Krebse durcheinander und versuchten, das rettende Wasser zu erreichen, da gab es andere kleine Tiere und ekelerregendes Gewürm aller Sorten und Gattungen, von kleinen Spinnen angefangen bis zu kugelförmigen Wesen, die der Moses noch nie in seinem Leben gesehen hatte.
Er ging näher heran und bückte sich.
„Sind das die Holzbohrer, Mister Tucker?“ wollte er wissen und deutete auf die winzigen, kaum sichtbaren Dinger, die wild durcheinanderkrabbelten.
„Nein, die sitzen unter den Muscheln im Holz drin. Erst müssen die Muscheln abgekratzt werden, die Algen entfernt und der Rumpf sauber sein, vorher sieht man die Gänge nicht.“
Tucker starrte auf die Muscheln und riß eine aus dem Gewirr von verfilztem Seetang heraus. Er hielt sie dem Bengel unter die Nase und grinste.
„Das fressen die Spanier – und Kastanien“, setzte er hinzu. „Wenn die mal aufslippen, haben sie wochenlang zu essen. Ich habe mal gesehen, wie sich eine ganze Crew am Rumpf sattgefressen hat.“
Bill musterte den Zimmermann von der Seite, doch Tucker zeigte keine Regung, lediglich Big Old Shane grinste in seinen Bart, bis aus dem Grinsen schließlich ein dröhnendes Lachen wurde.
„Dann geraten die Spanier wenigstens nie in Not“, sagte der Bengel trocken. „Die brauchen nur auf Grund laufen, und schon haben sie ihre Mahlzeit beisammen. Daran sollten wir uns in Notzeiten auch gewöhnen, Mister Tucker.“
Sie schleppten das Werkzeug herbei und der Moses wollte mit einem großen Kalfateisen zu kratzen beginnen, aber Tucker schüttelte den Kopf.
„Man fängt ganz unten an Bill, wenn man nicht richtig aufgeslippt ist, sondern so liegt wie wir. Weshalb?“
Der Bengel grinste pfiffig.
„Weil das Wasser steigt und man länger arbeiten kann, und wenn es weiter steigt, kann man immer noch oben abkratzen.“
„Richtig, mein Sohn. Dann fang mal an!“
Den Rumpf säubern, das war eine der verhaßtesten und unbeliebtesten Arbeiten an Bord. Das kriegte auch der Bengel zu spüren, als die scharfen Muschelreste ihm die Hände aufschnitten, als ihm winzige Tropfen Salzwasser in die Augen spritzten und er sich fast auf den Rücken legen mußte, um das Dreckzeug abzukratzen.
Wenn er ein Stückchen sauber hatte und die Länge des Schiffes sah, verließ ihn fast der Mut. Die Hitze besorgte den Rest, man wurde träge, schlapp und müde, und nach einer Stunde taten ihm alle Knochen weh, und dabei hatte er erst eine geradezu lächerlich kleine Fläche geschafft. Dann sah er neidvoll zu, wie der große Shane oder Tucker, der Seewolf, Brighton und die anderen wühlten, als wollten sie das Schiff auseinanderreißen.
Tucker hatte ein riesiges Feld freigelegt, und jetzt untersuchte er es genauer.
„Hier“, sagte er zu Hasard, „da ist er, der Holzbohrer. Löcher so klein, daß man sie kaum sieht, das sind seine Gänge, und wenn wir den nicht ausräuchern, frißt er uns auf.“
Mit einer dünnen scharfen Nadel versuchte er in den Gang zu pieken, doch die dünne Nadel erwies sich als zu dick.
„Wie tief sitzt er?“ fragte Hasard.
„Nur ein paar Inches, einige hängen noch halb draußen, aber je salziger das Wasser wird, desto wohler fühlt er sich, und um so schneller bohrt er sich hinein.“
Grey und Bowie ließen sich das heimtückische Biest auch zeigen, dann arbeiteten sie verbissen weiter und beneideten insgeheim die Männer, die an Land waren.
