Seewölfe Paket 7

- -
- 100%
- +
Hasard legte mit der Reiterpistole an. In rascher Folge feuerte er die beiden Läufe leer, und zwei Gegner blieben reglos auf der Kuhl liegen.
Blacky schnellte aus der Deckung. Er hatte sein Entermesser gezückt und drang damit gegen die anderen Gegner vor. Sie hatten ihre Schußwaffen leergefeuert, keine anderen Pistolen oder Musketen zur Hand und konnten sie auch nicht so schnell von den Gefechtsstationen holen. Sie mußten sich mit Säbeln und Schiffshauern ihrer Haut wehren.
Einer dieser Männer löste sich von der Gruppe und schlich auf Sam Roskills Rücken zu. Sam hatte in der Zwischenzeit noch zwei Musketen auf das Boot leergeschossen, und wieder war die Wirkung verheerend gewesen. Noch zwei Spanier hatte es erwischt, der fünfte Mann war verletzt und trachtete, sich hastig pullend zurückzuziehen. Sam ließ ihn reisen, sah ihm aber nach, um sicher zu sein, daß er sich nicht etwa um den Schiffsbug herumtastete. Er hätte ihnen von der anderen Seite her in den Rücken fallen können. Möglich war alles.
Shane und Dan hatten den Bewußtlosen auf dem Achterdeck die Pistolen abgenommen. Shane war jetzt als erster am Steuerbordniedergang und sah, was sich hinter Sam Roskill tat. Seine Faust mit einer der Pistolen flog hoch. Dumpf brach der Schuß. Der Mündungsblitz war ein rotgelber Schlitz in der Dämmerung. Schreiend wälzte sich der Spanier plötzlich unter dem Bodenstück einer Culverine. Sam Roskill fuhr herum und wurde sich der Gefahr bewußt, in der er geschwebt hatte.
„Heiliger Strohsack“, stieß er hervor.
Shane und Dan feuerten gleichzeitig, und die letzten Gegner an Bord des Flaggschiffs brachen zusammen. Die „Santissima Madre“ gehörte den Seewölfen, wenn man so wollte, aber der Tanz ging jetzt erst richtig los.
Die Kapitäne der „Santa Barbara“ und der „San Juan“ eröffneten das Feuer auf die „Isabella“. Auf ihr Flaggschiff hielten sie vorläufig nicht, denn sie wollten weder den Kommandanten Arturo Diaz Escribano noch die Offiziere und die Decksleute gefährden, die noch am Leben waren.
Ben Brighton ging mit der „Isabella“ an den Wind und ließ die Steuerbordbreitseite gegen die beiden spanischen Kriegssegler los. Im Nu war der Teufel los. Schwer rollte der Geschützdonner über die Inselbucht und aufs offene Meer hinaus.
Fast sah es so aus, als müsse die „Isabella“ im Gefecht unterliegen.
War sie denn gepanzert und gegen Treffer geschützt, die Seewölfe unverwundbar? Noch standen alle Möglichkeiten offen, im Guten wie im Bösen.
Hasard lief zu Shane und Dan. Gemeinsam stürzten sie auf die Kuhl, wo Blacky und Sam Roskill bereits damit beschäftigt waren, das Großsegel zu setzen. Zwei Batteriedecks mit jeweils einem Dutzend 17-Pfündern hatte die „Santissima Madre“, aber dem Seewolf standen nur vier Männer zur Verfügung, um das schwere Schiff zu manövrieren und gleichzeitig zu feuern.
Trotzdem griff er in das Gefecht ein, ohne auch nur eine Sekunde Zeit zu verlieren.
Dan O’Flynn stand am Kolderstock der Galeone. Blacky bediente das Großsegel. Mehr Zeug wurde auf Hasards Anweisung hin nicht gesetzt. Sam Roskill und Big Old Shane waren die Geschützführer an Oberdeck, während der Seewolf in das Dunkel des Schiffsleibes lief. Er gelangte ins untere Batteriedeck. Als er feststellte, daß auch hier die Kanonen zum Feuern bereit waren, atmete er unwillkürlich auf.
Zum Laden wäre keine Zeit gewesen, er hätte sich mit den Geschützen der Kuhl begnügen müssen.
So aber standen ihm zwei Dutzend bronzene 17-Pfünder-Culverinen zur Verfügung. Hasard kauerte sich neben das erste Geschütz an Steuerbord, schürte das verglimmende Holzkohlenfeuer im Becken, steckte das Luntenende hinein und blickte aus der offenen Stückpforte ins Freie.
Die beiden spanischen Galeonen hatten sich im Dämmerlicht in feuerspukkende Schemen verwandelt. Die „Santa Barbara“ fiel soeben ab und präsentierte der „Isabella“ ihre Buggeschütze. Die „San Juan“ hatte ihre Steuerbordbreitseite auf den Gegner abgefeuert, ohne sichtbaren Erfolg allerdings – und jetzt luvte sie nach Südosten an, um eine enge Schleife zu fahren und die „Isabella“ von achtern anzugreifen.
Hasard trat die Lunte auf den Planken aus. Er ließ die Zündschnur los, lief unter die Luke der Kuhl, die durch die Gräting verdeckt war, und schrie: „Blacky! Dan! Wir schieben uns zwischen die beiden Galeonen! Seht zu, daß ihr es schafft!“
„Aye, Sir!“ rief Blacky zurück.
„Shane, Sam – noch nicht feuern! Wartet auf mein Zeichen!“
„Aye, aye“, ertönte das grollende Baßorgan des graubärtigen Riesen.
Für das, was auf Hasards Befehl hin geschah, hätte nichts eine dramatischere Kulisse sein können als das glutrote Zackenbild des brennenden Dorfes im zunehmenden Dunkel des Abends. Der Teniente Savero de Almenara, der Sargento, der Batak Siabu, der Feldscher der „Santa Barbara“ und die Soldaten an Land verfolgten fassungslos, wie die „Santissima Madre“ jetzt hoch an den Wind ging und auf Steuerbordbug leicht beschleunigend auf die „San Juan“ und die „Santa Barbara“ zusteuerte.
Es war eine seemännische Meisterleistung. Zwei Männer, Dan O’Flynn und Blacky, dirigierten die schwere Galeone so hart am Nordost durch die Bucht, daß der Rahsegler jeden Augenblick in den Wind zu laufen und das Großsegel zu killen drohte.
Und doch geschah es nicht. Die „Allerheiligste Mutter“ schob sich mit kräuselnder Bugwelle und etwas schräg versetzt mitten zwischen die herumschwenkende „Santa Barbara“ und die halsende „San Juan“. Es passierte in einem Moment, in dem die Besatzungen der beiden Galeonen mit dem Ladevorgang der leergeschossenen Geschütze noch vollauf beschäftigt waren.
Die „Santissima Madre“ zog elegant an den Buggeschützen der „Santa Barbara“ vorbei, befand sich jetzt fast an dem vom Seewolf bestimmten Ziel und verdeckte die „Isabella VIII.“ mit ihrem mächtigen hölzernen Leib.
Fast schien der Kapitän der „Santa Barbara“ zu erschüttert zu sein, um den Feuerbefehl zu geben.
„Feuer!“ tönte es dann jedoch von der „Santa Barbara“ herüber.
Die 9-Pfünder-Buggeschütze donnerten gleichzeitig los, aber ihre Kugeln rasierten der „Santissima Madre“ nur einen Teil des Backbordschanzkleides in Höhe des Quarterdecks weg. Dan O’Flynn duckte sich vor einem wirbelnden Balkenstück. Es taumelte über hin weg und krachte gegen die Querwand der Hütte.
Und schon war die „Santissima Madre“ am Vorsteven der „Santa Barbara“ vorbei, ging nun, während Blacky in aller Eile das Großsegel aufgeite, tatsächlich in den Wind und glitt mit verringerter Fahrt in die Schußrichtung der Backbordgeschütze der „Santa Barbara“ und der Steuerbordbatterie der „San Juan“.
An Bord der „San Juan“ wurde das Nachladen gerade zu Ende vollzogen. Einzig die Backbordkanonen der „Santa Barbara“ waren einsatzbereit – gegen das eigene Flaggschiff.