Das Holz der „Isabella“ erwies sich als außerordentlich widerstandsfähig und stabil. Zum Glück hatte Tukker damals darauf bestanden, daß keine dünnen Kupferbleche unter den Rumpf genagelt wurden, wie es bei den Spaniern üblich war. Da nämlich hatte der Holzbohrer leichtes Spiel, und die alten Galeonen verfaulten zehn mal schneller mit ihren verdammten Kupferblechen, die das Schiff schützen sollten, es in Wirklichkeit aber schneller altern ließen.
Der Schiffszimmermann war pingelig, und wenn er arbeitete, dann nahm er alles so genau und pedantisch, daß es ihm keiner recht tun konnte. Aber seine Pedanterie hatte sich schon oft ausgezahlt, und daran mußte jetzt auch Hasard denken, als sie die „Isabella“ damals gekauft hatten und Tucker wie ein unruhiger Geist durch das Schiff geschlichen war und dieses und jenes bemängelt hatte, obwohl die „Isabella VIII.“ das modernste Schiff war, das die Werft jemals hervorgebracht hatte.
Als die erste große Fläche abgekratzt und geschmirgelt war, strich der Schiffszimmermann heißes Pech darauf, griff in das Faß mit dem Schießpulver und klebte es auf den dünnen Überzug aus Pech.
In diesem Augenblick hielt die drei Angler nichts mehr. Sie pullten heran, Pete Ballie getrieben von Neugier, was jetzt geschah und wie der Wurm ausgerottet wurde, oder der Bohrer, wie Ferris ihn nannte.
Sie hatten eine Menge Fische gefangen, und als das Boot auf den Sand lief, sprangen die Männer heraus.
„Schießpulver?“ fragte Pete entsetzt und bewegte seine großen Pranken besorgniserregend hin und her. „Wozu soll das denn wieder gut sein?“
Old O’Flynn wußte es, aber er enthielt sich der Stimme, und auch der alte Will Thorne schwieg.
Tucker erklärte es ihm.
„Die Höhlen des Holzbohrers werden gesprengt, mit Schießpulver“, sagte er ernst. „Dann fliegt der Holzbohrer in die Luft.“
„Waaas?“ schrie Pete. „Ich denke, das geht mit der Nadel!“
Ferris verneinte. „Er sitzt zu tief, verstehst du? Wir müssen sprengen, geh aus dem Weg!“
Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, blies er auf die Glut der Lunte und hielt sie an die klebrige Masse.
„Sir, das kannst du nicht zulassen!“ rief Pete dem Seewolf zu, doch dann merkte er, daß Tucker ihn wieder einmal genarrt hatte.
Eine Stichflamme zuckte an den Rumpfplanken hoch, setzte für ganz kurze Zeit das Pech in Brand und überzog alles mit einer lohenden Feuersäule. Es sah aus, als würde die „Isabella“ jeden Augenblick in Flammen aufgehen.
Das glutheiße Pech drang in die Ritzen ein, verklebte sie und erstickte die Holzbohrer, einerseits durch die sengende Hitze, andererseits dadurch, daß es die winzigen Gänge hermetisch abschloß.
„Als ich die ersten Holzbohrer ausrottete“, sagte Ferris, „da hast du gerade in den Windeln schwimmen gelernt, Pete, so lange ist das schon her.“
„Donnerwetter“, sagte Ballie, „du bist doch ein rothaariger Satansbraten, der sein Handwerk versteht.“
„Nun, man lernt immer noch dazu“, sagte Tucker bescheiden.
Sobald eine Fläche abgekratzt war, rückte der Zimmermann dem unsichtbaren Biest zu Leibe, brannte, räucherte und sengte es aus, bis der Rumpf teilweise schwarz glänzte und aussah, als wäre er mit frischem Lack überzogen.
Die anderen halfen mit, unermüdlich, keuchend, schwitzend und verhalten fluchend. Sie hatten noch eine Menge Arbeit vor sich, und nicht mehr lange, dann stieg das Wasser wieder.
Deshalb schufteten sie wie besessen weiter.
6.
Unterdessen hatte der Trupp mit Carberry, Dan, Stenmark und Al Conroy fast zwei Meilen in südlicher Richtung zurückgelegt.