„Allmächtiger“, stöhnte der Teniente de Almenara. „Das darf doch nicht wahr sein. Der Comandante befindet sich noch an Bord der ‚Santissima Madre‘, und unsere Leute sind gezwungen, ihn mit zu töten, wenn sie …“
„Si, Teniente“, sagte der Feldscher der „Santa Barbara“. „Sie müssen die ‚Allerheiligste Mutter‘ zusammenschießen, und unser Comandante wird als Held für das Vaterland fallen.“
Der Batak hob plötzlich den unverletzten Arm und wies zur Bucht. „Da, seht doch – das Boot!“
Ja, da war es wahrhaftig, das Beiboot, das de Almenaras Boten zum Flaggschiff hatte befördern sollen. Vier Tote lagen über den Duchten. Der verwundete Mann, der wie ein Verrückter pullte, entpuppte sich als der Melder.
„El Lobo del Mar!“ schrie er wie von Sinnen. „Der Seewolf!“ Diesen Namen hatte ihm der Ausguck der „Santissima Madre“ zugerufen, bevor er im Kampf gegen die Feinde auf die Planken der Kuhl gesunken war.
„Der Seewolf.“ Der Teniente spürte, wie ihm schwindlig wurde. Spaniens meistgehaßter Feind – hier! Fast erschien es ihm zu ungeheuerlich. Dann aber faßte er sich. Er dachte an die Belohnung, die Philipp II. für die Ergreifung des Seewolfs ausgesetzt hatte.
„Zu den Waffen!“ schrie de Almenara. „Schnappt euch die Musketen, die Arkebusen, ihr Hunde! Wir müssen in den Kampf eingreifen!“
Die anderen musterten ihn etwas verständnislos von der Seite. Als de Almenara jedoch auf die Boote wies, ging ihnen auf, was er vorhatte. Weil die Reichweite der Musketen und Arkebusen von Land aus bis zu den Schiffen nicht groß genug war, wollte der Teniente allen Ernstes die Boote bemannen und zwischen die Galeonen pullen.
Dem Sargento klappte der Unterkiefer herunter. Dem Feldscher wurde es in der Kniegegend weich, und selbst der Batak, ein harter Naturmensch, verspürte Furcht vor diesem Himmelfahrtskommando.
Die „Santissima Madre“ lag inzwischen auf gleicher Höhe mit der „Santa Barbara“ und der „San Juan“. Gerade hatten die beiden Galeonen so weit gewendet, daß sie sich praktisch auf entgegengesetztem Parallelkurs zu ihrem Flaggschiff befanden.
„Feuer!“ brüllte der Kapitän der „Santa Barbara“ wieder – und die Backbordbatterie seines Dreimasters spuckte ihre tödliche Ladung aus.
Gleich darauf rasten die 17-Pfünder-Kugeln von beiden Seiten der „Santissima Madre“ los. Sam Roskill und Big Old Shane hetzten wie die Teufel über die Kuhl und zündeten eine Kanone nach der anderen.
Hasard unternahm inzwischen das gleiche auf dem unteren Geschützdeck. Er mußte abbrechen, als auf die schlecht gezielte Backbordbreitseite der „Santa Barbara“ hin jetzt eine vortrefflich gezielte Steuerbordbreitseite der „San Juan“ auf das Flaggschiff einhämmerte. Plötzlich brach die Bordwand ein, Feuer und Rauch traten durch die Bresche und mischten sich mit dem beißenden Pulverqualm der von Hasard in Betrieb gesetzten Geschütze. Ein Inferno entwickelte sich unter den niedrigen Deckenbalken. Hasard konnte in diesem Moment nur eins tun – sich hinwerfen.
Die „Santissima Madre“ schaukelte wild hin und her: Hasard befürchtete, daß sich eins der Geschütze aus den Brooktauen lösen könnte. Wenn das geschah, lief er Gefahr, zerquetscht zu werden.
Aber er hatte Glück. Der Lärm verhallte, und die „Santissima Madre“, die mit stark reduzierter Geschwindigkeit auf das Inselufer zuhielt, geriet in eine ruhigere Position zurück.
Groß klaffte das Loch in der Bordwand, aber es lief kaum Wasser durch das Leck herein, dafür saß es zu hoch. Mit einem grimmigen Ausdruck auf den Zügen richtete der Seewolf sich wieder auf. Er entfachte eine Lunte, setzte seinen Weg durch das Schiffsinnere fort, und wieder begannen die Kanonen der „Santissima Madre“ zu sprechen.
Auf der Kuhl zündeten Sam und Shane die letzten, randvoll geladenen Geschütze.
Zum exakten Zielen blieb kaum Zeit, so daß etwa die Hälfte des Beschusses wirkungslos im Wasser der Bucht verpuffte. Die anderen Kugeln jedoch saßen – sowohl auf der „Santa Barbara“ als auch auf der „San Juan“.
Die „Isabella“ war dank Hasards verwegenem Einsatz der von achtern anrückenden „San Juan“ davongesegelt und hatte alle drei Schiffe passiert. Ben Brightons Kommandorufe hallten im Einklang mit Carberrys Gebrüll. Die große Galeone ging über Stag, fuhr auf diese Art einen Kreuzschlag und steuerte mit neuem, westlichem Kurs hart an der „Santa Barbara“ vorbei auf die Insel zu.
Der Teniente Savero de Almenara und die ihm zugeteilten Männer waren gerade in die Boote geklettert und schickten sich an, loszupullen, da stiegen Feuerzungen von der heranrauschenden „Isabella“ auf.
„Brandpfeile!“ schrie der Sargento. „Die gelten uns!“
„Schweig, du Hasenfuß!“ brüllte der Teniente außer sich vor Wut zurück. Es war unvorstellbar, wie sich seine Landsleute von der um sich greifenden Panik packen ließen. „Die Pfeile zielen auf die ‚Santa Barbara‘“, schrie er wild. „Und jetzt pullt, ihr elenden Bastarde, ihr Hur …“
Das letzte Wort blieb ihm im Halse stecken, denn er stellte zu seinem Entsetzen fest, daß er sich geirrt hatte. Zischend fuhr der erste Brandpfeil auf sie nieder – auf sein Boot! Ein Fanal rammte sich wie eine himmlische Mahnung zwischen die Duchten und leckte an den Beinen von zwei Soldaten hoch. Ein mehrstimmiger Schrei gellte über die Bucht.
De Almenara wollte fluchen, schießen, vorandrängen, aber seine Aktion wurde im Keim erstickt. Immer mehr Pfeile prasselten auf die Boote nieder und entfachten ein munter loderndes Feuer.
Dabei war es nur ein Mann, der Pfeil um Pfeil von der Bogensehne sandte: Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia. Auf Ben Brightons Anordnung hin war er in den Vormars der „Isabella“ aufgeentert. Ein breites Grinsen hatte sich auf Batutis Gesicht gelegt. Und während er schoß, bedauerte er nur eins – daß Big Old Shane, der andere hervorragende Bogenschütze der „Isabella“, nicht an diesem Zielschießen teilhaben konnte.
Die „Isabella“ legte sich an den Nordostwind, der frisch genug über die Insel strich, um ihr rasche Fahrt zu verleihen. Ferris Tucker kniete auf dem Achterdeck neben der von ihm gebastelten, schleuderähnlichen Konstruktion. Er hatte die Boote des Landtrupps nun genau vor sich und handelte.
Was da in leicht torkelndem Flug zur Insel hinübersauste, fand zunächst kaum die Beachtung von de Almenara und den anderen Spaniern. Die Männer waren zu sehr damit beschäftigt, das Feuer in den Booten zu löschen und die Glut auf ihrer Kleidung auszuschlagen.
Eine Flasche war in das Boot neben dem von de Almenara gekollert. Der Sargento, der das Kommando in dieser Jolle innehatte, hob sie halb verblüfft, halb verstört auf und stellte noch fest, daß sie gefüllt und mit einer glimmenden Lunte versehen war.
Dann war die Luntenglut durch den Korkstopfen der Flasche gekrochen. Ferris Tuckers Höllenladung explodierte dem Sargento in der Faust.
Die Wucht des Donnerhiebes hob den Teniente glatt aus dem Nebenboot. Im Flachwasser richtete de Almenara sich wieder auf. Er entdeckte neben sich den Batak und den Feldscher der „Santa Barbara“. Er wollte ihnen etwas zurufen, aber neue „Höllenflaschen“ aus der Produktion von Hasards rothaarigem Schiffszimmermann landeten vor dem Ufer und gingen hoch.