Die Sorge mit dem Wasser waren sie los, denn der Regenschauer hatte sie bis auf die Haut durchnäßt und bei den Männern Freudenstürme ausgelöst.
Al Conroy, der Waffen- und Stückmeister, hatte ein Tier erlegt, das einem Wasserschwein verblüffend ähnlich sah und das beachtliche Gewicht von annähernd etwas mehr als zwei Zentnern aufwies.
„Dann ist es etwas leichter als der Profos“, hatte Dan lachend gesagt und dafür von Carberry einen vernichtenden Blick geerntet.
Sie hatten es aufgebrochen und an einen Baum gehängt, um es auf dem Rückweg mitzunehmen.
„Wir müssen noch mehr finden“, sagte Conroy, „zwei Zentner Fleisch vertilgt der Profos zum Frühstück, und die anderen wollen ja auch etwas essen.“
Aber sie fanden keins der Tiere mehr.
Dafür entdeckten sie etwas anderes, und das drehte ihnen fast den Magen um.
Mit den Schiffshauern bahnten sie sich einen Weg durch den dumpfen heißen Dschungel, umschwirrt von Myriaden kleiner Stechmücken, die sich selbstmörderisch auf die Männer stürzten und ihr Blut saugten. Winzige Käfer fielen sie an, bohrten sich blitzschnell und schmerzhaft in die Haut und legten ihre Eier ab, damit für den fleischfressenden Nachwuchs gesorgt war.
Dan O’Flynn erreichte eine Lichtung, einen freien Platz, und von hier aus hatten sie einen Ausblick auf eine weitere Bucht.
Da blieb der junge O’Flynn wie gelähmt stehen.
Die Lichtung war künstlich angelegt worden. Unbekannte hatten Büsche, Mangroven und kleine Sträucher gerodet. Auf der Lichtung standen nur ein paar abgestorbene dünne Pfähle.
Das war es aber nicht, was Dan zusammenzucken ließ. Er blickte auf einen Schädel, der an einem der Pfähle hing, und dieser Schädel sah verdammt danach aus, als hätte er kurz zuvor noch einen spanischen Körper geziert.
Es war eine Tsanta, ein Schrumpfkopf, wie ihn auch die kleinen Buschmänner in der versunkenen Stadt in der Nähe des Amazonas angefertigt hatten. Man hatte der Tsanta die Lippen zugenäht, den Schädel mit heißem Sand gefüllt und ließ ihn nun trocknen.
Dan kannte die Prozedur. Kühlte der Sand ab, dann wurde neuer heißer Sand hineingefüllt, bis der Schädel nach Wochen restlos austrocknete, auf Faustgröße zusammenschrumpfte und so für alle Ewigkeit erhalten blieb.
Carberry, Stenmark und Conroy blieben stehen, als seien sie gegen eine unsichtbare Mauer geprallt.
„Verdammt“, sagte der Profos leise und blickte sich nach allen Seiten um. „Da sind wir ja mal wieder in die allerbeste Gesellschaft geraten, und der Teufel soll mich holen, wenn das keine Spanier sind.“
Vierzehn Pfähle standen auf der Lichtung und jeder dieser Pfähle trug eine Tsanta. Die Haare behielten die ursprüngliche Länge bei, nur der Schädel selbst schrumpfte, und die Gesichtszüge blieben ebenso erhalten.
Stumm und reglos standen sie da, der Magen krempelte sich ihnen um, keiner brachte einen Ton hervor.
Das war fast eine ganze Schiffsmannschaft, die sich hier zu einem schauerlichen Stelldichein versammelt hatte, und deren Köpfe erst ein paar Tage alt waren.
Der Profos kannte das, die Buschmänner hatten ihm damals einen Schrumpfkopf geschenkt, ein Andenken, vor dem ihm heute noch graute, wenn er nur daran dachte.
Also gab es auf dieser Insel Wilde, Kopfjäger, Menschenfresser vielleicht, die hinterhältig und heimtükkisch töteten.
Überall im Dschungel konnten sie lauern, aus ihren Blasrohren vergiftete Pfeile schießen und sie töten.