Dabei spielte es keine Rolle, ob sie trocken in die Boote polterten oder ins Wasser schlugen. Auch unter Wasser detonierten die gut abgedichteten Flaschen noch, wenn das Luntenfeuer bereits durch den Korken hindurch war.
Daß dies der Fall war, dafür sorgte Ferris Tucker, der die Flaschen nie zu früh von seiner „Höllenflaschenabschußkanone“ hochschwingen ließ.
„Nein“, stieß der Teniente hervor. „Madre de Dios, nein!“
Er erhob sich im Wasser, watete an Land, fiel hin, rappelte sich wieder auf und entging um ein Haar einem Brandpfeil, der links hinter ihm in den Sand des kleinen Strandes zischte.
Nur noch darauf bedacht, das nackte Leben zu retten, hastete er auf die Felsen zu. Er war heilfroh, als er einen Einschnitt entdeckte, in den er sich zwängen konnte. Noch zwei oder drei Männer stiegen hinter ihm in dem steinigen Hang auf, der zum lodernden Dorf hinaufführte, aber Savero de Almenara schaute sich nicht zu ihnen um.
Unterdessen hatte die „Isabella“ auch wieder das Feuer auf die „Santa Barbara“ eröffnet. Ben Brighton und die Crew halfen nun ihrerseits dem Seewolf.
Hasard erhielt dadurch Luft. Er und seine vier Begleiter an Bord der „Santissima Madre“ konnten zumindest einige Geschütze nachladen.
Wenig später trieb die „Santa Barbara“ mit zerschossenem Steuerruder und unter hohen, roten Flammen durch die Bucht. An diesem Punkt nahm das Gefecht seine entscheidende Wende – zugunsten der Seewölfe.
Noch immer glaubte der Kapitän der „San Juan“ jedoch, er könne die Entwicklung wieder in den Griff kriegen. Die Korsaren versuchten, ihn in die Flucht zu schlagen, aber er ließ nicht locker. Er hatte den Namen „El Lobo del Mar“ deutlich mehrmals rufen hören und wollte sich die Lorbeeren verdienen, auf die jeder Spanier zur See aus war. Den Seewolf zu besiegen, hieß nicht nur, eine hohe Belohnung zu kassieren, sondern auch in Rang und Ansehen zu steigen.
Hasard und Ben ließen von der „Santa Barbara“ ab und wandten sich der „San Juan“ zu. Für kurze Zeit verwandelte sich die spanische Galeone zu einer dröhnenden Feste unter dem Mantel der Nacht, doch dann durchbrachen die Seewölfe ihre Verteidigung und setzten ihr zu, wie sie es auch bei der „Santa Barbara“ getan hatten.
Kurze Zeit darauf zündete Ben Brighton auf dem Achterdeck der „Isabella“ einen der chinesischen Brandsätze. Weißes Magnesiumlicht geisterte über das Wasser und fraß sich gierig in den Rumpf der „San Juan“. Das Feuer tanzte die Masten hoch und verschlang das Rigg, es ließ sich nicht aufhalten, nicht löschen.
Chinesischer Schnee, eine Salpetermischung, jagte dem Brandsatz nach und heizte das Oberdeck des spanischen Kriegsseglers zu einer siedenden Brühe auf, auf der es kein Aushalten mehr gab.
Die Besatzungen der „Santa Barbara“ und der „San Juan“ retteten sich in die See. Vier Boote waren in aller Hast noch abgefiert worden, eins klatschte aus halber Höhe in die Fluten. Wer noch schwimmen konnte, rettete sich in diese Boote. Die Verletzten ertranken.
Nur ein Weg stand den Spaniern noch offen – der in die offene See.
Hasard hatte den Kommandanten Arturo Diaz Escribano, den ersten Offizier, den zweiten Offizier, den Bootsmann und die anderen Überlebenden der „Santissima Madre“ mit vorgehaltener Pistole auf dem Achterdeck zusammengetrieben. Sie waren alle wieder zu sich gekommen und blickten den Seewolf aus haßlodernden Augen an.