Es war Wahnsinn, weiter vorzudringen, denn die Kerle waren hier zu Hause und ihnen trotz der Waffen himmelhoch überlegen. Ganz in. der Nähe mußte ihr Dorf sein, diese Lichtung bewies es, die sie fast stündlich aufsuchten, um die Tsantas zu „pflegen“.
Carberrys rechte Hand umkrampfte die Waffe. Schweigend bedeutete er den anderen, es ihm gleichzutun. Dann deutete er mit ausgestreckter Hand zurück.
Es war nicht einmal der Anflug von Feigheit, der sie veranlaßte sich zurückzuziehen. Es war ein dringendes Gebot der Stunde, basierend auf dem Selbsterhaltungstrieb, einem vernünftigen Gesetz folgend, sich nicht einfach einem unbekannten Gegner auszuliefern, der an nichts anderes dachte als an Töten und den Männern die Köpfe abzuschlagen, um sie an Pfählen aufzuspießen.
Hier befanden sie sich in der Höhle des Löwen, und die mußten sie so schnell wie möglich verlassen, denn sie kannten nicht die kolossale Übermacht der Kopfjäger.
Das Grauen hielt sie noch gefangen, als sie schon fast eine Meile zurückgelegt hatten. Immer noch sahen sie die Köpfe vor sich, die verzerrten Gesichter, als Masken, die unter Qualen gestorben waren, nachdem man sie hinterrücks überfallen hatte.
Das riß und zerrte an den Nerven, auch wenn sie es schon einmal gesehen hatten. Es lag kein Sinn in diesem Töten, und daher widersetzte sich in ihrem Innern alles dagegen.
Es war sinnloser Mord, wie Carberry wutschnaubend sagte.
„Und wenn es hundert Mal verdammte Dons sind und sie die Pest über ganze Länder bringen“, sagte er erbittert, „dann sind sie immer noch Menschen. Es gibt nämlich solche und solche, und ich kann verdammt noch mal nicht einsehen, daß man Menschen wie Vieh einfach abschlachtet und ihre Schädel ausstopft oder trocknet. Wilde oder nicht, da hört der Spaß auf!“
Selten hatte der Profos so voller Grimm gesprochen, und seine Miene drückte aus, daß er den Kopfjägern am liebsten zu Leibe gerückt wäre, um dort mal kräftig aufzuräumen, und die Burschen auf den Weg der Erleuchtung zu bringen.
Spät am Nachmittag kehrten sie zurück, beladen mit dem großen Tier, das Carberry ganz allein durch den Dschungel schleppte.
Wasser hatten sie übrigens nicht gefunden, bis auf einen kleinen Tümpel voll einer stinkenden Brühe, über dem wie ein dichtes Netz riesige Schwärme von stechenden Plagegeistern hingen.
Die „Isabella“ schwamm wieder, als sie sie erreichten.
Als der Profos dem Seewolf Bericht erstattete, wurde Hasards Gesicht starr wie eine Maske.
„Kopfjäger?“ fragte er fassungslos.
„Ja“, sagte der Profos schwer, „wir haben vierzehn Köpfe gefunden, die zweifellos von Spaniern stammen. Ich schätze, daß sie höchstens zwei Tage alt sind.“
Auf der „Isabella“ verbreitete sich diese Schreckensnachricht wie ein Lauffeuer. Die Seewölfe sahen sich fassungslos an.
Kopfjäger, die hatten sie am Amazonas kennengelernt, und obwohl es sich um nette kleine Buschmänner gehandelt hatte, die überaus freundlich gewesen waren, blieb ein leises Grauen zurück.
Die Männer des Amazonas hatten nicht aus Mordlust getötet. Ihre Opfer waren Todfeinde, die sie bis aufs Blut gepeinigt hatten.
Hier jedoch lag der Fall anders, wie es den Anschein hatte.
„Es gibt, verdammt noch mal, keine ruhigen Flecken mehr auf dieser beschissenen Welt“, sagte Old O’Flynn. „Hier hat es ausgesehen wie im Paradies, und was entdecken wir? Miese, gallige Burschen, die nichts anderes tun, als harmlosen Freibeutern die Köpfe abzuhacken. Man sollte diese Brut mit Stumpf und Stiel ausrotten.“