Shane und Sam Roskill erschienen ebenfalls mit gezückten Waffen auf dem Achterdeck.
„Springt!“ befahl der Seewolf den Besiegten. „Dann könnt ihr eure Kumpane noch erreichen. Comandante, zwing mich nicht, drastisch zu werden.“
Escribano erklomm daraufhin das Schanzkleid, stieß sich mit den Beinen ab und segelte in die schwärzliche Tiefe. Die Offiziere, der Bootsmann und die einfachen Decksleute und Soldaten folgten ihm.
Hasard sah ihnen nach, wie sie zu den Booten schwammen. Escribano schrie wie wahnsinnig, und die Bootsführer ließen Fahrt wegnehmen. Man hörte mit dem Pullen auf, hilfreiche Hände streckten sich den „Schiffbrüchigen“ entgegen. Sie wurden übergenommen. Der Kommandant wäre vielleicht zur Insel zurückgekehrt, auf einem Umweg durch die Nacht etwa, wenn er sich die geringste Chance ausgerechnet hätte, noch einen Vergeltungsschlag gegen den Feind zu führen.
So aber – naß, unbewaffnet, erniedrigt – blieb ihm wirklich nur die Flucht zur offenen See.
„Shane“, sagte Hasard, als er sich umdrehte. „Du steigst jetzt ins Schiff hinunter, suchst dir ein paar Werkzeuge und vergrößerst die Lecks so, daß der Kahn absäuft.“ Er blickte zur „Isabella“. Ben hatte ein Boot abfieren lassen.
„Unsere Jolle liegt noch an Steuerbord dieses Kübels“, erklärte Sam Roskill grinsend. „Wir hatten sie an der Jakobsleiter vertäut, sie ist mitgeschleppt worden und wie durch ein Wunder von den Kugeln verschont geblieben.“
„Dann gib Ben ein Zeichen, daß wir das andere Boot nicht brauchen“, antwortete der Seewolf. „Wir steigen in unsere Jolle und setzen über, sobald Shane unten fertig ist.“
„So, als ob nichts geschehen wäre“, sagte der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle.
Erst jetzt lachten die fünf Männer erlöst auf. Eine Art befreiender Schock schien sie getroffen zu haben, die Anspannung der vergangenen Minuten glitt von ihnen ab, und sie wurden sich erst jetzt richtig bewußt, wie knapp sie dem Tod entgangen waren.
5.
Nicht nur die „Santissima Madre“ sank in der Bucht der Insel. Auch die „Santa Barbara“ und die „San Juan“, von den Flammen weitgehend zerstört, neigten sich dem Grund entgegen. Die „Santa Barbara“ krängte hart nach Steuerbord, bevor sie sich den Blicken der Seewölfe entzog. Die „San Juan“ wurde stark buglastig und hob ihr Heck aus dem Wasser. Danach tauchte sie rauschend unter. Das letzte Feuer in ihrem Achterkastell erlosch zischend.
Hasard erkundigte sich an der Bordwand der „Isabella“: „Ben, haben wir Verluste?“
„Keine Sir!“ rief sein Bootsmann von oben zurück. Grinsend hatte er den Kopf übers Schanzkleid geschoben. „Nur ein paar unbedeutende Blessuren.“
Der Seewolf atmete auf. „Großartig. Schicke Carberry, Ferris Tukker und Smoky zu mir herunter. Wir entern vorläufig nicht auf. Ich will die Insel inspizieren und sehen, ob wir etwas für die Eingeborenen tun können.“
„Aye, Sir. Wir warten hier auf euch?“
„Ja, Ben. Wenn wir Verstärkung brauchen – was ich nicht glaube –, gebe ich dir ein Zeichen.“
Wenig später schob sich der Bug der Jolle knirschend in den Ufersand. Hasard sprang als erster an Land. Er begann, die teils im seichten Wasser, teils auf dem Strand liegenden Gestalten zu untersuchen. Ferris Tucker trat zu ihm, und Hasard schaute ihn an.
„Keiner hat es überlebt“, sagte er. „Diese Flaschen haben eine wirklich verheerende Wirkung.“
„Die Dons haben es nicht anders gewollt …“
„So habe ich das nicht gemeint.“
„Sicherlich hätten wir einiges Blutvergießen vermeiden können“, fuhr der große, rothaarige Mann unbeirrt fort. „Aber nur, wenn die Dons nicht verrückt gespielt hätten.“
Hasard sah ihn fest an. „Ich wollte nur ausdrücken: Es kann kaum jemand ins Innere der Insel entwischt sein. Das ist alles, Ferris. Wir haben ein ganzes Dorf unschuldiger Männer, Frauen und Kinder vor dem Tod bewahrt, und allein das rechtfertigt unser Verhalten.“
Er stieg mit seinen sieben Männern zum Dorf hinauf. Hier konnten sie nur noch dem Abklingen des vernichtenden Feuers beiwohnen. Der feuchte Regenwald stoppte die Flammen am Saum des freien Platzes, der von der Existenz der einstigen Fischersiedlung zeugte. Ein Ausbreiten des Brandes, ein Dschungelfeuer, war nicht möglich.
Von den Hütten waren nur kärgliche Aschereste geblieben. Es hatte wenig Sinn, die von diesen Haufen aufzüngelnden Flammen zu löschen.
„Damit erreichen wir nichts“, sagte der Seewolf nach einem kurzen Dialog mit Carberry. „Die Eingeborenen müssen das Dorf ohnehin neu aufbauen, und es ist fraglich, ob sie es am selben Platz tun werden.“
„Wir haben hier also unsere Schuldigkeit getan“, meinte der Profos. „Wir können wieder abhauen, oder?“
„Nicht ganz. Ich will die Eingeborenen suchen.“
„Hasard“, sagte Carberry mit düsterer Miene. „Es könnten Kopfjäger sein wie die Burschen auf Kalimantan. Was haben wir davon, wenn sie uns die Rüben abhacken, sie in einen großen Topf schmeißen und Schrumpfschädel daraus herstellen?“
Dan grinste diabolisch. „Einen echten Gewinn, zumindest, was dich betrifft, Ed.“
„Sei du bloß still …“
„Wenn dir nämlich nach dem Abhacken ein neues Haupt nachwächst“, fuhr Dan unbeirrt fort, „ist das bestimmt besser mit Grips aufgefüllt als die jetzige Birne. Außerdem hast du dann ein neues, schöneres Gesicht und …“
„Köpfe wachsen nicht nach“, sagte der Profos drohend. „Und wenn du nicht aufhörst, hau ich dir den Schädel platt, daß das ganze Stroh ’rauskommt. Kapiert?“
Er holte schon mit der rechten, klüsengroßen Pranke aus, und Dan hielt es nun wirklich für angebracht zu schweigen.
Edwin Carberry wandte sich noch einmal an den Seewolf. „Du willst dich allen Ernstes in den verteufelten Busch wagen und nachsehen, wohin sich die Wilden verzogen haben? Jetzt, mitten in der Nacht?“
„Ja. Ich glaube nicht, daß die Leute Kopfjäger sind. Nein, auch keine Kannibalen, Ed. Sun Lo hat mir gesagt, daß so rüde Bräuche nur auf den weiter östlich liegenden Inseln herrschen.“
„Der ist auch nicht allwissend.“
„Profos“, sagte der Seewolf hart. „Du kannst ja an Bord der ‚Isabella‘ zurückkehren, wenn du die Hosen voll hast.“
Das saß. Carberry senkte den Schädel ein wenig, streckte sein Rammkinn vor und marschierte als erster auf den Inselurwald zu. Nein, als Feigling ließ er sich nun wirklich nicht einstufen. Entschlossen zückte er seinen schweren Cutlass und begann, auf das widerspenstige Dikkicht einzudreschen, um einen Durchlaß zu schaffen.
Hasard ließ sich von Dan O’Flynn eine mitgebrachte Pechfackel anzünden. Damit gab er ein Zeichen zur „Isabella“ hinüber, und Ben antwortete, indem er die inzwischen in Betrieb gesetzte Achterlaterne der großen Galeone zweimal kurz zudeckte und dann wieder aufflammen ließ.
„Gehen wir“, sagte der Seewolf. „Fackeln und Waffen haben wir genug mitgeschleppt, wir werden schon heil zurückkehren.“